Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juli 2011 - IX ZB 57/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Gegenstandswert wird auf 10.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
- 1
- Der weitere Beteiligte zu 1 erwirkte als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. GmbH am 14. April 2010 ein gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbares Urteil des Landgerichts Konstanz, durch das die Schuldnerin zur Zahlung von 663.914,10 € verurteilt wurde. Gegen dieses Urteil legte die Schuldnerin Berufung ein; das Verfahren schwebt gegenwärtig vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe.
- 2
- Gestützt auf diese Forderung hat der weitere Beteiligte zu 1 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin beantragt.
II.
- 3
- Die gemäß §§ 7, 6 Abs. 1, § 34 Abs. 2 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil sie keinen Zulässigkeitsgrund (§ 574 Abs. 2 InsO) aufdeckt.
- 4
- 1. Die von der Rechtsbeschwerde zur Prüfung gestellte Frage, ob der Gläubiger, der den Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit allein aus seiner von dem Schuldner bestrittenen Forderung herleitet, den erforderlichen Nachweis durch die Vorlage eines lediglich vorläufig vollstreckbaren Urteils erbringen kann, ist nicht entscheidungserheblich.
- 5
- a) Es geht hier nicht um eine Gestaltung, in der die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners allein auf die Forderung des antragstellenden Gläubigers gestützt wird. Vielmehr ist das Beschwerdegericht auf der Grundlage des vom Insolvenzgericht eingeholten Gutachtens von gegen die Schuldnerin gerichteten Forderungen über 1.886.577,16 € ausgegangen. Bei dieser Sachlage wird die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht allein auf die Forderung des weiteren Beteiligten zu 1 zurückgeführt. Mithin konnte der weitere Beteiligte zu 1 die dem Antrag zugrunde liegende Forderung jedenfalls durch die Vorlage des von ihm erwirkten Zahlungstitels glaubhaft machen.
- 6
- b) Die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin beruht nicht einmal auf der von dem weiteren Beteiligten zu 1 verfolgten Forderung.
- 7
- Selbst wenn man die Forderung des weiteren Beteiligten zu 1 gänzlich außer Betracht ließe, beliefen sich die gegen die Schuldnerin gerichteten Forderungen auf 1.222.663,06 €. Mit Rücksicht auf die vorhandenen liquiden Mittel von 92.479,47 € wäre hier von einer Deckungslücke in Höhe von etwa 92 vom Hundert auszugehen. Aufgrund der kurzfristig liquidierbaren Mittel über 193.493,58 € könnte die Deckungslücke nicht binnen drei Wochen im Umfang von mehr als 90 vom Hundert ausgeglichen werden (BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 - IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 145).
- 8
- 2. Soweit die Rechtsbeschwerde zur Prüfung stellt, welche Anforderungen an das Merkmal des "ernsthaften Einforderns" im Rahmen des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO zu stellen sind, ist die erstrebte Klärung bereits erfolgt.
- 9
- a) Eine Forderung ist bereits dann im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO fällig, wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt. Hierfür genügend, aber nicht erforderlich ist die Übersendung einer Rechnung. Das Merkmal des "ernsthaften Einforderns" dient damit lediglich dem Zweck, solche Forderungen auszunehmen, die rein tatsächlich - also auch ohne rechtlichen Bindungswillen oder erkennbare Erklärung - gestundet sind (BGH, Urteil vom 14. Mai 2009 - IX ZR 63/08, BGHZ 181, 132 Rn. 22).
- 10
- b) Bei dieser Sachlage konnten hier sämtliche Forderungen in die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit einbezogen werden. Eine tatsächliche oder recht- liche Stundung ist mangels einer substantiierten Darlegung der Schuldnerin hinsichtlich keiner dieser Forderungen ersichtlich.
- 11
- 3. Schließlich liegen auch keine Grundrechtsverletzungen vor.
- 12
- a) Ohne Erfolg rügt die Schuldnerin unter Berufung auf Art. 103 Abs. 1 GG, sie habe die Forderungen des Beteiligten zu 1 nicht begleichen können, weil das Insolvenzgericht vor Ablauf der ihr gesetzten Stellungnahmefrist bereits am 2. Juni 2010 einen Sicherungsbeschluss nach § 21 InsO erlassen und durch dessen Veröffentlichung ihre Banken zur Kündigung der Darlehensverbindlichkeiten veranlasst habe.
- 13
- Einmal ist schon nicht ersichtlich, dass das Insolvenzgericht vor Ablauf einer der Schuldnerin gesetzten Frist entschieden hätte. Die der Schuldnerin eingeräumte Stellungnahmefrist von zwei Wochen bezog sich auf den Insolvenzantrag. Damit war nicht ausgeschlossen, dass vor Fristablauf Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO ergehen. Sicherungsmaßnahmen können wegen der allgemein zu befürchtenden Gefährdung des Sicherungszwecks ohne vorherige Anhörung des Schuldners erlassen werden (HK-InsO/Kirchhof, 5. Aufl. § 21 Rn. 52; Uhlenbruck/Vallender, InsO 13. Aufl., § 21 Rn. 46; MünchKommInsO /Haarmeyer, 2. Aufl., § 21 Rn. 32; HmbKomm-InsO/Schröder, 3. Aufl., § 21 Rn. 77), dem nach Kenntnisnahme des Sicherungsbeschlusses eine nachträgliche Anhörung zu gewähren ist (HmbKomm-InsO/Schröder, aaO). Zum anderen ist nicht konkret geltend gemacht, dass zugunsten der Schuldnerin offene Kreditlinien bestanden, die ihr - hätten die Banken die Darlehen nicht gekündigt - die Zahlung des Urteilsbetrages an den weiteren Beteiligten zu 1 ermöglichten.
- 14
- b) Zu Unrecht macht die Rechtsbeschwerde geltend, das Vordergericht habe das Vorbringen der Schuldnerin zum Wert der ihr zustehenden Schutzrechte , zum Wert des Betriebsvermögens einschließlich des Warenbestands und zum Wert der in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke nicht beachtet.
- 15
- Diese Darlegung ist nicht entscheidungserheblich. Das entsprechende Vorbringen der Schuldnerin bezog sich allein auf den Eröffnungsgrund der Überschuldung (§ 19 InsO) und nicht auf den - hier angenommenen - Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO). Insbesondere hat sich die Schuldnerin auch nicht darauf berufen, dass diese Vermögenswerte zwecks Verbesserung ihrer Liquiditätslage kurzfristig verwertet werden konnten. Aus dieser Erwägung ist es ebenfalls unerheblich, ob der Wert der Betriebs- und Geschäftsausstattung der Schuldnerin höher als von der vorläufigen Insolvenzverwalterin angenommen einzustufen ist. Ebenso unbehelflich ist das Vorbringen zu einem vermeintlich günstigen Betriebsergebnis, weil es nicht die festgestellte Zahlungsunfähigkeit berührt.
- 16
- c) Soweit die Rechtsbeschwerde den Vortrag des Gläubigers, die Einleitung der Zwangsvollstreckung habe die Schuldnerin nicht zur Zahlung veranlasst , als unrichtig beanstandet, ist eine Entscheidungserheblichkeit weder dargetan noch sonst ersichtlich. Dies gilt ebenso für die weitere Rüge, das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, eine Kopie der Bürgschaft sei bereits mit dem Eröffnungsantrag vorgelegt worden.
Grupp Möhring
Vorinstanzen:
AG Konstanz, Entscheidung vom 01.09.2010 - 40 IN 125/10 -
LG Konstanz, Entscheidung vom 20.01.2011 - 62 T 87/10 A -
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Annotations
(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen.
(2) Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung.
(3) Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam. Das Beschwerdegericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen.
(1) Wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgelehnt, so steht dem Antragsteller und, wenn die Abweisung des Antrags nach § 26 erfolgt, dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.
(2) Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, so steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.
(3) Sobald eine Entscheidung, die den Eröffnungsbeschluß aufhebt, Rechtskraft erlangt hat, ist die Aufhebung des Verfahrens öffentlich bekanntzumachen. § 200 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend. Die Wirkungen der Rechtshandlungen, die vom Insolvenzverwalter oder ihm gegenüber vorgenommen worden sind, werden durch die Aufhebung nicht berührt.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Insolvenzgericht hat alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Gegen die Anordnung der Maßnahme steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.
(2) Das Gericht kann insbesondere
- 1.
einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen, für den § 8 Absatz 3 und die §§ 56 bis 56b, 58 bis 66 und 269a entsprechend gelten; - 1a.
einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen, für den § 67 Absatz 2, 3 und die §§ 69 bis 73 entsprechend gelten; zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses können auch Personen bestellt werden, die erst mit Eröffnung des Verfahrens Gläubiger werden; - 2.
dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen oder anordnen, daß Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind; - 3.
Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagen oder einstweilen einstellen, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind; - 4.
eine vorläufige Postsperre anordnen, für die die §§ 99, 101 Abs. 1 Satz 1 entsprechend gelten; - 5.
anordnen, dass Gegenstände, die im Falle der Eröffnung des Verfahrens von § 166 erfasst würden oder deren Aussonderung verlangt werden könnte, vom Gläubiger nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen und dass solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners eingesetzt werden können, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind; § 169 Satz 2 und 3 gilt entsprechend; ein durch die Nutzung eingetretener Wertverlust ist durch laufende Zahlungen an den Gläubiger auszugleichen. Die Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen besteht nur, soweit der durch die Nutzung entstehende Wertverlust die Sicherung des absonderungsberechtigten Gläubigers beeinträchtigt. Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter eine zur Sicherung eines Anspruchs abgetretene Forderung anstelle des Gläubigers ein, so gelten die §§ 170, 171 entsprechend.
(3) Reichen andere Maßnahmen nicht aus, so kann das Gericht den Schuldner zwangsweise vorführen und nach Anhörung in Haft nehmen lassen. Ist der Schuldner keine natürliche Person, so gilt entsprechendes für seine organschaftlichen Vertreter. Für die Anordnung von Haft gilt § 98 Abs. 3 entsprechend.
(1) Bei einer juristischen Person ist auch die Überschuldung Eröffnungsgrund.
(2) Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, für die gemäß § 39 Abs. 2 zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen.
(3) Ist bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person, so gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend. Dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere Gesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.