Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Dez. 2017 - 4 StR 483/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:191217B4STR483.17.0
19.12.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 483/17
vom
19. Dezember 2017
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:191217B4STR483.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 19. Dezember 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 9. März 2017 – mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag – mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen vorsätzlichenEingriffs in den Straßenverkehr zur Verdeckung einer Straftat, tateinheitlich begangen mit vierfacher vorsätzlicher Körperverletzung“, zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und Maßnahmen nach den §§ 69, 69a StGB angeordnet. Ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Vor dem Hintergrund familiärer Auseinandersetzungen kam es am 29. Mai 2016 am C. in O. zu einem Treffen zwischen dem Angeklagten , der sich in Begleitung seines Bruders V. S. , S. S. und V. T. befand, einerseits, und T. T. , dem Partner der Cousine des Angeklagten, andererseits. Zunächst erschien die Gruppe um den Angeklagten in einem von V. T. gefahrenen VW Transporter, den dieser im Parkhaus 2 parkte. Anschließend erschien T. T. in Begleitung seines Mieters mit seinem Pkw der Marke BMW, Modell 535d. Man traf noch im Parkhaus aufeinander , ging hinaus und überquerte den dortigen Wendehammer in Richtung eines Restaurants. Der Bruder des Angeklagten begann plötzlich, T. T. mit den Fäusten zu schlagen. Auch der Angeklagte und S. S. schlugen auf T. T. ein, der daraufhin zu Boden ging. Einer der Angreifer trat ihm auch mit den Füßen gegen den Körper. Nachdem A. L. , ein Security-Mitarbeiter des C. , sich über T. T. warf und die weiterhin ausgeführten Schläge und Tritte abfing, ließen der Angeklagte, V. S. und S. S. von ihrem Opfer ab. Sie flüchteten ins Parkhaus 2 zu dem dort abgestellten VW Transporter, in dem als Fahrer V. T. zurückgeblieben war.
3
Der Angeklagte montierte zunächst das vordere und das hintere Kenn- zeichen des Transporters ab, „um so eine Identifizierungdes Fahrzeugs und damit der an der körperlichen Auseinandersetzung mit T. T. Beteiligten zu verhindern“ (UA 11).Der anschließende Versuch, das Parkhaus durch die Einfahrt zu verlassen, scheiterte, weil A. L. diese inzwischen mit einem Dienstwagen blockiert hatte. T. T. hatte sich zwi- schenzeitlich zu seinem Fahrzeug begeben und wollte die Angreifer ebenfalls an der Flucht hindern. Deshalb stellte er sein Fahrzeug hinter den VW Transporter. A. L. kam hinzu, öffnete die Fahrertür des Transporters und zwang V. T. , das Fahrzeug zu verlassen; er legte ihm Handschellen an und zog den Zündschlüssel ab.
4
Der Angeklagte lief auf den hinter dem Transporter mit laufendem Motor stehenden BMW zu, welchen T. T. aus Angst hektisch verließ ; er rannte in Richtung des Sicherheitsmitarbeiters A. L. und seines inzwischen hinzugeeilten Kollegen P. D. . Der Angeklagte setzte sich ans Steuer des BMW und verließ rückwärtsfahrend das Parkhaus 2 über die Ausfahrt, wobei er eine dort inzwischen als Sperre abgestellte Mülltonne beiseite rammte. In dem sich anschließenden Wendehammer brachte er das Fahrzeug in eine nahezu parallel zur Längsachse der Fahrbahn verlaufende Position an dem in seine Fahrtrichtung gesehen äußersten linken Fahrbahnrand. Er fuhr sodann auf der linken Seite der zweispurigen Zufahrtsstraße zum Parkhaus mit einer Beschleunigung von 5,03 m/s2 an, somit nahezu mit Maximalbeschleunigung. Er sah, dass A. L. und P. D. auf die von ihm genutzte Fahrspur liefen. D. gab durch Ausstrecken seiner Hand deutliche Anhaltesignale. Auch zwei dort an einer Arbeitsbühne, einem sogenannten Steiger, arbeitende Techniker, J. K. und T. Kl. , nahm er wahr. Kl. befand sich zu dieser Zeit in der Mitte des durch den Angeklagten genutzten Fahrstreifens, J. K. lief an der Mittellinie der Fahrbahn entlang.
5
„Da der Angeklagte seine Mittäterschaft an der zuvor zu Lasten des T. T. begangenen gemeinschaftlichen Körperverletzung zu verdecken beabsichtigte“ (UA 12), beschleunigte er gleichwohl das Fahrzeug, wobei er davon ausging, dass es den vier Personen gelingen würde, eine Kolli- sion dadurch zu vermeiden, dass sie zur Seite springen würden. Dass sie sich bei einem solchen Sprung möglicherweise infolge eines unglücklichen Aufkommens auf der Fahrbahn (nicht tödliche) Verletzungen zuziehen könnten, nahm er billigend in Kauf.
6
Der durch den Angeklagten geführte BMW erreichte nach etwa 16 m eine Geschwindigkeit von ca. 45 km/h. Auf der nun folgenden, noch etwa 25 m messenden Strecke bis zum Kollisionsort beschleunigte der Angeklagte das Fahrzeug zunächst noch weiter, nahm dann jedoch den Fuß vom Gaspedal. J. K. bewegte sich in Verkennung der Gefahrenlage entgegen der ursprünglichen Annahme des Angeklagten weiter nach links; er stand nun leicht schräg versetzt hinter T. Kl. . Nach einer Fahrtdauer von 3,001 s (gerechnet ab der Anfahrposition) realisierte der Angeklagte, dass es nunmehr keiner der vier Personen noch gelingen würde, rechtzeitig zur Seite zu springen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er keine Möglichkeit mehr, das Fahrzeug vor einer Kollision zum Stillstand zu bringen. Daher bremste er das Fahrzeug abrupt auf etwa 40 bis 45 km/h ab, lenkte es ruckartig ein Stück weit nach rechts und versuchte auf diese Weise, durch eine zwischen den Security-Mitarbeitern einerseits und den Technikern andererseits befindliche Lücke von maximal 1,50 m Breite hindurchzufahren, was aufgrund der deutlich größeren Abmessungen des BMW (2,10 m über Außenspiegel) vorhersehbar nicht gelingen konnte. L. und D. wurden vom linken Seitenteil des BMW, Kl. und K. – zeitlich unmittelbar aufeinanderfolgend – von der rechten Frontseite des BMW auf Höhe des rechten Scheinwerfers erfasst. Kl. gelang es, trotz der Kollision , das Gleichgewicht zu halten und aufrecht stehen zu bleiben; D. und L. wurden vom Fahrzeug zu Boden geschleudert. K. wurde auf die Motorhaube des Fahrzeugs aufgeladen, wobei er sich durch den hierdurch erzeug- ten Schwung nach rechts um seine Körperachse drehte, bis er sich „in Rücken- lage“ in der Luft befand. Sodann wurde er vom Fahrzeug weg durch die Luft in Richtung des rechten Fahrbahnrandes geworfen; er stürzte schließlich dort zu Boden, wobei er mit seinem Kopf nur knapp einen Metallpfosten am rechten Fahrbahnrand verfehlte. Der Angeklagte setzte seine Fahrt trotz Wahrnehmung der Kollision zunächst fort, hielt dann aber alsbald nach Durchfahren einer Unterführung an und flüchtete.
7
Alle vier Personen erlitten „durch die Kollision“ (UA 15, 16) Verletzungen unterschiedlichen Schweregrades. Die schwersten Verletzungen erlitt J. K. mit einer Ruptur sowohl des Innenbandes als auch des äußeren Kreuzbandes im linken Knie sowie eine Gelenksprengung der linken Schulter verbunden mit einer Ruptur von drei Bändern am Eckgelenk. Zudem erlitt er eine Prellung dreier Finger sowie eine Absplitterung in den entsprechenden Gelenken. In der Folge bildete sich ein dauerhafter Hochstand des linken Schlüsselbeins aus. Er ist in der Bewegungsfähigkeit der Arme und des linken Beins dauerhaft eingeschränkt.

II.


8
Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe tateinheitlich einen vorsätzlichen Eingriff in den Straßenverkehr zur Verdeckung einer Straftat gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b StGB begangen , hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand; der Bejahung der Qualifikation haftet ein durchgreifender Erörterungsmangel an.
9
Verdeckungsabsicht im Sinne des § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b StGB setzt voraus, dass die konkrete Handlung des Täters das Mittel zur Verdeckung der Tat ist. Es genügt nicht, dass der Täter einen zeitlichen Vorsprung erhalten will, um fliehen zu können (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 1984 – 2 StR 614/84, NStZ 1985, 166). Ein Täter, der sich in erster Linie der Festnahme ent- ziehen will, will „weder Tat noch Täterschaft“ zudecken (BGH,Beschluss vom 26. November 1990 – 5 StR 480/90, NJW 1991, 1189 mwN). Die Verdeckung einer Straftat scheidet insbesondere dann aus, wenn diese bereits vollständig aufgedeckt ist und der Täter dies weiß (BGH, Urteile vom 7. Juni 2017 – 2 StR 474/16, und vom 1. Februar 2005 – 1 StR 327/04, BGHSt 50, 11, 14, jew. mwN).
10
Vor dem Hintergrund dieser in der Rechtsprechung anerkannten und hier naheliegenden Fallgruppen lässt das Urteil eine nähere Erörterung der Umstände des Einzelfalls vermissen: Nach den bisher getroffenen Feststellungen war der Fahrer des Transporters, V. T. , von A. L. festgenommen und mit Handschellen fixiert worden. Das Opfer der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, T. T. , lief zu den Security-Mitarbeitern. Nicht nur, dass beide den Angeklagten kannten; sie hatten auch Kenntnis von seiner Beteiligung an der Tat, die bereits deshalb durch Flucht allein nicht mehr verdeckt werden konnte. Hinzu kommt, dass auch der später Geschädigte L. die Tat entdeckt hatte, der Angeklagte aber ausweislich der Feststellungen nicht die Absicht verfolgte, diesen auf seiner Fluchtfahrt zu töten. Das angefochtene Urteil erörtert nicht die naheliegende Frage, auf Grundlage welcher Vorstellungen der Angeklagte unter diesen Umständen geglaubt haben könnte, er könne durch Flucht eine günstige Beweisposition aufrechterhalten oder seine Lage sonst verbessern (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 2017, aaO). Soweit das Landgericht diesen Schluss darauf stützt, der Angeklagte habe vor dem ersten Fluchtversuch mit dem VW Transporter die Kennzeichen dieses Fahrzeugs abmontiert, übersieht es, dass die Festnahme des V. T. danach erfolgte. Weshalb der Angeklag- te auch nach diesem Zeitpunkt noch davon ausgegangen sein konnte, die genauen Tatumstände seien noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt, hätte der Erörterung in einer lückenlosen Gesamtschau in den Urteilsgründen bedurft.

III.


11
Wegen der tateinheitlichen Verurteilung ist damit auch der Schuldspruch wegen „vierfacher vorsätzlicher Körperverletzung“ aufzuheben (vgl. KK-StPO/ Gericke, 7. Aufl., § 353 Rn. 12). Das nunmehr zur Entscheidung berufene Schwurgericht wird den Sachverhalt auch unter dem Gesichtspunkt der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu prüfen haben; das Verschlechterungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO steht dem nicht entgegen (vgl. Franke in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 358 Rn. 18). Jedenfalls die Verletzungen von T. Kl. , der nicht zu Sturz kam, und J. K. sind nach den bisher getroffenen Feststellungen ersichtlich unmittelbar durch die Kollision mit dem vom Angeklagten gefahrenen BMW verursacht worden (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21. November 2017 – 4 StR 488/17).
12
Die Adhäsionsentscheidung wird von der Aufhebung nicht erfasst. Über die Aufhebung oder Änderung der Adhäsionsentscheidung hat der neue Tatrichter gemäß § 406a Abs. 3 StPO auf der Grundlage des Ergebnisses der neuen Hauptverhandlung zu befinden (BGH, Urteil vom 28. November 2007 – 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, 97; Beschluss vom 31. August 2016 – 4 StR 340/16, NStZ 2017, 282, 284).

IV.


13
Abweichend vom Antrag des Generalbundesanwalts verweist der Senat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurück. Er kann nicht sicher ausschließen, dass der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter – anders als im angefochtenen Urteil – Tötungsvorsatz annimmt, gegebenen- falls auch im Zeitpunkt des Wegfahrens vom Kollisionsort (Tötung durch Unterlassen

).


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Bender Feilcke

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Einer weiteren Prüfung nach § 62 bedarf es nicht.

(2) Ist die rechtswidrige Tat in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen

1.
der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c),
1a.
des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d),
2.
der Trunkenheit im Verkehr (§ 316),
3.
des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142), obwohl der Täter weiß oder wissen kann, daß bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist, oder
4.
des Vollrausches (§ 323a), der sich auf eine der Taten nach den Nummern 1 bis 3 bezieht,
so ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen.

(3) Die Fahrerlaubnis erlischt mit der Rechtskraft des Urteils. Ein von einer deutschen Behörde ausgestellter Führerschein wird im Urteil eingezogen.

(1) Entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, so bestimmt es zugleich, daß für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre). Die Sperre kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Hat der Täter keine Fahrerlaubnis, so wird nur die Sperre angeordnet.

(2) Das Gericht kann von der Sperre bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ausnehmen, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel dadurch nicht gefährdet wird.

(3) Das Mindestmaß der Sperre beträgt ein Jahr, wenn gegen den Täter in den letzten drei Jahren vor der Tat bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist.

(4) War dem Täter die Fahrerlaubnis wegen der Tat vorläufig entzogen (§ 111a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Sperre um die Zeit, in der die vorläufige Entziehung wirksam war. Es darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten.

(5) Die Sperre beginnt mit der Rechtskraft des Urteils. In die Frist wird die Zeit einer wegen der Tat angeordneten vorläufigen Entziehung eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Im Sinne der Absätze 4 und 5 steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.

(7) Ergibt sich Grund zu der Annahme, daß der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, so kann das Gericht die Sperre vorzeitig aufheben. Die Aufhebung ist frühestens zulässig, wenn die Sperre drei Monate, in den Fällen des Absatzes 3 ein Jahr gedauert hat; Absatz 5 Satz 2 und Absatz 6 gelten entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 474/16
vom
7. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2017:070617U2STR474.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Juni 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Eschelbach, Zeng, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt bei der Verkündung, als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin in der Verhandlung, als Verteidigerin,
Rechtsanwältin in der Verhandlung, als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 10. Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Nebenkläger, die mit der Sachrüge geltend machen, das Landgericht habe zu Unrecht eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes abgelehnt. Die Rechtsmittel sind begründet.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts trainierte der Angeklagte am 16. August 2015 in einem Fitnesscenter in M. . Anschließend trank er dort acht Flaschen Bier und ließ die Zeche anschreiben. Gegen 19.30 Uhr wollte er an einer Tankstelle einen Kasten Bier kaufen, hatte aber nur zehn Euro zur Verfügung. Der Versuch, an einem Bankautomaten Geld abzuheben, misslang mangels Guthabens. Daher kaufte der Angeklagte fünf Flaschen Bier und hatte danach noch 2,75 Euro Bargeld übrig. Gleichwohl wollte er später nachW. fahren, um sich dort Amphetamin zu beschaffen. Er versuchte Bekannte zu erreichen, um sich von ihnen die notwendigen Mittel zu verschaffen, was aber misslang. Um 21.55 Uhr bestellte er telefonisch ein Taxi, obwohl er wusste , dass er den Fahrpreis nicht zahlen konnte. Er steckte sich ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 15 cm in den Hosenbund, weil er den Taxifahrer damit bedrohen und berauben wollte. Mit der Beute hätte er den Drogenkauf finanzieren und durch den Überfall zugleich der Geltendmachung der Fahrpreisforderung durch den Taxifahrer entgehen können.
3
Gegen 22.20 Uhr fuhr Z. den Angeklagten mit seinem Taxi nach W. . Unterwegs verwarf der Angeklagte den Gedanken an einen Raubüberfall. Bei Fahrtende am Marktplatz in W. verlangte Z. die Zahlung des Fahrpreises in Höhe von 89,90 Euro. Der Angeklagte erklärte, dass er nicht bar zahlen könne und bot eine Zahlung mit Bank- oder Kreditkarte an. Da Z. dies ablehnte, täuschte der Angeklagte vor, in einer Filiale der Kreissparkasse Geld abheben zu wollen. Dabei wusste er, dass er am Bankautomaten kein Geld erlangen konnte. Er wollte den Aufenthalt in der Sparkassenfiliale benutzen, um über seine Situation nachzudenken. Dort verfiel er auf den Gedanken, den Taxifahrer zu einer Stundung zu veranlassen und nahm wieder auf dem Beifahrersitz Platz. Der Angeklagte erklärte ihm, dass er am Geldautomaten kein Geld habe abheben können, und schlug ihm vor, seinen Personalausweis zurückzulassen und den Fahrpreis am nächsten Tag zu bezahlen. Alsbald erschien der Taxifahrer O. am Marktplatz. Z. winkte ihn herbei. Der Angeklagte bat O. , den er kannte, darum, einen anderen Taxifahrer zu benachrichtigen, damit dieser für ihn bürge. Der weitere Taxifahrer war aber nicht erreichbar. O. empfahl darauf seinem Kollegen Z. , mit dem Angeklagten zur Polizei zu fahren, um dessen Personalien feststellen zu lassen; alternativ solle er mit dem Angeklagten zu einer Tankstelle fahren, wo dieser mit der Bankkarte Geld beschaffen solle. Dann entfernte sich O. , weil ein Fahrgast erschien. Z. fuhr los, hielt aber nach wenigen Metern wieder an, um die Situation erneut mit dem Angeklagten zu besprechen. Dieser wollte auf keinen Fall zur Polizei gebracht werden, weil er eine dortige Strafanzeige des Taxifahrers gegen ihn wegen Betrugs befürchtete. Unter dem Einfluss seiner Alkoholisierung geriet er in einen affektiven Erregungszustand. Er zog das Küchenmesser und stach auf Z. ein, wobei er dessen Tod billigend in Kauf nahm. Dieser wurde von dem Angriff überrascht. Bereits der erste Stich traf ihn in den Hals. Weitere Stiche konnte Z. zunächst abwehren, indem er den Arm des Angeklagten packte, der sich aber losriss und ihm weitere Verletzungen zufügte. Z. öffnete die Fahrertür und fiel mit dem Oberkörper rückwärts aus dem Taxi. Der Angeklagte stach auch danach weiter auf ihn ein. Er brachte ihm insgesamt zwanzig Stich- und Schnittverletzungen bei. Z. richtete sich noch einmal neben dem Taxi auf und rief um Hilfe. Der Angeklagte floh deshalb zu Fuß vom Tatort, wo Z. kurz darauf verblutete. Bereits der erste Stich in den Hals hatte ihn tödlich getroffen.
4
Bei der Begehung der Tat war das Hemmungsvermögen des Angeklagten aufgrund eines hochgradigen Affekts erheblich vermindert.
5
2. Das Landgericht hat die Tat als Totschlag gewertet und dazu ausgeführt , der Angeklagte habe Z. zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz getötet. Dies sei aber wegen seiner affektiven Erregung und Alkoholisierung nicht in dem Bewusstsein geschehen, dessen Arg- und Wehrlosigkeit zur Tatbegehung auszunutzen; deshalb sei das Mordmerkmal der Heimtücke nicht erfüllt. Dem Angeklagten sei es auch allein darum gegangen, die Fahrt zur Polizei zu verhindern. Daher sei die Tötung des Taxifahrers nicht aus Habgier erfolgt. Eine Tötung aufgrund der Absicht, eine andere Straftat zu verdecken, habe ebenfalls nicht vorgelegen, weil ihr objektiv kein Betrug vorausgegangen sei; denn der Angeklagte habe sich der Fahrpreisforderung nicht endgültig entziehen wollen. Zudem habe der Angeklagte, der schließlich von dem Zeugen O. erkannt worden sei, seine Identität nicht mehr durch die Tötung des Taxifahrers verdecken können. Ein Mord aus sonst niedrigen Beweggründen sei auszuschließen, weil sich der Angeklagte bei der Tötungshandlung nicht der Umstände bewusst gewesen sei, die seine Beweggründe als niedrig erscheinen lassen.

II.

6
Die Revisionen der Nebenkläger, die auf eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes gemäß § 211 Abs. 2 StGB abzielen, sind begründet.
7
1. Die Verneinung eines Mordes zur Verdeckung einer anderen Straftat begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
a) Das Landgericht hat mit nicht tragfähiger Begründung eine zu verdeckende Vortat des Betruges verneint.
9
Bereits bei dem Abschluss eines Beförderungsvertrags bei Fahrtantritt hat der Angeklagte den Tatbestand des Betruges erfüllt. Durch Herbeirufen des Taxis und Aufnahme als Fahrgast verpflichtete er sich konkludent dazu, anschließend den bei Fahrtende fälligen Fahrpreis zu zahlen (vgl. BGH, Urteil vom 30. August 1973 – 4 StR 410/73, BGHSt 25, 224, 226). Dabei wusste er, dass er die Forderung nicht sogleich erfüllen konnte, was er wegen des dann noch vorhandenen Raubentschlusses auch nicht vorhatte. Durch Verschweigen dieser Tatsachen lag bei Fahrantritt ein Eingehungsbetrug vor.
10
Die Tatsache, dass der Angeklagte zugleich den Vorsatz zur anschließenden Beraubung des Taxifahrers gefasst hatte, womit er - neben der Beschaffung von Geld für den Amphetaminerwerb - auch der Geltendmachung der Fahrpreisforderung durch den Taxifahrer bei Fahrtende entgehen wollte, ändert ebenfalls nichts an der vorherigen Vollendung eines Eingehungsbetruges. Dieser Vorsatz zu einer späteren Tat mit weitergehendem Ziel schließt den Vorsatz zur Täuschung des Taxifahrers über die fehlende Fähigkeit und Bereitschaft zur Fahrpreiszahlung bei Fahrantritt nicht aus, die Aufgabe dieses Raubvorsatzes während der Fahrt lässt den bei Eingehung des Beförderungsvertrags bereits umgesetzten Betrugsvorsatz nicht nachträglich entfallen.
11
b) Auch die Hilfserwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe den Taxifahrer nicht in der Absicht zur Verdeckung des Betruges getötet, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
12
Allerdings scheidet eine Tötung zur Verdeckung einer Straftat aus, wenn diese bereits vollständig aufgedeckt ist und der Täter dies weiß. Es kommt jedoch nicht darauf an, ob die vorangegangene Straftat oder seine Tatbeteiligung daran schon objektiv aufgedeckt waren oder ob objektiv von dem Opfer eine Aufdeckung zu befürchten war, solange der Täter nur meint, zur Verdeckung dieser Straftat den Zeugen töten zu müssen. Auch nach Bekanntwerden der Vortat kann der Täter eines Tötungsverbrechens deshalb noch in Verdeckungsabsicht handeln, wenn er zwar weiß, dass er verdächtigt wird, die genauen Tatumstände aber noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt sind. Glaubt er, mit der Tötung eine günstige Beweisposition aufrechterhalten oder seine Lage verbessern zu können, reicht dies für die Annahme von Verdeckungsabsicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 2005 – 1 StR 327/04, BGHSt 50, 11, 14; Urteil vom 17. Mai 2011 – 1 StR 50/11, BGHSt 56, 239, 244).
13
Diese Möglichkeit hat das Landgericht nicht lückenlos ausgeschlossen. Der Angeklagte wollte nicht zur Polizei gebracht werden, weil er mit einer dortigen Strafanzeige durch den Taxifahrer Z. wegen Betruges und dabei mit der Aufdeckung der Tat durch den unmittelbaren Tatzeugen rechnete. Dem Vorliegen von Verdeckungsabsicht steht es insoweit nicht unbedingt entgegen, dass seine Anwesenheit im Taxi sowie die aktuelle Zahlungsunfähigkeit auch dem Zeugen O. bekannt geworden war.
14
c) Entgegen der weiteren Annahme des Landgerichts steht auch die psychische Situation des Angeklagten zurzeit des Tatentschlusses zur Tötung des Taxifahrers nicht notwendig der Annahme von Verdeckungsabsicht entgegen. Das Mordmerkmal kann selbst bei einem in einer Augenblickssituation in affektiver Erregung gefassten Tötungsentschluss gegeben sein. Verdeckungsabsicht erfordert nämlich keine Überlegung des Täters im Sinne eines abwägenden Reflektierens über die eigenen Ziele. Es genügt, dass er die „Verdeckungslage“ gleichsam „aufeinen Blick erfasst“ (BGH, Urteil vom 3. Juli 2007 – 1 StR 3/07 Rn. 39, insoweit in BGHSt 51, 367 nicht abgedruckt). Dies hat das Landgericht nicht in einer lückenlosen Gesamtschau aller Umstände erörtert.
15
Der Angeklagte hatte die sich bis zur Tötung des Taxifahrers immer weiter zuspitzende Situation, dass er mit einer bei sofortiger Fälligkeit unerfüllbaren Fahrpreisforderung konfrontiert werden würde, bereits vor dem Entschluss zur Tötung des Taxifahrers vorhergesehen. Es ändert nichts an diesem Befund, dass er den Tatentschluss zur Beraubung des Taxifahrers während der Fahrt aufgegeben hatte. Bei einer Gesamtwürdigung der Umstände wären auch die Phasen des Nachdenkens des Angeklagten über seine Situation in den Blick zu nehmen gewesen. Dies hat das Landgericht versäumt.
16
Hinsichtlich der Auswirkung einer affektiven Erregung auf das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht ist auch zu berücksichtigen, dass eine affektive Erregung bei den meisten Tötungsdelikten den Normalfall darstellt und für Verdeckungstötungen typisch ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein solcher Erregungszustand auch aus normativen Gründen im Regelfall keinen Einfluss auf die Verdeckungsabsicht (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 319/98, NJW 1999, 1039, 1041). Dies hat das Landgericht nicht bedacht.
17
d) Dem Vorliegen von Verdeckungsabsicht könnte allerdings die Feststellung des Landgerichts entgegenstehen, dass der Angeklagte „zumindest“ mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat. In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass auch der mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter in Verdeckungsabsicht handeln kann (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1995 – 1 StR 475/95, BGHSt 41, 358, 359 ff.). Dies ist jedoch nur der Fall, wenn nicht gerade der Tod des Opfers zu dessen Ausschaltung als Zeuge wegen der zu verdeckenden Vortat das Ziel der Handlung ist, sondern die Verdeckungshandlung mit einem anderen Ziel vorgenommen wird, wobei der Täter die Möglichkeit des Todes des Opfers in Betracht zieht und billigend in Kauf nimmt (vgl. Senat, Beschluss vom 4. August 2010 – 2 StR 239/10, NStZ 2011, 34). Besteht die Möglichkeit einer Verdeckung von Tat oder Täterschaft aus der Sicht des Täters allein in der Beseitigung dieses Zeugen, kann Verdeckungsabsicht nur bei absichtlicher Tötung des Opfers angenommen werden.
18
Das Landgericht hat aber lediglich bedingten Tötungsvorsatz von fahrlässigem Handeln abgegrenzt. Es hat nicht erklärt, warum es nicht von Tötungsabsicht ausgegangen ist. Diese kommt in Betracht, weil der Angeklagte den Taxifahrer mit einem für diesen überraschenden ersten Stich in den Hals getroffen hat, der schon für sich genommen tödlich wirkte. Auch die Zahl der weiteren Tathandlungen und deren Fortsetzung trotz der anschließenden Abwehrreaktion des Opfers und dessen Hinausfallen aus der geöffneten Fahrertür spricht für direkten Tötungsvorsatz. Die Alkoholisierung und affektive Erregung des Angeklagten könnten dagegen sprechen. Jedoch hat das Landgericht die Gesamtumstände nicht abgewogen.
19
2. Auch die Ablehnung eines heimtückisch begangenen Mordes gemäß § 211 Abs. 2 StGB ist rechtlich zu beanstanden.
20
Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die objektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals gegeben sind. Seine Überlegungen dazu, dass dem Angeklagten die Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zur Begehung der Tötung nicht bewusst gewesen sei, erweisen sich als lückenhaft.
21
Für das im Rahmen des Mordmerkmals der Heimtücke erforderliche Bewusstsein der Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers genügt es, wenn der Täter diese Umstände in dem Sinn erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Das gilt im Einzelfall selbst dann, wenn der Täter die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Anders kann es zwar bei affektiven Durchbrüchen liegen. Für die Annahme der subjektiven Seite des Heimtückemords kommt es aber nicht auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB an, sondern darauf, welche tatsächlichen Auswirkungen die affektive Erregung auf die Erkenntnisfähigkeit des Angeklagten in der Tatsituation und auf sein Bewusstsein hatte (vgl. Senat, Urteil vom 30. April 2003 – 2 StR 503/02, NStZ 2003, 535 f.). Das bedarf einer genauen Prüfung anhand aller Umstände des Einzelfalls.
22
Auch insoweit bleiben die Erörterungen des Landgerichts im Urteil lückenhaft. Es hat in seine Prüfung nicht erkennbar einbezogen, dass der Angeklagte das Messer zunächst mitgeführt hatte, um den Taxifahrer überraschend zu berauben. Wenngleich der Angeklagte den Gedanken an einen Raub zurzeit der Tötungshandlungen aufgegeben hatte, war doch seine Überlegung , den Geschädigten mit dem Einsatz des Messers zu überraschen, bereits vor seinem Tatentschluss zur Tötung des Taxifahrers vorhanden gewesen. Dies hätte als Indiz für ein Ausnutzungsbewusstsein im Sinne des Mordmerkmals berücksichtigt werden müssen. Auch wäre zu beachten gewesen, dass die zurzeit der Tötungshandlung vorliegende Konfrontation mit der aktuell unerfüll- baren Fahrpreisforderung sich bis zum Tatentschluss zur Tötung des Taxifahrers zugespitzt hatte und von Anfang an vorhersehbar war.
23
3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Sollte der neue Tatrichter wieder eine Tötung in Verdeckungsabsicht verneinen, wird er die Handlungsantriebe des Angeklagten genauer als bisher auch unter dem Blickwinkel sonst niedriger Beweggründe zu prüfen haben.
Krehl Eschelbach Zeng Richterin am BGH Dr. Bartel ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Krehl Grube

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 488/17
vom
21. November 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 21. November 2017 einstimmig beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Gießen vom 6. Juni 2017 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung
des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der
Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen
zu tragen.
ECLI:DE:BGH:2017:211117B4STR488.17.0

Ergänzend bemerkt der Senat:
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 26. Oktober 2017 begegnet die tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung auch insoweit keinen rechtlichen Bedenken, als das Landgericht diese auch auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gestützt hat. Zwar erfordert eine Verurteilung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Körperverletzung durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eingetreten ist. Wird ein Kraftfahrzeug als Werkzeug eingesetzt, muss die körperliche Misshandlung also bereits durch den Anstoß selbst ausgelöst worden sein. Erst infolge eines anschließenden Sturzes oder einer Ausweichbewegung erlittene Verletzungen sind dagegen nicht auf den unmittelbaren Kontakt zwischen Fahrzeug und Körper zurückzuführen (Senatsbeschlüsse vom 14. Januar 2014 – 4 StR 453/13, VD 2014, 137; vom 25. April 2012 – 4 StR 30/12, NStZ 2012, 697, 698; vom 12. Februar 2015 – 4 StR 551/14; vom 16. Juli 2015 – 4 StR 117/15, NStZ 2016, 407, 408; vom 3. Februar 2016 – 4 StR 594/15, NStZ 2016, 724). So liegt es hier aber nicht: Die Verletzungen der Nebenklägerin wurden durch die „Einengung der Fahrgastzelle“ in dem von ihr gelenkten und mit etwa 72 km/h dem Angeklagten entgegenkommenden Pkw verursacht. Dies beruhte unmittelbar auf der vom Angeklagten vorsätzlich herbeigeführten Kollision mit seinem mit etwa 99 km/h entgegenkommenden Kraftfahrzeug.
Sost-Scheible Cierniak Franke Bender Quentin

(1) Gegen den Beschluss, mit dem nach § 406 Abs. 5 Satz 2 von einer Entscheidung über den Antrag abgesehen wird, ist sofortige Beschwerde zulässig, wenn der Antrag vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt worden und solange keine den Rechtszug abschließende Entscheidung ergangen ist. Im Übrigen steht dem Antragsteller ein Rechtsmittel nicht zu.

(2) Soweit das Gericht dem Antrag stattgibt, kann der Angeklagte die Entscheidung auch ohne den strafrechtlichen Teil des Urteils mit dem sonst zulässigen Rechtsmittel anfechten. In diesem Falle kann über das Rechtsmittel durch Beschluss in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden. Ist das zulässige Rechtsmittel die Berufung, findet auf Antrag des Angeklagten oder des Antragstellers eine mündliche Anhörung der Beteiligten statt.

(3) Die dem Antrag stattgebende Entscheidung ist aufzuheben, wenn der Angeklagte unter Aufhebung der Verurteilung wegen der Straftat, auf welche die Entscheidung über den Antrag gestützt worden ist, weder schuldig gesprochen noch gegen ihn eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet wird. Dies gilt auch, wenn das Urteil insoweit nicht angefochten ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 340/16
vom
31. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung einer Schutzbefohlenen u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:310816B4STR340.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 31. August 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 15. März 2016 – mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag – mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen „durch Unterlassen“ in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung „durch Unterlassen“ mit der Maßgabe zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, dass wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung zwei Monate als vollstreckt gelten. Ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung zugunsten der Nebenklägerin getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Nach Trennung vom Vater ihrer Tochter, der am 2. Mai 1993 geborenen Nebenklägerin, folgte die Angeklagte unter Mitnahme der Nebenklägerin ihrem neuen Lebensgefährten 2004 in dessen Heimatdorf in B. , wo sie diesen im Juni 2006 heiratete. Während die Nebenklägerin in den darauffolgenden Jahren in der Großfamilie ihres Stiefvaters aufwuchs, die in ihrem Heimatdorf über drei Wohnhäuser verfügte, arbeitete die Angeklagte etwa drei bis vier Monate pro Jahr im Hotel- und Gastgewerbe in Ö. . Die Nebenklägerin lebte im Haus ihres Stiefvaters in beengten Verhältnissen und musste in der Küche auf einer Matratze nächtigen. Wie schon zuvor in Deutschland sorgte die Angeklagte nicht für den Schulbesuch ihrer Tochter. Mit Beginn ihres 13. Lebensjahres im Mai 2006 wurde die Nebenklägerin von der Familie ihres Stiefvaters regelmäßig zu schweren Arbeiten herangezogen, die sie von 6.00 Uhr morgens bis in die späten Abendstunden verrichten musste. Sie hatte u.a. im Wald Bäume zu fällen, Feldarbeiten zu verrichten, die Tiere auf dem Anwesen zu versorgen und im Haushalt zu arbeiten. Schon ab Sommer desselben Jahres setzte bei ihr eine schleichende, aber für Dritte erkennbare Unterernährung ein, da sie lediglich einmal pro Tag eine aus Essensresten der Familie vom Vortag bestehende Mahlzeit erhielt. Infolge andauernden Hungers verwendete sie Teile des an die Hunde und Schweine ausgegebenen Futters für sich und entwendete ferner Nahrungsmittel in der Nachbarschaft. Regelmäßige Körperpflege wurde ihr ebenso verwehrt wie altersangemessene Kleidung und ärztliche Versorgung. Ab 2009 musste die Nebenklägerin unabhängig von der Jahreszeit ohne Decke auf dem Fußboden des Wohnzimmers schlafen. Da sie infolge der Lebensumstände in der Nacht regelmäßig einnässte, hatte die Familie ihr den Schlafplatz auf der Matratze weggenommen.
4
Zwischen ihrer Ankunft in B. im Sommer 2006 und der Herausnahme aus der Familie ihres Stiefvaters am 17. Mai 2012 wurde die Nebenklägerin regelmäßig mehrmals wöchentlich von Familienmitgliedern geschlagen oder getreten, nicht selten unter Einsatz von Gegenständen wie einem Besenstiel , einer Eisenstange, einem Kabel oder einem Gürtel.
5
Für den Zeitraum von Mai 2006 bis zum 18. Geburtstag der Nebenklägerin hat das Landgericht insbesondere folgende Fälle festgestellt:
6
An einem nicht mehr feststellbaren Tag schlug die Tochter des M. M. , Mo. , mit einer Kartoffelhacke auf die linke Hand der Nebenklägerin , weil sie mit deren Arbeit auf dem Feld nicht zufrieden war. Die Nebenklägerin erlitt starke Schmerzen und an der linken Hand blieb eine Narbe zurück.
7
Zu einem anderen Zeitpunkt schlug Mo. M. mit einem Besen auf den Kopf der Nebenklägerin, da diese ihrer Meinung nach nicht intensiv genug im Haushalt geholfen hatte. Die Angeklagte stand daneben, sagte nichts und ließ die „Bestrafungsaktion“ billigend zu.
8
M. M. hetzte an einem anderen Tag im Jahr 2010 seine Hunde auf die Nebenklägerin, wobei diese von einem Hund in die rechte Hand gebissen wurde. Trotz erheblicher Schmerzen wurde die Wunde nicht versorgt und es blieb eine Narbe an der rechten Hand zurück. Die Angeklagte war an diesem Tag nicht in B. , erfuhr jedoch später von ihrer Tochter, was geschehen war. Dennoch unternahm sie nichts.
9
An einem weiteren Tag schlug M. M. so stark auf die rechte Hand der Nebenklägerin, dass zwei Finger brachen. Auch diese Verletzung mit einhergehenden starken Schmerzen blieb unversorgt, sodass die Knochen nicht richtig zusammenwuchsen und eine starke Krümmung der beiden Mittelfinger zurückblieb.
10
Bei einer anderen Gelegenheit wurde die Nebenklägerin von M. M. mit einem Stock und einem Gürtel geschlagen, da dieser – zu Unrecht – vermutete, sie habe seine Zigaretten gestohlen. Die Angeklagte stand während des Geschehens schweigend daneben und schritt nicht ein.
11
Auch andere Mitglieder der Großfamilie des M. M. misshandelten die Nebenklägerin: Einer seiner Brüder schlug ihren Kopf gegen eine Wand, sodass die Nebenklägerin eine Narbe am Kopf davon trug. Ein Neffe des M. M. hielt der Nebenklägerin ein heißes Messer an die linke Wange. Mal schlugen und traten die M. s die Nebenklägerin grundlos, mal zur Bestrafung, wenn diese die ihr aufgetragenen Arbeiten nicht entsprechend den Vorstellungen der Familie erfüllte.
12
Mit Ausnahme der Monate, in denen sich die Angeklagte zur Arbeit in Ö. aufhielt, lebte sie im Haushalt der Familie ihres neuen Ehemannes in B. , sah wort- und tatenlos zu, wie die Nebenklägerin schwere körperliche Arbeit zu verrichten hatte und von den verschiedenen Mitgliedern der Familie misshandelt wurde. Hilfe leistete sie ihrer Tochter nicht, sondern ermunterte die Familie mit den Worten „wenn sie nicht spurt oder ich nicht da bin, haut ihr eine in die Fresse!“ zur körperlichen Züchtigung.
13
Neben zahlreichen, deutlich sichtbaren Narben an ihrem Körper und den fehlerhaft zusammengewachsenen Mittelfingern der rechten Hand, leidet die Nebenklägerin unter einer abhängigen Persönlichkeitsstörung und einer leichten geistigen Behinderung mit einer unvollständigen Entwicklung ihrer geistigen Fähigkeiten.
14
2. Das Landgericht hat angenommen, die Angeklagte habe den Tatbestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen sowohl in der Tatvariante des Quälens als auch in der der rohen Misshandlung erfüllt. Die Garantenstellung der Angeklagten ergebe sich dabei aus ihrer Stellung als leiblicher Mutter der Nebenklägerin. Ferner habe sie die Voraussetzungen der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB erfüllt, denn das jahrelange Nichtstun und Zuschauen bzw. Wegschauen der Angeklagten bei der Vielzahl der Misshandlungen habe zu der durch die Kammer festgestellten erheblichen Schädigung der körperlichen und seelischen Entwicklung der Nebenklägerin geführt. Zwar leide die Nebenklägerin bereits seit ihrer frühen Kindheit auf Grund problematischer Lebensumstände an einer Persönlichkeitsstörung. Die in B. erlittenen körperlichen und emotionalen Misshandlungen hätten diese Störung aber weiter stabilisiert. Die Angeklagte habe dies erkannt und billigend in Kauf genommen, sei aber aus Angst vor dem Verlust ihres Ehemannes und dem Ausschluss aus dessen Familie nicht eingeschritten. Ferner habe die Angeklagte den Tatbestand der schweren Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt.

II.


15
Die Verurteilung der Angeklagten begegnet in zweifacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
1. Das Landgericht hat zum einen die Voraussetzungen des Qualifikationstatbestandes des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB nicht hinreichend belegt.
17
a) Dieser Verbrechenstatbestand setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch eine Tathandlung im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt. Entscheidend ist danach, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbestandlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen. Dabei erfordert die in Nummer 2 genannte erhebliche Entwicklungsschädigung in Anlehnung an § 171 StGB (§ 170d StGB aF), dass der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört ist (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369, 370; BGH, Urteil vom 20. April 1982 – 1 StR 50/82, NStZ 1982, 328 f. zu § 170d StGB aF). Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 aaO). Der Tatbestand kann auch dann verwirklicht werden, wenn in der Person des Schutzbefohlenen bereits vor der Tat Schäden oder die Gefahr von Schäden im Sinne der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 StGB bestanden haben. Zur Hervorrufung der für den qualifizierten Fall vorausgesetzten Gefahren ist es dann aber erforderlich , dass die Tat die Gefahr verursacht, die bereits vorhandenen oder zu befürchtenden Schäden in erheblichem Maße zu vergrößern bzw. die wegen einer bereits gegebenen individuellen Schadensdisposition bestehenden Gefahren messbar zu steigern (BGH aaO mwN). In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles zumindest bedingter Vorsatz erforderlich (BGH aaO).
18
b) Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen ist im angefochtenen Urteil nicht hinreichend dargetan.
19
aa) Das Landgericht hat – ausgehend von der Stellungnahme des psychiatrischen Sachverständigen – zum Beleg dafür, dass bei der Nebenklägerin tatbestandsmäßige Folgen im Sinne des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB eingetreten sind, ohne nähere Differenzierung deren gesamte Entwicklung vom frühkindlichen Stadium über das frühe Kindesalter, die Präpubertät bis hin zu ihrer pubertären Entwicklung in den Blick genommen. Es hat angenommen, die Nebenklägerin habe bereits seit ihrer frühen Kindheit wegen emotionaler Vernachlässigung durch die Mutter unter einer Persönlichkeitsstörung gelitten. Die im Tatzeitraum von Mai 2006 bis zum 17. Mai 2012 von der Angeklagten geduldeten Misshandlungen der Nebenklägerin hätten nicht zu einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt, sondern „die bereits in der Kindheit verursachte Persönlichkeitsstörung weiter stabilisiert“. Zu der Persönlichkeitsstörung wäre es nicht gekommen, wenn die Nebenklägerin bereits in der frühen Kindheit hinreichend gefördert, betreut und versorgt worden wäre.
20
bb) Ob die geduldeten Misshandlungen im Tatzeitraum im Sinne des Qualifikationstatbestandes des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB die Gefahr verursacht haben, die bei der Nebenklägerin bereits vorhandene Störung noch in erheblichem Maße zu vergrößern bzw. – als eine bereits vorhandene individuelle Schadensdisposition – messbar zu steigern, erschließt sich daraus nicht. Die weitere Feststellung der Strafkammer, die Vernachlässigung der Nebenklägerin bereits seit dem frühen Kindesalter habe zusammen mit den körperlichen und emotionalen Misshandlungen während des Aufenthalts in B. die „Ausprä- gung“ der psychischen Störungen „verursacht“, vermag die Voraussetzungen des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB ebenfalls nicht ausreichend zu belegen. Die Urteilsgründe ergeben schon nicht, welche nähere Bedeutung das Landgericht dem Begriff der „Ausprägung“ einer psychischen Störung in diesem Zusammenhang zumisst.
21
2. Auch die tateinheitliche Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
22
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt aus dem Wortzusammenhang („geistige Erkrankung oder Behinderung“) und der Rege- lung körperlicher Behinderungen in anderen Merkmalen des Folgenkatalogs, dass unter § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB nur eine geistige Behinderung fällt (BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2008 – 3 StR 453/08, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Behinderung 1). Als solche ist eine nicht nur unerhebliche und nicht nur vorübergehende Störung der Gehirntätigkeit anzusehen, die nicht bereits als geistige Krankheit zu qualifizieren ist (BGH aaO; vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 226 Rn. 7; SSW-StGB/Momsen/Momsen-Pflanz, 3. Aufl., § 226 Rn. 22).
23
b) Die danach erforderliche, nicht nur vorübergehende Störung der Gehirntätigkeit im Sinne einer organischen Beeinträchtigung ergeben die Urteilsgründe nicht. Die Strafkammer geht vielmehr von einer unvollständigen Ent- wicklung der (allgemeinen) geistigen Fähigkeiten der Nebenklägerin als Folge ihres Aufenthaltes in B. aus, die sich in verlangsamten und umständlichen Denken äußere, einhergehend mit einer mittlerweile eingetretenen „Entleerung ihrer Persönlichkeit“ als Folge einer abhängigen Persönlichkeitsstörung.
24
3. Im Hinblick auf die rechtsfehlerfreie Annahme von Tateinheit zwischen Misshandlung von Schutzbefohlenen und schwerer Körperverletzung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB bedarf die Sache insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Adhäsionsentscheidung wird von der Aufhebung nicht erfasst. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat sich daran, dass die nicht angefochtene Entscheidung über den Adhäsionsantrag von der Aufhebung des Urteils im Übrigen unberührt bleibt, durch die mit dem Opferrechtsreformgesetz vom 24. Juni 2004 erfolgte, lediglich redaktionelle Änderung des § 406a Abs. 3 StPO nichts geändert (BGH, Urteil vom 28. November 2007 – 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, Rn. 28; SSW-StPO/Schöch, 2. Aufl., § 406a Rn. 7). Über die Aufhebung oder Änderung der Adhäsionsentscheidung hat der neue Tatrichter auf der Grundlage des Ergebnisses der neuen Hauptverhandlung zu entscheiden (BGH aaO).
25
4. Der Senat bemerkt ferner ergänzend Folgendes:
26
a) Zur Auslegung der Begehungsformen des Quälens und des rohen Misshandelns und zum Verhältnis der beiden Varianten zueinander verweist der Senat auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2016 – 4 StR 511/15, NStZ 2016, 472; BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369, 370 f.). Gemessen daran hat das Landgericht im Ansatz zutreffend angenommen, dass das Tatbestandsmerkmal des Quälens im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB – im Unterschied zur Variante der rohen Misshandlung – typischerweise durch die Vornahme mehrerer Körperverletzungshandlungen verwirklicht wird, die für sich genommen den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB noch nicht erfüllen, sofern erst die ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht (Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2016 aaO, vom 24. Februar 2015 – 4StR 11/15, BGHR StGB § 225 Abs. 1 Misshandlung 1 und vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467; vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, BGHR StGB § 225 Misshandlung 2). Allerdings muss der Tatrichter dazu auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen in einer Gesamtbetrachtung prüfen, ob sich die einzelnen Körperverletzungshandlungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen. Regelmäßig wird es dabei erforderlich sein, dass sich die einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen darstellen, wobei räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung als mögliche Indikatoren herangezogen werden können (Senatsbeschluss vom 24. Februar 2015 aaO). Angesichts der im angefochtenen Urteil nur grob erfolgten zeitlichen Einordnung der einzelnen Vorfälle – in einem Tatzeitraum von fast sechs Jahren – wird der neue Tatrichter, sollte er erneut vom Tatbestandsmerkmal des Quälens ausgehen, dem Erfordernis der Gesamtbetrachtung besondere Aufmerksamkeit schenken müssen.
27
b) Wie die Strafkammer ebenfalls zutreffend angenommen hat, kann der Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB in den Tatvarianten des Quälens und des rohen Misshandelns auch durch Unterlassen verwirklicht werden. Im Hinblick auf den in einem solchen Fall an die Handlungspflicht und die Möglichkeit der Erfolgsabwendung anzulegenden rechtlichen Maßstab verweist der Senat – insbesondere vor dem Hintergrund der Feststellungen zu dem Tatgeschehen, dass sich in Abwesenheit der Angeklagten ereignet hat (Hetzen der Hunde auf die Nebenklägerin) – auf seinen Beschluss vom 17. Januar 1991 (4 StR 560/90, NStZ 1991, 234) sowie auf die Urteile des 1. und des 3. Strafsenats (BGH, Urteile vom 4. August 2015 – 1 StR 624/14, NJW 2015, 3047 m. Anm. Engländer, und vom 23. Juli 2015 – 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin