Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juli 2015 - 3 StR 66/15

bei uns veröffentlicht am07.07.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 6 6 / 1 5
vom
7. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 7. Juli 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kleve vom 3. November 2014 wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Einfuhr von Betäubungsmittel in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, sichergestellte 8.934 Gramm Kokain eingezogen und den Verfall von Kurierlohn in Höhe von 1.270 € angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision der Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
2
Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge, an der Entscheidung hätten Richter und Schöffen mitgewirkt, nachdem insgesamt acht gegen sie gerichtete Ablehnungsgesuche mit Unrecht verworfen worden seien (§ 338 Nr. 3 StPO). Im Zentrum steht nach den Ausführungen der Revision dabei die Rüge einer fehlerhaften Verwerfung der zeitlich letzten Ablehnung (Nr. 8), jedoch werden auch die Entscheidungen über die anderen Ablehnungsgesuche zur Überprüfung gestellt.

3
1. Der Rüge liegt folgender, von der Revision auf 141 Seiten dargelegter Sachverhalt zugrunde:
4
Die Beschwerdeführerin war am 25. Oktober 2013 bei der Einreise aus den Niederlanden mit nahezu neun Kilogramm Kokain (über 7,1 kg Cocainhydrochlorid ) festgenommen worden. Am Folgetag war ihr nach Verkündung des Haftbefehls von der Ermittlungsrichterin beim Amtsgericht Kleve Rechtsanwalt S. aus Kleve als Verteidiger beigeordnet worden. Zugrunde gelegen hatte dem der Wille der Beschwerdeführerin, sofort einen Verteidiger zur Seite gestellt zu bekommen, wobei sie aber keinen Wunsch bezüglich eines bestimmten Verteidigers geäußert hatte. Elf Tage später hatte sich Rechtsanwalt H. aus Bremen als Verteidiger gemeldet und alsbald den Antrag auf Beiordnung gestellt. Dies hatte die Haftrichterin zuerst unter Hinweis auf das bestehende Mandat von Rechtsanwalt S. abgelehnt. Nach zwischenzeitlicher Anklageerhebung hatte sodann der Vorsitzende der Strafkammer am 28. Februar 2014 dem erneut gestellten Antrag entsprochen, nachdem zuvor Rechtsanwalt S. erklärt hatte, die Angeklagte sperre sich gegen jeden Versuch, den Tatvorwurf mit ihm zu besprechen.
5
In urlaubsbedingter Abwesenheit des Vorsitzenden war sodann am 20. Mai 2014 angesichts der Gesundheitsprobleme der Angeklagten - diese hatten bereits zum Abbruch einer ersten, am 12. März 2014 begonnenen Hauptverhandlung geführt - zur Sicherung des Verfahrensablaufs eine Rechtsanwältin aus Kleve als weitere Verteidigerin bestellt worden. Die Angeklagte war dazu nicht gehört worden. Auf ihre Beschwerde hatte der Vorsitzende nach Rückkehr aus dem Urlaub am 30. Mai 2014 die Beiordnung aufgehoben, die des inzwischen von der Angeklagten mandatierten Rechtsanwalts B. aus Köln indes abgelehnt. Dies sowie die Terminierung der Sache auf nur einen Hauptverhandlungstag war Anlass für ein am 3. Juni 2014 zu Beginn der neuerlichen Hauptverhandlung gestelltes Befangenheitsgesuch (Nr. 1). Die zweite Hauptverhandlung musste aufgrund eines Zusammenbruchs der Angeklagten am 1. Juli 2014 abgebrochen werden.
6
Der erneute (dritte) Beginn der Hauptverhandlung wurde auf den 6. Oktober 2014 festgelegt. In der Nacht davor ging per Fax ein Ablehnungsgesuch (Nr. 2) ein, das darauf gestützt war, der Vorsitzende habe nicht zügig und sachgerecht über einen Antrag der Verteidigung auf Berichtigung des Protokolls der Hauptverhandlung vom 3. Juni 2014 entschieden. In der Nacht zum 11. Oktober 2014 übersandte Rechtsanwalt H. ein weiteres Ablehnungsgesuch (Nr. 3) gegen den Vorsitzenden. Anlass waren die Verhandlungsleitung und eine angebliche Bemerkung des Vorsitzenden am ersten Verhandlungstag. Die hierzu abgegebene dienstliche Erklärung des Vorsitzenden war sodann Anlass für eine weitere, am 13. Oktober 2014, dem zweiten Verhandlungstag, erklärte Ablehnung (Nr. 4). Ein weiterer Ablehnungsantrag (Nr. 5) ging in den Morgenstunden des 27. Oktober 2014 - dem vierten Verhandlungstag - ein und war darauf gestützt, dass der Vorsitzende trotz eines am Tag zuvor von Rechtsanwalt B. gestellten Antrags auf Aufhebung des Hauptverhandlungstermins , Unterbrechung der Hauptverhandlung für zwei Wochen, augenärztliche Untersuchung der Angeklagten und Zurverfügungstellung eines Computerarbeitsplatzes in der Untersuchungshaft den Termin hatte bestehen lassen.
7
Während über die Anträge Nr. 1 bis 4 jeweils gemäß § 27 Abs. 1 StPO entschieden worden war, lehnte die Kammer den Antrag Nr. 5 gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO wegen der Absicht der Prozessverschleppung ab. Gleicher- maßen verfuhr sie mit den gegen alle mitwirkenden Richter gerichteten Anträgen Nr. 6 und 7, die im Anschluss daran in der Hauptverhandlung vom 27. Oktober 2014 gestellt wurden und gestützt waren auf die Ablehnung der Unterbrechung der Hauptverhandlung zum Zweck der augenärztlichen Untersuchung der Angeklagten einerseits sowie auf Unterbrechung der Hauptverhandlung andererseits, um mit der Angeklagten eine Einlassung zur Sache vorbereiten zu können. In letzterem Zusammenhang warfen beide Verteidiger den Richtern vor, sie würden den zeitlichen Aufwand verkennen respektive ignorieren , den sie als nicht ortsansässige Verteidiger für Besuche bei der Mandantin betreiben müssten. Daneben erklärte Rechtsanwalt H. , dass er sich wegen Erschöpfung aufgrund der langen Bahnfahrt und der Terminsvorbereitung nicht mehr in der Lage sehe, der Hauptverhandlung weiter zu folgen. Daraufhin teilte der Vorsitzende mit, dass unter Umständen ein dritter, ortsnaher Verteidiger beigeordnet werden könnte, und gab der Angeklagten Gelegenheit, bis zum 29. Oktober 2014 nachmittags einen ortsansässigen Verteidiger ihrer Wahl zu benennen.
8
Am Mittwoch, dem 29. Oktober 2014 ordnete der Vorsitzende Rechtsanwalt S. aus Kleve (erneut) als Verteidiger bei. Die Bestellung von Rechtsanwalt Sp. aus Duisburg - dieser hatte sich als weiterer Wahlverteidiger gemeldet - lehnte er hingegen ab: Die Beiordnung eines weiteren, nicht ortsansässigen Verteidigers verspreche keine zusätzliche Verfahrenssicherung. Rechtsanwalt S. sei hingegen in die Sache schon eingearbeitet. Diese Entscheidung war Gegenstand des letzten Ablehnungsgesuchs (Nr. 8) gegen den Vorsitzenden, das die beiden Verteidiger für die Angeklagte am Montag, den 3. November 2014, dem fünften (und letzten) Hauptverhandlungstag , stellten und in dem sie im Wesentlichen darauf abhoben, dass die Beiordnung von Rechtsanwalt S. schon einmal wegen fehlenden Vertrauensver- hältnisses zur Mandantin hatte aufgehoben werden müssen. Auch dieses Gesuch verwarf die Strafkammer unter Mitwirkung des abgelehnten Richters wegen der mit ihm verbundenen Absicht der Prozessverschleppung (§ 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO), nahm Bezug auf die wegen der beiden zuletzt erhobenen Ablehnungsgesuche ergangenen Beschlüsse und führte ergänzend aus, es ginge "letztlich um unterschiedliche Rechtsansichten zur Bestellung eines dritten Pflichtverteidigers"; zudem sei offensichtlich, dass die Sachlage (erkennbar gemeint: die Abwägung zwischen dem Interesse der Angeklagten an einem weiteren Pflichtverteidiger ihres Vertrauens und dem der Öffentlichkeit an der Durchführung des Strafverfahrens) nach einem Jahr Untersuchungshaft im dritten Verhandlungsanlauf anders sei als bei der ersten Entpflichtung von Rechtsanwalt S. .
9
2. Die Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg.
10
a) Das letzte Ablehnungsgesuch hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen.
11
aa) Allerdings hat der Senat Bedenken gegen die Behandlung des Gesuchs als prozessverschleppend (§ 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO).
12
Die Vorschrift des § 26a StPO gestattet nur ausnahmsweise, dass ein abgelehnter Richter selbst über einen gegen ihn gestellten Befangenheitsantrag entscheidet. Voraussetzung für diese Ausnahme von dem in § 27 StPO erfassten Regelfall der Entscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters ist, dass keine Entscheidung in der Sache getroffen wird, vielmehr die Beteiligung des abgelehnten Richters auf eine echte Formalentscheidung oder die Verhinderung des Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt bleibt. Die Anwendung des § 26a StPO darf nicht dazu führen, dass der abgelehnte Richter sein eigenes Verhalten beurteilt und damit "Richter in eigener Sache" wird. Dies gilt auch für die Anwendung des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2009 - 1 StR 289/09, BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 19 mwN). Hier zeigt schon der Hinweis auf die der Beiordnungsentscheidung zugrunde liegenden Erwägungen, dass damit der abgelehnte Vorsitzende sein eigenes Verhalten beurteilt hat. Auch die Begründung, es gehe nur um unterschiedliche Rechtsansichten betreffend die Verteidigerbestellung, macht deutlich , dass der abgelehnte Richter mehr getan hat, als lediglich das eigene Verhalten im Verlauf des Prozesses zu schildern.
13
bb) Dies führt gleichwohl nicht dazu, dass das Gesuch vom Landgericht zu Unrecht verworfen worden ist.
14
Zwar kann es nicht darauf ankommen, dass vorliegend kein Anlass bestand , die Voreingenommenheit des Vorsitzenden zu besorgen, da wegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und der von der Beurteilung eines Gesuchs als zulässig oder unzulässig abhängigen Zusammensetzung der Richterbank (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2005 - 2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01, NJW 2005, 3410, 3411 f.) der Senat die Zurückweisung als unzulässig nicht durch eine solche als unbegründet ersetzen kann. Auch kann hier aus den bereits genannten Umständen das Gesuch nicht wegen eines völlig ungeeigneten - und damit im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO fehlenden - Ablehnungsgrundes verworfen werden.
15
Indes erweist sich das Gesuch wegen Verspätung als unzulässig (§ 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO). Gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO muss die Ablehnung unverzüglich, d.h. so bald wie möglich und ohne eine nicht durch die Sachlage begründete Verzögerung geltend gemacht werden, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 17. November 1999 - 2 StR 313/99, BGHSt 45, 312, 315). Dem zur Ablehnung Berechtigten ist dabei eine gewisse Zeit zum Überlegen und Abfassen des Gesuchs zuzugestehen (vgl. BGH, Urteile vom 3. Mai 1995 - 2 StR 19/95, BGHR StPO § 25 Abs. 2 Unverzüglich 3 mwN; vom 29. März 2012 - 3 StR 455/11, NStZ-RR 2012, 211). Welche Zeitspanne erforderlich, angemessen und deshalb zuzubilligen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Hier hat der Verteidiger Rechtsanwalt H. am Mittwoch, dem 29. Oktober 2014, von der Entscheidung des Vorsitzenden über die Verteidigerbestellung Kenntnis erlangt und noch am selben Tag "im Auftrag der Angeklagten" durch Fax dagegen Beschwerde eingelegt. Wie sich aus dem Schriftsatz des Verteidigers vom 30. Oktober 2014 ergibt, hat er zuvor mit der Angeklagten fernmündlich Kontakt gehabt. Angesichts der fortgeschrittenen Verfahrensdauer hätte die Beschwerdeführerin deshalb nicht bis zum Montag, dem 3. November 2014 - dem nächsten Verhandlungstag - mit der Antragstellung zuwarten dürfen.
16
b) Auch die übrigen Ablehnungsgesuche sind zu Recht verworfen worden. Dies gilt hinsichtlich der gemäß § 27 Abs. 1 StPO behandelten Gesuche: Unter Berücksichtigung der dienstlichen Erklärungen des abgelehnten Richters ist kein Umstand erkennbar, der bei vernünftiger Würdigung geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Die drei im Verlauf der Hauptverhandlung vom 27. Oktober 2014 gestellten Gesuche sind unter Mitwirkung der abgelehnten Richter ebenso zutreffend gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO wegen Prozessverschleppung abgelehnt worden.
Becker Pfister Hubert Mayer Gericke

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Strafprozeßordnung - StPO | § 338 Absolute Revisionsgründe


Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid

Strafprozeßordnung - StPO | § 26a Verwerfung eines unzulässigen Ablehnungsantrags


(1) Das Gericht verwirft die Ablehnung eines Richters als unzulässig, wenn 1. die Ablehnung verspätet ist,2. ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht oder nicht innerhalb der nach § 26 Absatz 1 Satz 2 bestimmten Frist angege

Strafprozeßordnung - StPO | § 25 Ablehnungszeitpunkt


(1) Die Ablehnung eines erkennenden Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse, in der Hauptverhandlung über die Berufung oder die Revision bis zum Beginn de

Strafprozeßordnung - StPO | § 27 Entscheidung über einen zulässigen Ablehnungsantrag


(1) Wird die Ablehnung nicht als unzulässig verworfen, so entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung. (2) Wird ein richterliches Mitglied der erkennenden Strafkammer abgelehnt, so entscheid

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

(1) Wird die Ablehnung nicht als unzulässig verworfen, so entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung.

(2) Wird ein richterliches Mitglied der erkennenden Strafkammer abgelehnt, so entscheidet die Strafkammer in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgeschriebenen Besetzung.

(3) Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter dieses Gerichts. Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der Abgelehnte das Ablehnungsgesuch für begründet hält.

(4) Wird das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlußunfähig, so entscheidet das zunächst obere Gericht.

(1) Das Gericht verwirft die Ablehnung eines Richters als unzulässig, wenn

1.
die Ablehnung verspätet ist,
2.
ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht oder nicht innerhalb der nach § 26 Absatz 1 Satz 2 bestimmten Frist angegeben wird oder
3.
durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen.

(2) Das Gericht entscheidet über die Verwerfung nach Absatz 1, ohne daß der abgelehnte Richter ausscheidet. Im Falle des Absatzes 1 Nr. 3 bedarf es eines einstimmigen Beschlusses und der Angabe der Umstände, welche den Verwerfungsgrund ergeben. Wird ein beauftragter oder ein ersuchter Richter, ein Richter im vorbereitenden Verfahren oder ein Strafrichter abgelehnt, so entscheidet er selbst darüber, ob die Ablehnung als unzulässig zu verwerfen ist.

(1) Wird die Ablehnung nicht als unzulässig verworfen, so entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung.

(2) Wird ein richterliches Mitglied der erkennenden Strafkammer abgelehnt, so entscheidet die Strafkammer in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgeschriebenen Besetzung.

(3) Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter dieses Gerichts. Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der Abgelehnte das Ablehnungsgesuch für begründet hält.

(4) Wird das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlußunfähig, so entscheidet das zunächst obere Gericht.

(1) Das Gericht verwirft die Ablehnung eines Richters als unzulässig, wenn

1.
die Ablehnung verspätet ist,
2.
ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht oder nicht innerhalb der nach § 26 Absatz 1 Satz 2 bestimmten Frist angegeben wird oder
3.
durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen.

(2) Das Gericht entscheidet über die Verwerfung nach Absatz 1, ohne daß der abgelehnte Richter ausscheidet. Im Falle des Absatzes 1 Nr. 3 bedarf es eines einstimmigen Beschlusses und der Angabe der Umstände, welche den Verwerfungsgrund ergeben. Wird ein beauftragter oder ein ersuchter Richter, ein Richter im vorbereitenden Verfahren oder ein Strafrichter abgelehnt, so entscheidet er selbst darüber, ob die Ablehnung als unzulässig zu verwerfen ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 289/09
vom
8. Juli 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juli 2009 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 6. November 2008 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Zu der Rüge, die abgelehnten Richter hätten ein Ablehnungsgesuch zu Unrecht als unzulässig verworfen (§ 26a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 338 Nr. 3 StPO), bemerkt der Senat ergänzend: Die Rüge ist jedenfalls deshalb unbegründet, weil das Landgericht die Grenzen, innerhalb derer die abgelehnten Richter selbst über den Antrag entscheiden konnten (vgl. hierzu BVerfG NJW 2005, 3410; 2006, 3129; BVerfG, Beschl. vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06), nicht überschritten hat.

a) Die Vorschrift des § 26a StPO gestattet nur ausnahmsweise, dass ein abgelehnter Richter selbst über einen gegen ihn gestellten Befangenheitsantrag entscheidet. Voraussetzung für diese Ausnahme von dem in § 27 StPO erfassten Regelfall der Entscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters ist, dass keine Entscheidung in der Sache getroffen wird, vielmehr die Beteiligung des abgelehnten Richters auf eine echte Formalentscheidung oder die Verhinderung des Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt bleibt (BVerfG NJW 2005, 3410). Die Anwendung des § 26a StPO darf nicht dazu führen, dass der ablehnende Richter sein eigenes Verhalten beurteilt und damit „Richter in eigener Sache“ wird.
Dies gilt auch für die Anwendung des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO (vgl. BGH wistra 2008, 267; NStZ 2008, 523, 524). Allerdings ist es zum Beleg der Prozessverschleppungsabsicht regelmäßig erforderlich, dass die Richter das eigene Verhalten im Rahmen des Prozessgeschehens schildern. Allein hierdurch werden sie indes nicht zu Richtern in eigener Sache (BGH NStZ 2008, 473). Der Gesetzgeber hat aus Gründen der Vereinfachung und Beschleunigung des Ablehnungsverfahrens von einer Zuständigkeit dergestalt abgesehen, dass der abgelehnte Richter auch in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs an der Mitwirkung bei der Entscheidung über das Gesuch gehindert ist. Die Mitwirkung des abgelehnten Richters bei der Entscheidung über die Zulässigkeit eines Ablehnungsgesuchs oder über die Frage seiner missbräuchlichen Anbringung, wie § 26a StPO sie erlaubt, verhindert ein aufwändiges und zeitraubendes Ablehnungsverfahren unter Hinzuziehung von Vertretern in Fällen gänzlich untauglicher oder rechtsmissbräuchlicher Ablehnungsgesuche; bei strenger Beachtung ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen gerät sie mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine echte Entscheidung in eigener Sache ist (BVerfG, Beschl. vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06).

b) Nach diesen Maßstäben hält die Verwerfung des gegen die Strafkammer gerichteten Ablehnungsgesuchs als unzulässig gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO rechtlicher Nachprüfung stand.
Das Landgericht hat die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs gegen die Berufsrichter der Strafkammer auf § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO gestützt. Es hat dabei seine Überzeugung von der dem Antrag zugrunde liegenden Verschleppungsabsicht rechtsfehlerfrei gewonnen aus dem Befangenheitsantrag selbst (dort wurde, wie die Revision selbst einräumt, die Rechtslage zur Möglichkeit der Fristsetzung für Beweisanträge - BGHSt 51, 333, 344; BGH NStZ 2007, 716 - falsch dargestellt und der Strafkammer tatsächlich unzutreffend vorgeworfen, Beweisanträge pauschal zurückgewiesen zu haben), der Verfahrenssituation (Ende des von der Strafkammer vorgesehenen Beweisprogramms) sowie aus dem dem Antrag vorangehenden Prozessgeschehen (durch die Verteidigung wurden in Beweisanträgen an drei aufeinanderfolgenden Tagen drei miteinander unvereinbare Sachverhaltsbehauptungen in das Wissen derselben 31 Zeugen gestellt).
Zur Begründung der Prozessverschleppungsabsicht kamen die abgelehnten Richter nicht umhin, das dem Befangenheitsantrag vorausgegangene Prozessgeschehen und damit auch eigenes Verhalten und den Inhalt von Beschlussbegründungen zu schildern. Zu Richtern „in eigener Sache“ sind sie dadurch nicht geworden (vgl. BGH NStZ 2008, 473). Denn das Landgericht hat in dem Zurückweisungsbeschluss nicht eigenes Verhalten bewertet, sondern vielmehr anhand des Inhalts der in dem Befangenheitsgesuch beanstandeten Ablehnungsbeschlüsse aufgezeigt, dass die Behauptung der Verteidigung, Beweisanträge würden nach Ablauf der Frist „pauschal als verspätet behandelt“, objektiv unwahr ist. Dies war zur Darlegung der Verschleppungsabsicht, deren Feststellung gesetzliche Voraussetzung der Anwendung des § 26a Abs. 1 Satz 3 StPO ist, zulässig. Dasselbe gilt für das Aufzeigen und die Bewertung weiterer Umstände aus dem Prozessverhalten des Ablehnenden, die das Landgericht zum Beleg der Prozessverschleppungsabsicht herangezogen hat. Auch die Tatsache, dass das Landgericht schon bei der vorangehenden Ablehnung von Beweisanträgen wegen Prozessverschleppung gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO eine Verschleppungsabsicht festgestellt hat, führt nicht dazu, dass die Richter zu Richtern „in eigener Sache“ geworden wären.

c) Selbst wenn man dies anders bewerten wollte, wäre der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO nicht gegeben, weil jedenfalls eine willkürliche oder offensichtlich unhaltbare Anwendung des § 26a StPO nicht gegeben ist.
Unterlaufen dem Tatgericht Fehler bei der Anwendung des § 26a StPO, begründet dies nicht ohne weiteres den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO. Ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen der §§ 26a, 27 StPO führt vielmehr nur dann zu einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn diese Vorschriften willkürlich angewendet werden oder die richterliche Entscheidung die Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie verkennt (BVerfG NJW 2005, 3410, 3411; BVerfG, Beschl. vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06; BGHSt 50, 216, 219; BGH NStZ 2007, 161). In Fällen, in denen sich die Verwerfung als nicht offensichtlich unhaltbar erweist und es sich mithin um einen „einfachen Rechtsverstoß“ und nicht um einen Verfassungsverstoß handelt, ist dem Revisionsgericht die Überprüfung nach Beschwerdegrundsätzen (BGH wistra 2005, 464) und sogar der mögliche Austausch des Verwerfungsgrundes erlaubt (BGH wistra 2008, 267).
Auch nach den dann anzuwendenden Beschwerdegrundsätzen wäre die Entscheidung des Landgerichts rechtlich nicht zu beanstanden, weil angesichts des Prozessgeschehens offensichtlich ist, dass durch das Ablehnungsgesuch das Verfahren nur verschleppt werden sollte. Dies ergibt sich aus folgendem Prozessgeschehen: Die von der Strafkammer nach dem Maßstab der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) für erforderlich gehaltenen Beweiserhebungen waren bereits Ende August 2008 im Wesentlichen durchgeführt. Am 49. Verhandlungstag , dem 10. Oktober 2008, setzte der Vorsitzende der Strafkammer den Prozessbeteiligten eine Frist bis zum 17. Oktober 2008, „andernfalls - ohne überzeugende Begründung für die verspätete Antragstellung - mit einer Ablehnung wegen Verfahrensverzögerung gerechnet werden“ müsse. Die Fristsetzung wurde am 14. Oktober 2008 durch Beschluss der Strafkammer gemäß § 238 Abs. 2 StPO bestätigt. In diesem Beschluss wurde festgestellt, dass der Vorsitzende bereits am 30. September 2008 unter Hinweis auf eine bevorstehende Fristsetzung für etwaige weitere Beweisanträge darauf hingewiesen habe, dass die Strafkammer beabsichtige, die Beweisaufnahme - nach einer Verhandlungspause von zehn Tagen, die zur Vorbereitung weiterer Beweisanträge genutzt werden konnte - am 10. Oktober 2008 zu schließen.
In der nächsten, statt am 17. Oktober erst am 21. Oktober 2008 stattfindenden Hauptverhandlung stellte der Verteidiger des Angeklagten vier Beweisanträge , u.a. gerichtet auf die Vernehmung von 73 Zeugen, die von der Strafkammer am 24. Oktober 2008 - zum Teil gewertet als bloße Beweisermittlungsanträge ohne Angabe einer hinreichend konkreten Beweistatsache - zurückgewiesen wurden, ohne dass die Zurückweisung auf Prozessverschleppung gestützt wurde. Dem an diesem Tag gestellten Beweisantrag auf Vernehmung des Bruders des Angeklagten kam das Landgericht nach. Auf Frage des Vorsitzenden erklärte die Verteidigung des Angeklagten dabei, „dass sie zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Beweisanträge stellen werde, was nicht heiße, dass spä- ter keine weiteren Beweisanträge gestellt würden,“ und „dass sie weiterhin Zeugen in den Sitzungssaal stellen werde und diese für kommenden Dienstag und Freitag bereits geladen habe“. Weitere noch an diesem Hauptverhandlungstag gestellte Beweisanträge lehnte die Strafkammer ab, ebenfalls ohne die Ablehnung auf Prozessverschleppung zu stützen.
Zu Beginn der Hauptverhandlung am 28. Oktober 2008 präsentierte der Verteidiger des Angeklagten einen von ihm geladenen und auch erschienenen Zeugen und stellte zudem einen Beweisantrag auf Vernehmung von 30 der bereits zuvor benannten 73 Zeugen, nun einzeln benannt und mit konkret auf sie bezogenen Beweistatsachen. Die Strafkammer lehnte die beantragte Beweiserhebung wegen beabsichtigter Verfahrensverschleppung ab (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), weil die in den Beweisanträgen erst am 52. Verhandlungstag benannten Zeugen und Beweisthemen der Verteidigung des Angeklagten seit Beginn des Verfahrens bekannt gewesen seien.
Nach Verkündung der Ablehnungsbeschlüsse lehnte der Verteidiger des Angeklagten mit einem erkennbar vorgefertigten „Befangenheitsantrag“, in den handschriftlich lediglich noch die Daten und Uhrzeiten der Beweisanträge und Ablehnungsbeschlüsse eingetragen wurden, die Berufsrichter der Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die behauptete Besorgnis der Befangenheit wurde - ohne dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für Fristsetzung für Beweisanträge (BGHSt 51, 333, 344; BGH NStZ 2007, 716) erwähnt wurde - allgemein damit begründet, dass derjenige Richter, der nach einer von ihm selbst bestimmten Frist nicht mehr bereit sei, den vom Angeklagten vorgetragenen Beweisanträgen nachzugehen, den Eindruck erwecke, dass er die elementaren Verteidigungsrechte eines Angeklagten nicht in ausreichendem Maße würdige. „Insbesondere“ im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 246 Abs. 1 StPO lasse die am 10. Oktober 2008 erlassene Verfügung des Vorsitzenden und die am 14. Oktober 2008 verkündete Ausschlussfrist Zweifel an der Unvoreingenommenheit der zur Entscheidung berufenen Richter aufkommen.
Für die Verteidigung war jedoch klar erkennbar, dass sich die Strafkammer mit der Fristsetzung an die Vorgaben der Rechtsprechung (vgl. BGH aaO) gehalten hat, auch nach Fristablauf noch beantragte Beweiserhebungen durchgeführt hat und im Übrigen Beweisanträge nicht pauschal, sondern mit fundierter Begründung wegen Prozessverschleppung abgelehnt hat.
Angesichts des gesamten Prozessverhaltens der Verteidigung nach Abschluss des von der Strafkammer nach dem Maßstab der Aufklärungspflicht abgearbeiteten Beweisprogramms und nach Fristsetzung für weitere Beweisanträge durch die Strafkammer ist offensichtlich, dass durch die Ablehnung der Strafkammer nur das Verfahren verschleppt werden sollte.
Nack Wahl Hebenstreit RiBGH Prof. Dr. Sander ist in Urlaub und deshalb an der Unterschrift verhindert. Jäger Nack

(1) Das Gericht verwirft die Ablehnung eines Richters als unzulässig, wenn

1.
die Ablehnung verspätet ist,
2.
ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht oder nicht innerhalb der nach § 26 Absatz 1 Satz 2 bestimmten Frist angegeben wird oder
3.
durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen.

(2) Das Gericht entscheidet über die Verwerfung nach Absatz 1, ohne daß der abgelehnte Richter ausscheidet. Im Falle des Absatzes 1 Nr. 3 bedarf es eines einstimmigen Beschlusses und der Angabe der Umstände, welche den Verwerfungsgrund ergeben. Wird ein beauftragter oder ein ersuchter Richter, ein Richter im vorbereitenden Verfahren oder ein Strafrichter abgelehnt, so entscheidet er selbst darüber, ob die Ablehnung als unzulässig zu verwerfen ist.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Das Gericht verwirft die Ablehnung eines Richters als unzulässig, wenn

1.
die Ablehnung verspätet ist,
2.
ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht oder nicht innerhalb der nach § 26 Absatz 1 Satz 2 bestimmten Frist angegeben wird oder
3.
durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen.

(2) Das Gericht entscheidet über die Verwerfung nach Absatz 1, ohne daß der abgelehnte Richter ausscheidet. Im Falle des Absatzes 1 Nr. 3 bedarf es eines einstimmigen Beschlusses und der Angabe der Umstände, welche den Verwerfungsgrund ergeben. Wird ein beauftragter oder ein ersuchter Richter, ein Richter im vorbereitenden Verfahren oder ein Strafrichter abgelehnt, so entscheidet er selbst darüber, ob die Ablehnung als unzulässig zu verwerfen ist.

(1) Die Ablehnung eines erkennenden Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse, in der Hauptverhandlung über die Berufung oder die Revision bis zum Beginn des Vortrags des Berichterstatters, zulässig. Ist die Besetzung des Gerichts nach § 222a Absatz 1 Satz 2 schon vor Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt worden, so muss das Ablehnungsgesuch unverzüglich angebracht werden. Alle Ablehnungsgründe sind gleichzeitig vorzubringen.

(2) Im Übrigen darf ein Richter nur abgelehnt werden, wenn

1.
die Umstände, auf welche die Ablehnung gestützt wird, erst später eingetreten oder dem zur Ablehnung Berechtigten erst später bekanntgeworden sind und
2.
die Ablehnung unverzüglich geltend gemacht wird.
Nach dem letzten Wort des Angeklagten ist die Ablehnung nicht mehr zulässig.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 455/11
vom
29. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen banden- und gewerbsmäßigen Computerbetruges u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. März
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 22. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es den Angeklagten R. betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen banden- und gewerbsmäßigen Computerbetruges in Tateinheit mit Datenveränderung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und ausgesprochen, dass wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sechs Monate der Strafe als vollstreckt gelten. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer hiergegen zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der verfahrensrechtlichen Beanstandung Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die sachlich-rechtlichen Rügen der Beschwerdeführerin nicht bedarf.
2
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieb der (in den USA wohnhafte und von dort zur Hauptverhandlung angereiste) Angeklagte über mehrere Firmen kostenpflichtige Internetseiten. Seine Geschäftspartner B. und H. setzten - unter Einbeziehung weiterer Beteiligter , u.a. der Nichtrevidenten - von Juli 2002 bis Ende September 2003 sogenannte "Autodialer" ein. Dabei handelte es sich um Computerprogramme, die keine eigene Benutzeroberfläche hatten und hohe Entgelte verursachende Telefonverbindungen zu Internetseiten herstellten, ohne dass der jeweilige Computernutzer zuvor darauf hingewiesen worden war. Der Angeklagte billigte ab September 2002 den Einsatz verschiedener Arten kostenpflichtiger "Autodialer" , die - wie er wusste - illegal waren. Er akquirierte Kunden, kontrollierte die Zahlungsein- sowie -ausgänge, war für die Abrechnungen und Auszahlungen zuständig und hatte eine zentrale Position innerhalb der arbeitsteilig vorgehenden Gruppe inne. Insgesamt erzielte er aus dem Einsatz der "Autodialer" einen Gewinn von 884.000 €. Der Gesamtschaden betrug über 12.000.000 €.
3
II. Mit Recht macht die Beschwerdeführerin geltend, dass an dem angefochtenen Urteil in der Person des Kammervorsitzenden ein Richter mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden war (§ 24 Abs. 1 und 2, § 338 Nr. 3 StPO).
4
1. Der Rüge liegt im Wesentlichen folgendes Geschehen zugrunde:
5
Am 7. Juni 2011, dem ersten Tag der auf vier Tage anberaumten Hauptverhandlung , kam es während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung zu einem Gespräch über die Möglichkeit einer einvernehmlichen Verfahrenserledigung. Die Vorstellungen der Verfahrensbeteiligten stimmten hinsichtlich der drei Nichtrevidenten, nicht aber hinsichtlich des Angeklagten überein. Nach den voll geständigen Einlassungen der Nichtrevidenten verlas der Verteidiger des Angeklagten für diesen eine Erklärung. Zudem beantwortete der Angeklagte Fragen des Gerichts. Sein Verteidiger erklärte danach, der Angeklagte wolle keine weiteren Fragen beantworten. Während einer anschließenden Unterbrechung regte der Vorsitzende gegenüber dem Verteidiger des Angeklagten und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft an, bereits am folgenden Tag den die Ermittlung führenden Kriminalbeamten KOK Ho. als Zeugen zu hören und dann die Hauptverhandlung zu beenden. Der Staatsanwalt erklärte, es sei ihm voraussichtlich nicht möglich, bis dahin seiner Meinung nach wichtige Unterlagen vom Angeklagten zu erlangen und zu bewerten. Zudem sei er mit der Beschränkung der Zeugen auf KOK Ho. nicht einverstanden, zumal dieser - anders als etwa der Zeuge H. - kein unmittelbarer Tatzeuge sei. Ferner habe er Bedenken gegen das Vorhaben des Vorsitzenden, die Beweisaufnahme dadurch abzukürzen, dass das gegen den Mittäter B. ergangene Urteil verlesen werde und die Angeklagten sich dazu äußern.
6
Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung kündigte der Verteidiger an, sein Mandant werde in begrenztem Umfang Fragen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft beantworten und versuchen, eine von diesem gewünschte Steuererklärung beizubringen. Der Vorsitzende teilte mit, dass die Kammer beabsichtige , sämtliche Zeugen mit Ausnahme des KOK Ho. sowie - mit Blick auf den Staatsanwalt - des Zeugen H. abzuladen und Auszüge aus dem gegen B. ergangenen Urteil im Selbstleseverfahren einzuführen. Es folgte eine Erörterung, inwieweit weitere Zeugen in der Hauptverhandlung gehört werden müssten. Während die Verteidiger auf die Vernehmung weiterer Zeugen verzichteten, erklärte der Staatsanwalt, sich dazu erst nach Befragung des Angeklagten äußern zu können. Der Vorsitzende beharrte darauf, dass weitere Zeugen für die Schuldfrage nicht erforderlich seien und abgeladen werden könnten. Als daraufhin der Staatsanwalt seine abweichende Auffassung wiederholte, warf der Vorsitzende ihm ungehalten vor, sich "unanständig" zu verhalten und die anderen Verteidiger "in Sippenhaft zu nehmen". Nachdem sich der Staatsanwalt gegen die Diktion verwahrt hatte, erklärte der Vorsitzende , das Wort "unanständig" in Anführungszeichen gesprochen zu haben. Anschließend belehrte er den Angeklagten über die Regelung des § 231 Abs. 2 StPO und fügte hinzu, diese gelte auch für die Mitangeklagten. Dann wollte er die Verhandlung unterbrechen. Davon sah er auf Wunsch des Staatsanwalts zunächst ab und ermöglichte diesem, Fragen an den Angeklagten zu stellen, begrenzte die Fragezeit aber wegen eines - zu diesem Zeitpunkt erstmals mitgeteilten - Termins eines Kammermitglieds auf zehn Minuten. Nach dieser Zeit beendete er die Fragen des Staatsanwalts und wies darauf hin, die Kammer werde nach eigenem Ermessen über die Abladung von Zeugen entscheiden und erwarte für den nächsten Sitzungstag die Schlussvorträge. Unmittelbar danach unterbrach er die Sitzung bis zum eine Woche später liegenden nächsten Verhandlungstag.
7
Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft reichte noch am selben Tag außerhalb der Hauptverhandlung ein schriftliches Ablehnungsgesuch unter näherer Darstellung des vorstehenden Sachverhalts bei Gericht ein und lehnte darin den Vorsitzenden wegen Befangenheit ab. Der abgelehnte Richter äußerte sich am Folgetag schriftlich zu dem Gesuch und bestätigte darin den äußeren Verfahrensablauf im Wesentlichen. Die Kammer wies - ohne Beteiligung des abgelehnten Vorsitzenden - mit Beschluss vom 10. Juni 2011 das Ablehnungsgesuch mit der näher ausgeführten Begründung zurück, die Verhandlungsführung des Vorsitzenden sei nicht zu beanstanden und könne die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen.
8
2. Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet.
9
a) Die Rüge ist zulässig erhoben. Insbesondere sind die Verfahrenstatsachen im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO hinreichend dargelegt. Auch wenn die Revisionsbegründung selbst den Ablauf des ersten Hauptverhandlungstags nicht geschlossen schildert, kann dieser vorliegend dem Revisionsvorbringen insgesamt - vor allem dem vollständig mitgeteilten Ablehnungsgesuch - ausreichend entnommen werden.
10
b) Die Verfahrensrüge hat in der Sache Erfolg, weil die Ablehnung des Kammervorsitzenden zulässig und bei verständiger Würdigung aus Sicht der Staatsanwaltschaft die Besorgnis der Befangenheit gegeben war.
11
aa) Das Ablehnungsgesuch genügt den Zulässigkeitsanforderungen und ist insbesondere unverzüglich i.S.d. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO angebracht worden. Dass dies nicht bereits in der Hauptverhandlung selbst geschah, ist nach den gegebenen Umständen nicht maßgeblich. Dem zur Ablehnung Berechtigten ist eine gewisse Zeit zum Überlegen und zum Abfassen des Gesuchs zuzugestehen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 1995 - 2 StR 19/95, BGHR StPO § 25 Abs. 2 Unverzüglich 3 mwN). Diese Zeit ist hier bei dem noch am selben Tag eingereichten Gesuch nicht überschritten. Dabei ist auch zu berücksichtigen , dass der Eindruck einer Voreingenommenheit, der sich schon aus dem nachhaltigen und intensiven Hinwirken auf einen Verzicht der Vernehmung von Zeugen ergeben konnte, durch das weitere Verhalten des Vorsitzenden gestützt und verstärkt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1988 - 3 StR 567/87, StV 1988, 281).
12
bb) Die Verhandlungsführung des Kammervorsitzenden am ersten Hauptverhandlungstag stellt bei einer Gesamtschau einen Grund dar, der aus Sicht der Staatsanwaltschaft bei verständiger Würdigung geeignet war, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO). Dazu ist entscheidend auf den nach außen deutlich gewordenen Eindruck von der inneren Haltung des Richters abzustellen (BGH, Urteil vom 23. Januar 1991 - 3 StR 365/90, BGHSt 37, 298, 302 f.), ohne dass es maßgeblich darauf ankommt , inwieweit dieser Eindruck tatsächlich der inneren Haltung des Richters entspricht. Nach dem Verlauf des ersten Hauptverhandlungstages musste sich der Staatsanwaltschaft die Besorgnis aufdrängen, der Vorsitzende ziehe eine schnelle Prozesserledigung ohne Beachtung ihrer prozessualen Beteiligtenrechte einer sachgemäßen Aufklärung der Anklagevorwürfe vor (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2003 - 3 StR 28/03, NStZ 2003, 666, 667; Urteil vom 9. März 1988 - 3 StR 567/87, StV 1988, 281 f.). Dies ergibt sich aus Folgendem :
13
Bereits die beharrlichen und intensiven Versuche des Kammervorsitzenden , den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zu einem Verzicht auf die Vernehmung des überwiegenden Teils der Zeugen zu drängen, obwohl der Angeklagte - wie sich aus den Urteilsgründen ergibt - das Gewicht seiner Tatbeiträge zu den ihm zur Last liegenden Straftaten nicht in vollem Umfang eingeräumt hatte und insbesondere für eine schuldangemessene Sanktion wesentliche Umstände noch klärungsbedürftig waren, sowie seine Wortwahl konnten den Eindruck hervorrufen, ihm fehle gegenüber der Staatsanwaltschaft das gebotene und unverzichtbare Maß an Distanz und Neutralität. Zwar kann ein Vorsitzender zur Verfahrensförderung bestimmte Prozesshandlungen der Verfahrensbeteiligten anregen, hat dabei aber die gebotene Zurückhaltung zu wahren (BGH, Urteil vom 5. September 1984 - 2 StR 347/84, NStZ 1985, 36, 37). Eine solche Zurückhaltung hat der Kammervorsitzende vermissen lassen.
14
So hatte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft dem Vorsitzenden zuvor in einer Verhandlungspause unmissverständlich mit nachvollziehbarer Begründung mitgeteilt, er sei derzeit mit einer Beschränkung der Zeugenver- nehmung auf KOK Ho. nicht einverstanden. Dies hinderte zwar den Vorsitzenden nicht, den Zeugenverzicht danach nochmals in der Hauptverhandlung anzusprechen. Der Umstand jedoch, dass er in diesem Zusammenhang den Vorwurf erhob, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft verhalte sich mit seiner Weigerung "unanständig" und nehme die anderen Verteidiger "in Sippenhaft", musste dieser als unzulässigen Druck verstehen, zum Zwecke einer schnellen Verfahrenserledigung gegen seine Überzeugung bereits vor abgeschlossener Befragung des Angeklagten den vom Vorsitzenden gewünschten Zeugenverzicht zu erklären (s. dazu BGH, Beschluss vom 4. Oktober 1984 - 4 StR 429/84, wistra 1985, 27, 28). Die anschließende Äußerung des Vorsitzenden, der Begriff "unanständig" sei mit Anführungszeichen gesprochen gewesen, konnte den durch die drastische Wortwahl hervorgerufenen Eindruck der Voreingenommenheit nicht beseitigen, auch wenn die Abmilderung bei der Bewertung zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 5 StR 292/11 mwN).
15
Die Besorgnis, der Vorsitzende habe in erster Linie den schnellen Abschluss des Verfahrens und weniger die Ermittlung des wahren Sachverhalts im Blick, wurde noch dadurch verstärkt, dass er zuvor in einer Verhandlungspause erwogen hatte, die Hauptverhandlung nicht erst am dafür vorgesehenen zweiten Verhandlungstag, sondern bereits am Folgetag fortzusetzen und abzuschließen. Ein solches Vorgehen, das im Einzelfall aus prozessökonomischen Gründen durchaus sinnvoll ist, konnte hier im Hinblick auf den Umfang sowie die Komplexität der Anklagevorwürfe den Eindruck der Beschwerdeführerin von einer Voreingenommenheit vertiefen. Dafür ist es nicht von entscheidender Bedeutung , ob der Vorsitzende salopp davon sprach, man könne am nächsten Tag "den Sack zumachen".
16
Der weitere Verfahrensablauf relativierte aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht die Befürchtung fehlender Unparteilichkeit des Vorsitzenden, sondern war geeignet, diese sogar zu verstärken. Die Belehrung des Angeklagten, es könne nach § 231 Abs. 2 StPO auch in seiner Abwesenheit weiterverhandelt werden, weil er bereits zur Anklage vernommen worden sei, und die zunächst unmittelbar darauf beabsichtigte Unterbrechung der Hauptverhandlung konnten unter Berücksichtigung des vorangegangenen Geschehens aus Sicht der Beschwerdeführerin den Eindruck erwecken, ein Ausbleiben finde die Billigung des Gerichts (vgl. RG, Urteil vom 11. April 1924 - I 180/24, RGSt 58, 149, 152 f.; OLG Köln, Beschluss vom 7. August 1984 - 3 Ss 242/84, StV 1985, 50; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 231 Rn. 22).
17
Dass der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft sodann am ersten Hauptverhandlungstag noch Gelegenheit erhielt, den Angeklagten zu befragen, beseitigte den bis dahin hervorgerufenen Eindruck fehlender Neutralität nicht; denn die Fragemöglichkeit war vom Vorsitzenden unvermittelt auf nur zehn Minuten beschränkt worden. Auch wenn der Zeitpunkt der Unterbrechung der Hauptverhandlung verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden ist, konnte die Beschwerdeführerin diese bei einer Gesamtbetrachtung der Verhandlungsführung durchaus als Beschränkung ihres Fragerechts verstehen, weil sie zuvor über die zeitliche Beschränkung nicht informiert worden war.
18
Schließlich wurde der Eindruck der Voreingenommenheit noch dadurch verstärkt, dass der Vorsitzende für den nächsten Sitzungstag die Schlussvorträge erwartete, obwohl sich bislang lediglich die Angeklagten zur Sache eingelassen hatten und der Verlauf sowie das Ergebnis der noch durchzuführenden Beweisaufnahme offen waren.
19
3. Das Ablehnungsgesuch durfte nach alledem nicht zurückgewiesen werden, weil die Verhandlungsführung des Vorsitzenden in ihrer Gesamtheit bei der Staatsanwaltschaft den Eindruck der Voreingenommenheit hervorrufen musste. Deshalb liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO vor, der den Senat dazu zwingt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben.
20
Im Falle eines erneuten Schuldspruchs wird näher auf eine Abgrenzung zwischen Betrug und Computerbetrug Bedacht zu nehmen sein (vgl. Buggisch, NStZ 2002, 178, 181; Frank, CR 2004, 123, 125 ff.; Fülling/Rath, JuS 2005, 598 ff.; Hilgendorf/Frank/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, 2005, Rn. 555 f.; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 263 Rn. 24; jurisPKInternetrecht /Heckmann, 3. Aufl., Kapitel 8 Rn. 155; [ohne nähere Begründung zur rechtlichen Bewertung] LG Essen, Urteil vom 9. März 2007 - 52 KLs 24/06, juris Rn. 84).
21
Zudem können nähere Erörterungen dazu angezeigt sein, inwieweit eine etwaige Beteiligung des Angeklagten als Mittäter an den Betrugstaten sich auch auf den Tatbestand der Datenunterdrückung erstreckte.
22
Im Übrigen erscheint dem Senat nach den Strafzumessungsgründen - insbesondere im Hinblick auf den hohen Gesamtschaden von über 12.000.000 € auch unter Berücksichtigung der strafmildernden Gesichtspunkte - die Strafe unverhältnismäßig milde. Becker von Lienen Schäfer Mayer Menges

(1) Wird die Ablehnung nicht als unzulässig verworfen, so entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung.

(2) Wird ein richterliches Mitglied der erkennenden Strafkammer abgelehnt, so entscheidet die Strafkammer in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgeschriebenen Besetzung.

(3) Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter dieses Gerichts. Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der Abgelehnte das Ablehnungsgesuch für begründet hält.

(4) Wird das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlußunfähig, so entscheidet das zunächst obere Gericht.

(1) Das Gericht verwirft die Ablehnung eines Richters als unzulässig, wenn

1.
die Ablehnung verspätet ist,
2.
ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht oder nicht innerhalb der nach § 26 Absatz 1 Satz 2 bestimmten Frist angegeben wird oder
3.
durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen.

(2) Das Gericht entscheidet über die Verwerfung nach Absatz 1, ohne daß der abgelehnte Richter ausscheidet. Im Falle des Absatzes 1 Nr. 3 bedarf es eines einstimmigen Beschlusses und der Angabe der Umstände, welche den Verwerfungsgrund ergeben. Wird ein beauftragter oder ein ersuchter Richter, ein Richter im vorbereitenden Verfahren oder ein Strafrichter abgelehnt, so entscheidet er selbst darüber, ob die Ablehnung als unzulässig zu verwerfen ist.