Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Apr. 2019 - 1 StR 91/18

bei uns veröffentlicht am11.04.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 91/18
vom
11. April 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:110419B1STR91.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 11. April 2019 gemäß § 46 Abs. 1 und § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten vom 22. Mai 2018 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Heilung der Mängel einer nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Verfahrensrüge wird zurückgewiesen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19. Juni 2017 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO). 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in elf Fällen und versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und elf Monaten verurteilt. Zwei Monate dieser Gesamtstrafe hat es für vollstreckt erklärt. Hiergegen richtet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensrügen und die ausgeführte Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Mit Schriftsatz vom 22. Mai 2018 hat er zur Heilung der Mängel einer Verfahrensrüge Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.
2
1. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig.
3
a) Der Angeklagte hat mit der Revision fristgerecht die zu Unrecht erfolgte Zurückweisung eines Befangenheitsantrags gerügt. Das von ihm angebrachte Befangenheitsgesuch hat er hingegen nicht vollständig vorgetragen, da eine Seite fehlt. Nach Kenntnisnahme der Antragsschrift des Generalbundesanwalts, in der auf diesen Mangel hingewiesen worden war, hat er Wiedereinsetzung beantragt und die fehlende Seite nachgereicht.
4
b) Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung dient nicht der Heilung von Zulässigkeitsmängeln von fristgemäß erhobenen Verfahrensrügen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung einer zunächst von Verteidigern nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge widerspräche im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Da den Angeklagten selbst an dem Mangel regelmäßig keine Schuld trifft, wäre ihm auf einen entsprechenden Antrag hin stets Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 1987 – 1 StR 386/87, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1). Dies stünde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen (BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 1951 – 1 StR 5/51, BGHSt 1, 44, 46 und vom 27. März 2008 – 3 StR 6/08 Rn. 5). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. September 1993 – 5 StR 162/93, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; vom 15. März 2001 – 3 StR 57/01 Rn. 2; vom 25. September 2007 – 1 StR 432/07, NStZ-RR 2008, 18; vom 27. März 2008 – 3 StR 6/08 Rn. 6 und vom 24. Oktober 2018 – 2 StR 578/16, NStZ-RR 2019, 25; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 44 Rn. 7 ff.). Eine solche Ausnahmesituation liegt nicht vor.
5
Es handelt sich zum einen nicht um einen Übersendungsfehler. Die 215 Seiten umfassende Revisionsbegründungsschrift ist durchgehend nummeriert , alle Seiten sind lückenlos fristgerecht eingereicht worden. Es liegt zum anderen auch kein Fall vor, in dem wegen nicht gewährter Akteneinsicht Verfahrensrügen nicht fristgerecht erhoben werden konnten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Mai 2008 – 3 StR 173/07, NStZ-RR 2008, 282, 283; vom 27. August 2008 – 2 StR 260/08, NStZ 2009, 173, 174 und vom 4. Februar 2010 – 3 StR 555/09 Rn. 2). Der Antragsteller trägt hierzu vor, er habe Akteneinsicht in Form einer pdf-Datei erhalten, hieraus den Ablehnungsantrag in die Revisionsbegründung kopiert und nicht bemerkt, dass die betreffende Seite in der Datei gefehlt habe. Dies stellt jedoch keinen Sachverhalt dar, der ihn wegen fehlender Aktenkenntnis an der formgerechten Erhebung gehindert hätte. Dies gilt schon deswegen, weil es sich um einen von ihm selbst gestellten Antrag handelt und zudem auch keine Bemühungen (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 16. Februar 1990 – 4 StR 663/89, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 5; vom 8. April 1992 – 2 StR 119/92, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 7; vom 3. Dezember 1997 – 3 StR 514/97, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 12 und vom 15. Februar 2011 – 4 StR 36/11 Rn. 2) um vollständige Akteneinsicht angestellt bzw. dargelegt worden sind. Soweit im Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen wird, dass die Erhebung der vollständigen Rüge durch Umstände gehindert worden sei, die der Verteidigung nicht zuzurechnen seien, kann dem aus den aufgezeigten Gründen nicht gefolgt werden. Das Nichtbemerken des Fehlens einer Seite stellt keinen Umstand dar, in dem es zur Wahrung des Anspruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unerlässlich erscheint, Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrügen zu gewähren.
6
c) Im Übrigen hätte die erhobene Rüge, selbst wenn sie rechtzeitig formgerecht erhoben worden wäre, keinen Erfolg. Die Behandlung des Ablehnungsgesuchs unter Mitwirkung der abgelehnten Richterin als unzulässig begegnet keinen Bedenken. Die in dem Beschluss dargelegten Umstände wie Verfahrensstand , Zeitpunkt der Anbringung und der Verweis auf die völlige Ungeeignetheit der Begründung rechtfertigen die Behandlung als in Verschleppungsabsicht gestellt, § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 2009 – 1 StR 289/09, wistra 2009, 446 f.; vom 22. Februar 2013 – 2 ARs 377/12 und vom 7. Juli 2015 – 3 StR 66/15, StV 2016, 271, 272). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die abgelehnte Richterin ihr eigenes Verhalten beurteilt hätte.
7
2. Die Revision hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jäger Bellay Cirener
Fischer Pernice

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(1) Über den Antrag entscheidet das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen gewesen wäre.

(2) Die dem Antrag stattgebende Entscheidung unterliegt keiner Anfechtung.

(3) Gegen die den Antrag verwerfende Entscheidung ist sofortige Beschwerde zulässig.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

5
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung einer zunächst vom Verteidiger nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge widerspräche im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Da den Angeklagten selbst an dem Mangel regelmäßig keine Schuld trifft, wäre ihm auf einen entsprechenden Antrag hin stets Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1; BGH wistra 1992, 28). Dies würde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang stehen, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen (BGHSt 1, 44, 46). Die Gegenmeinung, die in einem solchen Fall aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit generell Wiedereinsetzung gewähren will (vgl. Wendisch in Löwe/ Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 44 Rdn. 16; Berndt StraFo 2003, 112, 114) berücksichtigt nicht ausreichend, dass Formvorschriften zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Strafprozesses erforderlich sind.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 57/01
vom
15. März 2001
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 15. März 2001 gemäß
§§ 44, 46 Abs. 1, 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung von Verfahrensrügen wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stade vom 14. September 2000 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, mit unerlaubter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe und mit dem Führen derselben zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.
1. Wie der Generalbundesanwalt näher dargelegt hat, ist das Wiedereinsetzungsgesuch unzulässig, da infolge der rechtzeitig erhobenen Sachrüge die Revisionsbegründungsfrist nicht versäumt worden war und eine von der Rechtsprechung anerkannte Ausnahmesituation zur Gewährung von Wiedereinsetzung zur Ergänzung der bisherigen Revisionsbegründung nicht gegeben
ist (st. Rspr., vgl. BGHSt 1, 44; BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 3, 7). Im übrigen weist der Senat daraufhin, daß die sachlichrechtlichen Ausführungen in dem nachgereichten Schriftsatz vom 13. Dezember 2000 unbeschadet des Fristablaufs vom Senat berücksichtigt werden konnten und mußten und daß die beiden - verspäteten - Verfahrensrügen den Bestand des Urteils aus den nachfolgend genannten Gründen ohnehin nicht hätten gefährden können.
2. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

a) Die Strafkammer hat einen bedingten Tötungsvorsatz, der sich bei den festgestellten Tatumständen und den vorausgegangenen Drohungen des Angeklagten regelrecht aufgedrängt hatte, ohne Rechtsfehler bejaht. Daß sie im Schuld- und Strafausspruch nicht berücksichtigt hat, daß sich dieser bedingte Tötungsvorsatz auf alle vier im Eingangsbereich befindlichen Gäste bezogen hatte, weil der Angeklagte auf diese Gruppe und nicht auf einen einzelnen von ihnen gezielt und dabei seine Waffe leer geschossen hatte, weshalb er wegen versuchten Totschlags in vier tateinheitlich begangenen Fällen hätte verurteilt werden müssen (vgl. BGH, Beschl. vom 6. September 2000 - 3 StR 226/00), beschwert ihn nicht.

b) Soweit die Verteidigung beanstandet, daß die Strafkammer nicht die Voraussetzungen des § 213 StGB bejaht hat, übersieht sie, daß dies für den Angeklagten nachteilig gewesen wäre, da der Strafrahmen des § 213 StGB mit Freiheitsstrafe von einem bis zehn Jahren höher als der zweifach gemilderte Strafrahmen nach §§ 21, 23, 49 Abs. 1, 212 StGB ist. Im übrigen weist weder
die Strafrahmenwahl noch die engere Strafzumessung einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
3. Die verspäteten Verfahrensrügen hätten der Revision nicht zum Erfolg verhelfen können. Ob der Beweisantrag zum Beweis der Tatsache, daß sich der Angeklagte die Waffe zum Eigenschutz besorgt hatte, als bedeutungslos hätte abgelehnt werden dürfen, kann dabei offen bleiben, da die Strafzumessung auf einem etwaigen Fehler nicht beruhen würde. Die Strafkammer hat die Strafe dem zweifach gemilderten Strafrahmen des § 212 StGB entnommen und dabei lediglich ergänzend berücksichtigt, daß tateinheitlich zwei Tatbestände des Waffengesetzes verwirklicht worden sind. Dabei hat sie jedoch rechtsfehlerhaft zu Gunsten des Angeklagten die Voraussetzungen einer - ohnehin rechtlich zweifelhaften - erheblichen Minderung der Schuld nach § 21 StGB auf Grund der erheblichen Alkoholisierung und Erregung des Angeklagten auch für die Tatbestände des bereits seit Monaten begangenen Tatbestandes der Ausübung der tatsächlichen Gewalt und für das ebenfalls schon vor Trinkbeginn erfolgte Führen der halbautomatischen Selbstladekurzwaffe angenommen. Durch diesen Fehler zu Gunsten des Angeklagten wäre eine etwaig unterbliebene Berücksichtigung des Selbstschutzes bei der Gewichtung der Waffenverstöße mehr als ausgeglichen.
Der Antrag auf Einnahme eines Ortsaugenscheins "zur Klärung der Sichtverhältnisse" stellt keinen Beweisantrag dar, da es an der Angabe einer konkreten unter Beweis gestellten Tatsache fehlt.
Der Schriftsatz des Verteidigers vom 26. Februar 2001, hier eingegangen am 15. März 2001, hat bei der Beratung vorgelegen.
Kutzer Miebach Winkler Pfister von Lienen
5
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung einer zunächst vom Verteidiger nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge widerspräche im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Da den Angeklagten selbst an dem Mangel regelmäßig keine Schuld trifft, wäre ihm auf einen entsprechenden Antrag hin stets Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1; BGH wistra 1992, 28). Dies würde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang stehen, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen (BGHSt 1, 44, 46). Die Gegenmeinung, die in einem solchen Fall aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit generell Wiedereinsetzung gewähren will (vgl. Wendisch in Löwe/ Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 44 Rdn. 16; Berndt StraFo 2003, 112, 114) berücksichtigt nicht ausreichend, dass Formvorschriften zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Strafprozesses erforderlich sind.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 578/16
vom
24. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
ECLI:DE:BGH:2018:241018B2STR578.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 2. bzgl. der Verwerfung nach § 349 Abs. 2 StPO und Ziffer 3. auf dessen Antrag – und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 24. Oktober 2018 gemäß § 46 Abs. 1, § 349 Abs. 2 und Abs. 4, § 354 Abs. 1 analog, § 464 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten vom 26. März 2017 auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zur Heilung der Mängel einer nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Verfahrensrüge wird zurückgewiesen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 2. Mai 2016 wird mit der Maßgabe verworfen , dass ein Monat der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gilt. 3. Die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des vorbezeichneten Urteils wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten der Rechtsmittel und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot , wegen gefährlicher Körperverletzung in vier rechtlich zusammentreffenden Fällen, wobei es in drei Fällen beim Versuch verblieb, davon in einem Fall auch in Tateinheit mit Sachbeschädigung sowie in allen rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und fünf Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es ihn im Adhäsionsver- fahren zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 300 € an den Neben- kläger verurteilt und im Übrigen von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision sowie einer gegen die Kostenentscheidung gerichteten sofortigen Beschwerde. Mit Schriftsatz vom 26. März 2017 hat er zur Heilung der Mängel einer Verfahrensrüge Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.
2
1. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig.
3
Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung dient nicht der Heilung von Zulässigkeitsmängeln von fristgemäß erhobenen Verfahrensrügen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung einer zunächst vom Verteidiger nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge widerspräche im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Da den Angeklagten selbst an dem Mangel regelmäßig keine Schuld trifft, wäre ihm auf einen entsprechenden Antrag hin stets Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 1987 – 1 StR 386/87, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1). Dies stünde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen (BGH, Beschluss vom 21. Februar 1951 – 1 StR 5/51, BGHSt 1, 44, 46; Beschluss vom 27. März 2008 – 3 StR 6/08, juris Rn. 5). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 1993 – 5 StR 162/93, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; Beschluss vom 15. März 2001 – 3 StR 57/01, juris Rn. 2; Beschluss vom 25. September 2007 – 1 StR 432/07, NStZ-RR 2008, 18; BGH, Beschluss vom 27. März 2008 – 3 StR 6/08, juris Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 44 Rn. 7 ff.). Eine solche Ausnahmesituation liegt im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.
4
Im Übrigen hätte – wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift vom 7. März 2017 zutreffend ausführt – die erhobene Rüge, mit der eine Verletzung von § 244 Abs. 4 StPO geltend gemacht wird, selbst wenn sie rechtzeitig formgerecht erhoben worden wäre, keinen Erfolg.
5
2. Die Revision hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Allerdings gebietet die im Revisionsverfahren zu einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung führende Verletzung des Beschleunigungsgebots die in der Urteilsformel ausgesprochene Kompensation nach dem Vollstreckungsmodell der Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 135 ff.). Die Gesamtwürdigung der Verhältnisse des Einzelfalls ergibt, dass eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, die das Maß des Angemessenen überschreitet.
6
a) Das angefochtene Urteil ist am 2. Mai 2016 ergangen. Bereits am 7. Januar 2016 war der Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben worden, so dass dieser sich während des Revisionsverfahrens in Freiheit befand. Die Sache mit einer Revisionsbegründungsschrift im Umfang von 742 Seiten ist am 16. März 2017 mit dem Antrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof eingegangen und wurde dem Berichterstatter am 28. März 2017 zugeteilt. Hiernach hat der Beschwerdeführer am 3. April 2017 auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts erwidert.
7
b) Bei diesen Abläufen war auch unter Berücksichtigung des großen Umfangs und der Schwierigkeit des Prozessstoffs das Revisionsverfahren überdurchschnittlich lang. Insoweit ist von einer Verzögerung des Revisionsverfahrens von sechs Monaten auszugehen. Dieser Umfang der Verfahrensverzögerung ist allerdings nicht mit dem Umfang der zur Kompensation erforderlichen Vollstreckungsanrechnung gleichzusetzen, sondern hat nach den Umständen des Einzelfalls grundsätzlich einen eher geringen Bruchteil der verhängten (Gesamt-) Strafe zu betragen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07,BGHSt 52, 124, 146 f.). Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erklärt der Senat einen Monat der gegen den Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als bereits vollstreckt.
8
3. Auch die sofortige Beschwerde ist unbegründet, da die angegriffene Kostenentscheidung dem Gesetz entspricht.
Schäfer Appl Eschelbach Zeng Grube
2
1. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig. Das Gesetz räumt die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur für den Fall ein, dass eine Frist versäumt worden ist (§ 44 Satz 1 StPO). Eine Fristversäumung liegt hier nicht vor, weil die Revision des Angeklagten von seinem Verteidiger mit der Sachrüge und einer Verfahrensrüge fristgerecht begründet worden ist (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1, 3, 7). Zwar kann trotz formgerecht begründeter Revision eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einzelner Verfahrensrügen ausnahmsweise dann gewährt werden , wenn dem Verteidiger des Beschwerdeführers trotz angemessener Bemühungen vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist keine Akteneinsicht gewährt wurde und Verfahrensrügen nachgeschoben werden sollen, die ohne Akteneinsicht nicht begründet werden können (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 12). Dies setzt jedoch voraus, dass in der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags diejenigen Umstände vorgetragen werden, aus denen sich die Notwendigkeit der Akteneinsicht im Hinblick auf die zu erhebenden Verfahrensrügen ergibt (BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 10; BGH wistra 1993, 228). Hieran fehlt es ebenso wie an der Nachholung der versäumten Handlung (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO) innerhalb der Antragsfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO. Der Verteidiger hat weitere Verfahrensrügen nicht angebracht.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

2
1. Die Verfahrensrügen sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unzulässig. Der Verteidiger des Angeklagten hätte jedenfalls nach Zustellung des angefochtenen Urteils erneut um Akteneinsicht nachsuchen müssen, um dem Vortragserfordernis des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu genügen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. April 1992 - 2 StR 119/92, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 7, und vom 23. Februar 2010 - 4 StR 599/09, NStZ 2010, 530, 531).

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Gericht verwirft die Ablehnung eines Richters als unzulässig, wenn

1.
die Ablehnung verspätet ist,
2.
ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht oder nicht innerhalb der nach § 26 Absatz 1 Satz 2 bestimmten Frist angegeben wird oder
3.
durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen.

(2) Das Gericht entscheidet über die Verwerfung nach Absatz 1, ohne daß der abgelehnte Richter ausscheidet. Im Falle des Absatzes 1 Nr. 3 bedarf es eines einstimmigen Beschlusses und der Angabe der Umstände, welche den Verwerfungsgrund ergeben. Wird ein beauftragter oder ein ersuchter Richter, ein Richter im vorbereitenden Verfahren oder ein Strafrichter abgelehnt, so entscheidet er selbst darüber, ob die Ablehnung als unzulässig zu verwerfen ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 289/09
vom
8. Juli 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juli 2009 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 6. November 2008 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Zu der Rüge, die abgelehnten Richter hätten ein Ablehnungsgesuch zu Unrecht als unzulässig verworfen (§ 26a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 338 Nr. 3 StPO), bemerkt der Senat ergänzend: Die Rüge ist jedenfalls deshalb unbegründet, weil das Landgericht die Grenzen, innerhalb derer die abgelehnten Richter selbst über den Antrag entscheiden konnten (vgl. hierzu BVerfG NJW 2005, 3410; 2006, 3129; BVerfG, Beschl. vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06), nicht überschritten hat.

a) Die Vorschrift des § 26a StPO gestattet nur ausnahmsweise, dass ein abgelehnter Richter selbst über einen gegen ihn gestellten Befangenheitsantrag entscheidet. Voraussetzung für diese Ausnahme von dem in § 27 StPO erfassten Regelfall der Entscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters ist, dass keine Entscheidung in der Sache getroffen wird, vielmehr die Beteiligung des abgelehnten Richters auf eine echte Formalentscheidung oder die Verhinderung des Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt bleibt (BVerfG NJW 2005, 3410). Die Anwendung des § 26a StPO darf nicht dazu führen, dass der ablehnende Richter sein eigenes Verhalten beurteilt und damit „Richter in eigener Sache“ wird.
Dies gilt auch für die Anwendung des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO (vgl. BGH wistra 2008, 267; NStZ 2008, 523, 524). Allerdings ist es zum Beleg der Prozessverschleppungsabsicht regelmäßig erforderlich, dass die Richter das eigene Verhalten im Rahmen des Prozessgeschehens schildern. Allein hierdurch werden sie indes nicht zu Richtern in eigener Sache (BGH NStZ 2008, 473). Der Gesetzgeber hat aus Gründen der Vereinfachung und Beschleunigung des Ablehnungsverfahrens von einer Zuständigkeit dergestalt abgesehen, dass der abgelehnte Richter auch in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs an der Mitwirkung bei der Entscheidung über das Gesuch gehindert ist. Die Mitwirkung des abgelehnten Richters bei der Entscheidung über die Zulässigkeit eines Ablehnungsgesuchs oder über die Frage seiner missbräuchlichen Anbringung, wie § 26a StPO sie erlaubt, verhindert ein aufwändiges und zeitraubendes Ablehnungsverfahren unter Hinzuziehung von Vertretern in Fällen gänzlich untauglicher oder rechtsmissbräuchlicher Ablehnungsgesuche; bei strenger Beachtung ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen gerät sie mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine echte Entscheidung in eigener Sache ist (BVerfG, Beschl. vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06).

b) Nach diesen Maßstäben hält die Verwerfung des gegen die Strafkammer gerichteten Ablehnungsgesuchs als unzulässig gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO rechtlicher Nachprüfung stand.
Das Landgericht hat die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs gegen die Berufsrichter der Strafkammer auf § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO gestützt. Es hat dabei seine Überzeugung von der dem Antrag zugrunde liegenden Verschleppungsabsicht rechtsfehlerfrei gewonnen aus dem Befangenheitsantrag selbst (dort wurde, wie die Revision selbst einräumt, die Rechtslage zur Möglichkeit der Fristsetzung für Beweisanträge - BGHSt 51, 333, 344; BGH NStZ 2007, 716 - falsch dargestellt und der Strafkammer tatsächlich unzutreffend vorgeworfen, Beweisanträge pauschal zurückgewiesen zu haben), der Verfahrenssituation (Ende des von der Strafkammer vorgesehenen Beweisprogramms) sowie aus dem dem Antrag vorangehenden Prozessgeschehen (durch die Verteidigung wurden in Beweisanträgen an drei aufeinanderfolgenden Tagen drei miteinander unvereinbare Sachverhaltsbehauptungen in das Wissen derselben 31 Zeugen gestellt).
Zur Begründung der Prozessverschleppungsabsicht kamen die abgelehnten Richter nicht umhin, das dem Befangenheitsantrag vorausgegangene Prozessgeschehen und damit auch eigenes Verhalten und den Inhalt von Beschlussbegründungen zu schildern. Zu Richtern „in eigener Sache“ sind sie dadurch nicht geworden (vgl. BGH NStZ 2008, 473). Denn das Landgericht hat in dem Zurückweisungsbeschluss nicht eigenes Verhalten bewertet, sondern vielmehr anhand des Inhalts der in dem Befangenheitsgesuch beanstandeten Ablehnungsbeschlüsse aufgezeigt, dass die Behauptung der Verteidigung, Beweisanträge würden nach Ablauf der Frist „pauschal als verspätet behandelt“, objektiv unwahr ist. Dies war zur Darlegung der Verschleppungsabsicht, deren Feststellung gesetzliche Voraussetzung der Anwendung des § 26a Abs. 1 Satz 3 StPO ist, zulässig. Dasselbe gilt für das Aufzeigen und die Bewertung weiterer Umstände aus dem Prozessverhalten des Ablehnenden, die das Landgericht zum Beleg der Prozessverschleppungsabsicht herangezogen hat. Auch die Tatsache, dass das Landgericht schon bei der vorangehenden Ablehnung von Beweisanträgen wegen Prozessverschleppung gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO eine Verschleppungsabsicht festgestellt hat, führt nicht dazu, dass die Richter zu Richtern „in eigener Sache“ geworden wären.

c) Selbst wenn man dies anders bewerten wollte, wäre der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO nicht gegeben, weil jedenfalls eine willkürliche oder offensichtlich unhaltbare Anwendung des § 26a StPO nicht gegeben ist.
Unterlaufen dem Tatgericht Fehler bei der Anwendung des § 26a StPO, begründet dies nicht ohne weiteres den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO. Ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen der §§ 26a, 27 StPO führt vielmehr nur dann zu einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn diese Vorschriften willkürlich angewendet werden oder die richterliche Entscheidung die Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie verkennt (BVerfG NJW 2005, 3410, 3411; BVerfG, Beschl. vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06; BGHSt 50, 216, 219; BGH NStZ 2007, 161). In Fällen, in denen sich die Verwerfung als nicht offensichtlich unhaltbar erweist und es sich mithin um einen „einfachen Rechtsverstoß“ und nicht um einen Verfassungsverstoß handelt, ist dem Revisionsgericht die Überprüfung nach Beschwerdegrundsätzen (BGH wistra 2005, 464) und sogar der mögliche Austausch des Verwerfungsgrundes erlaubt (BGH wistra 2008, 267).
Auch nach den dann anzuwendenden Beschwerdegrundsätzen wäre die Entscheidung des Landgerichts rechtlich nicht zu beanstanden, weil angesichts des Prozessgeschehens offensichtlich ist, dass durch das Ablehnungsgesuch das Verfahren nur verschleppt werden sollte. Dies ergibt sich aus folgendem Prozessgeschehen: Die von der Strafkammer nach dem Maßstab der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) für erforderlich gehaltenen Beweiserhebungen waren bereits Ende August 2008 im Wesentlichen durchgeführt. Am 49. Verhandlungstag , dem 10. Oktober 2008, setzte der Vorsitzende der Strafkammer den Prozessbeteiligten eine Frist bis zum 17. Oktober 2008, „andernfalls - ohne überzeugende Begründung für die verspätete Antragstellung - mit einer Ablehnung wegen Verfahrensverzögerung gerechnet werden“ müsse. Die Fristsetzung wurde am 14. Oktober 2008 durch Beschluss der Strafkammer gemäß § 238 Abs. 2 StPO bestätigt. In diesem Beschluss wurde festgestellt, dass der Vorsitzende bereits am 30. September 2008 unter Hinweis auf eine bevorstehende Fristsetzung für etwaige weitere Beweisanträge darauf hingewiesen habe, dass die Strafkammer beabsichtige, die Beweisaufnahme - nach einer Verhandlungspause von zehn Tagen, die zur Vorbereitung weiterer Beweisanträge genutzt werden konnte - am 10. Oktober 2008 zu schließen.
In der nächsten, statt am 17. Oktober erst am 21. Oktober 2008 stattfindenden Hauptverhandlung stellte der Verteidiger des Angeklagten vier Beweisanträge , u.a. gerichtet auf die Vernehmung von 73 Zeugen, die von der Strafkammer am 24. Oktober 2008 - zum Teil gewertet als bloße Beweisermittlungsanträge ohne Angabe einer hinreichend konkreten Beweistatsache - zurückgewiesen wurden, ohne dass die Zurückweisung auf Prozessverschleppung gestützt wurde. Dem an diesem Tag gestellten Beweisantrag auf Vernehmung des Bruders des Angeklagten kam das Landgericht nach. Auf Frage des Vorsitzenden erklärte die Verteidigung des Angeklagten dabei, „dass sie zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Beweisanträge stellen werde, was nicht heiße, dass spä- ter keine weiteren Beweisanträge gestellt würden,“ und „dass sie weiterhin Zeugen in den Sitzungssaal stellen werde und diese für kommenden Dienstag und Freitag bereits geladen habe“. Weitere noch an diesem Hauptverhandlungstag gestellte Beweisanträge lehnte die Strafkammer ab, ebenfalls ohne die Ablehnung auf Prozessverschleppung zu stützen.
Zu Beginn der Hauptverhandlung am 28. Oktober 2008 präsentierte der Verteidiger des Angeklagten einen von ihm geladenen und auch erschienenen Zeugen und stellte zudem einen Beweisantrag auf Vernehmung von 30 der bereits zuvor benannten 73 Zeugen, nun einzeln benannt und mit konkret auf sie bezogenen Beweistatsachen. Die Strafkammer lehnte die beantragte Beweiserhebung wegen beabsichtigter Verfahrensverschleppung ab (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), weil die in den Beweisanträgen erst am 52. Verhandlungstag benannten Zeugen und Beweisthemen der Verteidigung des Angeklagten seit Beginn des Verfahrens bekannt gewesen seien.
Nach Verkündung der Ablehnungsbeschlüsse lehnte der Verteidiger des Angeklagten mit einem erkennbar vorgefertigten „Befangenheitsantrag“, in den handschriftlich lediglich noch die Daten und Uhrzeiten der Beweisanträge und Ablehnungsbeschlüsse eingetragen wurden, die Berufsrichter der Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die behauptete Besorgnis der Befangenheit wurde - ohne dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für Fristsetzung für Beweisanträge (BGHSt 51, 333, 344; BGH NStZ 2007, 716) erwähnt wurde - allgemein damit begründet, dass derjenige Richter, der nach einer von ihm selbst bestimmten Frist nicht mehr bereit sei, den vom Angeklagten vorgetragenen Beweisanträgen nachzugehen, den Eindruck erwecke, dass er die elementaren Verteidigungsrechte eines Angeklagten nicht in ausreichendem Maße würdige. „Insbesondere“ im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 246 Abs. 1 StPO lasse die am 10. Oktober 2008 erlassene Verfügung des Vorsitzenden und die am 14. Oktober 2008 verkündete Ausschlussfrist Zweifel an der Unvoreingenommenheit der zur Entscheidung berufenen Richter aufkommen.
Für die Verteidigung war jedoch klar erkennbar, dass sich die Strafkammer mit der Fristsetzung an die Vorgaben der Rechtsprechung (vgl. BGH aaO) gehalten hat, auch nach Fristablauf noch beantragte Beweiserhebungen durchgeführt hat und im Übrigen Beweisanträge nicht pauschal, sondern mit fundierter Begründung wegen Prozessverschleppung abgelehnt hat.
Angesichts des gesamten Prozessverhaltens der Verteidigung nach Abschluss des von der Strafkammer nach dem Maßstab der Aufklärungspflicht abgearbeiteten Beweisprogramms und nach Fristsetzung für weitere Beweisanträge durch die Strafkammer ist offensichtlich, dass durch die Ablehnung der Strafkammer nur das Verfahren verschleppt werden sollte.
Nack Wahl Hebenstreit RiBGH Prof. Dr. Sander ist in Urlaub und deshalb an der Unterschrift verhindert. Jäger Nack

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 6 6 / 1 5
vom
7. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 7. Juli 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kleve vom 3. November 2014 wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Einfuhr von Betäubungsmittel in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, sichergestellte 8.934 Gramm Kokain eingezogen und den Verfall von Kurierlohn in Höhe von 1.270 € angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision der Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
2
Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge, an der Entscheidung hätten Richter und Schöffen mitgewirkt, nachdem insgesamt acht gegen sie gerichtete Ablehnungsgesuche mit Unrecht verworfen worden seien (§ 338 Nr. 3 StPO). Im Zentrum steht nach den Ausführungen der Revision dabei die Rüge einer fehlerhaften Verwerfung der zeitlich letzten Ablehnung (Nr. 8), jedoch werden auch die Entscheidungen über die anderen Ablehnungsgesuche zur Überprüfung gestellt.

3
1. Der Rüge liegt folgender, von der Revision auf 141 Seiten dargelegter Sachverhalt zugrunde:
4
Die Beschwerdeführerin war am 25. Oktober 2013 bei der Einreise aus den Niederlanden mit nahezu neun Kilogramm Kokain (über 7,1 kg Cocainhydrochlorid ) festgenommen worden. Am Folgetag war ihr nach Verkündung des Haftbefehls von der Ermittlungsrichterin beim Amtsgericht Kleve Rechtsanwalt S. aus Kleve als Verteidiger beigeordnet worden. Zugrunde gelegen hatte dem der Wille der Beschwerdeführerin, sofort einen Verteidiger zur Seite gestellt zu bekommen, wobei sie aber keinen Wunsch bezüglich eines bestimmten Verteidigers geäußert hatte. Elf Tage später hatte sich Rechtsanwalt H. aus Bremen als Verteidiger gemeldet und alsbald den Antrag auf Beiordnung gestellt. Dies hatte die Haftrichterin zuerst unter Hinweis auf das bestehende Mandat von Rechtsanwalt S. abgelehnt. Nach zwischenzeitlicher Anklageerhebung hatte sodann der Vorsitzende der Strafkammer am 28. Februar 2014 dem erneut gestellten Antrag entsprochen, nachdem zuvor Rechtsanwalt S. erklärt hatte, die Angeklagte sperre sich gegen jeden Versuch, den Tatvorwurf mit ihm zu besprechen.
5
In urlaubsbedingter Abwesenheit des Vorsitzenden war sodann am 20. Mai 2014 angesichts der Gesundheitsprobleme der Angeklagten - diese hatten bereits zum Abbruch einer ersten, am 12. März 2014 begonnenen Hauptverhandlung geführt - zur Sicherung des Verfahrensablaufs eine Rechtsanwältin aus Kleve als weitere Verteidigerin bestellt worden. Die Angeklagte war dazu nicht gehört worden. Auf ihre Beschwerde hatte der Vorsitzende nach Rückkehr aus dem Urlaub am 30. Mai 2014 die Beiordnung aufgehoben, die des inzwischen von der Angeklagten mandatierten Rechtsanwalts B. aus Köln indes abgelehnt. Dies sowie die Terminierung der Sache auf nur einen Hauptverhandlungstag war Anlass für ein am 3. Juni 2014 zu Beginn der neuerlichen Hauptverhandlung gestelltes Befangenheitsgesuch (Nr. 1). Die zweite Hauptverhandlung musste aufgrund eines Zusammenbruchs der Angeklagten am 1. Juli 2014 abgebrochen werden.
6
Der erneute (dritte) Beginn der Hauptverhandlung wurde auf den 6. Oktober 2014 festgelegt. In der Nacht davor ging per Fax ein Ablehnungsgesuch (Nr. 2) ein, das darauf gestützt war, der Vorsitzende habe nicht zügig und sachgerecht über einen Antrag der Verteidigung auf Berichtigung des Protokolls der Hauptverhandlung vom 3. Juni 2014 entschieden. In der Nacht zum 11. Oktober 2014 übersandte Rechtsanwalt H. ein weiteres Ablehnungsgesuch (Nr. 3) gegen den Vorsitzenden. Anlass waren die Verhandlungsleitung und eine angebliche Bemerkung des Vorsitzenden am ersten Verhandlungstag. Die hierzu abgegebene dienstliche Erklärung des Vorsitzenden war sodann Anlass für eine weitere, am 13. Oktober 2014, dem zweiten Verhandlungstag, erklärte Ablehnung (Nr. 4). Ein weiterer Ablehnungsantrag (Nr. 5) ging in den Morgenstunden des 27. Oktober 2014 - dem vierten Verhandlungstag - ein und war darauf gestützt, dass der Vorsitzende trotz eines am Tag zuvor von Rechtsanwalt B. gestellten Antrags auf Aufhebung des Hauptverhandlungstermins , Unterbrechung der Hauptverhandlung für zwei Wochen, augenärztliche Untersuchung der Angeklagten und Zurverfügungstellung eines Computerarbeitsplatzes in der Untersuchungshaft den Termin hatte bestehen lassen.
7
Während über die Anträge Nr. 1 bis 4 jeweils gemäß § 27 Abs. 1 StPO entschieden worden war, lehnte die Kammer den Antrag Nr. 5 gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO wegen der Absicht der Prozessverschleppung ab. Gleicher- maßen verfuhr sie mit den gegen alle mitwirkenden Richter gerichteten Anträgen Nr. 6 und 7, die im Anschluss daran in der Hauptverhandlung vom 27. Oktober 2014 gestellt wurden und gestützt waren auf die Ablehnung der Unterbrechung der Hauptverhandlung zum Zweck der augenärztlichen Untersuchung der Angeklagten einerseits sowie auf Unterbrechung der Hauptverhandlung andererseits, um mit der Angeklagten eine Einlassung zur Sache vorbereiten zu können. In letzterem Zusammenhang warfen beide Verteidiger den Richtern vor, sie würden den zeitlichen Aufwand verkennen respektive ignorieren , den sie als nicht ortsansässige Verteidiger für Besuche bei der Mandantin betreiben müssten. Daneben erklärte Rechtsanwalt H. , dass er sich wegen Erschöpfung aufgrund der langen Bahnfahrt und der Terminsvorbereitung nicht mehr in der Lage sehe, der Hauptverhandlung weiter zu folgen. Daraufhin teilte der Vorsitzende mit, dass unter Umständen ein dritter, ortsnaher Verteidiger beigeordnet werden könnte, und gab der Angeklagten Gelegenheit, bis zum 29. Oktober 2014 nachmittags einen ortsansässigen Verteidiger ihrer Wahl zu benennen.
8
Am Mittwoch, dem 29. Oktober 2014 ordnete der Vorsitzende Rechtsanwalt S. aus Kleve (erneut) als Verteidiger bei. Die Bestellung von Rechtsanwalt Sp. aus Duisburg - dieser hatte sich als weiterer Wahlverteidiger gemeldet - lehnte er hingegen ab: Die Beiordnung eines weiteren, nicht ortsansässigen Verteidigers verspreche keine zusätzliche Verfahrenssicherung. Rechtsanwalt S. sei hingegen in die Sache schon eingearbeitet. Diese Entscheidung war Gegenstand des letzten Ablehnungsgesuchs (Nr. 8) gegen den Vorsitzenden, das die beiden Verteidiger für die Angeklagte am Montag, den 3. November 2014, dem fünften (und letzten) Hauptverhandlungstag , stellten und in dem sie im Wesentlichen darauf abhoben, dass die Beiordnung von Rechtsanwalt S. schon einmal wegen fehlenden Vertrauensver- hältnisses zur Mandantin hatte aufgehoben werden müssen. Auch dieses Gesuch verwarf die Strafkammer unter Mitwirkung des abgelehnten Richters wegen der mit ihm verbundenen Absicht der Prozessverschleppung (§ 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO), nahm Bezug auf die wegen der beiden zuletzt erhobenen Ablehnungsgesuche ergangenen Beschlüsse und führte ergänzend aus, es ginge "letztlich um unterschiedliche Rechtsansichten zur Bestellung eines dritten Pflichtverteidigers"; zudem sei offensichtlich, dass die Sachlage (erkennbar gemeint: die Abwägung zwischen dem Interesse der Angeklagten an einem weiteren Pflichtverteidiger ihres Vertrauens und dem der Öffentlichkeit an der Durchführung des Strafverfahrens) nach einem Jahr Untersuchungshaft im dritten Verhandlungsanlauf anders sei als bei der ersten Entpflichtung von Rechtsanwalt S. .
9
2. Die Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg.
10
a) Das letzte Ablehnungsgesuch hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen.
11
aa) Allerdings hat der Senat Bedenken gegen die Behandlung des Gesuchs als prozessverschleppend (§ 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO).
12
Die Vorschrift des § 26a StPO gestattet nur ausnahmsweise, dass ein abgelehnter Richter selbst über einen gegen ihn gestellten Befangenheitsantrag entscheidet. Voraussetzung für diese Ausnahme von dem in § 27 StPO erfassten Regelfall der Entscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters ist, dass keine Entscheidung in der Sache getroffen wird, vielmehr die Beteiligung des abgelehnten Richters auf eine echte Formalentscheidung oder die Verhinderung des Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt bleibt. Die Anwendung des § 26a StPO darf nicht dazu führen, dass der abgelehnte Richter sein eigenes Verhalten beurteilt und damit "Richter in eigener Sache" wird. Dies gilt auch für die Anwendung des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2009 - 1 StR 289/09, BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 19 mwN). Hier zeigt schon der Hinweis auf die der Beiordnungsentscheidung zugrunde liegenden Erwägungen, dass damit der abgelehnte Vorsitzende sein eigenes Verhalten beurteilt hat. Auch die Begründung, es gehe nur um unterschiedliche Rechtsansichten betreffend die Verteidigerbestellung, macht deutlich , dass der abgelehnte Richter mehr getan hat, als lediglich das eigene Verhalten im Verlauf des Prozesses zu schildern.
13
bb) Dies führt gleichwohl nicht dazu, dass das Gesuch vom Landgericht zu Unrecht verworfen worden ist.
14
Zwar kann es nicht darauf ankommen, dass vorliegend kein Anlass bestand , die Voreingenommenheit des Vorsitzenden zu besorgen, da wegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und der von der Beurteilung eines Gesuchs als zulässig oder unzulässig abhängigen Zusammensetzung der Richterbank (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2005 - 2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01, NJW 2005, 3410, 3411 f.) der Senat die Zurückweisung als unzulässig nicht durch eine solche als unbegründet ersetzen kann. Auch kann hier aus den bereits genannten Umständen das Gesuch nicht wegen eines völlig ungeeigneten - und damit im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO fehlenden - Ablehnungsgrundes verworfen werden.
15
Indes erweist sich das Gesuch wegen Verspätung als unzulässig (§ 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO). Gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO muss die Ablehnung unverzüglich, d.h. so bald wie möglich und ohne eine nicht durch die Sachlage begründete Verzögerung geltend gemacht werden, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 17. November 1999 - 2 StR 313/99, BGHSt 45, 312, 315). Dem zur Ablehnung Berechtigten ist dabei eine gewisse Zeit zum Überlegen und Abfassen des Gesuchs zuzugestehen (vgl. BGH, Urteile vom 3. Mai 1995 - 2 StR 19/95, BGHR StPO § 25 Abs. 2 Unverzüglich 3 mwN; vom 29. März 2012 - 3 StR 455/11, NStZ-RR 2012, 211). Welche Zeitspanne erforderlich, angemessen und deshalb zuzubilligen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Hier hat der Verteidiger Rechtsanwalt H. am Mittwoch, dem 29. Oktober 2014, von der Entscheidung des Vorsitzenden über die Verteidigerbestellung Kenntnis erlangt und noch am selben Tag "im Auftrag der Angeklagten" durch Fax dagegen Beschwerde eingelegt. Wie sich aus dem Schriftsatz des Verteidigers vom 30. Oktober 2014 ergibt, hat er zuvor mit der Angeklagten fernmündlich Kontakt gehabt. Angesichts der fortgeschrittenen Verfahrensdauer hätte die Beschwerdeführerin deshalb nicht bis zum Montag, dem 3. November 2014 - dem nächsten Verhandlungstag - mit der Antragstellung zuwarten dürfen.
16
b) Auch die übrigen Ablehnungsgesuche sind zu Recht verworfen worden. Dies gilt hinsichtlich der gemäß § 27 Abs. 1 StPO behandelten Gesuche: Unter Berücksichtigung der dienstlichen Erklärungen des abgelehnten Richters ist kein Umstand erkennbar, der bei vernünftiger Würdigung geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Die drei im Verlauf der Hauptverhandlung vom 27. Oktober 2014 gestellten Gesuche sind unter Mitwirkung der abgelehnten Richter ebenso zutreffend gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO wegen Prozessverschleppung abgelehnt worden.
Becker Pfister Hubert Mayer Gericke

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.