Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Okt. 2011 - 3 StR 315/11

bei uns veröffentlicht am25.10.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 315/11
vom
25. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. Oktober 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 6. April 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung in zwei Fällen, wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Bedrohung sowie wegen Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
I. Die Revision beanstandet zu Recht, das Landgericht habe seiner Entscheidung unter Verstoß gegen § 250 StPO Erkenntnisse zugrunde gelegt, die nicht durch Verlesung in die Hauptverhandlung hätten eingeführt werden dürfen.
3
1. Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
4
Das Landgericht vernahm im Verlauf der eintägigen Hauptverhandlung die Nebenklägerin zu den Tatvorwürfen. Während dieser Vernehmung wurde auf Anordnung des Vorsitzenden in Auszügen ein Bericht über die psychotraumatologische und allgemeinpsychiatrische Behandlung der Nebenklägerin verlesen , der von Ärzten eines Krankenhauses in der Trägerschaft einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung erstellt worden war. Die Verlesung wurde von keinem Verfahrensbeteiligten als unzulässig beanstandet. Ein Gerichtsbeschluss über die Verlesung erging nicht. In den Urteilsgründen zog das Landgericht den Bericht als Beleg für die Folgen der Taten und für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin heran, die in wesentlichen Teilen in Widerspruch zu denen des überwiegend nicht geständigen Angeklagten standen. Es führte aus, der Umstand, dass die Nebenklägerin von Vergewaltigungen des Angeklagten nicht sogleich berichtet habe, sei auf ihre erhebliche Traumatisierung zurückzuführen, die durch den mittels Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführten Bericht bestätigt worden sei.
5
2. Dies beanstandet die Revision zu Recht.
6
a) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist die Rüge zulässig erhoben. Es bedurfte keines Vortrags, dass in der Hauptverhandlung gegen die Anordnung des Vorsitzenden, den Bericht zu verlesen, durch den Angeklagten oder seinen Verteidiger gemäß § 238 Abs. 2 StPO auf Entscheidung der gesamten Kammer angetragen worden sei; denn ein entsprechender Antrag ist nicht Voraussetzung dafür, dass der Verstoß gegen § 250 StPO mit der Revision zulässig geltend gemacht werden kann.
7
Dem Protokoll der Hauptverhandlung lässt sich nicht entnehmen, auf welcher rechtlichen Grundlage der Bericht "auszugsweise" verlesen wurde. Es erscheint bereits fraglich, ob ein (verteidigter) Angeklagter in einem Fall, in dem hierfür mehrere Verfahrensvorschriften in Betracht kommen, überhaupt verpflichtet sein kann zu prüfen, auf welche Norm der Vorsitzende sich gestützt haben könnte, und ihm, wenn insoweit (auch) eine Vorschrift in Betracht kommt, deren fehlerhafte Anwendung nur nach Anrufung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO mit der Revision gerügt werden kann, obliegt, vorsorglich diesen Zwischenrechtsbehelf zu erheben. Doch kann dies dahinstehen; denn die Verletzung beider Bestimmungen, auf die sich der Vorsitzende hier gestützt haben könnte, kann auch ohne Vorgehen nach § 238 Abs. 2 StPO mit der Revision zulässig beanstandet werden. Im Einzelnen:
8
aa) Sollte der Vorsitzende - wofür allerdings nichts ersichtlich ist und was angesichts der Umstände eher fernliegt - § 251 Abs. 1 StPO herangezogen haben, so bedurfte seine Anordnung schon wegen der mit ihr verbundenen Kompetenzüberschreitung keiner Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO.
9
(1) Gemäß § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO obliegt es nicht dem Vorsitzenden, sondern dem gesamten Spruchkörper, über die Verlesung nach § 251 Abs. 1 StPO zu beschließen. Bedarf aber eine Maßnahme in der Hauptverhandlung von vornherein eines Gerichtsbeschlusses, so ist schon der Anwendungsbereich des § 238 Abs. 1 StPO nicht eröffnet und es besteht demgemäß kein Anlass für ein Verfahren nach § 238 Abs. 2 StPO. Dieses kann damit auch nicht Voraussetzung einer zulässigen Rüge im Revisionsverfahren sein (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1953 - 5 StR 245/53, BGHSt 4, 364, 366; Beschluss vom 20. Juli 2011 - 3 StR 44/11, NStZ 2011, 647). Einen Verstoß gegen § 250 StPO wegen einer kompetenzwidrigen Anordnung des Vorsitzenden auf der Grundla- ge des § 251 Abs. 1 StPO konnte der Angeklagte daher mit der Revision auch dann geltend machen, wenn er diese Verfahrensweise in der Hauptverhandlung nicht gemäß § 238 Abs. 2 StPO beanstandet hatte (BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 - 4 StR 657/98, NJW 1999, 1724, 1725, insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 44, 361 ff.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. September 1979 - 5 StR 531/79; Beschluss vom 26. Februar 1988 - 4 StR 51/88, NStZ 1988, 283; Beschluss vom 14. März 2000 - 4 StR 3/00, BGHR StPO § 251 Abs. 4 Gerichtsbeschluss 4).
10
(2) Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsprechung des 1. Strafsenats zuzustimmen wäre, wonach die Verletzung eines Rechts, auf das der Angeklagte nach seinem Belieben verzichten kann, mit der Revision nur rügbar ist, wenn der Angeklagte zuvor nach § 238 Abs. 2 StPO auf eine Entscheidung des gesamten Spruchkörpers angetragen hat (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300, 301). Zwar folgt aus § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO, dass der Angeklagte unter den dort näher bestimmten Umständen auf die Einhaltung des Grundsatzes der persönlichen Vernehmung nach § 250 StPO verzichten kann. § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO lässt aber einen Verzicht des Angeklagten (und seines Verteidigers) nicht genügen, sondern fordert ausdrücklich das Einverständnis der Staatsanwaltschaft und eine durch Beschlussfassung dokumentierte Ermessensentscheidung des gesamten Spruchkörpers zugunsten der Verlesung. Steht die Abweichung von einem Prozessgrundsatz unter solchen qualifizierten Voraussetzungen, so gibt das Gesetz damit zu erkennen , dass von seiner Einhaltung nicht formlos durch allseitiges Schweigen auf eine Anordnung des Vorsitzenden abgesehen werden kann. Entsprechend greifen die Erwägungen des 1. Strafsenats in dieser Konstellation nicht, ohne dass der Senat entscheiden müsste, ob er sich dem vom 1. Strafsenat vertretenen Ansatz als solchem anzuschließen vermöchte.
11
bb) Aber auch dann, wenn sich der Vorsitzende - was näher liegt - für die teilweise Verlesung des Berichts auf § 256 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a oder Nr. 2 StPO gestützt haben sollte, könnte der Angeklagte mit seiner Revision zulässig geltend machen, dass die Voraussetzungen dieser Bestimmungen für die Verlesung des Berichts nicht vorgelegen haben, obwohl er dies in der Hauptverhandlung nicht durch Anrufung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO beanstandet hat (im Ergebnis ebenso BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 - 4 StR 657/98, NJW 1999, 1724, 1725, insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 44, 361 ff.).
12
Zwar trifft die Anordnung über die Verlesung eines Schriftstücks nach § 256 Abs. 1 StPO der Vorsitzende im Rahmen seiner Sachleitungsbefugnis nach § 238 Abs. 1 StPO (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 256 Rn. 29). Soweit er hierbei über die Zulässigkeit der Verlesung befindet, hat er indes nach den bindenden Vorgaben des § 256 Abs. 1 StPO die gegebenen Verfahrenstatsachen unter die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm zu subsumieren. Es handelt sich insoweit mithin um die Anwendung zwingenden Rechts. Die Verletzung zwingenden Rechts oder das Unterlassen unverzichtbarer Maßnahmen durch den Vorsitzenden kann ein Revisionsführer nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber auch dann rügen, wenn er in der tatrichterlichen Hauptverhandlung nicht nach § 238 Abs. 2 StPO vorgegangen ist (BGH, Urteil vom 7. März 1996 - 4 StR 737/95, BGHSt 42, 73, 77 f.; Beschluss vom 9. März 2010 - 4 StR 606/09, BGHSt 55, 65, 69; s. etwa auch BGH, Urteil vom 11. November 2009 - 5 StR 530/08, BGHSt 54, 184, 185; Beschluss vom 27. April 2010 - 5 StR 460/08, StV 2010, 562; Beschluss vom 18. Januar 2011 - 3 StR 504/10, NStZ-RR 2011, 151). Es liegt somit keine Fallgestaltung vor, in der die Rechtsprechung die Erhebung eines Zwischenrechtsbehelfs nach § 238 Abs. 2 StPO deshalb als Zulässigkeitsvoraussetzung einer späteren entspre- chenden Revisionsrüge erachtet, weil dem Vorsitzenden bei der Bewertung der tatbestandlichen Voraussetzungen seiner prozessleitenden Anordnung ein Beurteilungsspielraum oder auf der Rechtsfolgenseite Ermessen zusteht, und die rechtsmittelbefugten anderen Prozessbeteiligten durch die Nichtbeanstandung der Maßnahme zu erkennen gegeben haben, dass sie den dem Vorsitzenden zustehenden Entscheidungsspielraum durch seine Anordnung nicht in unzulässiger Weise als überschritten ansehen (BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, BGHSt 51, 144, 148; Beschluss vom 27. April 2010 - 1 StR 155/10; noch offen BGH, Urteil vom 27. Oktober 2005 - 4 StR 235/05, BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 7; vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. März 2010 - 4 StR 606/09, BGHSt 55, 65, 69: "Bewertung der tatsächlichen Grundlagen" eines Verlöbnisses im Hinblick auf § 52 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 StPO). Die Revision macht nicht geltend, der Vorsitzende habe das ihm durch § 256 Abs. 1 StPO eingeräumte Ermessen ("Verlesen werden können …") in unzulässiger Weise ausgeübt, sondern vielmehr, dass er die zwingenden tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Verlesung nach dieser Vorschrift verkannt habe.
13
Hinzu kommt hier folgendes: Wird gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO ein ärztliches Attest verlesen, so wird sich regelmäßig erst in der Urteilsberatung ergeben, ob das Gericht das Schriftstück allein zum Nachweis einer Körperverletzung , die nicht zu den schweren gehört, heranzieht oder - unter Überschreitung der durch die Bestimmung gezogenen Grenzen - unzulässig als Beleg für darüber hinausgehende Umstände verwertet. Für den Angeklagten wird ein solcher Rechtsfehler erst aus den schriftlichen Urteilsgründen ersichtlich, mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem er von dem Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO keinen Gebrauch mehr machen kann. Dieser kann daher schwerlich Zulässigkeitsvoraussetzung einer Rüge der Verletzung des § 250 StPO sein (vgl.
BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2008 - 3 StR 429/08, BGHR StPO § 59 Abs. 1 Rügevoraussetzungen 2; ähnlich BGH, Urteil vom 29. März 1955 - 2 StR 406/54, BGHSt 7, 281, 282 f.). Zwar lag der Sachverhalt hier ausnahmsweise anders, weil der verlesene Bericht keine Aussagen zu einer Körperverletzung enthielt, die nicht zu den schweren zählt, so dass seine Verlesung nicht auf § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO gestützt werden konnte. Dies rechtfertigt indes keine Relativierung obiger Überlegungen; denn im Interesse der Rechtsklarheit muss die Frage, ob die zulässige Rüge einer Verletzung von § 256 Abs. 1 Nr. 2, § 250 StPO die Erhebung des Zwischenrechtsbehelfs nach § 238 Abs. 2 StPO in der tatrichterlichen Hauptverhandlung voraussetzt, nicht nach - tatsächlich schwer abgrenzbaren - Einzelfallumständen entschieden, sondern einheitlich behandelt werden.
14
b) Die Verfahrensrüge ist auch begründet.
15
Die Vernehmung der die Nebenklägerin behandelnden Ärzte durfte nach § 250 StPO nicht durch die Verlesung ihrer schriftlichen Erklärung ersetzt werden. Einer der in § 251 StPO oder § 256 Abs. 1 StPO genannten Fälle, der die Einführung mittels Urkundenbeweises ausnahmsweise erlaubte, lag nicht vor. Insbesondere handelte es sich bei dem Bericht weder um das Zeugnis oder Gutachten einer öffentlichen Behörde noch diente er zum Nachweis einer Körperverletzung , die nicht zu den schweren gehört. Vielmehr zog ihn das Landgericht als Beleg für die Folgen insbesondere der von ihm festgestellten Vergewaltigungen und für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin heran.
16
Das Urteil beruht auf dem Verstoß gegen § 250 StPO. Es ist nicht auszuschließen , dass das Landgericht die Folgen der von ihm festgestellten Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und die Glaubhaftigkeit der für eine Verurteilung in allen Fällen maßgeblichen Angaben der Nebenklägerin anders ein- geschätzt hätte, wenn es sich über das Vorliegen bzw. Art und Umfang einer Traumatisierung als einem medizinischen Befund prozessordnungsgemäß durch Vernehmung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen unterrichtet hätte.
17
II. Das Urteil ist auf die zulässige und begründete Verfahrensrüge insgesamt mit den von der Gesetzesverletzung betroffenen Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO), ohne dass es noch auf die von der Revisionweiter vorgetragenen Beanstandungen ankäme. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
18
Ob deutsches Strafrecht nach den §§ 3 ff. StGB Anwendung findet, ist nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens offen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Nebenklägerin - wie für eine Eröffnung der deutschen Strafgewalt nach § 7 Abs. 1 StGB erforderlich - deutsche Staatsangehörige ist. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB, dem das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege zugrunde liegt (BGH, Urteil vom 7. Februar 1995 - 1 StR 681/94, NJW 1995, 1844, 1845), ist bisher nicht hinreichend geklärt. Zum einen fehlen Erkenntnisse dazu, der Angeklagte werde, obwohl die Tat auslieferungsfähig sei, nicht ausgeliefert, weil ein Auslieferungsersuchen innerhalb angemessener Frist nicht gestellt oder abgelehnt oder die Auslieferung nicht ausführbar sei. Zum anderen ist unklar, ob die vom Angeklagten begangenen Taten in der Türkei mit Strafe bedroht sind, wobei der Senat dazu neigt, trotz des für alle Varianten des § 7 StGB einheitlichen Bezugs auf eine "am Tatort mit Strafe" bedrohte Tat im Falle des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB die Zuständigkeit der deutschen Strafgerichte davon abhängig zu machen, dass die Tat am Tatort nicht nur strafbar, sondern auch verfolgbar ist (offen BGH, Beschluss vom 24. Juni 1992 - StB 8/92, BGHR StGB § 7 Abs. 2 Strafbarkeit 1; Beschluss vom 31. März 1993 - StB 4/93, BGHR StGB § 7 Abs. 2 Strafbarkeit 2; Beschluss vom 8. März 2000 - 3 StR 437/99, BGHR StGB § 7 Abs. 2 Strafbarkeit

4).


19
Sollte das Landgericht sich von der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nicht überzeugen können, wird das Verfahren in den Fällen II. 2. a) und II. 2. b) wegen eines von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernisses im Sinne des § 260 Abs. 3 StPO einzustellen sein (BGH, Urteil vom 22. Januar 1986 - 3 StR 472/85, BGHSt 34, 1, 3; Urteil vom 7. Februar 1995 - 1 StR 681/94, NJW 1995, 1844, 1845).
Becker Hubert Schäfer Mayer Menges

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Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,

1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind;
2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen;
3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann;
4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.

(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn

1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen;
2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann;
3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.

(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,

1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind;
2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen;
3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann;
4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.

(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn

1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen;
2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann;
3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.

(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 44/11
vom
20. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubs u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 20. Juli 2011 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 22. April 2010, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt und den Maßstab für die Anrechnung in den Niederlanden erlittener Untersuchungshaft auf 1:1 bestimmt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung formellen sowie materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

I.

2
Die Revision beanstandet zu Recht, dass die Kammer über einen Beweisantrag entgegen § 244 Abs. 6 StPO nicht in der Hauptverhandlung, sondern erst im Urteil entschieden hat.
3
1. Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
4
Die Hauptverhandlung begann am 8. November 2007. Am 26. November 2009 verkündete der Vorsitzende seine Entscheidung, den Prozessbeteiligten "für das Stellen von Beweisanträgen eine Frist bis zum 02.12.2009" zu setzen. Die Kammer behalte sich vor, danach gestellte Beweisanträge ohne gesonderten Beschluss erst im Urteil zu bescheiden und sie insbesondere wegen Verschleppungsabsicht abzulehnen. In einem ebenfalls am 26. November 2009 verkündeten Beschluss führte die Kammer unter anderem näher aus, dass das Verhalten der Verteidiger des Mitangeklagten den Verdacht nahe lege, ein Beweisantrag sei mit Verschleppungsabsicht gestellt worden. In einem weiteren Beschluss vom 19. April 2010 teilte die Kammer mit, weitere Beweisanträge erst in den Urteilsgründen zu bescheiden, "sofern der jeweilige Antragsteller nicht substantiiert darlegt, warum ihm eine frühere Antragstellung nicht möglich gewesen ist oder dies sonst ersichtlich ist". In den Gründen des Beschlusses legte die Kammer unter Darstellung des bisherigen Verfahrensablaufs dar, dass es dem Wahlverteidiger des Mitangeklagten bei einer Antragstellung um Prozessverschleppung gegangen sei. Am selben Hauptverhandlungstag beantragte ein Verteidiger des Mitangeklagten, den Zeugen D. (zu einer die Glaubwürdigkeit eines Mittäters betreffenden Hilfstatsache) zu vernehmen. Diesem Antrag schloss sich der Verteidiger des Angeklagten an. Die Kammer lehnte den Antrag erst in den Urteilsgründen mit der Begründung ab, er sei zur Prozessverschleppung gestellt worden.
5
2. Die Rüge, welche die in der Hauptverhandlung unterbliebene Bescheidung des Beweisantrags betrifft, ist zulässig erhoben. Ihre Zulässigkeit setzt nicht voraus, dass die durch den Vorsitzenden bestimmte Frist zunächst nach § 238 Abs. 2 StPO beanstandet wird. Eine derartige Beanstandung kann regelmäßig nur dann Voraussetzung einer Revisionsrüge sein, wenn sich diese gegen eine sachleitende Anordnung des Vorsitzenden richtet (vgl. KK/Schneider, StPO, 6. Aufl., § 238 Rn. 29; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 238 Rn. 43). Gegenstand der Rügen ist hier jedoch nicht die Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen durch den Vorsitzenden als solche, sondern die unterbliebene Bescheidung des Antrags in der Hauptverhandlung.
6
Dieses Unterlassen selbst bedurfte keiner Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO. Für das tatsächlich als Beweisantrag zu qualifizierende Beweisbegehren auf Vernehmung des Zeugen D. ergibt sich dies bereits daraus, dass dessen Ablehnung nach § 244 Abs. 6 StPO einen Gerichtsbeschluss erfordert hätte.
7
3. Die genannte Verfahrensrüge ist begründet.
8
a) Die vor der Urteilsverkündung unterbliebene Bescheidung des Antrags war fehlerhaft. Der Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen D. hätte gemäß § 244 Abs. 6 StPO nur durch einen in der Hauptverhandlung bekannt gemachten Gerichtsbeschluss abgelehnt werden dürfen. Hiervon durfte die Kammer nicht absehen.
9
Der Bundesgerichtshof hat zwar in verschiedenen Entscheidungen die Möglichkeit aufgezeigt, unter bestimmten Voraussetzungen eine Frist zu setzen , in der Beweisanträge zu stellen sind, und eine verspätete Antragstellung als Indiz für eine Verschleppungsabsicht im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 6 StPO zu werten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2007 - 1 StR 32/07, BGHSt 51, 333, 344 f.; vom 19. Juni 2007 - 3 StR 149/07, NStZ 2007, 716; vom 23. September 2008 - 1 StR 484/08, BGHSt 52, 355, 361 ff.; vom 10. November 2009 - 1 StR 162/09, NStZ 2010, 161 f.; s. auch BVerfG, Beschlüsse vom 6. Oktober 2009 - 2 BvR 2580/08, NJW 2010, 592 ff.; vom 24. März 2010 - 2 BvR 2092/09 (u.a.), NJW 2010, 2036 f.). Doch enthebt dies das Gericht auch bei Anträgen, die nach Ablauf der Frist gestellt sind, nicht von der Pflicht, über diese in der gesetzlich vorgesehenen Weise zu entscheiden (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 162/09, aaO).
10
Ob gleichwohl darüber hinaus in extrem gelagerten Fällen eine Bescheidung von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung ausnahmsweise entbehrlich sein kann (so BGH, Beschluss vom 14. Juni 2005 - 5 StR 129/05, NJW 2005, 2466, 2468 f.), muss der Senat hier nicht entscheiden. Der zitierte Beschluss betrifft den Sonderfall massenhaft gestellter Beweisanträge, die erkennbar darauf abzielten, das Tatgericht allein schon durch die notwendige (einkalkuliert negative) Bescheidung der Anträge und nicht durch Beweiserhebungen nach Maßgabe der Anträge am Abschluss des Verfahrens zu hindern (vgl. LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 283). Für diese Konstellation hat der 5. Strafsenat erwogen, dass den Verfahrensbeteiligten eine Frist zur Entgegennahme von Beweisanträgen gesetzt und mit eingehender Begründung die pauschale Ablehnung nach Fristablauf gestellter Anträge wegen Verschleppungsabsicht vorab beschlossen werden könne; die nach Fristablauf angebrachten Anträge überprüfe das Tatgericht dann vornehmlich unter Aufklärungsgesichtspunkten , bescheide sie aber - so sie nicht doch Anlass zu weiterer Beweiserhebung unter diesem Gesichtspunkt bieten - wie Hilfsbeweisanträge erst im Urteil, wobei auch der Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht nicht ausgeschlossen sei. Der 5. Strafsenat hat allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Verfahrensweise in der Regel allenfalls dann in Betracht gezogen werden könne, wenn zuvor gestellte Beweisanträge wiederholt wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden mussten.
11
Damit ist der hier zu beurteilende Sachverhalt schon im Ansatz nicht vergleichbar. Zudem hat sich die Kammer in ihren Beschlüssen vom 26. November 2009 und 19. April 2010 ausführlich lediglich mit dem Verteidigungsverhalten des Mitangeklagten, nicht aber dem des Angeklagten befasst. Eine "‚vor die Klammer gezogene’ Vorabinformation über die zukünftigen Ablehnungsgründe" (BGH, Beschluss vom 14. Juni 2005 - 5 StR 129/05, aaO) ergibt sich hieraus in Bezug auf eine etwaige Prozessverschleppung durch den Angeklagten oder seinen Verteidiger nicht.
12
b) Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler, da die Entscheidung ohne die Gesetzesverletzung möglicherweise anders ausgefallen wäre. Es ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte und sein Verteidiger den Vorwurf der Prozessverschleppung hätten entkräften oder weitere Anträge hätten stellen können, wenn sie den Ablehnungsgrund gekannt hätten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. April 1986 - 4 StR 161/86, NStZ 1986, 372; vom 7. Dezember 1979 - 3 StR 299/79 (S), BGHSt 29, 149, 152). Da sich die Kammer in ihren Beschlüssen im Wesentlichen mit der Verschleppungsabsicht der Verteidigung des Mitangeklagten befasste, konnten der Angeklagte und sein Verteidiger in der Hauptverhandlung nicht auf die erst in den Urteilsgründen genannten Gesichtspunkte , die sie betrafen, reagieren.
13
Dass die begehrte Beweiserhebung im Falle ihrer Durchführung ohne Einfluss auf das Urteil geblieben wäre, vermag der Senat nicht festzustellen, weil er das Beweisergebnis nicht vorwegnehmen kann (vgl. KK/Kuckein, StPO, 6. Aufl., § 337 Rn. 38). Anders als bei anderen Anträgen hat die Kammer gerade nicht darauf abgestellt, dass die Tatsachen, für die der Zeuge D. benannt worden ist, für die Entscheidung ohne Bedeutung gewesen wären und das Urteil nicht geändert hätten.

II.


14
Das Urteil ist auf die dargelegte zulässige und begründete Verfahrensrüge hin aufzuheben. Eine nähere Erörterung der in die gleiche Richtung zielenden und ebenfalls begründeten Rüge, dass weder der Vorsitzende noch die Kammer über den Beweisermittlungsantrag auf Vernehmung von Rechtsanwalt K. entschieden hat, ist daher entbehrlich. Auf die weiteren Verfahrensrügen kommt es ebenso wenig an wie auf die Sachrüge, die keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Becker Pfister von Lienen Mayer Menges

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.

(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,

1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind;
2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen;
3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann;
4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.

(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn

1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen;
2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann;
3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.

(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 3/00
vom
14. März 2000
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 14. März 2000 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 23. Juli 1999
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen und der unerlaubten Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe schuldig ist;
b) in den Aussprüchen über die in den Fällen II 1 bis 6 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen und über die Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs
Fällen und wegen Vergehens gegen das Waffengesetz" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
1. Die auf eine Verletzung der Vorschriften der §§ 250 Satz 2, 251 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO gestützte Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 7. Februar 2000 bemerkt der Senat:
Die Revision beanstandet zwar zu Recht, daß die Verlesung der Niederschrift über die polizeiliche Vernehmung des Zeugen Talal A.-K. v om 12. November 1998 durch eine - in der Sitzungsniederschrift als "Vorsitzendenbeschluß" bezeichnete - Verfügung der Vorsitzenden angeordnet wurde und nicht, wie es nach § 251 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO geboten gewesen wäre, durch einen mit Gründen versehenen Beschluß des Gerichts (vgl. Kleinknecht /Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 251 Rdn. 37, 38 m.N.). Auf diesem Verstoß kann das Urteil aber nicht beruhen:
Die Verlesung der Vernehmungsniederschrift war nämlich nach § 251 Abs. 2 Satz 2 StPO gerechtfertigt, da der Zeuge in absehbarer Zeit nicht gerichtlich vernommen werden konnte, weil sein Aufenthaltsort nicht zu ermitteln war. Dieser Verlesungsgrund war allen Verfahrensbeteiligten bekannt, denn die Vorsitzende hatte, bevor sie auf Anregung des Verteidigers und nach Anhörung der übrigen Verfahrensbeteiligten die Verlesung anordnete, im einzelnen mitgeteilt, welche Versuche unternommen worden waren, den Aufenthalt des
Zeugen zu ermitteln. Daher kann hier - anders als im Falle einer einverständlichen Verlesung der polizeilichen Vernehmung eines für das Gericht erreichbaren Zeugen gemäß § 251 Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. NStZ 1988, 283) - ein Beruhen des Urteils auf der rechtsfehlerhaften Anordnung der Verlesung, die wegen der Unerreichbarkeit des Zeugen im Hinblick auf die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO geboten war, ausgeschlossen werden. Die Verwertung der verlesenen Aussage des Zeugen hat sich im übrigen nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt.
2. Die Sachbeschwerde führt jedoch zur Ä nderung des Schuldspruchs in den Fällen II 1 bis 6 der Urteilsgründe und zur Aufhebung der Aussprüche über die in diesen Fällen verhängten Gesamtstrafe; im übrigen hält das Urteil sachlich -rechtlicher Nachprüfung stand.

a) Die Revision beanstandet zu Recht die Annahme einer bandenmäßigen Tatbegehung im Sinne des § 30 a Abs. 1 BtMG in den sechs Fällen des Handeltreibens mit Kokain (jeweils mindestens 50 g):
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die Verbindung zu einer Bande voraus, daß sich mindestens zwei Personen mit dem ernsthaften Willen zusammengeschlossen haben, künftig für eine gewisse Dauer selbständige , im einzelnen noch ungewisse Straftaten der in den §§ 30 Abs. 1 Nr. 1, 30 a Abs. 1 BtMG genannten Art zu begehen (BGHSt 42, 255, 257 f.; BGH StV 1998, 599 jew.m.w.N.). Erforderlich ist - über die mittäterschaftliche Arbeitsteilung im jeweiligen Individualinteresse hinaus - ein Handeln mit gefestigtem Bandenwillen (BGHSt 42, 255, 259), wobei für den auf gewisse Dauer angelegten und verbindlichen Gesamtwillen kennzeichnend ist, daß die Mittä-
ter ein gemeinsames übergeordnetes (Banden-)Interesse verfolgen (BGH StV 1998, 599 m.N.). Daß der Angeklagte und sein Mittäter Ahmed Z. mit einem solchen gefestigten Bandenwillen handelten, ist durch die Feststellungen jedoch nicht belegt.
Der Entschluß des Angeklagten und seines Mittäters, "zukünftig in einer eigenen Gruppe gemeinsam Drogengeschäfte mit Kokain auf längere Sicht zu betreiben, um aus den Geschäften laufende Geldeinnahmen zu erzielen", vermag die Annahme eines übergeordneten (Banden-)Interesses ebensowenig zu rechtfertigen, wie ihr arbeitsteiliges Vorgehen bei der Ausführung der Drogengeschäfte. Dies gilt auch für die Anmietung der Wohnung durch Ahmed Z. , in der dieser wohnte und in der das in einem Fall von Ahmed Z. , in den weiteren fünf Fällen vom Angeklagten beschaffte Kokain verwahrt und für den Verkauf portioniert wurde. Das dem zugrundeliegende Interesse der Angeklagten an einer "bessere(n) Organisation und Abwicklung ihrer gemeinsamen Drogengeschäfte" kennzeichnet jedes nicht nur kurzfristige mittäterschaftliche Zusammenwirken. Diesem gemeinsamen Interesse kommt daher ebenso wie dem Umstand, daß Ahmed Z. "gute Kontakte zu Drogenkonsumenten und Drogenzwischenhändlern" hatte, kein entscheidendes Gewicht zu, da weder mittäterschaftliche Begehung noch ein eingespieltes Bezugs- und Absatzsystem die Annahme einer Bande rechtfertigen (vgl. BGH StV 1998, 599). Auch das Vorliegen einer gemeinsamen Kasse vermag entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts unter den hier gegebenen Umständen die Annahme des Landgerichts, daß sich der Angeklagte und Ahmed Z. "zu einem übergeordneten Zweck zusammengeschlossen haben", nicht zu rechtfertigen. Zwar kann das Vorliegen einer gemeinsamen Kasse grundsätzlich ein gewichtiges Indiz für die Verfolgung eines übergeordneten (Banden-)Interesses sein (vgl.
BGH NStZ-RR 1997, 375; BGH StV 1998, 599 jew.m.w.N.), wobei aber bei einer Verbindung von nur zwei Personen an das Gewicht solcher Indizien für die Annahme einer über bloße Mittäterschaft hinausgehenden kriminellen Zusammenarbeit erhöhte Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGH StV 1999, 434). Der Führung der gemeinsamen Kasse, in der die erzielten Verkaufserlöse zunächst eingelegt wurden, kommt hier ein solches Gewicht nicht zu. Der Angeklagte und sein Mittäter verfolgten vielmehr auch insoweit ihre individuellen Interessen an dem Erzielen von Verkaufserlösen als (zusätzliche) Einkommensquelle , denn die gemeinsame Kasse diente letztlich nur der Vereinfachung der Teilung des nach Abzug der Kosten verbliebenen Gewinnes.
Nach dem rechtsfehlerfrei festgestellten Sachverhalt ist der Angeklagte in den Fällen II 1 bis 6 jedoch jeweils des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) schuldig. Der Senat ändert daher den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 StPO steht, da mit der bandenmäßigen Begehung im Sinne des § 30 a Abs. 1 BtMG lediglich ein erschwerender Umstand wegfällt, nicht entgegen (BGH NStZ-RR 1997, 375).

b) Soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall II 7 der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei wegen eines Vergehens nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 a Buchst. a) WaffG verurteilt hat, faßt der Senat den Schuldspruch dahin neu, daß der Angeklagte insoweit der unerlaubten Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe schuldig ist. Da das Gesetz hier keine Bezeichnungen bereitstellt, ist nach allgemeinen Regeln eine anschauliche und verständliche Wortbezeichnung zu wählen (vgl. BGHR WaffG § 53 Abs. 3 Munition 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 260 Rdn. 23).

c) Die Ä nderung des Schuldspruchs in den Fällen II 1 bis 6 der Urteilsgründe nötigt zur Aufhebung der in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe.
Dagegen kann die im Fall II 7 verhängte Einzelfreiheitsstrafe von neun Monaten bestehen bleiben, da auszuschließen ist, daß sich der zur Aufhebung der übrigen Strafen führende Rechtsfehler auch auf die Bemessung dieser Einzelstrafe ausgewirkt hat.
Meyer-Goßner Maatz Kuckein Athing Ernemann

(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,

1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind;
2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen;
3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann;
4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.

(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn

1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen;
2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann;
3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.

(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 422/10
vom
14. Dezember 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Dezember 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Wuppertal vom 22. März 2010 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte war faktischer Geschäftsführer einer nominell von seiner früheren Ehefrau geführten Firma, die im Zusammenhang mit dem Handel mit gebrauchten Baumaschinen und Lastkraftwagen in ein näher beschriebenes, über Jahre bundesweit praktiziertes Steuerhinterziehungssystem einbezogen war. Insgesamt wurde allein Umsatzsteuer - ebenfalls hinterzogene Einkommenund Gewerbesteuer sind nicht mehr Verfahrensgegenstand - in Höhe von mehr als 1,5 Millionen € sowohl durch die Verschleierung von Umsätzen als auch durch unberechtigten Vorsteuerabzug auf der Grundlage fingierter Rechnungen hinterzogen.
2
Auf dieser Grundlage wurde der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision erhebt eine Verfahrensrüge in Zusammenhang mit einem Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO) und die näher ausgeführte Sachrüge. Sie bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Zur Verfahrensrüge:
4
Auf Anordnung des Vorsitzenden wurde ein Selbstleseverfahren durchgeführt , das sich auf eine zwei Seiten umfassende Tabelle bezog, die von der Überschrift: „Vorsteuerbeträge aus Rechnungseingängen der Firmen G. GmbH + T. GmbH / 2000 bis 2004“ abgesehen, weitgehend aus Zahlen besteht.
5
Hieran knüpft die Revision an:
6
Der aus Syrien stammende Angeklagte verfügt ausweislich der Urteilsgründe „über keine Schulbildung, kann nicht Lesen und Schreiben“. Ergänzend heißt es an anderer Stelle der Urteilsgründe, nach Angaben der früheren Ehefrau könne er „nur ein paar Worte und im übrigen nur Zahlen lesen“. Ergänzend trägt die Revision näher vor, dass und warum die (mit dem die Revision begründenden Verteidiger nicht identische) Verteidigerin im damaligen Hauptverhandlungstermin der Auffassung war, nähere Erläuterungen gegenüber dem Angeklagten zu diesem Selbstleseverfahren seien nicht erforderlich. Insgesamt, so die Revision , komme „ein Selbstleseverfahren mit einem leseunkundigen Angeklagten … nicht in Betracht“. Nachdem der Generalbundesanwalt die Zulässigkeit der Rüge bezweifelt hat, weil ein Widerspruch gegen die Anordnung des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht erhoben worden sei, hat die Revision erwidert (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO), nicht die Anordnung des Selbstleseverfahrens sei fehlerhaft gewesen, sondern dessen Durchführung.
7
a) Der Vorsitzende bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen, ob ein Selbstleseverfahren durchzuführen ist (Mosbacher in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 64). Dabei sind auch - hier, wie die Revision zutreffend vorträgt , schon im Ermittlungsverfahren aktenkundig gewordene - Anhaltspunkte für Analphabetismus in die Erwägungen einzubeziehen (vgl. Mosbacher aaO Rn. 85). Einen Rechtssatz, dass in derartigen - nach forensischer Erfahrung nicht häufigen - Fällen ein Selbstleseverfahren keinesfalls zulässig sei, gibt es nicht. Wird ein solches - hier zwei Aktenseiten betreffendes - Verfahren für zweckmäßig gehalten, so ist die Situation damit vergleichbar, dass der Angeklagte Urkunden zwar lesen, aber mangels Sprachkenntnissen nicht verstehen kann. Auch dann ist ein Selbstleseverfahren möglich, jedoch muss das Gericht ermöglichen, dass ihm der Inhalt der Urkunde zur Kenntnis gebracht wird (vgl. Mosbacher aaO Rn. 80). Jedoch kann, von den hier nicht in Rede stehenden Richtern abgesehen , jeder Verfahrensbeteiligte, also auch der Angeklagte, auch darauf verzichten , vom Inhalt der Urkunden Kenntnis zu nehmen (vgl. Mosbacher aaO Rn. 82). Verzichtet er nicht, kann der Inhalt gegebenenfalls durch einen hierzu bereiten Verteidiger zur Kenntnis gebracht werden, sonst auf andere Weise. Es ist dem Strafprozessrecht auch sonst nicht fremd, dass erforderlichenfalls Urkunden vorgelesen werden (vgl. § 35 Abs. 3 StPO; zur Notwendigkeit des Vorlesens auch unter anderen als den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen vgl. Graalmann-Scheerer aaO § 35 Rn. 27).
8
b) Weder auf (etwaige) Fehler bei der Anordnung, noch bei der Durchführung des Selbstleseverfahrens kann mit Erfolg eine Verfahrensrüge gestützt werden , wenn zuvor kein Gerichtsbeschluss herbeigeführt wurde. Hinsichtlich der Anordnung ist eine Entscheidung des gesamten Spruchkörpers gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO herbeizuführen, bei der das Ermessen des Spruchkörpers an die Stelle des Ermessens des Vorsitzenden tritt (Mosbacher aaO Rn. 76). Geht es nicht um die Anordnung, sondern die ebenfalls zunächst vom Vorsitzenden zu bestimmende Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens (Mosbacher aaO Rn. 81), ist eine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeizuführen, wobei dann nur die Rechtmäßigkeit, nicht aber die Zweckmäßigkeit der beanstandeten Maßnahme zu überprüfen ist (Mosbacher aaO Rn. 103). Hier ist weder das eine noch das andere geschehen. Daher ist für eine Verfahrensrüge im Zusammen- hang mit dem Selbstleseverfahren kein Raum (Mosbacher aaO Rn. 110; Kindhäuser NStZ 1987, 529, 531< § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO>; Mosbacher aaO Rn. 114 <§ 238 Abs. 2 StPO>). Soweit keine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde, ist ergänzend auf folgendes hinzuweisen: Der Bundesgerichtshof hat offen gelassen, ob eine Rüge auch dann daran scheitert, dass keine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde, wenn die behauptete Rechtsverletzung durch den Vorsitzenden nicht mehr mit der Einhaltung „der unumstößlichen, eindeutigen Grenzen zulässiger Verfahrensgestaltung“ vereinbar wäre (BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, JR 2007, 381, 384). Der Senat braucht dieser Frage hier ebenfalls nicht näher nachzugehen, da es hier um die Wahrung eines Rechts geht, auf das der Angeklagte, wie dargelegt, nach seinem Belieben verzichten kann, ohne dass mit einem solchen Verzicht Prozessrecht verletzt wäre. Wird die Verletzung eines derartigen Rechts gerügt, bleibt es bei dem Grundsatz, dass eine solche Rüge nur Erfolg haben kann, wenn eine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde.
9
2. Mit der Sachrüge macht die Revision geltend, es bleibe unklar, auf welcher Feststellungsgrundlage die mitgeteilten Umsatzsteuerverkürzungen der Höhe nach berechnet seien. Insoweit ist der Revision zuzugestehen, dass die Urteilsgründe nicht ausdrücklich ergeben, wie hoch die Umsätze waren, die den vom Angeklagten begangenen Umsatzsteuerhinterziehungen zu Grunde lagen. Dies gefährdet hier allerdings den Bestand des Urteils nicht.
10
Es ist zu differenzieren:
11
a) Soweit unberechtigter Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) auf der Grundlage von Scheinrechnungen erfolgte, reichte es für die Sachdarstellung in den Urteilsgründen aus, dass dessen Höhe beziffert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 420/10). Aus dem Umstand, dass vorliegend den Scheinrechnungen keine tatsächlich erbrachten Leistungen zu Grunde lagen, folgt, dass der gesamte aus diesen Scheinrechnungen geltende gemachte Vorsteuerabzug zu Unrecht erfolgte. Besonderheiten des Einzelfalls, die vorliegend weitere Darlegungen erforderlich gemacht hätten, sind nicht ersichtlich.
12
b) Soweit Umsatzsteuer dadurch verkürzt wurde, dass in den Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen des Unternehmens steuerbare Umsätze verschwiegen wurden, wären demgegenüber - nicht mit erkennbarem Mehraufwand verbundene - Feststellungen zur Höhe der verschwiegenen Umsätze sachgerecht gewesen, um den Senat auch ohne aufwändige eigene Bemühungen die von ihm auf ihre rechtliche Tragfähigkeit zu überprüfenden tatsächlichen Grundlagen des Urteils erkennen zu lassen. Unter den gegebenen Umständen gefährdet dieser Mangel hier den Bestand des Urteils jedoch nicht:
13
Die Überzeugung von der Richtigkeit der im Urteil festgestellten Besteuerungsgrundlagen kann das Tatgericht auch anhand eines Geständnisses des Angeklagten, das das Tatgericht überprüft hat, oder anhand von verlässlichen Wahrnehmungen von Beamten der Finanzverwaltung, die diese in der Hauptverhandlung als Zeuge berichten, gewinnen. Angaben von Beamten der Finanzverwaltung zu tatsächlichen Gegebenheiten können - wie bei sonstigen Zeugen auch - taugliche Grundlage der Überzeugung des Tatgerichts sein (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, NJW 2009, 2546 Rn. 18 f.).
14
Erweist sich - wie hier - die Berechnung der verkürzten Steuern auf Grundlage der so getroffenen Feststellungen als einfacher Rechenschritt (die festgestellte Hinterziehungssumme stellt nach dem zur Tatzeit geltenden Umsatzsteuersatz 16 % des zu Grunde liegenden Umsatzes dar), kann die Feststellung allein der hinterzogenen Steuern ausreichend sein. Anhaltspunkte da- für, dass der Strafkammer bei der Berechnung der hinterzogenen Umsatzsteuer (vgl. UA S. 16) bei der gegebenen Sachlage Rechtsanwendungsfehler zum Nachteil des Angeklagten unterlaufen sind, bestehen nicht, zumal der verteidigte Angeklagte die Richtigkeit des Zahlenwerks auch selbst anerkannt hat.
15
3. Auch im Übrigen hat die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Nack Wahl Hebenstreit RiBGH Prof. Dr. Sander befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift verhindert. Jäger Nack

(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,

1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind;
2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen;
3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann;
4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.

(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn

1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen;
2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann;
3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.

(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.

(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,

1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind;
2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen;
3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann;
4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.

(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn

1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen;
2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann;
3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.

(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 606/09
vom
9. März 2010
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: : ja
Veröffentlichung : ja
Die in die Hauptverhandlung eingeführte Bewertung des Vorsitzenden einer
Strafkammer, eine Zeugin sei nicht mit dem Angeklagten verlobt, kann vom Angeklagten
nur dann zur Grundlage einer Verfahrensrüge gemacht werden,
wenn er eine Entscheidung des Gerichts gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt
hat.
BGH, Beschluss vom 9. März 2010 - 4 StR 606/09 - Landgericht Schwerin -
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts - zu 3. auf dessen Antrag hin - und des
Beschwerdeführers am 9. März 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 25. Juni 2009
a) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit in Ziffer II. des Tenors die durch das einbezogene Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 23. November 2007 angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis aufrechterhalten wurde,
b) aufgehoben, soweit in Ziffer IV. des Tenors der Verfall von Wertersatz in Höhe von 115.000 € angeordnet wurde.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 16 Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 23. November 2007 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Ferner hat es bestimmt , dass jeweils ein Monat der Gesamt- und der Freiheitsstrafe als vollstreckt gilt, dass die im Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 23. November 2007 angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis aufrechterhalten bleibt und ca. 5 g Kokain eingezogen werden; zudem hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 115.000 € angeordnet. Gegen das Urteil richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Verletzung des sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte eine Verletzung des § 252 StPO beanstandet, hat keinen Erfolg.
3
a) Ihr liegt Folgendes zu Grunde:
4
Wesentliches Beweismittel für die Überzeugung der Strafkammer von der Tatbegehung durch den Angeklagten in den Fällen 1 bis 14 und 16 sind die Angaben von T. im Ermittlungsverfahren, die durch die Vernehmung eines Polizeibeamten und des Ermittlungsrichters in die Hauptverhand- lung eingeführt wurden. Beide hatten T. im Ermittlungsverfahren - nach ordnungsgemäßer Belehrung (nur) nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO - als Beschuldigte vernommen.
5
Bei der ersten Vernehmung von T. als Zeugin in der Hauptverhandlung am 8. Juli 2008 wurde diese von der Vorsitzenden Richterin als Verlobte des Angeklagten nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO belehrt und machte daraufhin von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Für den 29. April 2009 wurde T. abermals als Zeugin geladen. Sie erschien mit ihrem Zeugenbeistand und erklärte erneut, mit dem Angeklagten verlobt zu sein. Daraufhin gab die Vorsitzende bekannt, dass ein Verlöbnis zwischen dem Angeklagten und der Zeugin "nicht anerkannt" werde. Jedoch belehrte die Vorsitzende die Zeugin gemäß § 55 Abs. 2 StPO. Daraufhin erklärte diese, dass sie von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch mache; sodann wurde sie "im allseitigen Einverständnis" - ohne Angaben zur Sache gemacht zu haben - entlassen. Anschließend bzw. an einem späteren Sitzungstag wurden der Polizeibeamte und der Ermittlungsrichter zu den Angaben von T. während des Ermittlungsverfahrens vernommen.
6
Die Strafkammer hielt die Angaben der beiden Vernehmungspersonen für verwertbar. In den Urteilsgründen hat sie hierzu ausgeführt: Zwar hat die Zeugin T. bei ihrem ersten Vernehmungstermin in der Hauptverhandlung vom 08.07.2008 unter Berufung auf ein Verlöbnis mit dem Angeklagten die Aussage verweigert. In dem Termin vom 29.04.2009 hat die Vorsitzende jedoch festgestellt, dass ein Verlöbnis zwischen der Zeugin T. und dem Angeklagten nicht bestehe, und die Zeugin T. erneut in den Zeugenstand gerufen. Diese Feststellung war für die Urteilsfindung bindend.
Auch die am 10.06.2009 stattgefundene Heirat der Zeugin T. und des Angeklagten steht einer Verwertung der Zeugenaussagen nicht entgegen, da die Zeugin T. nach der Heirat kein daraus abgeleitetes Zeugnisverweigerungsrecht geltend gemacht hat.
7
Die Revision macht mit der Verfahrensrüge geltend, dass T. in der Hauptverhandlung als Verlobte des Angeklagten gemäß § 52 Abs. 1 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt gewesen sei. Wäre sie - wie geboten - bei ihrem zweiten Erscheinen in der Hauptverhandlung entsprechend belehrt worden, hätte sie hierauf und nicht nur auf § 55 Abs. 1 StPO gestützt auch bei dieser Vernehmung die Aussage verweigert. Dann hätte einer Verwertung der Angaben des Polizeibeamten und des Ermittlungsrichters das aus § 252 StPO herzuleitende Verwertungsverbot entgegengestanden.
8
b) Die Rüge hat schon deshalb keinen Erfolg, weil der Revisionsführer gegen die "Feststellung" der Vorsitzenden, dass die Zeugin T. nicht die Verlobte des Angeklagten sei, keine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO erhoben und keine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt hat.
9
aa) Zweck des § 238 Abs. 2 StPO ist es, die Gesamtverantwortung des Spruchkörpers für die Rechtsförmigkeit der Verhandlung zu aktivieren, hierdurch die Möglichkeit zu eröffnen, Fehler des Vorsitzenden im Rahmen der Instanz zu korrigieren und damit Revisionen zu vermeiden. Dieser Zweck würde verfehlt, wenn es im unbeschränkten Belieben des um die Möglichkeit des § 238 Abs. 2 StPO wissenden Verfahrensbeteiligten stünde, ob er eine für unzulässig erachtete verhandlungsleitende Maßnahme des Vorsitzenden nach § 238 Abs. 2 StPO zu beseitigen sucht oder stattdessen hierauf im Falle eines ihm nachteiligen Urteils in der Revision eine Verfahrensrüge stützen will. Er hat daher grundsätzlich auf Entscheidung des Gerichts anzutragen; unterlässt er dies, kann er in der Revisionsinstanz mit einer entsprechenden Rüge nicht mehr gehört werden (BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, BGHSt 51, 144, 147; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtsprechung: BVerfG, Beschluss vom 10. Januar 2007 - 2 BvR 2557/06).
10
Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Anordnung des Vorsitzenden eine strafprozessuale Regelung zu Grunde liegt, die ihm für die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen einen Beurteilungsspielraum eröffnet oder ihm auf der Rechtsfolgenseite Ermessen einräumt, und die Revisionsrüge auf eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums oder einen Ermessensfehlgebrauch gestützt werden soll (BGH aaO).
11
Umso mehr ist eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO geboten, wenn das Revisionsgericht an solche tatrichterlichen Feststellungen gebunden ist, wie dies die Rechtsprechung bezüglich der Voraussetzungen eines Verlöbnisses annimmt (vgl. die Nachweise bei BGH, Urteil vom 28. Mai 2003 - 2 StR 445/02, BGHSt 48, 294, 300 [dort offen gelassen] und bei Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 52 Rdn. 33, § 337 Rdn. 17). Gerade wenn dem Revisionsgericht eine Richtigkeitsprüfung infolge einer Bindung an die Feststellungen des Tatrichters verwehrt ist, besteht für den späteren Revisionsführer Anlass, sich mit der Maßnahme des Vorsitzenden nicht zu begnügen, sondern diese und ihre im Nachhinein selbst im Freibeweisverfahren kaum rekonstruierbare Tatsachengrundlage zunächst zur Überprüfung durch das gesamte Tatgericht zu stellen. Unterlässt er diese Anrufung des Gerichts, so gibt er damit zu erkennen, dass er die Grenzen des Beurteilungsspielraums des Vorsitzenden nicht als überschritten und die Anordnung nicht als rechtswidrig ansieht.
12
bb) Ein solcher Fall liegt hier vor.
13
Die Entscheidung, ob eine Zeugin Verlobte des Angeklagten ist, ihr deshalb das Aussageverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO zusteht und sie hierüber zu belehren ist, ist durch § 238 StPO dem Vorsitzenden anvertraut. Hierfür hat er die insofern relevanten Umstände festzustellen, wobei er in Fällen , in denen der Zeuge das Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nimmt, nach seinem Ermessen deren Glaubhaftmachung verlangen kann (vgl. MeyerGoßner aaO § 56 Rdn. 1, § 52 Rdn. 4). Da das Verlöbnis ein allein vom Willen der Betroffenen abhängiges, an keine Form gebundenes Rechtsverhältnis ist, dessen Auflösung sogar dann in Betracht kommt, wenn einer der Beteiligten einseitig den Heiratswillen aufgibt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2003 - 2 StR 445/02, BGHSt 48, 294, 300 f.), unterliegt die "Feststellung“, ob ein Verlöbnis vorliegt, als Maßnahme der Verhandlungsleitung der wertenden Beurteilung des Vorsitzenden nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls. Sie ist deshalb nach § 238 Abs. 2 StPO angreifbar (ebenso für die Bewertung der Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO: BGH, Urteile vom 27. Oktober 2005 - 4 StR 235/05, NStZ 2006, 178, und vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, BGHSt 51, 144, 146). Dementsprechend hält die Rechtsprechung eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO etwa dann für erforderlich, wenn der Vorsitzende die Befragung eines Zeugen trotz einer von anderen Verfahrensbeteiligten als Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts angesehenen Erklärung des Zeugen fortsetzt (BGH, Urteil vom 26. August 1998 - 3 StR 256/98, NStZ 1999, 94, 95).
14
Der Erforderlichkeit einer Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO steht dabei nicht entgegen, dass § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO die Belehrung zwingend vorschreibt, wenn der Zeuge zur Verweigerung der Aussage berechtigt ist. Hat sich der Vorsitzende über eine Verfahrensvorschrift hinweggesetzt, die keinen Entscheidungsspielraum zulässt oder hat er eine von Amts wegen gebotene unverzichtbare Maßnahme unterlassen, so scheidet eine Präklusion der Revisionsrüge bei Verzicht auf den in § 238 Abs. 2 StPO vorgesehenen Zwischenrechtsbehelf zwar grundsätzlich aus (BGH, Urteil vom 7. März 1996 - 4 StR 737/95, BGHSt 42, 73, 77 f. m.w.N.). Ein solcher Fall ist aber nicht gegeben, wenn - wie hier - dem Vorsitzenden bei der Bewertung der tatsächlichen Grundlagen einer zwingend vorgeschriebenen und unverzichtbaren Verfahrensvorschrift ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist (vgl. zu § 55 StPO: BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, BGHSt 51, 144, 148).
15
Der Zwischenrechtsbehelf nach § 238 Abs. 2 StPO war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Angeklagte einen Verstoß gegen § 252 StPO selbst dann rügen kann, wenn er oder sein Verteidiger der Verwertung nicht widersprochen hat oder sie die Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO nicht erhoben haben (vgl. dazu BGH, Urteil vom 23. September 1999 - 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 205; Beschluss vom 27. Oktober 2006 - 2 StR 334/06, StV 2007, 68). Denn das Bestehen eines Verlöbnisses der Zeugin mit dem Angeklagten ist bezogen auf das Verwertungsverbot nach § 252 StPO eine eigenständig zu beurteilende Voraussetzung; darauf aufbauend und - von Ausnahmefällen abgesehen - nur im Falle der (berechtigten) Aussageverweigerung in der Hauptverhandlung ergibt sich die Unverwertbarkeit der früheren Angaben der Zeugin.
16
Schließlich steht der Erforderlichkeit einer Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO auch nicht entgegen, dass diese bei einem bloßen Unterlassen entbehrlich ist. Denn die "Feststellung" der Vorsitzenden, dass die Zeugin nicht die Verlobte des Angeklagten sei, wurde (mehrfach) zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht (vgl. Schneider in KK StPO 6. Aufl. § 238 Rdn. 12).

17
c) Die Strafkammer hat auch nicht deshalb gegen § 252 StPO verstoßen, weil die Vorsitzende die Zeugin bei ihrer ersten Vernehmung in der Hauptverhandlung vom 8. Juli 2008 nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO belehrt und diese daraufhin das Zeugnis unter Berufung auf § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO verweigert hat.
18
Kommt der Tatrichter - wovon der Senat hier infolge des Unterlassens der Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO auszugehen hat - während der Hauptverhandlung zu dem Ergebnis, dass das einem Zeugen zunächst zugebilligte Zeugnisverweigerungsrecht tatsächlich nicht bestand und besteht, so muss er diesen Zeugen nach Maßgabe seiner Aufklärungspflicht gegebenenfalls erneut laden und - ohne Belehrung - zur Sache vernehmen. Auch ist es dem Tatrichter durch § 252 StPO dann nicht verwehrt, zur Sachaufklärung frühere Vernehmungspersonen dieses Zeugen anzuhören und deren Angaben zu verwerten. Hieran ist der Tatrichter auch dann nicht gehindert, wenn der Zeuge - nunmehr infolge einer berechtigten Auskunftsverweigerung nach § 55 StPO - keine Angaben zur Sache macht.
19
2. Die Sachrüge hat dagegen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
20
a) Soweit die Strafkammer in Ziffer II. des Tenors die im Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 23. November 2007 angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis aufrechterhalten hat, steht dies in unauflösbarem Widerspruch zu den Feststellungen in den Entscheidungsgründen. Dort ist ausgeführt (UA 16, 33), dass in diesem Urteil lediglich eine Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis angeordnet wurde.

21
Das Urteil ist daher insofern mit den Feststellungen aufzuheben, wobei die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer zu bedenken haben wird, dass eine vor dem Erlass des angefochtenen Urteils bereits abgelaufene Sperrfrist einer "Aufrechterhaltung" nach § 55 Abs. 2 StGB nicht zugänglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2009 - 2 StR 351/09, NStZ-RR 2010, 58).
22
b) Aufzuheben ist ferner die Anordnung des Verfalls von Wertersatz in Höhe von 115.000 €. Zwar hat die Strafkammer den Gesamterlös aus den Kokaingeschäften des Angeklagten zutreffend mit 116.300 € errechnet. Sie hat aber zur Höhe des für verfallen erklärten Geldbetrags lediglich ausgeführt, dass dieser "angemessen" sei, ohne § 73c Abs. 1 StGB zu prüfen oder auch nur zu erwähnen. Hierzu bestand indes schon im Hinblick auf die Einkommens- und die Änderung der Familienverhältnisse des Angeklagten (UA 15) sowie die seit dem 18. Januar 2008 ununterbrochen andauernde Untersuchungshaft Anlass.
23
Die Prüfung von § 73c Abs. 1 StGB (vgl. dazu BGH, Urteil vom 2. Oktober 2008 - 4 StR 153/08, NStZ-RR 2009, 234) hat die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer nachzuholen, wobei es einer Aufhebung der hierfür bedeutsamen , im angefochtenen Urteil bereits getroffenen Feststellungen nicht bedarf. Diese können indes - insbesondere zu den Vermögensverhältnissen und zur Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die Erlöse aus den Drogengeschäften noch im Vermögen des Angeklagten vorhanden sind - ergänzt werden.
Tepperwien Athing Solin-Stojanović Ernemann Mutzbauer
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Erfolgt nach Entfernung des Angeklagten während einer Zeugenvernehmung
gemäß § 247 StPO in andauernder Abwesenheit
des Angeklagten eine förmliche Augenscheinseinnahme,
so ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO nicht
erfüllt, wenn dem Angeklagten das in seiner Abwesenheit in
Augenschein genommene Objekt bei seiner Unterrichtung
nach § 247 Satz 4 StPO gezeigt wird (im Anschluss an BGHR
StPO § 247 Satz 4 Unterrichtung 1 unter Aufgabe entgegenstehender
Senatsrechtsprechung, BGHR StPO § 247 Abwesenheit
5).
BGH, Urteil vom 11. November 2009 – 5 StR 530/08
LG Berlin –

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. November 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. November
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin Z.
alsVerteidigerin,
Rechtsanwältin P.
alsVertreterinderNebenklägerin,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 13. März 2008 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in Tateinheit mit Zuhälterei, wegen Betruges in 13 Fällen, versuchten Betruges in fünf Fällen und Anstiftung zum Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten in zwei Fällen unter Einbeziehung anderweitig rechtskräftig verhängter Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
2
1. Jenseits der auf Verletzung des § 247 StPO gestützten Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 5 StPO wegen Abwesenheit des Angeklagten während einer Augenscheinseinnahme ist die Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Insbesondere steht die Wertung des Landgerichts zur Bedeutungslosigkeit des auf Zeugenvernehmung mehrerer Prostituierter gerichteten Beweisbegehrens des Angeklagten nicht in unauflösbarem Widerspruch zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin und der Zeugin D. . Sachlichrechtlich ist die Beweiswürdigung des Land- gerichts nicht zu beanstanden. Durchgreifende Rechtsfehler zur Frage der Schäden aus den vom Angeklagten eingeräumten Vermögensdelikten sind nicht ersichtlich.
3
2. Auch die Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 5 StPO ist unbegründet.
4
a) Insoweit beanstandet die Revision die Abwesenheit des Angeklagten während einer Augenscheinseinnahme. Die Nebenklägerin ist gemäß § 247 Satz 1 und 2 StPO in Abwesenheit des Angeklagten zeugenschaftlich vernommen worden. Dabei ist ihr Kalender in fortdauernder Abwesenheit des Angeklagten in Augenschein genommen worden. Während der Unterrichtung des Angeklagten von dem wesentlichen Inhalt der Zeugenaussage der Nebenklägerin gemäß § 247 Satz 4 StPO ist der Kalender auf Anordnung der Strafkammervorsitzenden „von dem Angeklagten in Augenschein genommen“ worden.
5
b) Die Rüge ist – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts in seinem Beschlussverwerfungsantrag – zulässig. Das Augenscheinsobjekt ist durch die Wiedergabe der anschaulichen und konkret für die Beweisführung maßgeblichen Teile des Kalenders im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO hinreichend deutlich bezeichnet worden. Die Statthaftigkeit von Rügen der hier vorliegenden Art hängt nicht davon ab, dass der Verteidiger die Anordnung der Augenscheinseinnahme in fortdauernder Abwesenheit des Angeklagten durch den Strafkammervorsitzenden gemäß § 238 Abs. 2 StPO beanstandet hat; daher brauchte hierzu auch nicht gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgetragen zu werden.
6
c) Trotz von der Nebenklägerin in dem Kalender während der Vernehmung vorgenommener Markierungen vermag der Senat die ausdrücklich protokollierte Augenscheinseinnahme, mit welcher die Art von Eintragungen und das Vorhandensein unterschiedlicher Schriftbilder in dem Kalender veranschaulicht werden sollten, nicht als bloßen Vernehmungsbehelf zu verste- hen, so dass die Rüge nicht etwa schon deshalb (offensichtlich) unbegründet ist.
7
3. Der Senat möchte zwar dem Begriff der Vernehmung im Sinne des § 247 StPO bei entsprechenden Rügen nach § 338 Nr. 5 StPO in Abkehr von bisheriger Rechtsprechung (BGHSt 26, 218; BGHR StPO § 247 Abwesenheit 1, 14, 15; § 338 Nr. 5 Angeklagter 23; BGH NStZ 2000, 440; 2007, 352) den Inhalt geben, den er nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Rügen nach § 338 Nr. 6 StPO hat, mit denen ein zu weit gehender Ausschluss der Öffentlichkeit beanstandet wird, wenn dieser gemäß §§ 171a bis 172 GVG für die Dauer einer Vernehmung erfolgt ist. Dort wird „die Vernehmung“ im Sinne des entsprechenden Verfahrensabschnitts verstanden ; hierzu rechnen alle Verfahrensvorgänge, die mit der eigentlichen Vernehmung eng in Zusammenhang stehen oder sich aus ihr entwickeln (BGH NJW 1996, 2663, insoweit in BGHSt 42, 158 nicht abgedruckt; BGH NJW 2003, 2761, insoweit in BGHSt 48, 268 nicht abgedruckt; BGH, Beschluss vom 20. Juli 2004 – 4 StR 254/04).
8
Hier hing die erfolgte Augenscheinseinnahme mit der Zeugenvernehmung der Nebenklägerin, die sich zu ihrem Kalender geäußert und ihn erläutert hat, sachlich (sogar besonders) eng zusammen; das Landgericht hat in seiner Gestaltung eine Bestätigung ihrer Aussage gefunden (UA S. 6/7, 15, 19; ausweislich des Protokolls hat eine förmliche Augenscheinseinnahme betreffend den Kalender vor Vernehmung der Nebenklägerin – was der Rüge den Boden entzogen hätte –, anders als auf UA S. 19 notiert, nicht stattgefunden ). Diesen Kalender während der Zeugenvernehmung der Nebenklägerin unter fortdauerndem Ausschluss der von der Vernehmung ausgeschlossenen Öffentlichkeit in Augenschein zu nehmen, wäre nach der zitierten Rechtsprechung unbedenklich gewesen (BGHR GVG § 171b Abs. 1 Augenschein

1).


9
An einer identischen Auslegung, wonach § 338 Nr. 5 i.V.m. § 247 StPO die Augenscheinseinnahme auch in Abwesenheit des während der Vernehmung der Zeugin entfernten Angeklagten gestattete, ist der Senat wegen nach wie vor entgegenstehender Rechtsprechung (vgl. dazu, jeweils m.N., Diemer in KK 6. Aufl. § 247 Rdn. 6 und 8 sowie Kuckein, ebenda § 338 Rdn. 77) gehindert. Auf entsprechende Anfrage bei den anderen Strafsenaten (Senatsbeschluss in dieser Sache vom 10. März 2009, StV 2009, 226 m. Anm. Schlothauer; vgl. ferner den Anfragebeschluss des Senats in einer Parallelsache vom selben Tage – 5 StR 460/08, StV 2009, 342 m. Anm. Eisenberg ; hierzu nunmehr – betreffend die Vereinbarkeit fortdauernder Abwesenheit des Angeklagten während der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen mit § 247 StPO – Vorlagebeschluss des Senats vom heutigen Tage) hat lediglich der 1. Strafsenat seine entgegenstehende Rechtsprechung aufgegeben.
10
4. Die Rüge greift indes aus anderen Gründen nicht durch, so dass eine Divergenzvorlage an den Großen Senat für Strafsachen hier nicht veranlasst ist. Unterstellt man nämlich auf der Grundlage der verbindlichen Rechtsprechung den Verfahrensverstoß, so ist dieser jedenfalls wirksam geheilt worden.
11
a) Auch die den Senat bindende Rechtsprechung, die eine Erhebung des Sachbeweises während der Zeugenvernehmung in fortdauernder Abwesenheit des Angeklagten von § 247 StPO grundsätzlich nicht als gedeckt ansieht , verneint einen durchgreifenden Verstoß für den Fall nachträglicher Heilung (vgl. BGHSt 37, 48, 49). Diese liegt in einer Wiederholung der Augenscheinseinnahme während der weiteren Hauptverhandlung nunmehr in Anwesenheit des Angeklagten.
12
Hierfür reicht die Besichtigung des Augenscheinsobjekts durch den Angeklagten während seiner Unterrichtung gemäß § 247 Satz 4 StPO aus. Alle weiterhin anwesenden notwendigen Verfahrensbeteiligten hatten dabei selbstverständlich die Möglichkeit, das Augenscheinsobjekt ihrerseits nochmals zu besichtigen. Das genügt für die eine Heilung bewirkende wiederholte Augenscheinseinnahme. Beim Augenschein in der Hauptverhandlung ist ein zusätzlicher „Kommunikationsakt“ unter den Verfahrensbeteiligten mit ausdrücklicher Erörterung zur Erheblichkeit einzelner Beobachtungen grundsätzlich nicht erforderlich (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 86 Rdn. 17; a.A. Schlothauer StV 2009, 228, 229 m.w.N.). Bei einem überschaubaren schlichten Erscheinungsbild des Augenscheinsobjekts kann selbst für den Fall sukzessiver Augenscheinseinnahme nichts Weitergehendes gelten. Ein Ausnahmefall mag gegeben sein, wenn das Gericht einem eher unauffälligen Detail des Augenscheinsobjekts entscheidende Bedeutung zumisst, ohne die Prozessbeteiligten hierüber deutlich zu informieren, so dass die Gefahr einer Überraschungsentscheidung bestünde. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Im Übrigen liegt, namentlich angesichts der Abhandlung der Reaktion des Angeklagten auf die Augenscheinseinnahme im Urteil (UA S. 19), sogar auf der Hand, dass die Strafkammervorsitzende auf von der Nebenklägerin erläuterte, teils gar markierte Kalendereintragungen im Rahmen der Unterrichtung nach § 247 Satz 4 StPO in Gegenwart der übrigen Verfahrensbeteiligten – entsprechend der Erörterung bei der Augenscheinseinnahme im Rahmen der Zeugenvernehmung – besonders hingewiesen hat; weitergehender Protokollierung hätte dieser Vorgang nicht bedurft (vgl. Alsberg /Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozess 5. Aufl. S. 240). Die Verteidigung hat in diesem Zusammenhang auch nicht etwa eine unzulängliche Unterrichtung des Angeklagten geltend gemacht und auch mit der Revision zu einer etwa unterschiedlichen Kommunikation bei der Augenscheinseinnahme in Abwesenheit des Angeklagten und bei der Besichtigung im Rahmen seiner Unterrichtung nichts vorgetragen.
13
b) Der 2. Strafsenat hat bereits bei identischer Fallgestaltung eine wirksame Heilung des angenommenen Verstoßes bejaht (BGHR StPO § 247 Satz 4 Unterrichtung 1; ähnlich bereits in StV 1983, 3; entsprechend der Antwortbeschluss vom 17. Juni 2009 – 2 ARs 138/09). Der erkennende 5. Straf- senat hat seine einer Heilung – mangels nochmaliger förmlicher Besichtigung des Augenscheinsobjekts durch sämtliche Prozessbeteiligte gemeinsam – entgegenstehende Rechtsprechung (BGHR StPO § 247 Abwesenheit 5; BGH StV 1981, 57; 1986, 418; vgl. auch Beschluss vom 26. Februar 1985 – 5 StR 108/85), auf die sich die Revision beruft, bereits im Anfragebeschluss aufgegeben. Auch nach Überprüfung der Ergebnisse des Anfrageverfahrens , in dem die übrigen Strafsenate bestätigt haben, bislang nicht entsprechend entschieden zu haben, hält der Senat an dieser Auffassung fest. Sie ist auch vom 1. und vom 4. Strafsenat ausdrücklich gebilligt worden (vgl. die Antwortbeschlüsse vom 22. April 2009 – 1 ARs 6/09 – und vom 25. August 2009 – 4 ARs 7/09).
14
c) Soweit der 3. Strafsenat (Antwortbeschluss vom 7. Juli 2009 – 3 ARs 7/09) zu einer abweichenden Auffassung neigt und die Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen wegen grundsätzlicher Bedeutung anregt, folgt der erkennende Senat dem nicht. Er sieht bei Annahme einer Heilung in Form des hier in Frage stehenden Vorgehens keine Anhaltspunkte für ernstliche rechtsstaatliche Defizite. Die Gefahr, dass die insgesamt schwer überschaubare Rechtsprechung zu § 247 StPO noch komplizierter würde, könnte der Senat allein in der Fortführung seiner bisherigen überformalen Rechtsprechung erblicken. Ob in sonstigen Fällen weitergehender Beweiserhebung während einer gemäß § 247 StPO in Abwesenheit des Angeklagten erfolgten Vernehmung eine Heilung anders als durch vollständige Wiederholung erfolgen könnte, etwa gar in einer Art Selbstleseverfahren beim Urkundenbeweis , wird gegebenenfalls zu entscheiden sein.
15
5. Abschließend bemerkt der Senat zu den für eine Vorlage an den Großen Senat ins Feld geführten Argumenten des 3. Strafsenats: Dessen Vorschlag, eine einheitliche Rechtsprechung zu den absoluten Revisionsgründen aus § 338 Nr. 5 und 6 StPO durch Aufgabe der „Zusammenhangformel“ bei § 338 Nr. 6 StPO zu finden, folgt der 5. Strafsenat nicht. Dem ste- hen gegenüber der Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes vorrangige Belange einer stringenten Gestaltung der Hauptverhandlung entgegen.
16
6. Trotz der beträchtlichen durch das Anfrageverfahren verursachten Verzögerung der Revisionsentscheidung (vgl. Rieß in NStZ-Sonderheft für Miebach 2009, S. 30, 32 f.) besteht kein Anlass für eine irgendwie geartete Kompensation in der Rechtsfolge. Das Verfahren nach § 132 GVG vermag als rechtsstaatliche Ausgestaltung des gerade auch dem Schutz des Beschwerdeführers dienenden Rechtsmittelrechts grundsätzlich keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu begründen (vgl. BVerfGE 122, 248,

280).


Basdorf Brause Schaal Schneider König
5 StR 460/08

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 27. April 2010
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. April 2010

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 15. April 2008 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten – unter Freisprechung im Übrigen – wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt und ihn unter Einbeziehung der (in den Urteilsgründen nicht mitgeteilten) Einzelstrafen aus einer rechtskräftigen Verurteilung (zu zwei Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe) zu einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten dringt mit einer Verfahrensrüge durch.
2
Die Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses ist erfüllt; bei den unrichtigen Angaben zur eröffneten Anklage in der schriftlichen Fassung handelt es sich, wie die Anhörung der beteiligten Richter eindeutig erweist, um ein Fassungsversehen.
3
Der auf Verletzung des § 247 StPO gestützten Verfahrensrüge gemäß § 338 Nr. 5 StPO ist nach dem Beschluss des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 21. April 2010 – GSSt 1/09 – aufgrund des Anfrageverfahrens nach § 132 Abs. 2 GVG in dieser Sache der Erfolg nicht zu versagen, soweit die Revision die fortdauernde Abwesenheit des Angeklagten während der Verhandlung über die Entlassung der gemäß § 247 Satz 2 StPO in seiner Abwesenheit zeugenschaftlich vernommenen Nebenklägerin beanstandet.
4
Die Rüge ist zulässig. Sie scheitert nicht an der mangelnden Beanstandung der in fortdauernder Abwesenheit des Angeklagten getroffenen Entlassungsentscheidung des Vorsitzenden nach § 238 Abs. 2 StPO; eine solche Beanstandung ist in dieser Fallgestaltung, wie sich aus der Entscheidung des Großen Senats eindeutig ergibt, keine Rügevoraussetzung. Nach der Entscheidung des Großen Senats musste der Revisionsführer auch nicht etwa konkreten Sachvortrag zu einer Beeinträchtigung seines Fragerechts infolge der mit der Rüge beanstandeten Verfahrensweise erbringen. Im Übrigen hält der Senat das Sachvorbringen der Revision zu der Verfahrensrüge nach dem Protokoll für erwiesen.
5
Im Einklang mit bisheriger Rechtsprechung (BGHR StPO § 247 Abwesenheit 1, 14, 15; § 338 Nr. 5 Angeklagter 23; BGH NStZ 2007, 352) sieht der Große Senat in der Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen keinen Teil der Vernehmung im Sinne von § 247 StPO. Demgemäß begründet die hierbei fortdauernde Abwesenheit des Angeklagten regelmäßig – so auch hier – den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO.
6
Die Entlassungsverhandlung war hier wesentlicher Teil der Hauptverhandlung ; der Verfahrensfehler ist auch nicht geheilt worden. Der Angeklagte hat weder von sich aus im Rahmen seiner Unterrichtung über die Abwesen- heitsvernehmung gemäß § 247 Satz 4 StPO noch etwa auf Befragen ausdrücklich erklärt, keine Fragen mehr an die Nebenklägerin stellen zu wollen.
7
Mithin ist die angefochtene Verurteilung aufzuheben. Angesichts anderweitiger rechtskräftiger Verurteilungen des Angeklagten könnte – namentlich zum Schutz der kindlichen Zeugin – im Benehmen mit Staatsanwaltschaft und Nebenklage eventuell bereits vor Durchführung einer erneuten Hauptverhandlung eine Verfahrenserledigung nach § 154 Abs. 2 StPO erwogen werden.
Basdorf Brause Schaal Schneider Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 504/10
vom
18. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 18. Januar 2011
gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 21. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Rüge Erfolg, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft über die Entlassung der Zeugin F. in Abwesenheit des während ihrer Vernehmung nach § 247 Satz 2 StPO aus dem Sitzungssaal entfernten Angeklagten verhandelt (§ 338 Nr. 5 StPO).
2
Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift Folgendes ausgeführt: "a) Die Rüge ist zulässig erhoben. Der Revisionsvortrag genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die von der Revision mehrfach verwendete Formulierung 'ausweislich des Protokolls' kann als bloßer Hinweis auf das geeignete Beweismittel (§ 273 Abs. 1 Satz 1 StPO) verstanden werden, ohne dass dadurch die Ernsthaftigkeit der Tatsachenbehauptungen selbst in Frage gestellt wird (BGH StV 1982, 4, 5; NStZ 2005, 281). Nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 21. April 2010 (NStZ 2011, 47) musste der Beschwerdeführer keinen konkreten Sachvortrag zu einer Beeinträchtigung seines Fragerechts infolge der mit der Rüge beanstandeten Verfahrensweise erbringen (BGH, 5. Strafsenat, Beschluss vom 27. April 2010 - 5 StR 460/08). Die mangelnde Beanstandung der Entlassungsanordnung der Vorsitzenden durch die Verteidigung gemäß § 238 Abs. 2 StPO schließt die Zulässigkeit nicht aus, da eine solche in dieser Fallkonstellation keine Rügevoraussetzung ist (BGH, 5. Strafsenat, a.a.O.). Eine 'besondere Verfahrensgestaltung', wie sie etwa der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHR StPO § 247 Abwesenheit 23 zu Grunde lag, ist nicht gegeben. In jenem Fall hatte das Landgericht aus Gründen des Opferschutzes die bei der Beweiswürdigung verwerteten Angaben der Nebenklägerin maßgeblich ihrer auf Video aufgezeichneten polizeilichen Vernehmung entnommen , so dass es in der Hauptverhandlung möglicherweise nur noch zu einer 'vorher festgelegten ganz punktuellen Befragung' gekommen war, bei welcher weitere Nachfragen von vornherein fernlagen.
b) Die Rüge ist darüber hinaus begründet. Nach der durch den Großen Senat für Strafsachen (a.a.O.) bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGHR StPO § 247 Abwesenheit 1, 14, 15; § 338 Nr. 5 Angeklagter 23; BGH NStZ 2007, 352, 353) gehört die Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen nicht mehr zu seiner Vernehmung im Sinne des § 247 StPO, sondern bildet einen selbständigen Verfahrensabschnitt und regelmäßig einen 'wesentlichen Teil' der Hauptverhandlung. Der Angeklagte, dessen Entfernung aus dem Sitzungssaal für die Dauer der Vernehmung der Zeugin angeordnet war, musste daher zur Verhandlung über die Entlassung der Zeugin wieder zugelassen werden. Dies ist hier ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht geschehen. Der darin liegende Verfahrensfehler ist nicht geheilt worden. Der Angeklagte hat nach dem unwidersprochenen Sachvortrag der Revision weder von sich aus im Rahmen seiner Unterrichtung über die Abwesenheitsvernehmung nach § 247 Satz 4 StPO noch auf Befragen ausdrücklich erklärt, keine Fragen mehr an die Zeugin stellen zu wollen (dazu BGH, Großer Senat, a.a.O.; BGHR StPO § 247 Abwesenheit 18, 19; BGH NStZ 2000, 440). Auch ist eine erneute Vernehmung der Zeugin (in Anwesenheit des Angeklagten) dem Sitzungsprotokoll nicht zu entnehmen. Das Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensmangel wird gemäß § 338 Nr. 5 StPO gesetzlich vermutet. Dass sich der Verfahrensverstoß vorliegend ausnahmsweise denkgesetzlich im Urteil nicht ausgewirkt hat (vgl. BGH NStZ 2006, 713), ist nicht anzunehmen. Zwar hat der Angeklagte das Tatgeschehen im Wesentlichen eingeräumt (UA S. 11). Eine Aufhebung allein des Strafausspruches kommt jedoch - anders als etwa in der Entscheidung BGHR StPO § 338 Beruhen 2 - nicht in Betracht. Denn der Senat wird nicht ausschließen können, dass die Strafkammer die Angaben der Zeugin zumindest bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Geständnisses des Angeklagten mitberücksichtigt hat. Einer vollständigen Aufhebung des Urteils steht schließlich nicht die Entscheidung des Senats in BGHSt 51, 81 entgegen, da diese lediglich den Fall der Anordnung der Nichtvereidigung einer Zeugin in Abwesenheit des Angeklagten betraf, nicht hingegen den ihrer Entlassung."
3
Dem schließt sich der Senat an.
Becker von Lienen Hubert Schäfer Mayer

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

(2) Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 606/09
vom
9. März 2010
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: : ja
Veröffentlichung : ja
Die in die Hauptverhandlung eingeführte Bewertung des Vorsitzenden einer
Strafkammer, eine Zeugin sei nicht mit dem Angeklagten verlobt, kann vom Angeklagten
nur dann zur Grundlage einer Verfahrensrüge gemacht werden,
wenn er eine Entscheidung des Gerichts gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt
hat.
BGH, Beschluss vom 9. März 2010 - 4 StR 606/09 - Landgericht Schwerin -
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts - zu 3. auf dessen Antrag hin - und des
Beschwerdeführers am 9. März 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 25. Juni 2009
a) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit in Ziffer II. des Tenors die durch das einbezogene Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 23. November 2007 angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis aufrechterhalten wurde,
b) aufgehoben, soweit in Ziffer IV. des Tenors der Verfall von Wertersatz in Höhe von 115.000 € angeordnet wurde.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 16 Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 23. November 2007 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Ferner hat es bestimmt , dass jeweils ein Monat der Gesamt- und der Freiheitsstrafe als vollstreckt gilt, dass die im Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 23. November 2007 angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis aufrechterhalten bleibt und ca. 5 g Kokain eingezogen werden; zudem hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 115.000 € angeordnet. Gegen das Urteil richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Verletzung des sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte eine Verletzung des § 252 StPO beanstandet, hat keinen Erfolg.
3
a) Ihr liegt Folgendes zu Grunde:
4
Wesentliches Beweismittel für die Überzeugung der Strafkammer von der Tatbegehung durch den Angeklagten in den Fällen 1 bis 14 und 16 sind die Angaben von T. im Ermittlungsverfahren, die durch die Vernehmung eines Polizeibeamten und des Ermittlungsrichters in die Hauptverhand- lung eingeführt wurden. Beide hatten T. im Ermittlungsverfahren - nach ordnungsgemäßer Belehrung (nur) nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO - als Beschuldigte vernommen.
5
Bei der ersten Vernehmung von T. als Zeugin in der Hauptverhandlung am 8. Juli 2008 wurde diese von der Vorsitzenden Richterin als Verlobte des Angeklagten nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO belehrt und machte daraufhin von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Für den 29. April 2009 wurde T. abermals als Zeugin geladen. Sie erschien mit ihrem Zeugenbeistand und erklärte erneut, mit dem Angeklagten verlobt zu sein. Daraufhin gab die Vorsitzende bekannt, dass ein Verlöbnis zwischen dem Angeklagten und der Zeugin "nicht anerkannt" werde. Jedoch belehrte die Vorsitzende die Zeugin gemäß § 55 Abs. 2 StPO. Daraufhin erklärte diese, dass sie von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch mache; sodann wurde sie "im allseitigen Einverständnis" - ohne Angaben zur Sache gemacht zu haben - entlassen. Anschließend bzw. an einem späteren Sitzungstag wurden der Polizeibeamte und der Ermittlungsrichter zu den Angaben von T. während des Ermittlungsverfahrens vernommen.
6
Die Strafkammer hielt die Angaben der beiden Vernehmungspersonen für verwertbar. In den Urteilsgründen hat sie hierzu ausgeführt: Zwar hat die Zeugin T. bei ihrem ersten Vernehmungstermin in der Hauptverhandlung vom 08.07.2008 unter Berufung auf ein Verlöbnis mit dem Angeklagten die Aussage verweigert. In dem Termin vom 29.04.2009 hat die Vorsitzende jedoch festgestellt, dass ein Verlöbnis zwischen der Zeugin T. und dem Angeklagten nicht bestehe, und die Zeugin T. erneut in den Zeugenstand gerufen. Diese Feststellung war für die Urteilsfindung bindend.
Auch die am 10.06.2009 stattgefundene Heirat der Zeugin T. und des Angeklagten steht einer Verwertung der Zeugenaussagen nicht entgegen, da die Zeugin T. nach der Heirat kein daraus abgeleitetes Zeugnisverweigerungsrecht geltend gemacht hat.
7
Die Revision macht mit der Verfahrensrüge geltend, dass T. in der Hauptverhandlung als Verlobte des Angeklagten gemäß § 52 Abs. 1 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt gewesen sei. Wäre sie - wie geboten - bei ihrem zweiten Erscheinen in der Hauptverhandlung entsprechend belehrt worden, hätte sie hierauf und nicht nur auf § 55 Abs. 1 StPO gestützt auch bei dieser Vernehmung die Aussage verweigert. Dann hätte einer Verwertung der Angaben des Polizeibeamten und des Ermittlungsrichters das aus § 252 StPO herzuleitende Verwertungsverbot entgegengestanden.
8
b) Die Rüge hat schon deshalb keinen Erfolg, weil der Revisionsführer gegen die "Feststellung" der Vorsitzenden, dass die Zeugin T. nicht die Verlobte des Angeklagten sei, keine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO erhoben und keine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt hat.
9
aa) Zweck des § 238 Abs. 2 StPO ist es, die Gesamtverantwortung des Spruchkörpers für die Rechtsförmigkeit der Verhandlung zu aktivieren, hierdurch die Möglichkeit zu eröffnen, Fehler des Vorsitzenden im Rahmen der Instanz zu korrigieren und damit Revisionen zu vermeiden. Dieser Zweck würde verfehlt, wenn es im unbeschränkten Belieben des um die Möglichkeit des § 238 Abs. 2 StPO wissenden Verfahrensbeteiligten stünde, ob er eine für unzulässig erachtete verhandlungsleitende Maßnahme des Vorsitzenden nach § 238 Abs. 2 StPO zu beseitigen sucht oder stattdessen hierauf im Falle eines ihm nachteiligen Urteils in der Revision eine Verfahrensrüge stützen will. Er hat daher grundsätzlich auf Entscheidung des Gerichts anzutragen; unterlässt er dies, kann er in der Revisionsinstanz mit einer entsprechenden Rüge nicht mehr gehört werden (BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, BGHSt 51, 144, 147; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtsprechung: BVerfG, Beschluss vom 10. Januar 2007 - 2 BvR 2557/06).
10
Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Anordnung des Vorsitzenden eine strafprozessuale Regelung zu Grunde liegt, die ihm für die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen einen Beurteilungsspielraum eröffnet oder ihm auf der Rechtsfolgenseite Ermessen einräumt, und die Revisionsrüge auf eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums oder einen Ermessensfehlgebrauch gestützt werden soll (BGH aaO).
11
Umso mehr ist eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO geboten, wenn das Revisionsgericht an solche tatrichterlichen Feststellungen gebunden ist, wie dies die Rechtsprechung bezüglich der Voraussetzungen eines Verlöbnisses annimmt (vgl. die Nachweise bei BGH, Urteil vom 28. Mai 2003 - 2 StR 445/02, BGHSt 48, 294, 300 [dort offen gelassen] und bei Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 52 Rdn. 33, § 337 Rdn. 17). Gerade wenn dem Revisionsgericht eine Richtigkeitsprüfung infolge einer Bindung an die Feststellungen des Tatrichters verwehrt ist, besteht für den späteren Revisionsführer Anlass, sich mit der Maßnahme des Vorsitzenden nicht zu begnügen, sondern diese und ihre im Nachhinein selbst im Freibeweisverfahren kaum rekonstruierbare Tatsachengrundlage zunächst zur Überprüfung durch das gesamte Tatgericht zu stellen. Unterlässt er diese Anrufung des Gerichts, so gibt er damit zu erkennen, dass er die Grenzen des Beurteilungsspielraums des Vorsitzenden nicht als überschritten und die Anordnung nicht als rechtswidrig ansieht.
12
bb) Ein solcher Fall liegt hier vor.
13
Die Entscheidung, ob eine Zeugin Verlobte des Angeklagten ist, ihr deshalb das Aussageverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO zusteht und sie hierüber zu belehren ist, ist durch § 238 StPO dem Vorsitzenden anvertraut. Hierfür hat er die insofern relevanten Umstände festzustellen, wobei er in Fällen , in denen der Zeuge das Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nimmt, nach seinem Ermessen deren Glaubhaftmachung verlangen kann (vgl. MeyerGoßner aaO § 56 Rdn. 1, § 52 Rdn. 4). Da das Verlöbnis ein allein vom Willen der Betroffenen abhängiges, an keine Form gebundenes Rechtsverhältnis ist, dessen Auflösung sogar dann in Betracht kommt, wenn einer der Beteiligten einseitig den Heiratswillen aufgibt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2003 - 2 StR 445/02, BGHSt 48, 294, 300 f.), unterliegt die "Feststellung“, ob ein Verlöbnis vorliegt, als Maßnahme der Verhandlungsleitung der wertenden Beurteilung des Vorsitzenden nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls. Sie ist deshalb nach § 238 Abs. 2 StPO angreifbar (ebenso für die Bewertung der Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO: BGH, Urteile vom 27. Oktober 2005 - 4 StR 235/05, NStZ 2006, 178, und vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, BGHSt 51, 144, 146). Dementsprechend hält die Rechtsprechung eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO etwa dann für erforderlich, wenn der Vorsitzende die Befragung eines Zeugen trotz einer von anderen Verfahrensbeteiligten als Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts angesehenen Erklärung des Zeugen fortsetzt (BGH, Urteil vom 26. August 1998 - 3 StR 256/98, NStZ 1999, 94, 95).
14
Der Erforderlichkeit einer Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO steht dabei nicht entgegen, dass § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO die Belehrung zwingend vorschreibt, wenn der Zeuge zur Verweigerung der Aussage berechtigt ist. Hat sich der Vorsitzende über eine Verfahrensvorschrift hinweggesetzt, die keinen Entscheidungsspielraum zulässt oder hat er eine von Amts wegen gebotene unverzichtbare Maßnahme unterlassen, so scheidet eine Präklusion der Revisionsrüge bei Verzicht auf den in § 238 Abs. 2 StPO vorgesehenen Zwischenrechtsbehelf zwar grundsätzlich aus (BGH, Urteil vom 7. März 1996 - 4 StR 737/95, BGHSt 42, 73, 77 f. m.w.N.). Ein solcher Fall ist aber nicht gegeben, wenn - wie hier - dem Vorsitzenden bei der Bewertung der tatsächlichen Grundlagen einer zwingend vorgeschriebenen und unverzichtbaren Verfahrensvorschrift ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist (vgl. zu § 55 StPO: BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, BGHSt 51, 144, 148).
15
Der Zwischenrechtsbehelf nach § 238 Abs. 2 StPO war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Angeklagte einen Verstoß gegen § 252 StPO selbst dann rügen kann, wenn er oder sein Verteidiger der Verwertung nicht widersprochen hat oder sie die Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO nicht erhoben haben (vgl. dazu BGH, Urteil vom 23. September 1999 - 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 205; Beschluss vom 27. Oktober 2006 - 2 StR 334/06, StV 2007, 68). Denn das Bestehen eines Verlöbnisses der Zeugin mit dem Angeklagten ist bezogen auf das Verwertungsverbot nach § 252 StPO eine eigenständig zu beurteilende Voraussetzung; darauf aufbauend und - von Ausnahmefällen abgesehen - nur im Falle der (berechtigten) Aussageverweigerung in der Hauptverhandlung ergibt sich die Unverwertbarkeit der früheren Angaben der Zeugin.
16
Schließlich steht der Erforderlichkeit einer Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO auch nicht entgegen, dass diese bei einem bloßen Unterlassen entbehrlich ist. Denn die "Feststellung" der Vorsitzenden, dass die Zeugin nicht die Verlobte des Angeklagten sei, wurde (mehrfach) zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht (vgl. Schneider in KK StPO 6. Aufl. § 238 Rdn. 12).

17
c) Die Strafkammer hat auch nicht deshalb gegen § 252 StPO verstoßen, weil die Vorsitzende die Zeugin bei ihrer ersten Vernehmung in der Hauptverhandlung vom 8. Juli 2008 nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO belehrt und diese daraufhin das Zeugnis unter Berufung auf § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO verweigert hat.
18
Kommt der Tatrichter - wovon der Senat hier infolge des Unterlassens der Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO auszugehen hat - während der Hauptverhandlung zu dem Ergebnis, dass das einem Zeugen zunächst zugebilligte Zeugnisverweigerungsrecht tatsächlich nicht bestand und besteht, so muss er diesen Zeugen nach Maßgabe seiner Aufklärungspflicht gegebenenfalls erneut laden und - ohne Belehrung - zur Sache vernehmen. Auch ist es dem Tatrichter durch § 252 StPO dann nicht verwehrt, zur Sachaufklärung frühere Vernehmungspersonen dieses Zeugen anzuhören und deren Angaben zu verwerten. Hieran ist der Tatrichter auch dann nicht gehindert, wenn der Zeuge - nunmehr infolge einer berechtigten Auskunftsverweigerung nach § 55 StPO - keine Angaben zur Sache macht.
19
2. Die Sachrüge hat dagegen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
20
a) Soweit die Strafkammer in Ziffer II. des Tenors die im Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 23. November 2007 angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis aufrechterhalten hat, steht dies in unauflösbarem Widerspruch zu den Feststellungen in den Entscheidungsgründen. Dort ist ausgeführt (UA 16, 33), dass in diesem Urteil lediglich eine Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis angeordnet wurde.

21
Das Urteil ist daher insofern mit den Feststellungen aufzuheben, wobei die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer zu bedenken haben wird, dass eine vor dem Erlass des angefochtenen Urteils bereits abgelaufene Sperrfrist einer "Aufrechterhaltung" nach § 55 Abs. 2 StGB nicht zugänglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2009 - 2 StR 351/09, NStZ-RR 2010, 58).
22
b) Aufzuheben ist ferner die Anordnung des Verfalls von Wertersatz in Höhe von 115.000 €. Zwar hat die Strafkammer den Gesamterlös aus den Kokaingeschäften des Angeklagten zutreffend mit 116.300 € errechnet. Sie hat aber zur Höhe des für verfallen erklärten Geldbetrags lediglich ausgeführt, dass dieser "angemessen" sei, ohne § 73c Abs. 1 StGB zu prüfen oder auch nur zu erwähnen. Hierzu bestand indes schon im Hinblick auf die Einkommens- und die Änderung der Familienverhältnisse des Angeklagten (UA 15) sowie die seit dem 18. Januar 2008 ununterbrochen andauernde Untersuchungshaft Anlass.
23
Die Prüfung von § 73c Abs. 1 StGB (vgl. dazu BGH, Urteil vom 2. Oktober 2008 - 4 StR 153/08, NStZ-RR 2009, 234) hat die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer nachzuholen, wobei es einer Aufhebung der hierfür bedeutsamen , im angefochtenen Urteil bereits getroffenen Feststellungen nicht bedarf. Diese können indes - insbesondere zu den Vermögensverhältnissen und zur Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die Erlöse aus den Drogengeschäften noch im Vermögen des Angeklagten vorhanden sind - ergänzt werden.
Tepperwien Athing Solin-Stojanović Ernemann Mutzbauer

(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt

1.
der Verlobte des Beschuldigten;
2.
der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a.
der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3.
wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war.

(2) Haben Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife oder haben Minderjährige oder Betreute wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so dürfen sie nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. Ist der gesetzliche Vertreter selbst Beschuldigter, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden; das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht.

(3) Die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen, in den Fällen des Absatzes 2 auch deren zur Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts befugte Vertreter, sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht zu belehren. Sie können den Verzicht auf dieses Recht auch während der Vernehmung widerrufen.

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 429/08
vom
11. Dezember 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Anstiftung zur Volksverhetzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 11. Dezember 2008
einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. Juni 2008 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat zur Rüge der Verletzung des § 59 StPO: Der vom Generalbundesanwalt unter Hinweis auf Teile der Literatur (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 59 Rdn. 13 m. w. N.) vertretenen Auffassung, die Revision könne nur darauf gestützt werden, dass die Vereidigung unter Verstoß gegen § 60 StPO erfolgt sei, im Übrigen sei die Entscheidung über die Vereidigung nicht revisibel, vermag der Senat nicht zu folgen. Die Neufassung des § 59 StPO eröffnet dem Tatrichter für diese Entscheidung einen Beurteilungsspielraum ("wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage") kombiniert mit einer Ermessensbefugnis ("nach seinem Ermessen für notwendig hält"). Wie in sonstigen Fällen kann auch hier mit der Revision geltend gemacht werden, der Tatrichter habe den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten oder sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt (vgl. etwa Meyer-Goßner aaO § 337 Rdn. 16; Kuckein in KK 6. Aufl. § 337 Rdn. 19, jeweils m. w. N.).
Umstände, die einen nach diesen Maßstäben beachtlichen Rechtsfehler begründen, zeigt die Revision nicht auf. Somit kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die Rüge auch deshalb nicht durchdringen könnte, weil der Beschwerdeführer nicht vorgetragen hat, dass er die Anordnung des Vorsitzenden , den Zeugen unvereidigt zu lassen, in der Hauptverhandlung beanstandet und eine Entscheidung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO beantragt hat (vgl. BGHSt 50, 282, 284). Jedenfalls in den Fällen, in denen erst aus den Urteilsgründen zutage tritt, dass nach der Beurteilung des Gerichts die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 59 Abs. 1 Satz 1 StPO für die Vereidigung des Zeugen an sich vorlagen, wird die Zulässigkeit der Revisionsrüge schwerlich davon abhängig gemacht werden können, dass in der Hauptverhandlung gegen die Anordnung des Vorsitzenden zur Nichtvereidigung (vorsorglich) auf Entscheidung des Gerichts angetragen wurde.
Becker Pfister Sost-Scheible Hubert Schäfer

(1) Zeugen werden nur vereidigt, wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage nach seinem Ermessen für notwendig hält. Der Grund dafür, dass der Zeuge vereidigt wird, braucht im Protokoll nicht angegeben zu werden, es sei denn, der Zeuge wird außerhalb der Hauptverhandlung vernommen.

(2) Die Vereidigung der Zeugen erfolgt einzeln und nach ihrer Vernehmung. Soweit nichts anderes bestimmt ist, findet sie in der Hauptverhandlung statt.

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.

(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,

1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind;
2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen;
3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann;
4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.

(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn

1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen;
2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann;
3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.

(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

(1) Das deutsche Strafrecht gilt für Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt.

(2) Für andere Taten, die im Ausland begangen werden, gilt das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn der Täter

1.
zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist oder
2.
zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betroffen und, obwohl das Auslieferungsgesetz seine Auslieferung nach der Art der Tat zuließe, nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen innerhalb angemessener Frist nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 437/99
vom
8. März 2000
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8. März 2000 einstimmig

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 19. März 1999 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend zu der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Der Angeklagte ist, wie freibeweisliche Ermittlungen des Senats ergeben haben, von Geburt an Deutscher. Für die im Frühjahr 1986 von ihm in seiner damaligen Heimat Kasachstan begangenen beiden Taten des sexuellen Mißbrauchs von Kindern gilt deshalb nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB das deutsche Strafrecht, da die Taten am Tatort mit Strafe bedroht waren: Die Sexualdelikte zum Nachteil der neunjährigen Elena waren als Geschlechtsverkehr mit einer Person, die noch nicht das 16. Lebensjahr erreicht hat, nach Art. 102 Abs. 1 des kasachischen Strafgesetzbuches von 1959 in der 1986 geltenden Fassung mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, bzw. als Demoralisierung Minderjähriger durch die Vornahme unzüchtiger Handlungen an ihnen nach Art. 103 dieses Gesetzes mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht. Nach Art. 43 Nr. 2 dieses Gesetzes betrug die Verjährungsfrist bei Straftaten mit einer Strafandrohung von mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe fünf Jahre.
Als der Angeklagte im Dezember 1990 in die Bundesrepublik übersiedelte , war weder nach kasachischem noch nach deutschem Recht Verjährung eingetreten. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des 30. StrÄ ndG am 30. Juni 1994 war die Strafverfolgung nach deutschem Recht noch nicht verjährt, so daß die Verjährung nach § 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres des Opfers am 14. August 1994 ruhte. Darauf, daß die Tat am Tatort (nach kasachischem Recht) wegen Verjährung nicht mehr hätte verfolgt werden können, kommt es nicht an. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB ist Ausdruck des aktiven Personalitätsprinzips. Anders als möglicherweise bei § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB, der allein durch das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege gerechtfertigt ist (vgl. BGHR StGB § 7 II Strafbarkeit 2), ist es hier ausreichend, daß die Tat am Tatort materiell strafbar ist; tatsächlich verfolgbar braucht sie nicht zu sein (Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 7 Rdn. 17, 11; Lackner in Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 7 Rdn. 2).
Kutzer Miebach Winkler Pfister von Lienen

(1) Das deutsche Strafrecht gilt für Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt.

(2) Für andere Taten, die im Ausland begangen werden, gilt das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn der Täter

1.
zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist oder
2.
zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betroffen und, obwohl das Auslieferungsgesetz seine Auslieferung nach der Art der Tat zuließe, nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen innerhalb angemessener Frist nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist.

(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils.

(2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, genau zu bezeichnen.

(3) Die Einstellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Die Urteilsformel gibt die rechtliche Bezeichnung der Tat an, deren der Angeklagte schuldig gesprochen wird. Hat ein Straftatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur rechtlichen Bezeichnung der Tat verwendet werden. Wird eine Geldstrafe verhängt, so sind Zahl und Höhe der Tagessätze in die Urteilsformel aufzunehmen. Wird die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten, die Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt, der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt oder von Strafe abgesehen, so ist dies in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. Im übrigen unterliegt die Fassung der Urteilsformel dem Ermessen des Gerichts.

(5) Nach der Urteilsformel werden die angewendeten Vorschriften nach Paragraph, Absatz, Nummer, Buchstabe und mit der Bezeichnung des Gesetzes aufgeführt. Ist bei einer Verurteilung, durch die auf Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt wird, die Tat oder der ihrer Bedeutung nach überwiegende Teil der Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden, so ist außerdem § 17 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes anzuführen.