Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juli 2011 - 3 StR 44/11

bei uns veröffentlicht am20.07.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 44/11
vom
20. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubs u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 20. Juli 2011 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 22. April 2010, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt und den Maßstab für die Anrechnung in den Niederlanden erlittener Untersuchungshaft auf 1:1 bestimmt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung formellen sowie materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

I.

2
Die Revision beanstandet zu Recht, dass die Kammer über einen Beweisantrag entgegen § 244 Abs. 6 StPO nicht in der Hauptverhandlung, sondern erst im Urteil entschieden hat.
3
1. Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
4
Die Hauptverhandlung begann am 8. November 2007. Am 26. November 2009 verkündete der Vorsitzende seine Entscheidung, den Prozessbeteiligten "für das Stellen von Beweisanträgen eine Frist bis zum 02.12.2009" zu setzen. Die Kammer behalte sich vor, danach gestellte Beweisanträge ohne gesonderten Beschluss erst im Urteil zu bescheiden und sie insbesondere wegen Verschleppungsabsicht abzulehnen. In einem ebenfalls am 26. November 2009 verkündeten Beschluss führte die Kammer unter anderem näher aus, dass das Verhalten der Verteidiger des Mitangeklagten den Verdacht nahe lege, ein Beweisantrag sei mit Verschleppungsabsicht gestellt worden. In einem weiteren Beschluss vom 19. April 2010 teilte die Kammer mit, weitere Beweisanträge erst in den Urteilsgründen zu bescheiden, "sofern der jeweilige Antragsteller nicht substantiiert darlegt, warum ihm eine frühere Antragstellung nicht möglich gewesen ist oder dies sonst ersichtlich ist". In den Gründen des Beschlusses legte die Kammer unter Darstellung des bisherigen Verfahrensablaufs dar, dass es dem Wahlverteidiger des Mitangeklagten bei einer Antragstellung um Prozessverschleppung gegangen sei. Am selben Hauptverhandlungstag beantragte ein Verteidiger des Mitangeklagten, den Zeugen D. (zu einer die Glaubwürdigkeit eines Mittäters betreffenden Hilfstatsache) zu vernehmen. Diesem Antrag schloss sich der Verteidiger des Angeklagten an. Die Kammer lehnte den Antrag erst in den Urteilsgründen mit der Begründung ab, er sei zur Prozessverschleppung gestellt worden.
5
2. Die Rüge, welche die in der Hauptverhandlung unterbliebene Bescheidung des Beweisantrags betrifft, ist zulässig erhoben. Ihre Zulässigkeit setzt nicht voraus, dass die durch den Vorsitzenden bestimmte Frist zunächst nach § 238 Abs. 2 StPO beanstandet wird. Eine derartige Beanstandung kann regelmäßig nur dann Voraussetzung einer Revisionsrüge sein, wenn sich diese gegen eine sachleitende Anordnung des Vorsitzenden richtet (vgl. KK/Schneider, StPO, 6. Aufl., § 238 Rn. 29; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 238 Rn. 43). Gegenstand der Rügen ist hier jedoch nicht die Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen durch den Vorsitzenden als solche, sondern die unterbliebene Bescheidung des Antrags in der Hauptverhandlung.
6
Dieses Unterlassen selbst bedurfte keiner Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO. Für das tatsächlich als Beweisantrag zu qualifizierende Beweisbegehren auf Vernehmung des Zeugen D. ergibt sich dies bereits daraus, dass dessen Ablehnung nach § 244 Abs. 6 StPO einen Gerichtsbeschluss erfordert hätte.
7
3. Die genannte Verfahrensrüge ist begründet.
8
a) Die vor der Urteilsverkündung unterbliebene Bescheidung des Antrags war fehlerhaft. Der Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen D. hätte gemäß § 244 Abs. 6 StPO nur durch einen in der Hauptverhandlung bekannt gemachten Gerichtsbeschluss abgelehnt werden dürfen. Hiervon durfte die Kammer nicht absehen.
9
Der Bundesgerichtshof hat zwar in verschiedenen Entscheidungen die Möglichkeit aufgezeigt, unter bestimmten Voraussetzungen eine Frist zu setzen , in der Beweisanträge zu stellen sind, und eine verspätete Antragstellung als Indiz für eine Verschleppungsabsicht im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 6 StPO zu werten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2007 - 1 StR 32/07, BGHSt 51, 333, 344 f.; vom 19. Juni 2007 - 3 StR 149/07, NStZ 2007, 716; vom 23. September 2008 - 1 StR 484/08, BGHSt 52, 355, 361 ff.; vom 10. November 2009 - 1 StR 162/09, NStZ 2010, 161 f.; s. auch BVerfG, Beschlüsse vom 6. Oktober 2009 - 2 BvR 2580/08, NJW 2010, 592 ff.; vom 24. März 2010 - 2 BvR 2092/09 (u.a.), NJW 2010, 2036 f.). Doch enthebt dies das Gericht auch bei Anträgen, die nach Ablauf der Frist gestellt sind, nicht von der Pflicht, über diese in der gesetzlich vorgesehenen Weise zu entscheiden (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 162/09, aaO).
10
Ob gleichwohl darüber hinaus in extrem gelagerten Fällen eine Bescheidung von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung ausnahmsweise entbehrlich sein kann (so BGH, Beschluss vom 14. Juni 2005 - 5 StR 129/05, NJW 2005, 2466, 2468 f.), muss der Senat hier nicht entscheiden. Der zitierte Beschluss betrifft den Sonderfall massenhaft gestellter Beweisanträge, die erkennbar darauf abzielten, das Tatgericht allein schon durch die notwendige (einkalkuliert negative) Bescheidung der Anträge und nicht durch Beweiserhebungen nach Maßgabe der Anträge am Abschluss des Verfahrens zu hindern (vgl. LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 283). Für diese Konstellation hat der 5. Strafsenat erwogen, dass den Verfahrensbeteiligten eine Frist zur Entgegennahme von Beweisanträgen gesetzt und mit eingehender Begründung die pauschale Ablehnung nach Fristablauf gestellter Anträge wegen Verschleppungsabsicht vorab beschlossen werden könne; die nach Fristablauf angebrachten Anträge überprüfe das Tatgericht dann vornehmlich unter Aufklärungsgesichtspunkten , bescheide sie aber - so sie nicht doch Anlass zu weiterer Beweiserhebung unter diesem Gesichtspunkt bieten - wie Hilfsbeweisanträge erst im Urteil, wobei auch der Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht nicht ausgeschlossen sei. Der 5. Strafsenat hat allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Verfahrensweise in der Regel allenfalls dann in Betracht gezogen werden könne, wenn zuvor gestellte Beweisanträge wiederholt wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden mussten.
11
Damit ist der hier zu beurteilende Sachverhalt schon im Ansatz nicht vergleichbar. Zudem hat sich die Kammer in ihren Beschlüssen vom 26. November 2009 und 19. April 2010 ausführlich lediglich mit dem Verteidigungsverhalten des Mitangeklagten, nicht aber dem des Angeklagten befasst. Eine "‚vor die Klammer gezogene’ Vorabinformation über die zukünftigen Ablehnungsgründe" (BGH, Beschluss vom 14. Juni 2005 - 5 StR 129/05, aaO) ergibt sich hieraus in Bezug auf eine etwaige Prozessverschleppung durch den Angeklagten oder seinen Verteidiger nicht.
12
b) Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler, da die Entscheidung ohne die Gesetzesverletzung möglicherweise anders ausgefallen wäre. Es ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte und sein Verteidiger den Vorwurf der Prozessverschleppung hätten entkräften oder weitere Anträge hätten stellen können, wenn sie den Ablehnungsgrund gekannt hätten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. April 1986 - 4 StR 161/86, NStZ 1986, 372; vom 7. Dezember 1979 - 3 StR 299/79 (S), BGHSt 29, 149, 152). Da sich die Kammer in ihren Beschlüssen im Wesentlichen mit der Verschleppungsabsicht der Verteidigung des Mitangeklagten befasste, konnten der Angeklagte und sein Verteidiger in der Hauptverhandlung nicht auf die erst in den Urteilsgründen genannten Gesichtspunkte , die sie betrafen, reagieren.
13
Dass die begehrte Beweiserhebung im Falle ihrer Durchführung ohne Einfluss auf das Urteil geblieben wäre, vermag der Senat nicht festzustellen, weil er das Beweisergebnis nicht vorwegnehmen kann (vgl. KK/Kuckein, StPO, 6. Aufl., § 337 Rn. 38). Anders als bei anderen Anträgen hat die Kammer gerade nicht darauf abgestellt, dass die Tatsachen, für die der Zeuge D. benannt worden ist, für die Entscheidung ohne Bedeutung gewesen wären und das Urteil nicht geändert hätten.

II.


14
Das Urteil ist auf die dargelegte zulässige und begründete Verfahrensrüge hin aufzuheben. Eine nähere Erörterung der in die gleiche Richtung zielenden und ebenfalls begründeten Rüge, dass weder der Vorsitzende noch die Kammer über den Beweisermittlungsantrag auf Vernehmung von Rechtsanwalt K. entschieden hat, ist daher entbehrlich. Auf die weiteren Verfahrensrügen kommt es ebenso wenig an wie auf die Sachrüge, die keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Becker Pfister von Lienen Mayer Menges

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Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juli 2011 - 3 StR 44/11 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Strafprozeßordnung - StPO | § 238 Verhandlungsleitung


(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden. (2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person

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(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 32/07
vom
9. Mai 2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja (nur I 1 c)
Veröffentlichung: ja
_____________________________
StPO § 244 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 Var. 6, § 245 Abs. 2 Satz
3 Var. 5, § 246 Abs. 1
1. Bei der Ablehnung eines zum Zweck der Prozessverschleppung
gestellten Beweisantrags hält es der Senat für angezeigt
, das objektive Kriterium, dass die zu erwartende Verfahrensverzögerung
zusätzlich wesentlich sein muss, deutlich
restriktiver auszulegen, wenn nicht gar aufzugeben.
2. Zum Nachweis der Absicht der Prozessverschleppung.
BGH, Beschluss vom 9. Mai 2007 - 1 StR 32/07 - LG Landshut
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Mordes
zu 2.: Beihilfe zum Mord u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Mai 2007 beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 4. August 2006 werden als unbegründet verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe, den Angeklagten Sc. wegen gefährlicher Körperverletzung und Beihilfe zum Mord zur Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die Angeklagten sowie der frühere Mitangeklagte So. hatten am 1. Mai 2004 zunächst den Geschädigten W. in einer Wohnung misshandelt. Sodann verbrachten sie ihn mit einem vom früheren Mitangeklagten F. gesteuerten Pkw in ein Waldstück, um ihn zu töten; dort legten S. und So. ihrem Opfer - nach weiteren Misshandlungen, an denen auch Sc. mitwirkte - eine Jacke um den Hals und zogen jeder mit einer Hand bis zum Atemstillstand zu.
2
Die jeweils auf verschiedene Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten sind aus den vom Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften vom 7. und 8. Februar 2007 dargelegten Gründen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat sieht hinsichtlich folgender Rügen Anlass zu ergänzenden Ausführungen:

I.

3
Revision des Angeklagten S. :
4
1. Rüge der rechtsfehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags wegen Prozessverschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 6 StPO):
5
Die Kammer hat den Beweisantrag des Verteidigers Rechtsanwalt Sch. vom 24. Juli 2006, ein medizinisches Sachverständigengutachten dazu einzuholen, dass der Angeklagte S. nicht in der Lage war, mit seiner rechten Hand für die Tötungshandlung - das Strangulieren mittels Ziehens an der Jacke - erforderliche starke Handgreifkräfte aufzubringen, mit Beschluss vom 3. August 2006 abgelehnt, weil er zum Zweck der Prozessverschleppung gestellt worden sei.
6
a) Die Revision trägt folgendes Verfahrensgeschehen vor:
7
In dieser Sache fand eine erste Hauptverhandlung gegen die Angeklagten sowie die früheren Mitangeklagten So. , der während dieser Hauptverhandlung verstarb, und F. an 15 Verhandlungstagen vom 18. Mai bis zum 10. November 2005 statt. Am 15. Verhandlungstag stellten sowohl der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. für den Angeklagten S. als auch der Verteidiger Schw. für den Angeklagten Sc. einen Beweisantrag auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit der beiden Angeklagten. Daraufhin wurde die erste Hauptverhandlung ausgesetzt. Als die Gutachten vorlagen, fand eine zweite Hauptverhandlung - nach Abtrennung des Verfahrens gegen den Mitangeklagten F. nur noch - gegen die Angeklagten wiederum an 15 Hauptverhandlungstagen vom 5. April bis zum 4. August 2006 statt, wobei der gegenständliche Beweisantrag am 13. Verhandlungstag gestellt wurde.
8
Bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren am 19. Mai 2004 hatte der Angeklagte S. unter anderem folgende Angaben gemacht:
9
"Ich habe ihn (den Geschädigten W. ) auch zweimal geschlagen, aber nicht stark, weil meine rechte Hand gebrochen war. Ich bin am Daumengelenk operiert worden im Herbst 2003 und ich habe mir auch den Handgelenkknochen des Mittelfingers gebrochen, weshalb ich aber nicht beim Arzt war. Das war 1994. Ich hatte Angst, dass, wenn ich zu fest zuschlage, das wieder kaputt geht."
10
Auf den Widerspruch des Angeklagten S. hat die Kammer hinsichtlich dieser Aussage ein auf § 136 Abs. 1 StPO gestütztes Beweisverwertungsverbot angenommen, was sie den Verfahrensbeteiligten bereits während der Hauptverhandlung mitteilte.
11
Am 10. Verhandlungstag der zweiten Hauptverhandlung, dem 10. Juli 2006, ließ sich der Angeklagte S. über seinen Verteidiger zur Sache ein. Er bekundete unter anderem:
12
In der Wohnung "schlug (ich) ihm mit einem Tablett aus Leichtmetallblech von oben auf den Kopf. … (In dem Waldstück) schlug (ich) zunächst nicht auf ihn ein, da ich bei Schlägen mit der blanken Hand bis heute erhebliche Schmerzen in der rechten Hand habe, die von einem Unfallereignis im November 2003 herrühren. Seit einer Operation im Klinikum Landshut am 10.11.2003 befinden sich noch Metallschienen in meiner rechten Hand. Aufgrund der Verletzungsfolgen ist der Gebrauch meiner rechten Hand seit November 2003 insoweit deutlich eingeschränkt, als ich mit ihr weder kraftvoll Zug noch Druck ausüben kann. … Als Herr W. auf einmal aufstand und sich entfernen wollte , schlug ich ihm eine gefüllte Bierflasche auf den Kopf, die dabei zerbrach. Da Herr W. weiter weg wollte, habe ich eine weitere volle Bierflasche auf seinem Kopf zerschlagen."
13
Die Kammer hat in der zweiten Hauptverhandlung die Zeugen Dr. N. , Hausarzt des Angeklagten, und Wi. , Vorgesetzter des Angeklagten , im Hinblick auf Funktionsstörungen der rechten Hand vernommen. Ferner haben der psychiatrische und der rechtsmedizinische Sachverständige, Dr. O. und Prof. Dr. P. , Angaben hierzu gemacht.
14
b) Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Auf die vom Generalbundesanwalt dargelegten etwaigen Mängel im Revisionsvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) kommt es daher nicht an.
15
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur Senat NJW 2001, 1956 m.zahlr. N.; ferner Sander NStZ 1998, 207) hat die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht nach § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 6 StPO in objektiver Hinsicht zwei Voraussetzungen: Die verlangte Beweiserhebung kann nichts Sachdienliches zugunsten des Antragstellers erbringen; darüber hinaus muss sie geeignet sein, den Abschluss des Verfahrens wesentlich hinauszuzögern. In subjektiver Hinsicht muss sich der Antragsteller der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung bewusst sein und mit dem Antrag ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses bezwecken.
16
Hat ein Verteidiger den Beweisantrag gestellt, so gilt: Es kommt darauf an, ob dieser in Verschleppungsabsicht handelt oder sich die Verschleppungsabsicht des Angeklagten zu eigen macht. Der Tatrichter kann seine Überzeugung auf der Grundlage aller dafür erheblichen Umstände gewinnen. Das Verbot der Beweisantizipation gilt dabei nicht. Die Überzeugungsbildung hat namentlich unter Beachtung des Verhaltens des Angeklagten und des Verteidigers in und außerhalb der Hauptverhandlung, aber auch schon im Ermittlungs- verfahren zu erfolgen; der Tatrichter kann ferner den bisherigen Verfahrensverlauf berücksichtigen.
17
Der späte Zeitpunkt der Antragstellung für sich allein ist kein ausreichendes Anzeichen für ein Bewusstsein von der Nutzlosigkeit der beantragten Beweiserhebung. Die maßgeblichen Gründe für die Ablehnung muss der Tatrichter in dem Beschluss - regelmäßig nach Art eines Indizienbeweises - darlegen. Hat der Tatrichter sich eine entsprechende Überzeugung von der Prozessverschleppungsabsicht gebildet und diese unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände im Ablehnungsbeschluss dargelegt, prüft das Revisionsgericht nur, ob die Erwägungen in tatsächlicher Hinsicht tragfähig und rechtlich zutreffend sind. Auf die hypothetische Erwägung, ob das Revisionsgericht selbst den Beweisantrag abgelehnt hätte, kommt es nicht an.
18
Gemessen an diesen Anforderungen ist gegen den vom Beschwerdeführer beanstandeten Ablehnungsbeschluss revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
19
aa) Die Kammer hat tragfähig ihre Überzeugung dargelegt, dass die am 13. Hauptverhandlungstag der Neuverhandlung beantragte Einholung des medizinischen Sachverständigengutachtens nichts Sachdienliches erbracht hätte, vielmehr der Angeklagte S. im Gebrauch der rechten Hand nicht in der behaupteten Art und Weise eingeschränkt war. Rechtsfehlerfrei führt der Ablehnungsbeschluss folgende, die Überzeugungsbildung tragende Umstände an: – Der rechtsmedizinische Sachverständige Prof. Dr. P. hat erläutert, dass eine Metallplatte in der Hand grundsätzlich keine Funktionsbeeinträchtigung mit sich bringe. – Der psychiatrische Sachverständige Dr. O. hat ausgesagt , dass der Angeklagte bei der Exploration von der Fraktur mit anschließender Operation berichtet habe; darauf beruhende anhaltende Beschwerden habe er demgegenüber nicht er- wähnt. Das Revisionsvorbringen, dass die Angaben des Sachverständigen "zur Aufklärung der Beweistatsache auch nicht das Mindeste beitragen" könnten, da es bei der Exploration "wohl insbesondere um die Klärung psychologischer und psychiatrischer … und nicht … orthopädischer Fragen" gegangen sei, trifft schon deshalb nicht zu, weil der Angeklagte im Übrigen von anderen - vergleichsweise geringfügigen - Beschwerden wie etwa gelegentlichem Sodbrennen oder Nasenbluten berichtete. – Der Zeuge Dr. N. , der Hausarzt des Angeklagten S. , hatte diesen im Zusammenhang mit der Fraktur der rechten Hand allgemein-medizinisch betreut. Nach den Angaben des Zeugen hätten am 17. November 2003 Röntgenaufnahmen nach der Operation eine korrekte Stellung der Fraktur mit implantierter Metallplatte gezeigt. Der Angeklagte habe die Daumenrinne nach der Operation selbstständig entfernt. Er habe sich am 24. November 2003 letztmals zur Kontrolle in die Praxis des Zeugen begeben; anschließend sei keine weitere Behandlung erfolgt. – Nach Angaben des Zeugen Wi. , der mehr als ein halbes Jahr bis zum 30. April 2004 vorgesetzter Facharbeiter des Angeklagten beim Diakonischen Werk im Rahmen des Programms "Arbeit statt Sozialhilfe" war, verrichtete dieser zur Zufriedenheit leichte bis zu sehr schweren Arbeiten im Landschaftsbau wie auch Malerarbeiten. Nach seiner Krankschreibung bis zum 28. November 2003 sei er uneingeschränkt einsatzfähig gewesen. Der Einwand des Beschwerdeführers, dem Zeugen fehle es an medizinischen Fachkenntnissen und an - für die Kommunikation mit dem Angeklagten erforderlichen - russischen Sprachkenntnissen, greift nicht durch, da die Wahrnehmung, dass der Angeklagte tatsächlich derartige Arbeiten verrichtete, solche Kenntnisse nicht voraussetzt. – Schließlich hat sich der Angeklagte selbst dahingehend eingelassen , er habe mit einem Leichtmetalltablett und mit vollen Bierflaschen auf den Kopf des Geschädigten geschlagen. Anders als die Revision meint, durfte die Kammer diese Einlassung als Indiz heranziehen, auch wenn der Angeklagte hierbei keine Angaben dazu machte, mit welcher Hand die Schläge erfolgten , zumal er selbst bei der Exploration für das psychiatrische Gutachten erklärte, er sei Rechtshänder.
20
bb) Die Kammer hat rechtsfehlerfrei dargelegt, dass die Einholung des beantragten medizinischen Sachverständigengutachtens den Abschluss des Verfahrens auch wesentlich hinausgezögert hätte.
21
Dem Kriterium, dass die zu erwartende Verfahrensverzögerung zusätzlich wesentlich sein muss, hat die Rechtsprechung bisher keine hinreichend klaren Konturen gegeben. Die Formulierung, es müsse eine "Verzögerung des Verfahrensabschlusses auf unbestimmte Zeit bezweckt" sein (BGHSt 21, 118, 121; BGH VRS 38 [1970] 58 [jew. nichttragend]), verwendet der Bundesgerichtshof in neueren Entscheidungen nicht mehr. Eine relevante Verfahrensverzögerung ist in Fällen angenommen worden, in denen eine Aussetzung der Hauptverhandlung unvermeidbar geworden wäre oder ernsthaft zu befürchten war (vgl. BGH NStZ 1992, 551; GA 1968, 19). Umgekehrt hat der Bundesgerichtshof eine wesentliche Verzögerung verneint, wenn der beantragte Zeugenbeweis noch innerhalb der Frist nach § 229 Abs. 1 StPO (so NStZ 1982, 391 [zur Zehn-Tages-Frist]) oder im allein für die Schlussvorträge vorgesehenen Folgetermin, der eine Woche nach der Antragstellung stattfand (so StV 1986, 418, 420), hätte erhoben werden können. Gleiches gilt, wenn die Beweiserhebung "in kurzer Zeit" hätte erfolgen können, was "insbes. bei ortsansässigen Zeugen" zutreffe (BGH NJW 1958, 1789).
22
Die Einholung des beantragten medizinischen Sachverständigengutachtens hätte schon deswegen im vorliegenden Verfahren zu einer relevanten Verfahrensverzögerung geführt, weil zumindest eine - länger als drei Wochen dau- ernde - Unterbrechung nach § 229 Abs. 2 StPO, wenn nicht gar die erneute Aussetzung der Hauptverhandlung erforderlich geworden wäre. So hatte der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. bereits am 18. Juli 2006 mitgeteilt, er befinde sich in der Zeit vom 7. bis zum 28. August 2006 in Urlaub. Hierzu führt der Ablehnungsbeschluss nachvollziehbar aus, dass bei einer Terminierung in Abwesenheit des Verteidigers Rechtsanwalt Sch. "mit erheblichem Widerstand" seinerseits zu rechnen gewesen wäre. Unbeschadet dessen war der Beweisstoff zum Zeitpunkt der Antragstellung erschöpft; nach dem Verhandlungsplan der Kammer sollte an diesem Tag mit den Schlussvorträgen begonnen werden. Auf sog. "Schiebetermine" (vgl. dazu BGH NJW 1996, 3019 m. Anm. Wölfl NStZ 1999, 43; BGH NStZ-RR 1998, 335; StV 1998, 359; JR 2007, 38 m. Anm. Gössel) hat sich die Kammer zu Recht nicht eingelassen.
23
cc) Schließlich zeigt sich die Kammer in dem Ablehnungsbeschluss überzeugt, dass Verteidiger Rechtsanwalt Sch. mit dem Bewusstsein handelte, das beantragte Sachverständigengutachten werde eine dem Angeklagten S. günstige Wendung des Verfahrens nicht herbeiführen können , und dass der Antrag ausschließlich eine Verzögerung des Verfahrens bezweckte.
24
Entgegen der - nur - insoweit missverständlichen Formulierung in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts rechtfertigt der bloße Verdacht, der Beweisantrag sei in der Absicht der Prozessverschleppung gestellt worden, nicht die Ablehnung. Der Verdacht muss sich vielmehr zur subjektiven Gewissheit des Tatrichters verfestigt haben. Wie jede sog. "innere Tatsache" kann sich die Absicht der Prozessverschleppung entweder aus eigenen Äußerungen des Antragstellers oder durch Rückschlüsse aus sonstigen Indizien ergeben (vgl. hierzu BGH NJW 1991, 2094; NStZ 2003, 596; 2004, 35, 36). Nach aller forensi- scher Erfahrung wird ein Antragsteller nur selten klar zum Ausdruck bringen, dass sein Antrag nicht der Erforschung der Wahrheit dient. Ausgeschlossen ist dies aber nicht, wie das vorliegende Verfahren beispielhaft belegt. Hier hatte der Verteidiger Rechtsanwalt Schw. des Angeklagten Sc. der insoweit unwidersprochenen dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden zufolge diesem gegenüber fernmündlich geäußert, "er müsse jetzt Beweisanträge stellen, da er sich mit der Staatsanwaltschaft noch nicht ganz einig geworden sei". Damit brachte er klar zum Ausdruck, dass es ihm nicht um die Erforschung der Wahrheit ging, sondern darum, die übrigen Verfahrensbeteiligten dadurch zu einer verfahrensbeendenden Absprache zu veranlassen, dass er anderenfalls durch immer neue Beweisanträge den Abschluss des Verfahrens auf unabsehbare Zeit hinauszögern werde (vgl. Senat NStZ 2005, 45).
25
Derartige oder damit vergleichbare Äußerungen des Verteidigers Rechtsanwalt Sch. im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Beweisantrag ("Handgreifkräfte") liegen nicht vor. Die Kammer hat ihre Überzeugung von der Absicht der Prozessverschleppung hier - über die Nutzlosigkeit der verlangten Beweiserhebung hinaus - rechtsfehlerfrei mittels folgender Indizien begründet:
26
Den gegenständlichen Beweisantrag stellte der Verteidiger am 13. Hauptverhandlungstag der Neuverhandlung, für den, wie den Verfahrensbeteiligten bekannt war, die Beendigung der Beweisaufnahme und der Beginn der Schlussvorträge vorgesehen waren. Kurz zuvor hatte er mitgeteilt, in Kürze für drei Wochen urlaubsabwesend zu sein, damit in dieser Zeit keine Termine angesetzt würden. Während der ersten Hauptverhandlung sei eine Funktionsbeeinträchtigung der rechten Hand weder behauptet noch sonst ersichtlich gewesen. Der Verteidiger hatte bereits am 15. Verhandlungstag der ersten Hauptverhandlung , an dem diese geschlossen werden sollte, beantragt, ein psychiat- risches Sachverständigengutachten zur Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten einzuholen, das die Beweisbehauptung aber nicht bestätigte.
27
Zwar ist der späte Zeitpunkt der Antragstellung - für sich allein - im Hinblick auf den Ablehnungsgrund der Prozessverschleppungsabsicht unschädlich. Wenn aber - wie hier - der Antrag erst nach einer umfangreichen Beweisaufnahme gestellt wird und die verlangte Beweiserhebung längere Zeit in Anspruch nehmen würde, andererseits der Beweisstoff für den Antragsteller erkennbar erschöpft ist und ein nachvollziehbarer Anlass für die späte Antragstellung weder dargetan noch sonst ersichtlich ist, kann alledem eine maßgebliche Indizwirkung zukommen.
28
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers drängte die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO zuvor nicht zur Einholung des medizinischen Sachverständigengutachtens, und zwar schon deshalb nicht, weil die Kammer das Beweisthema mit anderen Beweismitteln aufgeklärt hat. Unbeschadet dessen bestand aufgrund der polizeilichen Aussage des Angeklagten vom 19. Mai 2004, er habe zweimal "nicht stark" zugeschlagen, da er sich in den Jahren 1994 und 2003 Frakturen an der rechten Hand zugezogen und er deswegen befürchtet habe, dass "das", wenn er zu fest zuschlage, wieder "kaputt" gehe, kein Anlass, ein Gutachten dazu einzuholen, ob er mit seiner rechten Hand die für das Ziehen an der Jacke erforderlichen Handgreifkräfte aufbringen konnte. Denn der Angeklagte hatte überhaupt keine Funktionsbeeinträchtigung beim Zugreifen, vielmehr das Risiko eines erneuten Aufbrechens alter Verletzungen beim Zuschlagen geltend gemacht; dies hinderte ihn nach seiner Aussage nicht am weniger starken Zuschlagen.
29
Selbst wenn der Inhalt der Aussage die Einholung des Gutachtens nahe gelegt hätte, wäre zu berücksichtigen, dass die Kammer infolge des Wider- spruchs des Angeklagten ein - für den Angeklagten disponibles - Beweisverwertungsverbot wegen Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 StPO angenommen hat. Die Revision kann hier nicht innerhalb einer Rüge hinsichtlich ein und derselben Bekundung des Angeklagten (Zuschlagen mit rechts) erfolgreich geltend machen , einerseits sei seine Einlassung für die Beweisbehauptung unergiebig, weil er niemals verwertbare Angaben dazu gemacht habe, mit welcher Hand Schläge seinerseits erfolgt seien (vgl. oben I 1 b aa), andererseits hätte sich aufgrund der bekundeten Schläge mit der rechten Hand eine bestimmte Beweiserhebung aufgedrängt.
30
Die Kammer durfte daneben auch die späte Beweisantragstellung durch den Verteidiger Rechtsanwalt Sch. am letzten Verhandlungstag der ersten Hauptverhandlung berücksichtigen. Hierfür kommt es entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht darauf an, ob die erste Hauptverhandlung - zumindest auch - aufgrund dieses Beweisantrags oder - allein - aufgrund des zeitnah von Rechtsanwalt Schw. gestellten Beweisantrags ausgesetzt worden war (vgl. UA S. 105). Maßgeblich ist nur, dass dem Antragsteller bekannt gewesen war, dass die verlangte Beweiserhebung nach im Übrigen beendeter Beweisaufnahme gemäß § 229 Abs. 4 StPO voraussichtlich eine Aussetzung zur Folge haben würde. Auch die Aufklärungspflicht hatte hier nicht die frühere Einholung des psychiatrischen Sachverständigengutachtens geboten. Dass, wie der Beschwerdeführer meint, "beim Vorwurf vorsätzlicher Tötungsverbrechen obligatorisch schon vor Beginn der Hauptverhandlung die Einholung solcher forensisch-psychiatrischer Sachverständigengutachten (zu) veranlassen" wäre, trifft nicht zu.
31
c) Zu den beiden Voraussetzungen des Ablehnungsgrunds der Prozessverschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 6 StPO), dass - objektiv - der Beweisantrag geeignet sein muss, den Verfahrensabschluss "wesentlich" hin- auszuzögern, und der Antragsteller - subjektiv - in Kenntnis der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung ausschließlich die Verfahrensverzögerung bezweckt, sieht der Senat Anlass zu folgenden Erwägungen:
32
aa) Der Senat hält es für angezeigt, das objektive Kriterium, dass die Verfahrensverzögerung zusätzlich wesentlich sein muss, deutlich restriktiver auszulegen, wenn nicht gar aufzugeben.
33
Auch bei präsenten Beweismitteln erlaubt § 245 Abs. 2 Satz 3 Var. 5 StPO mit der wortgleichen Formulierung die Ablehnung von Beweisanträgen wegen Verschleppungsabsicht. Auf die Frage, wie schnell sich weitere Beweismittel beschaffen lassen, kann es hier naturgemäß nicht ankommen. Eine wesentliche Verfahrensverzögerung, die überhaupt nur in den Fällen der Benennung der Gerichtsmitglieder als Zeugen und der verlangten Einführung massenhaft präsenter Beweismittel in Betracht kommt, ist für § 245 Abs. 2 Satz 3 Var. 5 StPO nicht erforderlich (vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß 5. Aufl. S. 829 f.; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 245 Rdn. 27: "Verschleppungsabsicht iwS"). Gleiches gilt für die Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs wegen Verschleppungsabsicht nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO. Stichhaltige Argumente dafür, dass die gleichen Rechtsbegriffe - zumal in den systematisch zusammenhängenden Vorschriften der §§ 244, 245 StPO - unterschiedliche Bedeutungen haben, sind nicht ersichtlich (ebenso Fahl, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß 2004 S. 469; Herdegen in KK 5. Aufl. § 244 Rdn. 87, jew. m. w. N.).
34
Die Änderung der Rechtsprechung zum Kriterium der wesentlichen Verfahrensverzögerung ist auch vor dem Hintergrund der neueren strengen Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Beschleunigungsgrundsatz geboten. Insbesondere in Haftsachen, die einen großen Teil der erst- instanzlichen Strafverfahren vor den Landgerichten ausmachen, zwingt der Beschleunigungsgrundsatz dazu, dass die Hauptverhandlung so bald und so schnell wie möglich durchgeführt wird (vgl. nur BVerfG NJW 2006, 672, 676; 2006, 1336, 1337 f.). Hat die Haft schon geraume Zeit angedauert, ist von Verfassungs wegen eine straffe Terminierung mit durchschnittlich jedenfalls deutlich mehr als einem Verhandlungstag pro Woche geboten (vgl. BVerfG NJW 2006, 668, 670; 2006, 672, 676; NStZ 2006, 460, 461; Beschluss vom 29. Dezember 2005 - 2 BvR 2057/05 - Rdn. 64). Wird die Hauptverhandlung nicht straff genug durchgeführt, kann eine der Justiz anzulastende und damit kompensationspflichtige Verfahrensverzögerung gegeben sein. Die Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt dabei eine nicht ausreichende Verfahrensförderung insbesondere auch mittels statistischer Errechnung der durchschnittlichen Anzahl der Verhandlungstage und der durchschnittlichen Verhandlungsdauer fest und scheint nicht nach Verfahrensgegenständen und Verhandlungsinhalten - ebenso wenig danach, ob Beweisanträge gebündelt oder gestaffelt gestellt werden, oder danach, in welchem Zeitraum sich beantragte weitere Beweismittel bei im Übrigen abgeschlossener Beweisaufnahme beschaffen lassen - zu differenzieren (vgl. Eschelbach in KMR 44. Lfg. § 229 Rdn. 5; Schmidt NStZ 2006, 313, 314 f.). Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich gebotenen straffen Durchführung der Hauptverhandlung liegt es nahe, dass auch die Anordnung einer vergleichsweise kurzen Unterbrechung nach § 229 Abs. 1 StPO mit Blick auf den Beschleunigungsgrundsatz eine relevante Verfahrensverzögerung bedeuten kann, zumal durch weitere Beweiserhebungen dem Tatgericht Arbeitszeit für andere - ebenfalls in angemessener Zeit abzuschließende - Verfahren verloren geht.
35
Nach alledem kann jedenfalls für die Wesentlichkeit der Verfahrensverzögerung nicht mehr der Maßstab des § 229 Abs. 1 StPO zugrunde gelegt werden. Soweit dieser Maßstab bisher herangezogen wurde (vgl. BGH NStZ 1982, 391; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 244 Rdn. 67 m.w. N.), kann daran nicht mehr festgehalten werden, nachdem das 1. JuMoG vom 24. August 2004 (BGBl I 2198) die regelmäßige Unterbrechungsfrist auf drei Wochen verlängert hat.
36
bb) Soweit der Tatrichter die Überzeugung von der inneren Tatsache, dass es dem Antragsteller auch subjektiv darum ging, den Prozess zu verschleppen , durch Rückschlüsse aus äußeren Tatsachen zu gewinnen hat, können sich signifikante Indizien etwa aus folgender Fallgestaltung ergeben:
37
Nach Abschluss der vom Gericht nach dem Maßstab der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) für geboten gehaltenen Beweiserhebungen kann der Vorsitzende die übrigen Verfahrensbeteiligten unter Fristsetzung auffordern, etwaige Beweisanträge zu stellen. Dies gilt namentlich bei länger dauernden Verfahren im Sinne von § 229 Abs. 2 StPO, also solchen mit einer Hauptverhandlung , die mindestens zehn Verhandlungstage umfasst. Werden Anträge nicht innerhalb der gesetzten Frist gestellt, dann hat der Antragsteller die Gründe hierfür substantiiert darzulegen. Besteht nach der Überzeugung des Gerichts kein nachvollziehbarer Anlass für die verfristete Antragstellung, so kann es - falls nicht die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO gleichwohl zur Beweiserhebung drängt - grundsätzlich davon ausgehen, dass der Antrag nichts anderes als die Verzögerung des Verfahrens bezweckt. Denn es ist nicht erkennbar , warum ein Antragsteller, dem es möglich ist, innerhalb der gesetzten Frist Beweisanträge zu stellen, nicht bestrebt sein sollte, rechtzeitig seinem Anliegen dienliche Beweiserhebungen zu verlangen, will er nicht seinen Interessen zuwider handeln.
38
Dieser Auslegung von § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO steht § 246 Abs. 1 StPO nicht entgegen, weil die Ablehnung eines Beweisantrags weiterhin nicht allein an die verspätete Antragstellung geknüpft ist; sie erleichtert dem Tatrichter lediglich den Nachweis der Absicht der Prozessverschleppung. Auch an der Pflicht des Gerichts zur Entgegennahme und Verbescheidung von Beweisanträgen ändert sich nichts (vgl. insoweit bei "extrem gelagerten Fällen" des Rechtsmissbrauchs BGH NJW 2005, 2466).
39
2. Rüge der Mitwirkung der wegen Ablehnung eines Beweisantrags abgelehnten Kammermitglieder (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff. StPO):
40
Der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. hat namens des Angeklagten S. sämtliche Mitglieder der Kammer mit Gesuch vom 3. August 2006 abgelehnt. Das Gesuch beanstandet im Wesentlichen die Ablehnung des Beweisantrags auf Einholung des medizinischen Sachverständigengutachtens wegen Prozessverschleppungsabsicht (siehe oben Ziff. 1); zudem habe "die Kammer vor Erlaß ihres Beschlusses keinerlei Versuch gemacht, Hrn. S. oder seine Verteidigung nochmals anzuhören und ihnen Gelegenheit zu geben, den Vorwurf der Verschleppungsabsicht zu entkräften". Die Vertreterkammer hat das Ablehnungsgesuch mit Beschluss noch vom selben Tag als unbegründet verworfen.
41
Hierzu bemerkt der Senat:
42
Das Verhalten der Kammermitglieder konnte die Besorgnis der Befangenheit aus der Sicht eines verständigen Angeklagten (vgl. Senat NJW 2006, 3290, 3295 m.w.N.; NStZ 2007, 161, 163) nicht begründen. Es mag dahinstehen , inwieweit prozessual fehlerhaftes Verhalten überhaupt Anlass zur Besorgnis der Befangenheit geben könnte (Senat NStZ 2007, 163, 164). Dem braucht der Senat hier nicht nachzugehen. Denn nicht nur die Ablehnung des Beweisantrags erfolgte rechtsfehlerfrei; es bedurfte hierzu auch nicht der vorherigen Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung. Durch die Verkündung des Ableh- nungsbeschlusses vor der abschließenden Urteilsberatung wird dem Antragsteller rechtliches Gehör gewährt; hierdurch wird ihm Gelegenheit gegeben, den Vorwurf, er habe den Beweisantrag nur in Prozessverschleppungsabsicht gestellt, zu entkräften oder die ihm sonst infolge der Ablehnung des Beweisantrags notwendig erscheinenden Maßnahmen zu treffen (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Prozessverschleppung 4; BGH NStZ 1998, 207, jew. m.w.N.).

II.

43
Revision des Angeklagten Sc. :
44
1. Rüge der Mitwirkung des wegen eines Hinweises abgelehnten Vorsitzenden (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff. StPO):
45
a) Der Rüge, an dem Urteil habe der Vorsitzende Richter M. mitgewirkt , nachdem ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch wegen eines von ihm erteilten Hinweises mit Unrecht verworfen worden sei, liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
46
Am siebten Verhandlungstag der ersten Hauptverhandlung, dem 27. Juli 2005, wurde die im Ermittlungsverfahren tätige Dolmetscherin und Übersetzerin T. als Zeugin vernommen. Sie sagte aus, dass sie keine Prüfung als Dolmetscherin oder Übersetzerin abgelegt habe und nicht allgemein vereidigt sei; sie komme allerdings aus Moskau und habe dort Germanistik studiert. Daraufhin widersprachen die Verteidiger der Angeklagten und des damaligen Mitangeklagten F. der Verwertung sämtlicher - noch in die Hauptverhandlung einzuführender und bereits eingeführter - Vernehmungen, an denen die Zeugin als Sprachmittlerin mitgewirkt habe. Der Vorsitzende erteilte unterdessen folgenden Hinweis: "Der Vorsitzende wies darauf hin, dass die soeben vernommene Zeugin T. in der jetzigen Vernehmung die deutsche Sprache ohne jeden grammatikalischen Fehler beherrschte und ihre Muttersprache russisch ist, wie sie erklärte."
47
Die Verteidigung widersprach dieser Feststellung. Die Revision behauptet , der Vorsitzende habe, noch bevor die Widersprüche vollständig protokolliert gewesen seien, unter Anordnung einer Unterbrechung bis zum nächsten Tag den Sitzungssaal verlassen und sei später zur Rückkehr bewegt worden. Am folgenden Verhandlungstag, dem 28. Juli 2005, stellte der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. namens des Angeklagten S. ein Befangenheitsgesuch , dem sich sämtliche Verteidiger, auch Rechtsanwalt Schw. für den Angeklagten Sc. , anschlossen. Mit Beschluss vom 1. August 2005 sind die Gesuche als unbegründet verworfen worden.
48
b) Der Beschwerdeführer meint, dass der Vorsitzende mit dem Hinweis "rechtliche Erwägungen im Bezug auf die Rolle von Frau T. vorgenommen" habe, "was die Besorgnis der Befangenheit begründe(…)". Der Vorsitzende habe den Eindruck vermitteln wollen, § 73 Abs. 2 StPO sei hier nicht anwendbar. Zudem habe er die der Kammer obliegende Beweiswürdigung vorweggenommen ; es handele sich um den "Versuch …, eine (nicht zwingende) Feststellung, die seiner persönlichen Wertung entspricht, … als unumstößlich ins Protokoll aufzunehmen"; diese "unzulässige Vorwegwürdigung" habe "die Folge, die weiteren Kammermitglieder zu präjudizieren".
49
c) Bei verständiger Würdigung war ein Misstrauen in die Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Vorsitzenden nicht gerechtfertigt.
50
Die Revision verkennt bereits, dass das geltende Recht ein Beweisverwertungsverbot aufgrund der Heranziehung eines nicht öffentlich bestellten und allgemein beeidigten Dolmetschers oder Übersetzers nicht kennt. Bei einem Dolmetscher handelt es sich schon nicht um einen Sachverständigen (Senge in KK 5. Aufl. vor § 72 Rdn. 9), so dass § 73 Abs. 2 StPO insoweit nicht einschlägig ist; im Übrigen hat ein Verstoß gegen die Sollvorschrift des § 73 Abs. 2 StPO ohnehin kein Verwertungsverbot zur Folge. Auch aus den sonstigen im Ablehnungsgesuch zitierten Vorschriften (§ 185 Abs. 1 GVG; Bayerisches Dolmetschergesetz ; Nr. 181 Abs. 1 RiStBV) ergibt sich ein solches Verwertungsverbot nicht.
51
Die Annahme der Besorgnis der Befangenheit in der Person des Vorsitzenden liegt aber insbesondere deswegen fern, weil der protokollierte Hinweis von seiner Befugnis zur Verhandlungsleitung nach § 238 Abs. 1 StPO gedeckt war. Ist nämlich über ein Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot, wie dies hier von der Verteidigung (zu Unrecht) geltend gemacht worden war, zu entscheiden , so kann der Vorsitzende darüber im Rahmen der Sachleitung befinden. Die ein derartiges Verbot möglicherweise begründenden Umstände sind dabei gegebenenfalls freibeweislich zu ermitteln. Eine durch den Vorsitzenden aufgrund eigener Wertung angeordnete Beweisaufnahme können die Verfahrensbeteiligten beanstanden und somit einen Beschluss nach § 238 Abs. 2 StPO herbeiführen (vgl. BGHSt 51, 1, 4). Denn gerade im Fall eines Beurteilungsspielraums des Vorsitzenden oder eines gesetzlich eröffneten Ermessens obliegt es dem Verfahrensbeteiligten, der sich durch die Anordnung beschwert fühlt, die Verantwortung des Spruchkörpers zu aktivie-ren (BGH NJW 2007, 384, 387, zur Veröffentlichung in BGHSt 51, 144 bestimmt).
52
Gemessen daran ist das Verhalten des Vorsitzenden nicht zu beanstanden. Denn hiernach durfte er im Rahmen seiner Sachleitungsbefugnis die Richtigkeit der Übersetzung der im Ermittlungsverfahren tätigen Dolmetscherin und Übersetzerin wertend beurteilen.
53
2. Rüge der Mitwirkung des wegen der Terminierung abgelehnten Vorsitzenden (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff. StPO):
54
Zum Befangenheitsgesuch vom 25. Januar 2006, das sich im Kern darauf stützt, der Vorsitzende Richter M. habe für die Neuverhandlung eine zu kurzfristige und straffe Terminierung beabsichtigt, um den vom Angeklagten Sc. akzeptierten Pflichtverteidiger Rechtsanwalt Schw. "auszuschalten" , wird auf die Senatsentscheidungen vom 20. Juni 2006 - 1 StR 169/06 (abgedr. in NStZ 2006, 513) und vom 29. August 2006 - 1 StR 285/06 (abgedr. in NStZ 2007, 163) verwiesen.
55
Im Übrigen bemerkt der Senat:
56
Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass bei der Bestimmung der Termine - zumal bei einer ausgesetzten Hauptverhandlung - "der übliche Vorlauf von 2 - 3 Monaten" einzuhalten sei, gibt es nicht; nichtsdestotrotz hat der Vorsitzende ausweislich der Urteilsfeststellungen (UA S. 105) später sogar einem entsprechenden Terminsverlegungsantrag des Verteidigers Rechtsanwalt Schw. Folge geleistet. Auch die fernmündliche Äußerung des Vorsitzenden jenem gegenüber, "es könne nicht sein, dass er am Schluss die Haftbefehle aufheben müsse, weil die Verteidiger keine Zeit hätten", kann hier - nicht einmal im Ansatz - die Besorgnis der Befangenheit begründen.
57
3. Rüge der überlangen Verfahrensdauer und rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK):
58
a) Im Rahmen der Strafzumessung hat die Kammer ausdrücklich davon abgesehen, eine überlange Verfahrensdauer oder rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zugunsten des Angeklagten Sc. zu berücksichtigen, da Verhandlung und Entscheidung innerhalb angemessener Zeit erfolgt seien (UA S. 104 ff. d.A.). Das Urteil führt im Wesentlichen dazu aus, dass die Verfahrensdauer - die Anklageschrift datiert auf den 26. Oktober 2004 - ihre Ursache in Terminsabstimmungen mit den Verteidigern zunächst von vier, später von zwei Angeklagten hatte. Die Aussetzung der Hauptverhandlung sei aufgrund eines Beweisantrags des Verteidigers Rechtsanwalt Schw. auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens erforderlich geworden; mit dem Antrag sei vorgetragen worden, der Angeklagte Sc. habe bei zwei Motorradunfällen in den Jahren 1988 und 1989 massive Kopfverletzungen erlitten.
59
b) Die Sachrüge, mit der der Beschwerdeführer diese Erwägungen angreift , kann den Bestand des Urteils nicht gefährden.
60
Will der Beschwerdeführer die Verletzung des Beschleunigungsgebots geltend machen, erfordert dies grundsätzlich die Erhebung einer Verfahrensrüge (BGHSt 49, 342; BGH, Beschluss vom 14. Februar 2007 - 1 StR 618/06; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. September 2006 - 2 BvR 1377/06). Ein Ausnahmefall, für den der Bundesgerichtshof angenommen hat, das Revisionsgericht habe wegen eines Erörterungsmangels auf die Sachrüge hin einzugreifen (vgl. BGHSt aaO; NStZ-RR 2007, 71; Beschluss vom 17. April 2007 - 5 StR 541/06), liegt hier nicht vor. Denn das Urteil legt nachvollziehbar dar, dass und weshalb die lange Verfahrensdauer nicht der Justiz anzulasten ist. Eine "minutiös genaue" Darstellung des Verhandlungsgangs ist dabei nicht erforderlich. Von den Urteilsfeststellungen abweichender oder darüber hinausgehender Sachvortrag kann im Rahmen der Sachrüge keine Berücksichtigung finden. Die Auslegung oder Umdeutung der Beanstandung im Rahmen der Sachrüge als bzw. in eine zulässige Verfahrensrüge (vgl. Senat NJW 2007, 92, 95 f.) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Darlegungen erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO) erfolgten.
61
Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, welche Spielräume zur Förderung des Verfahrens der Kammer verblieben, ob etwa der Vorsitzende bei der Terminierung unter Verletzung des Beschleunigungsgebots in zu weit reichendem Umfang den Terminswünschen der Verteidiger nachkam und inwieweit dies hätte eine Strafmilderung zugunsten des Beschwerdeführers bewirken können. Nack Wahl Boetticher Kolz Hebenstreit

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 484/08
vom
23. September 2008
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
________________________
1. Aus dem Recht und der Pflicht des Vorsitzenden zur Sachleitung des Verfahrens
folgt die Befugnis, den Verfahrensbeteiligten eine Frist zur Stellung von
Beweisanträgen zu setzen. § 246 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen.
2. Wird nach der gesetzten Frist ein Beweisantrag gestellt, kann dies ein Indiz
für die innere Tatsache der Verschleppungsabsicht darstellen, wenn der Antragsteller
die Gründe für die verspätete Antragstellung nicht nachvollziehbar
und substantiiert darlegen kann und auch die Aufklärungspflicht nach § 244
Abs. 2 StPO nicht zur Beweiserhebung drängt.
3. Macht der Vorsitzende von der Möglichkeit der Fristsetzung Gebrauch, ist die
Anordnung nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO zu protokollieren. Die Verfahrensbeteiligten
sind darauf hinzuweisen, dass eine Ablehnung der Beweisanträge
, die nach Fristablauf gestellt wurden, wegen Verschleppungsabsicht
bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen möglich ist.
4. Wurde der Hinweispflicht entsprochen, können Hilfsbeweisanträge auch erst
im Urteil wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden.
BGH, Beschl. vom 23. September 2008 - 1 StR 484/08 - LG Münster
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. September 2008 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Münster vom 7. März 2008 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt, wovon vier Monate als verbüßt gelten. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Die Verfahrensrüge, mit der die rechtsfehlerhafte Ablehnung verschiedener Hilfsbeweisanträge wegen Prozessverschleppungsabsicht geltend gemacht wird, hat keinen Erfolg.
3
1. Die Revision trägt folgendes Verfahrensgeschehen vor:
4
Am 10. Hauptverhandlungstag wurde seitens des Vorsitzenden der Strafkammer angeordnet, dass „den Beteiligten … zur Stellung von weiteren Beweisanträgen eine Frist bis zum 26.09.2007 gesetzt“ wird. Auf Antrag des Verteidigers des Angeklagten wurde die Frist unmittelbar im Anschluss durch weitere Anordnung des Vorsitzenden bis zum 9. Oktober 2007 verlängert. Sodann wurde den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Am darauf folgenden Verhandlungstag beantragte der Verteidiger, die Frist für weitere Beweisanträge aufzuheben, und einen diesbezüglichen Beschluss der Strafkammer. Nach Unterbrechung der Verhandlung bestätigte die Kammer die vom Vorsitzenden angeordnete Fristsetzung. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass es „nach der neuen Rechtsprechung des BGH vor al- lem in umfangreichen Verfahren zulässig und sinnvoll ist, solche Fristen zu setzen.“ Die gesetzte Frist erscheine zudem angemessen. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung wurden auch nach dem 9. Oktober 2007 gestellte Beweisanträge seitens des Landgerichts entgegengenommen, denen teilweise auch nachgegangen wurde. Im Rahmen seines Schlussvortrages am 27. Verhandlungstag stellte der Verteidiger dann verschiedene Hilfsbeweisanträge, die allesamt im Urteil wegen Prozessverschleppungsabsicht abgelehnt wurden.
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2. Die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 3 StPO sowie des Rechts auf ein faires Verfahren ist bereits unzulässig, da sie den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entspricht.
6
a) Der Beschwerdeführer muss die Tatsachen, die den behaupteten Verfahrensmangel begründen, so vollständig und genau mitteilen, dass das Revisionsgericht auf Grund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Ver- fahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (vgl. statt aller Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 344 Rdn. 24 m.w.N.). Für einen erschöpfenden Vortrag sind dabei auch - verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG NJW 2005, 1999, 2002) - die Verfahrenstatsachen vorzutragen, die der erhobenen Rüge entgegenstehen könnten (vgl. zuletzt Senat NStZ-RR 2007, 53, 54).
7
b) Mit der Rüge wird geltend gemacht, dass die Strafkammer die Hilfsbeweisanträge im Urteil wegen Verschleppungsabsicht abgewiesen habe, ohne zuvor darauf hingewiesen zu haben, dass Beweisanträge, die nach Ablauf der am 10. Hauptverhandlungstag gesetzten Frist gestellt werden, auch wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden können. Dies ist indes nach der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden der Strafkammer, die in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft mitgeteilt wird und der die Revision nicht entgegengetreten ist, nicht der Fall. Danach wurde vielmehr am 11. Hauptverhandlungstag nachdem der Gerichtsbeschluss verkündet worden war, der die Fristsetzung des Vorsitzenden bestätigte, mit den Verfahrensbeteiligten die Bedeutung der Fristsetzung erörtert. Seitens des Vorsitzenden wurde darauf hingewiesen , dass es als Indiz für eine Verschleppungsabsicht gewertet werden kann, wenn Beweisanträge erst nach Fristablauf gestellt werden, und dass bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen eine Zurückweisung der Beweisanträge wegen Prozessverschleppung in Betracht kommt. Dieses Verfahrensgeschehen mitzuteilen, das für die Beurteilung der Verfahrensrüge bedeutsam ist, versäumt die Revision. Das mag seine Ursache darin haben, dass in der Revisionsinstanz ein anderer Verteidiger als in der Tatsacheninstanz beauftragt war. In solchen Fällen trifft den neuen Verteidiger indes eine Erkundigungspflicht (vgl. Senat NStZ 2005, 283, 284), zumal in der Revisionsbegründung ausdrücklich das Fehlen eines entsprechenden Hinweises gerügt wurde. Unter diesen Voraussetzungen gebietet auch das verfassungsrechtlich garantierte Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes kein anderes Ergebnis (BVerfG StraFo 2005, 512).
8
c) Bei der gegebenen Sachlage wäre die Rüge zudem aber auch unbegründet. Das Landgericht hat die Hilfsbeweisanträge zu Recht wegen Prozessverschleppungsabsicht abgelehnt. Die verlangte Beweiserhebung konnte nichts Sachdienliches zugunsten des Angeklagten erbringen, was dem Antragsteller auch bewusst war. Darüber hinaus bezweckte er mit dem Antrag ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses. Durch die begehrte Beweiserhebung wäre auch eine wesentliche Verzögerung eingetreten.
9
aa) Unter umfassender Würdigung aller maßgeblichen Umstände (vgl. BGHSt 51, 333, 336 Rdn. 17) hat die Strafkammer die vorstehend aufgezeigten Voraussetzungen für die Ablehnung der Hilfsbeweisanträge wegen Verschleppungsabsicht (vgl. insoweit nur BGHSt 51, 333, 336 Rdn. 15) rechtsfehlerfrei dargelegt. Ihr war dabei nicht verwehrt, das voraussichtliche Beweisergebnis vorweg zu würdigen (BGHSt 21, 118, 122).
10
Hierfür hat sie die Aussagen der bisher vernommenen Zeugen und den sonstigen Akteninhalt berücksichtigt, aus der sich für die in den abgelehnten Beweisanträgen behauptete herausragende Stellung des Zeugen im Unternehmen des Angeklagten keinerlei Anhaltspunkte ergaben. Weiter führt die Strafkammer aus, dass auch die Vernehmung anderer Zeugen, die in Erledigung früherer Beweisanträge der Verteidigung zu identischen Beweisthemen erfolgte, keine Erkenntnisse, die den Angeklagten entlasteten, erbracht hatte. Aufgrund eingehender Würdigung der dargelegten Gesichtspunkte gelangt das Landgericht sodann zu der Überzeugung, dass sich die Verteidigung bei Stellung der gegenständlichen Hilfsbeweisanträge über die Nutzlosigkeit der begehrten Beweiserhebung bewusst war. Unter Darlegung des bisherigen Prozessverlaufes und Prozessverhaltens, wobei unter anderem - neben anderweitigen Gesichtspunkten - auch auf die seitens der Kammer gesetzte Frist abgestellt wird, begründet die Strafkammer anschließend, dass seitens der Verteidigung mit den Hilfsbeweisanträgen ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses bezweckt wurde.
11
Diese Erwägungen erweisen sich in tatsächlicher Hinsicht als tragfähig und rechtlich zutreffend. Namentlich war es der Strafkammer nicht verwehrt, den Umstand, dass die Hilfsbeweisanträge nach Ablauf der seitens der Strafkammer gesetzten Frist zur Stellung von Beweisanträgen gestellt worden waren , in die Abwägung mit einzubeziehen. Dieser Aspekt wurde lediglich als einer von mehreren Gesichtspunkten in die erforderliche Gesamtabwägung eingestellt. Es führte nicht die verspätete Antragstellung als solche zur Zurückweisung , was nach § 246 Abs. 1 StPO unzulässig wäre. Darauf, dass es als Indiz für eine Verschleppungsabsicht gewertet werden kann, wenn Beweisanträge nach Fristablauf gestellt werden (vgl. insoweit auch BGHSt 51, 333, 344 Rdn. 37), waren die Verfahrensbeteiligten hingewiesen worden.
12
bb) Ohne Rechtsfehler hat die Strafkammer auch dargelegt, dass die beantragte Beweiserhebung zu einer wesentlichen Verzögerung des Verfahrens geführt hätte. Für die Vernehmung des nicht am Gerichtsort wohnenden Zeugen hätte, da aufgrund der eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten eine Durchführung der Beweisaufnahme am Tag der Antragstellung nicht mehr möglich war, ein weiterer Hauptverhandlungstag anberaumt werden müssen. Hierbei konnte das Landgericht - neben anderen Gesichtspunkten - auch berücksichtigen, dass aufgrund der eingeschränkten Verhandlungsfähig- keit des Angeklagten eine - zudem auch aus anderen Gründen nicht ohne weiteres durchführbare - unmittelbare Beweisaufnahme am Tage der Antragstellung nicht möglich war. Es zog insoweit bei seiner Bewertung der Wesentlichkeit der Verzögerung lediglich eine Verfahrenstatsache heran, von der abzuweichen ohne weiteres kein Anlass bestand. Ein von der Revision in diesem Zusammenhang erkannter Zynismus ist nicht gegeben. Angesichts der Tatsache , dass seitens des Gerichts für den Tag der Antragstellung bereits im Anschluss an die Schlussvorträge die Urteilsberatung und -verkündung vorgesehen war, wäre - auch unter Berücksichtigung der sich aus dem Rubrum des Urteils ergebenden Folge der bisherigen Hauptverhandlungstermine (zuletzt einmal wöchentlich) - eine Verzögerung von mehreren Tagen eingetreten. Da das Verfahren im Übrigen abschlussreif war und bereits seit Ende 2001 andauerte , war die Verzögerung, die demnach eingetreten wäre, auch wesentlich. Im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz sind, je länger ein Strafverfahren andauert, die Anforderungen an die Wesentlichkeit der Verfahrensverzögerung geringer. In solchen Fällen kann auch eine relativ geringfügige zeitliche Verzögerung wesentlich sein. Ob an der bisherigen Rechtsprechung weiter festzuhalten ist, wonach der Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht nur Anwendung finden kann, wenn die Erhebung des beantragten Beweises das Verfahren wesentlich verzögern würde, braucht daher vorliegend - wenngleich gute Gründe für die Aufgabe der diesbezüglichen Rechtsprechung sprechen (vgl. BGHSt 51, 333, 342 Rdn. 32 ff., BGH StV 2008, 9, 10) - nicht entschieden zu werden.
13
cc) Nachdem die Verfahrensbeteiligten im Anschluss an den Beschluss der Strafkammer, der die Frist für die Stellung von Beweisanträgen des Vorsitzenden bestätigte, darauf hingewiesen worden waren, dass nach Fristablauf gestellte Beweisanträge auch wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=BGHSt&B=22&S=124 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=NStZ&B=1986&S=372 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=StV&B=1990&S=394 - 9 - können, war es auch zulässig, die Hilfsbeweisanträge darauf gestützt im Urteil abzulehnen. Zutreffend trägt die Revision in diesem Zusammenhang zwar vor, dass dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig nicht zulässig ist. Die insoweit maßgeblichen Gesichtspunkte, die ein solches Vorgehen dem Grundsatz nach verbieten, sind vorliegend indes nicht gegeben.
14
(1) In der Regel kann ein Hilfsbeweisantrag im Urteil abgelehnt werden. Mit der hilfsweisen Antragstellung im Schlussvortrag bringt der Antragsteller zum Ausdruck, dass er auf eine Bescheidung in der Hauptverhandlung nach § 244 Abs. 6 StPO verzichtet und sich damit einverstanden zeigt, dass sein Antrag erst in den Urteilsgründen beschieden wird (vgl. Fischer in KK 6. Aufl. § 244 Rdn. 92). Dies gilt indes nicht, wenn die Ablehnung des Beweisantrags auf Verschleppungsabsicht gestützt werden soll. Dann ist der Beweisantrag grundsätzlich wie ein unbedingt gestellter Antrag zu behandeln; er ist mit einem in der Hauptverhandlung verkündeten Beschluss zu bescheiden, um dem Antragsteller die Gelegenheit zu geben, den gegen ihn erhobenen Verschleppungsvorwurf zu entkräften (vgl. BGHSt 22, 124 f.; BGH NStZ 1986, 372; StV 1990, 394; BGH NStZ 1998, 207 m. Anm. Sander).
15
(2) Ist aber im Laufe des Verfahrens - wie hier - durch entsprechenden Hinweis des Gerichts klargestellt, dass es als Indiz für eine Verschleppungsabsicht gewertet werden kann, wenn Beweisanträge erst nach Ablauf einer zuvor gesetzten Frist gestellt werden, besteht kein Anlass, dem Antragsteller nochmals die Möglichkeit zur Verteidigung gegen den Verschleppungsvorwurf zu geben. Maßnahmen, mit denen er die Ablehnung des Beweisantrags unter diesem Gesichtspunkt hätte vermeiden können, wie z.B. die in der Revision aufgezeigte Ausübung des Selbstladerechts oder die Stellung anderweitiger, möglicherweise gar im Hinblick auf die Bescheidung des ersten Hilfsbeweisantrags bedingte Anträge, sind zumutbar und vom redlichen Antragsteller auch zu erwarten , wenn er aufgrund entsprechender Hinweise des Gerichts darum weiß, dass nach einem bestimmten Zeitpunkt die Möglichkeit der Ablehnung wegen Verschleppungsabsicht erwogen wird. Zudem besteht für den Antragsteller in Kenntnis der konkreten prozessualen Situation ohne weiteres die Möglichkeit, die Beweisanträge unbedingt zu stellen. Dadurch wird weder die Verteidigung in unzulässiger Weise beschränkt, noch das Verfahren verzögert. Zudem würden die mit der Fristsetzung zur Antragstellung verfolgten Zwecke im Wesentlichen leer laufen, wenn in diesen Konstellationen der Grundsatz Anwendung fände, dass Hilfsbeweisanträge nicht im Urteil wegen Verschleppungsabsicht zurückgewiesen werden dürfen.
16
3. Soweit mit der Revision darüber hinaus im Hinblick auf die Fristsetzung durch das Landgericht die Verletzung von § 246 Abs. 1 StPO gerügt wird, ist die Rüge unbegründet. § 246 Abs. 1 StPO verbietet nicht die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht gemäß § 244 Abs. 3 StPO. Verspätete Stellung eines Beweisantrags kann alleine schon für Verschleppungsabsicht sprechen (BGH NStZ 1990, 350, 351). Einer Fristsetzung, die lediglich ein Indiz für die innere Tatsache der Verschleppungsabsicht sein kann und die zudem keine Ausschlussfrist ist, steht § 246 Abs. 1 StPO nicht entgegen. Vielmehr folgt eine diesbezügliche Befugnis aus dem Recht und der Pflicht des Vorsitzenden zur Sachleitung des Verfahrens, insbesondere der Hauptverhandlung.
17
a) Nach den §§ 213 ff., § 238 Abs. 1 StPO hat der Vorsitzende die Durchführung der Hauptverhandlung durch geeignete Maßnahmen vorzubereiten und deren Durchführung sicherzustellen. Dies gibt ihm - soweit der Verfahrensgang nicht durch § 243 StPO festgelegt ist - auch die Befugnis, den Gang der Beweisaufnahme, insbesondere auch die zeitliche Reihenfolge der einzelnen Beweiserhebungen, zu bestimmen (vgl. Fischer in KK 6. Aufl. § 238 Rdn. 3). Daraus folgt auch die Befugnis, durch eine Fristsetzung für eventuelle Beweisanträge die weitere Gestaltung der Beweisaufnahme zu fördern, wenn die vom Gericht nach dem Maßstab der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) für geboten gehaltene Beweiserhebung abgeschlossen ist. Eine solche Vorgehensweise wird bei Verfahren, die bereits seit längerem andauern, insbesondere solchen mit einer Hauptverhandlung, die mindestens zehn Verhandlungstage umfasst (§ 229 Abs. 2 StPO), regelmäßig im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz , der einen Abschluss des Verfahrens in einem angemessenen zeitlichen Rahmen gebietet (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK), angezeigt sein, um eine hinreichend straffe Verhandlungsführung zu ermöglichen.
18
b) § 246 Abs. 1 StPO verbietet demgegenüber lediglich aufgrund des im Strafprozess geltenden Prinzips materieller Wahrheit eine Präklusion von Beweisvorbringen auf Grund Zeitablaufs (Fischer in KK 6. Aufl. § 246 Rdn. 1). Eine solche geht indes mit der Fristsetzung nicht einher. Werden Anträge nicht innerhalb der gesetzten Frist gestellt, sind für eine Verschleppungsabsicht des Antragstellers lediglich signifikante Indizien gegeben, wenn dieser die Gründe für die verspätete Antragstellung nicht nachvollziehbar und substantiiert darlegen kann und auch die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO nicht zur Beweiserhebung drängt (BGHSt 51, 333, 344 Rdn. 37).
19
c) Auch soweit § 246 Abs. 1 StPO ein Verbot enthalten sollte, den Verfahrensbeteiligten einen Zeitpunkt für die Stellung von Beweisanträgen vorzuschreiben (so - nicht tragend - BGH NStZ 1986, 371; BGH NStZ 1990, 350, 351), würde gegen dieses Verbot durch die Fristsetzung nicht verstoßen. Denn den Verfahrensbeteiligten bleibt es - sei es aus prozesstaktischen oder aus an- deren Gründen - weiter freigestellt, auch nach der gesetzten Frist Beweisanträge zu stellen. An der Pflicht des Gerichts zur Entgegennahme und Verbescheidung der Beweisanträge ändert sich nichts (BGHSt 51, 333, 345 Rdn. 38).
20
d) Macht der Vorsitzende von der Möglichkeit der Fristsetzung Gebrauch, ist die Anordnung nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO zu protokollieren. Es empfiehlt sich, den Grund der Anordnung und die Angemessenheit der Frist in gebotenem Umfang zu begründen. Hierbei sind die Verfahrensbeteiligten darauf hinzuweisen, dass das Gericht Beweisanträge, die nach Ablauf der Frist gestellt werden, nach den allgemeinen Regeln entgegen zu nehmen und zu bescheiden hat. Darüber hinaus ist darzulegen, dass im Falle der Antragstellung nach Fristablauf der Antragsteller die Gründe hierfür substantiiert darzulegen hat und das Gericht, wenn nach dessen Überzeugung kein nachvollziehbarer Anlass für die verfristete Antragstellung besteht, grundsätzlich davon ausgehen kann, dass der Antrag nichts anderes als die Verzögerung des Verfahrens bezweckt, falls nicht die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO gleichwohl zur Beweiserhebung drängt. Demgemäß sind die Verfahrensbeteiligten auch darauf hinzuweisen, dass - ggfs. bei Hilfsbeweisanträgen auch im Urteil - eine Ablehnung der Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt wurden, wegen Verschleppungsabsicht bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen möglich ist.

II.


21
Auch die Sachrüge bleibt ohne Erfolg. Ergänzend zu der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
22
Entgegen der Auffassung der Revision sind die Feststellungen des angefochtenen Urteils weder lückenhaft noch widersprüchlich. Der Angeklagte initiierte die zur Aburteilung gelangten Geschäfte nicht, um einen günstigeren Rückerwerb der Kraftfahrzeuge zu erreichen. Wie den Urteilsgründen in ihrem Zusammenhang noch hinreichend entnommen werden kann, handelte es sich bei den Geschäften um Scheingeschäfte im Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 1 AO, um die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) vorzutäuschen, der dem Unternehmen des Angeklagten tatsächlich nicht zustand. In den weiteren Fällen wurden durch Scheingeschäfte i.S.v. § 41 Abs. 2 Satz 1 AO umsatzsteuerpflichtige Inlandsgeschäfte zwischen dem Unternehmen des Angeklagten und dessen Kunden verschleiert, um so seine aus § 13a Abs. 1 Nr. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG folgende Zahlungsverpflichtung zu umgehen. Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht als rechtsfehlerhaft.
23
Unter Berücksichtigung des im Urteil hinreichend dargelegten Verfahrensgangs hat die Strafkammer auch der eingetretenen Verfahrensverzögerung bei der Strafzumessung rechtsfehlerfrei Rechnung getragen. Die von der Revision in diesem Zusammenhang vermisste Berücksichtigung bei der Bemessung der Einzelstrafen findet sich im Urteil auf Seiten 97 und 100. Unter Berücksichtigung des Umfangs und der Komplexität des Verfahrens ist die zur Kompensation gewährte Anrechnung in revisionsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 162/09
vom
10. November 2009
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. November 2009 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Bochum vom 20. Juni 2008 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in 29 Fällen, davon in 19 Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung , und wegen versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Zur Kompensation einer konventionswidrigen Verfahrensverzögerung hat es hiervon drei Monate als vollstreckt erklärt. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Es ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 13. August 2009 bemerkt der Senat:
3
1. Soweit die erhobenen Verfahrensrügen nicht bereits unzulässig sind, weil sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügen, sind sie jedenfalls unbegründet. Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
4
a) Der Beschwerdeführer beanstandet mit Recht, dass die Strafkammer Hilfsbeweisanträge mit der Begründung nicht mehr beschieden hat, durch einen am 14. Mai 2008 in der Hauptverhandlung ergangenen Gerichtsbeschluss sei dem Beschwerdeführer eine abschließende Frist zur Stellung weiterer Beweisanträge bis zum 28. Mai 2008 gesetzt worden. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
Zwar kann der Vorsitzende nach Abschluss der vom Gericht nach Maßstab der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) für geboten gehaltenen Beweiserhebungen die übrigen Verfahrensbeteiligten unter Fristsetzung auffordern , etwaige Beweisanträge zu stellen (vgl. BGHSt 51, 333, 344; BVerfG - Kammer - Beschl. vom 6. Oktober 2009 - 2 BvR 2580/08). Das Verstreichen dieser Frist führt aber nicht dazu, dass hiernach gestellte Beweisanträge vom Gericht als verspätet abgelehnt werden könnten oder überhaupt nicht mehr zu bescheiden wären. Denn diese Frist stellt keine Ausschlussfrist dar; sie lässt die Pflicht des Gerichts zur Ermittlung des wahren Sachverhalts unberührt. Es ist deshalb ausgeschlossen, einen Beweisantrag allein aufgrund eines zeitlich verzögerten Vorbringens abzulehnen (BVerfG aaO).
6
Die Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen trägt im Einzelfall dem Gebot effektiver und beschleunigter Durchführung von Strafverfahren Rechnung und beugt der Gefahr vor, dass durch sukzessive Beweisantragstellung der Abschluss des Verfahrens hinausgezögert wird (BVerfG aaO). Mit der Fristsetzung betont das Gericht, aus welchen äußeren Beweisanzeichen es im Ein- http://www.juris.de/jportal/portal/t/vo2/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR006290950BJNE035702305&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/vo2/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR006290950BJNE035702305&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 4 - zelfall auf das Vorliegen der Verschleppungsabsicht schließen will. Bei der Fristversäumung handelt es sich aber lediglich um einen von mehreren Umständen , die für das Vorliegen der Voraussetzungen des Ablehnungsgrundes des § 244 Abs. 3 Satz 2, 6. Alt. StPO von Bedeutung sind. Wird die gesetzte Frist nicht gewahrt, kann das Gericht „signifikante Indizien“ für das Vorliegen einer der Voraussetzungen des Ablehnungsgrundes der Prozessverschleppungsabsicht annehmen. Hierdurch wird das subjektive und damit regelmäßig schwer beweisbare Moment der Verschleppungsabsicht anhand objektiver Kriterien erschlossen (vgl. BVerfG aaO). Die Nichtwahrung der Frist ist somit ein Indiz für das Vorliegen einer Prozessverschleppungsabsicht. Um dieses Indiz zu entkräften, ist der Antragsteller bei Beweisanträgen nach Ablauf der Frist gehalten, die Gründe für die späte Antragstellung substantiiert darzulegen. Besteht nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund fehlender oder nicht ausreichender Substantiierung kein nachvollziehbarer Anlass für die Überschreitung der gesetzten Frist, so darf es - falls nicht die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO zur Beweiserhebung drängt - grundsätzlich davon ausgehen, dass mit dem Antrag nur die Verzögerung des Verfahrens bezweckt wird (BGHSt 51, 333, 344). Das Gericht hat hier jedoch die Hilfsbeweisanträge nicht im Urteil wegen Prozessverschleppungsabsicht zurückgewiesen. Es fehlt vielmehr an einer ausdrücklichen Bescheidung der Anträge.
7
Der Senat schließt aber aus, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Selbst eine rechtsfehlerhafte Zurückweisung eines Hilfsbeweisantrages im Urteil führt dann nicht zur Urteilsaufhebung, wenn der Antrag vom Tatgericht mit rechtsfehlerfreier Begründung abgelehnt werden konnte und die zutreffenden Ablehnungsgründe vom Revisionsgericht - aufgrund des Urteilsinhalts - nachgebracht oder ergänzt werden können (BGH NStZ 1998, 98; 2008, 116). Für den Fall der Nichtbescheidung eines Hilfsbeweisantrags kann nichts anderes gelten, wenn die Gründe für die Ablehnung vom Revisionsgericht ergänzt werden können. So liegt der Fall auch hier.
8
Den im Abschnitt I Ziffer 11, 12, 13 und 14 der Revisionsbegründungsschrift geschilderten Hilfsbeweisanträgen musste das Landgericht schon deshalb nicht nachgehen, weil die darin unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung waren (§ 244 Abs. 3 StPO). Die Beweistatsachen lassen lediglich einen möglichen, aber keinen zwingenden Schluss auf eine fehlende Glaubhaftigkeit der Einlassung des Mitangeklagten A. zu, auf die sich der Beschwerdeführer beruft. Den vom Beschwerdeführer mit den Hilfsbeweisanträgen erstrebten Schluss, die Angaben des geständigen Mitangeklagten A. seien in ihrer Gesamtheit nicht glaubhaft, hätte das Landgericht auch dann nicht gezogen, wenn die Beweistatsachen erwiesen worden wären. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus den Ausführungen der Strafkammer zum Beweisergebnis im Übrigen, insbesondere aus der Vielzahl der gegen den Angeklagten sprechenden objektiven Umstände, aufgrund derer das Landgericht den Angeklagten als überführt ansieht (vgl. UA S. 58 ff.).
9
Die in der Revisionsbegründungsschrift mit der Ordnungsnummer I.14 bezeichnete Rüge ist zudem schon unzulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, weil sich der Hilfsbeweisantrag auf eine polizeiliche Vernehmung des Mitangeklagten A. bezieht, ohne dass deren Inhalt von der Revision mitgeteilt wird (vgl. BGHSt 40, 3, 5).
10
b) Die mit der Ordnungsnummer I.20 bezeichnete Verfahrensrüge, mit der die Ablehnung eines Beweisantrags beanstandet wird, entspricht ebenfalls nicht den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Denn in dem der Rüge zugrunde liegenden, vom Landgericht abgelehnten Antrag auf Einholung eines graphologischen Gutachtens wird auf „Blatt 5 der Fallakte“ Bezug genommen , ohne dass diese Stelle ihrem Wortlaut oder ihrem wesentlichen Inhalt nach in der Revisionsbegründungsschrift wiedergegeben wird. Der Senat kann daher nicht prüfen, ob das Landgericht den Antrag zu Recht abgelehnt hat.
11
2. Mit der Sachrüge deckt der Beschwerdeführer ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Allerdings gibt die Abfassung der Urteilsgründe, namentlich die zum Teil unterschiedliche Kennzeichnung der Einzelfälle nach Ordnungsziffern in Sachverhalt, Beweiswürdigung , rechtlicher Würdigung und Strafzumessung, dem Senat Anlass zu folgendem Hinweis:
12
Wird eine Tatserie abgeurteilt, ist es ratsam, in den Urteilsgründen für die einzelnen Taten im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung einheitliche Ordnungsziffern zu vergeben und diese durchgängig bei Beweiswürdigung, rechtlicher Würdigung sowie Strafzumessung weiterzuverwenden. Es kann den Bestand eines Urteils insgesamt gefährden, wenn - wie hier - die Urteilsgründe wegen einer inkonsistenten Nummerierung aus sich heraus nicht mehr ohne weiteres verständlich sind und die Ermittlung der für die Einzeltaten verhängten Strafen kaum ohne eine vollständige Rekonstruktion und tabellarische Exzerpierung des Urteilsinhalts möglich ist (vgl. BGH wistra 2006, 467, 468; BGH, Beschl. vom 11. Februar 2003 - 3 StR 391/02 m.w.N.).
13
Im vorliegenden Fall ist die revisionsgerichtliche Überprüfung zwar durch die mangelnde Sorgfalt bei der Abfassung der Urteilsgründe seitens des Tatgerichts erheblich erschwert worden. Da sich bei der Nachprüfung des Urteils aber keine unauflösbaren Widersprüche ergeben haben, hat der Senat die Darstellungsmängel letztlich als noch nicht durchgreifend erachtet.

14
3. Soweit das Landgericht die Fälle, in denen der Angeklagte jeweils tateinheitlich mit Betrug eine Urkundenfälschung begangen hat, in der Urteilsformel zu niedrig angegeben hat, sieht der Senat von einer Abänderung des Schuldspruchs ab. Der Angeklagte ist hierdurch nicht beschwert.
Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Wurde eine Hauptverhandlung extrem verzögert, namentlich
durch zum Zweck der Prozeßverschleppung gestellte Beweisanträge
, ist zur Verhinderung weiterer Verfahrensverzögerung
die prozessuale Möglichkeit in Betracht zu ziehen, den Verfahrensbeteiligten
eine Frist zu setzen und nach deren Ablauf gestellte
Beweisanträge grundsätzlich nicht mehr durch gesonderten
Gerichtsbeschluß, sondern erst in den Urteilsgründen zu bescheiden.
BGH, Beschluß vom 14. Juni 2005 – 5 StR 129/05
LG Hamburg –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 14. Juni 2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juni 2005

beschlossen:
1. Die Revisionen der Angeklagten Z und Y gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 27. März 2003 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
2. Die Revision der Nebenklägerin A A gegen dieses Urteil wird nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen.
3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Jeder Angeklagte hat die durch sein Rechtsmittel den Nebenklägern V und G A entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen, der Angeklagte Z darüber hinaus die durch sein Rechtsmittel den Nebenklägerinnen E und M entstanden notwendigen Auslagen.
G r ü n d e Das Schwurgericht hat – nach über dreieinhalb Jahren Verhandlungsdauer am 291. Verhandlungstag – den Angeklagten Z wegen Mordes (Tatkomplex A ; lebenslange Freiheitsstrafe als Einzelstrafe), wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Totschlags (Tatkomplex S /E ; Einzelfreiheitsstrafen von neun und elf Jahren) sowie wegen (besonders) schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchtem (besonders) schweren Raub (Tatkomplex R ; Einzelfreiheitsstrafe von zehn Jahren) zu lebenslanger Frei- heitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt, die besondere Schwere seiner Schuld festgestellt und die Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten angeordnet. Den Angeklagten Y hat das Schwurgericht wegen Anstiftung zum Mord (nur Tatkomplex A ) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit Verfahrens- und Sachrügen sowie eine Nebenklägerin mit einer Sachrüge.
Die Revisionen der Angeklagten sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 7. April 2005 im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet; die Revision der Nebenklägerin A A aus ist den dort genannten Gründen unzulässig (§ 400 Abs. 1 StPO). Über die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts hinaus sieht der Senat Anlaß zu folgenden Anmerkungen: 1. Die Revisionsbegründungsschrift von Rechtsanwalt Ri deckt keine durchgreifenden Rechtsfehler des Schwurgerichts, sondern ein Prozeßverhalten dieses Verteidigers des Angeklagten Z auf, das in seiner Gesamtheit als rechtsmißbräuchlich zu bewerten ist. Dies wird insbesondere durch folgende Umstände gekennzeichnet: Stellung einer Vielzahl sachlich unberechtigter Beweisanträge, zudem in sukzessiver Form, ohne daß für diese Vorgehensweise ein nachvollziehbares berechtigtes Interesse zu erkennen wäre; Reaktion auf die Ablehnung solcher und anderer Anträge mit umfangreichen „Gegenvorstellungen“ sowie vielfach unzulässigen Ablehnungsgesuchen und Unterbrechungsanträgen; Ankündigung zahlreicher weiterer Beweisanträge ohne auch nur andeutungsweise erfolgte Offenlegung eines berechtigten weiteren Aufklärungsbegehrens; letztendlich ein „Plädoyer“ , in dem über neun Verhandlungstage jeweils stundenlang bis zum schließlich notwendigen Abbruch durch das Gericht nahezu ausschließlich Zeugen- und Sachverständigenaussagen in chronologischer Reihenfolge ohne erkennbaren Versuch einer zusammenfassenden Würdigung der Hauptverhandlungsergebnisse referiert wurden. Gerade in seiner Kumulation zeigt dieses Prozeßverhalten, daß es Rechtsanwalt Ri damit nicht um die Wahrnehmung legitimer Verteidigungsaufgaben – den Angeklagten vor einem materiellen Fehlurteil oder auch nur einem prozeßordnungswidrigen Urteil zu schützen (vgl. BGH NStZ 2005, 341) – ging, sondern vorrangig um die Verhinderung eines Verfahrensabschlusses in angemessener Zeit durch die massive Beeinträchtigung von Verfahrensherrschaft und Arbeitsfähigkeit des Strafgerichts (vgl. Hassemer in Festschrift für Lutz Meyer-Goßner, 2001, S. 127, 143).
Abgesehen davon führt die Art und Weise des – zudem vielfach von urteilsfremdem Sachvortrag durchsetzten – Revisionsvorbringens von Rechtsanwalt Ri zu den einzelnen Verfahrensrügen – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat – zur Unzulässigkeit all seiner verfahrensrechtlichen Beanstandungen, auch wenn die Anforderungen an die Vortragspflicht gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bei mehrjährigen umfangreichen Verfahren wie dem vorliegenden im Lichte der nicht verlängerbaren Monatsfrist nach § 345 Abs. 1 StPO nachsichtiger beurteilt werden. Die Revisionen von Rechtsanwalt Me (weiterer Verteidiger des Angeklagten Z ) und Rechtsanwältin L (für Y ) belegen , daß ein geordneter Revisionsvortrag zu mehreren Verfahrensrügen auch im vorliegenden Verfahren innerhalb der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO möglich war.
2. Der näheren Erörterung bedarf eine von beiden Angeklagten gerügte Verfahrensweise des Schwurgerichts, mit der nach mehr als dreijähriger Verfahrensdauer die weitere Bescheidung von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung abgelehnt wurde.

a) Aus dem Revisionsvortrag ergibt sich insoweit folgender Verfahrensgang : aa) Mit Beschluß vom 28. November 2002 (Protokollanlage 793, veröffentlicht in StraFo 2004, 170 mit Anm. Durth/Meyer-Lohkamp) hat das Schwurgericht erklärt, vorbehaltlich eines früheren Schlusses der Beweisaufnahme werde es Beweisanträge nicht mehr entgegennehmen, wenn diese nach dem 9. Januar 2003, 12.00 Uhr, gestellt würden. Zur Begründung hat es u. a. folgendes ausgeführt: Nach fast zweijähriger Verhandlungsdauer mit zwei Verhandlungstagen pro Woche sei das Beweisprogramm aus Sicht der Kammer seit Mitte 2001 vollständig abgearbeitet gewesen; die anschließende Beweisaufnahme habe keine wesentlichen neuen Ergebnisse ergeben. Seit Mitte 2001 seien über 320 Beweisanträge – teils aus vielfachen Einzelanträgen bestehend – gestellt worden, davon nach einem ersten Schluß der Beweisaufnahme am 14. Oktober 2002 allein 120 Anträge. Mit Ausnahme der auf präsente Beweismittel gerichteten Anträge seien nahezu sämtliche Beweisanträge abgelehnt worden, und zwar überwiegend auch wegen Bedeutungslosigkeit. Insgesamt zeige das Verteidigungsverhalten einen Mißbrauch des Beweisantragsrechts zur Verschleppung des Verfahrens auf, zumal ohne sachlich erkennbaren Grund und ohne Konkretisierung beweiserheblicher Themenkomplexe eine Vielzahl weiterer Beweisanträge angekündigt sei. Die Amtsaufklärungspflicht bleibe von der angekündigten Verfahrensweise unberührt.
bb) Mit Beschluß vom 5. Dezember 2002 (Protokollanlage 797) hat das Schwurgericht den Beschluß vom 28. November 2002 dahingehend klargestellt , daß sich dieser nicht auf die Stellung von Hilfsbeweisanträgen beziehe. Zudem hat es ergänzend erläutert, weshalb die bisherige Antragstellung allein dem Zweck mißbräuchlicher Verfahrensverzögerung gedient habe. Mit einem weiteren Beschluß vom 7. Januar 2003 (Protokollanlage 978) hat das Schwurgericht nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich der Beschluß vom 28. November 2002 nicht auf die Stellung von Hilfsbeweisanträgen beziehe und nach Fristablauf gestellte Beweisanträge als Beweisanregungen gewertet sowie unter Aufklärungsgesichtspunkten geprüft würden.
cc) Die nach Ablauf der gesetzten Frist gestellten Beweisanträge der Verteidigung hat das Schwurgericht in den Urteilsgründen im einzelnen wie Hilfsbeweisanträge beschieden (UA S. 390 ff.). Sämtliche Anträge wurden wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt, überwiegend zudem wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der unter Beweis gestellten Tatsachen, darüber hinaus – von einem Antrag auf Verlesung präsenter Urkunden abgesehen – mangels Aufklärungspflicht bei als Ermittlungsanträgen gewerteten Anträgen oder nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO.

b) Diese Vorgehensweise rügen die Revisionen letztlich erfolglos.
aa) Im Ausgangspunkt zutreffend weisen sie freilich darauf hin, daß dem deutschen Strafprozeßrecht eine Präklusion im Beweisantragsrecht grundsätzlich fremd ist (vgl. BGH StraFo 2005, 249).
(1) Nach § 246 Abs. 1 StPO darf eine Beweiserhebung nicht deshalb abgelehnt werden, weil das Beweismittel oder die zu beweisende Tatsache zu spät vorgebracht worden sind. Daraus wird auch gefolgert, daß den Verfahrensbeteiligten nicht vorgeschrieben werden kann, zu welchem Zeitpunkt der Hauptverhandlung sie einen Beweisantrag zu stellen haben (vgl. MeyerGoßner , StPO 48. Aufl. § 246 Rdn. 1 m.w.N.). Das Gericht ist danach gemäß § 246 Abs. 1 StPO grundsätzlich verpflichtet, bis zum Beginn der Urteilsverkündung Beweisanträge entgegenzunehmen (st. Rspr., vgl. BGHSt 16, 389, 391; 21, 118, 123 f.; BGHR StPO § 238 Abs. 2 Beweisantrag 1).
(2) Dabei darf nach § 244 Abs. 6 StPO die Ablehnung sämtlicher Beweisanträge grundsätzlich nur durch Gerichtsbeschluß in der Hauptverhandlung erfolgen. Mit dem Erfordernis dieses Gerichtsbeschlusses kann, da er mit dem wesentlichen Inhalt seiner Begründung zu protokollieren ist, eine erhebliche Hemmung für den Fortgang der Hauptverhandlung einhergehen. Entscheidung und Begründung dürfen nicht nachträglich erfolgen, insbesondere nicht erst in den Urteilsgründen enthalten sein (vgl. zum Vorstehenden BGH StraFo 2005, 249; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Entscheidung 3). Eine Ausnahme gilt lediglich für Hilfsbeweisanträge, wobei dem Gericht die eigenmächtige Umdeutung eines unbedingten Beweisantrags in einen Hilfsbeweisantrag verwehrt ist (BGH StraFo 2005, 249). Wegen Verschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) darf auch ein Hilfsbeweisantrag nicht erst in den Urteilsgründen abgelehnt werden (Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 244 Rdn. 44a m.w.N.).
(3) Eine Einschränkung des Beweisantragsrechts des Angeklagten hat der Bundesgerichtshof bislang lediglich im Falle eines massiven Mißbrauchs dieses Rechts durch exzessive Antragstellung eines Angeklagten angenommen und es gebilligt, daß der Angeklagte hiernach darauf verwiesen wird, Anträge nur noch über seinen Verteidiger zu stellen (BGHSt 38, 111; vgl. auch BayObLG StV 2005, 12; ferner zur hier nicht relevanten Möglichkeit der Mißbrauchsverhinderung durch Anwendung des § 257a StPO: Diemer in KK 5. Aufl. § 257a Rdn. 1; BGH, Beschluß vom 16. März 2005 – 5 StR 514/04). Hingegen ist das Gericht nicht befugt, der Verteidigung schlechthin und von vornherein die Stellung prozessual zulässiger Anträge zu verbieten (BGHSt 38, 111, 114; vgl. auch BGH JR 1980, 218 m. Anm. Meyer).
bb) Im vorliegenden Fall hat das Schwurgericht allerdings das Recht der Angeklagten auf die Stellung von Beweisanträgen als solches nicht beschnitten.
Es hat vielmehr – wie durch mehrfache Klarstellung des fristsetzenden Ausgangsbeschlusses deutlich gemacht – lediglich die weitere Bescheidung von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung abgelehnt und diese der Urteilsbegründung vorbehalten. Zudem hat das Gericht in dem fristsetzenden Beschluß den Angeklagten und ihren Verteidigern hinreichend klargemacht, daß die Ablehnungsgründe der Verschleppungsabsicht und Bedeutungslosigkeit nach dem bisherigen Verfahrenslauf alle weiteren gleichartigen Beweisanträge der Verteidigung treffen würden und andere Arten von Beweis- anträgen nach seiner Einschätzung nicht zu erwarten seien. Diese Erwartung war vor dem Hintergrund der bis dahin erfolgten Antragstellung in der Sache ersichtlich nicht zu beanstanden.
Werden Beweisanträge in dieser Weise bis zur Urteilsverkündung entgegen - und zur Kenntnis genommen und – bei Einzelbescheidung im Urteil – vorab die grundsätzlichen Ablehnungsgründe für alle nachfolgenden Beweisanträge ausdrücklich benannt, bleibt nicht nur die vollständige Überprüfbarkeit der Ablehnungsbegründung durch das Revisionsgericht erhalten; der mit der Fristsetzung verbundene Eingriff in die durch § 244 Abs. 6 StPO garantierte Informationsfunktion des individuellen Ablehnungsbeschlusses hält sich aufgrund der gleichsam „vor die Klammer gezogen“ Vorabinformation über die zukünftigen Ablehnungsgründe auch in Grenzen.
cc) Die so verstandene Vorgehensweise des Schwurgerichts würde angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falls keinen durchgreifenden Bedenken begegnen.
Wurde eine Hauptverhandlung extrem verzögert, namentlich durch zum Zweck der Prozeßverschleppung gestellte Beweisanträge, ist zur Verhinderung weiterer Verfahrensverzögerung die prozessuale Möglichkeit in Betracht zu ziehen, den Verfahrensbeteiligten eine Frist zu setzen und nach deren Ablauf gestellte Beweisanträge grundsätzlich nicht mehr durch gesonderten Gerichtsbeschluß, sondern erst in den Urteilsgründen zu bescheiden.
(1) Jenseits der Frage eines Mißbrauchs von Verfahrensrechten (vgl. hierzu insb. BGHSt 38, 111, 113), die wesentlich von der jeweiligen inneren Einstellung des Betroffenen abhängt und bei verschiedenen Verfahrensbeteiligten unterschiedlich beurteilt werden kann, ist nach monate-, gar jahrelanger Verhandlungsdauer über das vom Gericht selbst bestimmte Beweisprogramm hinaus, namentlich bei lang andauernder Untersuchungshaft von Angeklagten , nach einer verfahrensrechtlich vertretbaren Möglichkeit zu su- chen, die Hauptverhandlung – allerdings unter fortdauernder Wahrung unverzichtbarer Verteidigungsinteressen – zu einem Abschluß zu bringen. Dies gebieten die mit zunehmender Verfahrensdauer immer gewichtiger werdenden Gebote der Beschleunigung des Verfahrens, insbesondere in Haftsachen (Art. 6 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3 Satz 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 GG), und der Gewährleistung einer dem Gleichheitsgedanken verpflichteten funktionsfähigen Strafrechtspflege vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen der Strafjustiz (vgl. BGH-GS NJW 2005, 1440, 1443 f.). Je länger ein Verfahren dauert , desto größer wird das legitime Interesse daran, es in absehbarer Zeit einer abschließenden Urteilsfindung zuzuführen, sofern nicht sachliche Gründe eine Verhandlung über Monate oder gar Jahre hin unerläßlich machen.
(2) Bei dieser Sachlage hält der Senat in extrem gelagerten Fällen bei Abwägung der widerstreitenden Interessen und Rechtsgüter – namentlich des Informationsinteresses des Angeklagten an der Bescheidung von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung einerseits, des Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen und des Gebots einer funktionsfähigen Strafrechtspflege andererseits – im Wege verfassungs- und konventionskonformer Einschränkung von § 244 Abs. 6 StPO folgende Verfahrensweise für erwägenswert: Es wird den Verfahrensbeteiligten eine Frist zur Entgegennahme von Beweisanträgen gesetzt und – mit eingehender Begründung – die pauschale Ablehnung nach Fristablauf gestellter Anträge wegen Verschleppungsabsicht vorab beschlossen; hernach überprüft das Gericht die Anträge, ohne sie allerdings jeweils durch Gerichtsbeschluß nochmals gesondert individuell zu bescheiden, und zwar vornehmlich unter Aufklärungsgesichtspunkten, zudem bescheidet es sie wie Hilfsbeweisanträge in den Urteilsgründen; hierbei ist dann freilich der Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht nicht ausgeschlossen. Diese besondere Verfahrensweise wird allerdings regelmäßig erst dann in Betracht kommen können, wenn zuvor gestellte Beweisanträge wiederholt wegen Verschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 3 Satz 2, § 245 Abs. 2 Satz 3 StPO) abgelehnt werden mußten.
(3) Der vorliegende Fall ist als Extremfall, für den eine solche Verfahrensweise in Betracht kam, zu werten.
Für eine mehr als dreijährige Verhandlungsdauer ist unter Berücksichtigung der gegebenen Beweislage kein vertretbarer Grund ersichtlich. Die drei Tatkomplexe waren sachlich überschaubar, die Beweislage war nicht einmal übermäßig schwierig. Der Angeklagte Z hatte im Ermittlungsverfahren nicht nur seine Beteiligung an der Tötung von S A in einem Umfang zugegeben, der wohl zumindest eine Verurteilung wegen gemeinschaftlichen Raubes mit Todesfolge getragen hätte, sondern sich auch in weiteren polizeilichen und ermittlungsrichterlichen Vernehmungen selbst der Täterschaft in den beiden anderen Tatkomplexen bezichtigt. Über diese Geständnisse hinaus wurde die Beweislage im Sinne der Anklage durch gewichtige objektive Spuren – etwa die Faserspuren im Fall S /E – und mit Täterwissen durchsetzte selbstbelastende Angaben Z s gegenüber dem Zeugen L sowie durch die Angaben weiterer Zeugen bestärkt. Auch der Angeklagte Y hat im Laufe der Hauptverhandlung eine Beteiligung an dem Geschehen zum Nachteil von S A in einem erheblichen Umfang eingeräumt; hinzu kamen auch bei ihm übereinstimmende , sich ergänzende belastende Angaben von Zeugen, die durch das weitere Beweisergebnis gestützt wurden.
Es ist auch kein für sich sachlich nachvollziehbares berechtigtes Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer Antragstellung nach Ablauf der ihnen gesetzten Frist ersichtlich (vgl. hierzu auch Basdorf StV 1995, 310, 314); weder gab es eine erheblich veränderte Sachlage noch wesentliche neue Informationen, die es gerechtfertigt hätten, die jeweiligen Anträge erst zu einem so späten Zeitpunkt vorzubereiten und zu stellen.
dd) Eine abschließende Beurteilung der vom Senat erwogenen Verfahrensweise , insbesondere auch der Frage, ob das Vorgehen des Schwurgerichts einer solchen Verfahrensweise in jeder Beziehung entsprach, kann indes dahinstehen.
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, zeigen die Revisionen der Angeklagten nicht auf, in welcher Weise das Urteil auf einer Verletzung von § 244 Abs. 6 StPO beruhen könnte (§ 337 Abs. 1 StPO) oder in welchem für die Entscheidung wesentlichen Punkt die Verteidigung durch die entsprechenden Gerichtsbeschlüsse beschränkt worden wäre (§ 338 Nr. 8 StPO).
Es ist nach dem Revisionsvortrag nicht ersichtlich, inwieweit sich die Angeklagten bei einer dem Wortlaut des § 244 Abs. 6 StPO entsprechenden Verfahrensweise anders als geschehen hätten verteidigen können. Die erst im Urteil beschiedenen Anträge offenbaren sämtlich keine neuen Ansätze der Verteidigung und stellen auch das nach umfassender Sachaufklärung gewonnene sichere Beweisergebnis des Schwurgerichts nicht in Frage (vgl. auch BGH, Beschluß vom 16. März 2005 – 5 StR 514/04). Soweit die hierzu angebrachten Beanstandungen überhaupt zulässige Beweisanträge betreffen , handelt es sich bei den erst im Urteil beschiedenen, nach Ablauf der gesetzten Frist eingereichten Beweisanträgen um solche, mit denen die Frage der Glaubwürdigkeit als problematisch angesehener Beweispersonen weiter, aber in keinem Fall mit durchgreifend neuen Ansätzen, in Zweifel gezogen werden sollte.

c) Der vorliegende Fall verdeutlicht, daß für den Gesetzgeber Anlaß zur Prüfung besteht, ob unter Berücksichtigung der genannten gegenläufigen Interessen eine Änderung des derzeitigen – einen verfah rensverzögernden Mißbrauch ermöglichenden – Rechtszustands herbeigeführt werden sollte, etwa durch Ergänzung von § 244 Abs. 6 StPO oder § 246 Abs. 1 StPO (hierzu näher Basdorf StV 1995, 310, 314 f., Fn. 30 und StV 1997, 488, 490; vgl.
auch Brause NJW 1992, 2865, 2869). Im Blick auf andere Präklusionsregelungen , welche in angemessener Abwägung zwischen den Bedürfnissen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege wie einer effektiven Verteidigung unmittelbar vom Gesetzgeber (vgl. nur §§ 6a, 25, 222b StPO) oder von der Rechtsprechung in Anwendung und Auslegung bestehender prozessualer Normen (vgl. nur Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 136 Rdn. 25; § 238 Rdn. 22; jeweils m.w.N.) aufgestellt worden sind, wäre eine im Eingriff zurückhaltende gesetzliche Einschränkung der bestehenden Regelung keineswegs systemfremd.
3. Erfolglos bleiben auch die Rügen, wonach dem Angeklagten Z nach berechtigtem Ausschluß von der weiteren Sitzungsteilnahme infolge ungebührlichen Verhaltens zu Unrecht nicht das letzte Wort gewährt oder sonstige Gelegenheit zur Äußerung bzw. zur Untersuchung du rch einen Sachverständigen gegeben worden sein soll.

a) Angesichts von zwei massiven Ausschlußvorfällen vor dem Hintergrund eines vielfach auf Verzögerung ausgerichteten Prozeßverhaltens dieses Angeklagten hat das Schwurgericht mit seinem Vorgehen den ihm insoweit zustehenden tatrichterlichen Beurteilungsspielraum letztlich nicht überschritten.
aa) Zwar muß auch bei einem wegen ordnungswidrigen Benehmens nach § 231b StPO ausgeschlossenen Angeklagten in aller Regel der Versuch gemacht werden, ihn für die Gewährung des letzten Worts wieder hinzuzuziehen (Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 258 Rdn. 20). Ein von vornherein aussichtslos erscheinender Versuch ist im Hinblick auf die Ordnung der Verhandlung und das Ansehen des Gerichts indes nicht erforderlich (RGSt 35, 433, 436; BGHSt 9, 77, 81). Die tatrichterliche Prognose der Aussichtslosigkeit eines erneuten Zulassungsversuchs ist vom Revisionsgericht jedenfalls dann hinzunehmen, wenn das Gericht – wie hier – die widerstrei- tenden Interessen anhand sämtlicher Umstände des Einzelfalls sorgfältig und nachvollziehbar abgewogen hat.
bb) Bei dieser Abwägung hat das Gericht einerseits das hohe Gewicht des Rechts auf ein letztes Wort und den Umstand zu bedenken, daß dieses Recht nicht lediglich zum Zweck der Erleichterung oder Beschleunigung des Verfahrens abgeschnitten werden darf (BGHSt 9, 77, 81). Andererseits kommt auch dem Umstand besonderes Gewicht zu, ob das ungebührliche Verhalten auf einem vorübergehenden und letztlich noch nachvollziehbaren Verlust der Beherrschung angesichts in der Hauptverhandlung neu aufgetretener Umstände beruht oder ob ihm – für jeden unbefangenen Dritten sofort erkennbar – die auf zukünftige Störungen deutende Absicht innewohnt, Ansehen und Würde des Gerichts zu beeinträchtigen (vgl. BGHSt 9, 77, 80). Letzteres hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei aus dem Umstand geschlossen , daß der Angeklagte Z die massive Beleidigung des Vorsitzenden auch nach mehrfacher Ermahnung und Belehrung sowie einer längeren Unterbrechung bewußt und beharrlich in gleicher Weise fortgesetzt hat, nachdem er schon zuvor bereits über mehr als zwei Jahre wegen besonders gravierender Ausfälligkeit (Anspucken des Vorsitzenden) von der Teilnahme an der Hauptverhandlung ausgeschlossen gewesen war.

b) Vor dem Hintergrund dieses Prozeßverhaltens des Angeklagten Z und seines Verteidigers Rechtsanwalt Ri durfte das Schwurgericht ohne Rechtsfehler davon ausgehen, daß die von diesem Verteidiger angesichts der unmittelbar bevorstehenden Urteilsverkündung abgegebene Erklärung , der bis dahin über mehr als dreieinhalb Jahre schweigende und wegen Ungebührs von der weiteren Verhandlungsteilnahme ausgeschlossene Angeklagte wolle sich nunmehr erstmals zu den Tatvorwürfen in der Hauptverhandlung zunächst im Wege einer schriftlichen Erklärung äußern, zu deren Vorbereitung eine Unterbrechung für mehrere Tage notwendig sei, er wolle sich zudem erstmals einer Untersuchung durch einen Sachverständigen un- terziehen, nur zum Schein und zu dem alleinigen Zweck abgegeben wurde, den Abschluß des Verfahrens weiter zu verhindern.
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