Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 268/10
vom
10. August 2010
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. August 2010 einstimmig

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 31. März 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat: Die Ablehnung der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hätte rechtlicher Überprüfung nicht standgehalten.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen, wegen Diebstahls und versuchten Diebstahls - unter Feststellung einer jeweils sicher gegebenen erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB - zur Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und ihn im Übrigen - wegen der in drei Fällen nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit des Angeklagten im Sinne von § 20 StGB - freigesprochen. Fünf weitere angeklagte Taten des Angeklagten hat das Landgericht gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
Die Anordnung der Unterbringung des - mehrfach wegen Körperverletzung , gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls sowie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und schweren Raubes vorbestraften - Angeklagten hat das Landgericht aus folgenden Gründen abgelehnt: Zwar habe der Angeklagte die Taten aufgrund eines dauerhaften Zustands (Paranoide Schizophrenie mit Ausbildung eines Residuums) begangen. Die Strafkammer könne jedoch nicht feststellen, dass vom Angeklagten infolge seines Zustands zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sein werden und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei; insbesondere seien die vom Angeklagten begangenen Taten nicht als der mittleren Kriminalität zugehörend einzustufen. Zur Begründung dieser Einschätzung hat das Landgericht ausgeführt, sämtliche vom Angeklagten verübten Körperverletzungsdelikte zeichneten sich dadurch aus, dass er mit der bloßen Hand bzw. seiner Faust den Geschädigten zwar zum Teil schmerzhafte, aber stets folgenlos verheilte Verletzungen zugefügt habe. Selbst hinsichtlich der zwei Taten, bei denen jeweils eine blutende Platzwunde der Geschlagenen habe genäht werden müssen, könne nicht von einer Überschreitung der Grenze zur mittleren Kriminalität gesprochen werden. Vielmehr sei es der im Einzelfall getroffenen, empfindlichen Körperstelle geschuldet , dass der einmalige Faustschlag des Angeklagten diese "nicht ganz unerheblichen Folgen" verursacht habe. Auch die Diebstahlsdelikte - ein vollendeter und ein versuchter Einbruchdiebstahl - seien aufgrund des Einstiegs in einen Dekorationsraum und des zunächst entwendeten und sodann sichergestellten Dekomaterials von nicht unerheblichem, aber auch nicht "exorbitant hohem" Wert nicht als der mittleren Kriminalität zugehörend einzustufen.
Diese Begründung ist rechtsfehlerhaft. Die Wertung des Landgerichts, die vom Angeklagten begangenen Taten seien unterhalb des Bereichs der mittleren Kriminalität angesiedelt, begegnet schon bei isolierter Betrachtung der Einzeltaten erheblichen rechtlichen Bedenken. Die vom Angeklagten begangenen Gewalt- und Eigentumsdelikte sind keine Bagatelldelikte oder lediglich belästigende Taten (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 63 Rn. 16 ff.). Das Landgericht hat es ferner rechtsfehlerhaft versäumt, in die vom Gesetz verlangte Gesamtwürdigung von Täter und Anlasstaten einzustellen, dass der Angeklagte mehrfach einschlägig, insbesondere auch wegen erheblicher Gewaltdelikte vorbestraft ist und die im vorliegenden Verfahren begangenen Taten eine sich von April 2007 bis Februar 2010 erstreckende Tatserie bilden, die zum Ende hin eine deutliche Häufung von Taten aufwies (vgl. Fischer, aaO, Rn. 20 mwN).
Dies gefährdet indes den Bestand des Urteils nicht, da der Beschwerdeführer die Nichtanwendung des § 63 StGB wirksam von seinem Revisionsangriff ausgenommen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2010 - 3 StR 138/10) und die Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel nicht geführt hat.
Becker Pfister Sost-Scheible Hubert Mayer

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Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Aug. 2010 - 3 StR 268/10 zitiert 6 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten


(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

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Tenor Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. 1 2G r ü n d e : 3I. 4Mit ihrer Antragsschrif

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 138/10
vom
13. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 13. Juli 2010 einstimmig beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Düsseldorf vom 8. Januar 2010 wird als unbegründet verworfen, da die
Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Der Entscheidung nach § 349 Abs. 2 StPO steht der Antrag des Generalbundesanwalts
nicht entgegen, den Rechtsfolgenausspruch gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den
Feststellungen aufzuheben. Dieser Antrag war allein darauf gestützt, dass das Landgericht
rechtsfehlerhaft nicht erörtert habe, ob die Unterbringung des Angeklagten in
einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) anzuordnen ist. Nachdem der Angeklagte
nunmehr wirksam den unterbliebenen Maßregelausspruch von seinem Revisionsangriff
ausgenommen hat, steht dieser Punkt indes nicht mehr zur Überprüfung des
Senats.
Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer