Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juli 2014 - 3 StR 240/14

bei uns veröffentlicht am08.07.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 2 4 0 / 1 4
vom
8. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 8. Juli
2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 26. November 2013, soweit es ihn betrifft , im Fall II. 4. der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, Bestechung und Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge den sich aus der Beschlussformel ergebenden Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Angeklagte beanstandet zu Recht, die Strafkammer habe einen Beweisantrag mit fehlerhafter Begründung zurückgewiesen (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO).
3
Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
4
Der Angeklagte hat beantragt, den Zeugen T. zum Beweis dafür zu vernehmen, dieser habe zum Zeitpunkt der Tat II. 4. der Urteilsgründe (Schlägerei anlässlich des Abiturballs des Gymnasiums Josephinum am 4.12.2013 etwa um 0.15 Uhr in Hildesheim) in einer Discothek in Hildesheim Gehälter unter anderem an den Angeklagten, der dort als Türsteher tätig war, ausbezahlt. Der Zeuge werde bestätigen, dass der Angeklagte dort seinen Dienst ausgeübt und den Arbeitsplatz nicht verlassen habe.
5
Das Landgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, diesem mangele es an der Konnexität zwischen der Beweisbehauptung und dem benannten Beweismittel. Es fehle die Plausibilität für das mögliche Gelingen der Beweiserhebung. Der Angeklagte hat den Antrag sodann um weitere Angaben zum Ablauf der Auszahlungen der Gehälter ergänzt. Das Landgericht hat gleichwohl an seiner Auffassung festgehalten. Dies begegnet durchgreifenden Bedenken.
6
a) Ein Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 StPO setzt die konkrete und bestimmte Behauptung einer Tatsache und die Benennung eines bestimmten Beweismittels voraus, mit dem der Nachweis der Tatsache geführt werden soll. Bei einem Antrag auf Vernehmung eines Zeugen kommen als Beweisbehauptung nur solche Tatsachen in Betracht, die der benannte Zeuge aus eigener Wahrnehmung bekunden kann. Nach verbreiteter Auffassung in der Rechtsprechung ist für das Vorliegen eines Beweisantrags weiterhin erforderlich, dass der Antragsteller näher darlegt, weshalb der Zeuge überhaupt etwas zu dem Beweisthema bekunden können soll, wenn aus dem Inhalt des Beweisbegehrens ein verbindender Zusammenhang zwischen der Beweisbehauptung und dem benannten Zeugen nicht ohne Weiteres erkennbar ist. Diese Ausführungen sollen dem Gericht eine sachgerechte Prüfung und Anwendung der Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 StPO, insbesondere der völligen Ungeeignetheit sowie der Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2012 - 4 StR 372/12, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 50 mwN). In jüngeren Entscheidungen wird als weiteres Kriterium der Konnexität darüber hinaus verlangt, der Antragsteller müsse bei "fortgeschrittener Beweisaufnahme" zu der in Rede stehenden Beweisthematik unter Einbeziehung der konkreten Wahrnehmungssituation des benannten Zeugen in das bisherige Beweisergebnis die Plausibilität eines möglichen Gelingens seiner Beweisführung belegen (BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 - 5 StR 38/08, BGHSt 52, 284, 287 ff.; Beschluss vom 3. November 2010 - 1 StR 497/10, NJW 2011, 1239, 1240 f.).
7
b) Es kann dahinstehen, ob dieser Rechtsprechung in vollem Umfang zu folgen und mit dem Kriterium der Konnexität ein eigenständiges konstitutives Element eines Beweisantrags benannt ist oder im Ergebnis letztlich nur die notwendige Konkretisierung der Beweistatsache umschrieben wird. Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob die dargelegte neuere Rechtsprechung in der Sache als Abkehr von dem Grundsatz zu werten ist, dass der Antragsteller auch das, was er lediglich vermutet, unter Beweis stellen darf, und ob es sich in das System des § 244 Abs. 3 StPO einfügt, wenn die inhaltlichen Anforderungen an einen Beweisantrag von dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme abhängig gemacht werden (vgl. etwa schon BGH, Urteil vom 14. August2008 - 3 StR 181/08, NStZ 2009, 171, 172; vgl. auch BGH, Beschluss vom 17. November 2009 - 4 StR 375/09, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 47; Beschluss vom 4. Dezember 2012 - 4 StR 372/12, aaO.; KK-Krehl, 7. Aufl., § 244 Rn. 82 ff.; LR/Becker, 26. Aufl., § 244 Rn. 114). Jedenfalls nach der ergänzenden Konkretisierung des Beweisantrags liegt hier ein nach allen dargestellten Auffassungen ausreichender Zusammenhang zwischen der Beweisbehauptung und dem benannten Zeugen vor. Dort hat der Antragsteller unter anderem vorgebracht, der Zeuge habe jeweils am Anfang eines Monats die Gehälter des Vormonats in bar ausgezahlt. Diese Auszahlung habe der Zeuge am Tattag in der Form vorgenommen, dass er sich etwa um Mitternacht die Türsteher habe kommen lassen und kurze Gespräche mit ihnen geführt habe. Der Zeuge sei eine Stunde geblieben und habe von seinem Standort aus zwei Türen im Blick gehabt. Damit ist den in der Rechtsprechung zur Konnexität aufgestellten Anforderungen in ausreichender Weise Genüge getan. Es ergab sich aus dem Vorbringen ohne Weiteres, warum der Zeuge etwas zu der Beweisbehauptung hätte bekunden können. Eine "fortgeschrittene Beweisaufnahme" zur Täterschaft des Angeklagten im Fall II. 4. der Urteilsgründe lag zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht vor, wie sich schon aus den Urteilsgründen ergibt. Eine weitere Plausibilisierung des behaupteten Beweisergebnisses oblag dem Antragsteller daher auch auf der Grundlage der oben zitierten Rechtsprechung nicht. Der Strafkammer war es auf der Grundlage der Antragsbegründung möglich , die Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO zu prüfen. Soweit sie in ihrem Ablehnungsbeschluss weiter ausgeführt hat, es sei fraglich, warum der Zeuge nach dem langen Zeitablauf nunmehr verlässlich bekunden können solle , der Angeklagte habe die ganze Zeit an einer der Türen gestanden, hat sie in der Sache die Beweiswürdigung, die gegebenenfalls nach Erheben des Beweises anzustellen gewesen wäre, in unzulässiger Weise vorweggenommen.
8
2. Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil im Fall II. 4. der Urteilsgründe. Es ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer nicht zu der Überzeugung gelangt wäre, der Angeklagte sei an der Schlägerei anlässlich des Abiturballs beteiligt gewesen, wenn es den begehrten Beweis erhoben hätte.
9
3. Aufgrund der danach erforderlichen Aufhebung des Urteils im Fall II. 4. der Urteilsgründe kann auch die Gesamtstrafe nicht bestehen bleiben.
Becker Schäfer Mayer
RiBGH Gericke befindet sich Spaniol im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 372/12
vom
4. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 4. Dezember 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 16. Mai 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf mehrere Verfahrensbeanstandungen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen ließ sich der Angeklagte am frühen Abend des 2. Januar 2012 von dem Geschädigten R. in dessen Pkw VW Golf auf einem unbeleuchteten Feldweg bis in unmittelbare Nähe des Saaleufers fahren. Spätestens nachdem beide Männer aus dem Fahrzeug ausgestiegen waren, fasste der Angeklagte den Entschluss, den Geschädigten gewaltsam zu Boden zu bringen und ihm unter Einwirkung von Gewalt das Fahrzeug abzunehmen. Der Angeklagte versetzte dem Tatopfer zahlreiche kräftige Faustschläge insbesondere gegen den Kopf, schlug ihm mit solcher Wucht eine fast leere, 0,7 Liter fassende, gläserne Mineralwasserflasche von oben nach unten auf den Kopf, dass diese zerbrach, und nahm dem Geschädigten den Fahrzeugschlüssel und die Funkfernbedienung sowie im weiteren Verlauf auch den ebenfalls von R. mitgeführten Ersatzschlüssel nebst zweiter Fernbedienung ab, um sich in den Besitz des Fahrzeugs zu bringen. Des Weiteren würgte der Angeklagte den Geschädigten zweimal, indem er jeweils hinter R. stehend einen Arm um dessen Hals legte und kräftig zudrückte, band die Hände des Geschädigten hinter dessen Rücken mit einem Gürtel fest zusammen, fesselte später auch die Füße des Geschädigten mit einem weiteren Gürtel und sperrte den Geschädigten wiederholt kurzzeitig in den Kofferraum des Fahrzeugs.
3
Schließlich führte der Angeklagte, der nunmehr entschlossen war, den Tod des R. herbeizuführen, umendgültig dessen Pkw zu erlangen, das aufgrund der Fesselung nur mit kleinen Schritten gehende und teilweise hüpfende Tatopfer zum Saaleufer. Etwa auf halbem Weg löste sich – vom Angeklagten und dem Geschädigten unbemerkt – der Gürtel an den Füßen des Geschädigten und fiel zu Boden. Am Ufer der Saale angekommen stieß der Angeklagte dem mit den Füßen schon im Wasser stehenden R. von hinten kräftig gegen den Oberkörper, sodass dieser in den ca. 6°C kalten Fluss fiel, der an dieser Stelle jedenfalls nicht in der gesamten Breite von etwa 60 bis 70 Metern für Menschen begehbar ist. Der Geschädigte, der nicht mit dem ganzen Körper ins Wasser fiel und anfangs noch stehen konnte, ging aus Angst vor dem Angeklagten, um sich in Sicherheit zu bringen, weiter in den Fluss hinein und versuchte zu schwimmen, wobei sich der Gürtel löste, mit dem seine Hände gefesselt waren. Während der Angeklagte dem Geschädigten folgend an der Saale in Fließrichtung des Flusses entlangging, gelang es dem Geschädigten unter Mühen, durch den Fluss zu schwimmen und das gegenüberliegende Ufer zu erreichen. Nachdem er sich ca. zehn Minuten ausgeruht hatte, um seine Kräfte zu sammeln, raffte er sich auf und schleppte sich an dem Fluss entlang zu einem ihm bekannten Seniorenpflegeheim, das er schließlich blutüberströmt, völlig durchnässt, stark zitternd und nur mit T-Shirt und Unterhose bekleidet erreichte.

II.


4
Die Revision dringt mit einer Verfahrensbeanstandung durch, mit der die fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrages geltend gemacht wird.
5
1. Der Rüge liegt das folgende Verfahrensgeschehen zugrunde:
6
Zu der Beweisbehauptung, der Geschädigte habe bei seinem Eintreffen am Pflegeheim gegenüber einer Pflegekraft u.a. mitgeteilt, er sei von sich aus in die Saale gesprungen, um vor dem Angeklagten zu flüchten, und der Angeklagte habe den Autoschlüssel weggeworfen, vernahm die Strafkammer – einem Beweisantrag des Verteidigers folgend – einen Bewohner des Pflegeheims sowie die dort tätige Altenpflegerin D. als Zeugen.Nach dem Vorbringen der Revision ergab sich aus den Bekundungen der Zeugin D. , dass am Tatabend als Pflegepersonal auch die Pflegekräfte W. und O. vor Ort waren. Im Rahmen der sich an die Vernehmung anschließenden Erörterung über den weiteren Verfahrensablauf erklärte der Verteidiger, dass er die Ver- nehmung der Frau W. für erforderlich halte, und kündigte einen entsprechenden Antrag an. Ohne dass zuvor ein diesbezüglicher Beweisantrag angebracht worden war, wurde daraufhin Frau W. als Zeugin vernommen.
7
Im Anschluss daran beantragte der Verteidiger zum Beweis der Tatsache , dass der Geschädigte beim Eintreffen am Pflegeheim gegenüber der Zeugin O. angegeben gehabt habe, dass er von sich aus in die Saale gesprungen sei, um vor dem Angeklagten zu flüchten, und der Angeklagte den Autoschlüssel weggeworfen habe, die Vernehmung der Zeugin O. . Diesen Antrag hat das Landgericht abgelehnt.
8
In der Begründung des Ablehnungsbeschlusses hat es ausgeführt, dass es sich bei dem Beweisbegehren um einen Beweisermittlungsantrag gehandelt habe, dem die Strafkammer nach pflichtgemäßem Ermessen nicht habe nachgehen müssen. Zu der behaupteten Beweistatsache habe der Angeklagte keine eigenen Wahrnehmungen angegeben. Die Strafkammer habe zu dem Beweisthema neben weiteren Zeugen insbesondere die Zeugin W. vernommen, welche lediglich bekundet habe, ihre Arbeitskollegin O. sei ebenfalls vor Ort gewesen. Die Zeugin W. habe aber nicht ausgesagt, dass Frau O. weiter gehende Wahrnehmungen als sie selbst oder die Zeugin D. getroffen habe. Nach partieller Mitteilung des Inhalts der Aussage des Geschädigten in der Hauptverhandlung zum Tatablauf hat die Strafkammer weiter ausgeführt, dass es weder in dem Antrag des Verteidigers dargelegt noch sonst ersichtlich sei, dass der Geschädigte bei seiner Ankunft beim Pflegeheim etwas anderes gesagt habe. Der Verteidiger habe auf Nachfrage des Gerichts keinen Grund angeben können, warum die Zeugin O. Wahrnehmungen zu etwaigen Angaben des Geschädigten im Pflegeheim bekunden können sollte, die über dessen Zeugenaussage im Hauptverhandlungstermin hinaus- gehe, bzw. dazu, dass der Geschädigte sogar gegenteilige Angaben gemacht haben könnte. Es handele sich im Ergebnis in Wahrheit um einen nicht ernst gemeinten, zum Schein gestellten "Beweisantrag" aufs Geratewohl. Die hier erforderliche Konnexität zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung liege daher nicht vor.
9
2. Die Antragsablehnung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landgericht das Beweisbegehren des Verteidigers nicht als bloßen nach Maßgabe der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO zu berücksichtigenden Beweisermittlungsantrag behandeln. Die Qualität des Beweisbegehrens als Beweisantrag wird weder durch fehlende Ausführungen zur Konnexität zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung in Frage gestellt, noch hat die Strafkammer tragfähig dargetan, dass dem Antrag lediglich eine "ins Blaue hinein" aufgestellte Beweisbehauptung zugrunde gelegen hat.
10
a) Ein Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 bis 6 StPO setzt die konkrete und bestimmte Behauptung einer Tatsache und die Benennung eines bestimmten Beweismittels voraus, mit dem der Nachweis der Tatsache geführt werden soll. Bei einem Antrag auf Vernehmung eines Zeugen kommen als Beweisbehauptung nur solche Tatsachen in Betracht, die der benannte Zeuge aus eigener Wahrnehmung bekunden kann (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 1993 – 5 StR 279/93, BGHSt 39, 251, 253 f.). Ist aus dem Inhalt des Beweisbegehrens ein verbindender Zusammenhang zwischen der Beweisbehauptung und dem benannten Zeugen nicht ohne weiteres erkennbar, ist für das Vorliegen eines Beweisantrages weiterhin erforderlich, dass der Antragsteller näher darlegt , weshalb der Zeuge überhaupt etwas zu dem Beweisthema bekunden können soll (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. November 2010 – 1 StR 497/10, NStZ 2011, 169 Tz. 11 ff.; vom 17. November 2009 – 4 StR 375/09, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 47; vom 22. Juni 1999 – 1 StR 205/99, NStZ 1999, 522; Urteil vom 28. November 1997 – 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321, 329 f.; zweifelnd Urteil vom 14. August 2008 – 3 StR 181/08, NStZ 2009, 171 Tz. 13). Die Ausführungen zur Konnexität im weiteren Sinne (zur Terminologie vgl. Schneider, Festschrift Eisenberg 2009, S. 609, 618 ff.) sollen dem Gericht eine sachgerechte Prüfung und Anwendung der Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 StPO ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 – 3 StR 201/05, NStZ 2006, 585, 586; Beschluss vom 22. Juni 1999 – 1 StR 205/99 aaO), wobei hier – anders als bei der Bestimmtheit der von dem benannten Zeugen wahrgenommenen Beweistatsache – der Ablehnungsgrund der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels nach § 244 Abs. 3 Satz 2 3. Alt. StPO im Vordergrund steht (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1997 – 5 StR 317/97, NStZ 1998, 97; Schneider aaO). Durch den Bezug auf die völli- ge Ungeeignetheit, die nur aus dem Beweismittel selbst in Beziehung zu der Beweisbehauptung ohne Rückgriff auf das bisherige Beweisergebnis abgeleitet werden darf (vgl. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 232 mwN), werden die unter dem Gesichtspunkt der Konnexität im weiteren Sinne erforderlichen Angaben zugleich auf solche beschränkt, die die Wahrnehmungssituation des benannten Zeugen betreffen. Ausführungen zur inhaltlichen Plausibilität der Beweisbehauptung können dagegen vom Antragsteller in diesem Zusammenhang nicht verlangt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2009 – 4 StR 375/09 aaO).
11
Der Antrag auf Vernehmung der Zeugin O. trägt entgegen der Ansicht des Landgerichts dem Konnexitätserfordernis hinreichend Rechnung. Aus dem Inhalt des Antrags ergibt sich ohne weiteres, dass die benannte Zeugin zu Äußerungen vernommen werden sollte, die der Geschädigte ausweislich der aufgestellten Beweisbehauptung im Anschluss an sein Eintreffen beim Pflegeheim der Zeugin als Gesprächspartnerin gegenüber gemacht haben soll. Auch die Strafkammer geht in ihrem Ablehnungsbeschluss aufgrund der Bekundungen der Zeugin W. davon aus, dass die Zeugin O. ebenso wie die Zeugin W. zum fraglichen Zeitpunkt vor Ort gewesen war. Da das weitere vom Landgericht mitgeteilte Ergebnis der vorangegangenen Beweisaufnahme die Wahrnehmungsmöglichkeit der benannten Zeugin nicht in Frage gestellt, sondern lediglich nicht bestätigt hat, waren zusätzliche ergänzende Ausführungen zur Konnexität im weiteren Sinne nicht erforderlich.
12
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fehlt einem Antrag, mit dem zum Nachweis einer bestimmten Beweistatsache ein bestimmtes Beweismittel bezeichnet wird, die Eigenschaft eines nach § 244 Abs. 3 bis 6 StPO zu bescheidenden Beweisantrages, wenn die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und ohne begründete Vermutung für ihre Richtigkeit aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 2010 – 1 StR 497/10, NStZ 2011, 169 Tz. 7 f.; Urteil vom 4. Dezember 2008 – 1 StR 327/08, NStZ 2009, 226, 227; Beschluss vom 12. März 2008 – 2 StR 549/07, NStZ 2008, 474; Urteil vom 13. Juni 2007 – 4 StR 100/07, NStZ 2008, 52, 53; Beschlüsse vom 4. April 2006 – 4 StR 30/06, NStZ 2006, 405; vom 5. März 2003 – 2 StR 405/02, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 39; vom 5. Februar 2002 – 3 StR 482/01, NStZ 2002, 383; Urteil vom 12. Juni 1997 – 5 StR 58/97, NJW 1997, 2762, 2764; Beschlüsse vom 10. November 1992 – 5 StR 474/92, NStZ 1993, 143, 144; vom 31. März 1989 – 3 StR 486/88, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 8 mwN zur früheren Rspr.; offen gelassen in BGH, Beschlüsse vom 19. September 2007 – 3 StR 354/07, StV 2008, 9; vom 20. Juli 2010 – 3 StR 218/10, StraFo 2010, 466). Ob eine solche nicht ernstlich gemeinte Beweisbehauptung gege- ben ist, beurteilt sich aus der Sicht eines verständigen Antragstellers auf der Grundlage der von ihm selbst nicht in Frage gestellten Tatsachen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 2010 – 1 StR 497/10 aaO), wobei zu beachten ist, dass es dem Antragsteller grundsätzlich nicht verwehrt sein kann, auch solche Tatsachen unter Beweis zu stellen, die er lediglich für möglich hält oder nur vermutet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. April 2006 – 4 StR 30/06 aaO, vom 31. März 1989 – 3 StR 486/88 aaO). Nicht ausreichend ist, dass die bisherige Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Beweisbehauptung ergeben hat (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2002 – 3 StR 482/01 aaO) oder dass die unter Beweis gestellte Tatsache objektiv ungewöhnlich oder unwahrscheinlich erscheint oder eine andere Möglichkeit näher gelegen hätte (BGH, Beschluss vom 12. März 2008 – 2 StR 549/07 aaO). Vielmehr wird für erforderlich gehalten, dass die Bestätigung der Beweisbehauptung aufgrund gesicherter bisheriger Beweisaufnahme offensichtlich unwahrscheinlich sein muss, was etwa anzunehmen sein soll, wenn eine Mehrzahl neutraler Zeugen eine Tatsache übereinstimmend bekundet hat und, ohne Beleg für entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte, das Gegenteil in das Wissen eines völlig neu benannten Zeugen oder eines Zeugen gestellt wird, dessen Zuverlässigkeit naheliegenden Zweifeln begegnet (BGH, Beschlüsse vom 12. Juni 1997 – 5 StR 58/97 aaO; vom 5. Februar 2002 – 3 StR 482/01 aaO).
13
Von diesen Maßstäben ausgehend erweist sich die Begründung der Strafkammer, mit welcher sie das Vorliegen eines förmlichen Beweisantrages verneint hat, als nicht tragfähig. Der Umstand, dass die Zeugin W. nicht ausgesagt hat, dass die in dem Antrag benannte Zeugin O. weiter gehende Wahrnehmungen als die beiden zum selben Beweisthema bereits vernommenen Zeuginnen gemacht habe, belegt lediglich, dass die vorangegangene Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit der in das Wissen der Zeugin gestellten Beweisbehauptung erbracht hat. Darüber hinausgehende Beweisergebnisse, die geeignet sind, die Beweisbehauptung als offensichtlich haltlose Vermutung erscheinen zu lassen, hat das Landgericht nicht mitgeteilt. Dass der Geschädigte das Tatgeschehen im Rahmen seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung abweichend von der unter Beweis gestellten Äußerung gegenüber der Zeugin O. geschildert hat, reicht für die Verneinung eines Beweisantrags ebenfalls nicht aus, weil die Beweisbehauptung gerade darauf abzielt, die Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Geschädigten zu erschüttern (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 2007 – 5 StR 272/07, StraFo 2007, 378).
14
c) Der Beweisantrag des Verteidigers hätte somit vom Landgericht nach Maßgabe des § 244 Abs. 3 und 6 StPO beschieden werden müssen, was unterblieben ist. Da die Verurteilung des Angeklagten maßgeblich auf die als glaubhaft bewerteten Angaben des Geschädigten in der Hauptverhandlung gestützt ist, vermag der Senat nicht auszuschließen, dass das Urteil auf der fehlerhaften Behandlung des Antrages beruht.
Mutzbauer Cierniak Franke
Bender Quentin

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 497/10
vom
3. November 2010
in der Strafsache
gegen
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
Bedarf es der Darlegung der Konnexität, so hat der Antragsteller
die Tatsachen, die diese begründen sollen, bestimmt
zu behaupten.
BGH, Beschluss vom 3. November 2010 - 1 StR 497/10 - LG
Mosbach
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. November 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Mosbach vom 27. Mai 2010 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 2. September 2010 dargelegten Gründen keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Der ergänzenden Erörterung bedarf allein die neben der ausgeführten Sachrüge erhobene Verfahrensrüge , das Landgericht habe § 244 Abs. 3 StPO verletzt.
2
1. Dieses hat aufgrund der eintägigen Hauptverhandlung festgestellt, der inhaftierte Angeklagte habe den Mitinsassen S. durch mehrere Schläge gegen die Brust und durch die Drohung, ihm anderenfalls mit einer Billardkugel auf den Kopf zu schlagen, dazu gebracht, ihm einen Teil der von diesem gekauften Lebensmittel auszuhändigen, ohne dass der Angeklagte hierauf einen Anspruch gehabt hätte. Seine diesbezügliche Überzeugung hat es insbesondere auf die Angaben des als Zeugen gehörten S. sowie auf den Inhalt eines von diesem an seine Eltern gerichteten, im Rahmen der Postkontrolle sichergestellten Briefes gestützt, in dem er die Tat schildert.
3
2. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zugrunde: Im Rahmen seines Plädoyers stellte der Verteidiger „für den Fall, dass das Gericht den Angeklagten wegen … schwerer räuberischer Erpressung verurteilen möchte“, den Antrag, S. s Mutter als Zeugin zu hören zum Beweis der Tatsache, dass dieser ihr gegenüber „nach Abfassen des Briefes geschildert hat, dass er dem Angeklagten die Sachen freiwillig gegeben hat als Gegenleistung für Tabak und von anderen ´abgezockt` wurde“. In der Antragsbegründung heißt es, es sei „davon auszugehen, dass der Zeuge“ S. „von seiner Mutter bei dem nächsten Besuch nach dem Brief auf die Vorgänge angesprochen wurde und diese wie“ - nach den Feststellungen des Landgerichts zunächst durch den Angeklagten eingeschüchtert - „in der Hauptverhandlung geschildert“, d.h. sinngemäß angegeben hat, er hätte dem Angeklagten die Lebensmittel auch ohne Auseinandersetzung, also freiwillig gegeben. Die dem Verteidiger seitens der Strafkammer daraufhin gestellte Frage, ob ihm „nähere Informationen vorliegen, dass ein derartiges Gespräch zwischen dem Geschädigten und seiner Mutter stattgefunden hat“, wurde von diesem verneint. Diesbezüglich wurde - von der Revision nicht vorgetragen - im Hauptverhandlungsprotokoll folgendes protokolliert : „Auf Frage erklärte der Verteidiger, er wisse nicht, ob und was der Zeuge S. mit seiner Mutter gesprochen habe. Sein Hilfsbeweisantrag beruhe insoweit allein auf einer Vermutung“. Das Landgericht hat in seinem Urteil ausgeführt , „die Beweistatsache“ sei „demnach aufs Geratewohl behauptet, so dass nur ein Beweisermittlungsantrag vorliegt, dem nachzukommen die Aufklärungspflicht nicht geboten hat“.
4
3. Der Verfahrensrüge bleibt der Erfolg versagt.
5
a) Der Senat hat bereits erhebliche Bedenken, ob die Rüge den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt. Denn nach dieser Bestimmung sind die Verfahrenstatsachen so vollständig und aus sich heraus verständlich anzugeben, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, darüber - unter der Voraussetzung der Erweisbarkeit - endgültig zu entscheiden (BGH, Urteil vom 30. April 1999 - 3 StR 215/98, NStZ 1999, 396, 399 mwN). Hierzu hätte vorliegend die - wie dargelegt unterbliebene - Mitteilung gehört, dass das zwischen der Strafkammer und dem Verteidiger geführte Gespräch über dessen mögliche Erkenntnisse hinsichtlich der behaupteten Angaben des Zeugen S. seiner Mutter gegenüber einen - wie sich dem Hauptverhandlungsprotokoll entnehmen lässt - weitergehenden Inhalt gehabt hat, als ihn die Revision vorgetragen hat. Dieser lässt sich auch den ergänzend heranzuziehenden Urteilsgründen nicht vollständig entnehmen. Die Frage der Zulässigkeit kann jedoch offen bleiben, da die Verfahrensrüge jedenfalls unbegründet ist.
6
b) Denn die Verfahrensweise des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung stand, weil es den Antrag im Ergebnis zutreffend nicht als Beweisantrag angesehen hat. Der Senat lässt allerdings offen, ob das Landgericht den Antrag zu Recht als „aufs Geratewohl“ gestellt bewertet hat (aa). Denn jedenfalls handelte es sich deshalb lediglich um einen Beweisermittlungsantrag, weil die für einen Beweisantrag notwendige Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel nicht hinreichend bestimmt behauptet worden ist (bb).
7
aa) Allerdings muss einem Beweisbegehren nach bisheriger Rechtsprechung nicht (oder nur nach Maßgabe der Aufklärungspflicht) nachgegangen werden, wenn die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und ohne begründete Vermutung für ihre Richtigkeit aufs Geratewohl, d.h. „ins Blaue hinein“ aufgestellt wird, so dass es sich in Wahrheit nur um einen nicht ernst gemeinten, zum Schein gestellten Beweisantrag handelt. Ob es sich um einen solchen handelt, ist aus der Sicht eines "verständigen" Antragstellers auf der Grundlage der von ihm selbst nicht in Frage gestellten Tatsachen zu beurteilen (zusammenfassend BGH, Beschluss vom 12. März 2008 - 2 StR 549/07, NStZ 2008, 474 mwN; s. auch BGH, Urteil vom 12. Juni 1997 - 5 StR 58/97, NJW 1997, 2762, 2764; BGH, Beschluss vom 5. März 2003 - 2 StR 405/02, NStZ 2003, 497).
8
Was den insofern geltenden Maßstab angeht, soll einerseits von einer "ins Blaue hinein" aufgestellten Beweisbehauptung nicht schon dann gesprochen werden können, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache objektiv ungewöhnlich oder unwahrscheinlich erscheint oder andere Möglichkeiten näher gelegen hätten (BGH, Beschluss vom 12. März 2008 - 2 StR 549/07, NStZ 2008, 474). Andererseits soll bei Sachverhalten, in denen keine sachlichen Anhaltspunkte dafür bestehen, eine sich aufdrängende Tatsache in Frage zu stellen, auf eine strenge Einhaltung der Anforderungen an einen Beweisantrag zum Zweck der Abgrenzung von sog. Pseudobehauptungen oder von „ins Blaue hinein“ bzw. aufs Geratewohl angestellten Vermutungen nicht verzichtet werden können (BGH, Urteil vom 14. April 1999 - 3 StR 22/99, NJW 1999, 2683, 2684).
9
Hieran gemessen hat der Senat Zweifel, ob den von der Revision (erstmals mit ihrer Begründungsschrift) vorgebrachten, nach ihrer Auffassung für die aufgestellte Vermutung „ausreichenden Anhaltspunkte“ ein hinreichendes Gewicht zukommt, nämlich der Mitinhaftierte S. sei zum Zeitpunkt des Verfassens des Briefes 19 Jahre alt gewesen, aus diesem ergebe sich ein gutes Verhältnis zu der als Zeugin benannten Mutter, diese wohne ca. 180 Straßenkilometer von der Justizvollzugsanstalt entfernt und es sei schließlich die Regel, dass Gefangene von ihren Eltern besucht würden. Er braucht dies aber - wie ausgeführt - nicht zu entscheiden.
10
Ebenso braucht er sich nicht zu der vom 3. Strafsenat aufgeworfenen Frage zu äußern, ob überhaupt an der Rechtsprechung festzuhalten sei, dass einem Antrag, mit dem zum Nachweis einer bestimmten Beweistatsache ein konkretes Beweismittel bezeichnet wird, dennoch die Eigenschaft eines Beweisantrags fehlt, wenn es sich bei der Beweistatsache um eine ohne jede tatsächliche und argumentative Grundlage aufs Geratewohl aufgestellte Behauptung handelt (BGH, Beschluss vom 19. September 2007 - 3 StR 354/07, StV 2008, 9; BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 3 StR 218/10).
11
bb) Ein Beweisantrag i.S.d. § 244 StPO setzt als erstes Erfordernis die konkrete und bestimmte Behauptung einer Tatsache voraus. Zweitens ist ein bestimmtes Beweismittel zu benennen, mit dem der Nachweis der Tatsache geführt werden soll. Sind diese beiden Voraussetzungen erfüllt, kann je nach der Fallgestaltung eine dritte hinzutreten, die sog. Konnexität zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung. Darunter ist im Falle des Zeugenbeweises zu verstehen, dass der Antrag erkennen lassen muss, weshalb der Zeuge überhaupt etwas zu dem Beweisthema bekunden können soll (BGH, Beschluss vom 17. November 2009 - 4 StR 375/09), etwa weil er am Tatort war, in der Nachbarschaft wohnt, eine Akte gelesen hat usw. (BGH, Urteil vom 28. November 1997 - 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321, 329 f. mwN).
12
Dieser Zusammenhang zwischen Beweistatsache und Beweismittel wird sich in vielen Fällen von selbst verstehen. Es sind aber auch Konstellationen denkbar, in denen - vergleichbar gerade den in der Rechtsprechung unter den Begriffen der aufs Geratewohl aufgestellten, aus der Luft gegriffenen Behauptung abgehandelten Fällen - zwar konkrete und bestimmte Behauptungen aufgestellt werden, denen eigene Wahrnehmungen eines Zeugen zugrundeliegen sollen, der Antrag jedoch nicht erkennen lässt, weshalb der Zeuge seine Wahr- nehmung hat machen können. Verhält es sich so, bedarf es der näheren Darlegung des erforderlichen Zusammenhangs, der Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel (BGH, Urteil vom 28. November 1997 - 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321, 330).
13
Ebenso wie die Beweistatsache - auch wenn sie ggf. vom Antragsteller lediglich als möglicherweise geschehen erachtet werden darf (BGH, Beschluss vom 10. November 1992 - 5 StR 474/92, NStZ 1993, 143; BGH, Beschluss vom 5. Februar 2002 - 3 StR 482/01, NStZ 2002, 383; BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 3 StR 201/05, NStZ 2006, 585, 586; BGH, Beschluss vom 4. April 2006 - 4 StR 30/06, NStZ 2006, 405) - und das Beweismittel bestimmt bezeichnet werden müssen, hat der Antragsteller auch die Tatsachen bestimmt zu behaupten , aus denen sich die Konnexität ergibt. Denn es muss dem Tatgericht plausibel gemacht werden, dass der benannte Zeuge in der Lage gewesen ist, die Beweistatsache wahrzunehmen (BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 - 5 StR 38/08, BGHSt 52, 284, 287). In der Antragsbegründung ist daher insoweit ein nachvollziehbarer Grund anzugeben (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 3 StR 201/05, NStZ 2006, 585, 586), zumal dann, wenn - wie hier - keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, weshalb der Zeuge S. gegenüber seiner Mutter das Gegenteil dessen gesagt haben soll, was er zuvor in seinem ebenfalls an diese gerichteten Brief bekundet hatte (zur vergleichbaren Konstellation bei einer Aufklärungsrüge BGH, Beschluss vom 3. Juli 2007 - 1 StR 168/06, NStZ 2007, 165).
14
Diesem Erfordernis wird der vorliegend gestellte Antrag nicht gerecht. Denn er bezeichnet - worauf schon der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat - die Wahrnehmungssituation nicht bestimmt genug. Vielmehr lässt bereits der Antrag in seiner Gesamtheit erkennen, dass ihm lediglich die Vermutung zugrunde liegt, es habe ein - im Übrigen vor allem zeitlich nicht näher spezifiziertes - Gespräch mit dem behaupteten Inhalt gegeben. Der infolge dessen seitens des Gerichts mit dem Antragsteller aus Gründen der Fairness (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 - 5 StR 38/08, BGHSt 52, 284, 288) und verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 2 BvR 2580/08, NStZ 2010, 155) gesuchte Dialog hat dann dementsprechend eindeutig bestätigt, der „Hilfsbeweisantrag beruhe … allein auf einer Vermutung“.
15
c) Angesichts der gesamten Sach- und Beweislage brauchte sich das Landgericht auch nicht zu der in Rede stehenden weiteren Aufklärung gemäß § 244 Abs. 2 StPO gedrängt zu sehen.
VRiBGH Nack ist wegen Wahl Graf Urlaubsabwesenheit an der Unterschrift gehindert. Wahl Jäger Sander

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 375/09
vom
17. November 2009
in der Strafsache
gegen
wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag, im Übrigen nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers
am 17. November 2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 21. Januar 2009, soweit es den Angeklagten L. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben, soweit eine Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit das Landgericht eine Anordnung nach § 64 StGB nicht getroffen hat; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und zum Rechtsfolgenausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 9. Oktober 2009.
3
2. Dagegen hält das angefochtene Urteil der rechtlichen Prüfung nicht stand, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) anzuordnen.
4
Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte seit 1997 Heroin bis zu 3 g täglich. Im Dezember 2001 absolvierte er in einem russischen Krankenhaus eine dreiwöchige Entziehungsbehandlung. Danach wurde er wieder rückfällig. Im Rahmen der Vollstreckung einer längeren Freiheitsstrafe aus einer einschlägigen Verurteilung wurde die Vollstreckung des Strafrestes gemäß § 35 BtMG zurückgestellt. Der Angeklagte absolvierte von November 2003 bis Mai 2004 eine stationäre Entwöhnungsbehandlung. Im Jahr 2007 wurde der Angeklagte jedoch erneut rückfällig und konsumiert seither wiederum täglich 2 g Heroin. Die abgeurteilten Betäubungsmittelstraftaten beging der Angeklagte auch zur Finanzierung seines Heroinkonsums.
5
Das Landgericht hat eine Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB als "nicht mehr angebracht" erachtet. Zur Begründung hat es lediglich darauf verwiesen, die stationäre Entwöhnungsbehandlung 2003/2004 sei ordnungsgemäß verlaufen, bis zum Straferlass im Jahr 2007 sei ein Konsum von illegalen Drogen nicht bekannt geworden, jedoch sei der Angeklagte seitdem erneut rückfällig geworden. Diese Begründung trägt - wie die Revision zu Recht beanstandet - die Ablehnung einer Anordnung nach § 64 StGB nicht.
6
Dass der Angeklagte einen Hang im Sinne dieser Vorschrift zum übermäßigen Drogenkonsum hat, versteht sich nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils von selbst. Ebenso steht danach der für eine Anordnung nach § 64 StGB vorausgesetzte symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang und den abgeurteilten Betäubungsmittelstraftaten außer Frage. Schließlich liegt - schon angesichts der einschlägigen Vorverurteilung - hier auch eine negative Legalprognose nahe. Unter diesen Umständen lagen die Voraussetzungen vor, unter denen unbeschadet der Neufassung des § 64 Satz 1 StGB als "Soll"-Vorschrift (vgl. dazu Fischer StGB 56. Aufl. § 64 Rdn. 22, 23) nur im Ausnahmefall von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen werden durfte, sofern - was der neue Tatrichter unter Hinzuziehung eines Sachverständigen zu klären haben wird (§ 246 a StPO) - bei dem Angeklagten eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB zu bejahen ist.
7
Für den Fall, dass der neue Tatrichter eine Anordnung nach § 64 StGB trifft, wird er auch die voraussichtliche Dauer der Therapie festzustellen und dies bei der Entscheidung über den Vorwegvollzug eines Teils der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB n.F. zu berücksichtigen haben.
8
3. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Aufhebung des Urteils wegen der unterbliebenen Anordnung nach § 64 StGB und die Zurückverweisung der Sache insoweit an das Landgericht nicht (BGHSt 37, 5).
9
Die Aufhebung wegen der unterbliebenen Anordnung nach § 64 StGB lässt den Strafausspruch unberührt. Denn der Senat schließt hier einen Zusammenhang zwischen der Straffestsetzung und einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB aus. Tepperwien Maatz Athing Solin-Stojanović Franke

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 372/12
vom
4. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 4. Dezember 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 16. Mai 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf mehrere Verfahrensbeanstandungen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen ließ sich der Angeklagte am frühen Abend des 2. Januar 2012 von dem Geschädigten R. in dessen Pkw VW Golf auf einem unbeleuchteten Feldweg bis in unmittelbare Nähe des Saaleufers fahren. Spätestens nachdem beide Männer aus dem Fahrzeug ausgestiegen waren, fasste der Angeklagte den Entschluss, den Geschädigten gewaltsam zu Boden zu bringen und ihm unter Einwirkung von Gewalt das Fahrzeug abzunehmen. Der Angeklagte versetzte dem Tatopfer zahlreiche kräftige Faustschläge insbesondere gegen den Kopf, schlug ihm mit solcher Wucht eine fast leere, 0,7 Liter fassende, gläserne Mineralwasserflasche von oben nach unten auf den Kopf, dass diese zerbrach, und nahm dem Geschädigten den Fahrzeugschlüssel und die Funkfernbedienung sowie im weiteren Verlauf auch den ebenfalls von R. mitgeführten Ersatzschlüssel nebst zweiter Fernbedienung ab, um sich in den Besitz des Fahrzeugs zu bringen. Des Weiteren würgte der Angeklagte den Geschädigten zweimal, indem er jeweils hinter R. stehend einen Arm um dessen Hals legte und kräftig zudrückte, band die Hände des Geschädigten hinter dessen Rücken mit einem Gürtel fest zusammen, fesselte später auch die Füße des Geschädigten mit einem weiteren Gürtel und sperrte den Geschädigten wiederholt kurzzeitig in den Kofferraum des Fahrzeugs.
3
Schließlich führte der Angeklagte, der nunmehr entschlossen war, den Tod des R. herbeizuführen, umendgültig dessen Pkw zu erlangen, das aufgrund der Fesselung nur mit kleinen Schritten gehende und teilweise hüpfende Tatopfer zum Saaleufer. Etwa auf halbem Weg löste sich – vom Angeklagten und dem Geschädigten unbemerkt – der Gürtel an den Füßen des Geschädigten und fiel zu Boden. Am Ufer der Saale angekommen stieß der Angeklagte dem mit den Füßen schon im Wasser stehenden R. von hinten kräftig gegen den Oberkörper, sodass dieser in den ca. 6°C kalten Fluss fiel, der an dieser Stelle jedenfalls nicht in der gesamten Breite von etwa 60 bis 70 Metern für Menschen begehbar ist. Der Geschädigte, der nicht mit dem ganzen Körper ins Wasser fiel und anfangs noch stehen konnte, ging aus Angst vor dem Angeklagten, um sich in Sicherheit zu bringen, weiter in den Fluss hinein und versuchte zu schwimmen, wobei sich der Gürtel löste, mit dem seine Hände gefesselt waren. Während der Angeklagte dem Geschädigten folgend an der Saale in Fließrichtung des Flusses entlangging, gelang es dem Geschädigten unter Mühen, durch den Fluss zu schwimmen und das gegenüberliegende Ufer zu erreichen. Nachdem er sich ca. zehn Minuten ausgeruht hatte, um seine Kräfte zu sammeln, raffte er sich auf und schleppte sich an dem Fluss entlang zu einem ihm bekannten Seniorenpflegeheim, das er schließlich blutüberströmt, völlig durchnässt, stark zitternd und nur mit T-Shirt und Unterhose bekleidet erreichte.

II.


4
Die Revision dringt mit einer Verfahrensbeanstandung durch, mit der die fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrages geltend gemacht wird.
5
1. Der Rüge liegt das folgende Verfahrensgeschehen zugrunde:
6
Zu der Beweisbehauptung, der Geschädigte habe bei seinem Eintreffen am Pflegeheim gegenüber einer Pflegekraft u.a. mitgeteilt, er sei von sich aus in die Saale gesprungen, um vor dem Angeklagten zu flüchten, und der Angeklagte habe den Autoschlüssel weggeworfen, vernahm die Strafkammer – einem Beweisantrag des Verteidigers folgend – einen Bewohner des Pflegeheims sowie die dort tätige Altenpflegerin D. als Zeugen.Nach dem Vorbringen der Revision ergab sich aus den Bekundungen der Zeugin D. , dass am Tatabend als Pflegepersonal auch die Pflegekräfte W. und O. vor Ort waren. Im Rahmen der sich an die Vernehmung anschließenden Erörterung über den weiteren Verfahrensablauf erklärte der Verteidiger, dass er die Ver- nehmung der Frau W. für erforderlich halte, und kündigte einen entsprechenden Antrag an. Ohne dass zuvor ein diesbezüglicher Beweisantrag angebracht worden war, wurde daraufhin Frau W. als Zeugin vernommen.
7
Im Anschluss daran beantragte der Verteidiger zum Beweis der Tatsache , dass der Geschädigte beim Eintreffen am Pflegeheim gegenüber der Zeugin O. angegeben gehabt habe, dass er von sich aus in die Saale gesprungen sei, um vor dem Angeklagten zu flüchten, und der Angeklagte den Autoschlüssel weggeworfen habe, die Vernehmung der Zeugin O. . Diesen Antrag hat das Landgericht abgelehnt.
8
In der Begründung des Ablehnungsbeschlusses hat es ausgeführt, dass es sich bei dem Beweisbegehren um einen Beweisermittlungsantrag gehandelt habe, dem die Strafkammer nach pflichtgemäßem Ermessen nicht habe nachgehen müssen. Zu der behaupteten Beweistatsache habe der Angeklagte keine eigenen Wahrnehmungen angegeben. Die Strafkammer habe zu dem Beweisthema neben weiteren Zeugen insbesondere die Zeugin W. vernommen, welche lediglich bekundet habe, ihre Arbeitskollegin O. sei ebenfalls vor Ort gewesen. Die Zeugin W. habe aber nicht ausgesagt, dass Frau O. weiter gehende Wahrnehmungen als sie selbst oder die Zeugin D. getroffen habe. Nach partieller Mitteilung des Inhalts der Aussage des Geschädigten in der Hauptverhandlung zum Tatablauf hat die Strafkammer weiter ausgeführt, dass es weder in dem Antrag des Verteidigers dargelegt noch sonst ersichtlich sei, dass der Geschädigte bei seiner Ankunft beim Pflegeheim etwas anderes gesagt habe. Der Verteidiger habe auf Nachfrage des Gerichts keinen Grund angeben können, warum die Zeugin O. Wahrnehmungen zu etwaigen Angaben des Geschädigten im Pflegeheim bekunden können sollte, die über dessen Zeugenaussage im Hauptverhandlungstermin hinaus- gehe, bzw. dazu, dass der Geschädigte sogar gegenteilige Angaben gemacht haben könnte. Es handele sich im Ergebnis in Wahrheit um einen nicht ernst gemeinten, zum Schein gestellten "Beweisantrag" aufs Geratewohl. Die hier erforderliche Konnexität zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung liege daher nicht vor.
9
2. Die Antragsablehnung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landgericht das Beweisbegehren des Verteidigers nicht als bloßen nach Maßgabe der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO zu berücksichtigenden Beweisermittlungsantrag behandeln. Die Qualität des Beweisbegehrens als Beweisantrag wird weder durch fehlende Ausführungen zur Konnexität zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung in Frage gestellt, noch hat die Strafkammer tragfähig dargetan, dass dem Antrag lediglich eine "ins Blaue hinein" aufgestellte Beweisbehauptung zugrunde gelegen hat.
10
a) Ein Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 bis 6 StPO setzt die konkrete und bestimmte Behauptung einer Tatsache und die Benennung eines bestimmten Beweismittels voraus, mit dem der Nachweis der Tatsache geführt werden soll. Bei einem Antrag auf Vernehmung eines Zeugen kommen als Beweisbehauptung nur solche Tatsachen in Betracht, die der benannte Zeuge aus eigener Wahrnehmung bekunden kann (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 1993 – 5 StR 279/93, BGHSt 39, 251, 253 f.). Ist aus dem Inhalt des Beweisbegehrens ein verbindender Zusammenhang zwischen der Beweisbehauptung und dem benannten Zeugen nicht ohne weiteres erkennbar, ist für das Vorliegen eines Beweisantrages weiterhin erforderlich, dass der Antragsteller näher darlegt , weshalb der Zeuge überhaupt etwas zu dem Beweisthema bekunden können soll (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. November 2010 – 1 StR 497/10, NStZ 2011, 169 Tz. 11 ff.; vom 17. November 2009 – 4 StR 375/09, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 47; vom 22. Juni 1999 – 1 StR 205/99, NStZ 1999, 522; Urteil vom 28. November 1997 – 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321, 329 f.; zweifelnd Urteil vom 14. August 2008 – 3 StR 181/08, NStZ 2009, 171 Tz. 13). Die Ausführungen zur Konnexität im weiteren Sinne (zur Terminologie vgl. Schneider, Festschrift Eisenberg 2009, S. 609, 618 ff.) sollen dem Gericht eine sachgerechte Prüfung und Anwendung der Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 StPO ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 – 3 StR 201/05, NStZ 2006, 585, 586; Beschluss vom 22. Juni 1999 – 1 StR 205/99 aaO), wobei hier – anders als bei der Bestimmtheit der von dem benannten Zeugen wahrgenommenen Beweistatsache – der Ablehnungsgrund der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels nach § 244 Abs. 3 Satz 2 3. Alt. StPO im Vordergrund steht (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1997 – 5 StR 317/97, NStZ 1998, 97; Schneider aaO). Durch den Bezug auf die völli- ge Ungeeignetheit, die nur aus dem Beweismittel selbst in Beziehung zu der Beweisbehauptung ohne Rückgriff auf das bisherige Beweisergebnis abgeleitet werden darf (vgl. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 232 mwN), werden die unter dem Gesichtspunkt der Konnexität im weiteren Sinne erforderlichen Angaben zugleich auf solche beschränkt, die die Wahrnehmungssituation des benannten Zeugen betreffen. Ausführungen zur inhaltlichen Plausibilität der Beweisbehauptung können dagegen vom Antragsteller in diesem Zusammenhang nicht verlangt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2009 – 4 StR 375/09 aaO).
11
Der Antrag auf Vernehmung der Zeugin O. trägt entgegen der Ansicht des Landgerichts dem Konnexitätserfordernis hinreichend Rechnung. Aus dem Inhalt des Antrags ergibt sich ohne weiteres, dass die benannte Zeugin zu Äußerungen vernommen werden sollte, die der Geschädigte ausweislich der aufgestellten Beweisbehauptung im Anschluss an sein Eintreffen beim Pflegeheim der Zeugin als Gesprächspartnerin gegenüber gemacht haben soll. Auch die Strafkammer geht in ihrem Ablehnungsbeschluss aufgrund der Bekundungen der Zeugin W. davon aus, dass die Zeugin O. ebenso wie die Zeugin W. zum fraglichen Zeitpunkt vor Ort gewesen war. Da das weitere vom Landgericht mitgeteilte Ergebnis der vorangegangenen Beweisaufnahme die Wahrnehmungsmöglichkeit der benannten Zeugin nicht in Frage gestellt, sondern lediglich nicht bestätigt hat, waren zusätzliche ergänzende Ausführungen zur Konnexität im weiteren Sinne nicht erforderlich.
12
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fehlt einem Antrag, mit dem zum Nachweis einer bestimmten Beweistatsache ein bestimmtes Beweismittel bezeichnet wird, die Eigenschaft eines nach § 244 Abs. 3 bis 6 StPO zu bescheidenden Beweisantrages, wenn die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und ohne begründete Vermutung für ihre Richtigkeit aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 2010 – 1 StR 497/10, NStZ 2011, 169 Tz. 7 f.; Urteil vom 4. Dezember 2008 – 1 StR 327/08, NStZ 2009, 226, 227; Beschluss vom 12. März 2008 – 2 StR 549/07, NStZ 2008, 474; Urteil vom 13. Juni 2007 – 4 StR 100/07, NStZ 2008, 52, 53; Beschlüsse vom 4. April 2006 – 4 StR 30/06, NStZ 2006, 405; vom 5. März 2003 – 2 StR 405/02, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 39; vom 5. Februar 2002 – 3 StR 482/01, NStZ 2002, 383; Urteil vom 12. Juni 1997 – 5 StR 58/97, NJW 1997, 2762, 2764; Beschlüsse vom 10. November 1992 – 5 StR 474/92, NStZ 1993, 143, 144; vom 31. März 1989 – 3 StR 486/88, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 8 mwN zur früheren Rspr.; offen gelassen in BGH, Beschlüsse vom 19. September 2007 – 3 StR 354/07, StV 2008, 9; vom 20. Juli 2010 – 3 StR 218/10, StraFo 2010, 466). Ob eine solche nicht ernstlich gemeinte Beweisbehauptung gege- ben ist, beurteilt sich aus der Sicht eines verständigen Antragstellers auf der Grundlage der von ihm selbst nicht in Frage gestellten Tatsachen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 2010 – 1 StR 497/10 aaO), wobei zu beachten ist, dass es dem Antragsteller grundsätzlich nicht verwehrt sein kann, auch solche Tatsachen unter Beweis zu stellen, die er lediglich für möglich hält oder nur vermutet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. April 2006 – 4 StR 30/06 aaO, vom 31. März 1989 – 3 StR 486/88 aaO). Nicht ausreichend ist, dass die bisherige Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Beweisbehauptung ergeben hat (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2002 – 3 StR 482/01 aaO) oder dass die unter Beweis gestellte Tatsache objektiv ungewöhnlich oder unwahrscheinlich erscheint oder eine andere Möglichkeit näher gelegen hätte (BGH, Beschluss vom 12. März 2008 – 2 StR 549/07 aaO). Vielmehr wird für erforderlich gehalten, dass die Bestätigung der Beweisbehauptung aufgrund gesicherter bisheriger Beweisaufnahme offensichtlich unwahrscheinlich sein muss, was etwa anzunehmen sein soll, wenn eine Mehrzahl neutraler Zeugen eine Tatsache übereinstimmend bekundet hat und, ohne Beleg für entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte, das Gegenteil in das Wissen eines völlig neu benannten Zeugen oder eines Zeugen gestellt wird, dessen Zuverlässigkeit naheliegenden Zweifeln begegnet (BGH, Beschlüsse vom 12. Juni 1997 – 5 StR 58/97 aaO; vom 5. Februar 2002 – 3 StR 482/01 aaO).
13
Von diesen Maßstäben ausgehend erweist sich die Begründung der Strafkammer, mit welcher sie das Vorliegen eines förmlichen Beweisantrages verneint hat, als nicht tragfähig. Der Umstand, dass die Zeugin W. nicht ausgesagt hat, dass die in dem Antrag benannte Zeugin O. weiter gehende Wahrnehmungen als die beiden zum selben Beweisthema bereits vernommenen Zeuginnen gemacht habe, belegt lediglich, dass die vorangegangene Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit der in das Wissen der Zeugin gestellten Beweisbehauptung erbracht hat. Darüber hinausgehende Beweisergebnisse, die geeignet sind, die Beweisbehauptung als offensichtlich haltlose Vermutung erscheinen zu lassen, hat das Landgericht nicht mitgeteilt. Dass der Geschädigte das Tatgeschehen im Rahmen seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung abweichend von der unter Beweis gestellten Äußerung gegenüber der Zeugin O. geschildert hat, reicht für die Verneinung eines Beweisantrags ebenfalls nicht aus, weil die Beweisbehauptung gerade darauf abzielt, die Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Geschädigten zu erschüttern (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 2007 – 5 StR 272/07, StraFo 2007, 378).
14
c) Der Beweisantrag des Verteidigers hätte somit vom Landgericht nach Maßgabe des § 244 Abs. 3 und 6 StPO beschieden werden müssen, was unterblieben ist. Da die Verurteilung des Angeklagten maßgeblich auf die als glaubhaft bewerteten Angaben des Geschädigten in der Hauptverhandlung gestützt ist, vermag der Senat nicht auszuschließen, dass das Urteil auf der fehlerhaften Behandlung des Antrages beruht.
Mutzbauer Cierniak Franke
Bender Quentin

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.