Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Juli 2017 - 3 StR 119/17

bei uns veröffentlicht am25.07.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 119/17
vom
25. Juli 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:250717B3STR119.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 25. Juli 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 30. November 2016 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte, der ab dem Jahr 2014 vermehrt Amphetamin konsumierte, an einer paranoid-hallu- zinatorischen Schizophrenie oder an einer durch psychotrope Substanzen hervorgerufenen psychotischen Störung. Diese Grunderkrankung führt zu wahnhaften Verfolgungsvorstellungen. In der Mitte des Jahres 2014 und im Verlauf des Jahres 2015 befand er sich in einer hochakuten psychotischen Phase, litt unter Verfolgungsängsten und befürchtete, vergiftet und abgehört zu werden. Nachdem er im Herbst 2015 eine neue Lebensgefährtin gefunden hatte und mit dieser zusammengezogen war, stabilisierte sich seine persönliche Situation, sein psychischer Zustand verbesserte sich aber nicht wesentlich. Im November 2015 wurde er wegen geäußerter suizidaler Gedanken in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, in der er seine anhaltenden Verfolgungsvorstellungen bekundete , allerdings nach vier Tagen "bei rückläufiger Wahnvorstellung" entlassen wurde. Im Februar 2016 wurde er erneut eingewiesen, nachdem er seine Lebensgefährtin im Zuge einer Auseinandersetzung in den Bauch geboxt hatte; in der Klinik wurde indes weder eine Fremd- noch eine Eigengefährdung festgestellt und der Angeklagte auf eigenen Wunsch entlassen.
3
Im Juni 2016 lieh sich der Angeklagte von einer Bekannten ein Messer, das er aber am Folgetag zurückgeben wollte. Auf einem Schützenfest nahm der Nebenkläger das Messer an sich und brachte es später mit in die Wohnung der Bekannten, in der es deren Lebensgefährte außer Sichtweite auf einen Schrank legte; dies vergaß er infolge seiner Alkoholisierung.
4
Am Tattag forderte die Bekannte das Messer von dem Angeklagten zurück , der antworten ließ, dass der Nebenkläger das Messer haben müsse, an den er es weitergegeben habe. Darauf angesprochen antwortete dieser der Bekannten , dass er das Messer nicht mehr habe. Da er zunehmend den Eindruck gewann, dass seine Freunde ihm nicht glaubten und ihn der Unterschlagung des Messers verdächtigten, geriet der Nebenkläger in Zorn. Er verabredete sich mit dem Angeklagten, um mit diesem über den Verbleib des Messers zu sprechen ; es kam zum Streit, zunächst auf dem Parkplatz eines Supermarkts und alsdann in der Wohnung der Bekannten. Im Gegensatz zu dem Nebenkläger, der immer erboster wurde, blieb der Angeklagte ruhig und verließ nach dreißig Minuten mit seiner Lebensgefährtin "genervt" die Wohnung; sie machten sich auf den Nachhauseweg. Der Nebenkläger folgte ihnen und ließ sich zur Wohnung des Angeklagten bringen. Unterwegs sahen er und seine Begleiterinnen den Angeklagten und seine Lebensgefährtin in Richtung eines weiteren Supermarkts gehen und fuhren auf dessen Parkplatz. Als der Angeklagte diesen erreichte , stieg der Nebenkläger aus und fasste den Angeklagten an der Schulter, um noch einmal über die "Messer-Geschichte" zu reden. Der Angeklagte wollte dies nicht und war erneut "genervt". Er ergriff nun einen zufällig mitgeführten Brieföffner, um den Nebenkläger abzuschrecken; dieser sah das, wollte aber nicht auf Distanz zum Angeklagten gehen. Die Männer schubsten sich gegenseitig und der Angeklagte wurde immer ungehaltener und aggressiver. Gleichwohl wollte er sich der Situation entziehen und verließ mit seiner Lebensgefährtin den Parkplatz, um mit ihr den Nachhauseweg fortzusetzen. Der Nebenkläger rief dem Angeklagten eine Beleidigung nach, die dieser mit einer weiteren parierte. Das wiederum wollte der Nebenkläger nicht hinnehmen und lief dem Angeklagten hinterher, um ihn zur Rede zu stellen.
5
Ausweislich der landgerichtlichen Feststellungen befand sich der Angeklagte ab diesem Zeitpunkt im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit : Infolge seiner oben genannten Grunderkrankung habe er Verfolgungsängste gehabt, die durch das Verhalten des Nebenklägers verstärkt worden seien.
6
In der folgenden beidseitigen Rangelei entschloss sich der Angeklagte, der durch das penetrante Verhalten des Nebenklägers zunehmend verärgert war, diesen körperlich abzustrafen und dabei auch den Brieföffner als Waffe einzusetzen, um die Auseinandersetzung definitiv zu beenden. Zu diesem Zweck stach er seinem zuvor gefassten Tatenschluss folgend mit dem Brieföffner zwei Mal in den linken Brustbereich des Nebenklägers etwa zehn Zentimeter oberhalb des Herzens. Die Spitze drang jeweils zwei bis drei Zentimeter in dessen Körper ein. Dabei war dem Angeklagten bewusst, dass er durch diese Handlungen schwerwiegende lebensgefährliche Verletzungen hervorrufen konnte; die mögliche Todesfolge nahm er billigend in Kauf. Der Nebenkläger blieb zunächst stehen. Der Angeklagte hatte gesehen, dass die von ihm ausgeführten Stiche zwei Mal dessen Haut durchstoßen hatten; er verließ den Tatort gleichwohl und machte sich aus Gleichgültigkeit keine Vorstellungen über die weiteren Folgen seines Handelns. Der Nebenkläger, der kurz danach zusammenbrach , erlitt durch die Stiche, die potentiell lebensgefährlich waren, schwerwiegende Verletzungen.
7
II. Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist der Schuldspruch gegen den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, zeigt die auf die erhobene Sachrüge durchzuführende umfassende Überprüfung des Urteils auch unter Berücksichtigung der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung stand.
8
III. Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB kann hingegen keinen Bestand haben.
9
1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn unter anderem zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne eines der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. In diesem Zusammenhang ist darzulegen, wie sich die festgestellte, einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB unterfallende Störung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichtsoder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 26. Juli 2016 - 3 StR 211/16, juris Rn. 5 mwN).
10
2. Den sich daraus ergebenden Anforderungen an die Feststellung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Zustand, in dem der Angeklagte sich krankheitsbedingt befand, und der ihm zur Last gelegten Tat genügen die Urteilsgründe nicht.
11
Die Diagnose entweder einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie oder einer psychotischen Störung durch psychotrope Substanzen führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit. Es hätte vielmehr einer konkretisierenden Darlegung bedurft, in welcher Weise sich das festgestellte Krankheitsbild bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt haben soll (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75 mwN). Konkrete Feststellun- gen zu einem etwaigen Effekt der - alternativ begründeten - psychischen Erkrankung auf die Tatbegehung lassen sich den Urteilsgründen indes nicht entnehmen. Die von der Strafkammer mitgeteilte Einschätzung des Sachverständigen , es spreche alles dafür, dass der Angeklagte zur Tatzeit unter einer psychischen Störung im Sinne eines paranoiden Erlebens gelitten habe, weil die in ihm "schlummernden" paranoiden Gedanken, er werde verfolgt, durch die tatsächliche Verfolgung durch den Nebenkläger so verstärkt worden seien, dass ein "akutes Störungsbild" vorgelegen habe, ist nicht geeignet, eine Beeinflussung der von dem Angeklagten begangenen Tat durch dessen psychotische Erkrankung tragfähig zu belegen. Eine solche Beeinflussung ergibt sich hier auch nicht von selbst, denn der Angeklagte wurde tatsächlich von dem Nebenkläger in penetranter Weise verfolgt. Zur Tat kam es erst, nachdem mehrere Versuche, sich der Auseinandersetzung zu entziehen, immer wieder an dem hartnäckigen Verhalten des Nebenklägers gescheitert waren.
12
Über die Maßregelanordnung muss deshalb umfassend neu verhandelt und entschieden werden.
Becker Gericke Spaniol
Tiemann Berg

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Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

5
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn unter anderem zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne einer der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. In diesem Zusammenhang ist darzulegen, wie sich die festgestellte, einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 10. November 2015 - 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76; vom 21. Juni 2016 - 5 StR 214/16, juris Rn. 4).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 78/16
vom
12. Oktober 2016
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:121016B4STR78.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 12. Oktober 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 15. Oktober 2015 mit den zugehörigen Feststellungen – ausgenommen die Feststellungen zu den Tatgeschehen, die aufrecht erhalten bleiben – aufgehoben,
a) soweit die Angeklagte in den Fällen A.II.2. (2), (4) bis (7) der Urteilsgründe freigesprochen worden ist, sowie
b) im Maßregelausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung , unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu der Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 60 € verurteilt und sie im Übrigen freigesprochen. Ferner hat es die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die auf die Maßregelanordnung beschränkte Revision der Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat ganz überwiegend Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen leidet die Angeklagte spätestens ab Sommer 2000 an einer paranoiden Schizophrenie, die in der Folgezeit gut medikamentös eingestellt war. Nachdem sich im Sommer 2013 ihr langjähriger Lebensgefährte von ihr getrennt hatte und sie gegen Ende des Jahres gegen ihren Willen als Lehrerin in den Ruhestand versetzt worden war, vernachlässigte die Angeklagte zunehmend ihre Lebensführung und isolierte sich.
3
Am 23. Dezember 2013 befuhr die Angeklagte nach vorangegangenem Alkoholgenuss mit ihrem Pkw die Straße vor ihrem Wohnanwesen. Infolge der für sie erkennbaren alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit (Blutalkoholkonzentration 0,46 ‰) missachtete sie an einer Kreuzung die Vorfahrt eines anderen Pkws und stieß mit diesem zusammen, wodurch ein Fremdschaden in Höhe von 7.082,62 € entstand. Als der Unfallgegner trotz des Schuldeingeständnisses der Angeklagten dazu ansetzte, die Polizei zu verständigen, entschloss sich die Angeklagte, den Unfallort zu verlassen. Nachdem sie auf Nachfrage ihre Wohnanschrift, nicht aber ihren Namen genannt hatte, fuhr sie unter dem Vorwand , ihr Auto aus dem Weg räumen zu wollen, mit ihrem stark beschädigten Pkw von der Unfallstelle zu ihrem ca. 50 m entfernten Wohnhaus, wobei sie sich aufgrund des vorangegangen Unfalls ihrer Fahruntüchtigkeit nunmehr be- wusst war. Gegenüber einem sie wenig später in der Wohnung aufsuchenden Polizeibeamten trat sie aufgebracht und cholerisch auf (A.II.2. (1) der Urteilsgründe ). Obwohl ihr Führerschein im Anschluss an den Unfall sichergestellt worden war, befuhr die Angeklagte am 3. Januar 2014 mit einem Mietwagen eine öffentliche Straße in K. (A.II.2. (3) der Urteilsgründe).
4
In zwei Telefonaten am 27. Dezember 2013 und 17. Januar 2014 be- schimpfte die Angeklagte ihren Schulleiter als „Arschloch“ bzw. „Mörder“ (A.II.2. (2) und (4) der Urteilsgründe). Als ihr am 28. März 2014 von einer Mitarbeiterin des Straßenverkehrsamts die Zulassung eines Pkws verwehrt wurde, äußerte sie aus Verärgerung in aggressivem Ton gegenüber der Mitarbeiterin: „Ihr seid doch bescheuert“ (A.II.2. (5) der Urteilsgründe).
5
Nachdem die Angeklagte weiterhin vergeblich versucht hatte, an ein Fahrzeug zu gelangen, beabsichtigte sie am 8. April 2014, bei ihrem Bruder ein Fahrzeug zu entwenden. Zu diesem Zweck ließ sie sich zu dem Haus ihres Bruders fahren und klingelte dort. Als die Haushaltshilfe die Haustür öffnete, stürmte die Angeklagte hinein und ergriff den in der Küche liegenden Fahrzeugschlüssel und die Geldbörse der Ehefrau ihres Bruders, um diese für sich zu verwenden. Anschließend wollte sie das Haus wieder verlassen, wobei es der Haushaltshilfe gelang, ihr die Geldbörse aus der Hand zu schlagen. Als sie von der Ehefrau und dem Sohn ihres Bruders, die ihr den in der Hand gehaltenen Fahrzeugschlüssel wieder abnehmen wollten, festgehalten wurde, widersetzte sich die Angeklagte, indem sie unter erheblicher Kraftentfaltung durch nicht gegen eine Person gerichtetes Umsichschlagen, Sperren und Windenversuchte sich loszureißen, um sich den Besitz des Fahrzeugschlüssels zu erhalten. Für Ehefrau und Sohn bedeutete dies einen erheblichen Kraftaufwand. Schließlich gelang es der Ehefrau, die Angeklagte zu Boden zu drücken, woraufhin der Sohn ihr den Schlüssel entreißen konnte (A.II.2. (6) der Urteilsgründe). Am 6. Juni 2014 wurde der Angeklagten in den Räumlichkeiten der Sparkasse K. wegen einer zwischenzeitlich eingerichteten Betreuung die Umbuchung von Geld für den Kauf eines Autos verwehrt, worüber sich die Angeklagte lautstark aufregte. Als eine Mitarbeiterin der Sparkasse sie beruhigen wollte, schlug die Angeklagte ihr unvermittelt mit der flachen Hand heftig auf die linke Gesichtshälfte , so dass deren Gesicht zurückschnellte. Die Geschädigte erlitt eine Rötung und Schwellung der linken Wange (A.II.2. (7) der Urteilsgründe).
6
Aufgrund der psychischen Erkrankung der Angeklagten war deren Fähigkeit , entsprechend der vorhandenen Unrechtseinsicht zu handeln, bei den Taten am 23. Dezember 2013 und 3. Januar 2014 (A.II.2. (1) und (3) der Urteilsgründe) erheblich gemindert. Bei den übrigen Taten (A.II.2. (2), (4) bis (7) der Urteilsgründe) war die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten sicher erheblich beeinträchtigt, nicht ausschließbar auch gänzlich aufgehoben.

II.


7
1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Die Revision ist entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts gemäß § 344 Abs. 2 Satz 1 StPO formwirksam mit der Sachrüge begründet, weil den Ausführungen in der Begründungsschrift vom 14. Dezember 2015 mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, dass die Beschwerdeführerin den Maßregelausspruch in materiell-rechtlicher Hinsicht beanstandet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. August 1997 – 2 StR 386/97, NStZ-RR 1998, 18; vom 21. August 1991 – 3 StR 296/91, NStZ 1991, 597; vom 17. Januar 1992 – 3 StR 475/91, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 1 Revisionsbegründung 2). So macht die Revisionsbegründung eine unzureichende Darle- gung der Gefährlichkeitsprognose im Urteil und die Unverhältnismäßigkeit der Unterbringungsanordnung geltend.
8
2. Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil der von der Strafkammer angenommene symptomatische Zusammenhang zwischen der psychotischen Erkrankung der Angeklagten und der von ihr begangenen Straftaten nicht tragfähig begründet ist.
9
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Daneben ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades erforderlich, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB in der am 1. August 2016 in Kraft getretenen Neufassung durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 6. Juli 2016, BGBl. I 1610). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2016 – 4 StR 210/16 Rn. 5; vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom 29. April 2014 – 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244).
10
b) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen der psychotischen Erkrankung der Angeklagten und den festgestellten Taten nicht gerecht.
11
Die Diagnose einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306; vom 23. August 2012 – 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98; vom 24. April 2012 – 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Feststellungen dazu, ob und in wel- cher Weise die paranoide Schizophrenie der Angeklagten Auswirkungen auf die Begehung der festgestellten Taten hatte, hat das Landgericht nicht getroffen. Die von der Strafkammer allein mitgeteilte Erwägung des Sachverständigen, wonach es für psychisch erkrankte Personen typisch sei, wütend zu werden, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen, ist nicht geeignet, eine Beeinflussung der von der Angeklagten begangenen Taten durch deren psychotische Erkrankung tragfähig zu belegen. Soweit sich das Landgericht im Übrigen der gutachterlichen Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen hat, lässt das Urteil schließlich die gebotene, für ein Verständnis des Gutachtens und die Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderliche Wiedergabe der wesentlichen Anknüpfungspunkte und Darlegungen des Sachverständigen vermissen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14 aaO; vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36, 37).
12
c) Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO sind auch die Freisprüche der Angeklagten in den Fällen A.II.2. (2) und (4) bis (7) der Urteilsgründe aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. August 2014 – 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1; vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13 Rn. 18 insoweit in NStZ 2014, 36 nicht abgedruckt). In diesem Umfang ist die Beschränkung der Revision auf die Maßregelanordnung wegen des untrennbaren Zusammenhangs zwischen der Entscheidung über die Unterbringung nach § 63 StGB und den auf § 20 StGB gestützten Freisprüchen unwirksam (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, NStZ 2013, 424; vom 21. Mai 2013 – 2 StR 29/13, NStZ-RR 2014, 54).
13
Die zu den Tatgeschehen in objektiver und subjektiver Hinsicht getroffenen tatsächlichen Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und können daher bestehen bleiben.
14
d) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat zur Tat A.II.2. (6) der Urteilsgründe auf Folgendes hin:
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Der räuberische Diebstahl gemäß § 252 StGB ist bereits mit dem auf Gewahrsamssicherung gerichteten Einsatz eines Nötigungsmittels vollendet, ohne dass es darauf ankommt, ob es dem Täter gelingt, sich den Besitz des gestohlenen Guts zu erhalten (vgl. BGH, Urteil vom 22. August 1984 – 3 StR 203/84, StV 1985, 13; Sander in MK-StGB, 2. Aufl., § 252 Rn. 18). Bei der Entwendung von Geldbörse und Fahrzeugschlüssel handelt es sich um eine ein- heitliche Diebstahlstat (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – 4 StR 487/15, NJW 2016, 2349, 2350 mwN), die wegen des Fehlens des nach § 247 StGB erforderlichen Strafantrags nicht verfolgt werden kann. Da zwischen dem räuberischen Diebstahl und dem vorangegangenen Diebstahl Gesetzeseinheit besteht (vgl. Vogel in LK-StGB, 12. Aufl., § 252 Rn. 77) und eine Verfahrenseinstellung innerhalb einer materiell-rechtlichen Tat nicht in Betracht kommt (vgl. Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 260 Rn. 116 mwN), ist insoweit für eine Teileinstellung des Verfahrens kein Raum.
VRinBGH Sost-Scheible ist Cierniak Franke urlaubsbedingt an der Beifügung der Unterschrift gehindert. Cierniak Bender Quentin