Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 490/18
vom
29. Januar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
ECLI:DE:BGH:2019:290119B2STR490.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts , zu Ziffer 2 auf dessen Antrag, und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 29. Januar 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 2. Juli 2018 im Fall 1 der Urteilsgründe aufgehoben und der Angeklagte insoweit freigesprochen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen. 3. Soweit der Angeklagte freigesprochen wurde, trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen. Im Übrigen trägt der Angeklagte die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit einer Verfahrensrüge und der Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Zu Fall 1 der Urteilsgründe hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte an einem Tag im Zeitraum zwischen Sommer und Dezember 2015 der damals neunjährigen Geschädigten „zielgerichtet mit der Hand an deren bedeckte Brust“ gegriffen habe. Das Landgericht hat dies als sexuellen Miss- brauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB bewertet. Zum Vorliegen einer sexuellen Handlung „von einiger Erheblichkeit“ (§ 184h Nr. 1 StGB) hat es aus- geführt, die Handlung sei zwar nur von kurzer Dauer und geringer Intensität gewesen; jedoch hätten der Handlungsrahmen und die Beziehung des zur Tatzeit über dreißigjährigen Angeklagten zu dem neunjährigen Kind als Lebenspartner der Mutter dazu geführt, dass die Erheblichkeitsschwelle deutlich überschritten sei.
3
2. Gegen diese rechtliche Bewertung bestehen im Fall 1 der Urteilsgründe , anders als in den Fällen 4 und 5, bei denen die Geschädigte bereits elf Jahre alt war und der Angeklagte zusätzliche Handlungen vorgenommen oder Bemerkungen gemacht hat, durchgreifende rechtliche Bedenken.
4
a) Als erheblich im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB sind solche sexualbezogenen Handlungen anzusehen, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts darstellen. Die Feststellung der Erheblichkeit erfordert eine Gesamtbetrachtung sämtlicher Umstände hinsichtlich der Gefährlichkeit der Handlung für das betroffene Rechtsgut. Belanglose Handlungen scheiden aus. Bei Tatbeständen, die dem Schutz von Kindern dienen, sind an das Merkmal der Erheblichkeit zwar geringere Anforderungen zu stellen als bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Erwachsener. Allerdings reichen auch insoweit kurze, flüchtige oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührun- gen grundsätzlich nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2017 - 3 StR 122/17, NStZ 2017, 527).
5
b) Nach diesem Maßstab ist der einmalige, kurzzeitige und wenig intensive Griff an die bedeckte kindliche Brust des neunjährigen Mädchens keine sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit (vgl. auch Schönke/Schröder/ Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184h Rn. 15b).
6
Zwar sind nach der Rechtsprechung bei der notwendigen Gesamtwürdigung auch die Begleitumstände der sexuellen Handlung sowie die Beziehungen zwischen Täter und Opfer zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; krit. MüKoStGB/Hörnle, 3. Aufl., § 184h Rn. 19), allerdings nur als konstellative Faktoren. Daher vermag die persönliche Beziehung zwischen dem Angeklagten und dem Kind zur Tatzeit hier nichts an der fehlenden Erheblichkeit der Berührung der kindlichen Brust im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB zu ändern. Andere Umstände (vgl. Senat , Urteil vom 6. Mai 1992 - 2 StR 490/91, NStZ 1992, 432 f.) oder einen spe- ziellen „Handlungsrahmen“, die zu einer anderen Bewertung führen könnten, wie etwa ein „Nötigungsszenario“ (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 2012 - 1 StR 447/11), hat das Landgericht nicht festgestellt.
7
3. Da der Senat ausschließt, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch ergänzende Feststellungen zu dem Geschehen getroffen werden könnten, die eine Verurteilung des Angeklagten im Fall 1 der Urteilsgründe zu tragen vermögen, spricht er den Angeklagten insoweit mit der entsprechenden Kostenfolge frei (§ 354 Abs. 1, § 467 Abs. 1 StPO). § 184i StGB in der Fassung des Fünfzigsten Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460), der sexuelle Belästigungen durch sexuell konnotierte körperliche Berührungen unterhalb der Schwelle zur sexuellen Handlung von einiger Erheblichkeit erfassen soll (vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2018 - 4 StR 570/17, NStZ 2019, 22, 23, für BGHSt 63, 98 ff. bestimmt), galt zurzeit der Handlung des Angeklagten im Fall 1 noch nicht. Er ist deshalb auch nicht anzuwenden (§ 2 Abs. 1 und 3 StGB).
8
4. Angesichts der verbliebenen Einzelstrafen von einem Jahr und acht Monaten, einem Jahr und zwei Monaten, neun sowie acht Monaten ist auszuschließen , dass das Landgericht ohne die aufgrund des Freispruchs entfallene Einzelfreiheitsstrafe von acht Monaten auf eine niedrigere Gesamtstrafe erkannt hätte.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

Im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
sexuelle Handlungennur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind,
2.
sexuelle Handlungen vor einer anderen Personnur solche, die vor einer anderen Person vorgenommen werden, die den Vorgang wahrnimmt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 122/17
vom
16. Mai 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:160517B3STR122.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 16. Mai 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 26. Oktober 2016 jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte im Fall III. 1. b) der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt und das Notebook des Angeklagten nebst Netzteil eingezogen. Seine dagegen gerichtete auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Das Urteil hat keinen Bestand, soweit der Angeklagte im Fall III. 1. b) der Urteilsgründe wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist.
3
a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen spielte der Angeklagte mit der neunjährigen Zeugin G. "Mensch ärgere Dich nicht". Als sich die Zeugin über den Schoß des Angeklagten beugte, um eine heruntergefallene Spielfigur aufzuheben, fasste der Angeklagte ihr über der Kleidung an die Scheide.
4
b) Diese Feststellungen tragen eine Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 Abs. 1, § 176a Abs. 1 StGB) nicht. Denn das bloße Berühren des Geschlechtsteils über der Kleidung ist nicht ohne weiteres als sexuelle Handlung im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB - zur Tatzeit noch § 184g Nr. 1 StGB - anzusehen. Zwar ist in der Handlung des Angeklagten nach ihrem äußeren Erscheinungsbild der danach erforderliche sexuelle Bezug zu erkennen (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 24. September 1980 - 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338); es fehlt aber an Feststellungen, welche die insoweit erforderliche Erheblichkeit belegen.
5
aa) Als erheblich im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB sind solche sexualbezogenen Handlungen zu werten, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besorgen lassen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 24. September 1980 - 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338; vom 24. September 1991 - 5 StR 364/91, NJW 1992, 324; vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; vom 10. März 2016 - 3 StR 437/15, NJW 2016, 2049). Zur Feststellung der Erheblichkeit bedarf es einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus (BGH, Urteile vom 3. April 1991 - 2 StR 582/90, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 4; vom 24. September 1991 - 5 StR 364/91, NJW 1992, 324 f.; vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; vom 21. September 2016 - 2 StR 558/15, NStZ-RR 2017, 43, 44).
6
Bei Tatbeständen, die - wie § 176 Abs. 1 StGB - dem Schutz von Kindern oder Jugendlichen dienen, sind an das Merkmal der Erheblichkeit geringere Anforderungen zu stellen als bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Erwachsener (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 - 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553; Urteil vom 21. September 2016 - 2 StR 558/15, NStZ-RR 2017, 43, 44). Allerdings reichen auch hier kurze, flüchtige oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen, insbesondere des bekleideten Geschlechtsteils, dafür grundsätzlich nicht aus (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 - 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553; Urteile vom 8. Februar 1989 - 3 StR 546/88, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 3; vom 3. April 1991 - 2 StR 582/90, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 4; vom 4. Mai 2017 - 3 StR 87/17, juris Rn. 9; Beschlüsse vom 10. September 1998 - 1 StR 476/98, NStZ 1999, 45; vom 8. September 1999 - 3 StR 357/99, juris Rn. 4; vom 21. September 2005 - 2 StR 311/05, juris Rn. 8; Urteil vom 21. September 2016 - 2 StR 558/15, NStZ-RR 2017, 43, 44). Die Schwelle zur Erheblichkeit kann jedoch überschritten sein, wenn über die bloße kurze Berührung hinaus weitere Umstände hinzukommen , die das Gewicht des Übergriffes erhöhen; dies ist etwa der Fall, wenn der Täter ein sich wehrendes 8-jähriges Mädchen mit der linken Hand festhält, mit der rechten Hand zwischen die Beine des Kindes fasst und dessen bekleidetes Geschlechtsteil "einige Male streichelt" (BGH, Urteil vom 27. Februar 1992 - 4 StR 23/92, BGHSt 38, 212, 213), wenn er einem 9-jährigen Mädchen "mit festem Griff" an das bekleidete Geschlechtsteil fasst (BGH, Urteil vom 6. Mai 1992 - 2 StR 490/91, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit
6) oder wenn er einen 13-jährigen Jungen in ein Gebüsch zerrt und ihn, während er ihn fest umklammert, "an das bekleidete Geschlechtsteil fasst" sowie dabei teilweise "fest drückt" (BGH, Urteil vom 17. November 1999 - 2 StR 453/99, NStZ-RR 2000, 299).
7
bb) Nach diesen Maßstäben hält die Wertung des Landgerichts, der Griff an das bekleidete Geschlechtsteil im Fall III. 1. b) der Urteilsgründe stelle eine erhebliche sexuelle Handlung im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB dar, rechtlicher Überprüfung nicht stand. Feststellungen zur Intensität oder Festigkeit des Griffes hat die Strafkammer nicht getroffen; auch die Art der Bekleidung (nur leichte Kleidung oder ggf. mehrere Schichten) wird nicht mitgeteilt. Hinsichtlich der Dauer der Berührung lässt sich dem Urteil nur entnehmen, dass die Strafkammer den Angaben der Zeugin gefolgt ist, wonach es "nicht so lange" gewesen sei, "sie habe das aber gemerkt", sei sich aber nicht sicher gewesen, ob der Angeklagte sie absichtlich an der Scheide angefasst habe. Ein spezifisch sexualbezogener Handlungsrahmen, eine Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit oder ein sonst erhebliches Einwirken auf das Opfer sind somit nicht festgestellt. Die kurze Berührung des Geschlechtsteils oberhalb der Kleidung allein vermag die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe damit in einem erheblichen Maße in die geschützte ungestörte Entwicklung des Kindes eingegriffen und diese in einem nicht nur unbedeutenden Maße gefährdet, nicht zu tragen.
8
2. Demgegenüber liegt im Fall III. 1. c) der Urteilsgründe eine erhebliche sexuelle Handlung des Angeklagten vor: Hierzu hat das Landgericht festgestellt , dass der Angeklagte der Zeugin G. im Schwimmbad von unten an die nur mit einem Bikinihöschen bekleidete Scheide griff, als sich die Zeugin in einen Schwimmring setzte. In dieser Situation war die spärlich bekleidete Zeugin dem Zugriff des Angeklagten bei eingeschränkter Abwehr- oder Fluchtmöglichkeit ausgeliefert. Zwar konnte die Strafkammer auch hier nur eine relativ kurze Berührung feststellen, allerdings war der Griff in die leichtbekleidete intime Körperzone in diesem Fall so intensiv und deutlich spürbar, dass die Zeugin keinerlei Zweifel an dem zielgerichteten Vorgehen des Angeklagten hatte; sie empfand sein Vorgehen als unangenehm und belastend und zog sich weinend und zitternd in das Badezimmer zurück, als der Angeklagte kurz darauf zu Besuch in der Wohnung ihrer Mutter erschien. Damit ist hinreichend belegt, dass der Angeklagte nicht nur eine belanglose sexualbezogene Handlung vornahm, sondern das tatbestandlich geschützte Rechtsgut in einer sozial nicht mehr hinnehmbaren Weise gefährdete.
9
3. Im Übrigen hat die rechtliche Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
10
4. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im vorbezeichneten Umfang führt zum Wegfall der für die Tat zu III. 1. b) der Urteilsgründe verhängten Freiheitsstrafe (ein Jahr und vier Monate) und hat die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe zur Folge.
Becker Schäfer Spaniol Berg Hoch
5 StR 417/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 1. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Dezember
2011, an der teilgenommen haben:
Richter Dr. Raum als Vorsitzender,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt W.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin P.
als Vertreterin für die Nebenklägerin M. ,
Rechtsanwältin We.
als Vertreterin für die Nebenklägerin K. ,
Rechtsanwältin G.
als Vertreterin für die Nebenklägerin R. ,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und – betreffend den Fall 4 – der Nebenklägerin K. wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 26. Mai 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen in den Fällen 4, 6 und 7 aufrechterhalten; insoweit werden die Revisionen verworfen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung in sieben Fällen , davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen das Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft und hinsichtlich Fall 4 die Nebenklägerin K. mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel haben den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Der zur Tatzeit 21-jährige, im elterlichen Haushalt lebende, „ge- hemmte und eigenwillig sperrige“ (UA S. 5) Angeklagte fühlte sich nach der Trennung von seiner Freundin oft einsam. Er war auf der Suche nach körperlicher Nähe, die er besonders beim Küssen empfand. Aus diesem Grund näherte er sich in sieben Fällen zwischen dem 12. August 2008 und dem 17. Januar 2009 in seinem Wohnumfeld auf offener Straße jungen, ihm unbekannten Frauen, die ihn optisch ansprachen, umfasste sie jeweils von hinten und hielt sie fest. In einigen Fällen küsste er sie (Taten 1 und 3) oder verlangte , sie sollten ihn küssen (Tat 6), und berührte sie über der Kleidung an den Brüsten oder im Genitalbereich (Taten 2 bis 6). Er ließ jeweils von den Frauen ab, als sie sich wehrten oder Dritte auf das Geschehen aufmerksam wurden. Zwei der Frauen trugen leichte körperliche Verletzungen davon (Taten 3 und 7).
4
b) Das Landgericht hat sämtliche Taten als Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 und 2 StGB gewertet und in den Fällen 3 und 7 jeweils tateinheitlich hierzu eine vorsätzliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB angenommen. Eine Strafbarkeit wegen – vollendeter oder versuchter – sexueller Nötigung hat es in allen Fällen verneint. Eine sexuelle Handlung liege nicht vor, da es an der gemäß § 184g Nr. 1 StGB erforderlichen Erheblichkeit fehle. Bei den vom Angeklagten vorgenommenen Handlungen handele es sich um Zudringlichkeiten und nur ganz flüchtige Berührungen oberhalb der Bekleidung. Da der Angeklagte nicht mehr erstrebt habe als in Küssen und Umarmung bestehende Nähe, scheide auch eine Strafbarkeit wegen versuchter sexueller Nötigung aus. Von einer solchen wäre der Angeklagte im Übrigen in jedem der Fälle gemäß § 24 Abs. 1 StGB strafbefreiend zurückgetreten.
5
2. Das angefochtene Urteil begegnet schon deshalb durchgreifenden Bedenken, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der vom Angeklagten verfolgten Ziele und damit zu seinem Tatvorsatz lückenhaft ist (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2005 – 5 StR 119/05, NJW 2006, 925, 928, insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt).
6
Die Strafkammer ist der Einlassung des Angeklagten, er sei lediglich auf der Suche nach körperlicher Nähe („Kuscheln“, UA S. 3) gewesen, ge- folgt, ohne dem widersprechende Umstände zu erwägen. Schon die vom Angeklagten durchweg gewählte Art der Kontaktaufnahme – überraschendes gewaltsames Umfassen der jungen ihm unbekannten Frauen auf offener Straße von hinten – war offensichtlich ungeeignet, das vom Angeklagten behauptete Handlungsziel zu erreichen. Zudem hat der Angeklagte Handlungen vorgenommen, die über das angegebene Ziel hinausgingen und ersichtlich auf eine sexuelle Annäherung ausgerichtet waren:
7
In den Fällen 2 und 5 fasste er die Frauen an die Brust und den Genitalbereich , ohne dass ein von ihm erstrebtes Küssen als Ausdruck der körperlichen Nähe überhaupt angesprochen oder versucht wurde. Im Fall 4 umfasste er – seine Hose stand dabei offen – die Nebenklägerin K. und berührte die Frau für wenige Sekunden an den Brüsten, ohne sie zu küssen oder dies zu versuchen. Das gleiche gilt im Fall 7, als er den Mund der Frau zuhielt. Im Fall 3 berührte er zunächst nach Öffnen eines Reißverschlusses die Brust der Frau und verlangte „richtiges Küssen“ erst, nachdem er die Frau so fest gegen eine Wand gedrückt hatte, dass sie Hämatome davontrug.
8
3. Die Tatserie bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung. Nachdem das Landgericht die Einlassung des Angeklagten fehlerhaft bewertet hat, muss der Senat auch die objektiven Feststellungen in den Fällen aufheben , in denen diese allein auf der Einlassung des Angeklagten beruhen.
9
Das neue Tatgericht wird zu bedenken haben, dass als erheblich im Sinne des § 184g Nr. 1 StGB solche Handlungen zu werten sind, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besorgen lassen (BGH, Urteil vom 24. September 1991 – 5 StR 364/91, NJW 1992, 324). Bei der am Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung orientierten Bewertung sind auch die gesamten Begleitumstände des Tatgeschehens einzubeziehen und neben den näheren Umständen der Handlung die Beziehung zwischen den Beteiligten und die konkrete Tatsituation zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2006 – 2 StR 575/05, StraFo 2006, 251; BGH, Urteil vom 25. Juli 1989 – 1 StR 95/89, NJW 1989, 3029; LK-Laufhütte/Roggenbuck , StGB, 12. Aufl., § 184g Rn. 12). Eine ergänzende Betrachtung des Gesamtzusammenhangs ist insbesondere dann geboten, wenn die Handlungen für sich genommen in ihrer sexuellen Ausprägung nicht besonders gravierend oder nachhaltig sind. In die Bewertung wird deshalb hier neben der (zum Teil eher geringen) Intensität der sexuellen Handlungen einzustellen sein, dass der Angeklagte jeweils ihm unbekannte Frauen überraschend und unvermittelt von hinten angriff und sie unter beträchtlicher Kraftentfaltung körperlich so heftig bedrängte, dass sich die Frauen ihm nur durch erhebliche körperliche Gegenwehr entziehen konnten.
10
Aufgrund des engen Zusammenhangs der schon länger zurückliegenden Taten wird wiederum die Festsetzung einer die Einzelstrafen eng zusammenfassenden Gesamtstrafe geboten sein. Auch könnten die Erwägungen des angefochtenen Urteils zur Strafaussetzung zur Bewährung auch in Ansehung eines geänderten Schuldspruchs tragfähig bleiben.
Raum Brause Schaal Schneider König

Im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
sexuelle Handlungennur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind,
2.
sexuelle Handlungen vor einer anderen Personnur solche, die vor einer anderen Person vorgenommen werden, die den Vorgang wahrnimmt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 447/11
vom
20. März 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20. März 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Richter am Landgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten F. ,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten K. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 3. Mai 2011 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tatmehrheit mit acht Fällen der (gemeinschaftlichen) Nötigung schuldig gesprochen , den Angeklagten K. darüber hinaus in allen neun Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung. Gegen den Angeklagten F. hat es wegen dieser neun Taten eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, gegen den Angeklagten K. eine solche von drei Jahren verhängt. Mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen erstrebt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des Urteils. Die vom Generalbundesanwalt weitgehend vertretenen Revisionen haben bereits mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht mehr an.

I.

2
1. Zum Tatgeschehen hat das Landgericht Folgendes festgestellt:
3
In der Zeit vom 28. September bis 7. Oktober 2010 waren die Angeklagten und der Geschädigte als Strafgefangene in der Justizvollzugsanstalt Landshut in nebeneinander liegenden Zellen untergebracht.
4
In diesem Zeitraum schlug der Angeklagte K. dem Geschädigten an neun verschiedenen Tagen während der mittäglichen „Aufschlusszeit“ entweder in der Zelle des Angeklagten F. oder der Zelle des Geschädigten W. jeweils mehrmals mit der flachen Hand kräftig auf Nacken bzw. Hinterkopf und fügte ihm dadurch bewusst und gewollt Schmerzen zu. Die Schläge gingen jeweils allein vom Angeklagten K. aus, der damit zugleich seiner Forderung Nachdruck verlieh, dass der Geschädigte sich an dem Geschlechtsteil des Angeklagten F. „zu schaffen machen“ sollte. Der hierdurch eingeschüchterte Geschädigte kam jeweils gegen seinen Willen dieser Forderung nach und fasste den Angeklagten F. im Genitalbereich an.
5
In acht der Fälle berührte der Geschädigte dabei den Genitalbereich des Angeklagten F. über dessen Hose. Lediglich in einem Fall hatte der Angeklagte F. zuvor seine Hose heruntergelassen und stand mit entblößtem Geschlechtsteil vor dem Geschädigten, sodass dieser mit zwei Fingern das nackte, nicht erigierte Glied des Angeklagten F. anfassen musste. In keinem der Fälle konnte das Landgericht die Dauer und Intensität der Berührung aufklären. Es ging deshalb zugunsten der Angeklagten jeweils von einer sehr kurz andauernden und ohne große Intensität vorgenommenen Berührung aus.
6
Der Angeklagte F. hatte die von dem Angeklagten K. ausgeführten Schläge zwar jeweils nicht veranlasst, war aber „ohne weiteres“ damit einverstanden, dass ihm der Geschädigte, wie von K. verlangt, an das Geschlechtsteil fasste. Er stellte sich bei jedem dieser Fälle freiwillig zur Verfügung, weil er Spaß daran hatte und weil ihm diese Berührungen - auch wegen seiner homoerotischen Veranlagung - nicht unangenehm waren.
7
2. Der Angeklagte K. hat die Tatvorwürfe bestritten, der Angeklagte F. wie festgestellt gestanden. Zwar hatte der Geschädigte die Ange- klagten „in einem größeren Umfang“ belastet (UA S. 27).Im Hinblick auf den „ambivalenten Eindruck“ (UA S. 36) des Geschädigten in der Hauptverhandlung sowie eine auch zum Kerngeschehen „nicht völlig“ konstante Aussage (UA S. 29), bei der der Geschädigte auch unterschiedliche Angaben dazu machte, wie oft er die Berührungen am nackten bzw. bekleideten Geschlechtsteil ausführen musste, hat das Landgericht die Tatvorwürfe lediglich in dem Umfang als erwiesen erachtet, in dem sie auch vom Geständnis des Angeklagten F. getragen wurden. Im Übrigen hat es die Angeklagten nach dem Zweifelssatz aus tatsächlichen Gründen nicht verurteilt.
8
3. Das Landgericht hat die Schläge des Angeklagten K. dem Angeklagten F. nicht zugerechnet, weil er sich an diesen Schlägen nicht beteiligt habe. Es hat daher den Angeklagten F. nicht wegen Körperverletzung verurteilt. Demgegenüber hat das Landgericht dem Angeklagten F. die „willensbeugende Gewalt“ der Schläge zugerechnet, weil er sich an der Nö- tigungshandlung dadurch beteiligt habe, dass er sein Geschlechtsteil zu den Berührungen dargeboten habe. Sein Tatbeitrag sei auch erheblich gewesen, denn die von dem Geschädigten verlangte Handlung habe jeweils nur ausgeführt werden können, weil sich der Angeklagte F. hierfür zur Verfügung stellte (UA S. 46).
9
Von einer sexuellen Handlung ist das Landgericht nur in dem Fall ausgegangen , in dem der Geschädigte an das nackte Geschlechtsteil des Angeklagten F. fassen musste. Bei den übrigen Fällen hat das Landgericht ange- sichts der „relativ kurzfristigen Berührungen“ am Geschlechtsteilüber der Kleidung die für die Annahme einer sexuellen Handlung gemäß § 184g Nr. 1 StGB erforderliche Erheblichkeit verneint.

II.

10
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben mit der Sachrüge Erfolg.
11
Die Wertung des Landgerichts, die Angeklagten hätten bei den Taten der Körperverletzung nicht gemeinschaftlich gehandelt und seien deshalb nicht wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) strafbar, beruht auf lückenhaften Feststellungen und kann daher keinen Bestand haben. Es fehlt an ausreichenden Feststellungen zur Frage, ob ein gemeinsamer Tatentschluss der Angeklagten vorlag oder ob der Angeklagte F. bei Verabreichung der Schläge durch den Angeklagten K. zumindest Gehilfenvorsatz hatte.
12
1. Allerdings ist das Landgericht im Ansatz zutreffend davon ausgegangen , dass allein die Anwesenheit einer zweiten Person, die sich passiv verhält, für die Annahme einer gemeinschaftlichen Begehung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht ausreicht. Denn gemeinschaftliches Handeln bedeutet ein einverständliches Zusammenwirken, bei dem sich die abstrakte Gefährlichkeit des Tuns dadurch erhöht, dass zwei Angreifer mehr bewerkstelligen können als nur einer (vgl. Hardtung in MüKo-StGB, 1. Aufl., § 224 Rn. 25 f. mwN). Andererseits kann auch derjenige diesen Qualifikationstatbestand verwirklichen, der weder eigenhändig Verletzungshandlungen vornimmt, noch überhaupt Mittäter ist. Ausreichend ist bereits das gemeinsame Wirken eines Täters und eines Gehilfen bei der Begehung einer Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2002 - 5 StR 210/02, BGHSt 47, 384, 386; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 224 Rn. 11 mwN). Ein solches liegt schon dann vor, wenn die zweite Person - auch vom Opfer wahrgenommen - unterstützungsbereit am Tatort anwesend ist (vgl. Hardtung aaO Rn. 26).
13
2. Diesen Grundsätzen wird das landgerichtliche Urteil nicht gerecht. Denn das Landgericht stellt ausschließlich darauf ab, dass der Angeklagte K. die Schläge allein auf seine „eigene Veranlassung“ hin ausgeführt hat (UA S. 22) und der Angeklagte F. sich weder an diesen Schlägen beteiligt noch diese unterstützt hat (UA S. 46). Feststellungen dazu, ob der Angeklagte F. dabei rein passiv blieb oder Unterstützungsbereitschaft erkennen ließ, fehlen dagegen.
14
Solcher Feststellungen hätte es aber bedurft, denn die am Geschädigten W. jeweils verübte Körperverletzung war keine vom weiteren Tatgeschehen losgelöste, eigenständige Tat, sondern das von beiden Angeklagten gewollte Nötigungsmittel für eine erzwungene sexualbezogene Handlung W. s an F. . Insoweit hat das Landgericht den Angeklagten in allen neun Fällen auch wegen „gemeinschaftlicher Nötigung“, alsowegen Tatbegehung in Mittäterschaft, verurteilt.
15
Nach den Feststellungen berührte W. jeweils nur deswegen das Geschlechtsteil F. s, weil K. seiner Forderung, dies zu tun, mit kräftigen Schlägen auf Nacken bzw. Hinterkopf W. s Nachdruck verliehen hatte. Dies war auch F. bewusst, der den Nötigungserfolg der Berührung seines Geschlechtsteils selbst wollte, „weil er Spaß daran hatte und ihm die Berührungen nicht unangenehm waren“.F. förderte aktiv die Tat, indem er sich als „Objekt“ der erzwungenen Handlung zur Verfügung stellte.
16
Angesichts seines Interesses an den durch die Schläge abgenötigten sexualbezogenen Handlungen lag nahe, dass F. auch hinsichtlich der Schläge als Nötigungsmittel unterstützungsbereit war. Feststellungen hierzu waren daher unerlässlich. Dies gilt umso mehr, als es sich nicht um eine einzelne Tat handelte, sondern um ein sich innerhalb von zehn Tagen neunmal in gleicher Weise wiederholendes Tatgeschehen, bei dem es deshalb - jedenfalls bei den weiteren Taten - fernliegt, dass der Angeklagten F. vom Einschlagen des Angeklagten K. auf den Geschädigten W. überrascht wurde und nicht als „zweiter Angreifer“ wahrgenommen werden wollte.
17
Nach alledem ist die Annahme, die Verletzungshandlungen seien dem Angeklagten F. nicht im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, wohl aber als gemeinschaftlich begangene Nötigungshandlungen zuzurechnen, auch in sich widersprüchlich.
18
Der Senat hebt nicht nur den Schuld- und Strafausspruch, sondern zugleich alle Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht zu ermöglichen, insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zum gesamten Tatgeschehen zu treffen.

III.

19
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
20
1. Sollte auf der Grundlage der neu zu treffenden Feststellungen zum Tatgeschehen das vom Geschädigten W. abgenötigte Verhalten als sexuelle Handlung im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB einzustufen sein, kann auch eine Verurteilung der Angeklagten wegen sexueller Nötigung (§ 177 Abs. 1 StGB) oder wegen Nötigung in einem besonders schweren Fall gemäß § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB (Nötigung zu einer sexuellen Handlung) in Betracht kommen.
21
Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn das neue Tatgericht wiederum zu denselben Feststellungen zu Art und Intensität des abgenötigten Verhaltens gelangt. Denn solche Feststellungen legen - entgegen der Auffassung des Landgerichts - das Vorliegen sexueller Handlungen im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB nahe.
22
Das Landgericht hatte angenommen, dass kurze oder flüchtige Berührungen an einem Geschlechtsorgan für das Erreichen der Erheblichkeitsschwelle einer sexuellen Handlung grundsätzlich nicht ausreichend sind, wenn diese Berührungen über der Kleidung erfolgen (UA S. 47). Dies trifft hier indes nicht zu.
23
Zwar sind nach § 184g Nr. 1 StGB sexuelle Handlungen nur solche, die im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind. Auch kurze Berührungen über der Kleidung können aber diese Erheblichkeitsschwelle überschreiten.
24
Die Beurteilung einer Handlung als erheblich im Sinne des § 184g Nr. 1 StGB hängt in erster Linie von Art, Intensität und Dauer ihres sexualbezogenen Teils ab. Von wesentlicher Bedeutung sind aber auch der Handlungsrahmen, in dem der unmittelbar sexualbezogene Akt begangen wird, und die Beziehung der Beteiligten untereinander. Denn auch sie können dem sexuellen Zugriff im engeren Sinne mehr oder weniger Gewicht verschaffen. Ob die Erheblichkeitsschwelle überschritten wurde, bestimmt sich somit nach dem Grad der Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; lediglich unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus (BGH, Urteil vom 3. April 1991 - 2 StR 582/90, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 4 mwN; BGH, Urteil vom 6. Mai 1992 - 2 StR 490/91, NStZ 1992, 432; BGH, Beschluss vom 8. September 1999 - 3 StR 357/99, StV 2000, 197).
25
Ausgehend von diesen Maßstäben ist zwar bei Berührungen des Täters am Opfer die Erheblichkeitsschwelle des § 184g Nr. 1 StGB nicht ohne weiteres erreicht, wenn es sich um kurze Griffe über der Kleidung an Brust oder Gesäß handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 - 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553). Auch ist eine sexuell getönte Handlung gegenüber einem Kind eher erheblich als gegenüber einem Erwachsenen (BGH, Urteil vom 14. August 2007 - 1 StR 201/07, NStZ 2007, 700). In allen Fällen - auch solchen, in denen nicht eine am Opfer vorgenommene Handlung, sondern eine vom Opfer am Täter oder einem Dritten vorgenommene Handlung inmitten steht - kann aber nicht allein auf die Dauer und Stärke der sexualbezogenen Handlung abgestellt werden. Vielmehr bedarf es einer Gesamtbewertung der Umstände unter Berücksichtigung des Handlungsrahmens und der sonstigen Begleitumstände, in dem der unmittelbar sexualbezogene Akt begangen wird (vgl. dazu BGH, Urteil vom 3. April 1991 - 2 StR 582/90, BGHR StGB § 184c Nr. 1 StGB Erheblichkeit 4 mwN).
26
Dieser Handlungsrahmen ist hier nicht zuletzt durch eine über die vorangehende Gewaltanwendung und das dadurch geschaffene „Nötigungsszenario“ sogar hinausgehende Ausweglosigkeit für das Opfer geprägt. Jedenfalls bei einer derart erzwungenen Vornahme einer sexualbezogenen Handlung an einem anderen entfällt die Erheblichkeit der Handlung im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB nicht schon deswegen, weil die Berührung nicht kräftig und nachhaltig war (vgl. auch BGH, Beschluss vom 30. Januar 2001 - 4 StR 569/00, BGH NStZ 2001, 370; Laufhütte/Roggenbuck in LK-StGB, 12. Aufl., § 184g Rn. 10 und Fn. 15 mwN).
27
2. Der neue Tatrichter wird wiederum Gelegenheit haben, beim Angeklagten F. wegen eines Täter-Opfer-Ausgleiches mit dem Geschädigten W. eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 46a Nr. 1 StGB zu prüfen.

IV.

28
Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten, die eine Aufhebung des Urteils zu deren Gunsten bedingen würden (§ 301 StPO), liegen nicht vor. Nack Wahl Graf Jäger Sander

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.

(1) Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(3) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 570/17
vom
13. März 2018
BGHSt: ja (zu B.)
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––
Zu den Voraussetzungen einer sexuellen Belästigung i.S.d. § 184i Abs. 1 StGB.
BGH, Beschluss vom 13. März 2018 - 4 StR 570/17 - LG Essen
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Beihilfe zur Geiselnahme u.a.
zu 2.: Geiselnahme u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:130318B4STR570.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts am 13. März 2018 gemäß § 349 Abs. 4, § 357 Satz 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten B. und S. wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 22. Juni 2017 – auchsoweit es den Mitangeklagten K. betrifft – mitden Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte S. wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen sexueller Belästigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und den Angeklagten B. wegen Beihilfe zur Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es den Mitangeklagten K. , der keine Revision eingelegt hat, wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen ihre Verurteilung wenden sich die Angeklagten S. und B. mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Die Rechtsmit- tel führen zur Aufhebung des Urteils, die sich gemäß § 357 Satz 1 StPO auf den Mitangeklagten K. erstreckt.

A.


2
Die Verurteilung der Angeklagten S. und B. im Zusammenhang mit dem Tatgeschehen zum Nachteil des Nebenklägers L. hat keinen Bestand.

I.


3
Zu diesem Tatkomplex hat das Landgericht im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
4
Die Angeklagte S. und der Angeklagte K. , die seit einigen Wochen liiert waren, hielten sich in den Mittagsstunden des 17. November 2016 in der Wohnung des K. auf und konsumierten Alkohol. Am späten Abend stieß der Angeklagte B. dazu. Die drei Angeklagten setzten den Abend mit gemeinsamem Alkoholkonsum fort. Nachdem die Angeklagte S. be- richtet hatte, der Nebenkläger „stalke“ sie durch Anrufe undTextnachrichten, beschlossen S. und K. , die außerdem beide mit einem vom Nebenkläger verfassten Eintrag auf der Internetplattform Facebook nicht einverstanden waren, diesen unter einem Vorwand in die Wohnung des K. zulocken, um ihn dort festzuhalten und „ein Exempel zu statuieren“. Der Nebenkläger soll- te durch Schläge und Tritte „mürbe“ und widerstandslos gemacht werden. Zudem sollte er „durch die Androhung entstellender Narben und notfalls mit dem Tod“ gezwungen werden, weitere Demütigungenund Verletzungen zu dulden, den missbilligten Facebook-Eintrag zu löschen und zu versprechen, der Angeklagten S. künftig nicht mehr nachzustellen.
5
Die Angeklagte S. rief bei dem Nebenkläger an und spiegelte ihm vor, sie wolle sich von K. trennen; dieser befinde sich gerade nicht in seiner Wohnung, und der Nebenkläger möge sie dort abholen. Der Nebenkläger leistete dieser Bitte Folge. Unmittelbar nachdem er gegen 01:00 Uhr die Wohnung des K. betreten hatte, verschloss die Angeklagte S. die Wohnungstür und steckte den Schlüssel ein. Der Nebenkläger erblickte nunmehr den Mitangeklagten K. und wollte sich sofort wieder entfernen, woran er jedoch von S. und dem ebenfalls noch anwesenden Angeklagten B. gehindert wurde. K. versetzte dem Nebenkläger drei leichte „Kopfnüsse“ sowie einen Faustschlag gegen den Kopf. Die Angeklagten führten den nunmehr widerstandslosen Nebenkläger in das Wohnzimmer, wo er sich auf einen Holzstuhl setzen musste.
6
Die Angeklagte S. erklärte dem Nebenkläger, sie werde ihm nun verschiedene Fragen stellen. Bei nicht zufriedenstellenden Antworten werde sie die Mitangeklagten „auf ihn loslassen“. B. , der sich spätestens jetzt an den Plänen der Mitangeklagten beteiligte und diese in ihrem Tun unterstützen wollte, kündigte dem Nebenkläger an, er werde ihn „kaputt schlagen“ – mit dem Fuß des Nebenklägers könne er anfangen. Die Angeklagten verlangten nunmehr vom Nebenkläger, die Nachstellungen zuzugeben, diese künftig zu unterlassen und dies zu bekräftigen. Da die Angeklagte S. mit den darauffolgenden Reaktionen des Nebenklägers nicht zufrieden war, versetzte sie ihm mit Billigung und Unterstützung der beiden Mitangeklagten mehrere Schläge in das Gesicht und würgte ihn durch einen Griff an die Kehle, allerdings nicht bis zur Bewusstlosigkeit. Der Angeklagte K. forderte den Nebenkläger auf, den Facebook-Eintrag zu löschen, was dem Nebenkläger unmittelbar vor Ort jedoch nicht möglich war. Der Angeklagte B. gab dem Nebenkläger daher auf, dies nachzuholen, sobald er wieder zu Hause sei; sonst werde ihm „Schlimmes“ blühen. Da der Nebenkläger daraufhin sein Einverständnis signalisierte, gingen die Angeklagten davon aus, dass er dies auch tun werde.
7
Im Verlauf des weiteren Geschehens trat die Angeklagte S. aus Wut über den Nebenkläger mit solcher Wucht gegen dessen obere Bauchregion , dass dieser mitsamt dem Stuhl umfiel. Da S. über die mangelnde Kooperation des Nebenklägers erbost war, beschloss sie, diesen nachhaltig zu demütigen, „wie sie es von Anfang an mit dem K. geplant hatte“. Hierzu biss sie dem Nebenkläger mehrfach in die linke Wange und erklärte, er solle eine bleibende Narbe davontragen, damit er sich bei dem Blick in den Spiegel immer an sie erinnere. Mit der Erklärung, dass er die Situation nicht mehr aushalte , ergriff der Nebenkläger nunmehr ein in Reichweite liegendes Messer und drohte, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Daraufhin forderte ihn der Angeklagte B. unter Vorhalt eines von ihm bis dahin verborgen mitgeführten Teleskop-Schlagstocks auf, das Messer wegzulegen – ansonsten werde er ihn „kaputt wichsen“. Zur Verdeutlichung schlug er dem Nebenkläger mit dem Schlagstock einmal gegen das rechte Handgelenk, was dort zu einer Schwellung führte. Der Nebenkläger fasste dies – wie von B. beabsichtigt und von den Mitangeklagten gebilligt – als Todesdrohung auf und folgte der Anweisung.
8
Gegen 04:00 Uhr verließ der Angeklagte B. unter Mitnahme des Teleskop-Schlagstocks die Wohnung. Die Angeklagte S. verfiel nun auf „eine neue Idee“, den nach wie vor auf dem Boden kauernden Nebenkläger zu quälen. Von K. gebilligt, ritzte sie ihm mit einem Messer den Unterarm auf, wobei sie den Anfangsbuchstaben seines Vornamens („T“) hinterlassen wollte. Nach weiteren Demütigungen, Bedrohungen und Misshandlungen gelang dem Nebenkläger am frühen Morgen die Flucht aus der Wohnung. Er trug unter anderem Würgemale am Hals, ein Brillenhämatom und eine bleibende Narbe am Unterarm davon. Die Bissverletzungen im Gesicht verheilten folgenlos.

II.


9
1. Die Verurteilung der Angeklagten S. im ersten Tatkomplex wegen Geiselnahme gemäß § 239b Abs. 1 Var. 1 StGB („Bemächtigungsvariante“) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht die Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht tragfähig belegt hat. Die Voraussetzungen des § 239b Abs. 1 Var. 2 StGB („Ausnutzungsvariante“) sind bereits nicht festgestellt.
10
Zwar ist die Strafkammer im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen , dass es im Rahmen von § 239b Abs. 1 Var. 1 StGB maßgeblich darauf ankommt, dass die Absicht zur Vornahme einer qualifizierten Drohung bereits im Zeitpunkt des Schaffens der Bemächtigungslage besteht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. August 2013 – 3 StR 175/13, NStZ 2014, 38; vom 22. August 1996 – 5 StR 263/96, NStZ-RR 1997, 100; MüKo-StGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 239b Rn. 17). Die Feststellung der Strafkammer, die Angeklagten S. und K. hätten von Anfang an vorgehabt, den Nebenkläger mit einer schweren Körperverletzung oder gar mit dem Tode zu bedrohen, wird im angefochtenen Urteil aber nicht rechtsfehlerfrei belegt.
11
a) Soweit es die vom Landgericht angenommene Absicht der Angeklagten S. und K. betrifft, den Nebenkläger mit der Beibringung entstel- lender Narben zu bedrohen, bieten die Urteilsgründe hierfür keine tragfähige Grundlage.
12
aa) Das Landgericht hat seine Überzeugung insoweit auf die Angaben des Nebenklägers und des Angeklagten B. gestützt, wonach es der Angeklagten S. bei den Bissverletzungen darum gegangen sei, dass der Nebenkläger eine bleibende Narbe davontrage; dies habe die Angeklagte S. auch unmittelbar nach der Tat selbst eingeräumt, wie sich aus der Aussage der Kriminalbeamtin M. in der Hauptverhandlung ergebe.Hiervon ausgehend hat die Strafkammer in Zusammenschau mit dem insgesamt „sehr planvollen“ Vorgehen der Angeklagten geschlossen, dass die später erfolgte Androhung, den Nebenkläger zu entstellen, von Anfang an beabsichtigt gewesen sei.
13
bb) Ausweislich der Urteilsgründe verhalten sich aber die Angaben der Angeklagten S. unmittelbar nach der Tat gegenüber der Kriminalbeamtin M. nicht dazu, dass schon von Anfang an geplant war, die Vornahme entsprechender Verletzungshandlungen zum Gegenstand einer Drohung zu machen. Entsprechendes gilt für die Angaben des Nebenklägers und die Einlassung des Angeklagten B. . Überdies stehen die vorstehend erwähnten beweiswürdigenden Erwägungen des Landgerichts im Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen. Danach haben die Angeklagten S. und K. dem Nebenkläger zu keinem Zeitpunkt während des Tatgeschehens die Beibringung entstellender Narben, insbesondere durch Bissverletzungen, tatsächlich angedroht. Vielmehr wurden Verletzungshandlungen, welche auf die Beibringung von Narben abzielten, durch die Angeklagte S. unmittelbar und ohne Vorankündigung vorgenommen.
14
Zudem vermögen die Urteilsgründe auch in einer Gesamtschau nicht zu vermitteln, warum die Strafkammer einerseits davon ausgegangen ist, dass die Bissverletzungen bzw. deren Androhung bereits vorab geplant gewesen seien, während andererseits die Schnittverletzungen am Arm des Nebenklägers auf eine erst im Verlauf des Tatgeschehens gefasste „neue Idee“ (UA 11)der Angeklagten S. zurückgegangen seien. Sowohl die Schnitt- als auch die Bissverletzungen erfolgten nach den Feststellungen nicht zu Beginn, sondern erst im Verlauf der Bemächtigungslage und waren von derselben Motivation – Beibringung äußerlich sichtbarer Verletzungen – getragen.Die von der Straf- kammer gleichwohl vorgenommene Differenzierung bezüglich des Zeitpunktes der Entschlussfassung erhellt sich anhand der Urteilsgründe nicht.
15
b) Auch dafür, dass die Angeklagten S. und K. beabsichtig- ten, den Nebenkläger „notfalls“ sogar mit dem Tod zu bedrohen, fehlt es an einem Beleg in den Urteilsgründen. Da ausgesprochene Todesdrohungen dieser beiden Angeklagten ebenfalls nicht festgestellt sind, liegt die Annahme einer entsprechenden Vorplanung auch nicht nahe. Die einzige – von der Strafkammer als solche festgestellte – Todesdrohung äußerte der Angeklagte B. , als der Nebenkläger ein Messer gegen sich selbst richtete. Diese situativ bedingte Reaktion des Angeklagten B. belegt für sich genommen keine entsprechende Vorplanung der Angeklagten S. und K. .
16
Soweit die Angeklagte S. den Nebenkläger im Verlauf des Geschehens würgte, hat das Landgericht dies nicht als konkludente Todesdrohung im Sinne des § 239b Abs. 1 StGB bewertet; eine solche Bewertung versteht sich auch nicht von selbst.
17
2. Mangels rechtsfehlerfrei belegter Haupttat hat die Verurteilung des Angeklagten B. wegen Beihilfe zur Geiselnahme ebenfalls keinen Bestand.
18
3. Die Aufhebung ist nach § 357 Satz 1 StPO auf den nicht revidierenden Mitangeklagten K. zu erstrecken, der – ebenso wie die Angeklagte S. – wegen täterschaftlicher Geiselnahme verurteilt worden ist. Der durchgreifende Rechtsfehler betrifft ihn in gleicher Weise.
19
4. Wegen des Vorliegens von Tateinheit können auch die für sich gesehen rechtsfehlerfreien Verurteilungen aller drei Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung keinen Bestand haben (vgl. BGH, Urteile vom 28. September 2017 – 4 StR 282/17, juris Rn. 14; vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).

B.


20
Die Verurteilung der Angeklagten S. wegen sexueller Belästigung gemäß § 184i Abs. 1 StGB zum Nachteil der Polizeibeamtin St. hält rechtlicher Nachprüfung ebenfalls nicht stand.

I.


21
Diese Verurteilung beruht im Wesentlichen auf folgenden Feststellungen des Landgerichts:
22
Nachdem die Angeklagte S. am 11. Februar 2017 aufgrund des vorgenannten Geschehens festgenommen worden war, wurde sie in den Räumen einer Polizeiwache in G. – in Anwesenheit der geschädigten Polizeibeamtin St. – von einer weiteren Polizeibeamtin körperlich durchsucht. Die Angeklagte, der die Durchsuchung missfiel, rief der Geschädig- ten zu: „Und Du willst wohl auch gleich in meine Fotze gucken? Soll ich auch in Deine greifen?“ Dabei griff sie der Geschädigten mit einer schnellen Bewegung in den Schritt und kniff sie dort schmerzhaft. Die Geschädigte war hierdurch schockiert; der Vorfall war ihr peinlich, und sie ekelte sich sehr.

II.


23
Zwar sind die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Straftatbestandes der sexuellen Belästigung im Sinne des § 184i Abs. 1 StGB erfüllt. Das Landgericht hat indes nicht geprüft, ob der Strafbarkeit nach § 184i Abs. 1 StGB die Subsidiaritätsklausel dieser Vorschrift entgegensteht.
24
1. Gemäß § 184i Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.
25
a) Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der körperlichen Berührung „in sexuell bestimmter Weise“ im Sinne von § 184i Abs. 1 StGB – diese Vor- schrift ist durch das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I, S. 2460) eingeführt worden – hat sich der Bundesgerichtshof bislang nicht geäußert (zum Verhältnis der Vorschrift zu § 184h StGB vgl. BGH, Urteile vom 26. April 2017 – 2 StR 574/16 und 2 StR 580/16, StV 2018, 238 ff.). Im Schrifttum werden insoweit unterschiedliche Auslegungsansätze vertreten.
26
aa) Teile der Literatur bestimmen den Begriff „in sexuell bestimmter Weise“ anhand objektiver Umstände und verlangen, dass sich der Sexualbezug aus der Berührung als solcher ergeben müsse – diese müsse nach ihrem äußeren Erscheinungsbild eine sexuelle Konnotation aufweisen (vgl. MüKo-StGB/ Renzikowski, 3. Aufl., § 184i Rn. 8; ders., NJW 2016, 3553, 3557; SK-StGB/ Noltenius, 9. Aufl., § 184i Rn. 6; Hörnle, NStZ 2017, 13, 20; Hoven/Weigend, JZ 2017, 182, 189; in diese Richtung auch Krug/Weber, ArbR 2018, 59, 60). Zur Bestimmung des Sexualbezugs werden als Kriterien genannt die soziokulturell bestimmte Bedeutung der berührten Körperstelle (Renzikowski, aaO) sowie der Umstand, dass für den in Rede stehenden Körperkontakt typischerweise das Bestehen einer intimen Beziehung vorausgesetzt werde (Hörnle, aaO; Noltenius, aaO).
27
bb) Nach anderer – weiter gehender – Auffassung soll das Vorliegen einer Berührung „in sexuell bestimmter Weise“ anhand der Auslegungskriterien zu bestimmen sein, welche die Rechtsprechung zum Begriff der sexuellen Handlung nach § 184h Nr. 1 StGB entwickelt hat (Fischer, StGB, 65. Aufl., § 184i Rn. 4 bis 5a; in diese Richtung auch BeckOK-StGB/Ziegler, Stand: 1. Februar 2018, § 184i Rn. 4 und 5); demnach könne eine Berührung sowohl objektiv – nach dem äußeren Erscheinungsbild – als auch subjektiv – nach den Umständen des Einzelfalls – sexuell bestimmt sein, wobei es allerdings nicht ausreiche, dass die Handlung allein nach der subjektiven Vorstellung des Täters sexuellen Charakter habe (Fischer, aaO).
28
b) Der Senat folgt der letztgenannten Ansicht. Mit Blick auf § 184h Nr. 1 StGB sprechen für diese Auslegung insbesondere systematische Erwägungen. Zudem wird sie durch den Wortlaut sowie Sinn und Zweck der neuen Strafvorschrift gestützt.
29
aa) Für eine Maßgeblichkeit der zum Begriff der sexuellen Handlung (§ 184h Nr. 1 StGB) entwickelten objektiven und subjektiven Kriterien spricht zunächst der weitgefasste Wortlaut des § 184i Abs. 1 StGB. Dieser verlangt lediglich, dass die belästigende Berührung überhaupt einen Sexualbezug auf- weist („in sexuell bestimmter Weise“), schränkt aber die hierfür maßgeblichen Umstände in keiner Weise ein. Es kommt hinzu, dass beide Vorschriften – unmittelbar aufeinanderfolgend – im 13. Abschnitt des Strafgesetzbuches geregelt sind und einheitlich dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dienen.
30
bb) Weiter spricht für die Übertragung der zu § 184h Nr. 1 StGB entwickelten Grundsätze auf den Straftatbestand der sexuellen Belästigung das Anliegen des Gesetzgebers, mit § 184i StGB solche Handlungen zu pönalisieren, die mangels Erreichen der Erheblichkeitsgrenze zwar keine sexuellen Handlungen im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB darstellen, aber gleichwohl sexuell belästigend wirken (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 30). Der Gesetzgeber sah sich also maßgeblich durch die Erheblichkeitsgrenze des § 184h Nr. 1 StGB veranlasst, den Tatbestand der sexuellen Belästigung einzuführen, um auch weniger gravierende Handlungsformen strafrechtlich zu erfassen (ebenso BGH, Urteile vom 26. April 2017 – 2 StR 574/16 und 2 StR 580/16, aaO). Ausgehend von diesem Anliegen ist es jedoch folgerichtig, den – von der Erheblichkeitsfrage zu trennenden – Sexualbezug der Berührung so zu bestimmen wie bei der sexuellen Handlung gemäß § 184h Nr. 1 StGB, zumal der Gesetzgeber diesbezüglich keinen ergänzenden Regelungsbedarf sah.
31
cc) Einer solchen Auslegung steht nicht die weitere Gesetzesbegründung zu § 184i Abs. 1 StGB entgegen, wonach eine Berührung in sexuell bestimmter Weise erfolge, wenn sie sexuell motiviert sei; dies liege nahe, wenn der Täter das Opfer an den Geschlechtsorganen berühre oder Handlungen vornehme, die typischerweise eine sexuelle Intimität zwischen den Beteiligten voraussetze (BT-Drucks. 18/9097, S. 30).
32
Danach wäre der Sexualbezug einer Berührung grundsätzlich anhand der subjektiven Tatseite zu bestimmen und müsste stets mit einer sexuellen Motivation des Täters einhergehen; die äußere Handlung könnte lediglich als Beweisanzeichen für eine entsprechende Motivation herangezogen werden (vgl. zu einem entsprechenden Verständnis der Gesetzesbegründung Hörnle, NStZ 2017, 13, 20 Fn. 83). Eine solche maßgeblich mit der Tätermotivation verknüpfte Auslegung stünde jedoch in Widerspruch zu Sinn und Zweck des § 184i StGB. Schutzgut dieser Vorschrift ist das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 30; MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, § 184i Rn. 1; NK-StGB/Frommel, 5. Aufl., § 184i Rn. 2; SK-StGB/Noltenius, aaO, § 184i Rn. 2). Verlangte man für die Strafbarkeit aber stets eine sexuelle Tätermotivation , würde dies den Tatbestand der sexuellen Belästigung in erheblichem Maße einschränken, da gerade bei den von § 184i StGB ins Auge gefassten Berührungen (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 29 f.: u.a. flüchtiger Griff in den Schritt, „Begrapschen des Gesäßes“) häufig keine eigentliche sexuelleMotiva- tion des Täters – insbesondere in Form eines angestrebten Lustgewinns – feststellbar sein wird. Vielmehr werden solche Berührungen oftmals aus anderen Gründen erfolgen, etwa um das Gegenüber zu belästigen, zu demütigen oder durch Distanzlosigkeit zu provozieren. An der Beeinträchtigung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung ändert sich hierdurch aber nichts.
33
Dementsprechend steht es nach ständiger Rechtsprechung bei Verhaltensweisen , die bereits nach ihrem äußeren Erscheinungsbild die Sexualbezogenheit erkennen lassen, der Annahme einer sexuellen Handlung gemäß § 184h Nr. 1 StGB nicht entgegen, dass der Täter nicht von sexuellen Absichten geleitet ist, sondern aus Wut, Sadismus, Scherz oder zur Demütigung seines Opfers handelt (vgl. BGH, Urteile vom 22. Oktober 2014 – 5 StR 380/14, NStZ 2015, 33, 35; vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 459/07, NStZ-RR 2008, 339, 340; vom 11. Mai 1993 – 1 StR 896/92, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 6; vom 9. November 1982 – 1 StR 672/82, NStZ 1983, 167; vom 24. September 1980 – 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338; MüKo-StGB/Hörnle, 3. Aufl., § 184h Rn. 7 mwN). Diese Grundsätze gelten nach Auffassung des Senats auch für die Auslegung von § 184i Abs. 1 StGB, soweit es sich um eine bereits nach den äußeren Umständen sexualbezogene Berührung handelt. Der teilweise in eine andere Richtung weisenden Gesetzesbegründung ist keine bewusste Abkehr von den vorgenannten Grundsätzen zu entnehmen. Der Gesetzgeber hatte Fallgestaltungen äußerlich eindeutig sexualbezogener Körperkontakte bei fehlender sexueller Motivation offenbar lediglich nicht im Blick.
34
dd) Auch eine rein objektive Auslegung, nach der sich der Sexualbezug allein aus dem äußeren Erscheinungsbild der Berührung als solcher ergeben müsse (vgl. MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, § 184i Rn. 8; Hörnle, NStZ 2017, 13, 20; ähnlich SK-StGB/Noltenius, aaO, § 184i Rn. 6 und Hoven/Weigend, JZ 2017, 182, 189), würde den gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift verfehlen. Gerade im Bereich von Körperkontakten unterhalb der Erheblichkeitsgrenze des § 184h Nr. 1 StGB sind zahlreiche Formen äußerlich ambivalenter Berührungen denkbar, die aber bei Kenntnis aller Umstände, unter Berücksichtigung des gesamten Handlungsrahmens und nach ihrem sozialen Sinngehalt in einem eindeutigen sexuellen Kontext erscheinen. Hierbei können insbesondere sexuelle Absichten des Täters (etwa gezieltes Herandrängen an eine andere Person in öffentlichen Verkehrsmitteln, um sich hieran zu erregen – vgl. hierzu Fischer, aaO, § 184i Rn. 5) oder flankierende Äußerungen (vgl. BGH, Urteile vom 6. Februar 2002 – 1 StR 506/01, NStZ 2002, 431, 432; vom 22. Mai1996 – 5 StR 153/96, StV 1997, 524 – jeweils zu § 184c Nr. 1 aF) von Bedeutung sein.
35
c) Eine Berührung in sexuell bestimmter Weise ist demnach zu bejahen, wenn sie einen Sexualbezug bereits objektiv, also allein gemessen an dem äußeren Erscheinungsbild, erkennen lässt. Darüber hinaus können auch ambivalente Berührungen, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein. Dabei ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalles kennt; hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob der Täter von sexuellen Absichten geleitet war. Insofern gilt im Rahmen von § 184i Abs. 1 StGB nichts anderes als bei der Bestimmung des Sexualbezugs einer Handlung gemäß § 184h Nr. 1 StGB (vgl. hierzu die st. Rspr.; BGH, Urteile vom 8. Dezember 2016 – 4 StR 389/16 Rn. 7; vom 21. September 2016 – 2 StR 558/15, NStZ 2017, 528; vom 10. März 2016 – 3 StR 437/15, BGHSt 61, 173, 176; vom 6. Februar 2002 – 1 StR 506/01, NStZ 2002, 431, 432; Beschlüsse vom 6. Juni 2017 – 2 StR 452/16, StV 2018, 231; vom 19. August 2015 – 5 StR 275/15, StraFo 2015, 471).
36
2. Gemessen daran ist die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe den Tatbestand des § 184i Abs. 1 StGB objektiv und subjektiv erfüllt, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
37
a) Die Angeklagte hat die Geschädigte nach den Urteilsfeststellungen gezielt in den Schritt – also in den Bereich des primären Geschlechtsorgans – gekniffen. Hierdurch ergibt sich bereits nach dem äußeren Erscheinungsbild ein Bezug zum Geschlechtlichen (vgl. für Berührungen im Bereich der primären Geschlechtsorgane im Ergebnis übereinstimmend: BT-Drucks. 18/9097, S. 30; Fischer, aaO, § 184i Rn. 4; MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, § 184i Rn. 8; Hörnle, NStZ 2017, 13, 20). Dieser sexuelle Bezug wurde, ohne dass es hierauf noch maßgeblich ankäme, verstärkt durch die begleitende Äußerung der Angeklagten , aus welcher sich ergibt, dass gerade die Intimsphäre der Geschädigten als Reaktion auf die eigene, als störend empfundene körperliche Durchsuchung verletzt werden sollte.
38
Da sich eine Berührung in sexuell bestimmter Weise bereits hinreichend aus den äußeren Umständen ergibt, ist es unerheblich, dass keine sexuelle Motivation der Angeklagten festgestellt ist, sondern sie naheliegend allein aus Renitenz und zur Provokation der Geschädigten handelte.
39
b) Die Angeklagte hat die Geschädigte durch das Kneifen in den Schritt auch im Sinne von § 184i Abs. 1 StGB belästigt. Im Rahmen dieser Vorschrift reicht nicht jede Form von subjektiv empfundener Beeinträchtigung als tatbestandsrelevante Belästigung aus. Angesichts des Schutzguts der im 13. Abschnitt verorteten Strafnorm und ihrer amtlichen Überschrift muss es sich viel- mehr gerade um eine „sexuelle Belästigung“ handeln, bei welcher die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers tangiert ist (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 30; Fischer, aaO, § 184i Rn. 6; BeckOK-StGB/Ziegler, aaO, § 184i Rn. 8). Eine solche sexuelle Belästigung ist dem angefochtenen Urteil hinreichend zu entnehmen , da festgestellt ist, dass die Geschädigte den Vorfall als peinlich empfand und sich ekelte.
40
Da die Berührung im Schritt der Geschädigten ohne Weiteres geeignet war, sexuell belästigend zu wirken, braucht der Senat vorliegend nicht zu entscheiden , ob es allein auf das individuelle Empfinden des Tatopfers ankommt (in diesem Sinne Fischer, aaO; BeckOK-StGB/Ziegler, aaO, Rn. 7; Hoven/ Weigend, JZ 2017, 182, 189; so auch für § 183 StGB LK-StGB/Laufhütte/ Roggenbuck, 12. Aufl., § 183 Rn. 4) oder ob zusätzlich eine aus objektiver Perspektive zu bestimmende Eignung zur Belästigung vorliegen muss (vgl. MüKoStGB /Renzikowski, aaO, § 184i Rn. 10; SK-StGB/Noltenius, aaO, § 184i Rn. 6; eine objektive Eignung der Handlung zur Belästigung wird teils auch im Rahmen von § 183 StGB gefordert: vgl. MüKo-StGB/Hörnle, 3. Aufl., § 183 Rn. 12; Heger in Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 183 Rn. 3). Angesichts der tatbestandlichen Reichweite von § 184i StGB neigt der Senat jedoch der Auffassung zu, dass es nicht allein auf das subjektive Empfinden des Opfers ankommt, sondern dass die Berührung auch bei einer wertenden Betrachtung objektiv geeignet sein muss, sexuell belästigend zu wirken (in diese Richtung weist auch die Gesetzesbegründung, wonach bloße Ärgernisse, Ungehörigkeiten oder Distanzlosigkeiten „nicht ohne Weiteres dazu geeignet seien, die sexuelle Selbstbestimmung zu beeinträchtigen“, BT-Drucks. 18/9097, S. 30).
41
c) Die Angeklagte S. handelte auch vorsätzlich. Insoweit reicht es aus, dass sich der Täter des sexuellen Charakters seines Tuns bewusst ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2017 – 5 StR 518/17, BGHR StGB § 184i Abs. 1 Tathandlung 1; vgl. zum Begriff der sexuellen Handlung BGH, Urteile vom 22. Oktober 2014 – 5 StR 380/14, NStZ 2015, 33, 34; vom 11. Mai1993 – 1 StR 896/92, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 6; Fischer, aaO, § 184h Rn. 10; MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, § 184h Rn. 7). Ein entsprechender Vorsatz ist den Feststellungen zu entnehmen und im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe belegt, da die Angeklagte der Geschädigten gezielt in den Schritt kniff und den Sexualbezug bewusst durch ihre begleitende Äußerung unterstrich.
42
3. Allerdings lässt das angefochtene Urteil die gebotene Auseinandersetzung damit vermissen, dass eine Strafbarkeit wegen sexueller Belästigung nach § 184i Abs. 1 StGB ausscheidet, wenn die Tat in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.
43
a) Aus der uneingeschränkt auf „andere Vorschriften“ verweisenden Subsidiaritätsklausel ergibt sich, dass § 184i Abs. 1 StGB von allen Strafvorschriften mit schwererer Strafandrohung verdrängt wird und nicht nur von solchen des 13. Abschnitts des Strafgesetzbuches (vgl. Fischer, aaO, § 184i Rn. 16; MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, § 184i Rn. 14; SK-StGB/Noltenius, aaO, § 184i Rn. 13). Zwar verweist die Gesetzesbegründung in diesem Zusammenhang nur auf Straftatbestände, die eine mit § 184i StGB „vergleichbare Schutzrichtung aufweisen“ (BT-Drucks. 18/9097, S. 30). Dieser gesetzgeberische Wille hat aber im Wortlaut des § 184i Abs. 1 StGB keinen Niederschlag gefunden und ist damit unbeachtlich, da der Wortlaut die äußerste Grenze der Auslegung ist (vgl. SK-StGB/Noltenius, aaO, § 184i Rn. 13; MüKo-StGB/Renzikowski, aaO; vgl. zur entsprechend weiten Auslegung der Subsidiaritätsklausel im Rahmen von § 246 Abs. 1 StGB: BGH, Urteil vom 6. Februar 2002 – 1 StR 513/01, BGHSt 47, 243 ff.; so auch zu § 125 Abs. 1 StGB aF: BGH, Beschluss vom 9. September 1997 – 1 StR 730/96, BGHSt 43, 237, 238 f.).
44
b) Im angefochtenen Urteil werden, obwohl sich dies aufgedrängt hat, etwaige vorrangige Tatbestände nicht geprüft. Aus den Feststellungen ergibt sich, dass die Angeklagte S. die Geschädigte „schmerzhaft“ kniff, was das Vorliegen einer Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB – dieses Delikt ist mit schwererer Strafe bedroht als § 184i Abs. 1 StGB – nahelegt. Dass es sich um eine bloß unerhebliche körperliche Einwirkung handelte (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 14. Januar 2009 – 1 StR 158/08, BGHSt 53, 145, 158 f.; vom 14. März 2007 – 2 StR 606/06, NStZ 2007, 404; MüKo-StGB/Joecks, 3. Aufl., § 223 Rn. 22 ff.), ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Hierüber vermag der Senat nicht abschließend zu befinden, zumal das Urteil auch keine Beweiswürdigung zum Schmerzempfinden der Geschädigten enthält.
45
c) Die Verurteilung nach § 184i Abs. 1 StGB anstatt (möglicherweise) nach § 223 Abs. 1 StGB beschwert die Angeklagte trotz des höheren Strafrahmens der letztgenannten Vorschrift.
46
aa) Aus einem zu milden Schuldspruch ergibt sich dann eine Beschwer, wenn das vom Tatrichter angewandte Strafgesetz völlig verschieden ist von demjenigen, welches in Wahrheit verletzt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 1955 – 3 StR 133/55, BGHSt 8, 34, 37; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 354 Rn. 22; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 354 Rn. 17). Dies muss auch gelten, wenn der Strafbarkeit lediglich die formelle Subsidiarität einer Vorschrift entgegensteht, da auch das Nichteingreifen der Subsidiaritätsklausel Voraussetzung der Strafbarkeit ist.
47
bb) Dementsprechend kann hier der Schuldspruch wegen sexueller Belästigung keinen Bestand haben, da sich die Schutzgüter von § 184i StGB und dem möglicherweise verwirklichten § 223 StGB – namentlich die sexuelle Selbstbestimmung und die körperliche Unversehrtheit – deutlich voneinander unterscheiden. Zudem stellt die Strafkammer in ihren Strafzumessungserwägungen zum zweiten Tatkomplex allein auf Gesichtspunkte ab, welche mit dem Vorliegen eines gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerichteten Straftatbe- standes in Zusammenhang stehen. Auch wenn die Verwirklichung eines formell subsidiären Delikts bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden kann (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 1954 – 2 StR 473/53, BGHSt 6, 25, 27; Beschluss vom 16. September 2010 – 3 StR 331/10; Fischer, aaO, vor § 52 Rn. 45), vermag der Senat nicht auszuschließen, dass sich die Strafkammer angesichts der nicht unbeträchtlichen Strafhöhe gerade von einem entsprechenden Schuldspruch wegen sexueller Belästigung hat leiten lassen.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Quentin Feilcke

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.