Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Dez. 2018 - 2 StR 487/18

bei uns veröffentlicht am11.12.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 487/18
vom
11. Dezember 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:111218B2STR487.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 11. Dezember 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 18. Mai 2018 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2
1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts lebte der Angeklagte getrennt von seiner Ehefrau, der Nebenklägerin. Hinsichtlich der beiden gemeinsamen Kinder bestand eine Umgangsregelung, wonach der Angeklagte die Sonntagnachmittage mit seinem Sohn verbringen konnte. Am Sonntag, den 30. August 2015, brachte der Angeklagte den Sohn bereits gegen 15.30 Uhr zurück zur Wohnung der Nebenklägerin, weil er den Schlüssel zu seiner Wohnung nicht finden konnte. Als der Angeklagte entgegen der getroffenen Vereinbarung die Wohnung betrat, ging die Nebenklägerin, die befürchtete, dass „etwas passieren“ werde, zum Fenster im Schlafzimmer, um nach ihrer draußen spielenden Tochter zu rufen, die jedoch nicht in Sichtweite war. Auf dem Rückweg zum Flur kam der Angeklagte, der zuvor seine Jeans und seine Unterhose ausgezogen hatte, der Nebenklägerin entgegen und hielt sie fest. Er zog sie Richtung Schlafzimmer und sagte ihr, „er wolle Sex“. Die Nebenklägerin entgegnete , dass er dazu doch jetzt eine Freundin habe und sie es nicht wolle. Daraufhin hielt der Angeklagte ihre Hände fest, schob sie auf das Bett im Schlafzimmer, zog ihren Rock hoch und die Unterhose aus und drang mit seinem Penis vaginal in die Nebenklägerin ein. Der Angeklagte hielt zunächst deren Hände fest. Als die Nebenklägerin laut schrie, hielt er ihr den Mund zu und sie am Hals fest, was ihr besondere Angst verursachte, weil sie – wie der Angeklagte wusste – an Asthma litt. Der Angeklagte, der drohte, die Nebenklägerin umzubringen, wenn sie den Sex nicht zulasse und dabei ihren Hals drückte, vollzog den vaginalen Geschlechtsverkehr ohne Kondom bis zum Samenerguss. Der Angeklagte verblieb sodann noch gegen den Willen der Nebenklägerin in deren Wohnung, was er mit dem verlorenen Schlüssel begründete, den die Nebenklägerin zwar gefunden hatte, aber nicht herausgeben wollte. Kurz nachdem die gemeinsame Tochter in die Wohnung kam und der Angeklagte mit ihr gesprochen hatte, verließ er die Wohnung und begab sich zu einem Kiosk in A. , wo er um 18.00 Uhr eintraf.
3
Am Sonntag, den 11. Oktober 2015, fuhr der Angeklagte mit einem Freund in dessen Wagen zur Wohnung der Nebenklägerin. Er beabsichtigte, den Sohn abzuholen und mit diesem dessen Geburtstag zu feiern. Damit war die Nebenklägerin nicht einverstanden und wollte dies verhindern. Sie folgte laut schreiend dem Angeklagten, der mit seinem Sohn auf dem Arm die Treppe hinunterging. Als sie unten angekommen waren, drehte der Angeklagte sich um, packte die Nebenklägerin am Hals und trat sie in den Brustbereich, so dass sie auf den Boden fiel. Der Angeklagte ging mit seinem Sohn weiter zum wartenden Pkw seines Freundes. Die Nebenklägerin rannte, nachdem sie wieder aufgestanden war, dem Angeklagten laut schreiend hinterher und erreichte diesen , als er im Begriff war, sich auf den Beifahrersitz zu setzen. Dabei hatte er den Sohn weiterhin auf dem Arm, sein rechtes Bein war noch außerhalb des Fahrzeugs. Die Nebenklägerin, die versuchte, den Sohn aus dem Auto wegzunehmen , beugte sich in das Auto hinein und hielt den Angeklagten am Kragen fest. Daraufhin schlug der Angeklagte ihre Hand weg und packte sie so, dass sie auf die Straße fiel. Sodann schloss der Angeklagte die Beifahrertür und der Pkw entfernte sich.
4
b) Der Angeklagte hat die Taten in Abrede gestellt. Zum Vergewaltigungsvorwurf folgt die Strafkammer seinen Angaben zum Tatvorgeschehen, seiner Einlassung, nicht in der Wohnung der Nebenklägerin gewesen und mit dieser keinen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, schenkt die Strafkammer keinen Glauben. Die Feststellungen stützt sie auf die Aussage der Nebenklägerin , welche – soweit es den Aufenthalt des Angeklagten in der Wohnung betrifft – durch die Tochter bestätigt sei.
5
2. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält hinsichtlich des Vorwurfs der Vergewaltigung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
a) Die Beweiswürdigung ist allein Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich deshalb darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist (st. Rspr.; Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 273/17, juris Rn. 5 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 261 Rn. 3, 38 mwN). Die Beweiswürdigung ist auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. November 2006 – 1 StR 392/06, juris Rn. 13). In Fällen, in denen – wie hier hinsichtlich des sexuellen Übergriffs in der Wohnung der Nebenklägerin – „Aussage gegen Aussage“ steht, müssen die Urteilsgründe darüber hinaus erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 7. Februar 2018 – 2 StR 447/17, juris Rn. 8 mwN). Erforderlich sind insbesondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben , eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs, sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (Senat, aaO mwN).
7
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
8
aa) Im angefochtenen Urteil ist bereits die Entwicklung der Angaben der Nebenklägerin, der für die Bewertung ihrer Zuverlässigkeit und der von der Strafkammer angenommenen Konstanz Bedeutung zukommt, nicht mit der für eine Nachprüfbarkeit erforderlichen Ausführlichkeit dargestellt.
9
Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. Eine ausufernde oder unreflektierte Wiedergabe kann das Verständnis der Urteilsgründe mitunter sogar so erschweren , dass der Bestand des Urteils dadurch gefährdet sein könnte. Dies gilt auch in Fällen, in denen – wie hier – zum Kerngeschehen Aussage gegen Aussage steht. Allerdings muss in solchen Fällen der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).
10
Noch hinreichend dargestellt sind die Aussagen der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung und bei der Polizei am 26. Oktober 2015. Zu weiteren Befragungen der Nebenklägerin beschränkt sich die Darstellung der Aussagen aber auf einzelne Angaben, ohne dass ein Gesamtzusammenhang erkennbar wird. Dies gilt insbesondere für die Angaben der Nebenklägerin zum Tatgeschehen vor dem Familiengericht am 6. November 2015, deren Darstellung auch nicht deshalb entbehrlich war, weil die Strafkammer annimmt, das zu dieser Aussage erstellte Protokoll enthalte Angaben, „die so mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gesagt wurden“ (UA S. 19). Mit der alleinigen Erwägung, dass beim Familienge- richt nicht wörtlich protokolliert und für die Angeklagte rückübersetzt wurde, ist diese Annahme nicht tragfähig belegt. Was die Nebenklägerin zur Überzeugung der Strafkammer tatsächlich gegenüber dem Familiengericht ausgesagt hat, lässt sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen. Auf dieser Grundlage kann der Senat nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine rechtsfehlerfreie Analyse der Aussage der Nebenklägerin zum Kerngeschehen vorgenommen hat.
11
bb) Auch im Übrigen begegnet die Beweiswürdigung durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie ist widersprüchlich und lückenhaft, das als Indiz für die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin gewertete „hohe Maß an Konstanz“ ist nicht belegt, zudem fehlt es an einer Gesamtschau der Indizien und Beweismittel.
12
(1) Bereits die Würdigung der Einlassung des Angeklagten weist einen durchgreifenden Erörterungsmangel auf. Die Strafkammer sieht die Einlassung des Angeklagten, er sei nicht in der Wohnung gewesen, durch die Angaben der Tochter als widerlegt an. Die Urteilsgründe lassen aber nicht erkennen, ob die Strafkammer bedacht hat, dass sich Lügen eines Angeklagten nur mit Vorsicht als Beweisanzeichen für seine Schuld werten lassen, weil auch ein Unschuldiger vor Gericht Zuflucht zur Lüge nehmen kann und ein solches Verhalten nicht ohne weiteres tragfähige Rückschlüsse darauf gestattet, was sich in Wirklichkeit ereignet hat (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 5. Juli 1995 – 2 StR 137/95, NStZ 1995, 559, 560 mwN). Eine Erörterung, ob aus der Lüge zum Aufenthalt in der Wohnung auf eine Lüge auch betreffend den Vergewaltigungsvorwurf geschlossen werden kann, hätte sich hier umso mehr aufgedrängt, als die Tochter des Angeklagten bekundet hat, nach dem Bericht der Nebenklägerin ihr gegen- über am Tattag gedacht zu haben, „der Vater habe die Mutter geschlagen“ (UA S. 14).
13
(2) Von Rechtsfehlern beeinflusst ist auch die Würdigung der Angaben der Nebenklägerin, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat.
14
(a) Die von der Strafkammer angenommene Aussagekonstanz wird von den im Urteil wiedergegebenen Angaben der Nebenklägerin bei der Polizei am 26. Oktober 2015 nicht getragen. Dort hatte die Nebenklägerin zu Zeitpunkt und Inhalt des mit dem Angeklagten geführten Dialogs betreffend dessen Freundin (vor oder während der sexuellen Handlung), zur Anwesenheit des Sohnes während der Tat und dazu, wieweit der Angeklagte beim Betreten des Schlafzimmers bereits entkleidet war, anders ausgesagt, als in der Hauptverhandlung. Diese Aussagedivergenzen betreffen Handlungselemente, die nicht ohne Bedeutung für die räumliche, situative und zeitliche Einordnung des Geschehens sind. Ein Bezug zum Tatkerngeschehen liegt auch dann vor, wenn das Tatopfer – wiehier – selbst einem bestimmten Umstand im Rahmen des geschilderten Handlungsablaufs eine Bedeutung beimisst. So hatte die Nebenklägerin gegenüber der Polizei erklärt, sie habe sich auch deswegen während des Geschlechtsverkehrs nicht gegen den Angeklagten gewehrt, weil der Sohn angefangen habe zu weinen. An die Anwesenheit des Sohnes erinnerte sich die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung nicht. Vor diesem Hintergrund versteht es sich nicht von selbst, dass die Strafkammer ohne nähere Differenzierung eine „hohe Originalität der geschilderten Details“ (UA S. 20) als Indiz für die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin wertet, obgleich sich gerade hinsichtlich dieser „Details“ Erinnerungsschwächen und Widersprüche offenbaren. Dass jeder der von der Nebenklägerin geschilderten Handlungsabläufe „logisch kon- sistent und detailreich“ (UA S. 20)ist, kann dann nicht mehr ohne weiteres als Indiz für Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit dienen, wenn die jeweils geschilderten Handlungsabläufe – wie hier – hinsichtlich der räumlichen, situativen oder zeitlichen Einordnung der jeweiligen Handlungselemente deutlich voneinander abweichen. Darüber hätte das Landgericht nicht ohne nähere Erörterung hinweggehen dürfen.
15
(b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet es ferner, dass die Strafkammer teilweise die Angaben der Nebenklägerin gegenüber der Polizei mit der Erwägung heranzieht, es handle sich um eine zeitlich näher am Tatgeschehen liegende Schilderung, hinsichtlich anderer Elemente des Geschehensablaufs aber die von den Angaben bei der Polizei divergierenden Angaben in der Hauptverhandlung den Feststellungen zugrunde legt. Ob dies darauf beruhen kann, dass die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung den Inhalt ihrer Angaben bei der Polizei teilweise ausdrücklich in Abrede gestellt hatte (UA S. 12), was allerdings das Zeitmoment hinsichtlich dieser Angaben relativieren könnte, ist auch nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht ersichtlich.
16
(c) Die Strafkammer nimmt ferner nicht hinreichend in den Blick, dass die Aussage der Nebenklägerin mit den Bekundungen vernommener Zeugen nicht ohne Weiteres in Übereinstimmung zu bringen ist. Dies begründet einen Erörterungsmangel. So hat die Nebenklägerin beispielsweise angegeben, der Sohn werde normalerweise an der Haustüre abgegeben. Die Tochter des Angeklagten gab demgegenüber an, ihr Vater sei nach Angaben der Mutter ihr gegenüber auch nach der Trennung öfter in der Wohnung gewesen. Unerörtert bleibt auch, ob die Aussage der Tochter, sie habe am Tattag mit ihrem noch kurz in der Wohnung anwesenden Vater darüber geredet, was dieser beim Ausländeramt gesagt habe, auf eine besondere Wichtigkeit dieses Themas auch für die Nebenklägerin schließen lässt und damit geeignet sein kann, deren Aussage zu relativieren, sie habe sich bei ihrer Vernehmung keine Gedanken über ihren ausländerrechtlichen Status gemacht.
17
(d) Auch der Widerspruch, wonach die Strafkammer einerseits davon ausgeht, die Nebenklägerin sei von durchschnittlicher Intelligenz, ihre generelle Beobachtungsgabe und Gedächtnisleistung seien nicht eingeschränkt, ihre Schilderungsfähigkeit gut ausgeprägt (UA S. 13), andererseits aber annimmt, es sei der Nebenklägerin „unter Leistungsgesichtspunkten unmöglich, eine derartige Geschichte zu erfinden und beizubehalten“ (UAS. 21), bleibt unerörtert. Gleiches gilt, soweit die Strafkammer der von der Nebenklägerin bekundeten Annahme nicht folgt, der Angeklagte habe die Tat („das alles“, UA S. 22)geplant , andererseits aber in der Aussage der Nebenklägerin „keine Aggravation“ (UA S. 20) zu erkennen vermag.
18
(e) Durchgreifenden Bedenken begegnet ferner die Erörterung eines möglichen Falschaussagemotivs. Die Strafkammer nimmt zwar in den Blick, dass die Nebenklägerin versucht haben könnte, die ihr und den Kindern aufgrund der Trennung drohende Abschiebung durch die Geltendmachung eines Härtefalls (vgl. § 31 Abs. 2 AufenthG in der bis 21. Juli 2017 geltenden Fassung ) zu verhindern. Sie schließt dies als mögliches Motiv für eine Falschanschuldigung mit der Erwägung aus, die Frist zur Stellungnahme auf die der Nebenklägerin übersandte Anhörung zur Abschiebung sei zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung bereits abgelaufen gewesen. Diese Begründung könnte aber allenfalls dann tragfähig sein, wenn das Verstreichen der Frist zu einer der Nebenklägerin bekannten oder von ihr angenommenen Präklusion führen würde , was die Strafkammer indes weder feststellt noch sonst erörtert. Gänzlich unerörtert, obgleich nach den weiteren Feststellungen (etwa zu dem zeitgleich geführten familiengerichtlichen Verfahren) naheliegend, bleibt die Frage, ob sich ein unter Umständen zusätzliches Belastungsmotiv in der von der Nebenklägerin erstrebten Umgangsregelung betreffend die gemeinsamen Kinder finden lässt.
19
(3) Schließlich ist die Beweiswürdigung auch deswegen lückenhaft, weil die Urteilsgründe die gebotene Gesamtwürdigung vermissen lassen. In einem Fall, in dem – wie hier hinsichtlich eines sexuellen Übergriffs des Angeklagten – Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Hierbei ist das Gewicht und Zusammenspiel der einzelnen Indizien zusammenfassend zu bewerten. Das gilt in besonderem Maße in einem Fall wie dem hier gegebenen, in dem die Strafkammer gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage der Hauptbelastungszeugin sprechende erhebliche Indizien erörtert (st. Rspr.; Senat, Urteil vom 19. November 2008 – 2 StR 394/08, juris Rn. 5 mwN). Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Tatopfers sowie der Glaubhaftigkeit seiner Angaben darf sich der Tatrichter nämlich nicht darauf beschränken, Umstände, die gegen die Zuverlässigkeit der Aussage sprechen können, gesondert und einzeln zu erörtern sowie getrennt voneinander zu prüfen, um festzustellen, dass sie jeweils nicht geeignet seien, die Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Selbst wenn nämlich jedes einzelne Glaubwürdigkeit oder Glaubhaftigkeit möglicherweise in Frage stellende Indiz noch keine Bedenken gegen die den Angeklagten belastende Aussage aufkommen ließe, so kann doch eine Häufung von – jeweils für sich erklärbaren – Fragwürdigkeiten bei einer Gesamtschau zu durchgreifenden Zweifeln an der Richtigkeit eines Tatvorwurfs führen (st. Rspr.; Senat, Urteil vom 19. November 2018 – 2 StR 294/18, juris Rn. 5 mwN).
20
Selbst wenn also die Strafkammer für alle im Zusammenhang mit der Aussage der Nebenklägerin festgestellten Umstände rechtsfehlerfrei eine tragfähige Erklärung gefunden hätte, dass und warum diese jeweils für sich nicht geeignet seien, durchgreifende Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin und der Glaubhaftigkeit von deren Angaben zu begründen, hätte es der Erörterung bedurft, ob sich solche Bedenken aus der Vielzahl der Umstände und deren Erheblichkeit mit Blick auf das Tatkerngeschehen ergeben könnten. In die Gesamtwürdigung hätte jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden auch die Einlassung des Angeklagten, soweit ihr gefolgt und soweit sie widerlegt ist, einbezogen werden müssen.
21
c) Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung hinsichtlich des Vorwurfs der Vergewaltigung zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
22
3. Der Senat hebt das Urteil insgesamt auf, also auch hinsichtlich der Verurteilung wegen der am 11. Oktober 2015 begangenen Körperverletzung, um dem neuen Tatrichter zu ermöglichen, die Aussage der Nebenklägerin widerspruchsfrei insgesamt neu zu bewerten. Es ist nicht auszuschließen, dass eine Beurteilung der Zeugenaussagen zu den Geschehnissen am 11. Oktober 2015 Einfluss auf die Beurteilung der Angaben der Nebenklägerin insgesamt hat. Dahinstehen kann daher, ob die nach den oben aufgezeigten Maßstäben ebenfalls nicht rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung zum Geschehen am 11. Oktober 2015 Feststellungen ermöglichte, die den Schuldspruch insoweit noch tragen würden. Franke Eschelbach Meyberg Grube Schmidt

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

5
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachw. bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
13
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen , erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
8
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an die Darlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 – 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 – 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Urteil vom 3. Februar 1993 – 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15; Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR408/15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. August 2012 – 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Senat, Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR 408/15 mwN). Erforderlich sind insbesondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage (BGH, Beschluss vom 21. April 2005 – 4 StR 89/05, NStZ-RR 2005, 232, 233), eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2003 – 4 StR 73/03), sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (Senat, Urteil vom 7. März 2012 – 2 StR 565/11, juris Rn. 9).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 114/11
vom
10. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. August
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
die Nebenklägerin persönlich,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 27. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der sexuellen Nötigung u.a. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision der Nebenklägerin. Diese hat mit der Sachrüge Erfolg, da die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtsfehlerhaft ist. Eines näheren Eingehens auf die zusätzlich erhobenen Aufklärungsrügen bedarf es somit nicht.

I.


2
1. In der (im Wesentlichen auf den Angaben der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren beruhenden) unverändert zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Konstanz vom 12. Juli 2010 ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, dass er bei der Behandlung der Nebenklägerin in mindestens acht Fällen gegen deren Willen aus sexuellen Gründen mit seinem Finger in deren Vaginalbereich eingedrungen sei. Der Angeklagte hat die Vorwürfe bestritten. Das Landgericht hat sich nicht von seiner Schuld zu überzeugen vermocht. Hinsichtlich des Sachverhalts konnte es lediglich folgende Feststellungen treffen:
3
In der Zeit von August bis November 2009 begab sich die damals 18 Jahre alte Nebenklägerin wegen ihres Heuschnupfens mindestens fünf Mal in die Behandlung des als Heilpraktiker tätigen Angeklagten. Dieser war ihr persönlich bekannt, da sie bei dessen Tochter eine Ausbildung zur Kosmetikerin absolvierte. Zur Behandlung des Heuschnupfens führte der Angeklagte bei der Nebenklägerin jeweils zunächst eine Eigenblutbehandlung durch, bei der er ihr das zuvor entnommene Blut in ihren Gesäßmuskel spritzte und die Einstichstelle mit einer schmerzstillenden Salbe massierte. Anschließend nahm er noch eine Lymphdrainage vor, bei der er die Lymphknoten mit einem Massagegerät abtastete.
4
Mitte bzw. Ende November 2009 kam es wegen häufiger Krankmeldungen zu einem Streit zwischen der Nebenklägerin und ihrer Arbeitgeberin, der Tochter des Angeklagten, woraufhin die Nebenklägerin ihren Ausbildungsplatz vorzeitig kündigte.
5
In einem Brief vom 13. Januar 2010 schrieb der Angeklagte der Nebenklägerin Folgendes: „Meine Liebe Jenni. Beginnend möchte ich dich bitten, dass dieser Brief nur uns beide betrifft !!!! Es tut mir sehr leid, dass ich dich nicht mehr hier haben kann. (…) Ich hoffe, dass die Zuneigung zu dir nicht der Grund deiner Kündi- gung gewesen ist. (…) Bitte (…) mach keine trotz Aktionen mit der A. (…). Ich grüße und küsse dich herzlich, bitte melde dich. PS: Wenn du mir schreiben willst, dann schreibe als Absender Apotheke R. “.
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Dieser Brief veranlasste die Nebenklägerin, zur Polizei zu gehen und gegen den Angeklagten Anzeige zu erstatten.
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2. Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
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Die Nebenklägerin und die Zeugin G. , die einen (von der Staats- anwaltschaft nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellten) „vergleichbaren Vorfall“ wie die Nebenklägerin geschildert habe, hätten auf die Strafkammer zwar „keinen unglaubwürdigen Eindruck“ gemacht. Dennoch seien Zweifel an der Glaubhaf- tigkeit der Aussagen der beiden miteinander bekannten Zeuginnen verblieben. So habe es in der Aussage der Nebenklägerin „Unsicherheiten bzw. Abweichungen zu ihren polizeilichen Angaben, die auch den Kernbereich der Tatvor- würfe betreffen“, gegeben. Außerdem hätten beide Zeuginnen ein Belastungs- motiv, da sie beide mit der Tochter des Angeklagten Streit gehabt hätten.

II.


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Das freisprechende Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene zu ersetzen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20).
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Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich somit darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes , wenn sie lückenhaft ist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 und 9. März 2011 - 2 StR 467/10 mwN). Insbesondere ist die Beweiswürdigung auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20, sowie BGH, Urteil vom 21. November 2006 - 1 StR 392/06) oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 mwN).

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2. Diesen Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
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a) Die Beweiswürdigung ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil es an einer geschlossenen Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin und der Zeugin G. fehlt.
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Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist.
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aa) Die Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin bei der Polizei und in der Hauptverhandlung beschränkt sich auf die Wiedergabe und Bewertung einzelner aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage gerissener Angaben, die das Landgericht als „Unsicherheiten bzw. Abweichungen“ bezeichnet, „die auch den Kernbereich der Tatvorwürfe betreffen“. Die Bekundungen der Ne- benklägerin zu den von ihr erhobenen Vergewaltigungsvorwürfen, insbesondere konkrete Details zum unmittelbaren Tatgeschehen, werden dagegen nicht mitgeteilt. Auch ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, ob die Nebenklägerin die vom Landgericht aufgezeigten Widersprüche im Aussageinhalt nachvollziehbar erklären konnte oder nicht. Auf dieser Grundlage kann der Senat schon nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der - im Urteil nicht weiter mitgeteilten - Aussage der Nebenklägerin zum Kern- geschehen vorgenommen und die dabei von ihr aufgezeigten „Unsicherheiten bzw. Abweichungen“ zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussage- konstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 - 4 StR 526/96).
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bb) Eine zusammenhängende Schilderung der von der Zeugin G. gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe ist den Urteilsgründen ebenfalls nicht zu entnehmen. Die Ausführungen im angefochtenen Urteil beschränken sich auf den Hinweis, die Zeugin habe einen „vergleichbaren Vorfall“ geschildert. Weitere Einzelheiten der Aussage werden nicht mitgeteilt. Der Senat kann daher auch in Bezug auf die Aussage der Zeugin G. nicht überprüfen, ob das Landgericht die für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung wesentlichen Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat, zumal das Landgericht seine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin G. mit einem Streit zwischen ihr und der Tochter des Angeklagten begründet hat, ohne hierüber nähere Einzelheiten, z.B. zur Ursache, zum genauen Zeitpunkt, zum Verlauf oder zur Intensität des Streits, mitzuteilen.
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b) Das Landgericht hat seine Zweifel an der Schuld des Angeklagten wesentlich auf „Abweichungen bzw. Unsicherheiten“ in der Aussage der Ne- benklägerin gestützt. So habe die Nebenklägerin unterschiedliche Angaben zum erstmaligen Einsatz eines Massagestabes - bei der ersten bzw. bei der zweiten Behandlung durch den Angeklagten - gemacht. Auch habe sie sich an die Anzahl der Behandlungstermine nur noch „grob“ erinnern können; zunächst habe sie von vier bis fünf, später dann von fünf bis acht Terminen gesprochen. Bei der Bewertung dieser ungenauen Gedächtnisleistungen der Nebenklägerin hätte sich das Landgericht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob diese derart schwerwiegend sind, dass sie Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der Aussage erlauben. Denn nicht jede Inkonstanz stellt bereits einen Hinweis auf eine mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172). Das Landgericht lässt dabei zudem auch die Einlassung des Angeklagten außer Acht, die in diesem Zusammenhang nicht wesentlich von den Angaben der Nebenklägerin abweicht. So hat der Angeklagte nicht nur angegeben, dass er die Nebenklägerin fünfmal in seiner Praxis behandelt habe, sondern auch, dass er dabei regelmäßig das Massagegerät eingesetzt habe.
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c) Aus dem Brief vom 13. Januar 2010, den der Angeklagte an die Nebenklägerin geschrieben hat und der letztlich nach den Feststellungen der Aus- löser für ihre Strafanzeige gewesen ist, konnte das Landgericht keine „zwingenden Schlüsse“ hinsichtlich der Tatvorwürfe ziehen. Diese Formulierung lässt besorgen, dass das Landgericht die Anforderungen, die an die richterliche Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu stellen sind, überspannt hat. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2003 - 5 StR 358/03 mwN).
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d) Bei der Bewertung des Briefes vom 13. Januar 2010 hat sich das Landgericht zudem lediglich mit den Textstellen auseinandergesetzt, in denen der Angeklagte von seiner Zuneigung zu der Nebenklägerin spricht, sie auffordert , Trotzreaktionen zu unterlassen, und sie bittet, bei Schreiben an ihn einen falschen Absender anzugeben. Dagegen bleibt die für ein Schreiben eines Therapeuten an seine Patientin ungewöhnliche Grußformel „ich küsse dich herzlich“ unerörtert. Für eine Erörterung auch dieser Textstelle hätte hier schon deshalb Anlass bestanden, weil der Angeklagte an anderer Stelle des Briefes seine Zuneigung zur Nebenklägerin zum Ausdruck bringt, so dass die von ihm verwendete Grußformel darauf hindeuten könnte, dass es bei der Behandlung der Nebenklägerin zu sexuellen Handlungen gekommen war.
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e) Die erforderliche Gesamtschau der Beweisergebnisse fehlt.
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Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln. Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGH, Urteile vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03 und 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 jew. mwN).
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Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, dass die Umstände, die für eine Täterschaft des Angeklagten sprechen, im Zusammenhang gewürdigt worden sind. Das Landgericht hat diese lediglich einzeln erörtert und nur geprüft, ob sie für sich allein zur Überführung des Angeklagten ausreichen. Dies genügt hier den Anforderungen an eine lückenlose Beweiswürdigung schon deshalb nicht, weil die Nebenklägerin und die Zeugin G. - wie dies an mehreren Stellen des Urteils ausgeführt wird (UA S. 7, 13 und 14) - auf das Landgericht „keinen unglaubwürdigen Eindruck“ gemacht haben. Der Senat kann daher nicht aus- schließen, dass das Landgericht bei einer umfassenden Gesamtschau der belastenden Umstände den jeweils isoliert aufgezeigten Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Nebenklägerin und der Zeugin G. ein geringe- res Gewicht beigemessen und sich nicht nur von der Richtigkeit ihrer Angaben, sondern letztlich auch von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt hätte.
Nack Wahl Elf Graf Sander

(1) Die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten wird im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn

1.
die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat oder
2.
der Ausländer gestorben ist, während die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet bestand
und der Ausländer bis dahin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU war, es sei denn, er konnte die Verlängerung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht rechtzeitig beantragen. Satz 1 ist nicht anzuwenden, wenn die Aufenthaltserlaubnis des Ausländers nicht verlängert oder dem Ausländer keine Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erteilt werden darf, weil dies durch eine Rechtsnorm wegen des Zwecks des Aufenthalts oder durch eine Nebenbestimmung zur Aufenthaltserlaubnis nach § 8 Abs. 2 ausgeschlossen ist.

(2) Von der Voraussetzung des dreijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 ist abzusehen, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, dem Ehegatten den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen, es sei denn, für den Ausländer ist die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen. Eine besondere Härte liegt insbesondere vor, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit des Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam ist oder aufgehoben worden ist, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist; dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt ist. Zu den schutzwürdigen Belangen zählt auch das Wohl eines mit dem Ehegatten in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Kindes. Zur Vermeidung von Missbrauch kann die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis versagt werden, wenn der Ehegatte aus einem von ihm zu vertretenden Grund auf Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch angewiesen ist.

(3) Wenn der Lebensunterhalt des Ehegatten nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft durch Unterhaltsleistungen aus eigenen Mitteln des Ausländers gesichert ist und dieser eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, ist dem Ehegatten abweichend von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 5 und 6 ebenfalls eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen.

(4) Die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch steht der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis unbeschadet des Absatzes 2 Satz 4 nicht entgegen. Danach kann die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, solange die Voraussetzungen für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU nicht vorliegen.