Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Dez. 2017 - 2 StR 273/17

bei uns veröffentlicht am13.12.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 273/17
vom
13. Dezember 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:131217B2STR273.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 13. Dezember 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 24. Februar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lernte der Angeklagte die zu diesem Zeitpunkt 13 Jahre alte Geschädigte Ende Juni 2015 kennen. In der Folgezeit besuchte die Geschädigte den Angeklagten regelmäßig an den Wochenenden in dessen Wohnung in H. , wobei es auch zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr kam. Am 10. Juli 2015, dem Tag ihres 14. Geburts- tags, fuhr sie erneut zum Angeklagten. Nachdem beide zunächst gemeinsam bei einem Freund Alkohol konsumiert hatten, begaben sie sich zur Wohnung des Angeklagten. Dort äußerte dieser, er wolle mit der Geschädigten schlafen. Trotz deren wiederholter Weigerung kniete er sich auf sie und versuchte, ihre Beine zu spreizen. Weil ihm dies zunächst nicht gelang, kniff er ihr in die Beine. Dann zog er sie nach und nach vollständig aus, wobei er ihre Handgelenke festhielt und so ihre Versuche unterband, sich gegen ihn zu stemmen und ihn zu treten. Als der Angeklagte sich entkleidete, versuchte die Geschädigte zu fliehen, wurde jedoch vom Angeklagten am Arm festgehalten und ins Gesicht geschlagen. Er schubste sie auf das Bett, setzte sich auf sie, hielt sie fest und drückte gegen ihren Widerstand mit seinen Füßen ihre Beine auseinander. Unter Schmerzen gab sie ihre als aussichtslos erkannte Gegenwehr auf. Daraufhin vollzog der Angeklagte mit der Geschädigten den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. Anschließend begab sich die Geschädigte ins Badezimmer, um sich zu waschen. Den Rest der Nacht verbrachte sie in der Wohnung des Angeklagten, während dieser auf der Couch des Wohnzimmers schlief. Am nächsten Morgen reiste sie ab. In der Folgezeit besuchte die Geschädigte den Angeklagten noch wiederholt, wobei es bis zum 20. August 2015 noch mehrfach zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr kam. Am 21. August 2015 beendete die Geschädigte die Beziehung mit dem Angeklagten wegen dessen Alkoholkonsums und der damit einhergehenden Aggressivität und Eifersucht.
3
Das Landgericht hat den Angeklagten, der den Tatvorwurf bestritten hat, aufgrund der Bekundungen der Geschädigten als überführt angesehen.
4
2. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der Vergewaltigung der Geschädigten hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368) - sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachw. bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
6
In Fällen, in denen - wie hier - „Aussage gegen Aussage“ steht, hat der Bundesgerichtshof zudem besondere Anforderungen an die Darlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO).
7
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln.
8
(1) Bereits die Erwägungen des Landgerichts zur Aussageentstehung sind nicht tragfähig begründet.
9
Die Geschädigte, die gegenüber der Polizei erstmals am 19. Februar 2016 Angaben zum Tatgeschehen machte, hat als Erklärung dafür angegeben, sie habe über das Geschehen zunächst niemandem berichtet, da sie der Auffassung gewesen sei, es habe sich um keine Vergewaltigung gehandelt, weil eine solche immer mit der Ermordung des Opfers verbunden sein müsse. Sie habe zum Tatzeitpunkt gedacht, der Angeklagte dürfe sich nehmen, was er wolle (UA S. 12). Diese - auch unter Berücksichtigung des jugendlichen Alters der Geschädigten - nicht nachvollziehbare und mit den von ihr behaupteten Widerstandshandlungen auch unvereinbare Vorstellung hat das Landgericht keiner ausreichend kritischen Würdigung unterzogen. Den Umstand, dass die Geschädigte das Tatgeschehen erst sieben Monate später offenbarte, hat es ledig- lich als Ausdruck eines durchgemachten „Erkenntnisprozesses“ gewertet, Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein (UA S. 23).
10
(2) Die Jugendkammer hat sich im Rahmen der Glaubhaftigkeitsprüfung der Aussagen der Geschädigten nicht ausreichend mit dem Umstand auseinandergesetzt , dass die Zeugin in der Hauptverhandlung angegeben hat, den Angeklagten nach dem sexuellen Übergriff vom 10. Juli 2015 weiterhin besucht und bis zum 20. August 2015 mit ihm mehrfach einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben (UA S. 7). Zwar hat das Landgericht gesehen, dass die Zeugin diese sexuellen Kontakte in zwei polizeilichen Vernehmungen ausdrücklich abgestritten hatte. Über diesen Widerspruch hinaus hat es jedoch diesen gegen eine stattgefundene Vergewaltigung sprechenden Umstand nicht in den Blick genommen. Dazu hätte auch schon deshalb besonderer Anlass bestanden , weil die Geschädigte in der Hauptverhandlung angegeben hat, sie leide noch heute unter der Tat und die sexuelle Beziehung mit ihrem derzeitigen Freund sei dadurch belastet, dass bei ihr die Bilder aus der Tatnacht immer „hochkommen“ (UA S. 8).
11
(3) Auch die Aussageanalyse des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
12
Insoweit hat die Jugendkammer ausgeführt, dass die Aussage der Geschädigten eine Reihe von Realkennzeichen enthalte und bezüglich des Kerngeschehens konstant sei. Soweit die Strafkammer in der Aussage der Zeugin, der Angeklagte habe sie unmittelbar vor dem Ausziehen in die Beine gekniffen, ein „originelles Detail“ gesehen hat (UA S. 26),hat sie jedoch verkannt, dass die Geschädigte dies erstmals in der Hauptverhandlung berichtet hat. In ihren polizeilichen Vernehmungen hatte sie lediglich angegeben, der Angeklagte habe sie ausgezogen und ihr den Mund zugehalten, da sie geschrien habe (UA S. 28). Bezüglich eines vom Landgericht als wichtig eingestuften Details des Kerngeschehens fehlt somit die Aussagekonstanz.
13
Als weiteres wesentliches Glaubhaftigkeitskriterium hat das Landgericht herangezogen, dass die Schilderung der Zeugin mit subjektiven Empfindungen verwoben sei (UA S. 26). Dabei übersieht es, dass auch insofern die Angaben der Geschädigten nicht konstant sind. Während sie in den polizeilichen Vernehmungen geschildert hatte, das vaginale Eindringen des Angeklagten habe ihr sehr wehgetan (UA S. 28), hat sie in der Hauptverhandlung angegeben, sie habe dadurch Schmerzen gehabt, dass sie dem Angeklagten bei dessen Versuch , ihre Beine auseinanderzudrücken, Widerstand entgegengesetzt habe (UA S. 7). Diese Schmerzen seien auch letztlich Auslöser dafür gewesen, den Widerstand aufzugeben.
14
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der verfahrensrechtlich gebotenen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter.
RiBGH Dr. Appl ist krank- Eschelbach Bartel heitsbedingt an der Unterschrift gehindert. Eschelbach
Grube Schmidt

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

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weitere Fundstellen ... Diese Entscheidung wird zitiert Tenor 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der 3. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 6. Oktober 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 235/16
vom
10. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:100117B2STR235.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 1. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in jeweils fünf Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in weiteren fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. a) Der Angeklagte lebte seit dem Jahr 2006 zusammen mit seiner Lebensgefährtin und deren Kindern, u.a. mit der am 21. November 2000 geborenen Geschädigten, in einem gemeinsamen Haushalt. Am 7. August 2010 heirateten er und seine Lebensgefährtin.
4
Im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2007 und dem 31. Dezember 2013 berührte der Angeklagte die Geschädigte an fünf verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen im Bereich der Brust, zog sich und dem Kind die Hose aus, manipulierte mit seiner Hand an der unbedeckten Vagina der Geschädigten und berührte sie mit seinem unbedeckten erigierten Glied. „In mehreren Fäl- len“ sagte die Geschädigte zum Angeklagten, „dass es weh tue und dass er das lassen solle. Das führte aber nicht dazu, dass die sexuellen Handlungen aufhör- ten“ (Fälle II. 1. bis 5. der Urteilsgründe).
5
Innerhalb des vorgenannten Zeitraums forderte der Angeklagte das Kind an weiteren vier verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen dazu auf, an ihm den Oralverkehr zu vollziehen. Das Kind leistete den Aufforderungen Folge und nahm den Penis des Angeklagten in den Mund; in einem Fall kam es zum Samenerguss im Mund der Geschädigten, die das Ejakulat „unter“ einen Teppich spuckte. „In den anderen Fällen kam es außerhalb des Mundes des Kindes zur Ejakulation“ (Fälle II. 6. bis 9. der Urteilsgründe).
6
An einem nicht mehr feststellbaren Tag im Zeitraum zwischen dem 1. Dezember 2013 und dem 31. Januar 2014 vollzog der Angeklagte mit der Geschädigten den vaginalen Geschlechtsverkehr; dabei benutzte er ein Kondom. Zu der Geschädigten sagte er danach u.a., dass er sie liebe, es ihr „kleines Geheimnis“ sei und sie es niemandem verraten dürfe (Fall II. 10. der Urteilsgründe

).


7
b) Die Geschädigte offenbarte sich erstmals während ihrer Grundschulzeit , im März 2010, gegenüber einer Freundin, die ihrerseits davon der Hortleiterin erzählte. Die Geschädigte berichtete sodann auch der Hortleiterin und ei- ner weiteren Mitarbeiterin des Hortes „von den sexuellen Übergriffen“. Sodann wurde die Mutter der Geschädigten informiert, die mit ihrer Tochter ins Krankenhaus fuhr. Aufgrund der dort vorgenommenen körperlichen Untersuchungen konnten „sexuelle Übergriffe weder bestätigt noch widerlegt werden“.
8
Die Mutter der Geschädigten spiegelte dieser sodann vor, sie habe den Angeklagten einem Lügendetektortest unterzogen. Ihrer Tochter überreichte sie daraufhin einen Brief mit dem Ergebnis des vermeintlichen Testes, wonach der Angeklagte „100%-ig die Wahrheit gesagt“ und die Geschädigte gelogen habe. Zunächst blieb das Kind dabei, dass seine Angaben zu den sexuellen Übergriffen der Wahrheit entsprochen hätten; etwa zwei bis drei Wochen später, noch im Jahr 2010 vor der Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten, entschuldigte sich die Geschädigte bei dem Angeklagten.
9
In der Folgezeit traten zunehmend gesundheitliche, insbesondere psychische Probleme bei der Geschädigten auf. Sie unternahm Suizidversuche, „woraufhin es zu mehreren stationären Aufenthalten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ kam. Im Jahr 2013 offenbarte sich die Geschädigte einer weiteren Freundin. Der Angeklagte sei des Öfteren zu ihr ins Zimmer gekommen und habe sich nackt zu ihr ins Bett gelegt. Er sei dann mit seinem Glied an sie her- angerückt. Sie habe ihm „einen Blasen“ müssen und es habe auch Geschlechtsverkehr gegeben.
10
Wegen eines Antrags auf Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie kam im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 der von der Geschädigten „bereits in der Grundschulzeit offenbarte sexuelle Missbrauch zur Sprache“, woraufhin die Richterin die Staatsanwaltschaft informierte.
11
c) Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten auch sexuelle Übergriffe zum Nachteil seiner am 24. Januar 2009 geborenen leiblichen Tochter zur Last gelegt. Aufgrund des Ergebnisses einer aussagepsychologischen Begutachtung sei deren allgemeine Aussagetüchtigkeit „noch nicht gegeben“, so dass die Ju- gendkammer insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat.
12
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Deren Angaben entsprächen einem tatsächlichen Erleben und seien glaubhaft.

II.

13
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
14
1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der sexuellen Übergriffe des Angeklagten hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) - sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
15
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, aaO).
Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
16
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an dieDarlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. August 2012 - 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657).
17
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln.
18
aa) Bereits die Feststellungen und Erwägungen zurAussageentstehung und -entwicklung, die für die Bewertung der Aussage von Geschädigten des sexuellen Missbrauchs von besonderer Bedeutung sind (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219), sind widersprüchlich und lückenhaft.
19
Zwar teilt das Urteil mit, dass sich die Geschädigte bereits im März 2010 ihrer damaligen Freundin offenbart habe. Nach Aussage dieser Zeugin sei zwar das Wort „Vergewaltigung“ nicht gefallen, es seien aber „konkrete Angaben“ zu sexuellen Handlungen (UA S. 7, 13) gewesen, die indes das Landgericht nicht weiter erläutert. An anderer Stelle des Urteils führt das Landgericht hingegen - widersprüchlich - aus, dass diese Zeugin sich in der Hauptverhandlung nicht mehr habe erinnern können, was genau die Geschädigte damals gesagt habe (UA S. 13).
20
Soweit Angaben der Geschädigten gegenüber weiteren Zeugen festgestellt sind, erscheinen diese Angaben gegenüber denjenigen der Geschädigten im Ermittlungsverfahren detailarm und kaum aussagekräftig. Deswegen ist der Schluss des Landgerichts, die Angaben der Geschädigten „zum Kern des Ge- schehens (seien) stets nachvollziehbar und widerspruchsfrei“ (UA S. 15), für den Senat nicht nachvollziehbar, zumal an anderer Stelle festgestellt ist, dass die Angaben der Geschädigten „teilweise widersprüchlich“ sind (UA S. 22). Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - zum Kerngeschehen Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlichrechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).
21
bb) Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, „bei ihrem leiblichen Vater wohnen zu können oder jeden- falls aus der Wohnung ihrer Mutter auszuziehen“ (UA S. 19), zumal die Ge- schädigte gegen eine Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten gewesen sei. Das Landgericht hat das (mögliche) Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass die Geschädigte das Ziel, aus der Wohnung der Mutter auszuziehen, zur Zeit der polizeilichen Vernehmung im Jahr 2014 bereits erreicht habe. Indes übersieht die Jugendkammer, dass sich die Geschädigte zum Zeitpunkt der Erstoffenbarung im März 2010 noch in einer anderen familiären Situation befand, insbesondere weil die Heirat, die erst im August 2010 erfolgte, noch ausstand. Bereits zu einem Zeitpunkt vor der Erstoffenbarung hat sie ihren leiblichen Vater zudem nicht nur regelmäßig besucht sondern „ihrer Mutter mehrfach gesagt, dasssie gerne bei ihrem leiblichen Vater wohnen möchte“ (UA S. 11).
22
Hinzu kommt, dass es - auch nach der Einlassung des Angeklagten - zwischen ihr und ihrem Stiefvater „seit dem Jahr 2008“ (UA S. 10) vermehrt zu Schwierigkeiten und daraus resultierenden Sanktionen gekommen ist. Dass sie „zu ihrer Mutter kein gutes Verhältnis gehabt“ (UA S. 21) habe, erläutert die Ju- gendkammer im Einzelnen nicht näher.
23
cc) Ein Erörterungsmangel liegt schließlich auch darin, dass das Landgericht sich nicht näher damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, „in der Folgezeit“ (UA S. 5, 9) wegen Suizidversuchen mehrfach in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war und der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 wegen eines Antrags auf (erneute) Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie von der Geschä- digten „zur Sprache“ kam. Offen bleibt schon, ab wann und welche psychischen Probleme bei der Geschädigten auftraten, wann, warum und von welcher Art die Suizidversuche gewesen sind, und wie lange die jeweiligen stationären Aufenthalte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie dauerten. Inwieweit die jeweiligen Aussagen der Geschädigten, die zudem von einer Zeugin als Mädchen be- schrieben wird, das „immer habe auffallen wollen und Wert darauf gelegt habe, im Mittelpunkt zu stehen“ (UA S. 7) und auch „nicht immer die Wahrheit gesagt habe“ (UA S. 14), von diesen „psychischen Problemen“ bzw. von - ebenfalls nicht näher ausgeführten - „Verhaltensauffälligkeiten“ (UA S. 20) geprägt sein könnten, erschließt sich dem Senat mangels näherer Erörterung durch das Landgericht nicht.
24
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der sachlich-rechtlichen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. VRiBGH Prof. Dr. Fischer Eschelbach Zeng ist krankheitsbedingt an der Unterschrift gehindert. Eschelbach Bartel Grube

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 235/16
vom
10. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:100117B2STR235.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 1. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in jeweils fünf Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in weiteren fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. a) Der Angeklagte lebte seit dem Jahr 2006 zusammen mit seiner Lebensgefährtin und deren Kindern, u.a. mit der am 21. November 2000 geborenen Geschädigten, in einem gemeinsamen Haushalt. Am 7. August 2010 heirateten er und seine Lebensgefährtin.
4
Im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2007 und dem 31. Dezember 2013 berührte der Angeklagte die Geschädigte an fünf verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen im Bereich der Brust, zog sich und dem Kind die Hose aus, manipulierte mit seiner Hand an der unbedeckten Vagina der Geschädigten und berührte sie mit seinem unbedeckten erigierten Glied. „In mehreren Fäl- len“ sagte die Geschädigte zum Angeklagten, „dass es weh tue und dass er das lassen solle. Das führte aber nicht dazu, dass die sexuellen Handlungen aufhör- ten“ (Fälle II. 1. bis 5. der Urteilsgründe).
5
Innerhalb des vorgenannten Zeitraums forderte der Angeklagte das Kind an weiteren vier verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen dazu auf, an ihm den Oralverkehr zu vollziehen. Das Kind leistete den Aufforderungen Folge und nahm den Penis des Angeklagten in den Mund; in einem Fall kam es zum Samenerguss im Mund der Geschädigten, die das Ejakulat „unter“ einen Teppich spuckte. „In den anderen Fällen kam es außerhalb des Mundes des Kindes zur Ejakulation“ (Fälle II. 6. bis 9. der Urteilsgründe).
6
An einem nicht mehr feststellbaren Tag im Zeitraum zwischen dem 1. Dezember 2013 und dem 31. Januar 2014 vollzog der Angeklagte mit der Geschädigten den vaginalen Geschlechtsverkehr; dabei benutzte er ein Kondom. Zu der Geschädigten sagte er danach u.a., dass er sie liebe, es ihr „kleines Geheimnis“ sei und sie es niemandem verraten dürfe (Fall II. 10. der Urteilsgründe

).


7
b) Die Geschädigte offenbarte sich erstmals während ihrer Grundschulzeit , im März 2010, gegenüber einer Freundin, die ihrerseits davon der Hortleiterin erzählte. Die Geschädigte berichtete sodann auch der Hortleiterin und ei- ner weiteren Mitarbeiterin des Hortes „von den sexuellen Übergriffen“. Sodann wurde die Mutter der Geschädigten informiert, die mit ihrer Tochter ins Krankenhaus fuhr. Aufgrund der dort vorgenommenen körperlichen Untersuchungen konnten „sexuelle Übergriffe weder bestätigt noch widerlegt werden“.
8
Die Mutter der Geschädigten spiegelte dieser sodann vor, sie habe den Angeklagten einem Lügendetektortest unterzogen. Ihrer Tochter überreichte sie daraufhin einen Brief mit dem Ergebnis des vermeintlichen Testes, wonach der Angeklagte „100%-ig die Wahrheit gesagt“ und die Geschädigte gelogen habe. Zunächst blieb das Kind dabei, dass seine Angaben zu den sexuellen Übergriffen der Wahrheit entsprochen hätten; etwa zwei bis drei Wochen später, noch im Jahr 2010 vor der Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten, entschuldigte sich die Geschädigte bei dem Angeklagten.
9
In der Folgezeit traten zunehmend gesundheitliche, insbesondere psychische Probleme bei der Geschädigten auf. Sie unternahm Suizidversuche, „woraufhin es zu mehreren stationären Aufenthalten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ kam. Im Jahr 2013 offenbarte sich die Geschädigte einer weiteren Freundin. Der Angeklagte sei des Öfteren zu ihr ins Zimmer gekommen und habe sich nackt zu ihr ins Bett gelegt. Er sei dann mit seinem Glied an sie her- angerückt. Sie habe ihm „einen Blasen“ müssen und es habe auch Geschlechtsverkehr gegeben.
10
Wegen eines Antrags auf Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie kam im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 der von der Geschädigten „bereits in der Grundschulzeit offenbarte sexuelle Missbrauch zur Sprache“, woraufhin die Richterin die Staatsanwaltschaft informierte.
11
c) Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten auch sexuelle Übergriffe zum Nachteil seiner am 24. Januar 2009 geborenen leiblichen Tochter zur Last gelegt. Aufgrund des Ergebnisses einer aussagepsychologischen Begutachtung sei deren allgemeine Aussagetüchtigkeit „noch nicht gegeben“, so dass die Ju- gendkammer insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat.
12
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Deren Angaben entsprächen einem tatsächlichen Erleben und seien glaubhaft.

II.

13
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
14
1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der sexuellen Übergriffe des Angeklagten hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) - sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
15
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, aaO).
Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
16
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an dieDarlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. August 2012 - 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657).
17
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln.
18
aa) Bereits die Feststellungen und Erwägungen zurAussageentstehung und -entwicklung, die für die Bewertung der Aussage von Geschädigten des sexuellen Missbrauchs von besonderer Bedeutung sind (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219), sind widersprüchlich und lückenhaft.
19
Zwar teilt das Urteil mit, dass sich die Geschädigte bereits im März 2010 ihrer damaligen Freundin offenbart habe. Nach Aussage dieser Zeugin sei zwar das Wort „Vergewaltigung“ nicht gefallen, es seien aber „konkrete Angaben“ zu sexuellen Handlungen (UA S. 7, 13) gewesen, die indes das Landgericht nicht weiter erläutert. An anderer Stelle des Urteils führt das Landgericht hingegen - widersprüchlich - aus, dass diese Zeugin sich in der Hauptverhandlung nicht mehr habe erinnern können, was genau die Geschädigte damals gesagt habe (UA S. 13).
20
Soweit Angaben der Geschädigten gegenüber weiteren Zeugen festgestellt sind, erscheinen diese Angaben gegenüber denjenigen der Geschädigten im Ermittlungsverfahren detailarm und kaum aussagekräftig. Deswegen ist der Schluss des Landgerichts, die Angaben der Geschädigten „zum Kern des Ge- schehens (seien) stets nachvollziehbar und widerspruchsfrei“ (UA S. 15), für den Senat nicht nachvollziehbar, zumal an anderer Stelle festgestellt ist, dass die Angaben der Geschädigten „teilweise widersprüchlich“ sind (UA S. 22). Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - zum Kerngeschehen Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlichrechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).
21
bb) Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, „bei ihrem leiblichen Vater wohnen zu können oder jeden- falls aus der Wohnung ihrer Mutter auszuziehen“ (UA S. 19), zumal die Ge- schädigte gegen eine Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten gewesen sei. Das Landgericht hat das (mögliche) Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass die Geschädigte das Ziel, aus der Wohnung der Mutter auszuziehen, zur Zeit der polizeilichen Vernehmung im Jahr 2014 bereits erreicht habe. Indes übersieht die Jugendkammer, dass sich die Geschädigte zum Zeitpunkt der Erstoffenbarung im März 2010 noch in einer anderen familiären Situation befand, insbesondere weil die Heirat, die erst im August 2010 erfolgte, noch ausstand. Bereits zu einem Zeitpunkt vor der Erstoffenbarung hat sie ihren leiblichen Vater zudem nicht nur regelmäßig besucht sondern „ihrer Mutter mehrfach gesagt, dasssie gerne bei ihrem leiblichen Vater wohnen möchte“ (UA S. 11).
22
Hinzu kommt, dass es - auch nach der Einlassung des Angeklagten - zwischen ihr und ihrem Stiefvater „seit dem Jahr 2008“ (UA S. 10) vermehrt zu Schwierigkeiten und daraus resultierenden Sanktionen gekommen ist. Dass sie „zu ihrer Mutter kein gutes Verhältnis gehabt“ (UA S. 21) habe, erläutert die Ju- gendkammer im Einzelnen nicht näher.
23
cc) Ein Erörterungsmangel liegt schließlich auch darin, dass das Landgericht sich nicht näher damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, „in der Folgezeit“ (UA S. 5, 9) wegen Suizidversuchen mehrfach in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war und der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 wegen eines Antrags auf (erneute) Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie von der Geschä- digten „zur Sprache“ kam. Offen bleibt schon, ab wann und welche psychischen Probleme bei der Geschädigten auftraten, wann, warum und von welcher Art die Suizidversuche gewesen sind, und wie lange die jeweiligen stationären Aufenthalte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie dauerten. Inwieweit die jeweiligen Aussagen der Geschädigten, die zudem von einer Zeugin als Mädchen be- schrieben wird, das „immer habe auffallen wollen und Wert darauf gelegt habe, im Mittelpunkt zu stehen“ (UA S. 7) und auch „nicht immer die Wahrheit gesagt habe“ (UA S. 14), von diesen „psychischen Problemen“ bzw. von - ebenfalls nicht näher ausgeführten - „Verhaltensauffälligkeiten“ (UA S. 20) geprägt sein könnten, erschließt sich dem Senat mangels näherer Erörterung durch das Landgericht nicht.
24
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der sachlich-rechtlichen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. VRiBGH Prof. Dr. Fischer Eschelbach Zeng ist krankheitsbedingt an der Unterschrift gehindert. Eschelbach Bartel Grube

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 40/02
vom
16. Mai 2002
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Mai 2002,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 6. September 2001 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in 159 Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. I. Die zugelassene Anklage legt dem Angeklagten zur Last, seine am 15. Juni 1974 geborene leibliche Tochter K. Kö. vornehmlich im elterlichen Haus inP. zwischen dem 30. Juni 1984, als K. 10 Jahre alt war, und dem 13. Geburtstag am 15. Juni 1987 wiederkehrend sexuell mißbraucht zu haben (Vergehen, strafbar nach § 176 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB aF). Zu den ersten sexuellen Übergriffen soll es bereits in K. Kö. s drittem oder viertem Lebensjahr und damit in verjährter Zeit im Saunabereich des Hauses beim samstäglichen gemeinsamen Duschen gekommen sein;
K. Kö. muûte der Anklage zufolge dort dem Angeklagten den Penis bis zum Samenerguû mit dem Waschlappen abreiben. Ab dem sechsten Lebensjahr des Mädchens soll es schlieûlich einmal wöchentlich zum Oralverkehr gekommen sein. Im Alter von etwa sieben Jahren habe erstmals und in der Folgezeit dann regelmäûig Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und seiner Tochter stattgefunden. Die sexuellen Übergriffe hätten geendet, als K. Kö. ihre erste Regelblutung hatte. Der letzte Vorfall habe sich im August 1988 während eines Urlaubs in Jugoslawien ereignet. Die Anklage geht weiter davon aus, daû K. Kö. aufgrund des Miûbrauchs später an einer erheblichen posttraumatischen Belastungsstörung litt, die sie veranlaûte, sich über Jahre hinweg psychotherapeutisch behandeln zu lassen. K. Kö. tötete sich am 20. Dezember 1999 im Alter von 25 Jahren selbst. Sie stand deshalb schon im Ermittlungsverfahren nicht als Zeugin zur Verfügung. Die Anklage stützt sich im wesentlichen auf ihre Äuûerungen gegenüber Freunden, Ärzten und Therapeuten sowie auf handschriftliche Abschiedszeilen , die sie hinterlieû. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Die Strafkammer hat sich von seiner Täterschaft nicht zu überzeugen vermocht. Sie konnte nicht ausschlieûen , daû die Äuûerungen K. Kö. s auf eine Gedächtnistäuschung zurückzuführen sind, derzufolge sie nur der Meinung war, miûbraucht worden zu sein. Die Äuûerungen K. Kö. s können nach der Bewertung des Landgerichts ihre Erklärung u.a. auch in intensiver gedanklicher Befassung mit fiktiven Ereignissen und in bestätigenden Gesprächen finden; sie können sich nach dem Gutachten des aussagepsychologischen Sachverständigen, dem die Strafkammer unter weiterer Beratung durch einen jugendpsychiatrischen Sachverständigen folgt, auch "narziûtisches Mittel der Selbstdarstellung" und eine "the-
rapieinduzierte Suggestion" gewesen sein. Im wesentlichen hebt die Strafkammer bei ihren Zweifeln an der Täterschaft des Angeklagten darauf ab, daû K. Kö. erstmals sieben Jahre nach dem Ende des behaupteten sexuellen Miûbrauchs ihrer Freundin davon erzählte, dies etwa ein weiteres Jahr später wiederholte und dann auch gegenüber ihrer Hausärztin, ihrer Frauenärztin und während zweier Klinikaufenthalte davon berichtete. Die Schilderungen hätten kaum Einzelheiten enthalten. Während der Tatzeitspanne seien weder in der Schule noch im Freundes- und Familienkreis Verhaltensauffälligkeiten beobachtet worden, wie sie bei miûbrauchten Kindern häufig vorlägen. Ihre Mutter und der im gemeinsamen Haushalt wohnende Bruder hätten trotz der Hellhörigkeit des Hauses und der Vielzahl der in Rede stehenden Fälle nie Verdacht geschöpft. K. Kö. habe weiter schon früh sexuelle Beziehungen zu Männern unterhalten. Probleme wie Abneigung, Ekel oder Frigidität seien dabei nicht aufgetreten. Einer ihrer als Zeugen vernommenen Liebhaber habe gar berichtet, daû sie mit Gewalt verbundene Sexualität als anregend empfunden habe. Schlieûlich habe sie trotz jahrelanger Psychotherapie bei der Diplompsychologin Dr. B. nie von sexuellem Miûbrauch in der Kindheit berichtet. Auch bei einer Exploration in der Abteilung für Psychotherapie und Psychosomatik der psychiatrischen Klinik der Universität München durch Dr. Bu. Ende 1997 habe sie einen Miûbrauch nicht erwähnt. Im übrigen sei es gerade der Angeklagte gewesen, der im November 1997 darauf gedrungen habe, daû sie sich wegen ihrer ständigen Kopfschmerzen in der Universitätsklinik untersuchen lasse. Im Falle der Täterschaft habe dem Angeklagten als Arzt bewuût sein müssen, daû die Taten auf diese Weise offenbar werden könnten. Die Zweifel der Kammer am objektiven Wahrheitsgehalt der Erzählungen K. Kö. s wurden verstärkt durch Gutachten zweier Sachverständiger. Der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. T. hat ausgeführt, die bei K.
Kö. während zweier Klinikaufenthalte in den Jahren 1998 und 1999 gestellte Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung sei offensichtlich falsch. Ein Rückschluû von den bei ihr festgestellten Symptomen auf einen sexuellen Miûbrauch in der Kindheit sei nicht möglich. Man könne daran denken, daû K. Kö. der Eindruck, sie sei sexuell miûbraucht worden, "antherapiert" worden sei. Der aussagepsychologische Sachverständige Prof. Dr. F. vermochte auf der Grundlage des Aktenstudiums und der Teilnahme an der Hauptverhandlung die These, daû die Vorwürfe objektiv falsch seien, nicht auszuschlieûen. Die Möglichkeit einer falschen Beschuldigung existiere nicht nur, sondern müsse als substantiell angesehen werden. Unstimmigkeiten in den Aussagen, der Mangel an Details, jegliches Fehlen "unabhängiger Evidenz" und die Erkenntnisse der Gedächtnispsychologie erzeugten erhebliche Zweifel. Die Strafkammer hat die Ausführungen der Sachverständigen für überzeugend und nachvollziehbar erachtet. Sie hatte aufgrund der Angaben der vernommenen Zeugen und der Gutachten der Sachverständigen so erhebliche Zweifel an der Schuld des Angeklagten, daû sie diesen freigesprochen hat. II. Die vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft , die eine Verurteilung des Angeklagten erstrebt, bleibt ohne Erfolg. 1. Die Aufklärungsrüge ist schon nicht in zulässiger Weise erhoben, überdies auch unbegründet. Die Beschwerdeführerin meint, das Landgericht habe sich gedrängt sehen müssen, die Ärzte der Kliniken zu vernehmen, die bei K. Kö. die Eingangsuntersuchungen vorgenommen haben, als diese sich im Sommer 1998 zur stationären Behandlung in der klinik in Bad W. (Indikationsgruppe für traumatisierte Frauen) und im Spätsommer 1999 in der psy-
chosomatischen Abteilung der klinik in Ka. (frauenspezifische Abteilung für posttraumatische Belastungsstörungen) befunden habe. Deren Vernehmung hätte ergeben, daû K. Kö. sehr wohl an einer posttraumatischen Belastungsstörung gelitten habe. Die Strafkammer habe sich nicht mit der Vernehmung der behandelnden Therapeuten begnügen dürfen. Sie hätte sich zu der weiteren Beweiserhebung gedrängt sehen müssen, weil in den Strafakten die Befunde der Ärzte enthalten seien, welche die Eingangsuntersuchungen in den genannten Spezialkliniken für Opfer sexuellen Miûbrauchs vorgenommen hätten. Die Rüge scheitert bereits daran, daû die Beschwerdeführerin die betreffenden Ärzte nicht namentlich benennt und vor allem die konkreten Befunde , die diese hätten bestätigen sollen, nicht mitteilt. Die Beschwerdeführerin geht überdies daran vorbei, daû das Landgericht in den Urteilsgründen die in den Kliniken gestellte Diagnose einer "posttraumatischen Belastungsstörung" ausdrücklich feststellt, sie indessen - wie der Zusammenhang der Beweiswürdigung ergibt - mit dem dazu gehörten kinder- und jugendpsychiatrischen Sachverständigen als "falsch" verwirft. Über die im einzelnen dazu getroffenen Feststellungen hinausgehende Einzelheiten, die geeignet wären, dieses Ergebnis konkret in Frage zu stellen, trägt die Revision nicht vor. Bei dieser Sachlage liegt auf der Hand, daû sich der Strafkammer die von der Revision vermiûte Vernehmung der Ärzte der Kliniken nicht aufdrängen muûte, nachdem sie die dort tätigen Therapeuten als Zeugen gehört hatte. Dem entspricht, daû auch in der Hauptverhandlung weder die Beschwerdeführerin noch ein anderer Verfahrensbeteiligter einen Grund gesehen haben, einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen.
2. Die sorgfältige Beweiswürdigung der Strafkammer hält sachlichrechtlicher Nachprüfung stand. Die von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände gehen fehl.
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist auf das Vorliegen von Rechtsfehlern beschränkt (vgl. § 337 StPO). Deshalb hat es das Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Sachlich-rechtliche Fehler können indessen vorliegen, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lükkenhaft ist. Insbesondere muû die Beweiswürdigung erschöpfend sein: Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung , die über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne Erörterung hinweggeht , ist fehlerhaft. Schlieûlich dürfen die Anforderungen an eine Verurteilung nicht überspannt werden. Dabei ist zu beachten, daû eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschlieûende und von niemandem anzweifelbare Gewiûheit nicht erforderlich ist, vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maû an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht bloû auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zuläût. Der Zweifelsatz darf schlieûlich erst nach einer solchen erschöpfenden Würdigung des gesamten Beweisergebnisses zur Anwendung kommen. Das Ergebnis eines Glaubwürdigkeitsgutachtens kann den Richter bei der gebotenen umfassenden Bewertung der Indiztatsachen lediglich unterstützen (vgl. zu alldem nur BGH NStZ 1999, 153; BGHR StPO § 261 Einlassung 5; Beweiswürdigung 16, jew. m.w.Nachw.; siehe auch Kleinknecht/Meyer-Goûner, StPO 45. Aufl. § 261 Rdn.

26).


Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof für unterschiedliche Fallgestaltungen , bei denen im Kern "Aussage gegen Aussage" steht, besondere Anforderungen an die Tragfähigkeit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. So hat er etwa in Fällen, in denen die Aussage des einzigen Belastungszeugen in einem wesentlichen Detail als bewuût falsch anzusehen war, auf dessen Angaben jedoch die Verurteilung gestützt werden soll, verlangt, daû Indizien für deren Richtigkeit vorliegen müssen, die auûerhalb der Aussage selbst liegen (vgl. BGHSt 44, 256, 257). Steht "Aussage gegen Aussage" und hängt die Entscheidung im wesentlichen davon ab, welchen Angaben das Tatgericht folgt, sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären. Das gilt vor allem dann, wenn ein Zusammenhang mit familiären Auseinandersetzungen nicht von vornherein auszuschlieûen ist (BGH NStZ 1999, 45; NStZ 2000, 496). Die Aussage eines "Zeugen vom Hörensagen" vermag für sich genommen ohne zusätzliche Indizien einen Schuldspruch nicht zu tragen (BGHSt 44, 153, 158).
b) Der vorliegende Fall weist die Besonderheit auf, daû eine Verurteilung des Angeklagten letztlich allein auf die Angaben K. Kö. s zu stützen gewesen wäre, die diese gegenüber Dritten gemacht und in ihren handschriftlichen Abschiedszeilen angesprochen hat. K. Kö. stand indessen weder im Ermittlungsverfahren noch im Hauptverfahren als Zeugin zur Verfügung. Objektive Tatspuren oder sonst unmittelbare Beweismittel fehlen. All dies schlieût zwar nicht von vornherein und von Rechts wegen aus, auch auf solcher Grundlage eine Überzeugung von der Täterschaft gewinnen zu können. Allerdings sind strenge Anforderungen an die Tragfähigkeit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung zu stellen. Das ergibt sich bereits daraus, daû der Tatrichter hier die Glaubwürdigkeit der unmittelbaren Beweisperson und die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben nicht originär, sondern nur vermittelt
über Berichte anderer beurteilen kann. Eine Befragung gezielt im Blick auf die Tatvorwürfe war ebensowenig möglich wie eine etwaige Glaubwürdigkeitsbegutachtung. Nicht einmal im Ermittlungsverfahren konnte eine Vernehmung der einzigen unmittelbaren Belastungszeugin konkret zu der gegen den Angeklagten erhobenen Beschuldigung erfolgen, deren Ziel es naheliegenderweise auch gewesen wäre, weitere Anhaltspunkte für eine Überprüfung des Wahrheitsgehalts der strafrechtlich erheblichen Vorwürfe zu gewinnen. Das Fehlen jeglicher strafverfahrensbezogenen, mit einer Belehrung verbundenen und unter Wahrheitspflicht (vgl. §§ 153, 164 StGB) erfolgten Vernehmung K. Kö. s berührt die Tragfähigkeit der Tatsachengrundlage für eine etwaige Verurteilung hier um so mehr, als die Sachverständigen, denen das Landgericht auch insoweit folgt, hervorgehoben haben, daû K. Kö. die Übernahme förmlicher Verantwortung für ihre Vorwürfe durch Erstattung einer Strafanzeige vermieden habe und daû die “Validität”, also der Wahrheitsgehalt ihrer Äuûerungen in den stationären Therapien nicht hinreichend geprüft worden sei; diese hätten in erster Linie die Minderung ihres subjektiven Leidensdrucks bezweckt. Die Strafkammer hat überdies festgestellt, daû es zwischen K. Kö. und dem Angeklagten auch nach dem angenommenen Tatzeitraum wiederholt zu heftigem Streit im häuslichen Bereich gekommen war. Darüber hinaus waren aus den genannten Gründen die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten in hohem Maûe eingeschränkt; auch er und sein Verteidiger vermochten K. Kö. nicht zu befragen. Unter all diesen Umständen war der Beweiswert der Äuûerungen K. Kö. s von vornherein erheblich gemindert (vgl. dazu auch BGHSt 46, 93, 103).
c) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht gerecht geworden. Es hat die Anforderungen an seine Überzeugungsbildung indessen auch nicht überspannt. Seine Beweis-
würdigung leidet schlieûlich nicht unter einem durchgreifenden Erörterungsmangel. aa) Die Beschwerdeführerin meint, die Urteilsfeststellungen seien "unzureichend" ; die Strafkammer habe die Zeugenaussagen nur teilweise wiedergegeben. Belastende Bekundungen der Zeuginnen St. und I. Kö. fänden sich nicht im Urteil und die Strafkammer setze sich nicht mit ihnen auseinander. Die Beanstandung greift nicht durch. Die Strafkammer hat den für sie überzeugungskräftig feststellbaren Sachverhalt in den Urteilsgründen dargestellt (UA S. 6 bis 20 unter II.). Im Zusammenhang mit der folgenden Beweiswürdigung (UA S. 21 ff. unter III.) ergibt sich ohne weiteres, auf welche Beweismittel sich die Kammer dabei stützt. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kann keine Rede davon sein, daû Feststellungen und die Wiedergabe der Zeugenaussagen "undurchschaubar ineinander übergingen". Eine vollständige Dokumentation aller Zeugenaussagen in den Urteilsgründen würde im übrigen deren Zweck verfehlen (vgl. nur BGH NStZ 1998, 51). Der Hinweis auf das Fehlen einer Auseinandersetzung mit im Urteil nicht erwähnten belastenden Angaben, die auch die Revision nicht näher darlegt, geht ins Leere. Der sachlich-rechtlichen Überprüfung ist allein das zugrundezulegen, was sich aus dem Urteil selbst ergibt. bb) Der Revision ist allerdings einzuräumen, daû eine ausdrückliche Erörterung der Bedeutung des Hinweises auf einen stattgefundenen sexuellen Miûbrauch, der sich aus den kurzen Abschiedszeilen ergibt, welche K. Kö. vor ihrer Selbsttötung geschrieben hat, in der Beweiswürdigung fehlt. Das erweist sich unter den im übrigen gegebenen Umständen jedoch nicht als Beweiswürdigungslücke.
Die in Rede stehenden Zeilen waren im Blick auf die Tatvorwürfe ersichtlich von geringem Aussagegehalt. Sie bleiben inhaltlich noch hinter dem zurück, was K. Kö. anderen erzählt hatte; sie lauten: “Ich fühle mich wie ein Zombie, wie eine lebendige Tote. Schon zu lange. Miûbrauch - es zerfriût mich von innen wie ein tödliches Krebsgeschwür. Es tut mir so leid. Ich habe euch so lieb. Ihr habt alle versucht mir zu helfen." Diese Empfindungen stehen ohne weiteres mit der These im Einklang, daû K. Kö. lediglich glaubte, als Kind sexuell von ihrem Vater miûbraucht worden zu sein. Ein gegenläufiger Erkenntnisgewinn von Gewicht läût sich aus ihnen ersichtlich nicht ziehen. Es erscheint ausgeschlossen, daû die ausdrückliche Einbeziehung des Inhalts dieser Abschiedszeilen in die Gesamtschau aller Beweisumstände die Zweifel der Strafkammer hätte ausräumen und gar eine tragfähige Grundlage für eine Verurteilung hätte mitbegründen können. cc) Die Strafkammer hat sich nicht etwa auf einen nicht bestehenden allgemein-gültigen Erfahrungssatz gestützt. Soweit die Kammer bei ihrer Beweiswürdigung erwähnt, daû Bruder und Mutter von K. Kö. trotz der Vielzahl der Fälle und der Hellhörigkeit des Hauses über Jahre hinweg nichts aufgefallen sei, daû K. Kö. im Sommer 1988 allein mit dem Angeklagten zurück an den Urlaubsort nach Jugoslawien fuhr und ohne Probleme schon früh sexuelle Beziehungen zu Männern unterhielt, bezieht sie in ihre Würdigung einzelne Umstände ein, die zumal in der Summe mit weiteren Tatsachen und in der Gesamtschau ihre Zweifel an der Richtigkeit der Tatvorwürfe begründeten. Damit hat sie entgegen der Auffassung der Revision nicht etwa allgemein -gültige Erfahrungssätze zugrundegelegt, die keine Ausnahme zulassen und schlechthin zwingende Folgerungen ergeben. Vielmehr handelt es sich um auf Erfahrung beruhende Einsichten, die nur Wahrscheinlichkeitsbewertungen ermöglichen, welche die zu beweisende Tatsache also wahrscheinlicher oder
unwahrscheinlicher machen, die der Richter aber erst anhand weiterer Beweisanzeichen prüfen und in die Gesamtbewertung der Beweise einstellen muû (vgl. BGHSt 31, 86, 89 f.; Kleinknecht/Meyer-Goûner, StPO 45. Aufl. § 337 Rdn. 31). Daû die genannten Umstände hier möglicherweise auch anders hätten bewertet werden können, erweist sich deshalb nicht als rechtlicher Mangel der Beweiswürdigung. dd) Die Beschwerdeführerin rügt vergebens die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. F. . Sie meint, die Beweiswürdigung sei Aufgabe des Tatrichters, der sich nur in Ausnahmefällen eines Sachverständigen bedienen dürfe. Damit will sie erkennbar darauf hinaus, daû der Tatrichter ihres Erachtens seine Verantwortung für die Urteilsfindung auf den Sachverständigen abgeschoben habe. Zudem sei es hier unmöglich, so die Revision weiter, aufgrund der Aussagen "aus zweiter Hand" ein Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben einer nicht mehr lebenden Zeugin zu erstellen. Diese Sicht ist von Rechtsirrtum bestimmt. Die Beschwerdeführerin verkennt , daû es gerade dann, wenn wie im vorliegenden Falle die Beweiswürdigung schwierig ist und die maûgebliche Auskunftsperson Fragen aus dem Bereich der Aussagepsychologie und der Jugendpsychiatrie aufwirft, die Pflicht des Tatrichters sein kann (vgl. § 244 Abs. 2 StPO), sich sachverständig beraten zu lassen. Das gilt auch dann, wenn die betreffende Auskunftsperson selbst weder für eine unmittelbare Aussage noch für eine Exploration oder Untersuchung zur Verfügung steht. Daû die tatsächliche Grundlage für Anknüpfungen dann möglicherweise eher schmal ist, schlieût die Einholung sachverständigen Rates nicht aus. Es ist Sache des Sachverständigen, mit zu beurteilen , ob die gegebene Anknüpfungsgrundlage für eine Bewertung ausreicht und
wie verläûlich und aussagekräftig diese sein kann. Die Beschwerdeführerin erkennt in diesem Zusammenhang jedoch zutreffend, daû die Besonderheiten dieses Verfahrens Schwierigkeiten für die Beurteilung der Äuûerungen K. Kö. s gegenüber Dritten begründeten. Das gilt indessen auch und gerade für den Tatrichter. Diesem dann aber verfahrensrechtlich vorwerfen zu wollen, daû er sich für seine Überzeugungsbildung auch des Rates zweier Sachverständiger versichert hat, führt ins Abseits. Das Landgericht hat seine Pflicht zur eigenen Überzeugungsbildung schlieûlich nicht auf den aussagepsychologischen Sachverständigen verschoben , sondern dessen Gutachten bei der gebotenen umfassenden Bewertung der Indiztatsachen lediglich unterstützend herangezogen. Es hat zunächst die Gründe seiner Zweifel am objektiven Wahrheitsgehalt der Darstellungen K. Kö. s begründet und erst im Anschluû hervorgehoben, daû diese durch die eingeholten Gutachten "verstärkt und bestätigt" würden (UA S. 25; siehe auch UA S. 37 unten). ee) Die weiteren Einwände der Beschwerdeführerin erweisen sich in der Sache lediglich als unerhebliche Angriffe auf die tatrichterliche Beweiswürdigung. Damit wird nur der Versuch einer abweichenden Bewertung unternommen , der einer Revision nicht zum Erfolg zu verhelfen vermag.

d) Abschlieûend bemerkt der Senat, daû der Bestand des freisprechenden Urteils hier auch nicht durch die fehlende ausdrückliche Gesamtschau aller be- und entlastenden Beweisanzeichen gefährdet wird. Die Strafkammer hat die für eine Täterschaft des Angeklagten sprechenden Tatsachen festgestellt und in ihrer Beweiswürdigung vornehmlich die Gründe für ihre Zweifel daran dargestellt. Es kann ausgeschlossen werden, daû ihr dabei die belastenden Umstände aus dem Blick geraten sein könnten. Schäfer Nack Wahl Schluckebier Kolz

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 235/16
vom
10. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:100117B2STR235.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 1. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in jeweils fünf Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in weiteren fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. a) Der Angeklagte lebte seit dem Jahr 2006 zusammen mit seiner Lebensgefährtin und deren Kindern, u.a. mit der am 21. November 2000 geborenen Geschädigten, in einem gemeinsamen Haushalt. Am 7. August 2010 heirateten er und seine Lebensgefährtin.
4
Im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2007 und dem 31. Dezember 2013 berührte der Angeklagte die Geschädigte an fünf verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen im Bereich der Brust, zog sich und dem Kind die Hose aus, manipulierte mit seiner Hand an der unbedeckten Vagina der Geschädigten und berührte sie mit seinem unbedeckten erigierten Glied. „In mehreren Fäl- len“ sagte die Geschädigte zum Angeklagten, „dass es weh tue und dass er das lassen solle. Das führte aber nicht dazu, dass die sexuellen Handlungen aufhör- ten“ (Fälle II. 1. bis 5. der Urteilsgründe).
5
Innerhalb des vorgenannten Zeitraums forderte der Angeklagte das Kind an weiteren vier verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen dazu auf, an ihm den Oralverkehr zu vollziehen. Das Kind leistete den Aufforderungen Folge und nahm den Penis des Angeklagten in den Mund; in einem Fall kam es zum Samenerguss im Mund der Geschädigten, die das Ejakulat „unter“ einen Teppich spuckte. „In den anderen Fällen kam es außerhalb des Mundes des Kindes zur Ejakulation“ (Fälle II. 6. bis 9. der Urteilsgründe).
6
An einem nicht mehr feststellbaren Tag im Zeitraum zwischen dem 1. Dezember 2013 und dem 31. Januar 2014 vollzog der Angeklagte mit der Geschädigten den vaginalen Geschlechtsverkehr; dabei benutzte er ein Kondom. Zu der Geschädigten sagte er danach u.a., dass er sie liebe, es ihr „kleines Geheimnis“ sei und sie es niemandem verraten dürfe (Fall II. 10. der Urteilsgründe

).


7
b) Die Geschädigte offenbarte sich erstmals während ihrer Grundschulzeit , im März 2010, gegenüber einer Freundin, die ihrerseits davon der Hortleiterin erzählte. Die Geschädigte berichtete sodann auch der Hortleiterin und ei- ner weiteren Mitarbeiterin des Hortes „von den sexuellen Übergriffen“. Sodann wurde die Mutter der Geschädigten informiert, die mit ihrer Tochter ins Krankenhaus fuhr. Aufgrund der dort vorgenommenen körperlichen Untersuchungen konnten „sexuelle Übergriffe weder bestätigt noch widerlegt werden“.
8
Die Mutter der Geschädigten spiegelte dieser sodann vor, sie habe den Angeklagten einem Lügendetektortest unterzogen. Ihrer Tochter überreichte sie daraufhin einen Brief mit dem Ergebnis des vermeintlichen Testes, wonach der Angeklagte „100%-ig die Wahrheit gesagt“ und die Geschädigte gelogen habe. Zunächst blieb das Kind dabei, dass seine Angaben zu den sexuellen Übergriffen der Wahrheit entsprochen hätten; etwa zwei bis drei Wochen später, noch im Jahr 2010 vor der Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten, entschuldigte sich die Geschädigte bei dem Angeklagten.
9
In der Folgezeit traten zunehmend gesundheitliche, insbesondere psychische Probleme bei der Geschädigten auf. Sie unternahm Suizidversuche, „woraufhin es zu mehreren stationären Aufenthalten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ kam. Im Jahr 2013 offenbarte sich die Geschädigte einer weiteren Freundin. Der Angeklagte sei des Öfteren zu ihr ins Zimmer gekommen und habe sich nackt zu ihr ins Bett gelegt. Er sei dann mit seinem Glied an sie her- angerückt. Sie habe ihm „einen Blasen“ müssen und es habe auch Geschlechtsverkehr gegeben.
10
Wegen eines Antrags auf Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie kam im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 der von der Geschädigten „bereits in der Grundschulzeit offenbarte sexuelle Missbrauch zur Sprache“, woraufhin die Richterin die Staatsanwaltschaft informierte.
11
c) Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten auch sexuelle Übergriffe zum Nachteil seiner am 24. Januar 2009 geborenen leiblichen Tochter zur Last gelegt. Aufgrund des Ergebnisses einer aussagepsychologischen Begutachtung sei deren allgemeine Aussagetüchtigkeit „noch nicht gegeben“, so dass die Ju- gendkammer insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat.
12
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Deren Angaben entsprächen einem tatsächlichen Erleben und seien glaubhaft.

II.

13
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
14
1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der sexuellen Übergriffe des Angeklagten hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) - sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
15
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, aaO).
Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
16
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an dieDarlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. August 2012 - 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657).
17
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln.
18
aa) Bereits die Feststellungen und Erwägungen zurAussageentstehung und -entwicklung, die für die Bewertung der Aussage von Geschädigten des sexuellen Missbrauchs von besonderer Bedeutung sind (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219), sind widersprüchlich und lückenhaft.
19
Zwar teilt das Urteil mit, dass sich die Geschädigte bereits im März 2010 ihrer damaligen Freundin offenbart habe. Nach Aussage dieser Zeugin sei zwar das Wort „Vergewaltigung“ nicht gefallen, es seien aber „konkrete Angaben“ zu sexuellen Handlungen (UA S. 7, 13) gewesen, die indes das Landgericht nicht weiter erläutert. An anderer Stelle des Urteils führt das Landgericht hingegen - widersprüchlich - aus, dass diese Zeugin sich in der Hauptverhandlung nicht mehr habe erinnern können, was genau die Geschädigte damals gesagt habe (UA S. 13).
20
Soweit Angaben der Geschädigten gegenüber weiteren Zeugen festgestellt sind, erscheinen diese Angaben gegenüber denjenigen der Geschädigten im Ermittlungsverfahren detailarm und kaum aussagekräftig. Deswegen ist der Schluss des Landgerichts, die Angaben der Geschädigten „zum Kern des Ge- schehens (seien) stets nachvollziehbar und widerspruchsfrei“ (UA S. 15), für den Senat nicht nachvollziehbar, zumal an anderer Stelle festgestellt ist, dass die Angaben der Geschädigten „teilweise widersprüchlich“ sind (UA S. 22). Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - zum Kerngeschehen Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlichrechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).
21
bb) Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, „bei ihrem leiblichen Vater wohnen zu können oder jeden- falls aus der Wohnung ihrer Mutter auszuziehen“ (UA S. 19), zumal die Ge- schädigte gegen eine Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten gewesen sei. Das Landgericht hat das (mögliche) Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass die Geschädigte das Ziel, aus der Wohnung der Mutter auszuziehen, zur Zeit der polizeilichen Vernehmung im Jahr 2014 bereits erreicht habe. Indes übersieht die Jugendkammer, dass sich die Geschädigte zum Zeitpunkt der Erstoffenbarung im März 2010 noch in einer anderen familiären Situation befand, insbesondere weil die Heirat, die erst im August 2010 erfolgte, noch ausstand. Bereits zu einem Zeitpunkt vor der Erstoffenbarung hat sie ihren leiblichen Vater zudem nicht nur regelmäßig besucht sondern „ihrer Mutter mehrfach gesagt, dasssie gerne bei ihrem leiblichen Vater wohnen möchte“ (UA S. 11).
22
Hinzu kommt, dass es - auch nach der Einlassung des Angeklagten - zwischen ihr und ihrem Stiefvater „seit dem Jahr 2008“ (UA S. 10) vermehrt zu Schwierigkeiten und daraus resultierenden Sanktionen gekommen ist. Dass sie „zu ihrer Mutter kein gutes Verhältnis gehabt“ (UA S. 21) habe, erläutert die Ju- gendkammer im Einzelnen nicht näher.
23
cc) Ein Erörterungsmangel liegt schließlich auch darin, dass das Landgericht sich nicht näher damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, „in der Folgezeit“ (UA S. 5, 9) wegen Suizidversuchen mehrfach in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war und der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 wegen eines Antrags auf (erneute) Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie von der Geschä- digten „zur Sprache“ kam. Offen bleibt schon, ab wann und welche psychischen Probleme bei der Geschädigten auftraten, wann, warum und von welcher Art die Suizidversuche gewesen sind, und wie lange die jeweiligen stationären Aufenthalte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie dauerten. Inwieweit die jeweiligen Aussagen der Geschädigten, die zudem von einer Zeugin als Mädchen be- schrieben wird, das „immer habe auffallen wollen und Wert darauf gelegt habe, im Mittelpunkt zu stehen“ (UA S. 7) und auch „nicht immer die Wahrheit gesagt habe“ (UA S. 14), von diesen „psychischen Problemen“ bzw. von - ebenfalls nicht näher ausgeführten - „Verhaltensauffälligkeiten“ (UA S. 20) geprägt sein könnten, erschließt sich dem Senat mangels näherer Erörterung durch das Landgericht nicht.
24
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der sachlich-rechtlichen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. VRiBGH Prof. Dr. Fischer Eschelbach Zeng ist krankheitsbedingt an der Unterschrift gehindert. Eschelbach Bartel Grube