Bundesgerichtshof Urteil, 07. Feb. 2018 - 2 StR 447/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:070218U2STR447.17.0
07.02.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 447/17
vom
7. Februar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:070218U2STR447.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Februar 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer,
der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube, Schmidt,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin Je. P. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 19. Juni 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen verurteilt worden ist (Fall 5 der Urteilsgründe),
b) sowie im Gesamtstrafenausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften in vier Fällen (Fälle 1 bis 4) und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (Fall 5) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das wirksam auf die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (Fall 5) beschränkte Rechtsmittel des Angeklagten, mit dem er die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend macht, hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensbeanstandung kommt es deshalb nicht mehr an.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lebte der Angeklagte etwa bis Ende 2011 mit der Zeugin S. sowie ihren Töchtern J. und Je. P. zusammen. Dabei bildete sich zwischen dem Angeklagten und der am 23. Januar 2003 geborenen Nebenklägerin Je. P. ein Ersatzvaterverhältnis. Dieses bestand auch nach der Ende 2011 erfolgten Trennung des Angeklagten von S. und seinem Auszug aus der zuvor gemeinsam genutzten Wohnung fort. Die Nebenklägerin besuchte den Angeklagten bis März 2016 regelmäßig an Wochenenden, Feiertagen und in den Schulferien, wobei der Angeklagte auch Erziehungsaufgaben übernahm.
3
2. Nach den vom Revisionsangriff ausgenommenen Feststellungen zu den Fällen 1 bis 4 fertigte der Angeklagte am 18. Mai, 24. Mai, 25. Juli 2014 und am 14. Februar 2016 mit seinem Mobiltelefon Fotos von der Nebenkläge- rin, bei denen diese auf Veranlassung des Angeklagten obszöne Stellungen einnahm, so dass entweder ihre Vagina (Fälle 1 bis 3) oder ihr entblößter Oberkörper (Fall 4) zu sehen waren.
4
An einem Tag im Zeitraum vom 24. Januar 2014 bis zum 22. Januar 2016 saßen der Angeklagte und die Nebenklägerin im Wohnzimmer der Wohnung. Die Nebenklägerin war nackt, der Angeklagte streichelte sie am ganzen Körper. Die Nebenklägerin nahm den Penis des Angeklagten in den Mund und befriedigte ihn zunächst oral. Danach befriedigte sich der Angeklagte bis zum Samenerguss selbst (Fall 5).
5
Während der Angeklagte in der Hauptverhandlung eingeräumt hat, die Bilder in den Fällen 1 bis 4 gefertigt zu haben, hat er bestritten, sich jemals an der Nebenklägerin vergriffen zu haben. Das Landgericht hat den Angeklagten gleichwohl allein aufgrund der Angaben der Nebenklägerin auch im Fall 5 als überführt angesehen.

II.

6
Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich Fall 5 hält – auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) – sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR 408/15 mwN). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR 408/15). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich -rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei MeyerGoßner /Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
8
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an die Darlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 – 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 – 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Urteil vom 3. Februar 1993 – 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15; Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR408/15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. August 2012 – 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Senat, Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR 408/15 mwN). Erforderlich sind insbesondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage (BGH, Beschluss vom 21. April 2005 – 4 StR 89/05, NStZ-RR 2005, 232, 233), eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2003 – 4 StR 73/03), sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (Senat, Urteil vom 7. März 2012 – 2 StR 565/11, juris Rn. 9).
9
2. Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
10
a) Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, sie leidet an Erörterungsmängeln.
11
aa) Ein solcher Mangel liegt zunächst in der fehlenden Inhaltsanalyse der Aussage der Nebenklägerin. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht der fehlenden Detailliertheit und Plausibilität der Aussage zum Kerngeschehen keine hinreichende Bedeutung beigemessen hat.
12
Ausweislich der Urteilsgründe hat die Zeugin das (sexuelle) Kerngeschehen weitgehend ohne Realkennzeichen und teilweise einschränkend geschildert. Sie hat auf Nachfrage lediglich angeben, sie habe dem Angeklagten im Wohnzimmer einen „blasen“ sollen und er habe sie am ganzen Körper berührt. Sie glaube, seine Hose sei nach unten gezogen gewesen, der Angeklagte habe sie selbst herunter gezogen. Wie lange das gedauert habe, wisse sie nicht. Sie glaube, der Angeklagte sei zum Samenerguss gekommen. Dabei sei sein Penis nicht mehr in ihrem Mund gewesen, er habe sich dann selber angefasst. Er habe sich mit einem Taschentuch abgewischt und dieses weggeworfen.
13
Dementsprechend fehlen der Aussage der Nebenklägerin weitgehend Realkennzeichen wie zum Beispiel die logische Konsistenz der Aussage, ein quantitativer Detailreichtum, eine räumlich-zeitliche Verknüpfung, die Schilderung ausgefallener Einzelheiten und eigener psychischer Vorgänge (vgl. KKOtt , 7. Aufl. § 261 Rn. 31b). Zudem hat die Zeugin durch die mehrfache Einschränkung , sie „glaube“ das Tageschehen habe sich wie beschrieben ereignet, ihre Erinnerung relativiert. Eine zeitliche Einordung war ihr nicht möglich.
14
Die Aussage, die den Tatzeitraum lediglich auf das elfte oder zwölfte Lebensjahr der Nebenklägerin eingrenzt, ohne dass diese Zeitangabe näher unterlegt ist, lässt einen nachvollziehbaren situativen Rahmen, in den das Tatgeschehen eingebettet war, vermissen. Nach der kargen Darstellung saß die Nebenklägerin ohne erkennbaren Grund nackt im Wohnzimmer, der Angeklagte streichelte sie „am ganzen Körper“. Die Aussage lässt offen, ob die Nebenklägerin Widerstand leistete oder ihren Unmut zum Ausdruck brachte. Die Aussage schweigt zu der Frage, was die Nebenklägerin zu ihrer Handlung bewog. Insgesamt ist nicht erkennbar, welche verbalen oder nonverbalen Zwischenakte das Geschehen begleiteten. Der Aussage ist weder zu entnehmen, ob es einer Aufforderung des Angeklagten zur Durchführung des Oralverkehrs bedurfte, noch, ob dieser die Beendigung des Oralverkehrs ohne Weiteres hinnahm.
15
bb) Ein weiterer Mangel der Beweiswürdigung liegt darin, dass die Strafkammer unzureichend erörtert hat, warum die über mehrere Jahre vorgenommenen selbstverletztenden Handlungen der Nebenklägerin sich nicht auf deren Aussageverhalten ausgewirkt haben können. Denn die Strafkammer unterlegt ihre dahingehende Schlussfolgerung lediglich mit dem Hinweis auf den „persön- lichen Eindruck“ von der Nebenklägerin, ohne diesen darzustellen.
16
cc) Die Erwägung eines möglichen Falschbelastungsmotivsist verkürzt geraten. Zwar spricht, worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat, das vormals sehr gute Verhältnis zwischen der Nebenklägerin und dem Angeklagten gegen eine bewusste Falschbelastung. Das Landgericht hat indes unerörtert gelassen, warum es im März 2016 zum Abbruch der Besuchskontakte kam.
17
b) Das Urteil lässt auch die aufgrund der Beweislage gebotene Gesamtwürdigung vermissen. Die Strafkammer hat sich darauf beschränkt, einzelne für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin sprechende Gesichtspunkte darzustellen, ohne diese jedoch gegen die beweismindernden Faktoren abzuwägen. Hierbei hätte sie insbesondere in den Blick nehmen müssen, dass die Detailarmut die Bedeutung des Beurteilungskriteriums der Aussagekonstanz, auf den die Strafkammer ihre Überzeugungsbildung stützt, vermindern kann (Senat, Beschluss vom 4. Oktober 2017 – 2 StR 219/15, juris Rn. 24, BGH, Beschluss vom 28. Oktober 1999 – 4 StR 370/99, NStZ 2000, 217).
18
3. Es ist nicht auszuschließen, dass das Tatgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin gelangt wäre. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Schäfer Krehl Bartel Grube Schmidt

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

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Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott, der Richter am Bundesgerichtshof Zeng,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin in der Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 15. Juni 2015 mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs „eines leiblichen Kindes“ in sieben Fällen, davon in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Melsungen vom 30. Juni 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Wegen eines weiteren Falls des sexuellen Missbrauchs eines „leiblichen Kindes“ hat es ihn zu einer Frei- heitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Daneben hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte im Sommer 2006 mit der Geschädigten, seiner 1997 geborenen Tochter, in der Abenddämmerung auf einen Waldspielplatz und band sie dort an ein Spielgerät. Anschließend entfernte er sich für 10-15 Minuten. Nach seiner Rückkehr forderte er sie auf, ihn sexuell zu befriedigen. Da die Geschädigte dies ablehnte, führte er sie immer tiefer in den Wald, wobei er ihr fortlaufend Angst machte. Als sich die Geschädigte schließlich bereit erklärte, seinem Ansinnen nachzukommen , ging er mit ihr zu seinem Auto zurück. Hier führte die Geschädigte auf Aufforderung ihres Vaters zunächst den Handverkehr und sodann den Oralverkehr bis zum Samenerguss an diesem durch. Der Angeklagte verpflichtete seine Tochter anschließend zur Geheimhaltung (Fall 1).
3
An einem Morgen rund vier Wochen später forderte der Angeklagte seine Tochter im häuslichen Wohnzimmer auf, ihn manuell zu befriedigen.Dem kam die Geschädigte nach und führte den Handverkehr an ihrem Vater bis zum Samenerguss durch (Fall 2). An einem Morgen in der Zeit vom 15. Januar 2008 bis zum 1. März 2009 ging die Geschädigte in das elterliche Schlafzimmer. Ihre Stiefmutter war aus nicht feststellbaren Gründen nicht anwesend und die Geschädigte wollte fragen, wann der Angeklagte aufstehen und Frühstück für sie und ihre Geschwister machen würde. Dem Wunsch des Angeklagten, zunächst den Handverkehr an ihm durchzuführen, kam die Geschädigte nach (Fall 3). Kurze Zeit nach dem 1. März 2009 bat der Angeklagte die damals 11jährige Geschädigte eines Abends erneut, ihn manuell zu befriedigen. Da die Geschädigte zunächst nicht wollte, wies der Angeklagte sie daraufhin, dass sie seiner Bitte, wenn sie ihn wirklich liebe, auch nachkommen solle. Daraufhin schloss er das Wohnzimmer ab und die Geschädigte führte den Handverkehr an ihm durch (Fall 4). Im Jahr 2010, als die Geschädigte 12 oder 13 Jahre alt war und sich ihre Stiefmutter für einige Tage im Krankenhaus aufhielt, wurde sie am Morgen von ihren Geschwistern in das elterliche Schlafzimmer geschickt, um nach dem Frühstück zu fragen. Auf Aufforderung des Angeklagten zog sie sich aus und setzte sich nackt auf seinen Penis, wobei er sich bis zum Samenerguss an ihr rieb und ihr währenddessen Zungenküsse gab (Fall 5). Zwischen dem 30. März 2011 und 30. Juni 2011 fragte die nunmehr 14jährige Geschädigte wiederum morgens nach dem Frühstück. Die Stiefmutter A. war bereits aufgestanden und fütterte draußen die Kaninchen. Die Geschädigte setzte sich nackt auf den Penis des Angeklagten, der sich an ihr rieb und dabei einen Finger in ihre Scheide einführte, was die Geschädigte schmerzte (Fall 6). Im gleichen Zeitraum betrat der Angeklagte an einem Tag, an dem alle anderen Familienmitglieder außer Haus waren, das Kinderzimmer der Geschädigten. Auf Geheiß des Angeklagten führte sie den Handverkehr an ihm durch (Fall 7). Circa 2-4 Wochen vor dem 21. Juni 2012 führte die Geschädigte anlässlich des morgendlichen Fragens nach dem Frühstück letztmalig den Handverkehr an dem Angeklagten durch (Fall 8).
4
Während des gesamten Tatzeitraums sprach die Geschädigte – außer einmal gegenüber ihrem Stiefbruder – mit niemanden über die Vorfälle. Sie fühlte sich aufgrund der Aufforderung des Angeklagten zur Geheimhaltung verpflichtet. Auch während einer zwischen 2009 bis Sommer 2012 durchgeführten Psychotherapie offenbarte sie sich nicht. Diese Behandlung bezog sich allein auf die Aufarbeitung der körperlichen Gewalt, die die Geschädigte von einer früheren Lebensgefährtin des Angeklagten erfahren hatte.
5
Am 21. Juni 2012 wurde die Geschädigte bei einem Ladendiebstahl erwischt. Als die Polizei sie heimbrachte, floh sie in den Wald, wo sie sich bis zum Abend aufhielt und sich mit einer Schere Ritzverletzungen beibrachte. Mit dem „Ritzen“ hatte sie schon einige Monate zuvor begonnen. Gegen Abend begab sie sich freiwillig und weinend zur Polizei. Dort berichtete sie zögerlich erstmals auch von den Missbrauchshandlungen, die mit einem Oralverkehr im Auto begonnen und zuletzt vor ca. 2 bis 4 Wochen stattgefunden hätten. Da sie nicht mehr nach Hause wollte und Suizidgedanken äußerte, wurde sie in der Kinderund Jugendpsychiatrie untergebracht. Dort wurde sie ermutigt, die Vorwürfe gegen ihren Vater nicht fallen zu lassen. Am 11. Juli 2012 wurde sie erstmals polizeilich und im März 2013 richterlich vernommen. Im Februar 2014 erfolgte eine Befragung durch die Sachverständige.
6
Die Geschädigte lebt seit Sommer 2012 in einer Pflegefamilie. Sie hat den Realschulabschluss erreicht und strebt das Abitur an. Sie gibt sich erhebliche Mitschuld an dem Geschehen, weil sie mitgemacht habe, und hat ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Stiefmutter A. , die sie sehr mochte.
7
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Es ist davon überzeugt, dass deren Angaben einem tatsächlichen Erleben entsprechen und glaubhaft sind.

II.

8
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
9
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält – auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) – sachlich -rechtlicher Überprüfung nicht stand.
10
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 - 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; BGH, Urteil vom 27. Juli 1994 – 3 StR 225/94, StV 1994, 580).
11
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen im Kern „Aussagegegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an die Tragfähigkeit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; BGH, Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 18. Juni 1997 - 2 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14; BGH, Beschluss vom 12. November 1998 – 4 StR 511/98, NStZ-RR 1999, 139). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der be- lastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656,657).
12
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter einem durchgreifenden Erörterungsmangel.
13
Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, von ihrem eigenen Fehlverhalten abzulenken. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Geschädigte im Alter von neun Jahren wahrheitswidrig behauptet hatte, entführt worden zu sein, als entdeckt worden war, dass sie einen unerlaubten Fahrradausflug gemacht hatte. Die Strafkammer hat das Ablenken von eigenem Fehlverhalten als Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass der Ladendiebstahl zum Zeitpunkt ihrer Offenbarung tatsächlich schon entdeckt war und nicht mehr verschleiert werden konnte. Ein Ablenkungsmotiv würde auch nur die Erstbezichtigung erklären, nicht aber, dass die Geschädigte um eines vergleichbaren geringfügigen Vorteils willen – anders als bei der Entführungsgeschichte , bei der sie ihre Lüge bald eingeräumt hatte – ihre Angaben über Jahre hinweg aufrechterhalten habe und in eine Pflegefamilie gewechselt sei. Im Übrigen habe die Geschädigte schon zuvor einem ihrer Stiefbrüder gegenüber offenbart, dass sie den Angeklagten auf dessen Wunsch befriedige.
14
Das Landgericht hat es jedoch versäumt, im Rahmen der Prüfung, ob die Geschädigte möglicherweise nur von eigenem Fehlverhalten ablenken wollte, sich auch damit auseinanderzusetzen, warum sie sich am 21. Juni 2013 ohne Weiteres gegenüber den Polizeibeamten offenbarte, wohingegen sie dazu ge- genüber ihrer Psychotherapeutin, die sie zwischen 2009 bis Sommer 2012 behandelt hatte, nicht bereit war. Zwar bezog sich die therapeutische Behandlung allein auf die Aufarbeitung der von der Geschädigten erlittenen körperlichen Gewalt. Allein aber der Hinweis der Strafkammer, die Geschädigte sei nicht bereit gewesen, dort ihre Missbrauchserfahrungen zu thematisieren, weil sie keinen Grund dafür gesehen habe, diese therapeutisch aufzuarbeiten und auch nicht gewusst habe, was es diesbezüglich zu erörtern gegeben haben solle, erklärt nicht, weshalb sie sich gegenüber den Polizeibeamten trotz der ihr vom Angeklagten auferlegten Geheimhaltungspflicht offenbaren konnte.
15
Ein Erörterungsmangel liegt letztlich aber auch darin, dass die Strafkammer sich nicht damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, die nach ihrer Offenbarung am 21. Juni 2012 wegen Selbsttötungsabsicht in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war, dort „im weiteren Verlaufe der Behandlung dazu ermutigt [worden war], die Vorwürfe gegen ihren Vater nicht fallen zu lassen“. Offen bleibt schon, weshalb die Geschädigte überhaupt „ermutigt“ werden musste und inwiefern ein „fallen lassen“ der Vorwürfe zu besorgen war.
16
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der verfahrensrechtlich gebotenen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. Die Adhäsionsentscheidung bleibt hiervon unberührt (vgl. Senat, Urteil vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, 98); Im Übrigen wird auf den Anfragebeschluss des Senats vom 8. Oktober 2014 (2 StR 137/14 und 337/14, NStZ-RR 2015, 382) verwiesen.
17
Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Nach den Feststellungen war die Vollstreckung der im Rahmen der Bildung der ersten Gesamtfreiheitsstrafe einbezogenen Freiheitsstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Melsungen vom 30. Juni 2011 zur Bewährung ausgesetzt worden. Die dem Angeklagten hierbei auferlegte Bewährungsauflage der Ableistung von 100 Arbeitsstunden hatte dieser in der Folge umfassend erfüllt. Angesichts dieser Feststellungen hätte sich die Strafkammer gedrängt sehen müssen, die Voraussetzungen für eine Anrechnung auf Bewährungsauflagen erbrachter Leistungen gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB i.V.m. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB zu prüfen und in den Urteilsgründen zu erörtern (vgl. Senat, Beschluss vom 7. März 2001 - 2 StR 43/01). Nach dieser Regelung sind Leistungen, die auf Bewährungsauflagen nach § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 StGB erbracht worden sind, entgegen der Auffassung des Landgerichts (vgl. UA S. 45) nicht bei der Bemessung der Gesamtstrafe zu berücksichtigen, sondern durch eine die Vollstreckung verkürzende Anrechnung auf die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe auszugleichen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1990 - 1 StR 283/89, BGHSt 36, 378, 381 ff.). Fischer Krehl Eschelbach Ott Zeng

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

5 StR 394/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 30. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. August 2012

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 29. März 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung in zehn tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und drei Monate der verhängten Freiheitsstrafe für vollstreckt erklärt. Gegen die Verurteilung richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf.
2
1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung betreffend die sexuellen Übergriffe des Angeklagten vom 5./6. Februar 2010 hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Angesichts der vorliegenden Aussagegegen -Aussage-Konstellation hätte das Landgericht im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Umstände darstellen und in seine Überlegung einbeziehen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f., Beschlüsse vom 16. Juli 2009 – 5 StR 84/09, vom 27. April 2010 – 5 StR 127/10, und vom 22. Mai 2012 – 5 StR 15/12, StraFo 2012, 269, je- weils mwN). Daran fehlt es hier.
3
Das Landgericht bescheinigt der Nebenklägerin „hohe Aussagekonstanz“ (UA S. 14). Dies steht in deutlichem Widerspruch zu dem Um- stand, dass die Nebenklägerin bei ihrer vier Tage nach dem Geschehen erstatteten Strafanzeige durch den Angeklagten vollführte sexuelle Übergriffe gar nicht erwähnte, vielmehr rund zwei Wochen zurückliegende Schläge gegen ihr Ohr sowie eine Nötigung zum Drogenkonsum am Tatabend mitteilte. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung vom 2. März 2010 bekundete sie erst- mals „einen erzwungenen Geschlechtsverkehr“, was sie bei einer Verneh- mung vom 12. April 2010 dahin erweiterte, dass der Angeklagte auf sie uriniert und ihr befohlen habe, das nasse Oberteil während eines (von mindestens zehn) Geschlechtsakts nicht auszuziehen; in einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung vom 28. September 2010 gab sie dann ergänzend an, der Angeklagte habe eine Substanz gemischt und auf ihre Scheide aufgetragen, wonach er seinen Hund veranlasst habe, an ihrer Scheide zu lecken (UA S. 14).
4
Bereits angesichts dieses das Kerngeschehen betreffenden auffälligen Aussageverhaltens waren eine eingehende Darstellung und Würdigung der Bekundungen der einzigen Belastungszeugin einschließlich der näheren Umstände der Anzeigeaufnahme und der weiteren Aussageentwicklung unabdingbar , um dem Revisionsgericht eine Nachprüfung in rechtlicher Hinsicht zu ermöglichen (vgl. zur Beweiswürdigung in einschlägigen Fällen BGH, Urteil vom 23. Oktober 2002 – 1 StR 274/02, NStZ 2003, 165 mwN). Dem werden die rudimentären Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf abstellt, dass die Zeugin das einmal geschilderte Geschehen bei ihren Vernehmungen stets wieder- holt und „lediglich um einzelne Details ergänzt“ habe, die die rechtliche Quali- tät nicht verändert hätten, trifft dies im Übrigen auf den Inhalt der Strafanzei- ge offensichtlich und auf die zweite Aussage („einen“ erzwungenen Ge- schlechtsakt) möglicherweise nicht zu. Zudem liegt auf der Hand, dass die hinzugekommenen überaus erniedrigenden Einzelhandlungen den Unrechtsund Schuldgehalt der Tat beträchtlich erhöhen. Ferner hätte die von der Nebenklägerin gegebene Erklärung der kritischen Nachprüfung bedurft, sie habe erst Vertrauen zu den sie vernehmenden Personen fassen müssen. Das gilt etwa mit Blick darauf, dass die Nebenklägerin auch Vertrauenspersonen (Mutter und ehemalige Schwiegermutter) von sexuellen Übergriffen nichts gesagt hat (UA S. 17).
5
Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.
6
2. Der Senat hebt auch den Schuldspruch wegen Körperverletzung am 21. Januar 2010 auf. Dem neuen Tatgericht soll eine insgesamt stimmige Beweiswürdigung ermöglicht werden.
7
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
8
a) Dass der Angeklagte und die Nebenklägerin die Umstände ihres Zusammenlebens im Wesentlichen übereinstimmend geschildert haben, gibt für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin hinsichtlich der durch den Angeklagten bestrittenen Taten entgegen der Wertung im angefochtenen Urteil (UA S. 13) nichts her.
9
b) Das neu verhandelnde Tatgericht wird sich eingehend mit der Tatsache zu befassen haben, dass die Nebenklägerin nach der sie in besonderem Maße erniedrigenden Tat noch weitere vier Tage beim Angeklagten gelebt hat. Die im angefochtenen Urteil insoweit angestellte Erwägung, die späte Anzeigeeerstattung sei durch die vom Angeklagten geschaffene finanzielle Abhängigkeit der Nebenklägerin und deren abgebrochene Kontakte zu Familie und Freunden bedingt (UA S. 14), leuchtet nicht ein. Vier Tage nach der Tat vermochte die Nebenklägerin ohne Weiteres den Kontakt zu ihrer Mutter herzustellen, die sie auch sogleich betreute. Es ist nicht ersichtlich, aus wel- chem Grund dies nicht auch früher hätte der Fall gewesen sein können. Darüber hinaus existieren, was allgemein bekannt ist, für derartige Notsituationen öffentliche Anlaufstellen.
10
c) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte die Nebenklägerin eingangs des Tatgeschehens beim Drogenkonsum und einer anschließenden Selbstbefriedigung gefilmt (UA S. 7). Zu diesem Umstand und etwaigen Ermittlungshandlungen zur Auffindung des hergestellten Films verhalten sich die Urteilsgründe im Rahmen der Beweiswürdigung nicht.
11
d) Sollte das neue Tatgericht erneut zu einer Verurteilung des Angeklagten gelangen, wird es dessen Schuldfähigkeit unter Hinzuziehung eines Sachverständigen zu prüfen haben.
12
e) Ferner ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen des § 177 StGB mehrere sexuelle Handlungen – was das Landgericht hier wohl angenommen hat – bei fortdauernder Gewalt eine Tat im Rechtssinn bilden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 19. April 2007 – 4 StR 572/06, NStZ-RR 2007, 235 mwN), nicht mehrere tateinheitlich verwirklichte Verbrechen der Vergewaltigung.
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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 408/15
vom
6. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:060416U2STR408.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. April 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott, der Richter am Bundesgerichtshof Zeng,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin in der Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 15. Juni 2015 mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs „eines leiblichen Kindes“ in sieben Fällen, davon in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Melsungen vom 30. Juni 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Wegen eines weiteren Falls des sexuellen Missbrauchs eines „leiblichen Kindes“ hat es ihn zu einer Frei- heitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Daneben hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte im Sommer 2006 mit der Geschädigten, seiner 1997 geborenen Tochter, in der Abenddämmerung auf einen Waldspielplatz und band sie dort an ein Spielgerät. Anschließend entfernte er sich für 10-15 Minuten. Nach seiner Rückkehr forderte er sie auf, ihn sexuell zu befriedigen. Da die Geschädigte dies ablehnte, führte er sie immer tiefer in den Wald, wobei er ihr fortlaufend Angst machte. Als sich die Geschädigte schließlich bereit erklärte, seinem Ansinnen nachzukommen , ging er mit ihr zu seinem Auto zurück. Hier führte die Geschädigte auf Aufforderung ihres Vaters zunächst den Handverkehr und sodann den Oralverkehr bis zum Samenerguss an diesem durch. Der Angeklagte verpflichtete seine Tochter anschließend zur Geheimhaltung (Fall 1).
3
An einem Morgen rund vier Wochen später forderte der Angeklagte seine Tochter im häuslichen Wohnzimmer auf, ihn manuell zu befriedigen.Dem kam die Geschädigte nach und führte den Handverkehr an ihrem Vater bis zum Samenerguss durch (Fall 2). An einem Morgen in der Zeit vom 15. Januar 2008 bis zum 1. März 2009 ging die Geschädigte in das elterliche Schlafzimmer. Ihre Stiefmutter war aus nicht feststellbaren Gründen nicht anwesend und die Geschädigte wollte fragen, wann der Angeklagte aufstehen und Frühstück für sie und ihre Geschwister machen würde. Dem Wunsch des Angeklagten, zunächst den Handverkehr an ihm durchzuführen, kam die Geschädigte nach (Fall 3). Kurze Zeit nach dem 1. März 2009 bat der Angeklagte die damals 11jährige Geschädigte eines Abends erneut, ihn manuell zu befriedigen. Da die Geschädigte zunächst nicht wollte, wies der Angeklagte sie daraufhin, dass sie seiner Bitte, wenn sie ihn wirklich liebe, auch nachkommen solle. Daraufhin schloss er das Wohnzimmer ab und die Geschädigte führte den Handverkehr an ihm durch (Fall 4). Im Jahr 2010, als die Geschädigte 12 oder 13 Jahre alt war und sich ihre Stiefmutter für einige Tage im Krankenhaus aufhielt, wurde sie am Morgen von ihren Geschwistern in das elterliche Schlafzimmer geschickt, um nach dem Frühstück zu fragen. Auf Aufforderung des Angeklagten zog sie sich aus und setzte sich nackt auf seinen Penis, wobei er sich bis zum Samenerguss an ihr rieb und ihr währenddessen Zungenküsse gab (Fall 5). Zwischen dem 30. März 2011 und 30. Juni 2011 fragte die nunmehr 14jährige Geschädigte wiederum morgens nach dem Frühstück. Die Stiefmutter A. war bereits aufgestanden und fütterte draußen die Kaninchen. Die Geschädigte setzte sich nackt auf den Penis des Angeklagten, der sich an ihr rieb und dabei einen Finger in ihre Scheide einführte, was die Geschädigte schmerzte (Fall 6). Im gleichen Zeitraum betrat der Angeklagte an einem Tag, an dem alle anderen Familienmitglieder außer Haus waren, das Kinderzimmer der Geschädigten. Auf Geheiß des Angeklagten führte sie den Handverkehr an ihm durch (Fall 7). Circa 2-4 Wochen vor dem 21. Juni 2012 führte die Geschädigte anlässlich des morgendlichen Fragens nach dem Frühstück letztmalig den Handverkehr an dem Angeklagten durch (Fall 8).
4
Während des gesamten Tatzeitraums sprach die Geschädigte – außer einmal gegenüber ihrem Stiefbruder – mit niemanden über die Vorfälle. Sie fühlte sich aufgrund der Aufforderung des Angeklagten zur Geheimhaltung verpflichtet. Auch während einer zwischen 2009 bis Sommer 2012 durchgeführten Psychotherapie offenbarte sie sich nicht. Diese Behandlung bezog sich allein auf die Aufarbeitung der körperlichen Gewalt, die die Geschädigte von einer früheren Lebensgefährtin des Angeklagten erfahren hatte.
5
Am 21. Juni 2012 wurde die Geschädigte bei einem Ladendiebstahl erwischt. Als die Polizei sie heimbrachte, floh sie in den Wald, wo sie sich bis zum Abend aufhielt und sich mit einer Schere Ritzverletzungen beibrachte. Mit dem „Ritzen“ hatte sie schon einige Monate zuvor begonnen. Gegen Abend begab sie sich freiwillig und weinend zur Polizei. Dort berichtete sie zögerlich erstmals auch von den Missbrauchshandlungen, die mit einem Oralverkehr im Auto begonnen und zuletzt vor ca. 2 bis 4 Wochen stattgefunden hätten. Da sie nicht mehr nach Hause wollte und Suizidgedanken äußerte, wurde sie in der Kinderund Jugendpsychiatrie untergebracht. Dort wurde sie ermutigt, die Vorwürfe gegen ihren Vater nicht fallen zu lassen. Am 11. Juli 2012 wurde sie erstmals polizeilich und im März 2013 richterlich vernommen. Im Februar 2014 erfolgte eine Befragung durch die Sachverständige.
6
Die Geschädigte lebt seit Sommer 2012 in einer Pflegefamilie. Sie hat den Realschulabschluss erreicht und strebt das Abitur an. Sie gibt sich erhebliche Mitschuld an dem Geschehen, weil sie mitgemacht habe, und hat ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Stiefmutter A. , die sie sehr mochte.
7
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Es ist davon überzeugt, dass deren Angaben einem tatsächlichen Erleben entsprechen und glaubhaft sind.

II.

8
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
9
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält – auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) – sachlich -rechtlicher Überprüfung nicht stand.
10
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 - 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; BGH, Urteil vom 27. Juli 1994 – 3 StR 225/94, StV 1994, 580).
11
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen im Kern „Aussagegegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an die Tragfähigkeit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; BGH, Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 18. Juni 1997 - 2 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14; BGH, Beschluss vom 12. November 1998 – 4 StR 511/98, NStZ-RR 1999, 139). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der be- lastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656,657).
12
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter einem durchgreifenden Erörterungsmangel.
13
Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, von ihrem eigenen Fehlverhalten abzulenken. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Geschädigte im Alter von neun Jahren wahrheitswidrig behauptet hatte, entführt worden zu sein, als entdeckt worden war, dass sie einen unerlaubten Fahrradausflug gemacht hatte. Die Strafkammer hat das Ablenken von eigenem Fehlverhalten als Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass der Ladendiebstahl zum Zeitpunkt ihrer Offenbarung tatsächlich schon entdeckt war und nicht mehr verschleiert werden konnte. Ein Ablenkungsmotiv würde auch nur die Erstbezichtigung erklären, nicht aber, dass die Geschädigte um eines vergleichbaren geringfügigen Vorteils willen – anders als bei der Entführungsgeschichte , bei der sie ihre Lüge bald eingeräumt hatte – ihre Angaben über Jahre hinweg aufrechterhalten habe und in eine Pflegefamilie gewechselt sei. Im Übrigen habe die Geschädigte schon zuvor einem ihrer Stiefbrüder gegenüber offenbart, dass sie den Angeklagten auf dessen Wunsch befriedige.
14
Das Landgericht hat es jedoch versäumt, im Rahmen der Prüfung, ob die Geschädigte möglicherweise nur von eigenem Fehlverhalten ablenken wollte, sich auch damit auseinanderzusetzen, warum sie sich am 21. Juni 2013 ohne Weiteres gegenüber den Polizeibeamten offenbarte, wohingegen sie dazu ge- genüber ihrer Psychotherapeutin, die sie zwischen 2009 bis Sommer 2012 behandelt hatte, nicht bereit war. Zwar bezog sich die therapeutische Behandlung allein auf die Aufarbeitung der von der Geschädigten erlittenen körperlichen Gewalt. Allein aber der Hinweis der Strafkammer, die Geschädigte sei nicht bereit gewesen, dort ihre Missbrauchserfahrungen zu thematisieren, weil sie keinen Grund dafür gesehen habe, diese therapeutisch aufzuarbeiten und auch nicht gewusst habe, was es diesbezüglich zu erörtern gegeben haben solle, erklärt nicht, weshalb sie sich gegenüber den Polizeibeamten trotz der ihr vom Angeklagten auferlegten Geheimhaltungspflicht offenbaren konnte.
15
Ein Erörterungsmangel liegt letztlich aber auch darin, dass die Strafkammer sich nicht damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, die nach ihrer Offenbarung am 21. Juni 2012 wegen Selbsttötungsabsicht in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war, dort „im weiteren Verlaufe der Behandlung dazu ermutigt [worden war], die Vorwürfe gegen ihren Vater nicht fallen zu lassen“. Offen bleibt schon, weshalb die Geschädigte überhaupt „ermutigt“ werden musste und inwiefern ein „fallen lassen“ der Vorwürfe zu besorgen war.
16
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der verfahrensrechtlich gebotenen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. Die Adhäsionsentscheidung bleibt hiervon unberührt (vgl. Senat, Urteil vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, 98); Im Übrigen wird auf den Anfragebeschluss des Senats vom 8. Oktober 2014 (2 StR 137/14 und 337/14, NStZ-RR 2015, 382) verwiesen.
17
Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Nach den Feststellungen war die Vollstreckung der im Rahmen der Bildung der ersten Gesamtfreiheitsstrafe einbezogenen Freiheitsstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Melsungen vom 30. Juni 2011 zur Bewährung ausgesetzt worden. Die dem Angeklagten hierbei auferlegte Bewährungsauflage der Ableistung von 100 Arbeitsstunden hatte dieser in der Folge umfassend erfüllt. Angesichts dieser Feststellungen hätte sich die Strafkammer gedrängt sehen müssen, die Voraussetzungen für eine Anrechnung auf Bewährungsauflagen erbrachter Leistungen gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB i.V.m. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB zu prüfen und in den Urteilsgründen zu erörtern (vgl. Senat, Beschluss vom 7. März 2001 - 2 StR 43/01). Nach dieser Regelung sind Leistungen, die auf Bewährungsauflagen nach § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 StGB erbracht worden sind, entgegen der Auffassung des Landgerichts (vgl. UA S. 45) nicht bei der Bemessung der Gesamtstrafe zu berücksichtigen, sondern durch eine die Vollstreckung verkürzende Anrechnung auf die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe auszugleichen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1990 - 1 StR 283/89, BGHSt 36, 378, 381 ff.). Fischer Krehl Eschelbach Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 89/05
vom
21. April 2005
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs einer widerstandsunfähigen Person u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. April 2005 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 3. Mai 2004 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer als Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Jugendlichen in zwei Fällen (II 1. b) und c) der Urteilsgründe) sowie wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes (Fall II. 2 b) der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet und ihn zur Zahlung von Schmerzensgeld an die Geschädigten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, so daß es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.
1. a) Nach den Feststellungen zu den Fällen II 1. b) und c) der Urteilsgründe lernte der Angeklagte den unter einer „mittelschwere(n) geistige(n) Behinderung“ (UA 24/25) leidenden 15jährigen Ronny M. im Frühjahr 2002 kennen. Er traf sich in der Folgezeit häufiger mit ihm. Als Ronny den Angeklagten nach Geld fragte, versprach dieser ihm 10 Euro. Er nahm den Jungen daraufhin mit in seine Wohnung, in der es im Sommer 2003 zu folgenden Handlungen kam:
Nachdem sich Ronny und der Angeklagte entkleidet hatten, führte der Angeklagte erst einen Finger und später zumindest teilweise seinen erigierten Penis in den After des Jungen ein, um sich sexuell zu befriedigen. Dies tat dem Jungen, „der es auch widerlich fand“ (UA 17), weh (Fall II 1.b).
An einem anderen Tag versuchte der sexuell erregte Angeklagte erneut den Analverkehr, was ihm jedoch nicht gelang, da der Junge sich wegdrehte und den Angeklagten wegschubste. Der Angeklagte befriedigte sich daraufhin selbst und ejakulierte auf das Gesäß des Jungen (Fall II 1.c).
Da der Geschädigte die ihm versprochenen 10 Euro nicht erhielt, fühlte er sich von dem Angeklagten „verarscht“ (UA 18) und sprach „über die Sache“ mit einer älteren Frau, die er zufällig getroffenen hatte. Diese informierte den Pflegevater des Geschädigten, der daraufhin am 29. Juli 2003 Anzeige bei der Polizei erstattete.

b) Die Verurteilung des Angeklagten in diesen Fällen hat keinen Bestand , weil die Annahme des Landgerichts, der Geschädigte sei widerstands-
unfähig im Sinne von § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB gewesen, durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Sie ist nicht ausreichend mit Tatsachen belegt.
aa) Widerstandsunfähig im Sinne des § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist, wer aus den dort genannten Gründen keinen zur Abwehr ausreichenden Widerstand bilden, äußern oder durchsetzen kann. Dabei genügt, daß das Opfer nur vorübergehend widerstandsunfähig ist. Als Ursache einer solchen Unfähigkeit kommen nicht nur geistig-seelische Erkrankungen sondern auch sonstige geistig -seelische Beeinträchtigungen in Betracht, die sich etwa aus einem Zusammentreffen einer besonderen Persönlichkeitsstruktur des Opfers und seiner Beeinträchtigung durch die Tatsituation ergeben (BGHR StGB § 179 Abs. 1 Widerstandsunfähigkeit 1). Die bloße Feststellung einer geistigen Behinderung allein genügt für die Annahme von Widerstandsunfähigkeit aber nicht (BGH NStZ 2003, 602; BGH, Beschluß vom 26. Januar 2005 - 2 StR 456/04; Tröndle /Fischer StGB 52. Aufl. § 179 Rdn. 9, 11). Der Tatrichter hat vielmehr - gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen - auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung , in die auch das aktuelle Tatgeschehen einzubeziehen ist, die geistig-seelische Verfassung des Opfers und deren Auswirkung auf das Opferverhalten zu prüfen, wobei für die Beurteilung der relevanten geistigseelischen Beeinträchtigung die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Frage der Bewußtseinsstörung und seelischen Abartigkeit eines Täters entsprechend anwendbar sind (BGHSt 36, 145, 147). Das Urteil läßt nicht erkennen, daß die Jugendkammer diese Prüfung vorgenommen hat.
bb) Insoweit fehlt es bereits an der gebotenen näheren Darlegung zum Zustand des Jungen und dessen Auswirkungen auf die Fähigkeit, eine sexuelle Mißbrauchssituation zu erkennen und einen Widerstandswillen zu bilden. Al-
lein der pauschale Hinweis auf eine „mittelschwere geistige Behinderung (schwere Debilität)“ (UA 24/25) genügt dafür ebenso wenig wie die bloße Mitteilung , der Grad der Behinderung des Jungen werde „in seinem Schwerbehindertenausweis mit 100 angegeben“ (UA 17). Zweifel an einer Widerstandsunfähigkeit ergeben sich schon daraus, daß der Geschädigte dem Angeklagten ersichtlich nur wegen der ihm versprochenen 10 Euro in die Wohnung gefolgt ist und er die sexuellen Handlungen auch nur deswegen an sich hat vornehmen lassen. Dies belegt auch sein späteres Verhalten, indem er sich gegenüber der ihm bis dahin unbekannten Frau über den Angeklagten beschwerte, weil er das versprochene Geld nicht erhalten hatte. Zudem vermochte sich der Geschädigte im Fall II 1 c) dem Versuch des erneuten Analverkehrs dadurch zu widersetzen, daß er sich wegdrehte und den Angeklagten wegschubste. Mit diesen Umständen, die der Annahme entgegenstehen, der Geschädigte habe sich gerade aufgrund seiner geistigen Beeinträchtigung den sexuellen Übergriffen des Angeklagten nicht entziehen können, hätte sich die Jugendkammer näher auseinander setzen müssen.

c) Der neue Tatrichter wird deshalb das Vorliegen einer Widerstandsunfähigkeit des Geschädigten im Sinne des § 179 StGB erneut zu prüfen und dabei einen solchen Zustand von einer auf Unreife beruhenden eingeschränkten Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung im Sinne des § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB abzugrenzen haben (vgl. BGH, Beschluß vom 26. Januar 2005 – 2 StR 456/04). Soweit sich hiernach die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 179 StGB nicht feststellen lassen, kommt insoweit allerdings möglicherweise eine Verurteilung wegen Versuchs (§ 179 Abs. 3 StGB a.F.) in Betracht, sofern auch der neue Tatrichter zu der Feststellung gelangt, dem Angeklagten sei „bewußt (gewesen), daß Ronny M. geistig behindert und aufgrund dessen unfähig war,
die sexuellen Handlungen abzuwehren“ (UA 18). Im übrigen wird der neue Tatrichter eine Strafbarkeit des Angeklagten auch nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. StGB zu prüfen haben.
2. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall II 2 b) der Urteilsgründe wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes hält der rechtlichen Nachprüfung ebenfalls nicht stand.

a) Nach den insoweit vom Landgericht getroffenen Feststellungen saß der Angeklagte an einem nicht näher bestimmbaren Tag in einer der ersten Septemberwochen 2003 mit der damals siebenjährigen Katja L. zusammen mit deren seinerzeit 17jähriger Schwester, mit der er ein intimes Verhältnis hatte, sowie mit der Mutter der Mädchen im Wohnzimmer beim Fernsehen. Nachdem die Mutter aufgrund erheblichen Alkoholgenusses eingeschlafen war und die ältere Schwester entweder ebenfalls eingeschlafen war oder den Raum verlassen hatte, bewegte der Angeklagte seine Hand zunächst oberhalb der Kleidung und anschließend unterhalb der Kleidung außen am Geschlechtsteil des Kindes hin und her. Weil das Kind sich sträubte, hielt er es hierbei mit der anderen Hand an deren Armen fest. Als sich Katja „nun auch verbal bemerkbar machte“ (UA 19), ließ der Angeklagte von ihr ab.

b) Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen aufgrund der Angaben von Katja gewonnen, die es „trotz intellektueller Einschränkung“ des Mädchens (UA 28) für glaubhaft hält. Hierin sieht es sich bestätigt durch das Gutachten des zur Glaubwürdigkeit des Mädchens gehörten Sachverständigen. Zur Entstehungsgeschichte der Aussage hat die
Jugendkammer allerdings nicht feststellen können, wem sich das Kind als erstes offenbarte; fest stehe aber, daß Katja gemeinsam mit ihrer Schwester am Abend des 12. September 2003, möglicherweise in Begleitung ihres Bruders, zu ihrem Vater gegangen sei; Katja habe hier ihrem Vater mitgeteilt, daß der Angeklagte „ihr zwischen die Beine gefaßt“ habe (UA 27). Daß der Angeklagte im Ermittlungsverfahren einen sexuellen Übergriff bestritten hat, bewertet die Jugendkammer als „bloße Schutzbehauptung“ (UA 27).

c) Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Allerdings beschränkt sich, da die Beweiswürdigung in erster Linie Sache des Tatrichters ist, die revisionsgerichtliche Nachprüfung darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Ein sachlich-rechtlicher Fehler liegt u.a. dann vor, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden und der Tatrichter in einem Fall, in dem „Aussage gegen Aussage“ steht und die Entscheidung – wie hier – im wesentlichen davon abhängt, welcher Person das Gericht Glauben schenkt, nicht erkennen läßt, daß er alle Umstände, die seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGHSt 44, 153, 159; 256, 257; BGH NStZ 2000, 496, 497; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23). Bei der Aussage kindlicher bzw. jugendlicher Zeugen in Mißbrauchsfällen kommt zudem der Entstehungsgeschichte der Beschuldigung besondere Bedeutung zu (vgl. BGH StV 1994, 227; 1995, 6, 7; 1998, 250).
Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung, mit der sich die Jugendkammer dem Sachverständigen angeschlossen hat, angesichts der Besonderheiten des Falles nicht gerecht. Das Landgericht hätte, wenn es schon nicht feststellen konnte, wem sich das Kind als erstes offenbarte, „weil die Zeu-
gen … unterschiedliche Angaben machten“ (UA 27), die Widersprüche darstellen müssen, um die Entstehung der Erstaussage des Kindes – auch im Hinblick auf einen möglichen Einfuß von Dritten auf den Inhalt der Angaben des Kindes – für das Revisionsgericht nachvollziehbar zu würdigen. Eine nähere Auseinandersetzung mit der Aussageentstehung war zumal deshalb veranlaßt, weil das Landgericht auch nicht festzustellen vermochte, ob Katja „später ihrer Mutter von dem Vorfall berichtet hat und der Angeklagte die Tat gegenüber (der Mutter) daraufhin abgestritten hat und die Mutter deshalb nichts unternahm“ (UA 19/20). Insoweit hätte es der Darlegung bedurft, was Katja und ihre Mutter hierzu ausgesagt haben. Eine weiter gehende Erörterung der Aussageentstehung war auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil sich die Jugendkammer die eher allgemein gehaltenen Ausführungen des aussagepsychologischen Sachverständigen , der die Angaben von Katja „zum Nachweis der Schuld oder Unschuld des Angeklagten empfohlen“ hat (UA 28), zu eigen gemacht hat. Hinzu kommt, daß die Erwägung, mit der die Jugendkammer Eifersucht von Katja als mögliches Falschbelastungsmotiv ausgeschlossen hat, nicht ohne weiteres tragfähig ist. Daß Katja „von dem Angeklagten nicht dessen Liebe gewonnen, sondern durch ihre Äußerung gerade verloren“ hätte (UA 26), besagt über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Eifersucht nichts.
3. Die Aufhebung des Urteils im gesamten Schuld- und Strafspruch zieht die Aufhebung der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB nach sich.
Der neue Tatrichter wird – sofern er die formellen Voraussetzungen des § 66 StGB wiederum bejaht – Gelegenheit haben, die Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB, zu der sich das angefochtene Urteil nicht
verhält, in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen. Unter diesem Gesichtspunkt wird der neue Tatrichter eine umfassende Würdigung des Angeklagten und seiner Taten vorzunehmen haben. Dieser Aufgabe ist der Tatrichter nicht etwa deshalb enthoben, weil sich der gemäß § 246 a StPO gehörte psychiatrische Sachverständige „aufgrund des hohen Widerstandes gegenüber dem Gutachter und der Unzuverlässigkeit des Angeklagten bezüglich seiner Angaben und der damit verbundenen Informationsdefizite“ (UA 29) an der eindeutigen Diagnose einer dissozialen Persönlichkeitsstörung gehindert gesehen hat. Vielmehr ist es in einem solchen Fall Aufgabe des Gerichts , unter Mithilfe des Sachverständigen alle übrigen ihm – etwa auch aus den Vorstrafakten – zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen auszuschöpfen. Darüber hinaus hat der Sachverständige das Gericht auf - seiner Ansicht nach - aufklärungsbedürftige und für die Beurteilung wesentliche Punkte hinzuweisen , um durch weitere Aufklärung die Grundlage für seine gutachterliche Stellungnahme in dem von ihm selbst für erforderlich gehaltenen Maße verbreitern zu können (BGH NStZ 1994, 95, 96).
Der Senat weist darüber hinaus darauf hin, daß für den Fall, daß das neue Tatgericht zu einer erneuten Verurteilung des Angeklagten gelangt, die
Frage nachträglicher Gesamtstrafenbildung unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 26. November 2003 (UA 17) zu prüfen sein wird.
Maatz Kuckein Athing Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 73/03
vom
10. April 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der Vergewaltigung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. April
2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Dr. Kuckein,
Athing,
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Neben- klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 18. September 2002 werden verworfen.
2. Die Staatskasse und die Nebenklägerin tragen die Kosten des Revisionsverfahrens je zur Hälfte. Die notwendigen Auslagen des Angeklagten in der Revisionsinstanz trägt die Staatskasse allein.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der zum Nachteil der Nebenklägerin begangenen Vergewaltigung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Die - zulässigen - Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat festgestellt:
Am 18. Juli 2000 traf die zu diesem Zeitpunkt drogenabhängige 19jährige Nebenklägerin gegen 17.30 Uhr an einer Bushaltestelle auf den Angeklagten , der früher ebenfalls Drogenkonsum betrieben hatte. Sie erkundigte sich bei ihm nach einer nahegelegenen Bezugsquelle für Haschisch. Der Angeklagte suchte daraufhin mit ihr die Wohnung eines "Dealers" auf, in der die Nebenklägerin etwas Haschisch erwarb. Anschließend begleitete er sie zu ihrer
Wohnung. Auf wessen Initiative dies geschah, konnte nicht geklärt werden. In der Wohnung rauchten beide von dem zuvor gekauften Haschisch und tranken Bier. Während des Haschischkonsums bat die Nebenklägerin den Angeklagten , von dessen Mobiltelefon ihren Freund anrufen zu dürfen, mit dem sie sich für den Abend verabreden wollte, wozu dieser jedoch keine Zeit hatte. Anschließend kam es zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin zum ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß. Danach verließ der Angeklagte die Wohnung und begab sich zurück zu der besagten Bushaltestelle zu seinen Freunden. Dort wurde er kurze Zeit später von der Polizei festgenommen , nachdem die Nebenklägerin um 18.10 Uhr telefonisch angezeigt hatte, sie sei vergewaltigt worden.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen, weil es sich nicht davon zu überzeugen vermochte, daß der Angeklagte den Geschlechtsverkehr gegen den Willen der Nebenklägerin erzwungen hat.
Der Freispruch hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Spricht das Gericht den Angeklagten frei, weil es vorhandene Zweifel nicht zu überwinden vermag, so ist das grundsätzlich hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat aufgrund der Sachrüge nur zu prüfen, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gegen gesicherte Erfahrungssätze verstößt, ferner dann, wenn das Gericht an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen stellt. Einen solchen Sachmangel dekken die Revisionen nicht auf.

b) Der Angeklagte hat den Tatvorwurf bestritten. Eindeutige objektive Umstände, die einen erzwungenen Geschlechtsverkehr sicher belegen könnten , vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Deshalb hängt der Tatnachweis allein davon ab, ob den den Angeklagten belastenden Angaben der Nebenklägerin zu glauben ist. Daß deren Darstellung - wie das Landgericht gemeint hat - "wahrscheinlicher als die des Angeklagten" (UA 8) ist, hat die Strafkammer bei der gegebenen Sachlage, bei der letztlich "Aussage gegen Aussage" steht, zu Recht nicht als ausreichend für die Überzeugung von der Tatbegehung durch den Angeklagten erachtet. Entgegen der Auffassung der Revision fehlt es dem Urteil nicht an der gebotenen umfassenden Würdigung aller wesentlichen Umstände, die Schlüsse auch zu Ungunsten des Angeklagten ermöglichen (vgl. BGHSt 25, 285, 286). Dies gilt auch für die geringfügigen Verletzungen, die die sachverständige Zeugin Dr. K. bei der Untersuchung der Nebenklägerin festgestellt hat. Wenn das Landgericht, ersichtlich gestützt auf die Angaben der sachverständigen Zeugin, diese Verletzungen als mit der Einlassung des Angeklagten vereinbar angesehen hat, so deckt dies weder für sich noch in der Gesamtschau der Beweisanzeichen einen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf. Mit ihren Einwendungen unternimmt die Staatsanwaltschaft demgegenüber lediglich den im Revisionsverfahren untauglichen Versuch, die tatrichterliche Beweiswürdigung durch eine eigene Wertung zu ersetzen.
Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft weist die Beweiswürdigung auch zum Aussageverhalten der Nebenklägerin keine den Bestand des Freispruchs in Frage stellenden Lücken auf. Das Landgericht war nicht gehalten , im Urteil den wesentlichen Ablauf und Inhalt der Angaben der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren im Urteil wiederzugeben. Auch wenn das Aussage-
verhalten der Nebenklägerin sich - wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision geltend macht - durch Konstanz auszeichnete, mußte das Landgericht diesem Umstand im Rahmen der Beweiswürdigung keine besondere Bedeutung beimessen, die eine ausdrückliche Erörterung erforderlich gemacht hätte. Abgesehen davon, daß dem Senat ohne zulässige Verfahrensrüge die nur durch Rückgriff auf den Akteninhalt mögliche Überprüfung der von der Revision behaupteten Konstanz der Aussage versperrt ist, weisen die Urteilsgründe selbst aus, daß die Nebenklägerin jedenfalls in Teilbereichen gerade nicht konstant ausgesagt, sondern in der Hauptverhandlung gegenüber ihren früheren Aussagen teilweise ergänzende, teilweise abweichende Aussagen gemacht hat. Das Landgericht hat dem Aussageverhalten entnommen, daß die Nebenklägerin den Inhalt ihrer Aussage so gestaltet habe, daß sie selbst in einem möglichst günstigen Licht erscheine. Zugleich hat das Landgericht darin konkrete Anknüpfungspunkte für ein mögliches Falschbelastungsmotiv gefunden, zumal die Nebenklägerin selbst ihr damaliges Verhalten heute mißbilligt und - wie das Urteil mitteilt - "ihren Umgang mit 'asozialen Typen wie dem Angeklagten' mit ihrem zur Tatzeit durch den Drogenkonsum getrübten Einschätzungsvermögen erklärt hat" (UA 8).

c) Wenn die Strafkammer bei dieser Sachlage verbleibende Zweifel an der Aussage der Nebenklägerin nicht zu überwinden vermochte, so ist dies aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden, auch wenn eine andere Würdigung durchaus möglich gewesen wäre.
Tepperwien Maatz Kuckein
Athing Ernemann
9
b) Die Rechtsprechung stellt besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung in Konstellationen, in denen "Aussage gegen Aussage" steht (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.). Erforderlich sind insbesondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage (BGH, Beschluss vom 21. April 2005 - 4 StR 89/05), eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2003 - 4 StR 73/03), sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben. Dem wird das angefochtene Urteil gerecht. Erörterungslücken hinsichtlich wesentlicher Aspekte, Unklarheiten oder Widersprüche liegen nicht vor. Hervorzuheben ist nur Folgendes: