Bundesgerichtshof Beschluss, 13. März 2019 - 2 StR 380/18

bei uns veröffentlicht am13.03.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 380/18
vom
13. März 2019
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:130319B2STR380.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 13. März 2019 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 16. März 2018 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge „in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe, unerlaubtem Besitz von Munition und unerlaubter Überlassung einer halbautomati- schen Kurzwaffe“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Daneben hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
2
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
3
1. Die Verfahrensrüge ist aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.
4
2. Das von der Revision geltend gemachte Verfahrenshindernis einer anderweitigen Rechtshängigkeit im Fall II.1 der Urteilsgründe, betreffend die Tat vom 12. Dezember 2015, besteht nicht.
5
a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
6
Mit dem am 8. Februar 2016 – antragsgemäß – erlassenen Strafbefehl war dem Beschwerdeführer zur Last gelegt worden, gegen „§§ 52 Abs. 3 Nr. 8, 42 Abs. 1, 2Abs. 3 WaffG“ verstoßen zu haben, indem er „am 12.12.2015 in O. einer vollziehbaren Anordnung nach § 41 Abs. 1 Waffenge- setz zuwider“ ein Einhandmesser bei sich getragen habe, obwohl ihm der Be- sitz von Waffen jeglicher Art verboten gewesen sei. Nachdem der Angeklagte hiergegen fristwahrend und unbeschränkt Einspruch eingelegt hatte, stellte das Amtsgericht das Strafbefehlsverfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluss vom 7. Juni 2016 im Hinblick auf Fall 1 der dem hiesigen Verfahren zugrundeliegenden Anklageschrift vom 22. März 2017 nach § 154 Abs. 2 StPO ein. Darin wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, am „12.12.2015 in der Gaststätte ‚S. ‘ in der K. straße in O. “ mit – näher beschriebe- nen – Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben, wobei sich in einer Schublade der Gaststätte sowie in seiner linken Jackentasche jeweils ein Einhandmesser befunden habe. Unter dem 7. September 2017 erklärte die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Amtsgericht Offenbach am Main die Rücknahme ihres Strafbefehlsantrags (Bl. 1041 d.A.).
7
b) Der Strafbefehl konnte – was der Senat im Freibeweisverfahren geklärt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. März 2001 – StB 4 u. 5/01, BGHSt 46, 349, 351 ff. und vom 22. August 2001 – 5 StR 431/00, NStZ 2001, 656, 657; Urteil vom 1. August 2018 – 3 StR 651/17, BeckRS 2018, 33425) – hier keine anderweitige Rechtshängigkeit der verfahrensgegenständlichen Tat bewirken, da er – entgegen der Annahme von Generalbundesanwalt und Landgericht – auf einen unwirksamen Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Darmstadt hin erlassen worden war. Dem liegen folgende rechtliche Erwägungen zugrunde :
8
aa) Die Anklageschrift hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen (§ 264 StPO), dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO); sie muss sich von anderen gleichartigen Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (Umgrenzungsfunktion – st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45 und vom 25. September 2014 – 4 StR 69/14, BGHR StPO § 154 Abs. 2 Verfahrenshindernis 1; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 200 Rn. 7; KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 200 Rn. 3 jeweils mwN). Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (vgl. u. a. BGH, Beschluss vom 8. August 1996 – 4 StR 344/96, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 20). Die Identität des geschichtlichen Vorgangs muss feststehen; es darf kein Zweifel über die verfahrensgegenständlichen Taten im prozessualen Sinn eintreten. Welche Angaben hierfür erforderlich sind, lässt sich allerdings nicht für alle Fälle in gleicher Weise sagen. Die einzelnen Faktoren der Tatkonkretisierung können von Fall zu Fall unterschiedliches Gewicht besitzen und durch größere Genauigkeit jeweils anderer Umstände ersetzt oder verdrängt werden (vgl. BGH, Urteile vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45 ff. und vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 155). Fehlt es an einer hinreichenden Konkretisierung, so ist die Anklage unwirksam (vgl. nur BGH, Urteile vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45; vom 22. August 2001 – 5 StR 431/00, NStZ 2001, 656, 657; Senat, Urteil vom 28. April 2006 – 2 StR 174/05, NStZ 2006, 649 f.; BGH, Urteile vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 und vom 9. August 2011 – 1 StR 194/11, BeckRS 2011, 21849; ferner KK-StPO/ Schneider, aaO).
9
bb) Dies gilt gleichermaßen für den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls. Durch ihn wird – von § 407 Abs. 1 Satz 4 StPO gesetzlich klargestellt – im Strafbefehlsverfahren die öffentliche Klage erhoben (§ 170 Abs. 1 StPO); die Antragsschrift steht der Anklageschrift gleich (vgl. BT-Drucks. 10/1313, S. 35; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Mai 1988 – 3 Ws 85/87, JR 1989, 435, 437 mit Anm. Rieß; OLG Stuttgart, Beschluss vom 12. Juli 1996 – 2 Ss 292/96, NJW 1996, 2879; OLG Oldenburg, Beschluss vom 15. August 2006 – Ss 247/06 [I 80], BeckRS 2006, 09761; OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Februar 2012 – 1 St OLG Ss 240/11, BeckRS 2012, 5180; BayObLG, Beschluss vom 9. Februar 2001 – 5 St RR 21/01, StV 2002, 356; OLG Karlsruhe, Urteil vom 26. April 2004 – 1 Ss 189/04, StV 2005, 598). Nach antragsgemäßem Erlass des Strafbefehls übernimmt dieser für die Hauptverhandlung die Funktion des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BT-Drucks. aaO; ferner nur MeyerGoßner /Schmitt, aaO, § 411 Rn. 3; KK-StPO/Maur, aaO, § 411 Rn. 8), so dass mit Blick auf diese Funktionsgleichheit und auch zur Bestimmung des Umfangs einer möglichen späteren Rechtskraft an die unerlässliche Tatkonkretisierung im Strafbefehlsverfahren (vgl. § 409 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO) regelmäßig keine geringeren Anforderungen als an den Anklagesatz zu stellen sind.
10
c) Hieran gemessen erweist sich der Strafbefehlsantrag wegen fehlender tatkonkretisierender Angaben als unwirksam. Die für sich genommen bereits wenig spezifisch beschriebene Tathandlung wird hier weder durch konkrete Angaben zum Tatort noch durch solche zu einer näher bestimmten Tatzeit individualisiert. Der Antrag beschränkt sich insoweit auf die Mitteilung des Namens einer Großstadt und eines Datums. Auch die gebotene Gesamtschau von An- klagesatz und sonstigem Inhalt des Strafbefehlsantrags ermöglicht hier keine Tatkonkretisierung. Die mitgeteilten angewendeten Vorschriften sind widersprüchlich. Ihnen ist ausdrücklich der Tatvorwurf nach § 52 Abs. 3 Nr. 8 WaffG zu entnehmen; zugleich scheinen sie allerdings auch auf § 52 Abs. 3 Nr. 9 WaffG Bezug zu nehmen und damit ein vollständig anderes Tatgepräge – Führen von Waffen bei öffentlichen Veranstaltungen (§ 42 WaffG) – nahezulegen. Individualisierende Hinweise sind schließlich auch der Angabe zum Augen- scheinsobjekt in der Beweismittelliste nicht zu entnehmen („Einhandmesser“).
11
d) Auf die – angesichts dessen auch nicht mit der notwendigen Sicherheit zu beantwortende – Frage, ob Fall II.1 der Urteilsgründe und das Strafbefehlsverfahren die nämliche Tat zum Gegenstand haben (§ 264 StPO), kommt es deshalb hier nicht an. Ebenso ohne Bedeutung ist die – vom Landgericht bejahte (UA S. 24 f.) – Frage, ob die Staatsanwaltschaft trotz vorläufiger Einstellung des Strafbefehlsverfahrens und ohne vorherige Wiederaufnahme des Verfahrens (vgl. § 154 Abs. 5 StPO) ihren Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wirksam zurücknehmen konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 1990 – 5 StR 48/90, BGHSt 36, 361, 363).
12
3. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zu Ungunsten des Beschwerdeführers ergeben. Ein in der Strafbemessung etwa zu berücksichtigendes schutzwürdiges Vertrauen des Angeklagten darauf, dass Fall II.1 der Urteilsgründe wegen vermeintlicher an- derweitiger Rechtshängigkeit nicht verfolgt würde, bestand hier erkennbar nicht (vgl. UA S. 24; vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juli 2008 – 4 StR 210/08, BeckRS 2008, 20932). Franke Appl Eschelbach Meyberg Wenske

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

5 StR 431/00

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 22. August 2001
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. August
2001, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf
als Vorsitzender,
Richter Dr. Bode,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 8. Mai 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Die Staatsanwaltschaft Dresden hat dem Angeklagten mit der zugelassenen Anklageschrift vorgeworfen, in der Zeit vom 1. Januar 1997 bis Mai 1997 in insgesamt 14 näher beschriebenen Fällen mit Betäubungsmitteln (Kokain u. a.) in jeweils nicht geringen Mengen unerlaubt Handel getrieben zu haben. Das Landgericht hat das Verfahren durch Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt, weil die angeklagten Taten schon Gegenstand eines früheren Verfahrens gewesen seien (Landgericht Dresden, Aktenzeichen : 4 KLs 423 Js 61496/97), dieses insoweit nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt worden und eine Wiederaufnahme (§ 154 Abs. 4 StPO) nicht erfolgt sei. Mit ihrer – vom Generalbundesanwalt letztlich vertretenen – Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit der “Aufklärungsrüge” beanstandet sie, daß das erkennende Gericht keine Beweisaufnahme durchgeführt habe. Dem Rechtsmittel ist ein Erfolg nicht zu versagen.

Der Senat hat das im angefochtenen Urteil angenommene Verfahrenshindernis von Amts wegen im Freibeweisverfahren zu prüfen (vgl. Pfeiffer in KK 4. Aufl. Einleitung Rdn. 133). Deshalb ist unerheblich, daß die Ausführungen der Beschwerdeführerin in der Revisionsbegründung den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügen. Die Prüfung ergibt, daß die Einstellung des früheren Verfahrens hinsichtlich des Falles 54 der damaligen Anklageschrift vom 20. März 1998 gemäß § 154 Abs. 2 StPO für die hier angeklagten Taten schon deshalb keine Sperrwirkung (vgl. dazu Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 154 Rdn. 41, 50) entfalten konnte, weil sie diese Taten nicht erfaßte.
Sofern kein besonderer Vertrauensschutz gemäß dem Fairneßgrundsatz greifen sollte, kommt eine aus § 154 Abs. 2 StPO folgende Sperrwirkung nicht in Betracht, wenn es hierfür an einer wirksamen, ausreichend konkreten Anklageerhebung gefehlt hat (vgl. BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 – Tat 13). Nach ständiger Rechtsprechung hat die Anklageschrift die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, daß die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche Tat gemeint ist; die Tat muß sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (BGHSt 40, 44, 45; 40, 390, 391; zusammenfassend Kuckein StraFo 1997, 33, 36). Diesen Anforderungen genügt die im “Alt-Verfahren” erhobene Anklage in Fall 54 weitgehend nicht.
Die damalige – unverändert zugelassene – Anklage lastete dem Angeklagten insoweit (gewerbsmäßiges) unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln an. Ihm wurde vorgeworfen, “bis zu seiner Festnahme am 30. Oktober 1997 verschiedene Betäubungsmittel, wie Cannabis, Cannabisprodukte , MDMA, MDE und Kokain, an Zwischenhändler und Drogenabhängige in Dresden und Umgebung veräußert zu haben, um dadurch Gewinne für sich zu erzielen”. Der Angeklagte habe das Rauschgift vor dem Verkauf auf einer Feinwaage abgewogen und portioniert, durch Zugabe von Lactose und Mannit gestreckt und verkaufsfertig in zuvor angefertigte Faltbriefchen verpackt. Bei der Durchsuchung am 30. Oktober 1997 sei eine Vielzahl von Gegenständen und Substanzen gefunden worden, welche diesem Zweck zu dienen geeignet und bestimmt gewesen seien.
Es fehlte hiermit bereits weitgehend an einer hinreichend deutlichen Eingrenzung des Tatzeitraumes. Die Angabe, daß der Anklagte bis zu seiner Festnahme am 30. Oktober 1997 mit Betäubungsmitteln gehandelt habe, läßt für sich offen, wann er diese Handlung(en) frühestens begangen haben könnte. Der ergänzende Hinweis im wesentlichen Ermittlungsergebnis – auf welches zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes zurückgegriffen werden darf (BGHSt 46, 130, 134; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 – Tat 12; jeweils m.w.N.) –, der Angeklagte habe spätestens im Januar 1996 mit dem Verkauf von Betäubungsmitteln begonnen, trägt zur näheren Konkretisierung des hier maßgeblichen Anklagepunktes 54 nicht bei; ersichtlich ist mit dieser Zeitangabe der Beginn der ersten weiteren 53 Taten gemeint. Eine zeitlich nur sehr vage Beschreibung des Tatvorwurfs führt zwar nicht zwingend zur Annahme eines Verfahrenshindernisses (vgl. BGHSt 44, 153, 154 ff.; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 – Anklagesatz 2; Tat 13, 14). Doch läßt die Anklage darüber hinaus jedwede Information zu Teilakten des Handeltreibens, insbesondere zu einzelnen Erwerbs- oder Veräußerungshandlungen, zu Art und Menge von Betäubungsmitteln, zu Geschäftspartnern und ähnlichem vermissen.
Soweit unter Ziffer 54 im Anklagevorwurf mitgeteilt wird, daß bei der Festnahme des Angeklagten am 30. Oktober 1997 in dessen Wohnung noch kleinere Mengen und Anhaftungen verschiedener, im einzelnen bezeichneter Betäubungsmittel gefunden worden sind, ist damit freilich der Umgang mit diesen Betäubungsmitteln hinreichend konkretisiert; insoweit ist ein Teilakt gewerbsmäßigen Handeltreibens (noch) ausreichend angeklagt. Ferner läßt sich aus der zeitlichen Abfolge der angeklagten Taten und dem Zusammenhang zwischen den Anklagepunkten 53 (Handeltreiben bis zum 13. Oktober 1997) und 54 allenfalls noch eine konkrete Anklage gewerbsmäßigen Handeltreibens ab dem 14. Oktober 1997 aus der Anklage herauslesen. Keinesfalls bestehen aber Anhaltspunkte dafür, daß zwischen einem so verstandenen Tatvorwurf und den neuerlich angeklagten Taten irgendein Zusammenhang besteht, zumal letztere ausweislich der Anklage schon im Mai 1997, somit fünf Monate zuvor beendet gewesen sein sollen.
Bei dieser Sachlage kann offenbleiben, inwieweit eine frühere Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO gegenüber einer neuerlichen Strafverfolgung bei Hinzutreten erschwerender Umstände Sperrwirkung entfalten kann (vgl. dazu BGH NStZ 1986, 36 m. Anm. Rieß).
Der beträchtliche Zeitablauf seit Begehung der hier angeklagten Taten und der Vorlauf dieses Verfahrens, der dem Angeklagten nicht anzulasten ist, wird vom neuen Tatrichter ganz erheblich zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen sein.
Basdorf Bode Gerhardt Raum Brause

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 651/17
vom
1. August 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:010818U3STR651.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 17. Mai 2018 in der Sitzung am 1. August 2018, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof Gericke, Dr. Berg, Hoch, Dr. Leplow als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht - in der Verhandlung -, Richterin am Amtsgericht - bei der Verkündung - als Vertreterinnen der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger des Angeklagten C. M. ,
Justizhauptsekretärin - in der Verhandlung -, Justizamtsinspektor - bei der Verkündung - als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

1.


Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 5. Mai 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieser Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten C. M. gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Der Angeklagte C. M. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten C. M. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung , mit versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung und mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung von sechs Einzelstrafen aus zwei anderweitigen Entscheidungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, den Angeklagten M. M. wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung, mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung sowie den Angeklagten S. wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung, mit gefährlicher Körperverletzung und mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der Strafe aus einer anderweitigen Entscheidung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten. Daneben hat das Landgericht die Unterbringung der Angeklagten C. M. und S. in einer Entziehungsanstalt jeweils unter Bestimmung des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe angeordnet.
2
Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihren zuungunsten der Angeklagten eingelegten und vom Generalbundesanwalt überwiegend vertretenen Revisionen die Verletzung materiellen Rechts. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte C. M. mit seiner Revision, mit der er ein Verfahrenshindernis geltend macht. Zudem erhebt er die Sachrüge und beanstandet die Verletzung formellen Rechts. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führen zu Lasten der drei Angeklagten zur Aufhebung des Urteils. Die Revision des Angeklagten C. M. ist unbegründet.

I.

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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Der - wegen Handeltreibens mit Amphetaminen in drei Fällen (Tatzeitraum zwischen Juni 2013 bis Januar 2014) anderweitig rechtskräftig verurteilte - Angeklagte C. M. schlug den beiden Mitangeklagten und dem gesondert Verfolgten Ma. an einem nicht genau bestimmbaren Tag im Zuge seiner mehrtägigen Geburtstagsfeier um den 3. September 2013 in seiner Wohnung in So. vor, zwei unbekannt gebliebenen Männern aus K.
Ecstasy-Pillen notfalls mit Gewalt abzunehmen. Diese Drogen wollte er überwiegend verkaufen und den Erlös für sich behalten. Die Mitangeklagten und Ma. stimmten seinem Vorschlag zu. Sie wollten ihn unterstützen, weil sie sich wegen der Einladung zur Feier und des großzügigen Versorgens mit Drogen dazu verpflichtet fühlten, der Angeklagte M. M. zudemals jüngerer Bruder, der Angeklagte S. aus Freundschaft im Milieu des Motorradclubs Bandidos. Der Angeklagte C. M. rief die Drogenhändler an und gab vor, die Betäubungsmittel kaufen zu wollen; um das Drogengeschäft abzuwickeln , sollten die den Angeklagten unbekannten Männer zur Wohnung kommen. Der Angeklagte C. M. gab dem Angeklagten S. einen Baseballschläger und begab sich in den Hof, nur wenige Meter vom Hausflur entfernt. Die anderen versteckten sich im dunklen Erdgeschoss; der Angeklagte M. M. stellte sich auf die Treppe, um den Drogenhändlern die Flucht in die oberen Stockwerke zu verwehren.
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Zunächst erschien indes der Zeuge Sch. , mit dem alle Angeklagten befreundet waren. Der Angeklagte C. M. begrüßte Sch. und sagte ihm, er könne sich zu den anderen Gästen in die Wohnung begeben. Für den Angeklagten C. M. war vorhersehbar, dass die anderen Sch. mit den Drogenhändlern verwechseln könnten. Er ging jedoch davon aus, dass sie Sch. rechtzeitig erkennen würden; er unterließ es daher, sie oder Sch. zu warnen. Die Angeklagten M. M. und S. sowie Ma. hielten allerdings in der Dunkelheit Sch. für einen der Drogenhändler. Der Angeklagte S. schlug daher in Befolgung der Abrede dem Sch. , der mit keinem Angriff rechnete, mit dem Baseballschläger auf die Nase, die dadurch brach. Sch. begab sich in die obere Wohnung und ließ von der Zeugin E. seine Nase richten.
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Kurz danach trafen die beiden Drogenhändler ein, die der Angeklagte C. M. in das Haus schickte. Obwohl der Angeklagte S. den Baseballschläger nicht mehr einsetzen wollte, hielt er ihn weiterhin in der Hand; die Drogenhändler nahmen den Schläger nicht wahr. Jedenfalls 'nötigten' ihnen die "zahlenmäßig überlegenen" Angeklagten "mit einfacher körperlicher Gewalt" 500 Ecstasy-Tabletten 'ab'. Mit den übrigen Partygästen konsumierten sie davon höchstens 100 Tabletten. Die restlichen 400 Pillen veräußerte der Angeklagte C. M. und vereinnahmte den Erlös. Der Gesamtwirkstoffgehalt der Tabletten betrug nach den Schätzungen des Landgerichts mindestens 4,64 Gramm einer 3,4-Methylendioxy-Derivat-Base (MDMA bzw. MDE) bzw. 2,32 Gramm Meta-Chlorphenylpiperazin-Base (m-CPP).
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2. Das Landgericht hat dieses Geschehen u.a. wie folgt gewürdigt:
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a) Den Angriff auf Sch. hat es als versuchte besonders schwere räuberische Erpressung (§§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB) gewertet. Da sich nicht habe feststellen lassen, ob die Angeklagten den Drogenhändlern die Tabletten abnehmen oder aber sich aushändigen lassen wollten, seien die Vorschriften §§ 253, 255 StGB als das allgemeinere Delikt anzuwenden. Da die Verwechslung des Tatopfers nicht außerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren gelegen habe, sei S. s Irrtum ("error in persona") für den Angeklagten C. M. als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) unbeachtlich.
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b) Beim Angriff auf die Drogenhändler seien den Angeklagten ihre Einlassungen , sie hätten den Baseballschläger nicht eingesetzt, nicht zu widerlegen. Denn das Locken in den Hinterhalt zusammen mit ihrer Überzahl habe ausgereicht, um in den Besitz der Drogen zu gelangen. Insoweit sei daher das (weitergehende) Qualifikationsmerkmal des Verwendens des gefährlichen Werkzeugs (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) nicht nachzuweisen, sondern (nur) dessen Mitsichführen (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB).
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c) Mangels geeigneter Schätzungsgrundlagen für die nicht sichergestellten Ecstasy-Tabletten wie etwa Preis, Herkunft, Begutachtungen von aus derselben Quelle stammenden Drogen oder verlässlicher Angaben zu ihrer Qualität und angesichts der erfahrungsgemäß stark schwankenden Wirkstoffkonzentrationen hat sich das Landgericht veranlasst gesehen, vom statistischen Durchschnittswert der im Jahr 2010 sichergestellten Betäubungsmittel von 58 Milligramm MDMA-Base pro Konsumeinheit einen Sicherheitsabschlag von 80 % vorzunehmen. Gemessen an 400 Konsumheiten ergebe sich damit ein Wirkstoffgehalt von 4,64 Gramm MDMA-Base. In gleicher Weise hat das Landgericht den Wirkstoffgehalt bei Annahme einer m-CPP-Base bei einem Durchschnittswert von 30 Milligramm pro Konsumeinheit aus dem Jahr 2010 mit 2,32 Gramm bestimmt.
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d) Das Landgericht hat das Geschehen - wie angeklagt - als tateinheitlich begangen (§ 52 Abs. 1 Alternative 1 StGB) beurteilt, ohne dies näher zu begründen.
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e) Bei der Strafzumessung hat es hinsichtlich der Angeklagten C. M. und S. den Strafrahmen des § 250 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt, hinsichtlich des Angeklagten M. M. den nach §§ 27, 49 Abs. 1 StGB gemilderten.

II.

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Das Verfahren ist, was allein hinsichtlich des Angeklagten C. M. in Betracht kommt, auf die beiden zulässigen, diesen Angeklagten betreffenden Revisionen nicht von Amts wegen wegen Strafklageverbrauchs einzustellen (§§ 206a, 260 Abs. 3 StPO). Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die hier gegenständliche Tat vom rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 15. Juni 2016 nicht umfasst ist.
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1. Der Angeklagte C. M. hat hierzu am letzten Verhandlungstag eingewandt, er habe kurz vor dem gewaltsamen Ansichbringen der EcstasyTabletten im September 2013 diejenigen 300 Gramm Amphetamin "guter Qualität" erworben, die Gegenstand des vorgenannten Urteils gewesen seien. Mindestens zweimal habe er Ecstasy-Tabletten zusammen mit Amphetaminen aus dem Vorrat veräußert.
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2. Bezüglich eines Strafklageverbrauchs ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:
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a) Ein Strafverfahren darf grundsätzlich nur durchgeführt werden, wenn feststeht, dass die erforderlichen Prozessvoraussetzungen vorliegen und Prozesshindernisse nicht entgegenstehen. Bleibt nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten zweifelhaft, ob ein Prozesshindernis vorliegt, ist das Verfahren einzustellen. Für eine solche Möglichkeit reichen indes bloß theoretische , nur denkgesetzlich mögliche Zweifel nicht aus; sie müssen sich vielmehr auf konkrete tatsächliche Umstände gründen und nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten unüberwindbar sein. Das Revisionsgericht prüft grundsätzlich die Prozessvoraussetzungen selbständig und aufgrund eigener Sachuntersuchung unter Benutzung aller Erkenntnisquellen im Freibeweisverfahren (BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4 und 5/01, BGHSt 46, 349, 351 f.; Urteil vom 30. Juli 2009 - 3 StR 273/09, BGHR StPO vor § 1/Verfahrenshindernis Strafklageverbrauch 5 mwN).
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Anderes gilt jedoch, wenn das Vorliegen des Verfahrenshindernisses der anderweitigen Rechtshängigkeit nicht nach Aktenlage geklärt werden kann, sondern von Tatsachen abhängt, die die angeklagte Tat betreffen. Die Feststellung solcher doppelrelevanten Tatsachen muss dem Strengbeweis in der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben (BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4 und 5/01, BGHSt 46, 349, 352 f.). Dies betrifft etwa die Frage, ob ein Handel mit Betäubungsmitteln Teil einer bereits anderweitig abgeurteilten Bewertungseinheit ist; die tatrichterlichen Feststellungen hierzu sind nach revisionsrechtlichen Grundsätzen nur eingeschränkt überprüfbar (BGH, Beschlüsse vom 30. März 2001 - StB 4 und 5/01, BGHSt 46, 349, 352 f.; vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09, NStZ-RR 2011, 25, 26; vom 16. November 2000 - 3 StR 457/00, StV 2001, 460).
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b) An diesen Grundsätzen gemessen gilt hier:
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aa) Zwar wäre, wenn die Einlassung des Angeklagten C. M. erwiesen wäre, tatsächlich das ihn betreffende Verfahren wegen eines Strafklageverbrauchs einzustellen. Denn im Fall eines gleichzeitigen Verkaufs einer Teilmenge aus dem Amphetaminvorrat und aus dem Ecstasy-Vorrat wären die tatbestandlichen Ausführungshandlungen teilweise identisch; dann wäre zwischen der Bewertungseinheit des Handeltreibens mit Amphetaminen und der Bewertungseinheit des Handeltreibens mit Ecstasy in materiell-rechtlicher Hinsicht Tateinheit (§ 52 Abs. 1 Alternative 2 StGB) anzunehmen (siehe nur BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2017 - 3 StR 487/16, NStZ 2017, 711, 712; vom 22. Februar 2018 - 5 StR 622/17, juris Rn. 7) und entsprechend dem allgemeinen Grundsatz prozessuale Tatidentität (§ 264 StPO).
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bb) Solche einheitlichen Verkaufsvorgänge hat das Landgericht in Auseinandersetzung mit der Einlassung des Angeklagten rechtsfehlerfrei und damit für das Revisionsverfahren bindend ausgeschlossen: Es hat dabei maßgeblich darauf abgestellt, dass der Angeklagte seine Nachfragen unbeantwortet gelassen und die Verkäufe weder zeitlich noch örtlich oder dem Abnehmer oder den Umständen nach präzisiert hat. Aus diesem Teilschweigen durfte das Tatgericht rechtsfehlerfrei den möglichen Schluss ziehen, dass die Einlassung des Angeklagten nicht zutrifft. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein Angeklagter zu einem Punkt eines einheitlichen Geschehens keine Angaben macht, wenn nach den Umständen Äußerungen zu diesem Punkt zu erwarten gewesen wären, andere mögliche Gründe für das Schweigen ausgeschlossen werden können und die gemachten Angaben nicht fragmentarischer Natur sind (BGH, Urteile vom 18. April 2002 - 3 StR 370/01, BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 22; vom 10. Mai 2017 - 2 StR 258/16, juris Rn. 23; Beschlüsse vom 16. April 2015 - 2 StR 518/14, StV 2015, 771, 772; vom 19. Januar 2000 - 3 StR 531/99, BGHSt 45, 367, 369 f.).
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Der Angeklagte hat einerseits von sich aus von einem zusammenhängenden Verkauf berichtet. Genauere und überprüfbare Angaben zu den Abverkäufen wären zu erwarten gewesen. Andere mögliche Ursachen für das Teilschweigen des im Übrigen geständigen Angeklagten sind auszuschließen. Die gemachten Angaben waren andererseits - wie etwa ein pauschales Abstreiten des Tatvorwurfs - auch nicht nur rudimentär.
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cc) Das Landgericht hat bei seiner Würdigung nicht gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit verstoßen. Danach dürfen aus dem anfänglichen Schweigen des Angeklagten nicht ohne weiteres nachteilige Schlüsse gezogen werden. Denn dem Angeklagten steht es frei, ob er sich zur Sache einlässt (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO). Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus der durchgehenden noch aus der anfänglichen Aussageverweigerung - und damit auch nicht aus dem Zeitpunkt, zu dem sich der Angeklagte erstmals einlässt - nachteilige Schlüsse gezogen werden (siehe nur BGH, Beschlüsse vom 17. September 2015 - 3 StR11/15, NStZ 2016, 59, 60; vom 28. Mai 2014 - 3 StR 196/14, NStZ 2014, 666, 667, je mwN). Das Tatgericht hat den Zeitpunkt der Einlassung nur beiläufig benannt und diese unabhängig davon gewürdigt.
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dd) Es ist auch nicht erkennbar, dass der Angeklagte C. M. im September 2013 neben den Ecstasy-Tabletten Amphetamine zu derselben Zeit in seinem Besitz hatte, und zwar derart, dass er die Verfügungsmacht über beide Mengen zusammen ausübte, was ebenfalls zu einer teilidentischen Ausführungshandlung führen könnte (dazu BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2018 - 3 StR 88/18, juris Rn. 7; vom 28. Mai 2018 - 3 StR 95/18, juris Rn. 6). Weder hat der Angeklagte dies behauptet noch war solches sonst ersichtlich.
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3. Eine zulässige Verfahrensrüge, namentlich eine Aufklärungsrüge, hat der Angeklagte in diesem Zusammenhang nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Es fehlt insoweit bereits an ausreichend bestimmten Tatsachenbehauptungen nebst einem Beweismittel zum gleichzeitigen Verkauf eines Teils der Ecstasy-Tabletten zusammen mit Amphetaminen. III. Revisionen der Staatsanwaltschaft
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1. Die Schuldsprüche halten alle drei Angeklagten betreffend aus mehreren Gründen der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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a) Das Landgericht hat sich nicht damit auseinandergesetzt, dass das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) bereits mit dem Telefonat vollendet gewesen ist.
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aa) Für die Annahme vollendeten Handeltreibens reicht es aus, dass der Täter bei einem beabsichtigten Ankauf von zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmitteln in ernsthafte Verhandlungen mit dem potentiellen Verkäufer eintritt (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 253 ff.). Solche ernsthafte Kaufverhandlungen sind von allgemeinen, ergebnislosen Anfragen, die noch dem Vorbereitungsstadium unterfallen, abzugrenzen (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 266).
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Zum Zeitpunkt des Telefonats standen die Art des zu veräußernden Rauschgifts sowie Erwerber und Veräußerer fest. Die Verkäufer waren zur Veräußerung entschlossen und lieferten daher die Ecstasy-Tabletten.
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bb) Der Tatvollendung zu diesem frühen Zeitpunkt steht nicht entgegen, dass der Angeklagte C. M. die Drogen nicht käuflich erwerben, sondern sich mit Gewalt den Besitz verschaffen wollte und mithin als Scheinkäufer auftrat. Denn bei der geplanten Weiterveräußerung ist das beabsichtigte Sichverschaffen des Rauschgifts Voraussetzung für den späteren Handel und damit Teil von diesem; auf welchem Weg der Händler den tatsächlichen Besitz am Rauschgift erlangen will, ist nicht ausschlaggebend (BGH, Urteile vom 20. Januar 1982 - 2 StR 593/81, BGHSt 30, 359, 361 f.; vom 23. September 1992 - 3 StR 275/92, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 35).
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b) Das Landgericht hat zugunsten der Angeklagten den Wirkstoffgehalt der Ecstasy-Tabletten rechtsfehlerhaft bestimmt. Damit ist der Verbrechenstatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) nicht auszuschließen.
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aa) Für den Wirkstoff Meta-Chlorphenylpiperazin-Base (m-CPP) fehlt es bereits an der Festlegung des Grenzwerts der nicht geringen Menge. Die Urteilsgründe sind insoweit widersprüchlich: Während in den Urteilsfeststellungen der Wirkstoffgehalt einer m-CPP-Base bestimmt wird, soll nach der rechtlichen Würdigung die Verwendung dieses Wirkstoffs nicht sicher feststehen. Damit hat das Landgericht im Ergebnis keine zur Bestimmung des Grenzwerts tragfähigen Feststellungen getroffen.
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(1) Bei der Bestimmung des Wirkstoffgehalts ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Der Grenzwert ist stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Wirkungsintensität - gegebenenfalls unter Hinzuziehung sachverständiger Hilfe - festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten, das nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes zu bemessen ist, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials. Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (siehe nur BGH, Urteil vom 17. November 2011 - 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60, 63 f.).
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(2) Im neuen Rechtsgang wird sich das Tatgericht, sollte es den Wirkstoff m-CPP nicht ausschließen können, im Ausgangspunkt mit dem Urteil des Landgerichts Dresden vom 29. April 2008 - 4 KLs 422 Js 40176/07 (BeckRS 2008, 12528; dem folgend LG Freiburg, StV 2010, 236, 237) auseinanderzusetzen haben, wonach der Grenzwert bei 30 Gramm m-CPP anzunehmen sei. Indes werden neue wissenschaftliche Erkenntnisse des Wirkstoffs m-CPP-Base in die Erwägungen einzubeziehen sein.
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bb) Letztendlich hat das Landgericht die - beachtliche - Höhe des Sicherheitsabschlags von 80 % nicht ausreichend begründet. Im Ausgangspunkt ist das Heranziehen der für ein Kalenderjahr ermittelten Durchschnittswerte bedenkenfrei (siehe nur BGH, Beschluss vom 28. Juli 2004 - 2 StR 189/04, StraFo 2004, 398). Auch ist nicht zu übersehen, dass die Schätzung in diesem Fall mangels Anknüpfungstatsachen sowie angesichts der schwankenden Wirkstoffkonzentrationen und -kombinationen von EcstasyTabletten (dazu nur BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 2016 - 3 StR 138/16, StV 2017, 293 mwN; vom 24. November 2016 - 4 StR 413/16, juris Rn. 2) schwierig ist. Indes verpflichtet auch der Zweifelssatz das Tatgericht nicht, von einem durch eine nachvollziehbare Schätzung ermittelten Wirkstoffgehalt nochmals einen - hier zudem auffallend hohen - Sicherheitsabschlag vorzunehmen (BGH, Beschluss vom 28. Juli 2004 - 2 StR 189/04, StraFo 2004, 398 f.; Urteil vom 3. Mai 2017 - 2 StR 66/16, juris Rn. 8). Zudem bleibt offen, warum das Landgericht nicht von den Durchschnittswerten für das Kalenderjahr 2013 ausgegangen ist.
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Da beim Wirkstoff 3,4-Methylendioxy-Base nach wie vor ein Grenzwert der nicht geringen Menge von jedenfalls 30 Gramm MDE-Base zugrunde zu legen ist (siehe nur BGH, Urteil vom 9. Oktober 1996 - 3 StR 220/96, BGHSt 42, 255, 262 ff.; Beschluss vom 22. Juni 2017 - 4 StR 218/17, NStZ-RR 2017, 283), ist der Wirkstoffgehalt sorgfältiger zu ermitteln.
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cc) Zudem ist zu erwägen, ob der Umfang der maßgeblichen Betäubungsmittelmenge bezogen auf den Zeitpunkt des Telefonats zu bestimmen ist. So ist bei der Aufzucht von Pflanzen zum Gewinnen von Rauschgift entschieden , dass es zur Abgrenzung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) vom Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) auf den Umfang des geplanten Umsatzes ankommt, auf welchen die Aufzucht gerichtet ist. Die Menge ist maßgeblich , die mit der bereits begonnenen Aufzucht der Pflanzen letztlich erzielt und gewinnbringend veräußert werden soll (BGH, Urteile vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 407/12, BGHSt 58, 99, 101 f.; vom 22. Dezember 2016 - 4 StR 360/16, juris Rn. 9; vom 6. November 2013 - 5 StR 302/13, juris Rn. 9). Bezogen auf den vorliegenden Fall könnte deshalb darauf abzustellen sein, welchen Absatz der Angeklagte plante, als er mit den Betäubungsmittelhändlern telefonierte, also welche Vorstellung er vom Wirkstoffgehalt der Drogen hatte.
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c) Die Tat zu Lasten des Zeugen Sch. steht, vorbehaltlich der Erkenntnisse aus dem neuen Rechtsgang (dazu nachstehend unter V. 1. b]), zur Tat zu Lasten der beiden Drogenhändler in Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1 StGB).
38
aa) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung sind höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen und deren Verletzung einer additiven Betrachtungsweise, wie sie etwa der natürlichen Handlungseinheit zugrunde liegt, nur ausnahmsweise zugänglich. Greift daher der Täter einzelne Menschen nacheinander an, um jeden von ihnen in seiner Individualität zu beeinträchtigen, so besteht sowohl bei natürlicher als auch bei rechtsethisch wertender Betrachtungsweise selbst bei einheitlichem Tatentschluss sowie engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang regelmäßig kein Anlass, diese Vorgänge rechtlich als eine Tat zusammenzufassen. Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs, etwa bei Messerstichen innerhalb weniger Sekunden oder bei einem gegen eine aus der Sicht des Täters nicht individualisierte Personenmehrheit gerichteten Angriff, willkürlich und gekünstelt erschiene (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2016 - 2 StR 391/15, BGHR StGB § 1Entschluss, einheitlicher 1 mwN; Urteil vom 13. September 1995 - 3 StR 221/95, BGHR StGB vor § 1/natürliche Handlungseinheit Entschluss, einheitlicher 11).
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bb) Allein der - hier auf der Hand liegende - Fehlschlag (dazu BGH, Beschluss vom 23. Januar 2018 - 3 StR 451/17, StV 2018, 717, 719) begründet eine Zäsur; zudem verstrich danach ein gewisser Zeitraum. Die beiden Angriffe lagen nicht ganz eng beieinander.
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d) Auch die Ablehnung der Qualifikation des Verwendens des gefährlichen Werkzeugs (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) beim zweiten Angriff erweist sich als rechtsfehlerhaft. Die Begründung, mit der das Landgericht die Einlassung der Angeklagten, sie hätten beim zweiten Angriff den Baseballschläger nicht einsetzen wollen, als nicht widerlegbar erachtet hat, hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
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aa) Die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln die Ergebnisse der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder der Tatrichter überspannte Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung gestellt hat. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näherliegend gewesen wäre (BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 - 3 StR 69/17, juris Rn. 8 mwN).
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bb) Hier hat das Landgericht aus dem Locken in den Hinterhalt und der Überzahl auf das Vorstellungsbild der Angeklagten geschlossen, dass auch aus ihrer Sicht diese Umstände zum Herbeiführen des Taterfolgs genügten und es mithin des Einsatzes des Baseballschlägers nicht bedurfte. Dabei hat es indes nicht den gewichtigen Umstand gewürdigt, dass die Angeklagten nunmehr zwei Opfer angreifen wollten. Wenn sie aber bei einer Person, dem Zeugen Sch. , den Einsatz des Schlägers für erforderlich hielten, erschließt sich nicht ohne weitere Begründung, warum bei zwei Personen der Hinterhalt und die Überzahl genügen sollen. Diesen sich aufdrängenden Widerspruch hat das Landgericht nicht aufgeklärt.
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Zudem lässt die beweiswürdigende Erwägung, "zwingend" sei der Schluss nicht, dass die Angeklagten in gleicher Weise gegen die Drogendealer wie gegen Sch. vorgingen, besorgen, dass das Landgericht überzogene Anforderungen an den Nachweis der Qualifikation der besonders schweren räuberischen Erpressung gestellt hat.
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e) Dieser Rechtsfehler bei der Haupttat schlägt auf die Verurteilung des Gehilfen M. M. durch (Akzessorietät der Beihilfe, § 27 StGB). Überdies erscheint die Annahme von Beihilfe statt Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) bedenklich.
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aa) Es kommt nicht darauf an, ob die tatrichterliche Bewertung über das Vorliegen von Täterschaft oder Teilnahme nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur einer begrenzten revisionsrechtlichen Kontrolle zugänglich ist. Selbst bei Zubilligung eines dem Tatrichter eingeräumten Beurteilungsspielraums mit der Konsequenz, dass die bloße Möglichkeit einer anderen tatrichterlichen Beurteilung das gefundene Ergebnis nicht rechtsfehlerhaft macht, ist eine umfassende Würdigung des Beweisergebnisses als Grundlage der Bewertung erforderlich (BGH, Beschlüsse vom 8. Dezember 2015 - 3 StR 439/15, StV 2016, 648, 649; vom 29. September 2015 - 3 StR 336/15, NStZ-RR 2016, 6, 7; Urteil vom 17. Oktober 2002 - 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254).
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bb) Das Landgericht hat für den Nötigungserfolg den Umstand als ausschlaggebend erachtet, dass die Drogenhändler bereits wegen der unter Mitwirkung des Angeklagten M. M. geschaffenen Überzahl von einer Gegenwehr absahen und es des Einsatzes des Schlägers deswegen nicht bedurfte. Der Angeklagte M. M. verhinderte die Flucht der "eingekesselten" Drogenhändler; warum er trotz dieser gewichtigen Tatbeiträge und der Tatbeherrschung nur Gehilfe gewesen sein soll, hat das Landgericht nicht nachvollziehbar begründet.
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2. Die vorgenannten Rechtsfehler führen zur vollständigen Aufhebung der Schuldsprüche (§ 353 Abs. 1 StPO), auch wenn die Verurteilungen wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung (§ 250 Abs. 2 Nr. 1, §§ 253, 255, 22, 23 Abs. 1 StGB) und wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 3, 4 StGB) für sich genommen, wie bei der Revision des Angeklagten C. M. aufzuzeigen sein wird, nicht zu beanstanden sind. Denn das Landgericht ist von einer tateinheitlichen Begehung ausgegangen (vgl. BGH, Urteile vom 28. September 2017 - 4 StR 282/17, juris Rn. 14; vom 29. August 2007 - 5 StR 103/07, juris Rn. 51; vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 353 Rn. 7a). Die Aufhebung der Schuldsprüche zieht die Aufhebung der Rechtsfolgenaussprüche nach sich. IV. Revision des Angeklagten C. M.
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1. Die Verfahrensrüge greift aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen nicht durch.
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2. Das Urteil birgt keinen materiellen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten C. M. . Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts ist anzuführen:
50
a) Die Feststellungen zur Tat zu Lasten der Drogenhändler sind zwar bedenklich knapp (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. März 2011 - 4 StR 30/11, juris Rn. 5; vom 29. Juni 2000 - 4 StR 190/00, NStZ 2000, 607 f.), genügen aber bei dem eher einfach gelagerten Sachverhalt gerade noch den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO. Denn ohne nötigende Handlung im Sinne der §§ 249, 253, 255 StGB lässt sich nicht erklären, dass der Angeklagte C. M. in den Besitz der Ecstasy-Tabletten gelangte. Auch kann angesichts der - wenngleich ebenfalls inhaltlich nur knapp wiedergegebenen - Geständnisse noch ausgeschlossen werden, dass die Angeklagten im Flur so überraschend schnell und listig zugriffen, dass sie nur dem Tragen der Tabletten dienende Kraft überwinden mussten (dazu BGH, Urteil vom 12. Dezember 1989 - 1 StR 613/89, BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewalt 4; Beschlüsse vom 24. Januar 1989 - 3 StR 568/88, juris Rn. 3 f.; vom 4. Juni 1991 - 5 StR 192/91, juris Rn. 3; vom 12. November 1985 - 1 StR 516/85, NStZ 1986, 218). Die derart belegte "einfache" Gewalt muss nicht mit einer Körperverletzung zu Lasten der beiden Drogenhändler einhergegangen sein.
51
b) Weil die Vorschriften §§ 253, 255 StGB den engeren Tatbestand des Raubes mitumfassen (siehe nur BGH, Beschluss vom 20. Februar 2018 - 3 StR 612/17, NStZ-RR 2018, 140 f. mwN), hat das Landgericht rechtsfehlerfrei auf räuberische Erpressung erkannt.
52
c) Der sogenannte "error in persona", dem der MitangeklagteS. beim ersten Angriff unterlag, wirkt sich auch beim Angeklagten C. M. als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) nicht aus; ihm wird S. s tatbestandsmäßige Handlung aufgrund des gemeinsamen Tatplans bei arbeitsteiligem Vorgehen zugerechnet.
53
Das Landgericht hat indes rechtsirrtümlich die Grundsätze der Zurechnung bei einer Personenverwechslung im Verhältnis vom Haupttäter zum Anstifter herangezogen (zur Unbeachtlichkeit des Irrtums bei der Anstiftung, solange die Verwechslung des Opfers durch den Angestifteten innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren liegt, siehe BGH, Urteil vom 25. Oktober 1990 - 4 StR 371/90, BGHSt 37, 214, 217 ff. [sogenannter "Hoferbenfall"] unter Hinweis auf das nachgenannte Urteil vom 23. Januar 1958). Das Urteil beruht aber nicht hierauf. Denn die insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen lassen die Anwendung der Grundsätze der Zurechnung bei einer Personenverwechslung im Verhältnis des die tatbestandsmäßige Handlung ausführenden Mittäters zum anderen zu. Insoweit ist ergänzend auszuführen:
54
aa) Der Irrtum des Handelnden über die Person des Angegriffenen ist auch für den Mittäter unbeachtlich (BGH, Urteil vom 23. Januar 1958 - 4 StR 613/57, BGHSt 11, 268, 270 ff. [sogenannter "Verfolger-Fall"]; zustimmend etwa Puppe, ZIS 2007, 234, 243 ff.; dies., NStZ 1991, 124; Küper, Versuchsbeginn und Mittäterschaft, S. 36, 38 f.; MüKoStGB/Joecks, 3. Aufl., § 25 Rn. 248 f.; Streng, JuS 1991, 910, 916; Schröder, JR 1958, 427 f.; Jescheck, GA 1959, 65, 73 f.). Dies wird in der Literatur vornehmlich mit folgenden Argumenten begründet: Es handele sich bei diesem fahrlässigen Exzess nur um einen Motivfehler (Streng, aaO S. 916). Ausreichend sei, dass der Handelnde den Tatplan umsetzen wolle; mehr als eine "situationsangemessene Wahrnehmung" könne der andere Mittäter, der die Ausführung eines Teils der Tat dem Handelnden überlasst, nicht verlangen (Streng, aaO: "subjektive Tatplan-Treue"; S/S-Weißer, StGB, 25. Aufl., § 26 Rn. 101; Puppe, ZIS 2007, 234, 244). Der Komplize könne nicht einwenden, dass er die Tat so nicht gewollt habe; dies sei eine widersprüchliche "protestatio facto contraria" (Küper, aaO S. 38 f.; Toepel, JA 1997, 248, 253; 948, 949 f.; Scheffler, JuS 1992, 920, 922; Geilen, Jura 1983, 332, 335).
55
Hier entsprach es dem Tatplan, die als Drogenhändler identifizierte Person anzugreifen. Der Angeklagte C. M. trug mit dem von ihm ersonnenen Tatplan maßgeblich zur Tat zu Sch. s Lasten bei. Er hätte nach den Grundsätzen des § 24 Abs. 2 StGB zurücktreten (dazu nur BGH, Urteil vom 23. Januar 1958 - 4 StR 613/57, BGHSt 11, 268, 272), etwa die Mitangeklagten und insbesondere seinen Mittäter S. auffordern müssen, entgegen der Abrede die eingetroffene Person nicht anzugreifen. Dies wäre ihm angesichts seiner Teilhabe an der Tatherrschaft und seines Standorts unschwer möglich gewesen.
56
bb) Abweichend von dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung hält eine Meinung im Schrifttum die Personenverwechslung durch den handelnden Mittäter für beachtlich und schließt eine Zurechnung aus (insbesondere Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 9. Aufl., S. 100 f., 286 f., 311 f.; Hillenkamp, Die Bedeutung von Vorsatzkonkretisierungen bei abweichendem Tatverlauf, S. 77; LK/Schünemann, StGB, 12. Aufl., § 25 Rn. 177; Dehne-Niemann, ZJS 2007, 351, 353 f.; Rudolphi, in Festschrift für Bockelmann, S. 369, 381 f.). Für den im Hintergrund bleibenden Mittäter käme eine Strafbarkeit allein wegen Verbrechensverabredung (§ 30 Abs. 2 StGB) in Betracht (Dehne-Niemann, aaO, 354). Gegen die zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung wird vornehmlich eingewandt :
57
(1) Weiche der die tatbestandsmäßige Handlung vornehmende Mittäter absichtlich vom Tatplan ab, sei dies unstreitig ein (vorsätzlicher) Exzess, der dem anderen nicht zugerechnet werde. Ob aber absichtlich oder nur fahrlässig vom Tatplan abgewichen werde, könne nicht ausschlaggebend sein. Entscheidend sei, dass der Mittäter objektiv den Tatplan nicht einhalte (Roxin, aaO S. 286 f.); eine "eingebildete Zurechnungsgrundlage" könne keine Zurechnung bewirken. Tatsächlich sei die Tatplanfassung im Versuchsstadium steckengeblieben : Der Mittäter habe sich - anders als der Handelnde - bei Fassung des gemeinsamen Tatplans über die in Gang gesetzte Kausalreihe geirrt; damit fehle es an einer Willensübereinstimmung (Dehne-Niemann, aaO 354). Für den Mittäter im Hintergrund stelle sich damit der Irrtum beim Vordermann als wesentliche Abweichung vom Tatverlauf dar ("aberratio ictus"; Hillenkamp, aaO S. 78; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 62 ff.; Schreiber, JuS 1985, 873, 876).
58
(2) Die höchstrichterliche Rechtsprechung müsse neben der Vollendung noch einen Versuch annehmen, nämlich einen an dem im Tatplan vorgesehenen Opfer (Roxin, in Festschrift für Günter Spendel, S. 289, 300 f.).
59
(3) Erkenne der Vordermann seinen Irrtum und greife er weitere Opfer in vermeintlicher Erfüllung des Tatplans an, müsste die Gegenauffassung auch diese Handlungen dem Mittäter zurechnen (sogenanntes "Gemetzel"- oder "Blutbad"-Argument, siehe bereits Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band III, S. 214; Bemmann, MDR 1958, 817, 820 f.).
60
cc) Entgegen dieser abweichenden Meinung im Schrifttum ist an den Grundsätzen des Urteils vom 23. Januar 1958 (4 StR 613/57, BGHSt 11, 268) festzuhalten:
61
(1) Nur die Unbeachtlichkeit des Irrtums auch für den anderenMittäter wird dem Grundsatz gerecht, dass das Eintreten eines Mittäters ins Versuchsstadium für alle Mittäter den Versuchsbeginn darstellt (§ 22 StGB):
62
Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Dies ist dann der Fall, wenn Handlungen vorgenommen werden, die nach dem Tatplan im ungestörten Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder die im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Bei der Mittäterschaft treten alle Mittäter einheitlich in das Versuchsstadium, sobald einer von ihnen zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt, und zwar unabhängig davon, ob einzelne von ihnen ihren Tatbeitrag bereits im Vorbereitungsstadium erbracht haben. Diese Kriterien gelten auch für den untauglichen Versuch. Entscheidend ist die Vorstellung des Täters von der Tauglichkeit der Handlung, die als unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung im Sinne des § 22 StGB anzusehen ist. Die nach dem Täterplan maßgebliche Handlung, die zur unmittelbaren Tatbestandserfüllung führen soll und die nach natürlicher Auffassung auch zur Tatbestandserfüllung führen könnte, wenn sie geeignet wäre, ist hier so zu betrachten, als wäre sie tauglich (BGH, Urteil vom 25. Oktober 1994 - 4 StR 173/94, BGHSt 40, 299, 302; Beschlüsse vom 6. Mai 2003 - 4 StR 108/03, NStZ 2004, 110, 111; vom 1. August 1986 - 3 StR 295/86, BGHR StGB § 22 Ansetzen 3).
63
(2) Hier kommt zudem dem Umstand Bedeutung zu, dass die Angeklagten die Drogenhändler nicht kannten. Notwendiger Bestandteil des Tatplans war daher deren Identifizierung; damit war das Risiko einer Personenverwechslung im Tatplan angelegt. Der Tatplan bestand ebenso wie der Vorsatz des Angeklagten C. M. fort und gibt den "normativen Grund" für die Zurechnung (vgl. Puppe, ZIS 2007, 234, 244); einer Erneuerung oder bestätigenden Aktualisierung des Vorsatzes zum Zeitpunkt des Schlages bedurfte es nicht. Die eher auf eine tatsächliche Betrachtung zugeschnittene "aberratio ictus" passt bei dieser Wertung nicht (Puppe, aaO S. 244; Haft/Eisele, in Gedächtnisschrift für Rolf Keller, S. 81, 99 f. [ggf. keine Zurechnung, wenn der Mittäter nur im Vorbereitungsstadium mitwirkt]; vgl. auch Frisch, in Ergänzbares Lexikon des Rechts 8/1620, S. 12; SK-StGB/Hoyer, 32. Lfg. § 25 Rn. 143 und Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht AT, 12. Aufl., § 25 Rn. 99, die nur bei einem "Planungsfehler" zurechnen wollen, nicht aber bei einem "Ausführungsfehler" , wobei die Abgrenzung freilich schwierig sein dürfte).
64
Der Angeklagte C. M. überließ dem Mitangeklagten S. den unmittelbaren Angriff; dann entlastete ihn dessen Identifizierungsfehler indes nicht. Nach § 16 Abs. 1 Satz 1, § 224 Abs. 1 StGB muss sich der Vorsatz auf "einen anderen" beziehen; weiterer Konkretisierungen zur Tatbestandserfüllung bedarf es weder beim handelnden noch bei einem anderen Mittäter, der aufgrund des gemeinsamen und umzusetzenden Tatplans strafbar ist. Weil Zurechnungsgrundlage der Tatplan ist, ist das Vorhersehbarkeitskriterium nicht heranzuziehen, das in Fällen eines Irrtums des Angestifteten zu beachten ist (dazu BGH, Urteil vom 25. Oktober 1990 - 4 StR 371/90, BGHSt 37, 214, 217 ff.).
65
dd) Die vorstehend genannten Grundsätze gelten nicht nur für die gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 3, 4 StGB), sondern auch für die versuchte besonders schwere räuberische Erpressung (§§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB). Dieses Vermögensdelikt weist mit dem zusätzlichen subjektiven Merkmal der Absicht, sich oder einen Dritten rechtswidrig zu bereichern, zwar eine Besonderheit auf (sogenannte "überschießende Innentendenz"). Dies ändert aber - in der umfangreichen Literatur zu dieser Irrtumsproblematik , soweit ersichtlich, nicht erörtert - nichts an der Zurechnung:
66
(1) Mittäter kann nur sein, wer mit Bereicherungsabsicht handelt. Wenn dieses Eingangskriterium indes erfüllt ist, ist eine Zurechnung wie bei "nicht kupierten" Delikten möglich. Die Absicht als tatbezogenes Merkmal (BGH, Urteil vom 20. Mai 1969 - 5 StR 658/68, BGHSt 22, 375, 380) ändert nichts an der Struktur des Tatplans als des entscheidenden Zurechnungskriteriums.
67
(2) Hier handelte S. die ganze Zeit über inDrittbereicherungsabsicht , C. M. mit Bereicherungsabsicht zu eigenen Gunsten. Diese Absicht musste der Angeklagte C. M. zum Zeitpunkt des Schlags nicht "aktualisieren". Nach den vorgenannten Grundsätzen über den Eintritt in das Versuchsstadium durch das Handeln eines Mittäters blieb es bei der Zurechnung. S. s Irrtum führte bezüglich des Vermögensdelikts zur Untauglichkeit seines Versuchs, weil Sch. kein Rauschgift im Besitz hatte. Weil er aber den Tatplan umzusetzen versuchte, haften seine Mittäter in vollem Umfang mit. S. s Personenverwechslung führte, was die räuberische Erpressung betrifft, mithin abschließend zur diesbezüglichen Versuchsstrafbarkeit.
68
ee) Wie sich die Personenverwechslung auf das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) auswirkt, welches eine Gewinnerzielungsabsicht voraussetzt, bedarf hier nicht der Entscheidung. Es besteht die Besonderheit, dass der Handelnde nicht Mittäter war, sondern nur Gehilfe. Indes war für den Angeklagten C. M. das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln bereits mit dem Telefonat mit den Drogenhändlern vollendet.

V.

69
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
70
1. Das neue Tatgericht wird, sollte es eine nicht geringe Menge an Betäubungsmitteln feststellen (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG), die Vorschrift des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG in Betracht zu ziehen haben:
71
a) Zwar genügt nach dem Gesetzeswortlaut, nach dem ein "Täter" die Waffe mit sich führen muss, nicht die Bewaffnung eines Gehilfen. Allerdings reicht es für ein Mitsichführen des Haupttäters aus, wenn dieser auf die Waffe jederzeit selbst zugreifen oder über ihren Einsatz im Wege eines Befehls verfügen kann (BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2003 - GSSt 1/02, BGHSt 48, 189, 194; vom 21. März 2017 - 1 StR 19/17, NStZ-RR 2017, 346, 347; Urteil vom 28. Februar 1997 - 2 StR 556/96, BGHSt 43, 8, 14). Solches kommt hier in Betracht, da der Haupttäter C. M. sich in unmittelbarer Nähe zum Hausflur aufhielt.
72
b) Eine solche Schuldspruchverböserung kann sich auf die Konkurrenzen auswirken. Das Geschehen vom Telefonat bis zum Abverkauf der EcstasyTabletten könnte, wie ausgeführt, im Wege der Bewertungseinheit als eine Tat des Betäubungsmittelhandels zusammenzufassen sein. Der Verbrechenstatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe könnte als zumindest gleichgewichtiges Delikt die beiden qualifizierten räuberischen Erpressungstaten zu einer Tat verklammern (zu den Grundsätzen der Verklammerung BGH, Beschluss vom 14. Februar 2017 - 4 StR 580/16, StraFo 2017, 128, 129).
73
2. Das Tatgericht wird im zweiten Rechtsgang bei der Tat zu Lasten Sch. s die Qualifikation des § 250 Abs. 2 Nr. 3 StGB ("schwere körperliche Misshandlung"; dazu BGH, Urteil vom 17. August 2016 - 2 StR 562/15, juris Rn. 27) zu bedenken haben.
VRiBGH Becker ist wegen Gericke Berg Urlaubs gehindert zu unterschreiben. Gericke Hoch Leplow

(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt.

(2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden.

(1) Die Anklageschrift hat den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen (Anklagesatz). In ihr sind ferner die Beweismittel, das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, und der Verteidiger anzugeben. Bei der Benennung von Zeugen ist nicht deren vollständige Anschrift, sondern nur deren Wohn- oder Aufenthaltsort anzugeben. In den Fällen des § 68 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 1 genügt die Angabe des Namens des Zeugen. Wird ein Zeuge benannt, dessen Identität ganz oder teilweise nicht offenbart werden soll, so ist dies anzugeben; für die Geheimhaltung des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Zeugen gilt dies entsprechend.

(2) In der Anklageschrift wird auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen dargestellt. Davon kann abgesehen werden, wenn Anklage beim Strafrichter erhoben wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 69/14
vom
25. September 2014
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––-
Zu den Anforderungen an die Bestimmtheit einer Verfahrenseinstellung nach § 154
Abs. 2 StPO.
BGH, Urteil vom 25. September 2014 – 4 StR 69/14 – LG Dortmund
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. September
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der
Verhandlung –
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 21. Oktober 2013 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in siebzehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt sowie Verfall und Verfall von Wertersatz angeordnet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils beschloss der Angeklagte im Jahr 2010, mit Cannabisprodukten Handel zu treiben. Er wandte sich an den früheren Mitangeklagten B. , der einen Händler in A. in den Niederlanden kannte. B. warb über den früheren Mitangeklagten G. den Motorradrennfahrer Be. als Kurier an. Be. transportierte jeweils mindestens fünf Kilogramm Marihuana nach Deutschland. Zwei Fahrten fanden im Jahr 2010, zehn Fahrten im Jahr 2011 und vier Fahrten im Jahr 2012 statt. Bei der Übergabe des Rauschgifts nach einer weiteren Fahrt am 19. Dezember 2012 wurden der Angeklagte und Be. festgenommen.
3
2. Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 13. Februar 2013 wirft dem Angeklagten vor, von Juli 2010 bis zum 19. Dezember 2012 durch 104 selbständige Handlungen in 86 Fällen (Fälle 1 bis 86) mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben und in 18 Fällen (Fälle 87 bis 104) als Mitglied einer Bande mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben und sie eingeführt zu haben. Die Fälle 1 bis 86 der Anklageschrift betreffen Verkäufe an den gesondert verfolgten M. im Zeitraum von Juli 2010 bis zum 12. März 2012. Die Fälle 87 bis 98 der Anklageschrift sind dahin konkretisiert, dass Be. nach Bestellungen des Angeklagten und auf Anweisung von B. im Jahr 2011 zwölfmal nach A. gefahren ist und jeweils mindestens fünf Kilogramm Marihuana nach Deutschland gebracht hat. Als Fälle 99 bis 103 sind fünf Einfuhrfahrten des Be. für den Angeklagten im Jahr 2012 dargestellt. Der Fall 104 schildert die Einfuhrfahrt vom 19. Dezember 2012 und die Festnahme des Angeklagten und Be. s.
4
3. Am zweiten Tag der Hauptverhandlung, dem 15. Oktober 2013, erteilte das Landgericht dem Angeklagten folgenden rechtlichen Hinweis: „1. Hinsichtlich der Anklagevorwürfe 87 bis 104 kommt statt einer Verur- teilung wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30a Abs. 1 BtMG auch eine Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG in Betracht, 2. hinsichtlich der Anklagevorwürfe 1 bis 86 dürften Bewertungseinheiten anzunehmen sein. Soweit Verkaufsgeschäfte an den gesondert verfolgten M. im Jahre 2011 stattfanden, dürfte es sich um Abverkäufe aus den zuvor von dem gesondert verfolgtenBe. mit dem Motorrad aus A. /Niederlande eingeführten Marihuanamengen handeln. Soweit Verkaufsgeschäfte an den gesondert ver- folgten M. ab Juli 2010 angeklagt sind, dürften auch insoweit Bewertungseinheiten vorliegen, da nach der Einlassung des Angeklagten und den Angaben des anderweitig verfolgten Be. in dem Verfahren gegen B. und G. bereits im Jahre 2010Einfuhrfahrten von jeweils mindestens 5 kg Marihuana durch Be. er- folgten.“
5
Am dritten Tag der Hauptverhandlung, dem 21. Oktober 2013, ergingen folgende Gerichtsbeschlüsse: „Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird die Strafverfolgung in rechtlicher Hinsicht gemäß § 154 a Abs. 1 Nr. 1 StPO auf den Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG beschränkt.
Das Verfahren wird, soweit die Zahl der angeklagten Taten 17 Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge übersteigt, abgetrennt und insoweit auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.“
6
Das Gericht erteilte dem Angeklagten den weiteren Hinweis, „dass anstelle einer Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäu- bungsmitteln in nicht geringer Menge auch eine Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG in Betracht kommt.“

II.


7
Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
8
1. Der Beschluss des Landgerichts vom 21. Oktober 2013, mit dem eine Abtrennung von Verfahrensteilen und deren Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO angeordnet worden ist, begründet kein Verfahrenshindernis und steht deshalb einer Ausurteilung von 17 Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht entgegen.
9
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet die Einstellung eines Tatvorwurfs gemäß § 154 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis, zu dessen Beseitigung ein förmlicher Wiederaufnahmebeschluss nach § 154 Abs. 5 StPO erforderlich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Juli 2014 – 4 StR 230/14 Rn. 6; vom 4. Februar 2014 – 2 StR 487/13 Rn. 2; vom 18. April 2007 – 2 StR 144/07, NStZ 2007, 476).
10
aa) Wegen der weitreichenden Wirkungen einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO ist die Beschlussformel so zu fassen, dass kein Zweifel besteht, auf welche Taten und welche Angeklagten sie sich bezieht (BGH, Beschluss vom 23. März 1996 – 1 StR 685/95, juris, Rn. 23). Die eingestellten Taten sind genau zu bezeichnen, nach Möglichkeit mit der Nummerierung der Anklageschrift. Ist dies nicht möglich, sind die Taten so genau zu beschreiben, dass klar erkennbar ist, welche angeklagten Taten aus dem Verfahren ausgeschieden werden. Hinsichtlich der Konkretisierung im Einstellungsbeschluss gelten insoweit dieselben Anforderungen wie bei der Tatbeschreibung in der Anklageschrift zur Erfüllung ihrer Umgrenzungsfunktion.
11
(1) Die Anklageschrift hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (Umgrenzungsfunktion – st. Rspr., vgl.
nur BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 25; Beschluss vom 19. Februar 2008 – 1 StR 596/07, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24; Urteil vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45; jeweils mwN). Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 8. August 1996 – 4 StR 344/96, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 20 mwN). Die Identität des geschichtlichen Vorgangs muss feststehen, es darf kein Zweifel über die verfahrensgegenständlichen Taten im prozessualen Sinn eintreten. Fehlt es an einer hinreichenden Konkretisierung, so ist die Anklage unwirksam (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45; Beschluss vom 29. November 1994 – 4 StR 648/94, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 13 jeweils mwN). Darüber hinaus hat die Anklage auch die Aufgabe, den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten über weitere Einzelheiten des Vorwurfs zu unterrichten, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Prozessverhalten auf den mit der Anklage erhobenen Vorwurf einzustellen. Mängel der Anklage in dieser Hinsicht führen nicht zu ihrer Unwirksamkeit (Informationsfunktion – vgl. BGH, Urteile vom 28. Oktober 2009 und vom 11. Januar 1994 aaO, Beschluss vom 19. Februar 2008 aaO jeweils mwN).
12
Welche Angaben zur ausreichenden Umgrenzung des Verfahrensgegenstandes erforderlich sind, lässt sich nicht für alle Fälle in gleicher Weise sagen. Die einzelnen Faktoren der Tatkonkretisierung können von Fall zu Fall unterschiedliches Gewicht besitzen und durch größere Genauigkeit jeweils anderer Umstände ersetzt oder verdrängt werden. Entscheidend ist, dass der historische Geschehensablauf, der Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung sein soll, feststeht. Bei der Schilderung eines nach seinem Ablauf unverwechselbaren Ereignisses kann die Tatzeit als Eingrenzungskriterium an Bedeutung verlieren. Wenn bei einer Tatserie das Geschehen der jeweiligen Einzeltat nicht mehr durch Beschreibung der Umstände seines Ablaufs näher konkretisiert werden kann, gewinnt die Bezeichnung der Tatzeit der Einzelhandlung oder des Zeitraums der Tatserie entscheidende Bedeutung für die Umgrenzung des Verfahrensgegenstandes. Soweit bei Serientaten eine konkrete Bezeichnung oder nähere Beschreibung der Einzeltaten in der Anklage wegen deren Gleichförmigkeit nicht erfolgen kann, muss deshalb der Verfahrensstoff zumindest durch Festlegung des Tatzeitraums hinreichend umgrenzt werden. Regelmäßig ist in solchen Fällen erforderlich, in der Anklage den bestimmten Tatzeitraum, das Tatopfer, die Grundzüge der Art und Weise der Tatbegehung, die Tatfrequenz und die (Höchst-)Zahl der vorgeworfenen Straftaten, die Gegenstand des Verfahrens sein sollen, anzugeben. Dies gilt insbesondere in Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern, in denen bei einer Serie von Taten einzelne Handlungen überhaupt nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr genau voneinander unterschieden werden können (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45 ff.; Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 154 f.).
13
(2) Dementsprechend konkret ist auch der Einstellungsbeschluss zu fassen, durch den der Verfahrensstoff begrenzt wird. Dabei können auszu- scheidende Taten sowohl „positiv“ beschrieben werden, indem die einzustellen- den Taten konkret bezeichnet werden, als auch „negativ“, indem genau angegeben wird, welche der angeklagten Taten weiterhin Verfahrensgegenstand sind. Wie der Tatrichter den Beschluss formuliert, ist ohne Bedeutung, solange der ausgeschiedene Verfahrensstoff und der verbleibende Verfahrensstoff eindeutig erkennbar sind. Sollte dem Senatsbeschluss vom 3. Dezember 2013 – 4 StR 461/13 – eine andere Rechtsauffassung zu entnehmen sein, hält der Senat daran nicht fest. Soweit in Entscheidungen anderer Senate des Bundes- gerichtshofs gefordert wird, dass ausgeschiedene Tatteile oder Strafbestim- mungen konkret („positiv“) zu bezeichnen sind, betrifft dies Verfahrensbe- schränkungen der Staatsanwaltschaft vor Anklageerhebung (BGH, Beschlüsse vom 4. Juni 2013 – 2 StR 59/13 Rn. 21; vom 7. Oktober 2011 – 1 StR 321/11, NStZ-RR 2012, 50, 51 und vom 16. Juli 1980 – 3 StR 232/80, NStZ 1981, 23). Die Bestimmung von auszuscheidenden Taten bzw. Tatteilen erfolgt zu diesem Zeitpunkt in einem anderen prozessualen Kontext. Bei einer Einstellung durch das Gericht sind nämlich auch im Falle der negativ formulierten Beschränkung auf die verfahrensgegenständlich verbleibenden Taten die ausgeschiedenen Taten durch die Anklage festgelegt.
14
(3) Bei einer Serie vollständig gleichförmiger, nicht näher konkretisierbarer Taten kann der Einstellungsbeschluss beispielsweise den Tatzeitraum angeben und die Anzahl der Taten in zu bezeichnenden Zeitabschnitten (Tatfrequenz ), die aus dem Verfahren ausgeschieden werden. Auch kann die Anzahl der – gegebenenfalls nach tatrichterlicher Schätzung – festgestellten Taten anhand von Tatzeitraum und Tatfrequenz konkretisiert werden, der Gesamtzahl der angeklagten Taten gegenübergestellt und eine Differenz ermittelt werden, die dann in der Einstellungsentscheidung zum Ausdruck kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 2014 – 2 StR 128/14).
15
bb) Der Einstellungsbeschluss soll aus sich selbst heraus verständlich sein. Ist der Beschluss mehrdeutig und bestehen deshalb nach dem Wortlaut Unklarheiten, welche Vorwürfe der Anklageschrift aus dem Verfahren ausgeschieden werden, kann er nach allgemeinen Grundsätzen ausgelegt werden. Dabei können bei der Prüfung, ob der Einstellungsbeschluss die gebotene Umgrenzung des verbleibenden Verfahrensstoffs leistet, auch die zugelassene Anklage , der Einstellungsantrag der Staatsanwaltschaft (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2011 – 1 StR 539/11), auf die Einstellungsentscheidung bezogene Hinweise und Anregungen des Gerichts, Hinweise des Gerichts nach § 265 StPO sowie im Rahmen einer auf die Erledigung des gesamten Verfahrens bezogenen Betrachtung jedenfalls dann, wenn der Einstellungsbeschluss zeitnah zur Urteilsverkündung gefasst wurde, auch die Schlussanträge der Verfahrensbeteiligten und das Urteil (anders zur Heranziehung der Urteilsfeststellungen noch Senatsbeschluss vom 29. Juli 2008 – 4 StR 210/08) berücksichtigt werden.
16
Liegt einem Einstellungsbeschluss nach § 154 Abs. 2 StPO die unzutreffende Annahme mehrerer selbständiger prozessualer Taten zugrunde, kann etwa bei einem sich aus den Gesamtumständen ergebenden offensichtlichen Irrtum/Versehen des Gerichts eine Umdeutung einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO in eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO in Betracht kommen (BGH, Beschluss vom 14. Februar 2006 – 4 StR 6/06; Beschluss vom 23. März 2005 – 2 StR 11/05, juris, Rn. 5; vgl. auch Urteil vom 1. Juni 2005 – 2 StR 405/04, NStZ 2006, 455; vgl. aber Senatsbeschluss vom 8. Oktober 2013 – 4 StR 339/13, NStZ 2014, 46 m. Anm. Allgayer).
17
cc) Nur wenn der Einstellungsbeschluss die vorstehend dargestellten Anforderungen erfüllt, entfaltet er eine den Verfahrensstoff beschränkende Wirkung.
18
Ergibt sich hingegen auch unter Würdigung der vorstehend unter 1. a) bb) genannten Umstände keine Klarheit über die ausgeschiedenen Verfahrensteile , ist die Verfahrensbeschränkung nach § 154 Abs. 2 StPO wirkungslos und steht einer Aburteilung nicht entgegen (BGH, Urteil vom 14. März 2012 – 2 StR 561/11 Rn. 17). Ist eine Verfahrensbeschränkung in der Hauptverhand- lung aufgrund ihrer Unbestimmtheit wirkungslos geblieben, hat das Revisionsgericht als Verfahrensvoraussetzung (nur) zu prüfen, ob die ausgeurteilten Taten von der Anklage erfasst sind. Der Einstellungsbeschluss selbst begründet in diesem Fall kein Verfahrenshindernis (aA OLG München wistra 2008, 319 f.). Soweit den Senatsentscheidungen vom 29. Juli 2008 – 4 StR 210/08 – und vom 3. Dezember 2013 – 4 StR 461/13 – eine andere Rechtsauffassung zu entnehmen ist, hält der Senat daran nicht fest.
19
Ist der Einstellungsbeschluss wirksam, hat das Revisionsgericht als Verfahrensvoraussetzung von Amts wegen zu überprüfen, ob den ausgeurteilten Taten eine Einstellung entgegensteht. Lässt sich dies den Urteilsgründen nicht hinreichend sicher entnehmen, kann dies zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung führen (BGH, Beschluss vom 9. November 2011 – 4 StR 300/11). Sind eingestellte Taten ausgeurteilt worden, stellt das Revisionsgericht das (weitere) Verfahren insoweit ein (st. Rspr.; u.a. BGH, Beschluss vom 4. Juni 2013 – 4 StR 192/13; Beschluss vom 25. Januar 2012 – 1 StR 45/11 Rn. 19 ff., insoweit in BGHSt 57, 95 nicht abgedruckt; Urteil vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 290/06, NStZ-RR 2007, 83).
20
Soweit ein nach den oben genannten Kriterien wirksamer Einstellungsbeschluss die Informationsfunktion für den Angeklagten nicht erfüllt, muss dieser eventuelle Mängel mit einer Verfahrensrüge geltend machen.
21
b) Auf den vorliegenden Fall angewendet ergibt sich Folgendes:
22
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Beschluss des Landgerichts vom 21. Oktober 2013 den dargelegten Konkretisierungsanforderungen genügt. Dies erscheint zweifelhaft, kann aber letztlich dahinstehen. Denn ein nicht hinreichend konkretisierter, unbestimmter Einstellungsbeschluss ginge ins Leere, so dass alle angeklagten Taten weiter Verfahrensgegenstand beim Landgericht waren. Alle ausgeurteilten Taten waren angeklagt; auch wäre keine der ausgeurteilten Taten von dem Einstellungsbeschluss erfasst, sollte dieser wirksam sein. Ein Verfahrenshindernis besteht somit in keinem Fall. Die vom Landgericht zusammen mit der Einstellung beschlossene „Abtrennung“ hat hier ersichtlich keine eigenständige rechtliche Bedeutung.
23
2. Der Schuld- und der Strafausspruch des angefochtenen Urteils weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Quentin

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Die Anklageschrift hat den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen (Anklagesatz). In ihr sind ferner die Beweismittel, das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, und der Verteidiger anzugeben. Bei der Benennung von Zeugen ist nicht deren vollständige Anschrift, sondern nur deren Wohn- oder Aufenthaltsort anzugeben. In den Fällen des § 68 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 1 genügt die Angabe des Namens des Zeugen. Wird ein Zeuge benannt, dessen Identität ganz oder teilweise nicht offenbart werden soll, so ist dies anzugeben; für die Geheimhaltung des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Zeugen gilt dies entsprechend.

(2) In der Anklageschrift wird auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen dargestellt. Davon kann abgesehen werden, wenn Anklage beim Strafrichter erhoben wird.

5 StR 431/00

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 22. August 2001
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. August
2001, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf
als Vorsitzender,
Richter Dr. Bode,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 8. Mai 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Die Staatsanwaltschaft Dresden hat dem Angeklagten mit der zugelassenen Anklageschrift vorgeworfen, in der Zeit vom 1. Januar 1997 bis Mai 1997 in insgesamt 14 näher beschriebenen Fällen mit Betäubungsmitteln (Kokain u. a.) in jeweils nicht geringen Mengen unerlaubt Handel getrieben zu haben. Das Landgericht hat das Verfahren durch Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt, weil die angeklagten Taten schon Gegenstand eines früheren Verfahrens gewesen seien (Landgericht Dresden, Aktenzeichen : 4 KLs 423 Js 61496/97), dieses insoweit nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt worden und eine Wiederaufnahme (§ 154 Abs. 4 StPO) nicht erfolgt sei. Mit ihrer – vom Generalbundesanwalt letztlich vertretenen – Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit der “Aufklärungsrüge” beanstandet sie, daß das erkennende Gericht keine Beweisaufnahme durchgeführt habe. Dem Rechtsmittel ist ein Erfolg nicht zu versagen.

Der Senat hat das im angefochtenen Urteil angenommene Verfahrenshindernis von Amts wegen im Freibeweisverfahren zu prüfen (vgl. Pfeiffer in KK 4. Aufl. Einleitung Rdn. 133). Deshalb ist unerheblich, daß die Ausführungen der Beschwerdeführerin in der Revisionsbegründung den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügen. Die Prüfung ergibt, daß die Einstellung des früheren Verfahrens hinsichtlich des Falles 54 der damaligen Anklageschrift vom 20. März 1998 gemäß § 154 Abs. 2 StPO für die hier angeklagten Taten schon deshalb keine Sperrwirkung (vgl. dazu Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 154 Rdn. 41, 50) entfalten konnte, weil sie diese Taten nicht erfaßte.
Sofern kein besonderer Vertrauensschutz gemäß dem Fairneßgrundsatz greifen sollte, kommt eine aus § 154 Abs. 2 StPO folgende Sperrwirkung nicht in Betracht, wenn es hierfür an einer wirksamen, ausreichend konkreten Anklageerhebung gefehlt hat (vgl. BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 – Tat 13). Nach ständiger Rechtsprechung hat die Anklageschrift die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, daß die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche Tat gemeint ist; die Tat muß sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (BGHSt 40, 44, 45; 40, 390, 391; zusammenfassend Kuckein StraFo 1997, 33, 36). Diesen Anforderungen genügt die im “Alt-Verfahren” erhobene Anklage in Fall 54 weitgehend nicht.
Die damalige – unverändert zugelassene – Anklage lastete dem Angeklagten insoweit (gewerbsmäßiges) unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln an. Ihm wurde vorgeworfen, “bis zu seiner Festnahme am 30. Oktober 1997 verschiedene Betäubungsmittel, wie Cannabis, Cannabisprodukte , MDMA, MDE und Kokain, an Zwischenhändler und Drogenabhängige in Dresden und Umgebung veräußert zu haben, um dadurch Gewinne für sich zu erzielen”. Der Angeklagte habe das Rauschgift vor dem Verkauf auf einer Feinwaage abgewogen und portioniert, durch Zugabe von Lactose und Mannit gestreckt und verkaufsfertig in zuvor angefertigte Faltbriefchen verpackt. Bei der Durchsuchung am 30. Oktober 1997 sei eine Vielzahl von Gegenständen und Substanzen gefunden worden, welche diesem Zweck zu dienen geeignet und bestimmt gewesen seien.
Es fehlte hiermit bereits weitgehend an einer hinreichend deutlichen Eingrenzung des Tatzeitraumes. Die Angabe, daß der Anklagte bis zu seiner Festnahme am 30. Oktober 1997 mit Betäubungsmitteln gehandelt habe, läßt für sich offen, wann er diese Handlung(en) frühestens begangen haben könnte. Der ergänzende Hinweis im wesentlichen Ermittlungsergebnis – auf welches zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes zurückgegriffen werden darf (BGHSt 46, 130, 134; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 – Tat 12; jeweils m.w.N.) –, der Angeklagte habe spätestens im Januar 1996 mit dem Verkauf von Betäubungsmitteln begonnen, trägt zur näheren Konkretisierung des hier maßgeblichen Anklagepunktes 54 nicht bei; ersichtlich ist mit dieser Zeitangabe der Beginn der ersten weiteren 53 Taten gemeint. Eine zeitlich nur sehr vage Beschreibung des Tatvorwurfs führt zwar nicht zwingend zur Annahme eines Verfahrenshindernisses (vgl. BGHSt 44, 153, 154 ff.; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 – Anklagesatz 2; Tat 13, 14). Doch läßt die Anklage darüber hinaus jedwede Information zu Teilakten des Handeltreibens, insbesondere zu einzelnen Erwerbs- oder Veräußerungshandlungen, zu Art und Menge von Betäubungsmitteln, zu Geschäftspartnern und ähnlichem vermissen.
Soweit unter Ziffer 54 im Anklagevorwurf mitgeteilt wird, daß bei der Festnahme des Angeklagten am 30. Oktober 1997 in dessen Wohnung noch kleinere Mengen und Anhaftungen verschiedener, im einzelnen bezeichneter Betäubungsmittel gefunden worden sind, ist damit freilich der Umgang mit diesen Betäubungsmitteln hinreichend konkretisiert; insoweit ist ein Teilakt gewerbsmäßigen Handeltreibens (noch) ausreichend angeklagt. Ferner läßt sich aus der zeitlichen Abfolge der angeklagten Taten und dem Zusammenhang zwischen den Anklagepunkten 53 (Handeltreiben bis zum 13. Oktober 1997) und 54 allenfalls noch eine konkrete Anklage gewerbsmäßigen Handeltreibens ab dem 14. Oktober 1997 aus der Anklage herauslesen. Keinesfalls bestehen aber Anhaltspunkte dafür, daß zwischen einem so verstandenen Tatvorwurf und den neuerlich angeklagten Taten irgendein Zusammenhang besteht, zumal letztere ausweislich der Anklage schon im Mai 1997, somit fünf Monate zuvor beendet gewesen sein sollen.
Bei dieser Sachlage kann offenbleiben, inwieweit eine frühere Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO gegenüber einer neuerlichen Strafverfolgung bei Hinzutreten erschwerender Umstände Sperrwirkung entfalten kann (vgl. dazu BGH NStZ 1986, 36 m. Anm. Rieß).
Der beträchtliche Zeitablauf seit Begehung der hier angeklagten Taten und der Vorlauf dieses Verfahrens, der dem Angeklagten nicht anzulasten ist, wird vom neuen Tatrichter ganz erheblich zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen sein.
Basdorf Bode Gerhardt Raum Brause

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 205/09
vom
28. Oktober 2009
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_______________________
Zur Frage, inwieweit zur Beurteilung der Umgrenzungsfunktion
der Anklage auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen
zur Prüfung der Frage zurückgegriffen werden kann, gegen
welchen von mehreren Angeklagten sich ein bestimmter
Vorwurf richtet.
BGH, Urt. vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09 - LG Münster
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
28. Oktober 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten S. ,
Rechtsanwalt
und Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten K. ,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten J. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 12. März 2008 wird
a) das vorbezeichnete Urteil, soweit es den Angeklagten J. betrifft, im Fall B.II.3 der Urteilsgründe aufgehoben und das Verfahren insofern eingestellt; im Umfang der Einstellung hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten J. zu tragen ,
b) das genannte Urteil im Übrigen, soweit die Angeklagten S. , K. und J. freigesprochen wurden, mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die verbleibenden Kosten dieser Rechtsmittel - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die den Angeklagten J. betreffende weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten (betreffend den Angeklagten S. in den Fällen B.I., B.II.2 und 3 der Urteilsgründe, bei dem Angeklagten K. in den Fällen B.II.1 bis 3 der Urteilsgründe und bezüglich des Angeklagten J. in den Fällen B.II.1 und 3 der Urteilsgründe) von den Vorwürfen der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung und entwürdigender Behandlung freigesprochen. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügt und die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, führen betreffend den Angeklagten J. zur Einstellung des Verfahrens im Fall B.II.3 der Urteilsgründe, weil es insofern an den Verfahrensvoraussetzungen der Erhebung einer ordnungsgemäßen Anklage und damit auch an der ordnungsgemäßen Zulassung der Anklage fehlt. Im Übrigen war das Urteil in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang aufzuheben. Soweit die Beschwerdeführerin betreffend den Angeklagten J. zudem im Fall B.II.2 der Urteilsgründe einen Verstoß gegen die gerichtliche Kognitionspflicht beanstandet, bleibt das Rechtsmittel hingegen ohne Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
1. Die Angeklagten - bis auf den Mitangeklagten Sc. allesamt Unteroffiziere verschiedenen Ranges - waren im Jahr 2004 in Coesfeld in der 7. Kompanie des 7. Instandsetzungsbataillons der Bundeswehr tätig und bildeten dort Rekruten in der Grundausbildung aus. Bei dieser Kompanie, die in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne stationiert war und die vom Mitangeklagten Haupt- mann Sc. geführt wurde, handelt es sich um eine reine Ausbildungskompanie , der jeweils zu Quartalsbeginn neue Rekruten zur dreimonatigen Allgemeinen Grundausbildung zugewiesen wurden.
4
Zur Tatzeit - im zweiten und dritten Quartal 2004 - war der Angeklagte S. im Rang eines Oberfeldwebels als Gruppenführer eingesetzt. Der Angeklagte K. war im zweiten Quartal 2004 zum Hauptfeldwebel befördert und als Gruppenführer im zweiten Zug sowie im dritten Quartal 2004 als stellvertretender Zugführer im ersten Zug eingesetzt worden. Der Angeklagte J. war im Juni/Juli 2004 zur 7. Kompanie nach Coesfeld versetzt worden und seitdem im Rang eines Stabsunteroffiziers als Gruppenführer tätig.
5
2. Im zweiten und dritten Quartal 2004 galt für die Ausbildung der Rekruten die „Anweisung für die Truppenausbildung Nummer 1“ (AnTrA1), Stand Juni 2001. Sie regelte Ziele und Inhalte der Allgemeinen Grundausbildung und sah für die dreimonatige Allgemeine Grundausbildung der Rekruten eine Ausbildung „Geiselnahme/Verhalten in Geiselhaft“ nicht vor. Am 8. Juli 2004 wurde nach längeren Überlegungen im Bundesministerium der Verteidigung eine geänderte AnTrA1 herausgegeben, die zum 1. Oktober 2004 in Kraft trat. Diese enthielt einen neuen Teil „Basisausbildung EAKK“ (Einsatzvorbereitende Ausbildung für Krisenbewältigung und Konfliktverhütung) mit dem Ziel, bereits in der Grundausbildung die für einen Auslandseinsatz im Rahmen der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung erforderlichen Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten zu erlernen. Dieser neue Ausbildungsteil sah eine zweistündige, vom Kompaniechef selbst durchzuführende, ausschließlich theoretische Unterrichtseinheit über Geiselhaft, Entführung und Gefangenschaft bei Einsätzen sowie über die Konfrontation mit Verwundung und Tod und deren Bewältigung vor. Eine praktische Übung in einem solchen Zusammenhang und zu diesem Thema ist nicht vorge- sehen. Diese geänderte AnTrA1 war bereits seit dem 19. Juli 2004 im Intranet der Bundeswehr abrufbar.
6
Schon zuvor fanden im Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum in Hammelburg Lehrgänge statt, in denen Zugführer von Ausbildungskompanien für die Ausbildung nach der neuen AnTrA1 geschult wurden, um als Multiplikatoren für die übrigen Ausbilder zu fungieren. Den Ausbildern wurden hier die neuen Inhalte der geänderten AnTrA1 auszugsweise vermittelt. Es wurde ihnen aufgezeigt , wie die neuen Ausbildungsinhalte in den Einheiten praktisch umgesetzt werden konnten. Eine Ausbildung zum Thema „Geiselnahme/Verhalten in Geiselhaft“ erfolgte nicht. Die Mitangeklagten D. und H. hatten an einem solchen Lehrgang bereits teilgenommen.
7
Die Übung „Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ ist ein Abschnitt der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“, die von der Bundeswehr nur für diejenigen Soldaten auf Zeit, freiwillig länger Dienende oder Berufssoldaten vorgesehen ist, die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen und den Befehl bekommen haben, an einem Auslandseinsatz teilzunehmen. Diese Übung wurde von der Bundeswehr nur an drei Standorten im Bundesgebiet durchgeführt, wozu die Freiherr-vom-Stein-Kaserne aber nicht gehörte. Sie wurde zudem zuvor im Unterricht mit allen Teilnehmern besprochen und von Psychologen begleitet. Die Übung selbst lief dergestalt ab, dass die auszubildenden Soldaten eine Busfahrt unternahmen, während derer sie überfallen wurden. Ihnen wurden die Augen verbunden und sie wurden aufgefordert, ihre Hände in den Nacken, auf die Knie oder die Sitzbank vor ihnen zu legen. Anschließend wurden sie an einen Ort verbracht, an dem eine „Befragung“ stattfand. Hierbei wurden die Soldaten , deren Augen nach wie vor verbunden waren, physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt, um bei ihnen Stress zu erzeugen. Sie wurden lautstark befragt und mussten körperliche Übungen wie Liegestütze oder Kniebeugen machen. Zudem wurde ihnen gedroht, Kameraden zu schlagen oder zu erschießen, wenn sie nicht die gewünschten Antworten gaben. Zur möglichst realistischen Untermalung wurden die entsprechenden Geräusche (Schläge und Schüsse) simuliert. Während der Übung hatten die Soldaten - wie ihnen beim vorhergehenden Unterricht gesagt worden war - jederzeit die Möglichkeit, durch ein Handzeichen aus der Übung auszusteigen. Die Mitangeklagten D. und H. hatten eine solche „Einsatzbezogene Zusatzausbildung“ bereits absolviert.
8
3. Nachdem in der Vergangenheit auch außerhalb der drei festgelegten Standorte eine Ausbildung „Geiselnahme/Geiselhaft“ durchgeführt worden war, die nicht derjenigen in den drei Ausbildungszentren entsprach und die bei einigen Teilnehmern zu Anzeichen einer Traumatisierung geführt hatte, wies das Heeresführerkommando der Bundeswehr in einem als „VS - nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichneten Schreiben vom 26. Februar 2004 darauf hin, dass diese Ausbildung ausschließlich im Rahmen der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ in den drei Ausbildungs- beziehungsweise Gefechtsübungszentren durchgeführt werden dürfe, da sie dort unter Anleitung des dafür speziell geschulten Personals erfolgen könne. Empfänger dieses Schreibens war auch die 7. Ausbildungskompanie in Coesfeld. Außerdem war in dem „Befehl 38/10“ vom 12. April 2004 die Ausbildung über das Thema „Verhalten in Geiselhaft“ ausschließlich dem Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum zugewiesen worden. Dass die Angeklagten dieses Schreiben oder den Befehl kannten, vermochte die Kammer nicht festzustellen.
9
4. Anfang April 2004 (Fall B.I. der Urteilsgründe) begannen in der Freiherr -vom-Stein-Kaserne etwa 80 Rekruten, von denen zirka die Hälfte Wehr- dienstleistende waren, ihre dreimonatige Grundausbildung. Es wurden zwei Ausbildungszüge gebildet, deren Zugführer die Mitangeklagten Hauptfeldwebel D. und H. waren.
10
a) Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Verlauf des zweiten Quartals 2004 kamen die beiden Zugführer auf die Idee, in der Allgemeinen Grundausbildung in Coesfeld eine Geiselnahmeübung durchzuführen. Ihnen war - ebenso wie dem Mitangeklagten Hauptmann Sc. - bekannt, dass eine Änderung der AnTrA1 bevorstand und auch eine Übung „Geiselhaft“ in die Allgemeine Grundausbildung eingeführt werden sollte. Nach Ansicht der Kammer ließ sich jedoch nicht feststellen, ob sie auch wussten, dass diese Übung lediglich theoretisch und nur durch den Kompaniechef ausgebildet werden sollte.
11
Vor dem 8. Juni 2004 fand auf Anordnung der beiden Zugführer eine Ausbilderbesprechung statt, an der auch der Angeklagte S. teilnahm. Dabei wurde der grobe Ablauf der Geiselnahmeübung erörtert. Die beiden Zugführer D. und H. beabsichtigten, die Rekruten nach der dienstplanmäßigen Nachtschießübung am 8. Juni 2004 gruppenweise auf einen nächtlichen Orientierungsmarsch zu schicken, bei dem zum Schluss die „Geiselnahme“ mit anschließendem „Verhör“ erfolgen sollte. Weder der Orientierungsmarsch noch die Geiselnahmeübung standen auf dem für die Rekruten einsehbaren Dienstplan und waren diesen somit nicht bekannt. Auch auf den Dienstplänen, die von den Zugführern erstellt und dem Mitangeklagten Sc. zur Unterzeichnung und anschließenden Weiterleitung an das Bataillon vorgelegt worden waren, war eine Geiselnahme nicht erwähnt.
12
Die beiden Zugführer D. und H. teilten neben fünf weiteren Ausbildern den Angeklagten S. für das „Überfallkommando“ ein. Dieses sollte die Rekruten nach Bewältigung des Nachtmarsches in den frühen Morgenstunden des 9. Juni 2004 überfallen, entwaffnen, fesseln und ihnen die Augen verbinden. Für die Fesselung waren dabei Kabelbinder vorgesehen, weil den bei der Besprechung Anwesenden bei dem Gebrauch von „Panzerklebeband“ die Verletzungsgefahr zu hoch erschien. Anschließend sollten die Rekruten mit einem Pritschenwagen zum Standortübungsplatz gefahren werden, um in einer dortigen Sandgrube „verhört“ zu werden. Für dieses „Verhör“ teilten die beiden Zugführer den früheren Mitangeklagten He. ein. Diesem sagte der Mitangeklagte D. , das „Verhör“ solle „etwa so wie in Hammelburg“, im Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum, ablaufen, wo der frühere Mitangeklagte He. eine Geiselnahmeübung absolviert hatte. Außerdem wurde vereinbart, den Rekruten vor dem Überfall das Codewort „Tiffy“ mitzuteilen, mit dem die Rekruten jederzeit aus der Übung aussteigen könnten. Dieser Begriff wurde in der Grundausbildung als Synonym für „Schwächling“ oder „Weichei“ verwendet, um Kameraden zu verhöhnen.
13
Das Landgericht sah sich nicht in der Lage aufzuklären, ob bei dieser Ausbilderbesprechung noch weitere Einzelheiten der Geiselnahmeübung erörtert wurden. Die beiden Mitangeklagten D. und H. teilten den Anwesenden mit, die geplante Geiselnahmeübung sei vom Kompaniechef „abgesegnet worden“. Tatsächlich hatte der Mitangeklagte Hauptmann Sc. eine solche Übung auch genehmigt, obwohl er Bedenken hatte, weil er wusste, dass diese in der geltenden AnTrA1 nicht vorgesehen war.
14
b) Gegen Ende der Nachtschießübung am 8. Juni 2004 erklärten die beiden Zugführer D. und H. den angetretenen Rekruten, im Raum Coesfeld seien Terroristen gesichtet worden, das Gebiet müsse bestreift und sämtliche Auffälligkeiten müssten dokumentiert werden. Die Rekruten, die ihr gesamtes Marschgepäck und ihr Gewehr bei sich hatten, machten sich gruppenweise auf den Weg. Dabei marschierten die einzelnen Gruppen zeitlich versetzt ohne ihren planmäßigen Gruppenführer los. Die Rolle des Gruppenführers musste jeweils ein Rekrut übernehmen. Es gab keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass etwas Besonderes passieren könnte. Entgegen der ursprünglichen Planung in der Ausbilderbesprechung wurde den Rekruten ein Kennwort, mit dem die Übung hätte beendet werden können, nicht mitgeteilt. Lediglich manchen Rekruten war während ihres späteren „Verhörs“ gesagt worden, sie müssten nur das Wort „Tiffy“ sagen, um aus der Übung auszusteigen.
15
c) Die sechs Beteiligten des „Überfallkommandos“ hatten einen Hinterhalt im Gelände eingerichtet. Sie trugen Bundeswehrkleidung, hatten aber teilweise ihre Dienstgradabzeichen und Namensschilder entfernt. Ihre Gesichter waren vermummt, um nicht auf den ersten Blick erkannt zu werden. Sie hatten Gewehre mit geladenen Manöverpatronengeräten dabei, teilweise auch ungeladene Pistolen und mehrere Übungsgranaten. Es waren auch Kabelbinder zum vorgesehenen Überfallort gebracht worden. Diese sollten laut Anweisung der Zugführer D. und H. den Rekruten möglichst über der Kleidung angelegt und nicht ganz eng zugezogen werden, damit sie nicht in die Haut schnitten.
16
Die erste Gruppe traf verspätet erst in den Morgenstunden des 9. Juni 2004 ein. Das „Überfallkommando“, das zeitweise von den Mitangeklagten D. und H. verstärkt wurde, die dann zum Teil beim Überfallen und Überwältigen der Rekruten mithalfen, lenkte die Rekruten zuerst ab und griff sie dann schreiend und schießend an. Die Rekruten waren im Allgemeinen zu überrascht und - nach rund 24 Stunden Dienst und dem mehrstündigen Orientierungsmarsch - zumeist auch zu erschöpft, um noch größere Gegenwehr zu leisten. Sie gingen durchweg davon aus, dass es sich bei den maskierten Angreifern um Bundeswehrangehörige handelte. In aller Regel kamen die Rekruten der Aufforderung, sich zu ergeben und sich auf den Boden zu legen, letztlich freiwillig nach. Bei manchen Rekruten halfen die Angreifer mit körperlichem Druck nach. Allerdings leisteten andere Rekruten auch Widerstand. So wurde der Zeuge L. von einem der Angreifer zu Boden gerissen, wo er auf dem Bauch zum Liegen kam. Damit er nicht wieder aufstehen konnte, drückte einer der Ausbilder ein Knie auf seinen Hals. Anschließend wurden L. s Hände mit den Kabelbindern auf den Rücken gefesselt und zusätzlich mit der Splitterschutzweste oder dem Koppeltragegestell verbunden, wodurch seine Arme nach oben gezogen wurden und er schmerzhaften Druck auf seinen Schultern verspürte. Als er sich gegen die Fesselung wehrte, nahm einer der Angreifer das Knie des Zeugen L. in einen Haltegriff, so dass dessen Bein verdreht wurde und er Schmerzen erlitt. Auch mit dem Zeugen R. gab es bei der Entwaffnung eine „kleine Rangelei“, bei der er aber nicht verletzt wurde. Der Zeuge Kl. wurde bei dem Überfall von hinten in einen Würgegriff genommen und zu Boden gebracht.
17
Alle Rekruten mussten sich nach ihrer Entwaffnung hinknien oder auf den Bauch legen. Ihnen wurden die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken gefesselt, wobei größtenteils darauf geachtet wurde, dass sie nicht zu stramm anlagen. Bei den meisten Soldaten hinterließen die Kabelbinder keine Spuren. Sechs Rekruten trugen jedoch Druckstellen an den Handgelenken davon; zwei - darunter der Zeuge F. , der vom Angeklagten S. gefesselt worden war - erlitten Kratzer beziehungsweise kleine Schnittwunden an den Armen. Bei einem Rekruten saßen die Kabelbinder so stramm, dass sie Schmerzen verur- sachten und es später Schwierigkeiten bereitete, ihn davon zu befreien. Bei dem Versuch eines Ausbilders, sie mit einem Taschenmesser zu durchtrennen, trug der Rekrut eine leichte Schnittverletzung davon.
18
Die Augen der Rekruten wurden mit einem Dreiecktuch verbunden; möglicherweise wurde einzelnen auch ein Wäschesack über den Kopf gezogen. Teilweise wurden sie bereits jetzt befragt. Als der Zeuge B. , der mit gefesselten Händen und verbundenen Augen auf dem Boden lag, hierbei „patzige“ Antworten gab, stellte einer der Ausbilder seinen Stiefel unter dessen Hoden und hob den Stiefel etwa zwei Sekunden an. Dies war für den Zeugen B. schmerzhaft.
19
d) Nachdem sämtliche Rekruten einer Gruppe wie geschildert außer Gefecht gesetzt worden waren, was zwischen fünf und zehn Minuten dauerte, wurden sie von den Ausbildern auf die Ladefläche eines Pritschenwagens „verladen“. Dabei wurde ein Rekrut „in den Lkw hineingezogen oder unsanft hineingeschoben“. Ein anderer kam nach dem Einladen auf einem Kameraden zu liegen und wieder ein anderer wurde auf den Lkw geschubst, wobei er sich das Knie schmerzhaft anstieß. Während der langsamen Fahrt zur etwa zwei Kilometer entfernten Sandgrube war einer der Angreifer - bei einer Fahrt auch der Angeklagte S. - auf dem Lkw dabei, um für Ruhe zu sorgen und zu verhindern , dass die Rekruten miteinander redeten. Kam ein Rekrut einer Anweisung nicht nach, so erhielt er einen leichten Schlag - zumeist auf den Helm. Dies war - mit Ausnahme der Schläge, die der Zeuge L. bezog - nicht schmerzhaft. Jedoch bekam ein Rekrut während der Fahrt aufgrund der beengten Platzverhältnisse einen schmerzhaften Krampf in den Beinen.
20
e) Nach etwa fünf bis zehn Minuten Fahrt an der Sandgrube angekommen , wurden die Rekruten einzeln von der Ladefläche geholt, wobei darauf geachtet wurde, dass sie sich nicht verletzten. Fünf Rekruten fielen beim „Abladen“ allerdings auf den Sandboden. Der Ausbilder fuhr mit dem Pritschenwagen zurück zum Überfallort, um auf die nächste Gruppe zu warten.
21
Die Rekruten mussten sich in einem von dem früheren Mitangeklagten He. und den ihm zur Unterstützung zugeteilten drei Hilfsausbildern mit Stacheldraht abgetrennten Bereich zunächst hinknien. Einige wurden angewiesen, sich mit ihrem Kopf an eine steile Sandwand anzulehnen. Es begann dann das vom früheren Mitangeklagten He. geleitete „Verhör“. Dabei befragte er die Rekruten zuerst ganz allgemein in gebrochenem Englisch. Die Reaktionen waren unterschiedlich. Die Rekruten waren auf eine solche Übung nicht vorbereitet worden, so dass sie nicht wussten, wie sie sich richtig zu verhalten hatten. Die schweigenden Rekruten und diejenigen, die unpassende Antworten gaben, unterzog der frühere Mitangeklagte He. unterschiedlichen „Behandlungen“, die er sich ausgedacht hatte.
22
So mussten sich einige Rekruten - mit nach wie vor auf dem Rücken gefesselten Händen - in einer Entfernung von etwa einem Meter einem Kameraden gegenüber hinknien. Beiden wurde dann der Oberkörper so weit nach vorne gezogen, bis sie sich mit ihren Helmen gegenseitig stützten. Dies führte dazu , dass beide in den Sand fielen, sobald einer von ihnen die Position nicht mehr halten konnte. Teilweise mussten sich die gefesselten Rekruten an einen Baum stellen und sich mit dem behelmten Kopf daran anlehnen. Ihnen wurden die Füße ebenfalls so weit zurückgezogen, bis sie ihre Stellung nur mit Mühe halten konnten. Wäre ein Rekrut abgerutscht, wäre er ohne die Möglichkeit des Abfangens umgefallen. Andere Rekruten wurden von den Kabelbindern befreit und mussten mit verbundenen Augen Liegestütze oder Kniebeugen machen. Den Zeugen B. fasste der frühere Mitangeklagte He. dabei am Kragen und drückte ihn nach unten, wodurch die Ausführung der Liegestütze erheblich erschwert wurde und der Zeuge mit dem Kopf auf den Sandboden aufschlug. Wieder andere mussten allein oder zu zweit mit verbundenen Augen einen Baumstamm vor dem Körper oder über dem Kopf halten.
23
Für den Fall, dass Rekruten Aufgaben nicht erfüllten oder Fragen des früheren Mitangeklagten He. nicht beantworteten, gab es simulierte Erschießungen dergestalt, dass zunächst die Erschießung des Rekruten oder eines Kameraden angedroht und schließlich ein Feuerstoß aus dem Maschinengewehr abgegeben wurde.
24
Aus einer mitgebrachten Kübelspritze wurden zahlreiche Rekruten mit Wasser bespritzt. Dem Zeugen L. wurde, während er von oben herab nass gespritzt wurde, gesagt, es werde auf ihn und seine Gruppe uriniert. Einigen Rekruten wurde Sand unter die Kleidung geworfen und wieder andere wurden mit beidem - Sand und Wasser - „traktiert“. Da der nasse Sand an der Kleidung haftete und auf der Haut rieb, führte dies bei zwei Rekruten dazu, dass sie sich beim anschließenden Marsch in die Kaserne die Oberschenkel wund liefen beziehungsweise sich ihre bereits vorhandenen wunden Stellen verschlimmerten.
25
Einem anderen Teil der Rekruten pumpten der frühere Mitangeklagte He. und ein Hilfsausbilder mit der Kübelspritze Wasser auch in den Mund, wobei ein anderer den Rekruten festhielt. Der Zeuge L. wurde im Laufe seiner Befragung auf den Rücken gelegt, was die Schmerzen in seinen Schultern verschlimmerte; dabei wurde er festgehalten. Zusätzlich wurde sein Mund gewaltsam geöffnet, indem der frühere Mitangeklagte He. oder in dessen Beisein ein Hilfsausbilder mit der Hand Druck auf den Unterkiefer ausübte. In den geöffneten Mund wurde sodann mehrmals Wasser hineingepumpt, so dass der Zeuge L. keine Luft mehr bekam. Schließlich wurde ihm der Reißverschluss seiner Hose geöffnet, der Schlauch hineingesteckt und Wasser in die Hose gepumpt. Der frühere Mitangeklagte He. verhöhnte ihn anschließend als „Bettnässer“. Als der Zeuge L. daraufhin seinerseits He. beleidigte, bekam er, nachdem er gefragt worden war, ob er sterben wolle, einen metallischen Gegenstand an den Kopf gehalten und hörte einen Maschinengewehrverschluss einrasten. Dadurch geriet er in Panik, weil er dachte, ein echtes Maschinengewehr werde ihm an den Kopf gehalten, und er wusste, welche Verletzungen auch Platzpatronen in solchen Waffen verursachen können, wenn sie in unmittelbarer Nähe eines Menschen abgefeuert werden. Es fielen sodann tatsächlich auch mehrere Schüsse, wobei sich das Maschinengewehr aber in einiger Entfernung befand.
26
Der Zeuge Fä. musste sich während seines Verhörs mit auf dem Rücken gefesselten Händen und verbundenen Augen mit dem Kopf an einen Baum anlehnen. Die Ausbilder zogen ihm die Beine so weit zurück, bis es für ihn anstrengend wurde, die Position zu halten. Dann wurde auch ihm mit der Kübelspritze Wasser in die Hose gepumpt, während er weiter befragt wurde. Als der Zeuge Fä. eine „patzige“ Antwort gab, wurde er auf den Rücken gelegt und es wurde ihm Wasser in die Nase gepumpt. Anschließend hielt ihm der frühere Mitangeklagte He. die Nase zu und drückte ihm den Mund auf, während ihm ein Hilfsausbilder Wasser hinein pumpte. Dabei verschluckte sich Fä. . Diese Vernehmung des Zeugen Fä. wurde vom Mitangeklagten D. , der sich zu diesem Zeitpunkt - ebenso wie der Mitangeklagte H. - in der Sandgrube aufhielt, fotografiert.

27
Auch weiteren Rekruten wurde, während sie mit auf dem Rücken gefesselten Händen und verbundenen Augen auf dem Boden knieten oder lagen, Wasser in den Mund gepumpt. Teilweise wurde ihnen dabei der Mund gewaltsam geöffnet oder die Nase zugehalten, damit sie den Mund öffneten. Einige Rekruten konnten dadurch nicht mehr richtig atmen. Einem dieser Rekruten wurde zudem ebenfalls Wasser in die Hose gepumpt.
28
f) Das „Verhör“ einer Gruppe dauerte zwischen 20 und 30 Minuten. Danach wurden die Rekruten, soweit noch nicht geschehen, von Kabelbindern und Augenbinden befreit. Der Zeuge L. konnte, weil seine Schultern aufgrund der Fesselung derart stark schmerzten, nicht allein aufstehen, sondern musste von zwei Hilfsausbildern unterstützt werden. Im Anschluss an die Übung fand eine Nachbesprechung statt.
29
Die Kammer sah sich nicht in der Lage festzustellen, ob der Angeklagte S. wusste, was der frühere Mitangeklagte He. und die diesem zugewiesenen Hilfsausbilder in der Sandgrube im Einzelnen taten.
30
5. Anfang des dritten Quartals 2004 begannen etwa 150 Rekruten ihre Allgemeine Grundausbildung in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne in Coesfeld, die auf drei Ausbildungszüge verteilt wurden. Zugführer waren unter anderem die beiden Mitangeklagten D. und H. . Nach deren Planung sollten auch in diesem Quartal wieder Geiselnahmeübungen stattfinden - dieses Mal jedoch für jeden Zug gesondert.
31
a) Zunächst sollte der dritte, vom Mitangeklagten H. geführte Zug die Übung absolvieren (Fall B.II.1 der Urteilsgründe).

32
aa) An einem nicht mehr genau feststellbaren Tag vor dem 24. August 2004 fand deshalb wiederum eine von den Mitangeklagten D. und H. anberaumte Ausbilderbesprechung statt, an der auch die Angeklagten K. und J. teilnahmen. Dabei wurde der grobe Ablauf der Geiselnahmeübung für den dritten Zug erörtert. Die beiden Zugführer D. und H. beabsichtigten, die Rekruten nach der dienstplanmäßigen Schießübung des dritten Zuges am 24. August 2004, die sich bis in den späten Abend hinziehen sollte, wieder auf einen zuvor nicht angekündigten nächtlichen Orientierungsmarsch zu schicken. Gegen dessen Ende sollten sie überfallen, entwaffnet und gefesselt und anschließend mit einem Pritschenwagen zum „Verhör“ gebracht werden, das dieses Mal im Keller des Kasernenblocks 6, in dem der dritte Zug untergebracht war, stattfinden sollte. Vorgesehen war weiterhin, einen Raum mit Sportmatten auszulegen, in den zunächst alle Rekruten verbracht werden sollten. Von dort sollten die Rekruten dann einzeln in einen anderen Raum zum „Verhör“ gebracht und wieder mit einer Kübelspritze nass gemacht werden. Anschließend sollten alle Soldaten in einem weiteren Raum gesammelt werden. Damit sie währenddessen nicht frören, sollten sie mit bereitgelegten Decken zugedeckt werden, bevor sie schließlich freigelassen würden.
33
Trotz dieser Feststellungen vermochte das Landgericht aber nicht festzustellen , ob der Angeklagte K. , der für das „Verhör“ im Keller eingeteilt war, und der Angeklagte J. , der neben weiteren Ausbildern für den Zugriff vorgesehen war, jeweils damit rechneten, dass die Rekruten während des „Verhörs“ längere Zeit mit gefesselten Händen und mit verbundenen Augen auf dem Boden würden knien müssen. Dies gilt ebenso für den Umstand, dass die vorbereitete Kübelspritze dazu Verwendung finden könnte, die Rekruten mit Was- ser zu durchnässen und ihnen damit gewaltsam Wasser in den Mund zu pumpen. Außerdem sah sich die Kammer auch nicht in der Lage aufzuklären, ob bei dieser Ausbilderbesprechung noch weitere Einzelheiten der Geiselnahmeübung erörtert wurden. Allerdings wurde nach den Feststellungen zu der Station „Verhör“ zumindest gesagt, die dafür eingeteilten Ausbilder sollten sich „an den Sachen aus der Sandgrube orientieren“.
34
Auch hier enthielten weder der für die Rekruten einsehbare, noch der vom Kompaniechef, dem Mitangeklagten Sc. , unterzeichnete und an das Bataillon gesandte Dienstplan Informationen über die geplante Geiselnahme mit Verhör.
35
Nach dieser Ausbilderbesprechung sprachen sich die für das „Verhör“ eingeteilten Ausbilder - darunter auch der Angeklagte K. - ab, wie der Kellerraum für die geplante Befragung der Rekruten herzurichten sei.
36
bb) Nachdem die Rekruten des dritten Zuges am 24. August 2004 die dienstplanmäßige Schießübung absolviert hatten, kehrten sie gegen Mitternacht in die Kaserne zurück. Von dem Mitangeklagten H. wurde ihnen mitgeteilt , im Raum Coesfeld habe es terroristische Anschläge gegeben und die Bahnstrecke müsse gesichert werden. Die geplante Geiselnahme erwähnte er nicht. Allerdings erklärte er den Rekruten, dass sie die Übung jederzeit durch Nennung des Wortes „Tiffy“ beenden könnten. Auch einige Rekruten des dritten Quartals verstanden dieses Wort als Synonym für „Weichei“; für die meisten hatte es hingegen keine spezielle Bedeutung. Die Rekruten wurden auf vier Gruppen aufgeteilt und marschierten zeitlich versetzt, begleitet von ihrem jeweiligen Gruppenführer, los.
37
cc) Währenddessen bereitete sich das „Überfallkommando“, das dieses Mal aus zehn und zwölf Ausbildern bestand, wie bereits bei der Übung im Juni 2004 auf den Zugriff vor. Vor Ort wurden die daran Beteiligten - unter anderem der Angeklagte J. - von den Zugführern D. , dem die Leitung dieser Station oblag, und H. eingewiesen. Die Rekruten sollten nach dem Überfall , der so verlaufen sollte wie bereits im Juni 2004, wiederum entwaffnet und gefesselt werden. Außerdem sollte ihnen jeweils ein Wäschebeutel oder Stiefelsack über den Kopf gezogen werden. Beim Anlegen der Kabelbinder sollte darauf geachtet werden, dass sie nicht in die Haut schnitten.
38
In den frühen Morgenstunden des 25. August 2004 waren die Rekruten, nach einem etwa 20 Kilometer langen Marsch auf dem Rückweg zur Kaserne. Als sie an den Überfallort gelangten, verwirrten die Ausbilder die Rekruten durch den lauten Knall eines gezündeten Bodensprengsimulators und kamen laut schreiend aus ihrer Deckung. Auch hier waren die Rekruten aufgrund des langen Marsches und nach fast 24 Stunden Dienst zu erschöpft und auch zu überrascht, um noch größeren Widerstand zu leisten. Nach einem Schusswechsel leisteten die Rekruten der Aufforderung, die Waffe abzulegen und sich hinzulegen, Folge. Einige Rekruten wurden von den Ausbildern zu Boden gedrückt oder gerissen. Als sich der Zeuge P. verteidigen wollte, rammte ihm einer der Ausbilder die Schulterstütze eines Gewehres in den Rücken.
39
Nachdem die Rekruten entwaffnet worden waren, wurden ihnen die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken gefesselt. Bei acht Rekruten saßen sie jedoch so eng, dass diese Druckspuren auf der Haut davontrugen. Drei Soldaten erlitten durch die Fesselung Schürfwunden und bei dem Zeugen P. , dem zusätzlich - ebenso wie dem Zeugen M. - auch die Füße gefesselt worden waren, schnitten die Kabelbinder in die Haut ein, so dass anschließend Abdrü- cke auf der Haut zu sehen waren. Allen Rekruten wurde zudem ein Wäschebeutel beziehungsweise Stiefelsack über den Kopf gezogen, oder ihnen wurden die Augen mit einem Dreiecktuch verbunden. Zugleich wurden die Rekruten befragt. Dabei erhielt einer, weil er eine Frage nicht beantwortete, von einem der Ausbilder einen Schlag gegen seinen Helm, einem anderen wurden leichte Tritte versetzt, und neben dem Kopf des Zeugen La. wurde eine Pistole durchgeladen und ihm an die Schläfe gehalten.
40
dd) Anschließend wurden die Rekruten auf die Ladefläche eines herangefahrenen Pritschenwagens gesetzt und hinein geschoben. Die Zeugen P. und M. , die an Händen und Füßen gefesselt waren, wurden zum Fahrzeug getragen und auf die Ladefläche gelegt. Auf der folgenden Fahrt zur Kaserne fuhr zumindest einer der Ausbilder auf der Ladefläche mit, um die Rekruten zu befragen und um für Ruhe zu sorgen. Als der Zeuge P. , der mit seinem Bauch auf dem Knie eines Kameraden lag und deshalb schlecht Luft bekam, versuchte, sich aufzurichten, wurde er von einem der Ausbilder niedergedrückt und geschlagen, wodurch er Schmerzen erlitt. Ein anderer Rekrut wurde mit der Schulterstütze eines Gewehrs angestoßen, was „nicht übertrieben weh tat, aber auch nicht angenehm“ war. Wieder einem anderen wurde, als er eine Frage falsch beantwortet hatte, der Mündungsfeuerdämpfer eines Gewehres in seine Oberschenkelregion gedrückt, was Schmerzen verursachte.
41
ee) Im Keller des Kasernenblocks 6 hatten sich zwischenzeitlich die für das Verhör eingeteilten Ausbilder - darunter auch der Angeklagte K. - eingefunden und warteten auf die Ankunft der ersten Gruppe. Als diese um 6.30 Uhr immer noch nicht in der Kaserne war, meldete sich der Angeklagte K. , der ab 7.00 Uhr den zweiten Zug unterrichten sollte, ab und ging auf seine Stube.

42
ff) Nach kurzer Fahrt in der Kaserne angekommen, fuhr der Pritschenwagen mit den Rekruten rückwärts an eine auf dem Boden ausgelegte, etwa 30 bis 40 cm dicke Hochsprungmatte heran. Zum „Abladen“ wurden die Rekruten bis an die Ladekante des Fahrzeugs gezogen und wurden dann entweder zum Springen aufgefordert oder hinunter gestoßen. Dadurch sollte bei den Rekruten, die nichts sehen konnten, Angst erzeugt werden.
43
Sodann wurden die Rekruten in den Keller des Kasernenblocks 6 gebracht. Dabei wurden sie wegen ihrer verbundenen Augen in der Regel von einem Ausbilder begleitet. Der Zeuge Lan. , dessen Schnürsenkel möglicherweise zusammengebunden waren, fiel dabei auf der Kellertreppe hin und stieß sich das Knie, was ihm wehtat. Zudem ließ ihn der Ausbilder, der ihn in den Keller führte, gegen eine Wand laufen.
44
gg) Die Rekruten sollten sich zunächst in einem Waschraum hinknien und wurden weiterhin auf Englisch befragt. Wenn sie keine Antworten gaben, wurden sie verschiedenen Behandlungen unterzogen. Teilweise wurde ihnen Wasser mit der Kübelspritze oder mit einem Eimer auf die Kleidung gespritzt, so dass diese durchnässt war.
45
Dann wurden die Rekruten nacheinander in den als „Verhörraum“ vorgesehenen Partyraum gebracht und weiter „verhört“. Als der Zeuge P. als einziger noch im Waschraum war und versuchte die Tür zuzuschlagen, um sich zu befreien, stieß ihn ein Ausbilder in eine Ecke, wo er mit dem Kopf gegen die Wand prallte. Anschließend wurde der Zeuge P. in dem „Verhörraum“ auf einen Stuhl gesetzt und weiter befragt. Als er nach wie vor nicht antwortete, wurde er mit einem harten, länglichen Gegenstand fest auf Arme, Beine und Rü- cken geschlagen. Dies bereitete ihm Schmerzen. Nachfolgend wurde er in einem anderen Raum weiterhin befragt, während seine Kleidung mit Wasser durchnässt wurde. Schließlich wurde er in den Kellerflur hinausgebracht, wo er sich hinknien musste. Dort blies ihm einer der Ausbilder Rauch unter das Dreiecktuch und es wurde ihm ein heißer Gegenstand an seinen Nacken gedrückt. Auch einem weiteren Rekruten wurde, als er im Kellerflur knien musste und befragt wurde, Rauch ins Gesicht geblasen.
46
Dem Zeugen La. wurde während der Befragung mit einer Lampe ins Gesicht gestrahlt. Danach musste er sich in einem anderen Raum hinknien und mit dem Kopf auf einem Waschbecken abstützen. Nachdem er in dieser Stellung einige Zeit ausgeharrt hatte, wurde seine Feldbluse aufgeknöpft und er wurde mit Wasser übergossen, während er weiter befragt wurde. Der Zeuge Bä. musste sich hinknien und seinen Kopf an eine Wand anlehnen. In dieser Haltung wurde er dann befragt. Gab er keine Antworten, bekam er einen Schlag auf den Helm. Zwei andere Rekruten wurden herum und gegen die gepolsterten Wände geschubst, wodurch einer stolperte und sich schmerzhaft das Knie stieß.
47
Sechs Rekruten - darunter auch der Zeuge Lan. - wurde wiederum mit der Kübelspritze Wasser in den Mund gepumpt. Teilweise wurde ihnen dabei die Nase zugehalten, so dass sie zeitweise keine Luft mehr bekamen. Der Zeuge Lan. , dem bei diesem Geschehen Wasser auch in die Nase gelaufen war und dem daher das Atmen schwer fiel, musste anschließend aufstehen und allein die deutsche Nationalhymne singen. Danach wurde er auf dem Kellerflur weiter befragt. Da er nach wie vor keine Antworten gab, wurde sein Oberkörper nach vorne gebeugt. In dieser Haltung wurde er mehrmals - jedes Mal, wenn er nicht antwortete - mit seinem behelmten Kopf gegen die Kellerwand gestoßen.
Er erlitt dadurch zwar keine Schmerzen, empfand es jedoch als „unangenehm“. Weil der Zeuge Lan. die ihm gestellten Fragen immer noch nicht beantwortete , sagte einer der Ausbilder, dass man jetzt „Ernst“ mache. Dem Zeugen Lan. wurde daraufhin der Helm abgenommen und er wurde nochmals mit dem Kopf gegen die Wand geschubst. Entgegen seinen Befürchtungen prallte der Zeuge jedoch lediglich gegen ein Stück Schaumstoff, das einer der Ausbilder zum Abfangen des Stoßes an die Wand gehalten hatte.
48
Einem anderen Rekruten wurde während seiner Befragung eine „wirklich nicht gut“ riechende Creme unter die Nase gerieben, während wieder anderen der Mund gewaltsam geöffnet wurde und ihnen sodann Ketchup und/oder Senf beziehungsweise Soßenreste eingeflößt wurden.
49
hh) Nach etwa 30 bis 45 Minuten war die Übung für eine Gruppe beendet. Die Rekruten wurden in der Regel von den Kabelbindern befreit und konnten auf ihre Stube gehen. Bei dem Zeugen P. saßen die Kabelbinder allerdings so eng, dass sie zunächst nicht gelöst werden konnten und erst von einem Kameraden mit einem Messer durchtrennt werden mussten.
50
Auch die übrigen Gruppen des dritten Zuges wurden im Laufe der Nacht überfallen, gefangen genommen und in dem Keller „verhört“. Zu einem späteren Zeitpunkt erklärte der Mitangeklagte H. den Rekruten des dritten Zuges, wie sie sich bei einer Geiselnahme richtig zu verhalten hätten.
51
b) Für den zweiten Zug fand in diesem Quartal die Geiselnahmeübung in der Nacht vom 31. August auf den 1. September 2004 statt (Fall B.II.2 der Urteilsgründe

).


52
aa) Auf einer zuvor stattfindenden Ausbilderbesprechung, deren Leitung dem früheren Mitangeklagten Z. oblag, der stellvertretender Zugführer dieses Zuges war, wurde das Vorgehen zumindest wieder in groben Zügen erörtert. Die Rekruten sollten im Anschluss an die für den 31. August 2004 vorgesehene Schießübung, die sich bis in den späten Abend ziehen sollte, erneut auf einen zuvor nicht angekündigten nächtlichen Orientierungsmarsch geschickt werden, bei dem sie kurz vor Ende überfallen, gefangen genommen und mit einem Fahrzeug zum „Verhör“ gebracht werden sollten, das auch dieses Mal im Keller des Kasernenblocks 6 stattfinden sollte. Der frühere Mitangeklagte Z. teilte bei dieser Besprechung für den „Zugriff“ neben anderen die Angeklagten S. und K. ein. Für das „Verhör“ sah er neben einigen Hilfsausbildern den Angeklagten J. vor (ihn betreffend ist das Geschehen nach Ansicht des Landgerichts nicht Gegenstand der gegen ihn erhobenen Anklage).
53
Das Landgericht sah sich erneut nicht in der Lage aufzuklären, ob bei dieser Ausbilderbesprechung noch weitere Einzelheiten der Geiselnahmeübung erörtert wurden.
54
Auch hier enthielten weder der für die Rekruten einsehbare, noch der vom Kompaniechef, dem Mitangeklagten Sc. , unterzeichnete und an das Bataillon gesandte Dienstplan Informationen über die geplante Geiselnahme mit Verhör.
55
bb) Die Rekruten des zweiten Zuges wurden am 31. August 2004 - wie auch in den vorangegangenen Fällen - im Anschluss an ihre Schießübung auf den nächtlichen Orientierungsmarsch geschickt. Der frühere Mitangeklagte Z. wies sie in die Lage ein. Auch er erklärte den Rekruten, sie könnten die Übung durch Nennung des Wortes „Tiffy“ jederzeit beenden. „Möglicherweise“ äußerte er dabei ironisch, dieses Wort sei als Codewort international anerkannt und stehe auch in der Genfer Konvention. Jedenfalls einer der Rekruten ging deshalb davon aus, dass das Wort zwar benutzt werden könne, dies aber nur auf Kosten des Stolzes oder der Ehre der Rekruten. Die bevorstehende Geiselnahme erwähnte der frühere Mitangeklagte Z. nicht. Einige Rekruten hatten zwischenzeitlich aber von der vorangegangenen Geiselnahmeübung des dritten Zuges erfahren und ahnten, dass ihnen Gleiches widerfahren könnte.
56
cc) Die Rekruten des zweiten Zuges wurden auf „vermutlich“ drei Gruppen aufgeteilt und marschierten zeitlich versetzt begleitet von ihrem jeweiligen Gruppenführer los. Wie bei den Übungen vorher kamen die Rekruten nach einem etwa 20 Kilometer langen, mehrstündigen Marsch, dieses Mal allerdings noch im Dunkeln, am Überfallort an. Die Ausbilder verwirrten die Rekruten durch das Zünden eines Bodensprengsimulators und von Gefechtsfeldbeleuchtung , die zudem auch blendete. Sie kamen aus ihrer Deckung und forderten die Rekruten auf, ihre Waffen ab und sich auf den Boden zu legen. Nach einem Schusswechsel wurden diejenigen Rekruten, die dieser Aufforderung nicht freiwillig Folge leisteten, mit körperlicher Gewalt zu Boden gedrückt oder geworfen. Einem Rekruten wurde zudem mehrfach mit einem Pistolengriff auf den Hinterkopf geschlagen, weil er sich der Festnahme widersetzte und fliehen wollte.
57
Den Rekruten wurden wiederum die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken gefesselt. Bei drei Soldaten saßen sie so eng, dass sie Schmerzen bereiteten. Drei andere Rekruten trugen durch diese Fesselung Druckspuren auf der Haut und ein weiterer darüber hinaus Hautabschürfungen davon. Allen Rekruten wurde zudem ein Wäschebeutel oder Stiefelsack über den Kopf gezogen , und sie mussten sich hinknien. In dieser Situation wurden die Rekruten befragt , wobei einem von ihnen eine Pistole an den Kopf gehalten wurde. Ein an- derer wurde zu der Äußerung „I am a donkeyfucker“ aufgefordert. Auch dem Zeugen Be. wurde, während er bei seiner Befragung mit auf dem Rücken gefesselten Händen und einem über den Kopf gezogenen Wäschebeutel auf dem Boden kniete, eine - wie ihm bewusst war - ungeladene Pistole an den Kopf gehalten. Als er sich wegen eines schmerzhaften Krampfes in seinen Beinen hinlegte , bekam er von einem der Ausbilder einen Tritt in den Rücken und musste sich wieder hinknien.
58
Dem Zeugen De. war es gelungen, sich aus den Kabelbindern zu befreien und den Wäschesack vom Kopf abzustreifen. Als er jedoch in den Wald hineinlief, wurde er sogleich von mehreren Ausbildern verfolgt, die ihn einholten und zu Boden warfen. Dadurch war der Zeuge De. „nervlich offenbar überfordert“. Er bekam plötzlich Angst und begann am ganzen Körper zu zittern. Daraufhin brach der Mitangeklagte D. für diesen Zeugen die Übung ab, beruhigte ihn und ließ ihn zurück zur Kaserne bringen.
59
Der Zeuge Hi. hatte, nachdem seine Hände gefesselt worden waren und ihm ein Stiefelbeutel über den Kopf gezogen worden war, mit einem metallischen Gegenstand einen Schlag auf seinen Kopf und zudem einen Tritt in den Rücken bekommen, wodurch er kurz Zeit schlecht Luft bekam. Deshalb sagte er das Wort „Tiffy“, woraufhin er freigelassen wurde. Auch fünf weitere Rekruten hatten das Codewort genannt, so dass die Übung für sie ebenfalls beendet war und sie zurück zur Kaserne gebracht wurden. Darunter befanden sich auch der Zeuge Kü. , der bei dem Überfall auf sein Knie gestürzt war und Schmerzen hatte, sowie der Zeuge Dz. . Dieser hatte, als er mit gefesselten Händen und einem Stiefelbeutel über dem Kopf auf dem Waldboden lag, vom Angeklagte K. einen leichten Tritt mit dem Stiefel gegen den Kopf bekom- men. Dies war aber nicht absichtlich geschehen; vielmehr war der Angeklagte K. , als er einen Schritt rückwärts machte, versehentlich dagegen gestoßen.
60
dd) Die übrigen Rekruten wurden anschließend auf die Ladefläche eines Pritschenwagens gelegt und zur Kaserne gebracht. Beim „Abladen“ der Rekruten war dieses Mal keine Matte ausgelegt. Die Rekruten wurden bis zur Ladekante des Fahrzeugs gezogen und sodann von einem Ausbilder auf die Füße gestellt. Anschließend wurden sie in den Keller des Kasernenblocks 6 und zwar zunächst wieder in den Waschraum gebracht, wo sie sich hinknien oder setzen sollten. Teilweise wurden die Rekruten weiter befragt. Manchen wurde die Kleidung mit Wasser aus der Kübelspritze oder aus einem Eimer durchnässt - so auch dem Zeugen Bl. . Zudem wurde über diesem ein gefüllter Wassereimer ausgeleert und ihm anschließend der Eimer über den Kopf gestülpt, während er weiter befragt wurde. Dadurch fühlte sich der Zeuge Bl. gedemütigt. Außerdem füllte sich durch das Wasser auch der über den Kopf gezogene und zugebundene Wäschebeutel immer weiter mit Wasser, so dass der Zeuge Bl. zeitweise Probleme mit dem Atmen hatte. Anderen Rekruten wurden die Feldbluse aufgeknöpft und hochgeschoben sowie die Feldhose bis zu den Knöcheln hinuntergezogen, bevor ihnen Wasser auf die entblößten Körperteile gegossen wurde. Ein Rekrut wurde unter eine Dusche gelegt und nass gemacht. Durch den nassen Wäschesack bekam er zunehmend schlechter Luft, so dass er das Codewort nannte und die Übung für ihn abgebrochen wurde.
61
ee) Die Rekruten wurden dann entweder in den „Verhörraum“ gebracht und dort weiter verhört oder in einen Duschraum, wo der Angeklagte J. - was nach Ansicht des Landgerichts allerdings ihn betreffend nicht Gegenstand der Anklage ist - eine Personenüberprüfung durchführte. Dazu öffnete dieser Feldbluse und -hose sowie Stiefel der Rekruten und überprüfte sie auf Waffen.
Ihm war zuvor von einem nicht näher bekannten Ausbilder gesagt worden, er solle die Rekruten „ruhig etwas ruppiger anfassen“, um ihnen zu zeigen, dass das kein Spaß sei.
62
Teilweise wurde den Rekruten während der Befragung ein Gegenstand oder eine Pistole an den Kopf gehalten. Vier Rekruten wurden der Bauch oder die Beine entblößt und mit einer Bürste darüber gestrichen. Dies empfand der Zeuge Po. als „kratzig“. Dem Zeugen Bl. , dessen Haut anschließend gerötet war, tat es weh.
63
Der Zeuge Po. wurde schließlich in den Verhörraum gebracht, wo sich zu diesem Zeitpunkt ein Prüfgerät für Feldfernsprecher befand. Dieses Gerät besitzt eine Kurbel, durch deren Drehung Induktionsstrom erzeugt werden kann. Damit wurden dem Zeugen Po. mehrere Stromstöße an Bauch und Beinen versetzt, indem zwei angeschlossene Drähte an den entsprechenden Körperstellen angelegt wurden. Die Stromstöße dauerten jeweils einige Sekunden und verursachten ein Kribbeln, das deutlich unter der Schmerzgrenze blieb, da die Ausbilder, als sie merkten, dass es wehzutun begann, mit dem Kurbeln aufhörten. Auch ein weiterer Rekrut erhielt, nachdem er mit Wasser aus Eimern durchnässt worden war, während seines „Verhörs“ mit dem FeldfernsprecherPrüfgerät mindestens vier Stromschläge am Bauch und über seine Erkennungsmarke. Dies empfand er als unangenehm, aber nicht als schmerzhaft.
64
Der Zeuge Be. wurde während seiner Befragung zunächst auf den Boden gelegt und mit Wasser aus einer Kübelspritze durchnässt. Da er nicht die verlangten Antworten gab, wurde er sodann in einem anderen Raum auf einen Stuhl gesetzt, dann die beiden Kabelenden des FeldfernsprecherPrüfgerätes an einen seiner Handballen gehalten und die Kurbel des Gerätes betätigt. Währenddessen wurden ihm immer die gleichen Fragen gestellt, die er aber weiterhin nicht beantwortete. Daraufhin wurde die Kurbel schneller gedreht , so dass stärkerer Strom floss. Der Zeuge ballte seine Hand zur Faust, um die Stromschläge besser aushalten zu können. Auch einem weiteren Rekruten wurden, während er „verhört“ wurde, Stromstöße versetzt, indem die Kabelenden des Prüfgeräts an seine nassen und unbekleideten Oberschenkel angelegt wurden. Die Stromstöße waren anfangs relativ milde, wurden aber immer stärker, bis sie die Schmerzgrenze des Soldaten erreicht hatten und dieser zu zittern begann.
65
ff) Die Kammer vermochte nicht festzustellen, ob die Angeklagten S. und K. , die in dieser Nacht an der Station „Zugriff“ im Gelände tätig waren , mitbekommen oder im nachhinein davon erfahren haben, auf welche Art und Weise die Rekruten bei dieser Übung im Keller „verhört“ wurden.
66
c) In der Nacht vom 1. auf den 2. September 2004 fand schließlich für den ersten Zug in diesem Quartal die Geiselnahmeübung statt (Fall B.II.3 der Urteilsgründe).
67
aa) Zuvor fand erneut eine Ausbilderbesprechung statt, die der Mitangeklagte D. als Zugführer leitete. Dieser teilte bei dieser Besprechung unter anderem für den „Überfall“ neben anderen die Angeklagten S. und J. ein. Die Vorgehensweise bei der Geiselnahmeübung sollte unverändert bleiben. Lediglich das Verhör sollte dieses Mal im Keller des Kasernengebäudes 14 stattfinden, in dem der erste Zug untergebracht war.
68
Wiederum sah sich das Landgericht nicht in der Lage aufzuklären, ob bei dieser Ausbilderbesprechung noch weitere Einzelheiten der Geiselnahmeübung erörtert wurden. Jedenfalls sollte im Keller aber wieder eine Kübelspritze bereitstehen , um damit die Rekruten nass zu machen.
69
Auch dieses Mal enthielten weder der für die Rekruten einsehbare, noch der vom Kompaniechef, dem Mitangeklagten Sc. , unterzeichnete und an das Bataillon gesandte Dienstplan Informationen über die geplante Geiselnahme mit Verhör.
70
bb) Der Angeklagte J. bereitete den Keller für das Verhör vor. Er stellte einen Tisch und Stühle auf, legte Matratzen auf dem Boden aus, auf die die Soldaten gelegt werden konnten, und ließ zumindest eine Kübelspritze mit Wasser füllen und bereitstellen.
71
cc) Die Rekruten des ersten Zuges absolvierten am 1. September 2004 - wie auch in den vorangegangenen Fällen - zunächst ihre Schießübung. Nachdem diese gegen Mitternacht beendet war, teilte ihnen der Mitangeklagte D. mit, dass sie nun auf einen Nachtorientierungsmarsch gehen müssten, wobei das Gebiet zur Verhinderung terroristischer Angriffe bestreift werden müsse. Zudem erklärte er ihnen, sie könnten die Übung durch Nennung des Wortes „Tiffy“ jederzeit beenden. Auch einige Rekruten dieses Zuges verstanden dieses Wort als Synonym für „Weichei“ oder „Schwächling“; für die meisten hatte es hingegen keine besondere Bedeutung.
72
Im Unterschied zu den vorhergehenden Übungen vermuteten dieses Mal zahlreiche Rekruten, dass sie überfallen werden würden, da sie teilweise Gerüchte oder Andeutungen aus den anderen Zügen über eine bevorstehende Geiselnahme gehört hatten. Der genaue Ablauf war jedoch keinem der Rekruten bekannt.

73
dd) Auch die Rekruten des ersten Zuges machten sich in Gruppen ohne ihren planmäßigen Gruppenführer im Abstand von etwa 20 Minuten auf den Weg. Die Rolle des Gruppenführers musste jeweils ein Rekrut übernehmen. Der Angeklagte K. fuhr gemeinsam mit den Mitangeklagten D. und H. los, um den Marsch zu überwachen. Gegen 23.30 Uhr informierten sie den Mitangeklagten Ja. telefonisch darüber, dass sich die erste Gruppe nun auf dem Weg zum Überfallort befinde und sich die Ausbilder bereit machen sollten. Der Angeklagte K. erwartete gemeinsam mit den Mitangeklagten D. und H. die für den „Überfall“ eingeteilten Ausbilder bereits am Ort des geplanten Zugriffs.
74
Die erste Gruppe kam nach einem etwa 20 Kilometer langen Marsch gegen 3.00 Uhr am Überfallort an. Anders als in den vorangegangenen Fällen gingen die Rekruten dieses Mal äußerst behutsam vor, weil sie den Überfall erahnten. Dennoch entdeckten sie die Angreifer nicht. Trotz ihrer Vorahnung waren die Rekruten infolge des Zündens eines Bodensprengsimulators und von Gefechtsfeldbeleuchtung durch die Ausbilder im ersten Moment überrascht. Sie gingen aber in Deckung und versuchten, sich zu verteidigen. Nach einem kurzen Schusswechsel hatten ihnen die Ausbilder aber die Gewehre abgenommen. Die Rekruten sollten sich sodann hinknien oder auf den Boden legen. Einige von ihnen leisteten aber auch nach der Entwaffnung Widerstand und ließen sich nicht mehr so bereitwillig fesseln wie in den vorangegangenen Fällen.
75
Einem der Rekruten, der bereits auf dem Boden lag, wurde von einem Ausbilder, „vermutlich“ von dem Angeklagten S. , ein Stiefelbeutel über den Kopf gezogen. Ihm wurden die Arme mit leichter körperlicher Gewalt nach hinten gedreht und mit den dafür vorgesehenen Kabelbindern auf dem Rücken gefesselt. Ein anderer war bei dem Überfall von einem der Ausbilder umgerissen worden und wurde ebenfalls mit Kabelbindern gefesselt. Nachdem er die zu feste Fesselung reklamiert hatte, bekam er lockerer sitzende Kabelbinder angelegt. Zwischen einem Rekruten und einem Ausbilder gab es ein „kleines Handgemenge“ , während dessen der Rekrut schließlich zu Boden gebracht, entwaffnet und gefesselt wurde. Während seiner anschließenden Befragung wurde sein Gesicht teilweise in seinen am Boden liegenden Helm gedrückt. Außerdem verspürte er Druck an seinem Hinterkopf, der vermutlich von einem auf seinen Hinterkopf gestellten Stiefel herrührte. Der Zeuge Bla. wurde bei dem Überfall zu Boden gerissen, mit Kabelbindern gefesselt, und ihm wurde ein Stiefelbeutel über den Kopf gezogen. Damit er sich nicht weiter rührte, stellte einer der Ausbilder einen Stiefel in seinen Nacken; einen anderen Schuh spürte der Zeuge Bla. an seinen Genitalien. Bewegte sich der Zeuge, wurde dort gedrückt, um ihn ruhig zu stellen.
76
Nachdem es einem weiteren Rekruten zweimal gelungen war, die angelegten Kabelbinder zu zerreißen, setzte sich der Mitangeklagte Bu. auf den am Boden liegenden Soldaten, damit dieser sich nicht mehr so stark wehrte. Dennoch versuchte dieser weiterhin, sich zu befreien und streifte sich mehrfach den übergezogenen Stiefelbeutel ab. Daraufhin beendete der Mitangeklagte D. die Übung für ihn. Auch der Zeuge O. wehrte sich, so dass auch er eine Rangelei mit einem Ausbilder hatte. Er wurde schließlich von zwei Angreifern überwältigt und mit Kabelbindern gefesselt; anschließend wurde ihm eine Kapuze über den Kopf gezogen und zugebunden. Auch er zerriss mehrere Kabelbinder , bekam aber jeweils neue angelegt, bis er sich letztlich nicht mehr wehrte.
77
Wieder ein anderer Soldat wurde bei dem Überfall von einem Ausbilder zu Boden gedrückt. Die Kabelbinder, mit denen ihm die Hände auf dem Rücken gefesselt worden waren, saßen sehr stramm, so dass er Rötungen und Hautabschürfungen davontrug. Einer der Ausbilder forderte ihn auf, das Codewort „Tiffy“ zu sagen. Dem kam der Zeuge schließlich nach, woraufhin die Übung für ihn beendet wurde. Auch ein weiterer Rekrut wurde gepackt, zu Boden gedrückt und mit zu stramm sitzenden Kabelbindern gefesselt. Als er dies monierte, wurde ebenfalls verlangt, er solle zunächst das Codewort nennen. Als er dieses sagte, wurde er sofort befreit. Allerdings konnten die sehr eng sitzenden Kabelbinder nicht ohne weiteres durchtrennt werden. Bei dem Versuch sie mit einem Messer zu durchschneiden, erlitt dieser Rekrut leichte Schnittverletzungen an den Handgelenken. Schließlich beendete auch noch ein weiterer Rekrut durch Nennung des Codeworts die Übung, nachdem er Platzangst bekommen hatte, als ihm der Stiefelbeutel über den Kopf gezogen worden war.
78
Dem Zeugen Ly. wurde während seiner Befragung eine Pistole an den Kopf gehalten. Weil er nicht antwortete, wurde er zudem mit Tritten in den Rücken „malträtiert“, wodurch er zwei bis drei Tage anhaltende Rückenschmerzen erlitt. Dem Zeugen Deu. wurde bei seiner Entwaffnung ebenfalls eine Pistole vor den Kopf gehalten. Er wurde zu Boden gestoßen und, als er gefesselt auf dem Boden lag, trat jemand auf seinen Rücken. Zudem stellte ein Ausbilder für kurze Zeit einen Fuß auf seinen Helm, so dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Der Zeuge Ku. wurde während der Befragung dadurch am Boden fixiert, dass sich einer der Ausbilder auf seinen Rücken stellte, was schmerzhaft war. Außerdem erhielt er von Zeit zu Zeit einen leichten Tritt gegen seine Stiefel. Auch zwei weitere Rekruten bekamen jeweils einen - in einem Fall kräftigen, schmerzhaften - Tritt in den Rücken, dies sogar, obwohl einer der beiden der Aufforderung, sich auf den Boden zu legen und die Waffe abzugeben, sofort nachgekommen war.
79
ee) Nachdem alle Rekruten der ersten - und später auch der zweiten - Gruppe überwältigt, entwaffnet und gefesselt worden waren, wurden sie - zum Teil „recht unsanft“ - auf die Ladefläche eines Pritschenwagens „verladen“ und zur Kaserne gebracht. Während der Fahrt befand sich zumindest ein Ausbilder auf der Ladefläche, um für Ruhe zu sorgen. Dennoch verhielten sich die Rekruten nicht ruhig, sondern versuchten teilweise, die Stiefelbeutel von ihren Köpfen abzustreifen. Deshalb gab einer der Ausbilder einen Schuss ab.
80
Der Mitangeklagte D. hatte zwischenzeitlich den Mitangeklagten Ja. darüber unterrichtet, dass die erste Gruppe bald in der Kaserne eintreffen werde. Der Mitangeklagte Ja. traf sich daraufhin mit den weiteren drei für das „Verhör“ eingeteilten Ausbildern im Keller und besprach mit ihnen das weitere Vorgehen. Die Rekruten sollten nach dem „Abladen“ zunächst in den Waschraum des Kellers gebracht und dort auf den ausgelegten Matten abgelegt werden. Dann sollten sie einzeln zum „Verhör“ gebracht werden, dessen Leitung dem Mitangeklagten Ja. und dem früheren Mitangeklagten Z. oblag. Zuletzt sollten die Rekruten in einem Materialraum auf Matten abgelegt werden, um dort zu warten, bis das „Verhör“ für sämtliche aus der Gruppe beendet ist.
81
Die vier Ausbilder sahen, dass in dem Verhörraum ein FeldfernsprecherPrüfgerät war. Spätestens jetzt vereinbarten sie, dieses bei dem „Verhör“ einzusetzen und den Rekruten damit Stromschläge zu verabreichen.
82
ff) Während der Fahrt zur Kaserne gelang es drei Rekruten, sich von den Kabelbindern zu befreien. Als das Fahrzeug an der Kaserne angekommen war, wurden zwei von ihnen von den dort bereitstehenden Ausbildern erneut gefesselt - dieses Mal jedoch mit einer deutlich stabileren und reißfesten Kunststoffschnur beziehungsweise mit Klebeband. Der Zeuge O. , der ebenfalls erneut gefesselt werden sollte, setzte sich derart heftig zur Wehr, dass er schließlich aus der Übung genommen wurde.
83
Die übrigen Rekruten wurden von der Ladekante des Fahrzeugs gezogen , wobei sie auf den Füßen aufkamen. Anschließend wurden sie in den Waschraum des Kellers des Kasernenblocks geführt oder an beiden Armen hinunter getragen. Dort mussten sie sich hinknien oder auf die ausgelegten Schaumstoffmatten legen und wurden weiter befragt.
84
gg) Der Zeuge W. hatte wegen der zu fest sitzenden Kabelbinder das Gefühl in seinen Händen verloren und beschwerte sich darüber, so dass er davon befreit und nunmehr mit Klebeband gefesselt wurde. Danach wurde er in einen anderen Raum gebracht, wo ihm mit einer Kübelspritze Wasser in den Kragen gepumpt wurde, wodurch seine Kleidung vollständig durchnässt wurde. Sodann wurden seine Feldbluse geöffnet und seine Feldhose bis zu den Knöcheln hinuntergezogen, bevor ihm mit dem Feldfernsprecher-Prüfgerät zwei bis drei Stromstöße am Bauch versetzt wurden. Anschließend wurde er in einen weiteren Raum gebracht, wo er auf den Boden gelegt wurde und warten sollte. Nach einiger Zeit nannte der Zeuge W. , der die ihm zuteil gewordene Behandlung als entwürdigend empfand, der fror und keine Lust mehr hatte, auf dem Boden zu liegen, das Codewort.
85
Der Zeuge Ly. wurde zunächst mit Wasser aus einer Kübelspritze durchnässt, so dass er auskühlte und fror. Anschließend wurde er auf den Rücken gelegt, und es wurde ihm mit dem Schlauch der Kübelspritze Wasser in den Mund gepumpt, bis er zu husten begann. In dem „Verhörraum“ wurde er weiter befragt und erhielt Stromschläge in seinen Nacken, die ihm wehtaten, so dass auch er schließlich das Codewort zur Beendigung der Übung nannte. Auch die Kleidung eines weiteren Rekruten wurde durchnässt und ihm wurde Wasser in den Mund gepumpt. Zudem erhielt dieser Schläge mit der Faust und der flachen Hand sowie Tritte auf seinen Nacken und den Hinterkopf, so dass auch er letztlich die Übung beendete.
86
Der Zeuge Ku. wurde ebenfalls mit Wasser aus der Kübelspritze durchnässt und auch ihm wurde Wasser in den Mund gepumpt. Außerdem stellte sich einer der Ausbilder, nachdem der Zeuge auf den Bauch gelegt worden war und während er befragt wurde, auf seinen Rücken, was Schmerzen verursachte. Desgleichen wurde der Zeuge Deu. durchnässt und ihm Wasser in den gewaltsam aufgedrückten Mund gepumpt, so dass er sich verschluckte. Zusätzlich wurde ihm ein Gegenstand, der sich wie eine Pistole anfühlte, in den Mund gesteckt, ihm wurde seine Hose heruntergezogen und er wurde anschließend mit kaltem Wasser übergossen. Weil er die Fragen nach wie vor nicht beantwortete, wurden ihm zudem zwei bis drei Stromstöße am Arm versetzt , die zunehmend stärker wurden und unangenehm waren. Schließlich wurde er nochmals mit einem Schwall kalten Wassers übergossen. Im Anschluss musste er sich auf den Kellerflur neben zwei Kameraden knien und mit seinem Kopf an die Wand anlehnen. Der Mitangeklagte Ja. versetzte ihnen - und auch weiteren - Rekruten nun mehrfach der Reihe nach Schläge auf den Kopf, woraufhin die Rekruten nacheinander jeweils eine Silbe des Wortes „Budweiser“ nennen mussten.

87
Letzteres musste auch der Zeuge Wa. über sich ergehen lassen, nachdem er zuvor während der Befragung ebenfalls mit Wasser bespritzt worden war. Außerdem war ihm befohlen worden, ein Lied mit dem Titel „Crazy monkey“ zu singen, während ihm mit der Kübelspritze Wasser in den Mund gepumpt worden war, so dass er sich verschlucke. Anschließend wurden auch ihm mehrere Stromstöße versetzt - vier bis fünf am Oberschenkel und weitere vier bis fünf an seinem entblößten Bauch, wodurch sich sein Bein und seine Bauchmuskulatur verkrampften. Als der Zeuge die Fragen weiterhin nicht beantwortete , sondern die Ausbilder als „asozial“ bezeichnete und nach ihnen trat, wurde ihm seine Feldhose bis zu den Knöcheln hinuntergezogen, um seine Bewegungsfreiheit einzuschränken. Weil seine Boxershorts verrutscht waren, war sein Glied zu sehen. In dieser Situation wurde der Zeuge Wa. fotografiert.
88
Der Zeuge Bla. erlitt Tritte auf seine Beine, so dass er mehrere Tage auf der Krankenstation verbringen musste. Zudem schmerzten und bluteten seine Handgelenke aufgrund der zu streng sitzenden Kabelbinder. Diese wurden ihm zwar schließlich von einem Ausbilder abgenommen, als er sich jedoch gegen eine erneute Fesselung wehrte und erklärte, dass es ja wohl bald reiche, wurde er gepackt, in das Treppenhaus hinaus geschubst und als „Heulsuse“ bezeichnet.
89
hh) Die Kammer vermochte nicht festzustellen, ob die Angeklagten S. und K. wussten, wie das „Verhör“ der Rekruten im Einzelnen ablaufen sollte. Der Angeklagte J. , der am Überfall beteiligt war, rechnete damit, dass die Kleidung der Rekruten während des „Verhörs“ durchnässt wird.
90
ii) Die Übung wurde schließlich von dem Mitangeklagten D. abgebrochen. Bereits nach dem Überfall auf die erste Gruppe des ersten Zuges hatten der Angeklagte K. und die Mitangeklagten D. und H. beratschlagt , ob die Übung wegen des großen Widerstandes der Rekruten nicht abgebrochen werden sollte. Sie entschieden, erst noch abzuwarten und zunächst das „Überfallkommando“ mit zwei Mann zu verstärken. Nachdem aber auch die zweite Gruppe heftigen Widerstand geleistet hatte und nur mit Mühe hatte überwältigt werden können, kamen sie schließlich überein, die folgenden Gruppen nicht mehr zu überfallen und die Übung insgesamt vorzeitig zu beenden.

II.


91
Das Urteil des Landgerichts ist, soweit es den Angeklagten J. betrifft , im Fall B.II.3 der Urteilsgründe aufzuheben und das Verfahren insoweit einzustellen (vgl. dazu BGHSt 46, 130, 135 f.), da diese abgeurteilte Tat in Bezug auf diesen Angeklagten nicht Gegenstand der zugelassenen Anklage ist. Eine diese Tat wirksam einbeziehende Nachtragsanklage (§ 266 StPO) ist nicht erhoben worden. Demnach mangelt es insofern - was von Amts wegen zu prüfen ist - an den Verfahrensvoraussetzungen der Erhebung einer ordnungsgemäßen Anklage und demnach an der ordnungsgemäßen Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung.
92
1. Die Anklageschrift hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (Umgrenzungsfunktion - st. Rspr., vgl.
nur BGHSt 40, 44, 45; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24 jew. m.w.N.). Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Die begangene, konkrete Tat muss vielmehr durch bestimmte Tatumstände so genau gekennzeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Angeklagten zur Last gelegt werden. Fehlt es hieran, so ist die Anklage unwirksam (vgl. BGHSt 40, 44, 45; BGH NStZ 1995, 245 jew. m.w.N.). Darüber hinaus hat die Anklage auch die Aufgabe, den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten über weitere Einzelheiten des Vorwurfs zu unterrichten, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Prozessverhalten auf den mit der Anklage erhobenen Vorwurf einzustellen. Mängel der Anklage in dieser Hinsicht führen nicht zu ihrer Unwirksamkeit. Insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung durch Hinweise entsprechend § 265 StPO geheilt werden (Informationsfunktion - vgl. BGHSt 40, 44, 45; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24 jew. m.w.N.).
93
2. Diesen Anforderungen wird die mit Beschluss des OLG Hamm vom 25. Juli 2006 unter anderem gegen den Angeklagten J. unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage (nachdem das Landgericht mit Beschluss vom 22. Dezember 2005 insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens insgesamt abgelehnt und auch Bedenken im Hinblick auf die Umgrenzungsfunktion der Anklage geäußert hatte) nicht gerecht. Die von der Kammer im Urteil abgeurteilte rechtlich selbständige Tat im Fall B.II.3 der Urteilsgründe ist betreffend den Angeklagten J. weder im Anklagesatz noch im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen hinreichend konkret beschrieben.
94
a) Die Anklageschrift vom 1. Juni 2005 richtete sich insgesamt gegen 18 Angeklagte und legte diesen unterschiedliche Beteiligungen an insgesamt vier rechtlich selbständigen Taten zur Last. Der im Anklagesatz gegen den Ange- klagten J. erhobene Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung und mit entwürdigender Behandlung begangen durch „zwei selbständige Handlungen“ erschöpft sich, bezogen auf diesen Angeklagten , allein in der Darstellung des konkreten Lebenssachverhalts im Fall B.II.1 der Urteilsgründe („zweiter Vorfall“ der Anklage - EA Bd. IX Bl. 1282 f.). Im Fall B.II.3 der Urteilsgründe („vierter Vorfall“ der Anklage - EA Bd. IX Bl. 1283 f.) richtet sich die Anklage indes ausschließlich gegen die (früheren) Mitangeklagten D. , H. , Sc. , Bu. , K. , Mö. , S. , Z. und Ja. . Eine Tatbeteiligung des Angeklagten J. wird insoweit im Anklagesatz nicht geschildert.
95
b) Zwar dürfen bei der Prüfung, ob die Anklage die gebotene Umgrenzung leistet, die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Ergänzung und Auslegung des Anklagesatzes herangezogen werden (BGHSt 46, 130, 134; BGH NStZ 2001, 656, 657; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24; Schneider in KK 6. Aufl. § 200 Rdn. 30; BeckOK-StPO/Ritscher § 200 Rdn. 19 jew. m.w.N.). Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass sich aus dem Anklagesatz zumindest Grundlagen einer Tatbeteiligung ergeben. Fehlende Angaben können dann aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnommen werden, wenn sie dort eindeutig benannt sind und daraus deutlich wird, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hierauf erstreckt (vgl. Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 200 Rdn. 81 m.w.N.).
96
Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Im Anklagesatz wird die Person des Angeklagten J. im Zusammenhang mit dem Fall B.II.3 der Urteilsgründe überhaupt nicht erwähnt. Im wesentlichen Ermittlungsergebnis wird demgegenüber im Rahmen der Wiedergabe der Zeugenaussagen und der Angaben des Angeklagten J. in seiner disziplinarischen Vernehmung nicht nur dessen behauptetes Tätigwerden im Fall B.II.3 der Urteilsgründe geschildert (vgl. EA Bd. IX Bl. 1378, 1383, 1410), sondern darüber hinaus auch im Fall B.II.2 der Urteilsgründe („dritter Vorfall“ der Anklage - vgl. EA Bd. IX Bl. 1404 - der nach Ansicht der Kammer nicht Gegenstand der gegen den Angeklagten J. erhobenen Anklage ist, siehe dazu unten Ziffer V.). Zudem sind die diesbezüglichen Ausführungen auch widersprüchlich: Während die Einlassung des Angeklagten J. dahingehend dargestellt wird, dass er seine Beteiligung an den Übungen im Fall B.II.1 („zweiter Vorfall“ der Anklage) und B.II.2 der Urteilsgründe („dritter Vorfall“ der Anklage - vgl. EA Bd. IX Bl. 1404) eingeräumt habe (EA Bd. IX Bl. 1403 f.), lautet die abschließende Feststellung: „Der Angeklagte J. war, wie sich aus seiner Einlassung ergibt, im zweiten Fall als Mitglied des 'Überfallkommandos' und im vierten Fall bei den 'Vernehmungen' im Keller beteiligt“.
97
Demnach ergibt sich auch aus einer Gesamtschau des Anklagesatzes und des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen nicht hinreichend konkret, ob die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten J. über die Tat im Fall B.II.1 der Urteilsgründe hinaus nun eine Beteiligung im Fall B.II.2 oder im Fall B.II.3 der Urteilsgründe zur Anklage bringen wollte. Damit ist die zweite dem Angeklagten J. vorgeworfene Tat nicht hinreichend beschrieben. Die Umgrenzungs- und Informationsfunktion der Anklage ist nicht gewahrt. Dieser Mangel der Anklage konnte auch nicht im Eröffnungsbeschluss des OLG Hamm vom 25. Juli 2006 behoben werden.
98
c) Das Verfahren ist daher insoweit einzustellen. Dies steht einer neuen, den verfahrensrechtlichen Anforderungen gerecht werdenden Anklage jedoch nicht entgegen.

III.


99
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft, mit denen sie eine Verurteilung der Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung und entwürdigender Behandlung - betreffend die Angeklagten S. und K. in drei Fällen und in Bezug auf den Angeklagten J. in einem Fall - erstrebt, haben Erfolg.
100
1. Schon der Ausgangspunkt der Kammer, wonach sie bei der rechtlichen Würdigung des Verhaltens der Angeklagten in den Fällen, in denen diese „nur am Überfall“ (vgl. beispielsweise UA S. 147, 150) auf die Rekruten teilgenommen haben (betreffend den Angeklagten S. in den Fällen B.I., B.II.2 und 3 der Urteilsgründe, den Angeklagten K. im Fall B.II.2 der Urteilsgründe und den Angeklagten J. im Fall B.II.1 der Urteilsgründe), ausschließlich auf deren Tätigwerden beim Zugriff abgestellt hat, die nachfolgenden Geschehnisse bei den jeweiligen „Verhören“ indes unberücksichtigt gelassen und sich insofern mit der Frage der mittäterschaftlichen Zurechnung nicht auseinandergesetzt hat, ist rechtsfehlerhaft.
101
a) Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Mittäter begeht, ist nach den gesamten Umständen des konkreten Falles in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte hierfür sind der Grad des eigenen Tatinteresses, der Umfang der Tatbeteiligung sowie die Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille hierzu, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen (st. Rspr. - vgl. nur BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 13 m.w.N.). Zwar haftet jeder Mittäter für das Handeln der anderen nur im Rahmen seines - zumindest bedingten - Vorsatzes; er ist also für den Erfolg nur insoweit verantwortlich, als sein Wille reicht, so dass ihm ein Exzess der anderen nicht zur Last fällt. Jedoch werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Einzelfalles gerechnet werden muss, vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er diese sich nicht besonders vorgestellt hat. Ebenso ist er für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich , wenn ihm die Handlungsweise seiner Tatgenossen gleichgültig ist (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 32 m.w.N.). Dabei kann bei einem mehraktigen Geschehen Täter auch derjenige sein, welcher nicht sämtliche Akte selbst erfüllt. Es genügt, wenn er auf der Grundlage gemeinsamen Wollens einen die Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag leistet (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Willensübereinstimmung 3). Diese Maßstäbe hat die Strafkammer ihrer rechtlichen Beurteilung nicht zu Grunde gelegt.
102
b) Nach den Feststellungen des Landgerichts wussten die Angeklagten aufgrund der jeweils vorangegangenen Ausbilderbesprechungen, dass die unter anderem von ihnen ausgeführten Überfälle der Ermöglichung der nachfolgenden Befragungen dienten, die im Fall B.I. der Urteilsgründe „etwa so wie in Hammelburg … ablaufen“ (UA S. 23) und sich im Fall B.II.1 der Urteilsgründe „an den Sachen in der Sandgrube orientieren“ (UA S. 45) sollten. Die Urteilsausführungen belegen zudem, dass sämtlichen Beteiligten - insbesondere aufgrund ihrer eigenen Ausbildung bei der Bundeswehr, ihrer Tätigkeit als Ausbilder sowie den damit einhergehenden Lehrgängen und wie das Fehlen einer Nachfrage zeigt - bewusst war, dass die Verhöre - wie auch bei den Geiselnahmeübungen im Rahmen der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ - jeweils unter psychischen und physischen Belastungen erfolgen sollten, um bei den Rekruten Stress zu erzeugen. Auch wenn - was das Landgericht jeweils nicht zu klären vermochte - weitere Einzelheiten dazu von den Beteiligten nicht erörtert wurden und die Angeklagten nach den Feststellungen nicht wussten, was bei den Befragungen letztlich jeweils im Einzelnen geschah, liegt es aufgrund der sonstigen Feststellungen nahe, dass es zu erheblichen Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit der Rekruten (dazu näher unten Ziffer III.4.b) kommen würde. Jedenfalls legen die gemeinsamen Erörterungen der Geiselnahmeübungen ohne weitere Nachfrage zu den Einzelheiten im Zusammenhang mit der nachfolgenden aktiven Beteiligung der Angeklagten an den jeweiligen Übungen nahe, dass ihnen die genaue Vorgehensweise bei den „Verhören“ zumindest gleichgültig war.
103
c) Betreffend den Angeklagten K. kommt hinzu, dass er im Fall B.II.1 der Urteilsgründe und damit vor Fall B.II.2 der Urteilsgründe, bei dem er dem „Überfallkommando“ zugeteilt war (und auch vor Fall B.II.3 der Urteilsgründe, in dem er Marschüberwachung fuhr, dazu unten Ziffer III.2.c), für das „Verhör“ der Rekruten im Keller des Kasernengebäudes eingeteilt war. Bei der dieser Geiselnahmeübung vorausgehenden Ausbilderbesprechung wurde darauf hingewiesen , dass sich die für das „Verhör“ eingeteilten Ausbilder - und damit auch der Angeklagte K. - „an den Sachen aus der Sandgrube orientieren“ sollten. Im Anschluss sprach sich der Angeklagte K. mit den weiteren für das „Verhör“ eingeteilten Ausbildern ab, wie der Kellerraum für die geplante Befragung der Rekruten herzurichten sei. Der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe legt darüber hinaus nahe, dass als Ergebnis dieser Unterredung der Angeklagte K. den „Verhörraum“ - allein oder gemeinsam mit den weiteren Ausbildern - entsprechend vorbereitet hat oder dies hat machen lassen. Hätte der Angeklagte K. zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis davon gehabt, was bei der vorhergehenden Befragung in der Sandgrube geschehen ist, so hätte dies alles nicht erfolgen können. Erst recht hatte er dann aber bei den nachfolgenden Geiselnahmeübungen in den Fällen B.II.2 und 3 der Urteilsgründe eine Vorstellung über den Ablauf der „Verhöre“.
104
d) Absprachegemäß haben die Angeklagten, soweit sie an den „Überfällen“ beteiligt waren, die „Verhöre“ und auch die damit einhergehenden erheblichen Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit der Rekruten dadurch ermöglicht, dass sie diese überfallen, entwaffnet und gefesselt haben, bevor diese zur Sandgrube oder in den Keller der Kasernengebäude verbracht wurden. Dabei hatten sie bezüglich der konkreten Ausgestaltung dieses Teils der Übung freie Hand. Die Beiträge des „Überfallkommandos“ und derjenigen, die das „Verhör“ durchführten, ergänzten sich - dem Tatplan entsprechend - arbeitsteilig. Die Feststellungen drängen zu der Annahme, dass die Angeklagten bei ihrem eigenen Handeln bei den Überfällen - insbesondere aufgrund der im Rahmen der Ausbildung ansonsten unüblichen nicht nur kurzzeitigen Fesselung mit Kabelbindern und der teils gewaltsamen Überwältigungen - die erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens der Rekruten zumindest billigend in Kauf genommen haben. Die in diesem Zusammenhang festgestellte körperliche Misshandlung der Rekruten wäre dann von ihrem Willen umfasst. Die Vorgehensweise bei den Überfällen und die damit zusammenhängenden Beeinträchtigungen für die Rekruten unterschieden sich nicht wesentlich von denjenigen der Geschehnisse bei den späteren Befragungen. Allein die Steigerung der Intensität einzelner Handlungen bei den Verhören - wie etwa das Pumpen von Wasser in Mund und Nase bis zur Atemnot oder dem Versetzen von Stromstößen - bewirkt nicht, dass die Geiselnahmeübung insgesamt eine andere, von diesen Angeklagten nicht mehr vorgestellte Qualität der Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit gehabt hätte. Aufgetretene Exzesse sind lediglich im Rahmen des Schuldumfangs der einzelnen Beteiligten zu berücksichtigen.
105
e) Der vom Landgericht vorgenommenen Differenzierung zwischen dem Überfall einerseits und dem Verhör andererseits kann daher nicht gefolgt werden. Das Überwältigen der Rekruten ermöglichte erst das anschließende „Verhör“ und bildete einen unverzichtbaren Bestandteil der insgesamt unzulässigen (dazu unten Ziffer III.4.c) Geiselnahmeübung. Die an den Übungen beteiligten Angeklagten müssen sich deshalb die Geschehnisse der gesamten jeweiligen Übung zurechnen lassen, soweit sie von dem gemeinsam gefassten Tatplan gedeckt sind und es sich nicht um einzelne Exzesse handelte. Jedenfalls die von den Rekruten in der Sandgrube beziehungsweise im Kasernenkeller auszuführenden Zwangshaltungen, Kniebeugen, Liegestütze, das Haltenmüssen von Baumstämmen und die Scheinerschießungen stimmen nach den Urteilsfeststellungen nach Art und Intensität der Beeinträchtigung mit den Vorgehensweisen bei den zulässigen Geiselnahmeübungen, die unter anderem in Hammelburg durchgeführt werden, überein, so dass diese vom gemeinsamen Tatplan gedeckt und somit den Angeklagten zurechenbar waren.
106
2. Unzutreffend ist auch die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte K. sei in den Fällen B.II.1 und 3 der Urteilsgründe mangels eines eigenen Tatbeitrages freizusprechen. Denn der Angeklagte K. leistete auch in diesen beiden Fällen jeweils einen notwendigen, wesentlichen Beitrag zur Durchführung der Geiselnahmeübung entsprechend dem zuvor gefassten gemeinsamen Tatplan der Beteiligten.
107
a) Mittäterschaft kann selbst durch die bloße Beteiligung an Vorbereitungshandlungen begründet werden, sofern der Betreffende auf der Grundlage gemeinsamen Wollens einen die Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag leistet, welcher sich nach seiner Willensrichtung nicht als bloße Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der Tätigkeit aller darstellt, und der dement- sprechend die Handlungen der anderen als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheinen lässt (BGHSt 16, 12,14; 28, 346, 347 f.; BGH, Urt. vom 30. Oktober 1986 - 4 StR 499/86 [insofern nicht abgedruckt in BGHSt 34, 209]). Ob das der Fall ist, ist in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder der Wille zur Tatherrschaft sein, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich vom Willen des Betreffenden abhängen (BGH, Urt. vom 30. Oktober 1986 - 4 StR 499/86 [insofern nicht abgedruckt in BGHSt 34, 209] m.w.N.).
108
b) Der Angeklagte K. , der bei der Ausbilderbesprechung für die Geiselnahmeübung am 24./25. August 2004 (Fall B.II.1 der Urteilsgründe) für die Station „Verhör“ eingeteilt worden war, sprach sich mit den übrigen für das „Verhör“ vorgesehenen Ausbildern ab und legte mit diesen - ohne hierfür nähere Vorgaben bekommen zu haben - eigenständig fest, wie der Raum für diese Station auszustatten war. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe liegt zudem nahe, dass als Ergebnis dieser Unterredung der Angeklagte K. den „Verhörraum“ - allein oder gemeinsam mit den weiteren Ausbildern - auch entsprechend vorbereitet hat oder dies hat machen lassen. Diese absprachegemäße Beteiligung an den Vorbereitungshandlungen begründet vorliegend eine Mittäterschaft des Angeklagten K. , da er auf der Grundlage des gemeinsamen Tatplans einen die Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag leistete, der sich als Teil der Tätigkeit aller darstellt, und der dementsprechend die Handlungen der anderen als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheinen lässt. Unerheblich ist dabei, dass der Angeklagte K. letztlich an der Erbringung weiterer, ursprünglich vorgesehener Tatbeiträge im Rahmen der Durchführung der Befragungen aus zeitlichen Gründen nicht mehr mitwirken konnte.

109
c) Bei der Geiselnahmeübung am 1./2. September 2004 (Fall B.II.3 der Urteilsgründe) ging das Tätigwerden des Angeklagten K. weit über bloße Vorbereitungshandlungen hinaus. Vielmehr kontrollierte, überwachte und bestimmte der Angeklagte K. den organisatorischen Ablauf dieser Übung in wesentlichen Teilen mit, indem er nach den Feststellungen gemeinsam mit den Mitangeklagten D. und H. Marschüberwachung fuhr und zusammen mit diesen entschied, ob die Übung wegen des großen Widerstandes der Rekruten abgebrochen werden sollte. Zweifelsohne liegt darin ein eigener Tatbeitrag des Angeklagten K. zu der gemeinsam geplanten Geiselnahmeübung, der die Annahme von Mittäterschaft rechtfertigt.
110
3. Nicht frei von Rechtsfehlern sind auch die Ausführungen der Kammer, wonach sie im Hinblick auf das Geschehen bei den Überfällen jeweils „nach dem Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten nur von dem ausgehen“ könne, „was den Rekruten im Regelfall passiert“ sei „und woran der [jeweilige] Angeklagte … auch nach seiner eigenen Einlassung beteiligt“ war (UA S. 144). Insofern sind die Grundsätze der mittäterschaftlichen Begehungsweise ebenfalls unzulänglich angewendet.
111
Wie bereits dargelegt, haftet jeder Mittäter im Rahmen seines - zumindest bedingten - Vorsatzes für das Handeln der anderen. Dabei werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Einzelfalles gerechnet werden muss, vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er sie sich nicht besonders vorgestellt hat. So verhält es sich hier. Vereinbarungsgemäß „überfielen“, entwaffneten und fesselten die Angeklagten, soweit sie dem „Überfallkommando“ zugeteilt waren (Angeklagter S. : Fälle B.I., B.II.2 und 3 der Urteilsgründe; Angeklagter K. : Fall B.II.2 der Urteilsgründe; Angeklagter J. : Fall B.II.1 der Urteilsgründe) jeweils mit weiteren Ausbildern die unvorbereiteten Rekruten. Bei einem - schon aufgrund der nicht vorhersehbaren Reaktionen der Soldaten - derart unkontrollierbaren Geschehen liegt es gleichfalls nahe, dass die Beteiligten - entgegen der Auffassung des Landgerichts, das insofern von „Ausnahmen“ ausgeht (UA S. 144) - selbstverständlich damit rechneten, dass sich Soldaten zur Wehr setzen könnten und es daher zu tätlichen, auch schmerzhaften, Auseinandersetzungen - wie etwa mit den Zeugen L. , Be. , De. , Kü. , Dz. , Bla. und Ku. - kommen könnte. In diesem Fall hätten die Angeklagten nach den Feststellungen insofern jedenfalls mit bedingtem Vorsatz gehandelt und müssten sich damit diese Geschehnisse zurechnen lassen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sie selbst an der konkreten Auseinandersetzung mit den einzelnen betroffenen Rekruten nicht beteiligt waren.
112
4. Die Beteiligung der Angeklagten an den jeweiligen Geiselnahmeübungen stellt entgegen der Ansicht des Landgerichts eine körperliche Misshandlung im Sinne des § 30 Abs. 1 WStG, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar. Der Begriff der Misshandlung des § 30 WStG setzt ebenso wie der Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB eine üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper des Verletzten voraus, die dessen körperliches Wohlbefinden mehr als bloß unerheblich beeinträchtigt (BGHSt 14, 269, 271; Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 36 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]). Die Beurteilung der Erheblichkeit bestimmt sich dabei nach der Sicht eines objektiven Betrachters - nicht nach dem subjektiven Empfinden des Betroffenen - und richtet sich insbesondere nach Dauer und Intensität der störenden Beeinträchtigung (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 36 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; vgl. auch Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 223 Rdn. 4a m.w.N.).

113
a) An diesen Maßstäben gemessen stellen - wovon auch die Kammer im Ansatz zutreffend ausgeht (vgl. UA S. 144) - bereits das Überfallen und Überwältigen der Rekruten, ihre Fesselung mit Kabelbindern - erst recht die Fesselung an Händen und Füßen - über einen erheblichen Zeitraum, das Verbinden ihrer Augen, ihr „Verladen“ auf die Ladefläche eines Lkws und der anschließende unzulässige Transport, bei dem die nach wie vor gefesselten Soldaten mit verbundenen Augen teils übereinander lagen und in keiner Weise während der Fahrt gesichert waren, jeweils für sich genommen eine erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens dar. Erst Recht gilt dies für die hierbei teilweise verabreichten Schläge. Dies gilt umso mehr, als die Rekruten nach rund 24 Stunden Dienst und dem mehrstündigen Orientierungsmarsch mit ihrem gesamten Marschgepäck und ihrem Gewehr zumeist ohnehin erschöpft waren.
114
b) Zudem beeinträchtigte die Geiselnahmeübung in ihrer Gesamtheit - sprich die Überfälle und die sich anschließenden „Verhöre“ der Rekruten -, worauf maßgeblich abzustellen ist (vgl. oben Ziffer III.1.e), das körperliche Wohlbefinden der Rekruten mehr als bloß unerheblich. Die Rekruten wurden dieser „Behandlung“ über einen Zeitraum von jedenfalls 30 Minuten unterzogen. Zum Teil waren sie während der gesamten Zeit mit den Kabelbindern gefesselt. Teilweise mussten sie zusätzlich über erhebliche Zeiträume in anstrengenden Zwangspositionen (etwa mit weit vorgebeugtem Oberkörper einem Kameraden gegenüber kniend) verharren (vgl. zur körperlichen Misshandlung durch Zwangshaltungen bereits RMG 3, 119, 121) oder kräftezehrende Übungen (Liegestütze, Kniebeugen, Halten von Baumstämmen) absolvieren, obwohl sie - wie dargestellt - aufgrund der vorangegangenen körperlichen Anstrengungen überwiegend am Ende ihrer körperlichen Möglichkeiten waren und damit die auferlegten Aufgaben und die übrige Behandlung als bloße Quälerei empfinden mussten.
115
c) Die Geiselnahmeübung ist auch eine üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper der betroffenen Rekruten, da sie offensichtlich den geltenden Dienstvorschriften zuwiderlief und es an einem rechtmäßigen Befehl fehlte.
116
aa) Ob eine üble, unangemessene, sozialwidrige Behandlung gegeben ist, entscheidet sich nach dem Wesen des militärischen Dienstes, der seiner Natur nach hohe körperliche Anforderungen an den Soldaten stellt. Mutet ein Vorgesetzter im Rahmen seiner allgemeinen Befugnisse und zu Zwecken der Ausbildung einem Soldaten besondere Anstrengungen zu und verstößt er dabei nicht offensichtlich gegen gesetzliche Bestimmungen, rechtmäßige Dienstvorschriften und Befehle, so fehlt es an einer Misshandlung (BGHSt 14, 269, 271; Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 40 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]).
117
Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Dies gilt auch für die Gewährleistung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Diese Gebote bilden die Grundlage der Wehrverfassung der Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 10 Abs. 4 SG) und bedürfen im militärischen Bereich besonderer Beachtung. Nach der eindeutigen Regelung des § 6 Satz 1 SG hat der Soldat die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger. Gemäß § 6 Satz 2 SG werden die grundrechtlichen Garantien lediglich im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes durch seine gesetzlich begründeten Pflichten beschränkt. Die körperliche Integ- rität der Untergebenen innerhalb der Bundeswehr genießt einen hohen Stellenwert. Es gilt der Grundsatz, dass ein Vorgesetzter seine Untergebenen niemals anfassen darf, außer es steht zur unmittelbaren Durchsetzung eines rechtmäßigen Befehls kein anderes Mittel zur Verfügung (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 41 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; vgl. auch BVerwG NVwZ-RR 1999, 321, 322 m.w.N.).
118
bb) Vorliegend stellt die Durchführung der Geiselnahmeübungen jeweils einen klaren Verstoß gegen die geltenden Vorschriften der Bundeswehr und die Grundrechte der betroffenen Rekruten dar. Eine praktische Übung „Geiselnahme /Verhalten in Gefangenschaft“ ist und war auch zur Tatzeit nach den geltenden Ausbildungsregeln der Bundeswehr für die dreimonatige Grundausbildung der Rekruten nicht vorgesehen und damit mangels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage nicht zulässig. Eine derartige Übung kam ausschließlich im Rahmen der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ für diejenigen Soldaten in Betracht, die als Soldaten auf Zeit, als freiwillig länger Dienende oder als Berufssoldaten , die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen hatten, vor einem Auslandseinsatz standen. Aber selbst diese Spezialübung darf ausschließlich an drei besonderen Bundeswehrstandorten durchgeführt werden. Vorschriftsgemäß hat dem praktischen Teil zudem eine Unterrichtseinheit mit psychologischer Betreuung vorauszugehen. Eine tätliche Konfrontation mit den Soldaten oder gar eine Fesselung ist nicht vorgesehen. Außerdem können die Soldaten die Übung, auf die sie vorbereitet worden sind, durch ein Handzeichen jederzeit beenden.
119
Obgleich unzulässig, wurden vorliegend aber nicht einmal diese Standards für die Durchführung derartiger Spezialübungen beachtet. Eine vorbereitende Unterrichtseinheit fand nicht statt. Die ohnehin zumeist erschöpften Re- kruten wurden nach rund 24-stündigem Dienst und einem kräftezehrenden nächtlichen Orientierungsmarsch außergewöhnlichen, bei solchen Spezialübungen nicht zulässigen zusätzlichen physischen Belastungen (etwa in Form des gewaltsamen Überwältigens mit tätlichen Auseinandersetzungen, der Fesselung oder des ungesicherten Transports auf einem Transporter), aber auch psychischen Belastungen ausgesetzt und damit in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Dies verstieß evident gegen gesetzliche Bestimmungen , Dienstvorschriften und Befehle, § 10 Abs. 4 SG.
120
5. Rechtsfehlerhaft ist aber auch die Annahme des Landgerichts, die Angeklagten hätten sich in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 StGB befunden, weil sie von der Rechtmäßigkeit der Übung ausgegangen seien. Denn der Irrtum eines Untergebenen in der Bundeswehr, sein Verhalten sei durch gesetzliche Bestimmungen, Dienstvorschriften oder einen rechtmäßigen Befehl gerechtfertigt, unterfällt dem besonderen Schuldausschließungsgrund des § 5 Abs. 1 WStG (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 44 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]).
121
a) § 11 Abs. 2 Satz 1 SG verbietet den Gehorsam gegenüber einem Befehl , wenn der Untergebene dadurch eine Straftat begeht. Ein solcher strafrechtswidriger Befehl ist unverbindlich (vgl. BGHSt 19, 231, 232; Dau in Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 5 WStG Rdn. 2). Ein Befehl, dem die Verbindlichkeit fehlt, kommt lediglich als Entschuldigungsgrund in Betracht. Der Untergebene, der eine strafrechtswidrige Weisung ausführt, handelt tatbestandsmäßig und rechtswidrig, selbst wenn er an die Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit der Anordnung glaubt (vgl. Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts - AT 5. Aufl. § 46 I.2 m.w.N.). Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SG und § 5 Abs. 1 WStG trifft einen Untergebenen, der auf Befehl eine rechtswidrige Tat begeht, die den Tat- bestand eines Strafgesetzes verwirklicht, eine Schuld aber nur dann, wenn er erkennt, dass es sich um eine rechtswidrige Tat handelt, oder dies nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 45 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.] m.w.N.).
122
b) Erkennen verlangt hierbei positive Kenntnis, sicheres Wissen (vgl. BGHSt 22, 223, 225 zu § 47 MStGB). Erkennt der Untergebene die Strafrechtswidrigkeit des Befehls nicht, beurteilt er sie unzutreffend oder hat er insoweit Zweifel, so handelt er nur dann schuldhaft, wenn die Strafrechtswidrigkeit nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist. § 17 StGB ist im Rahmen des § 5 WStG angesichts der ausdrücklichen Regelung der militärischen Befehlsverhältnisse nicht anwendbar (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 46 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; BGHSt 5, 239, 244; 22, 223, 225 [zu § 47 MStGB]).
123
Der Begriff „offensichtlich“ ist objektiv zu verstehen. Er umfasst das, was jedermann ohne weiteres Nachdenken erkennt, was jenseits aller Zweifel liegt (vgl. BGHR WStG § 5 Abs. 1 Schuld 2). Abzustellen ist damit auf die Erkenntnisfähigkeit eines gewissenhaften, pflichtbewussten Durchschnittssoldaten. Beurteilungsgrundlage für diesen sind allerdings die dem Täter subjektiv bekannten Umstände - und zwar nicht nur die allgemeinen Tatumstände, sondern alle für die Beurteilung des Sachverhalts bedeutsamen Umstände - wie etwa die Kenntnis von vorangegangenen Ereignissen, von Befehlen, Belehrungen, Dienstvorschriften und dergleichen (Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 5 Rdn. 13; Dau in Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 5 WStG Rdn. 10). Auch wenn einem Untergebenen regelmäßig keine Sachverhaltsprüfungspflicht obliegt (vgl. BGHR WStG § 5 Abs. 1 Schuld 2) und er grundsätzlich zu unverzüglichem Ge- horsam verpflichtet ist, so muss er dennoch Gegenvorstellung erheben oder den Gehorsam verweigern, wenn er aufgrund der ihm bekannten Umstände der Überzeugung ist oder er ohne den berechtigten Vorwurf der Rechtsblindheit die Überzeugung haben müsste, dass der Befehl strafrechtswidrig ist (vgl. Stauf in Nomos - Erläuterungen zum Deutschen Bundesrecht § 5 WStG; BGHSt 19, 231, 233; zum Ganzen bereits Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 47 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]).
124
c) Dies hat das Landgericht nicht in ausreichendem Maße bedacht. Sollte sich das nun zur Entscheidung berufene Tatgericht aufgrund der neu durchzuführenden Beweisaufnahme die Überzeugung davon verschaffen können, dass die Angeklagten - entsprechend der ihnen selbst erteilten Ausbildung - die zum jeweiligen Tatzeitpunkt geltende AnTrA1 und/oder das Schreiben des Heeresführerkommandos vom 26. Februar 2004 beziehungsweise den „Befehl 38/10“ vom 12. April 2004 gekannt oder aufgrund anderer Umstände um die Unzulässigkeit einer Übung „Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ in der „Allgemeinen Grundausbildung“ gewusst haben, wofür die Diskussion über die Frage der Genehmigung durch den Kompaniechef spricht, so sind sie - unabhängig von ihren persönlichen Beiträgen - insgesamt für ihre Beteiligungen an den jeweiligen Übungen strafrechtlich verantwortlich.
125
Im Übrigen legen bereits die bisherigen Feststellungen - insbesondere die Diskussion unter den Ausbildern über eine Änderung der AnTrA1 in Bezug auf eine künftige Zulässigkeit von Geiselnahmeübungen in der Grundausbildung - den Schluss nahe, dass die Strafrechtswidrigkeit der Übung und der diesbezüglichen „Genehmigung“ des Kompaniechefs für die Beteiligten jedenfalls offensichtlich im Sinne des § 5 Abs. 1 WStG war. Dies gilt umso mehr, als Art und Weise der Durchführung der Übung von den bei der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ geltenden Standards abwichen, was die Beteiligten aufgrund bis dahin üblichen Rekrutenausbildungen sowie ihrer eigenen Ausbildung wussten. Für diesen Fall hätten die Angeklagten den strafrechtswidrigen, unverbindlichen Befehl nicht ausführen dürfen.
126
6. Unabhängig von der rechtlichen Einordnung einer etwaigen Fehlvorstellung hält die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der subjektiven Tatseite sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Zum einen legt die Strafkammer entlastende Einlassungen der Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zugrunde. Zum anderen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts insofern lückenhaft und widersprüchlich.
127
a) Die Feststellung der Strafkammer, die Angeklagten seien jeweils von einem im Rahmen der militärischen Ausbildung sozial adäquaten Tun und von keiner vorschrifts- oder befehlswidrigen Ausbildung ausgegangen, beruht auf deren Einlassungen, die die Kammer, ohne dass es dafür tatsächliche, objektive Anhaltspunkte gegeben hätte, als unwiderlegt angesehen hat. Da an die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten aber die gleichen Anforderungen zu stellen sind wie an die Beurteilung von Beweismitteln, darf der Tatrichter diese seiner Entscheidung nur dann zu Grunde legen, wenn er in seine Überzeugungsbildung auch die Beweisergebnisse einbezogen hat, die gegen die Richtigkeit der Einlassung sprechen können (vgl. BGH NJW 2006, 522, 527 - insofern nicht abgedruckt in BGHSt 50, 331 ff.; Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 51 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]). Dies hat die Kammer nicht getan.
128
b) Sie hat zwar die zu Gunsten der Angeklagten sprechenden Umstände - wie die Anordnung der Übung durch die Zugführer sowie deren Mitteilung über die Genehmigung durch den Kompaniechef, den Mitangeklagten Sc. - berücksichtigt. Belastende Indizien, die jedenfalls in ihrer Gesamtheit Zweifel an einem Irrtum aufkommen lassen und darauf hindeuten, dass den Angeklagten - ebenso wie den übrigen Beteiligten an dieser Übung - der Verstoß gegen die geltenden, ihnen bekannten Ausbildungsvorschriften der Bundeswehr bewusst und ihnen daher die Rechtmäßigkeit ihres Handelns zumindest gleichgültig war, hat sie aber nicht erkennbar in die Beweiswürdigung eingestellt.
129
aa) So setzt sich die Strafkammer nicht ausreichend mit dem nahe liegenden Gesichtspunkt auseinander, dass sämtliche Angeklagte selbst die Ausbildung bei der Bundeswehr durchlaufen haben und sie daher wissen mussten, dass eine praktische Übung „Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ nicht Bestandteil der „Allgemeinen Grundausbildung“ war und es dazu deshalb auch keine Ausbildungsvorschriften für die Grundausbildung von Soldaten gab. Gänzlich unerörtert bleibt die Tatsache, dass die Angeklagten als Ausbilder eine zusätzliche, weitergehende Ausbildung erhalten hatten und ihnen in diesem Zusammenhang die Ausbildungsziele und die Bestandteile der „Allgemeinen Grundausbildung“ von Rekruten bekannt gemacht sein mussten.
130
bb) Das Landgericht geht außerdem nicht auf die sich aufdrängende Frage nach dem Grund für die Mitteilung der beiden Zugführer D. und H. bei der Ausbilderbesprechung über die „Absegnung“ der Übung durch den Kompaniechef ein. Dies könnte dafür sprechen, dass die Rechtmäßigkeit des Vorhabens Gegenstand der Diskussion war; wenn es hierfür eine allgemein gültige Dienstanweisung gegeben hätte, wäre diese Frage kaum aufgetaucht, sondern einfach hierauf verwiesen worden.

131
cc) Unerwähnt lässt die Kammer zudem Folgendes: Nach den Urteilsfeststellungen war es „in der Bundeswehr vorgekommen, dass auch außerhalb (der) drei benannten Ausbildungszentren eine Ausbildung „Geiselnahme /Geiselhaft“ durchgeführt worden war, die nicht der Ausbildung in den Ausbildungszentren der Bundeswehr entsprach und die bei einigen Teilnehmern zu Anzeichen einer Traumatisierung geführt hatte“. Deshalb war in einem entsprechenden Schreiben des Heeresführerkommandos sowie in dem „Befehl 38/10“ auf die Unzulässigkeit derartiger Übungen in der „Allgemeinen Grundausbildung“ und außerhalb der vorgesehenen Ausbildungszentren hingewiesen worden (UA S. 19/20). Angesichts dessen erscheint es auch im Hinblick auf die Gespräche der Ausbilder über eine künftige Änderung der AnTrA1 eher abwegig , dass gerade darüber innerhalb der Kompanie der Angeklagten nicht gesprochen wurde beziehungsweise dies unerwähnt blieb.
132
dd) Letztlich gibt die Kammer auch nicht zu erkennen, worauf sie ihre Auffassung stützt, dass nicht festzustellen war, dass die Angeklagten das Schreiben des Heeresführungskommandos vom 26. Februar 2004 beziehungsweise den „Befehl 38/10“ vom 12. April 2004 kannten. Soweit das Tatgericht lediglich darauf verweist, dass selbst der Mitangeklagte Hauptmann Sc. erklärt habe, dass ihm - obwohl Kompaniechef - beide Schreiben nicht bekannt gewesen seien, genügt dies nicht. Die Kammer hat sich mit der Glaubhaftigkeit dieser Einlassung nicht auseinandergesetzt, obwohl sich die Frage aufdrängen musste, ob dieser Mitangeklagte nicht ein gewisses Eigeninteresse verfolgt. Unberücksichtigt gelassen wird auch die in Behörden und staatlichen Einrichtungen übliche Bekanntmachung derart wichtiger Anweisungen - regelmäßig durch unterschriftliche Bestätigung der einzelnen Empfänger oder Protokollierung der Bekanntgabe unter Mitteilung der hierbei anwesenden Soldaten.
Gerade deshalb erscheint es eher fern liegend und mit einem ordnungsgemäßen Verwaltungsablauf unvereinbar, dass beide Schriftstücke in dieser Ausbildungseinheit praktisch nicht zur Kenntnis gelangt sein sollen.
133
ee) Im Hinblick auf die Geiselnahmeübungen in den Fällen B.II.1 bis 3 der Urteilsgründe findet außerdem keine Erwähnung, dass nach Durchführung der ersten Übung, an der der Angeklagte S. ebenfalls beteiligt war, eine - nicht näher geschilderte - Nachbesprechung stattgefunden hatte und das Geschehen fotografisch dokumentiert worden war. Hier wäre zu erwarten gewesen , dass diejenigen Beteiligten, deren Vorstellung vom Übungsablauf die tatsächliche Durchführung widersprach, Verwunderung oder Ablehnung im Hinblick auf die erfolgte Behandlung der Rekruten äußerten und sich von diesem Geschehen distanzierten. Jedenfalls liegt es aufgrund dieser Nachbesprechung nahe, dass jedenfalls der Angeklagte S. zumindest bei seiner Teilnahme an den weiteren Übungen sehr wohl wusste, was mit den Rekruten im Einzelnen geschehen wird. Dann musste sich ihm auch mindestens aufdrängen, dass sich jedenfalls einzelne Vorgänge (etwa die Behandlung des Zeugen L. ) nicht im Rahmen einer zulässigen Übung zu Ausbildungszwecken bewegten. Nachdem die weiteren Übungen - wie den Angeklagten bekannt war - vergleichbar ablaufen sollten und sich insbesondere das „Verhör“ jeweils an dem vorhergehenden Geschehen orientieren sollte, spricht wenig dafür, dass die Angeklagten - insbesondere gilt dies für den Angeklagten S. - jedenfalls zu diesem Zeitpunkt noch von einer insgesamt zulässigen Übung ausgehen konnten.
134
Dies alles hat das Landgericht erkennbar nicht in seine Beweiswürdigung eingestellt.
135
c) Zudem weist die Beweiswürdigung Widersprüche auf.
136
aa) Das Landgericht führt aus, auch der Umstand, dass eine solche Übung bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgeführt worden sei, habe den Angeklagten keinen Grund für weitere Nachfragen bieten müssen. Denn „seinerzeit … war in den Kreisen der Ausbilder bereits davon die Rede, dass die AnTrA1 den geänderten Verhältnissen … angepasst werden sollte, so dass in der Allgemeinen Grundausbildung geänderte Ausbildungsinhalte zu erwarten“ gewesen seien (UA S. 145). Die Kammer geht damit davon aus, dass die Ausbilder und damit auch die Angeklagten über eine erst in der Zukunft erfolgende Änderung der Ausbildungsregeln diskutiert haben. Dann drängt es sich aber gerade auf, dass die Beteiligten - insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die AnTrA1 nach den Urteilsfeststellungen im Intranet der Bundeswehr abrufbar und damit für sie ohne weiteres zugänglich war und zudem bereits entsprechende Schulungen für die Ausbilder stattfanden, an denen die Mitangeklagten D. und H. auch schon teilgenommen hatten - sehr wohl wussten, dass zum jeweiligen Tatzeitpunkt eine Änderung eben gerade noch nicht erfolgt und die praktische Geiselnahmeübung daher nach wie vor nicht zulässig war. Denn wenn einerseits über eine erst zukünftige Änderung der Ausbildungsregeln diskutiert wurde, konnte schwerlich angenommen werden, die damals geltenden Regeln seien bereits außer Kraft gewesen. Wieso demnach eine vermutete - wie auch immer geartete - bevorstehende Veränderung der Rechtslage einen Grund dafür bieten sollte, Nachfragen im Hinblick auf die Zulässigkeit der Übung bereits im Vorfeld zu unterlassen, erschließt sich nicht.
137
bb) Widersprüchlich sind zudem die Feststellungen der Kammer zu Fall B.II.1 der Urteilsgründe, wonach einerseits die Angeklagten K. und J. an der der Geiselnahmeübung vorausgehenden Ausbilderbesprechung teilge- nommen hatten, auf der unter anderem besprochen worden war, dass die Rekruten beim „Verhör“ wieder mit einer Kübelspritze nass gemacht und anschließend , damit sie aufgrund ihrer durchnässten Kleidung nicht frieren, zugedeckt werden sollten. Andererseits „vermochte die Kammer hingegen nicht mit einer für eine Verurteilung … ausreichenden Sicherheit festzustellen“, dass die Angeklagten K. und J. unter anderem damit rechneten, dass die Rekruten jedenfalls wieder mit Wasser aus der Kübelspritze durchnässt werden würden (UA S. 45 f.). Wie die Kammer aufgrund der insofern eindeutigen Feststellungen zum Inhalt der Besprechung zu dieser damit unvereinbaren Annahme kommt, ist nicht nachvollziehbar.
138
d) Unter diesen Umständen war das Tatgericht nicht gehalten, auch entlastende Einlassungen der Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zugrunde zu legen. Der Tatrichter hat nach ständiger Rechtsprechung vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGH NJW 2007, 2274; Senat, Urt. vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07; Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 59 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]). Die vom Landgericht als unwiderlegbar hingenommene Einlassung, die Angeklagten seien von keiner vorschrifts- oder befehlswidrigen Ausbildung ausgegangen, stellt sich unter Berücksichtigung der zuvor dargelegten Gesichtspunkte als eine eher denktheoretische Möglichkeit dar, die beweiskräftiger Anknüpfungspunkte entbehrt. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten eines Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. nur BVerfG, Beschl. vom 8. November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36; NJW 2007, 2274; Senat , Urt. vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07).
139
7. Schließlich hält die Auffassung des Landgerichts, der Überfall, das Verbinden der Augen, die Fesselung und das Verladen der Rekruten auf einen Transporter stellten keine entwürdigende Behandlung nach § 31 Abs. 1 WStG dar, sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
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a) Entwürdigende Behandlung ist jedes Verhalten eines Vorgesetzten gegenüber einem Untergebenen, das dessen Stellung als freie Persönlichkeit nicht unerheblich in Frage stellt, das die Achtung nicht unerheblich beeinträchtigt , auf die der Untergebene allgemein als Mensch in der sozialen Gesellschaft und im besonderen als Soldat innerhalb der soldatischen Gemeinschaft Anspruch hat. Der Untergebene darf keiner Behandlung ausgesetzt werden, die ihn zum bloßen Objekt degradiert und seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 61 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; BayObLG NJW 1970, 769, 770; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 31 Rdn. 3; Stauf in Nomos - Erläuterungen zum Deutschen Bundesrecht § 31 WStG jew. m.w.N.). Ob eine entwürdigende Behandlung vorliegt, beurteilt sich, wenn die Handlung nicht bereits wegen ihres absolut entwürdigenden Charakters unter § 31 Abs. 1 WStG fällt, aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Tatumstände (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 61 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; BayObLG NJW 1970, 769, 770; vgl. auch Dau in Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 31 WStG Rdn. 3; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 31 Rdn. 4).
141
b) Daran gemessen unterfallen jedenfalls die einzelnen Geiselnahmeübungen jeweils in ihrer Gesamtheit dem Tatbestand des § 31 Abs. 1 WStG. Insbesondere die Fesselung der Rekruten (vgl. dazu Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 31 Rdn. 5), das Verbinden ihrer Augen, das Verladen der Rekruten „wie Ware“ auf die Ladefläche eines Pritschenwagens, die auf den Helm verabreichten Schläge, um für Ruhe zu sorgen, das Hinknienlassen sowie die schikanösen Zwangshaltungen und Ausdauerübungen, die den nach fast 24-stündigem Dienst und einem anstrengenden Nachtmarsch ohnehin zumeist erschöpften Rekruten befohlen wurden, schließlich die angedrohten (teils mit angesetzter Waffe) und vorgetäuschten Erschießungen (vgl. dazu Dau in Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 31 WStG Rdn. 4 m.w.N.) stellen entwürdigende Behandlungen dar, welche zumindest bei einem Soldaten auch zu einer nahezu panischen Angst führten. Dies alles erniedrigte die Rekruten zum bloßen Objekt.

IV.


142
Die Sache bedarf daher die Angeklagten betreffend (in Bezug auf den Angeklagten J. aufgrund der teilweisen Verfahrenseinstellung nur mehr im Fall B.II.1 der Urteilsgründe) der erneuten Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können aufrechterhalten bleiben. Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen sind zulässig.
143
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Kostenausspruch des angefochtenen Urteils, soweit es die Angeklagten betrifft, ist durch die insoweit erfolgte teilweise Urteilsaufhebung gegenstandslos (BGH StV 2006, 687, 688).

V.


144
Soweit die Staatsanwaltschaft in Bezug auf den Angeklagten J. zudem rügt, die Kammer habe die ebenfalls angeklagte Tat im Fall B.II.2 der Urteilsgründe nicht abgeurteilt, bleibt der Revision der Erfolg versagt. Das Landgericht hat seiner umfassenden Kognitionspflicht genügt. Eine Beteiligung des Angeklagten J. im Fall B.II.2 der Urteilsgründe war nicht Gegenstand des Verfahrens.
145
1. Die zugelassene Anklage legt den (früheren) Mitangeklagten D. , H. , Sc. , Bu. , K. , Ja. , Mö. , S. und Z. im Fall B.II.2 der Urteilsgründe („dritter Vorfall“ der Anklage - vgl. EA Bd. IX Bl. 1283) jeweils ein Vergehen der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung und entwürdigender Behandlung zur Last. Eine Beteiligung des Angeklagten J. an dieser Tat ist im Anklagesatz nicht erwähnt. Lediglich im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird eine Einlassung des Angeklagten J. dazu dargestellt, in der er seine Beteiligung an dieser Übung und an derjenigen im Fall B.II.1 der Urteilsgründe („zweiter Vorfall“ der Anklage) einräumt (EA Bd. IX Bl. 1403 f.). Im Widerspruch dazu heißt es in der Anklage insofern abschließend: „Der Angeklagte J. war, wie sich aus seiner Einlassung ergibt, im zweiten Fall als Mitglied des 'Überfallkommandos' und im vierten Fall bei den 'Vernehmungen' im Keller beteiligt“. Eine die Tat im Fall B.II.2 der Urteilsgründe wirksam einbeziehende Nachtragsanklage (§ 266 StPO) ist nicht erhoben worden.
146
Die Kammer hat diesbezüglich zwar festgestellt, dass der Angeklagte J. auch an der Geiselnahmeübung im Fall B.II.2 der Urteilsgründe teilge- nommen hatte, erachtete dies jedoch nicht als Gegenstand der gegen ihn erhobenen Anklage (UA S. 56, 151).
147
2. Soweit die Staatsanwaltschaft nunmehr - entgegen der Anklageschrift, in der dem Angeklagten J. ausdrücklich nur zwei Taten zur Last gelegt werden - auch dessen Verurteilung wegen Beteiligung an der (dritten) Tat im Fall B.II.2 der Urteilsgründe, erstrebt, handelt es sich um eine andere als die wirksam angeklagte Tat.
148
a) Gegenstand der Urteilsfindung ist nach § 264 Abs. 1 StPO „die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt“. Dieser verfahrensrechtliche Tatbegriff umfasst den von der zugelassenen Anklage betroffenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 29, 341, 342; 34, 215, 216; BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 33 jew. m.w.N.). Den Rahmen der Untersuchung bildet daher zunächst das tatsächliche Geschehen, wie es die Anklage beschreibt (BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 33 m.w.N.). Vorliegend schildert der Anklagesatz keine Vorgänge, aus denen sich eine Strafbarkeit des Angeklagten J. im Fall B.II.2 der Urteilsgründe ergeben könnte. Vielmehr wird ausschließlich seine Beteiligung im Fall B.II.1 wiedergegeben. Die uneinheitlichen und teils widersprüchlichen Schilderungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen vermögen eine wirksame Anklageerhebung auch insofern nicht herbeizuführen (vgl. oben Ziffer II.2).
149
b) Unerheblich ist insofern - entgegen der Auffassung der Revision -, dass das Tatgeschehen dieses Vorfalls im Anklagesatz enthalten ist, soweit die Anklage diesbezüglich andere Personen als Täter beschuldigt. Zur Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO gehört zwar nicht nur der in der Anklage umschriebene Geschehensablauf, sondern das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt (st. Rspr., vgl. BGHSt 32, 215, 216; BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 33 jew. m.w.N.). Die Einbeziehung weiterer, von der Anklage nicht beschriebener Vorgänge in den Tatbegriff kommt allerdings nur in Betracht, falls auch der in der Anklage nicht erwähnte, mit dem geschilderten Geschehen eine Einheit ergebende Vorgang das Verhalten desselben Angeklagten betrifft. Denn Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO kann stets nur das dem einzelnen Angeklagten zur Last gelegte Vorkommnis sein (BGHSt 32, 215, 216 f.). Demgemäß kann vorliegend das Geschehen im Fall B.II.2 der Urteilsgründe, das einen von der Tat B.II.1 der Urteilsgründe trennbaren, sich damit nicht überschneidenden Vorgang darstellt und das mit der Anklage den (früheren) Mitangeklagten des Angeklagten J. zur Last gelegt wird, nicht als Teil der Tat gelten, die den Gegenstand des gegen den Angeklagten J. erhobenen Tatvorwurfs bildet.

VI.


150
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
151
1. Selbst wenn das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht zu der Feststellung gelangen sollte, die betroffenen Rekruten hätten ausdrücklich oder konkludent in die gegenständliche unzulässige Geiselnahmeübung eingewilligt , so hätte dies keine rechtfertigende Wirkung. §§ 30, 31 WStG schützen nicht allein das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit beziehungsweise der Würde des Untergebenen, sondern auch die Disziplin und Ordnung in der Bundeswehr. Die ehr- und körperverletzende Behandlung durch Vorgesetzte stellt einen Verstoß gegen die in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG normierte Verpflichtung aller staatlichen Gewalt zum Schutze der Menschenwürde und der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten körperlichen Unversehrtheit dar. Von dieser Verpflichtung kann der für den Staat handelnde Amtsträger oder Bedienstete durch das subjektive Einverständnis des Individualgrundrechtsträgers nicht freigestellt werden (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 66 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; vgl. auch BVerwG NJW 2001, 2343, 2344; Dau in Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 30 WStG Rdn. 10 m.w.N.).
152
2. § 30 WStG kann mit § 224 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) stehen. § 30 WStG geht nur § 223 StGB vor, enthält aber keine alle Körperverletzungsdelikte ausschließende Sonderregelung. Dies folgt schon daraus, dass das allgemeine Strafrecht gerade in den schwereren Fällen der Untergebenenmisshandlung nicht durch das WStG gemildert werden darf (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 67 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; vgl. auch BGH NJW 1970, 1332 zu § 226 StGB aF; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 30 Rdn. 28; Dau in Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 30 WStG Rdn. 18; Arndt, Grundriß des Wehrstrafrechts 2. Aufl. S. 218).
153
3. Sollte das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht zu der Auffassung gelangen, eine Strafbarkeit gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1 WStG liege nicht vor, so wird es aufgrund der Fesselung der Rekruten für teilweise mehr als 30 Minuten - erst recht aufgrund der Fesselung an Händen und Füßen -, deren Verbringens mit verbundenen Augen auf die Ladefläche des Pritschenwagens und deren begleiteten Abtransports den Straftatbestand der Freiheitsberaubung gemäß § 239 Abs. 1 StGB, zumindest aber den Tatbestand der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB in den Blick zu nehmen haben. Nack Wahl Elf Graf Sander

(1) Im Verfahren vor dem Strafrichter und im Verfahren, das zur Zuständigkeit des Schöffengerichts gehört, können bei Vergehen auf schriftlichen Antrag der Staatsanwaltschaft die Rechtsfolgen der Tat durch schriftlichen Strafbefehl ohne Hauptverhandlung festgesetzt werden. Die Staatsanwaltschaft stellt diesen Antrag, wenn sie nach dem Ergebnis der Ermittlungen eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich erachtet. Der Antrag ist auf bestimmte Rechtsfolgen zu richten. Durch ihn wird die öffentliche Klage erhoben.

(2) Durch Strafbefehl dürfen nur die folgenden Rechtsfolgen der Tat, allein oder nebeneinander, festgesetzt werden:

1.
Geldstrafe, Verwarnung mit Strafvorbehalt, Fahrverbot, Einziehung, Vernichtung, Unbrauchbarmachung, Bekanntgabe der Verurteilung und Geldbuße gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung,
2.
Entziehung der Fahrerlaubnis, bei der die Sperre nicht mehr als zwei Jahre beträgt,
2a.
Verbot des Haltens oder Betreuens von sowie des Handels oder des sonstigen berufsmäßigen Umgangs mit Tieren jeder oder einer bestimmten Art für die Dauer von einem Jahr bis zu drei Jahren sowie
3.
Absehen von Strafe.
Hat der Angeschuldigte einen Verteidiger, so kann auch Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr festgesetzt werden, wenn deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.

(3) Der vorherigen Anhörung des Angeschuldigten durch das Gericht (§ 33 Abs. 3) bedarf es nicht.

(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.

(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.

Tenor

1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit dem Angeklagten im Strafbefehl des Amtsgerichts vom 04.07.2001 ein Vergehen der Untreue vorgeworfen wird.

Damit ist das Urteil des Landgerichts vom 16. Juli 2004 und das Urteil des Amtsgerichts vom 22. April 2002 insoweit gegenstandlos.

2. Im Übrigen wird die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts vom 16. Juli 2004 als unbegründet verworfen.

3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

 
I.
Dem Angeklagten war im Strafbefehl des Amtsgerichts vom 04.07.2001 vorgeworfen worden, als im Schalterdienst der deutschen Post eingesetzter Postsekretär aufgrund des ihm möglichen Zugriffs auf Kontodaten im Zeitraum vom 1.1.2000 bis 26.07.2000 insgesamt "64 fiktive Auszahlungen in der Gesamthöhe von 647.320,99 und 68 fiktive Einzahlungen in der Höhe von 641.679,84" auf sein eigenes Konto vorgenommen zu haben, um hierdurch einen größeren als den ihm gewährten Kreditrahmen von 12.000 DM zu erlangen. Außerdem wurden ihm zehn Fälle des Betruges zur Last gelegt.
Die Strafkammer sprach den Angeklagten unter Aufhebung einer anderslautenden Entscheidung des Amtsgerichts von diesen Vorwürfen frei, weil sie hinsichtlich des Vorwurfs der Untreue keinen i.S.d. § 266 StGB relevanten Nachteil der Deutschen Bundespost festzustellen vermochte und es bezüglich der Betrugshandlungen zumeist an einer Täuschungshandlung, jedenfalls aber an einem Schädigungsvorsatz fehle.
II.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Soweit dies den Vorwurf der Untreue betrifft, war das Verfahren wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses einzustellen.
a. Der Strafbefehl des Amtsgerichts vom 4.7.2001 stellt keine wirksame Verfahrensgrundlage dar.
Wie eine Anklageschrift hat auch der Strafbefehl (vgl. OLG Düsseldorf wistra 1991, 32 ff.; BayObLG StV 2002, 356 f.) zunächst die Aufgabe, die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Welche Angaben in der Anklageschrift zur Erfüllung ihrer Umgrenzungsfunktion erforderlich sind, lässt sich nicht abstrakt beantworten, sondern richtet sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls. Darüber hinaus muss die Anklage im Wege ihrer Informationsfunktion den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten über die weiteren Einzelheiten des Anklagevorwurfs unterrichten, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Prozessverhalten auf den erhobenen Vorwurf einzustellen und ihre Verfahrensrechte sachgerecht wahrzunehmen (vgl. Senat Beschluss vom 25.07.2001, 1 Ws 101/01; BGHSt 40, 44, 46).
Die Einhaltung der gebotenen Umgrenzungsfunktion einer Anklage wird nicht deshalb entbehrlich, weil dem Angeklagten Serienstraftaten zur Last liegen. Dies gilt auch dann, wenn die Anklagebehörde - wie hier - vom rechtlichen Ansatz einer natürlichen Handlungseinheit ausgeht. Auch insoweit müssen die einzelnen Teilakte - soweit durchführbar - möglichst genau nach Tatzeit, Tatort, Ausführungsart und anderen individualisierenden Merkmalen gekennzeichnet sein (OLG Zweibrücken MDR 1996, 956 f.; BGHR StPO § 200 Abs.1 Satz 1 Tat 20 zur fortgesetzten Tat; vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.03.2002, 3 Ws 3/00; einschr. BayObLG wistra 1991, 890 f.).
b. Dem genügt der Strafbefehl des Amtsgerichts vom 4.7.2001 nicht, denn die einzelnen Tathandlungen, welche in der Vornahme fiktiver Kontoeinzahlungen zu sehen wären, sind hierin weder nach Tatzeit noch nach der Höhe der jeweiligen Buchung beschrieben.
Eine solche nähere Bezeichnung wäre vorliegend ohne Gefahr von Lücken in der Strafverfolgung (vgl. BGHSt 48, 221 ff; OLG Hamm wistra 2001, 236 ff.) aber ohne weiteres möglich und deshalb notwendig gewesen, weil ein Gefährdungsschaden darin liegen könnte, dass aufgrund der vom Angeklagten vorgenommenen Scheineinzahlungen auf sein Konto seine Liquidität in Wahrheit höher als in Wirklichkeit gewesen sein könnte und das damit verbundene Ausfallsrisiko letztendlich die Postbank zu tragen gehabt hätte. Insoweit ist die Fallgestaltung derjenigen der "Scheckreiterei" vergleichbar, bei welcher zur Erhaltung der Liquidität ständig Schecks von einem Ausgangskonto auf ein Bezugskonto eingezahlt und gleichzeitig vom Bezugskonto Überweisungen auf das Ausgangskonto vorgenommen werden, damit dort bei Einlösung des Schecks ein ausreichendes Guthaben vorhanden ist. In diesen Fällen hat der BGH das Vorliegen einer Vermögensgefährdung bejaht, weil  zwischen der Ausführung der Überweisung und der Einlösung der Schecks eine Postlaufzeit lag, in welcher die dortige Sparkasse das Ausfallrisiko trug  (BGH wistra 2001, 218 f. BGH NStZ 1999, 353 ff.). Zwar bestand vorliegend nicht das "Ausfallrisiko" der Nichteinlösung eines Schecks, wohl aber barg der erhöhte Kreditrahmen jederzeit die Gefahr, dass der Angeklagte aufgrund nicht vorhersehbarerer Umstände während der Zeitspanne von bis zu 24 Tagen (UA S. 13 f.) bis zur korrespondierenden Abbuchung den von ihm eigenmächtig ausgedehnten Kreditrahmen nicht zurückführen konnte. Außerdem hatte er durch seine Manipulationen ständig die Möglichkeit, zumindest innerhalb der Zeitspanne zwischen jeweiliger Gutschrift und Abbuchung in Höhe des fingierten Gutschriftbetrages über weitere Kreditmittel ohne Wissen und Zustimmung der Postbank verfügen zu können. Dieses sich etwa aus einem abredewidrig von einem der Darlehensgeber bei den Taten Nr. 2 und 9 eingelösten Scheck oder etwaigen Pfändungen ergebende Risiko entstand bei jeder der  fingierten Einzahlungen neu und dauerte bis zur korrespondierenden Abbuchung an, so dass vorbehaltlich von etwaigen Handlungsüberschneidungen die maximale Vermögensgefährdung in der Höhe der jeweiligen fingierten Einzahlung zu sehen wäre. Dass sich dieses Risiko nicht realisiert hat, steht der Annahme eines Nachteils i.S.d. § 266 StGB nicht entgegen.
10 
c. Ausgehend hiervon lässt sich aber dem Strafbefehl nicht entnehmen, in welchem Umfang das Vermögen der Postbank vorliegend durch die jeweiligen Einzelhandlungen - fingierte Einzahlungen auf das Konto - gefährdet worden sein könnte. Der im Strafbefehl aufgeführte Gesamtbetrag von DM 641.679,84 stellt lediglich die Addition der Einzeleinzahlungen und nicht den wesentlich geringer anzusetzenden jeweiligen Gefährdungsschaden dar, so dass auch der Schuldumfang im Strafbefehl unzureichend umschrieben ist. Dieser Mangel der Umgrenzungsfunktion konnte durch die spätere tabellarische Aufzählung von Einzeleinzahlungen im Urteil der Strafkammer (UA S. 13 f.) nicht mehr behoben werden.
11 
Im übrigen könnte nach Auffassung des Senates ein tatsächlicher Schaden auch darin gesehen werden, dass die Postbank nach Herausrechnung der Scheinbuchungen in Unkenntnis einer in Wirklichkeit vorgenommenen Überziehung der Kreditlinie die Geltendmachung von erhöhten Zinsen unterlassen hätte.
12 
Soweit die Strafkammer das Vorliegen eines Nachteils auch deswegen ablehnt, weil der Angeklagte "weitere Vermögenswerte" (UA S. 24) besessen hat, weist der Senat darauf hin, dass insoweit maßgeblich wäre, ob der Angeklagte diese Mittel ständig zum Ausgleich eines drohenden Schadens bereit gehalten hätte (BGH wistra 1995, 144; 1988, 191, 192; BGHSt 15, 342 ff.). Dies wird die Anklagebehörde ggf. zu klären haben. Insoweit dürfte jedoch eher davon auszugehen sein, dass das Festgeld und der Sparvertrag nicht kurzfristig zur Verfügung gestanden haben (UA S. 11). Hierfür spricht auch, dass der Angeklagte zur vollständigen Rückzahlung seiner sonstigen Schulden und Verbindlichkeiten "nur mit Mühe und durch Hilfe von Freunden in der Lage war" (UA S. 24).
13 
2. Zu Recht hat die Strafkammer den Angeklagten vom Vorwurf des Betruges in neun Fällen freigesprochen.
14 
Der Senat teilt die Ansicht der Strafkammer (UA S. 28), dass es bei der Gewährung von derartigen ungesicherten Privatkrediten und Vermögensanlagen - wie vorliegend - nicht darauf ankommt, ob und wie der Angeklagte ggf. das anvertraute Geld anlegt, sondern mangels gegenteiliger ausdrücklicher und zweifelsfreier Feststellungen (vgl. Senat  StV 2004, 325 f.) nur maßgeblich ist, ob der Angeklagte willens und in der Lage war, die Schulden vollständig wieder zurückzuzahlen. Dass ein entsprechender Täuschungsvorsatz bzw. ein Schädigungsvorsatz bereits bei Erhalt der Gelder vorgelegen hätte, hat die Strafkammer nicht festgestellt. Hieran ist der Senat im Revisionsverfahren gebunden. Im übrigen läge eine solche Annahme auch fern, da der Angeklagte über so viel mittelfristig verwertbares Vermögen verfügte (UA S. 24,25,29, 11: Verkauf einer Haushälfte), dass er fast alle Schulden zurückzahlen konnte. Kann ein Schuldner aufgrund seiner Vermögenssituation aber einen Kredit oder Anlagegelder etwa im zeitlich vorgesehenen Rahmen vollumfänglich zurückzahlen, so wird dieser tatsächliche Umstand im Regelfall gegen die Annahme eines Schädigungsvorsatzes sprechen.
III.
15 
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs.1 StPO.

(1) Der Strafbefehl enthält

1.
die Angaben zur Person des Angeklagten und etwaiger Nebenbeteiligter,
2.
den Namen des Verteidigers,
3.
die Bezeichnung der Tat, die dem Angeklagten zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung und die Bezeichnung der gesetzlichen Merkmale der Straftat,
4.
die angewendeten Vorschriften nach Paragraph, Absatz, Nummer, Buchstabe und mit der Bezeichnung des Gesetzes,
5.
die Beweismittel,
6.
die Festsetzung der Rechtsfolgen,
7.
die Belehrung über die Möglichkeit des Einspruchs und die dafür vorgeschriebene Frist und Form sowie den Hinweis, daß der Strafbefehl rechtskräftig und vollstreckbar wird, soweit gegen ihn kein Einspruch nach § 410 eingelegt wird.
Wird gegen den Angeklagten eine Freiheitsstrafe verhängt, wird er mit Strafvorbehalt verwarnt oder wird gegen ihn ein Fahrverbot angeordnet, so ist er zugleich nach § 268a Abs. 3 oder § 268c Satz 1 zu belehren. § 267 Abs. 6 Satz 2 gilt entsprechend.

(2) Der Strafbefehl wird auch dem gesetzlichen Vertreter des Angeklagten mitgeteilt.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer

1.
entgegen § 2 Absatz 3 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.1 oder 1.3.4 eine dort genannte Schusswaffe oder einen dort genannten Gegenstand erwirbt, besitzt, überlässt, führt, verbringt, mitnimmt, herstellt, bearbeitet, instand setzt oder damit Handel treibt,
2.
ohne Erlaubnis nach
a)
§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1, eine Schusswaffe oder Munition erwirbt, um sie entgegen § 34 Abs. 1 Satz 1 einem Nichtberechtigten zu überlassen,
b)
§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1, eine halbautomatische Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition nach Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 Nr. 1.1 erwirbt, besitzt oder führt,
c)
§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Satz 1 oder § 21a eine Schusswaffe oder Munition herstellt, bearbeitet, instand setzt oder damit Handel treibt,
d)
§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 in Verbindung mit § 29 Absatz 1 Satz 1 oder § 32 Absatz 1 Satz 1 eine Schusswaffe oder Munition in den oder durch den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbringt oder mitnimmt,
3.
entgegen § 35 Abs. 3 Satz 1 eine Schusswaffe, Munition oder eine Hieb- oder Stoßwaffe im Reisegewerbe oder auf einer dort genannten Veranstaltung vertreibt oder anderen überlässt oder
4.
entgegen § 40 Abs. 1 zur Herstellung eines dort genannten Gegenstandes anleitet oder auffordert.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 2 Absatz 3 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 1 Nummer 1.2.2 bis 1.2.4.2, 1.2.5, 1.3.1 bis 1.3.3, 1.3.5 bis 1.3.8, 1.4.1 Satz 1, Nr. 1.4.2 bis 1.4.4 oder 1.5.3 bis 1.5.7 einen dort genannten Gegenstand erwirbt, besitzt, überlässt, führt, verbringt, mitnimmt, herstellt, bearbeitet, instand setzt oder damit Handel treibt,
2.
ohne Erlaubnis nach § 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1
a)
eine Schusswaffe erwirbt, besitzt, führt oder
b)
Munition erwirbt oder besitzt,
wenn die Tat nicht in Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe a oder b mit Strafe bedroht ist,
3.
ohne Erlaubnis nach § 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 in Verbindung mit § 26 Abs. 1 Satz 1 eine Schusswaffe herstellt, bearbeitet oder instand setzt,
4.
ohne Erlaubnis nach § 2 Absatz 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 in Verbindung mit
a)
§ 29 Absatz 1 Satz 1 eine dort genannte Schusswaffe oder Munition aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes in einen anderen Mitgliedstaat verbringt oder
b)
§ 32 Absatz 1a Satz 1 eine dort genannte Schusswaffe oder Munition in einen anderen Mitgliedstaat mitnimmt,
5.
entgegen § 28 Abs. 2 Satz 1 eine Schusswaffe führt,
6.
entgegen § 28 Abs. 3 Satz 2 eine Schusswaffe oder Munition überlässt,
7.
entgegen § 34 Abs. 1 Satz 1 eine erlaubnispflichtige Schusswaffe oder erlaubnispflichtige Munition einem Nichtberechtigten überlässt,
7a.
entgegen § 36 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 36 Absatz 5 Satz 1 eine dort genannte Vorkehrung für eine Schusswaffe nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig trifft und dadurch die Gefahr verursacht, dass eine Schusswaffe oder Munition abhandenkommt oder darauf unbefugt zugegriffen wird,
8.
einer vollziehbaren Anordnung nach § 41 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,
9.
entgegen § 42 Abs. 1 eine Waffe führt oder
10
entgegen § 57 Abs. 5 Satz 1 den Besitz über eine Schusswaffe oder Munition ausübt.

(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1, 2 Buchstabe b, c oder d oder Nr. 3 oder des Absatzes 3 Nummer 1 bis 7, 8, 9 oder 10 fahrlässig, so ist die Strafe bei den bezeichneten Taten nach Absatz 1 Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe, bei Taten nach Absatz 3 Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(5) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Straftaten verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitgliedes handelt.

(6) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.

(1) Wer an öffentlichen Vergnügungen, Volksfesten, Sportveranstaltungen, Messen, Ausstellungen, Märkten oder ähnlichen öffentlichen Veranstaltungen teilnimmt, darf keine Waffen im Sinne des § 1 Abs. 2 führen. Dies gilt auch, wenn für die Teilnahme ein Eintrittsgeld zu entrichten ist, sowie für Theater-, Kino-, und Diskothekenbesuche und für Tanzveranstaltungen.

(2) Die zuständige Behörde kann allgemein oder für den Einzelfall Ausnahmen von Absatz 1 zulassen, wenn

1.
der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit (§ 5) und persönliche Eignung (§ 6) besitzt,
2.
der Antragsteller nachgewiesen hat, dass er auf Waffen bei der öffentlichen Veranstaltung nicht verzichten kann, und
3.
eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht zu besorgen ist.

(3) Unbeschadet des § 38 muss der nach Absatz 2 Berechtigte auch den Ausnahmebescheid mit sich führen und auf Verlangen zur Prüfung aushändigen.

(4) Die Absätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden

1.
auf die Mitwirkenden an Theateraufführungen und diesen gleich zu achtenden Vorführungen, wenn zu diesem Zweck ungeladene oder mit Kartuschenmunition geladene Schusswaffen oder Waffen im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 geführt werden,
2.
auf das Schießen in Schießstätten (§ 27),
3.
soweit eine Schießerlaubnis nach § 10 Abs. 5 vorliegt,
4.
auf das gewerbliche Ausstellen der in Absatz 1 genannten Waffen auf Messen und Ausstellungen.

(5) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung vorzusehen, dass das Führen von Waffen im Sinne des § 1 Abs. 2 auf bestimmten öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen allgemein oder im Einzelfall verboten oder beschränkt werden kann, soweit an dem jeweiligen Ort wiederholt

1.
Straftaten unter Einsatz von Waffen oder
2.
Raubdelikte, Körperverletzungsdelikte, Bedrohungen, Nötigungen, Sexualdelikte, Freiheitsberaubungen oder Straftaten gegen das Leben
begangen worden sind und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass auch künftig mit der Begehung solcher Straftaten zu rechnen ist. In der Rechtsverordnung nach Satz 1 soll bestimmt werden, dass die zuständige Behörde allgemein oder für den Einzelfall Ausnahmen insbesondere für Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse, Anwohner und Gewerbetreibende zulassen kann, soweit eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht zu besorgen ist. Im Falle des Satzes 2 gilt Absatz 3 entsprechend. Die Landesregierungen können ihre Befugnis nach Satz 1 in Verbindung mit Satz 2 durch Rechtsverordnung auf die zuständige oberste Landesbehörde übertragen; diese kann die Befugnis durch Rechtsverordnung weiter übertragen.

(6) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung vorzusehen, dass das Führen von Waffen im Sinne des § 1 Absatz 2 oder von Messern mit feststehender oder feststellbarer Klinge mit einer Klingenlänge über vier Zentimeter an folgenden Orten verboten oder beschränkt werden kann, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das Verbot oder die Beschränkung zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit erforderlich ist:

1.
auf bestimmten öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen, auf denen Menschenansammlungen auftreten können,
2.
in oder auf bestimmten Gebäuden oder Flächen mit öffentlichem Verkehr, in oder auf denen Menschenansammlungen auftreten können, und die einem Hausrecht unterliegen, insbesondere in Einrichtungen des öffentlichen Personenverkehrs, in Einkaufszentren sowie in Veranstaltungsorten,
3.
in bestimmten Jugend- und Bildungseinrichtungen sowie
4.
auf bestimmten öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen, die an die in den Nummern 2 und 3 genannten Orte oder Einrichtungen angrenzen.
In der Rechtsverordnung nach Satz 1 ist eine Ausnahme vom Verbot oder von der Beschränkung für Fälle vorzusehen, in denen für das Führen der Waffe oder des Messers ein berechtigtes Interesse vorliegt. Ein berechtigtes Interesse liegt insbesondere vor bei
1.
Inhabern waffenrechtlicher Erlaubnisse,
2.
Anwohnern, Anliegern und dem Anlieferverkehr,
3.
Gewerbetreibenden und bei ihren Beschäftigten oder bei von den Gewerbetreibenden Beauftragten, die Messer im Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung führen,
4.
Personen, die Messer im Zusammenhang mit der Brauchtumspflege oder der Ausübung des Sports führen,
5.
Personen, die eine Waffe oder ein Messer nicht zugriffsbereit von einem Ort zum anderen befördern, und
6.
Personen, die eine Waffe oder ein Messer mit Zustimmung eines anderen in dessen Hausrechtsbereich nach Satz 1 Nummer 2 führen, wenn das Führen dem Zweck des Aufenthalts in dem Hausrechtsbereich dient oder im Zusammenhang damit steht.
Die Landesregierungen können ihre Befugnis nach Satz 1 in Verbindung mit Satz 2 durch Rechtsverordnung auf die zuständige oberste Landesbehörde übertragen; diese kann die Befugnis durch Rechtsverordnung weiter übertragen.

(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt.

(2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 210/08
vom
29. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 29. Juli 2008 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 5. Februar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Das Urteil hat keinen Bestand, weil unklar ist, welche der angeklagten Taten Gegenstand der Verurteilung sind.
3
1. Nach der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom 2. März 2007 wird dem Angeklagten zur Last gelegt, im Zeitraum von März bis Dezember 2005 in H. und anderen Orten durch sechs selbständige Handlungen tateinheitlich Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt eingeführt und mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben. Nach dem Anklagesatz transportierte der anderweitig Verfolgte Dieter Oswald K. im Auftrag des Angeklagten mit dem Pkw BMW, amtliches Kennzeichen , mindestens fünfmal wenigstens 5 kg Marihuana aus den Niederlanden nach Deutschland. Bei einer dieser Kurierfahrten führte er gleichzeitig 8 kg Haschisch ein. Entsprechend der Weisung des Angeklagten übergab er die eingeschmuggelten Betäubungsmittel nach seiner jeweiligen Rückkehr aus den Niederlanden dem anderweitig Verfolgten Thorsten W. , der sie auf Anordnung des Angeklagten bei sich in seiner Wohnung in H. "bunkerte", umpackte und an ihm per Handy mitgeteilte Abnehmer aushändigte. Die letzte Lieferung von “10.0164“ Gramm Marihuana wurde bei der Festnahme des K. sichergestellt, bevor sie an W. übergeben werden konnte. Bei der Durchsuchung der Wohnung des W. wurden erhebliche Mengen an Betäubungsmitteln sichergestellt, die W. im Auftrag des Angeklagten von anderen Lieferanten als K. im Oktober 2005 erhalten hatte.
4
Danach werden dem Angeklagten die Beteiligung an drei Einfuhrfahrten des K. mit mindestens 5 kg Marihuana, an einer mit mindestens 5 kg Marihuana und 8 kg Haschisch und an einer mit ca. 10 kg Marihuana und außerdem die Lagerung einer weiteren, nicht von K. gelieferten, bei W. sichergestellten Betäubungsmittel-Handelsmenge zur Last gelegt.
5
2. Im Hauptverhandlungstermin vom 5. Februar 2008 wurde - auf entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft - durch Beschluss der Strafkammer "das Verfahren ... gem. § 154 II StPO vorläufig eingestellt, soweit dem Angeklagten mehr als 2 Taten zur Last gelegt worden sind".
6
3. In dem angefochtenen Urteil ist zum Gegenstand der Verurteilung des - geständigen - Angeklagten ausgeführt:
7
Der Angeklagte hatte Verbindung zu dem "Drogenhändler O. aus Holland" und stellte diesem den Dieter Oswald K. als "Fahrer für Drogengeschäfte" vor. K. sollte etwa alle zwei Wochen eine Fahrt durchführen. Der Angeklagte erhielt für die Vermittlung des K. 500 Euro. Sodann vermittelte der Angeklagte für O. den Thorsten W. als "Lagerhalter". Der Angeklagte sollte O. jeweils informieren, wenn sich keine Drogen mehr in der Wohnung des W. befanden und eine neue Lieferung zu erfolgen hatte. Für jede durchgeführte Fahrt sollte der Angeklagte 200 Euro erhalten.
8
Der Angeklagte informierte zweimal zu nicht näher feststellbaren Zeitpunkten den O. , dass sich keine Drogen mehr in der Wohnung des W. befanden und veranlasste dadurch zwei zwischen März und Dezember 2005 durchgeführte Drogentransporte des K. . Dieser holte in den beiden Fällen Marihuana mit einem Gewicht von jeweils mindestens 3,5 kg mit seinem Pkw in den Niederlanden ab und gab es dann an W. weiter, was der Angeklagte wusste. Für jede der beiden Fahrten erhielt der Angeklagte auf Veranlassung des O. 200 Euro. Insgesamt transportierte K. mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen , in der Zeit zwischen März und Dezember 2005 mindestens fünfmal wenigstens 3,5 kg Marihuana aus den Niederlanden nach Deutschland. Bei einer dieser Kurierfahrten führte er gleichzeitig 8 kg Haschisch ein. Nach seiner Rückkehr in Deutschland übergab er die eingeführten Betäubungsmittel an W. , der sie in seiner Wohnung in H. "bunkerte" und an ihm per Handy mitgeteilte Abnehmer aushändigte. Eine letzte Lieferung des K. von 10.164 kg Marihuana wurde von der Polizei sichergestellt, bevor sie von ihm weitergegeben werden konnte. In einem Fall zahlte der Angeklagte dem K. 750 Euro für den Drogentransport, die der Angeklagte von O. zurückerhielt.
9
In der rechtlichen Würdigung des angefochtenen Urteils ist ausgeführt, dass der Angeklagte sowohl den Fahrer K. als auch den "Lagerhalter" W. vermittelt und in zwei Fällen die Hintermänner in Holland telefonisch in Kenntnis gesetzt habe, dass kein Rauschgift mehr vorhanden sei und neues benötigt werde. Auf diese Weise habe er den erneuten Transport von Marihuana zum Zwecke des Verkaufs veranlasst. Er habe weiterhin in einem Fall dem Fahrer K. 750 Euro übergeben. Seine Tätigkeit sei eigennützig gewesen, da er dies getan habe, um für jede Fahrt die Zahlung einer bestimmten Geldsumme zu erhalten und um ebenso für die Vermittlung des Fahrers Geld zu bekommen.
10
4. Danach ist nicht zweifelsfrei, welche der angeklagten Taten eingestellt und welche abgeurteilt wurden. In Verbindung mit den Urteilsfeststellungen könnte allenfalls davon ausgegangen werden, dass das Verfahren jedenfalls im Hinblick auf die im Urteil nicht erwähnte sechste der angeklagten Taten (bei W. sichergestellte Betäubungsmittel, die dieser im Auftrag des Angeklagten von anderen Lieferanten als K. erhalten hatte) (vorläufig) eingestellt werden sollte. Dies ist aber aus dem Einstellungsbeschluss, der die Taten, hinsichtlich derer das Verfahren eingestellt werden soll, konkret bezeichnen muss (vgl. BGH NStZ 1997, 249, 250; Beulke in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 154 Rdn. 43), auch in Verbindung mit der Anklageschrift und dem Einstellungsantrag der Staatsanwaltschaft, nicht zu ersehen. Er entfaltete daher keine Sperrwirkung (vgl. BGH NStZ 1981, 23; Beulke aaO § 154 Rdn. 52).

II.


11
Die Sache muss deshalb im gesamten angeklagten Umfang erneut verhandelt und entschieden werden. Dabei gilt das Verschlechterungsverbot zwar nur im Hinblick auf zwei (abgeurteilte) Taten (vgl. Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 331 Rdn. 11; Hanack in Löwe/Rosenberg aaO § 358 Rdn. 18, 22). Das durch die - unwirksame - teilweise Einstellung des Verfahrens möglicherweise begründete Vertrauen des Angeklagten, dass weitere angeklagte Taten nicht verfolgt werden, wird aber bei der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen sein (vgl. BGHSt 37, 10, 14). Falls in der neuen Hauptverhandlung - möglicherweise aus Gründen der Fairness (vgl. BGH NStZ 2001, 656, 657) - (wiederum) die teilweise Einstellung des Verfahrens in Betracht kommen sollte, müssen die eingestellten Taten eindeutig bezeichnet werden. Der neue Tatrichter wird auch zu prüfen haben, ob der Angeklagte ggf. als Täter oder ob er als Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) zu verurteilen ist.
12
Im Hinblick auf die in dem angefochtenen Urteil festgestellte, der Justiz anzulastende Verfahrensverzögerung, die das Landgericht durch Verhängung niedrigerer Einzelstrafen berücksichtigt hat, weist der Senat auf die zur Kompensation derartiger Verzögerungen geänderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hin (vgl. BGH NStZ 2008, 234).
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann