Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil, 26. Apr. 2004 - 1 Ss 189/04

bei uns veröffentlicht am26.04.2004

Tenor

1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit dem Angeklagten im Strafbefehl des Amtsgerichts vom 04.07.2001 ein Vergehen der Untreue vorgeworfen wird.

Damit ist das Urteil des Landgerichts vom 16. Juli 2004 und das Urteil des Amtsgerichts vom 22. April 2002 insoweit gegenstandlos.

2. Im Übrigen wird die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts vom 16. Juli 2004 als unbegründet verworfen.

3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

 
I.
Dem Angeklagten war im Strafbefehl des Amtsgerichts vom 04.07.2001 vorgeworfen worden, als im Schalterdienst der deutschen Post eingesetzter Postsekretär aufgrund des ihm möglichen Zugriffs auf Kontodaten im Zeitraum vom 1.1.2000 bis 26.07.2000 insgesamt "64 fiktive Auszahlungen in der Gesamthöhe von 647.320,99 und 68 fiktive Einzahlungen in der Höhe von 641.679,84" auf sein eigenes Konto vorgenommen zu haben, um hierdurch einen größeren als den ihm gewährten Kreditrahmen von 12.000 DM zu erlangen. Außerdem wurden ihm zehn Fälle des Betruges zur Last gelegt.
Die Strafkammer sprach den Angeklagten unter Aufhebung einer anderslautenden Entscheidung des Amtsgerichts von diesen Vorwürfen frei, weil sie hinsichtlich des Vorwurfs der Untreue keinen i.S.d. § 266 StGB relevanten Nachteil der Deutschen Bundespost festzustellen vermochte und es bezüglich der Betrugshandlungen zumeist an einer Täuschungshandlung, jedenfalls aber an einem Schädigungsvorsatz fehle.
II.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Soweit dies den Vorwurf der Untreue betrifft, war das Verfahren wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses einzustellen.
a. Der Strafbefehl des Amtsgerichts vom 4.7.2001 stellt keine wirksame Verfahrensgrundlage dar.
Wie eine Anklageschrift hat auch der Strafbefehl (vgl. OLG Düsseldorf wistra 1991, 32 ff.; BayObLG StV 2002, 356 f.) zunächst die Aufgabe, die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Welche Angaben in der Anklageschrift zur Erfüllung ihrer Umgrenzungsfunktion erforderlich sind, lässt sich nicht abstrakt beantworten, sondern richtet sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls. Darüber hinaus muss die Anklage im Wege ihrer Informationsfunktion den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten über die weiteren Einzelheiten des Anklagevorwurfs unterrichten, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Prozessverhalten auf den erhobenen Vorwurf einzustellen und ihre Verfahrensrechte sachgerecht wahrzunehmen (vgl. Senat Beschluss vom 25.07.2001, 1 Ws 101/01; BGHSt 40, 44, 46).
Die Einhaltung der gebotenen Umgrenzungsfunktion einer Anklage wird nicht deshalb entbehrlich, weil dem Angeklagten Serienstraftaten zur Last liegen. Dies gilt auch dann, wenn die Anklagebehörde - wie hier - vom rechtlichen Ansatz einer natürlichen Handlungseinheit ausgeht. Auch insoweit müssen die einzelnen Teilakte - soweit durchführbar - möglichst genau nach Tatzeit, Tatort, Ausführungsart und anderen individualisierenden Merkmalen gekennzeichnet sein (OLG Zweibrücken MDR 1996, 956 f.; BGHR StPO § 200 Abs.1 Satz 1 Tat 20 zur fortgesetzten Tat; vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.03.2002, 3 Ws 3/00; einschr. BayObLG wistra 1991, 890 f.).
b. Dem genügt der Strafbefehl des Amtsgerichts vom 4.7.2001 nicht, denn die einzelnen Tathandlungen, welche in der Vornahme fiktiver Kontoeinzahlungen zu sehen wären, sind hierin weder nach Tatzeit noch nach der Höhe der jeweiligen Buchung beschrieben.
Eine solche nähere Bezeichnung wäre vorliegend ohne Gefahr von Lücken in der Strafverfolgung (vgl. BGHSt 48, 221 ff; OLG Hamm wistra 2001, 236 ff.) aber ohne weiteres möglich und deshalb notwendig gewesen, weil ein Gefährdungsschaden darin liegen könnte, dass aufgrund der vom Angeklagten vorgenommenen Scheineinzahlungen auf sein Konto seine Liquidität in Wahrheit höher als in Wirklichkeit gewesen sein könnte und das damit verbundene Ausfallsrisiko letztendlich die Postbank zu tragen gehabt hätte. Insoweit ist die Fallgestaltung derjenigen der "Scheckreiterei" vergleichbar, bei welcher zur Erhaltung der Liquidität ständig Schecks von einem Ausgangskonto auf ein Bezugskonto eingezahlt und gleichzeitig vom Bezugskonto Überweisungen auf das Ausgangskonto vorgenommen werden, damit dort bei Einlösung des Schecks ein ausreichendes Guthaben vorhanden ist. In diesen Fällen hat der BGH das Vorliegen einer Vermögensgefährdung bejaht, weil  zwischen der Ausführung der Überweisung und der Einlösung der Schecks eine Postlaufzeit lag, in welcher die dortige Sparkasse das Ausfallrisiko trug  (BGH wistra 2001, 218 f. BGH NStZ 1999, 353 ff.). Zwar bestand vorliegend nicht das "Ausfallrisiko" der Nichteinlösung eines Schecks, wohl aber barg der erhöhte Kreditrahmen jederzeit die Gefahr, dass der Angeklagte aufgrund nicht vorhersehbarerer Umstände während der Zeitspanne von bis zu 24 Tagen (UA S. 13 f.) bis zur korrespondierenden Abbuchung den von ihm eigenmächtig ausgedehnten Kreditrahmen nicht zurückführen konnte. Außerdem hatte er durch seine Manipulationen ständig die Möglichkeit, zumindest innerhalb der Zeitspanne zwischen jeweiliger Gutschrift und Abbuchung in Höhe des fingierten Gutschriftbetrages über weitere Kreditmittel ohne Wissen und Zustimmung der Postbank verfügen zu können. Dieses sich etwa aus einem abredewidrig von einem der Darlehensgeber bei den Taten Nr. 2 und 9 eingelösten Scheck oder etwaigen Pfändungen ergebende Risiko entstand bei jeder der  fingierten Einzahlungen neu und dauerte bis zur korrespondierenden Abbuchung an, so dass vorbehaltlich von etwaigen Handlungsüberschneidungen die maximale Vermögensgefährdung in der Höhe der jeweiligen fingierten Einzahlung zu sehen wäre. Dass sich dieses Risiko nicht realisiert hat, steht der Annahme eines Nachteils i.S.d. § 266 StGB nicht entgegen.
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c. Ausgehend hiervon lässt sich aber dem Strafbefehl nicht entnehmen, in welchem Umfang das Vermögen der Postbank vorliegend durch die jeweiligen Einzelhandlungen - fingierte Einzahlungen auf das Konto - gefährdet worden sein könnte. Der im Strafbefehl aufgeführte Gesamtbetrag von DM 641.679,84 stellt lediglich die Addition der Einzeleinzahlungen und nicht den wesentlich geringer anzusetzenden jeweiligen Gefährdungsschaden dar, so dass auch der Schuldumfang im Strafbefehl unzureichend umschrieben ist. Dieser Mangel der Umgrenzungsfunktion konnte durch die spätere tabellarische Aufzählung von Einzeleinzahlungen im Urteil der Strafkammer (UA S. 13 f.) nicht mehr behoben werden.
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Im übrigen könnte nach Auffassung des Senates ein tatsächlicher Schaden auch darin gesehen werden, dass die Postbank nach Herausrechnung der Scheinbuchungen in Unkenntnis einer in Wirklichkeit vorgenommenen Überziehung der Kreditlinie die Geltendmachung von erhöhten Zinsen unterlassen hätte.
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Soweit die Strafkammer das Vorliegen eines Nachteils auch deswegen ablehnt, weil der Angeklagte "weitere Vermögenswerte" (UA S. 24) besessen hat, weist der Senat darauf hin, dass insoweit maßgeblich wäre, ob der Angeklagte diese Mittel ständig zum Ausgleich eines drohenden Schadens bereit gehalten hätte (BGH wistra 1995, 144; 1988, 191, 192; BGHSt 15, 342 ff.). Dies wird die Anklagebehörde ggf. zu klären haben. Insoweit dürfte jedoch eher davon auszugehen sein, dass das Festgeld und der Sparvertrag nicht kurzfristig zur Verfügung gestanden haben (UA S. 11). Hierfür spricht auch, dass der Angeklagte zur vollständigen Rückzahlung seiner sonstigen Schulden und Verbindlichkeiten "nur mit Mühe und durch Hilfe von Freunden in der Lage war" (UA S. 24).
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2. Zu Recht hat die Strafkammer den Angeklagten vom Vorwurf des Betruges in neun Fällen freigesprochen.
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Der Senat teilt die Ansicht der Strafkammer (UA S. 28), dass es bei der Gewährung von derartigen ungesicherten Privatkrediten und Vermögensanlagen - wie vorliegend - nicht darauf ankommt, ob und wie der Angeklagte ggf. das anvertraute Geld anlegt, sondern mangels gegenteiliger ausdrücklicher und zweifelsfreier Feststellungen (vgl. Senat  StV 2004, 325 f.) nur maßgeblich ist, ob der Angeklagte willens und in der Lage war, die Schulden vollständig wieder zurückzuzahlen. Dass ein entsprechender Täuschungsvorsatz bzw. ein Schädigungsvorsatz bereits bei Erhalt der Gelder vorgelegen hätte, hat die Strafkammer nicht festgestellt. Hieran ist der Senat im Revisionsverfahren gebunden. Im übrigen läge eine solche Annahme auch fern, da der Angeklagte über so viel mittelfristig verwertbares Vermögen verfügte (UA S. 24,25,29, 11: Verkauf einer Haushälfte), dass er fast alle Schulden zurückzahlen konnte. Kann ein Schuldner aufgrund seiner Vermögenssituation aber einen Kredit oder Anlagegelder etwa im zeitlich vorgesehenen Rahmen vollumfänglich zurückzahlen, so wird dieser tatsächliche Umstand im Regelfall gegen die Annahme eines Schädigungsvorsatzes sprechen.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs.1 StPO.

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(2) § 243 Abs. 2 und die §§ 247, 248a und 263 Abs. 3 gelten entsprechend.

(1) Die Anklageschrift hat den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen (Anklagesatz). In ihr sind ferner die Beweismittel, das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, und der Verteidiger anzugeben. Bei der Benennung von Zeugen ist nicht deren vollständige Anschrift, sondern nur deren Wohn- oder Aufenthaltsort anzugeben. In den Fällen des § 68 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 1 genügt die Angabe des Namens des Zeugen. Wird ein Zeuge benannt, dessen Identität ganz oder teilweise nicht offenbart werden soll, so ist dies anzugeben; für die Geheimhaltung des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Zeugen gilt dies entsprechend.

(2) In der Anklageschrift wird auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen dargestellt. Davon kann abgesehen werden, wenn Anklage beim Strafrichter erhoben wird.

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(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.