Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Okt. 2010 - 2 StR 354/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Ergänzend bemerkt der Senat: Aus einer informellen Vereinbarung über mögliche Rechtsfolgen ist - entgegen den insoweit erhobenen Verfahrensrügen - weder eine Bindung gemäß § 257c StPO noch ein durch das fair-trial-Gebot geschützter Vertrauenstatbestand entstanden. 1. Nach übereinstimmenden Darstellungen der Urteilsgründe und der Revisionsführer bot die Strafkammer zu Beginn der Hauptverhandlung als Gegenleistung für Geständnisse der Angeklagten milde Strafobergrenzen an. Diesem Angebot "traten die Angeklagten nicht näher" (UA S. 32). Nach mehreren Verhandlungstagen wurde vom Gericht ein neues Angebot unterbreitet: Danach sollten bei Geständnissen die schon früher angebotenen Strafobergrenzen gelten ; zusätzlich sollte wegen "rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung" eine Kompensation nach dem Vollstreckungsmodell in Höhe von sechs Monaten erfolgen; überdies sollte von der Staatsanwaltschaft "in diesem Fall wie üblich eine Halbstrafenmaßnahme befürwortet" werden (UA S. 32). Die Angeklagten "traten allerdings auch diesem Angebot nicht näher" (UA S. 33). Nach Durchführung der Beweisaufnahme legten die Angeklagten später Geständnisse ab. Das Tatgericht stellte fest, dass eine Verständigung nicht zustande gekommen sei; teilte aber mit, man könne "dem Gericht vertrauen". Die vom Landgericht festgesetzten Gesamtstrafen liegen (mäßig) über den angebotenen Obergrenzen; eine rechtsstaatswidrige Verzögerung ist nicht festgestellt. 2. Eine Verletzung von § 257c StPO ist schon deshalb nicht gegeben, weil eine Verständigung nach dieser Vorschrift ausdrücklich nicht zustande gekommen ist. Auch ein Vertrauenstatbestand ist nicht geschaffen worden. Nach Sachlage war das "Angebot", eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung feststellen und durch Vollstreckungserklärung in Höhe von sechs Monaten "kompensieren" zu wollen, erkennbar fern liegend und von § 257c Abs. 2 StPO nicht gedeckt; es lag auf der Hand, dass eine Art. 6 Abs. 1 MRK widersprechende Menschenrechtsverletzung nicht vorlag (59 Bandentaten mit unterschiedlicher Beteiligung bis August 2008: Anklage Dezember 2008; Eröffnungsbeschluss März 2009; Hauptverhandlung mit vier Angeklagten und acht Verteidigern ab 4. August 2009; Urteil nach 16 Hauptverhandlungstagen am 12. Januar 2010). Es ist schon zweifelhaft, ob durch die Beteiligung an einer solchen, § 257c StPO widersprechenden Absprache überhaupt ein Vertrauenstatbestand geschaffen werden könnte. Das gilt erst recht für "Angebote" und Absprachen, welche sich auf Zusagen beziehen, die nach § 257c Abs. 2 schon ihrer Art nach gar nicht Gegenstand von Absprachen sein dürfen, hier also eine "Halbstrafen- Aussetzung" gemäß § 57 Abs. 2 StGB oder deren Befürwortung oder Beantragung. Hierauf kam es vorliegend im Ergebnis allerdings nicht an, weil schon die Bedingung des (rechtswidrigen) "Angebots" des Landgerichts offenkundig nicht eingetreten war: Die Angeklagten "traten dem Angebot nicht näher"; daher ist es fern liegend, dass sich aus diesem gleichwohl Ansprüche auf bestimmte Rechtsfolgen ableiten lassen sollten. Soweit zwischen Tatgericht und Verfahrensbeteiligten darüber gesprochen wurde, ob und warum man dem Gericht "vertrauen" solle, waren Gegenstand dieses Hinweises schon nach dem Revisionsvorbringen nicht etwa die früheren "Angebote", sondern ein allgemeines Vertrauen in Fairness und Unvoreingenommenheit des Gerichts, die selbstverständliche Pflichten sind und daher weder einer "Zusage" bedürfen noch Ansprüche auf Einhaltung rechtswidriger Absprachen begründen. Im Übrigen erscheint der Hinweis angezeigt, dass die Vorlage (gegebenenfalls mehrfach) "nachgebesserter Angebote" von Seiten des Gerichts zur Erlangung von verfahrensabkürzenden Geständnissen regelmäßig nicht tunlich ist. Erfolgen solche Angebote, wie hier, in der Weise, dass ein immer günstigerer Verfahrensausgang angeboten wird, je länger Beschuldigte früheren Angeboten "nicht näher treten", so führt dies sowohl in der Darstellung gegenüber den Verfahrensbeteiligten als auch in der öffentlichen Wahrnehmung leicht zu einem Eindruck eines "Aushandelns" des staatlichen Strafausspruchs, das mit der Würde des Gerichts kaum vereinbar ist.
Fischer Appl Schmitt Eschelbach Ott
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.
(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.
(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.
(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.
(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.
(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn
- 1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind, - 2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und - 3.
die verurteilte Person einwilligt.
(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn
- 1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder - 2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.
(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.
(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.
(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.