Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 457/17
(alt: 5 StR 599/15)
vom
24. Januar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen
ECLI:DE:BGH:2018:240118B5STR457.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Januar 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 13. April 2017 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Jugendschutzkammer des Landgerichts Leipzig zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Mit Urteil vom 8. September 2015 hatte dasselbe Gericht den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil wegen Mängeln in der Beweiswürdigung bei einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation aufgehoben (Beschluss vom 15. Februar 2016 – 5 StR 599/15). Die gegen das nunmehr ergangene Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge erneut Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte an nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten vom 29. Oktober 2010 bis 31. Juli 2012 sexuelle Handlungen an der am 29. Oktober 1996 geborenen Tochter seiner früheren Lebensgefährtin S. I. vor. Das Landgericht hat den insgesamt zu den Tatvorwürfen schweigenden Angeklagten aufgrund der Angaben der Nebenklägerin als überführt angesehen.
3
2. Die der Verurteilung zugrundeliegende Beweiswürdigung hält sachlich -rechtlicher Nachprüfung nicht stand (§ 261 StPO). Die Würdigung der Aussage der Nebenklägerin als einziger Belastungszeugin erfüllt die strengen Anforderungen in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen nicht (vgl. zum Maßstab nur BGH, Beschlüsse vom 5. April 2016 – 1 StR 53/16; vom 19. Juli 2016 – 5 StR 231/16, NStZ-RR 2016, 382; vom 10. Januar 2017 – 2 StR235/16, StV 2017, 367; vom 20. April 2017 – 2 StR 346/16, NStZ-RR 2017, 288, und vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 273/17; Miebach in MüKo-StPO, § 261 Rn. 230 ff. mwN):
4
a) Das Landgericht hat ausweislich der Urteilsgründe einen Teil der angeklagten Tatvorwürfe (Taten 23, 28 und 29 der Anklageschrift, UA S. 21) gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, ohne – wie geboten – die Gründe hierfür mitzuteilen. Dessen bedarf es aber, weil diese im Rahmen der notwendigen umfassenden Glaubhaftigkeitsbeurteilung von Bedeutung sein können (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 160; Beschluss vom 5. April 2016 – 1 StR 53/16).
5
b) Den Ausführungen des Landgerichts lässt sich auch nicht entnehmen, welche Angaben die Nebenklägerin gegenüber den Mitarbeiterinnen der Kinder - und Jugendnothilfe und des Jugendamts über sexuelle Übergriffe des An- geklagten konkret getätigt hat, insbesondere ob sie lediglich pauschal auf „se- xuelle Übergriffe“ des Angeklagten verwiesen oder insoweit Einzelheiten berich- tet hat (vgl. demgegenüber den Beschluss des Senats vom 15. Februar 2015 – 5 StR 599/15 Rn. 7). Ebenso bleibt offen, welche Angaben die jüngere Schwester C. in diesem Zusammenhang getätigt haben soll. Nähere Ausführungen zum Inhalt derartiger erster Belastungen sind bei Konstellationen wie der vorliegenden indes geboten (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16 und vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 273/17).
6
c) Soweit die Strafkammer als ein wesentliches gegen den Angeklagten sprechendes Indiz wertet, dass Tathandlungen wie gegen die Nebenklägerin „systemisch“ seien, weil auch deren Schwestern Sa. und C. davon betroffen gewesen seien, beruht dies auf einer lückenhaften Beweiswürdigung.
7
Nach den Angaben von C. in der Hauptverhandlung habe die Nebenklägerin ihr einmal gesagt, dass der Angeklagte sie angefasst habe. Sie selbst habe gesagt, dass sie dies nicht glauben könne. Der Angeklagte habe sie bei Umarmungen an den Brüsten berührt, sich dafür aber entschuldigt. Sonstige sexuelle Handlungen des Angeklagten ihr gegenüber hat C. nicht bestätigt. Sa. hat in der Hauptverhandlung keine sexuellen Übergriffe des Angeklagten bekundet.
8
Seine Überzeugung, es habe doch sexuelle Übergriffe auf die beiden Schwestern der Nebenklägerin gegeben, hat das Landgericht auf die Angaben von zwei Mitarbeiterinnen der Kinder- und Jugendhilfe und des Jugendamts gestützt. Danach habe sich C. im Wesentlichen wie die Nebenklägerin geäußert. Die an einem Borderline-Syndrom leidende Sa. habe einer Therapeutin im Frühjahr 2009 in einem therapeutischen Setting mitgeteilt, dass sie vom Angeklagten mehrfach sexuell missbraucht sowie beim Duschen beobach- tet worden sei und der Angeklagte sich zu ihr ins Bett gelegt habe. C. und die Nebenklägerin hätten berichtet, dass es Sa. auch passiert sei.
9
Angesichts dieser Beweislage wäre es erforderlich gewesen, die Einzelheiten früherer Angaben der Schwestern mitzuteilen. Wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, sind beide polizeilich vernommen worden. Zum Inhalt der Vernehmung wurde die Vernehmungsbeamtin gehört. Was die beiden Schwestern in ihren Vernehmungen zu etwaigen sexuellen Übergriffen des Angeklagten gesagt haben, teilt die Kammer nicht mit (vgl. demgegenüber den Beschluss des Senats vom 15. Februar 2015 – 5 StR 599/15 Rn. 6 und 8).
10
d) Der Senat vermisst vor diesem Hintergrund zudem erneut (vgl. aaO, Rn. 9) eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob etwaige gegenseitige suggestive Beeinflussungen der Nebenklägerin und ihrer Schwestern Sa. und C. in Betracht zu ziehen sind.
11
e) Es mangelt schließlich an der gebotenen Gesamtwürdigung aller für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin sprechenden Gesichtspunkte (vgl. hierzu nur BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2017 – 2StR 273/17 mwN). Insbesondere hat sich das Landgericht nicht erkennbar damit auseinandergesetzt, dass die Mutter der Nebenklägerin nach ihren Angaben keine sexuellen Übergriffe des Angeklagten bemerkt haben will, obwohl S. bei den ersten beiden Taten zwischen ihr und dem Angeklagten auf der Schlafcouch gelegen und sich nach ihren Angaben in einem Fall auch verbal zu dem Übergriff geäußert haben will (UA S. 8). Ohne ersichtliche Würdigung bleibt auch, dass weder die Mutter noch der von dieser lange getrennte Vater noch ihre Tante S. glauben und dies teilweise auch mit konkreten Umständen begründet haben (UA S. 11, 14).
12
3. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO).
Mutzbauer Sander Dölp
Berger Mosbacher

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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 599/15
vom
15. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen
ECLI:DE:BGH:2016:150216B5STR599.15.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Februar 2016 beschlossen :
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 8. September 2015 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte an nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten zwischen dem 26. Juli 2006 und dem 31. Juli 2012 sexuelle Handlungen an der am 29. Oktober 1996 geborenen Nebenklägerin S. I. vor, bei der es sich um die Tochter seiner jetzigen Verlobten handelt. Das Landgericht sieht den insgesamt von seinem Schweigerecht Gebrauch machenden Angeklagten ausschließlich aufgrund der Angaben der Nebenklägerin als überführt an.
3
2. Die der Verurteilung zugrundeliegende Beweiswürdigung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand (§ 261 StPO). Die Würdigung der Aussage der Nebenklägerin als einziger Belastungszeugin erfüllt die strengen Anforderungen in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen nicht (vgl. etwa BGH, Urteile vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.; vom 12. Dezember 2012 – 5 StR 544/12, NStZ-RR 2013, 119; vom 10. Oktober 2012 – 5 StR 316/12, NStZ 2013, 57).
4
a) Die Urteilsgründe enthalten schon keine hinreichende Darstellung der Aussage der Nebenklägerin mit den zugehörigen Details, die dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Aussagequalität und -konstanz ermöglichen würde. Auch mit Blick auf die detailarmen Sachverhaltsfeststellungen hätte es zumindest einer inhaltlichen Darlegung der Aussage der Nebenklägerin vor der Staatsanwaltschaft bedurft, zumal die Nebenklägerin nach zwei vorangegangenen polizeilichen Vernehmungen und schriftlichen Ausführungen gegenüber der Polizeibeamtin „erstmals in ihrer staatsanwaltschaftlichen Zeugenvernehmung und dann bei der Befragung durch die Sachverständige in der Lage“ war, konk- ret über die Vorfälle zu sprechen (UA S. 11). Entgegen den Ausführungen des Generalbundesanwalts ist dem Urteil auch nicht hinreichend zu entnehmen, dass jene früheren Angaben der Nebenklägerin mit denjenigen übereingestimmt haben, die sie im Rahmen ihrer Exploration vor der zur Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit beauftragten Sachverständigen gemacht hat.
5
b) Hinzu kommt, dass die vor der Erstattung der Strafanzeige durch die Nebenklägerin erfolgten Offenbarungen gegenüber ihrer jüngeren Schwester C. sowie gegenüber einer Mitarbeiterin des Kinder- und Jugendnotdienstes nicht genügend in Bezug auf die Anzeigemotivation erörtert werden, um mögliche Falschbelastungsmotive nachvollziehbar ausschließen zu können.
Folgende besondere Umstände hätten mit Blick auf etwaige suggestive Einflüsse , aber auch auf eine denkbare Motivation der Nebenklägerin, den Angeklagten aus der Wohnung der Mutter zu verdrängen, einer eingehenderen Darstellung und beweisrechtlichen Würdigung bedurft:
6
aa) Das Urteil teilt mit, dass die ältere Schwester der Nebenklägerin, die Zeugin S. I. , bereits im Jahr 2009 – nachdem sie sich zunächst an den Kinder- und Jugendnotdienst gewandt hatte – aus der Wohnung ihrer Mutter ausgezogen sei. Hierzu hat sie in der Hauptverhandlung als Grund benannt, den Angeklagten als aggressiv und gewalttätig empfunden zu haben. Demgegenüber hat die Mitarbeiterin des Jugendamtes bekundet, S. habe damals einen sexuellen Missbrauch angedeutet, ohne jedoch konkret zu werden. Aus den letzten Therapieunterlagen ergebe sich, dass sie „nunmehr klar benenne“, von dem Angeklagten sexuell belästigt worden zu sein. Nach Aussage der polizeilichen Ermittlungsführerin wiederum ist S. I. bei ihren polizeilichen Vernehmungen zunächst kaum in der Lage gewesen, Angaben zu ma- chen, hat „bei der Konfrontation mit den Tatvorwürfen“ geweint und schließlich sexuelle Handlungen seitens des Angeklagten ihr gegenüber verneint. Das Urteil verhält sich nicht dazu, ob und gegebenenfalls welche Angaben die Zeugin hierzu in der Hauptverhandlung gemacht hat.
7
bb) Nach Aussage der Jugendamtsmitarbeiterin haben die Nebenklägerin und ihre jüngere Schwester C. am 22. März 2012 beim Kinder- und Jugendnotdienst ohne Konkretisierungen angegeben, sie seien beide durch den Angeklagten sexuell belästigt worden. Unter Einbeziehung ihrer Mutter seien die Mädchen zunächst in Obhut genommen worden. Es sei vereinbart worden, dass der Angeklagte aus der Wohnung ausziehe; er habe sich aber dennoch zumindest zeitweise weiterhin in der Wohnung aufgehalten. Die Nebenklägerin sei am 4. April 2012 wieder in die mütterliche Wohnung zurückgekehrt und schließlich zum 1. August 2012 endgültig ausgezogen. Nachdem ihre Mutter in der Folgezeit zum Angeklagten gehalten habe, habe sie am 23. April 2013 im Rahmen eines Nothilfegesprächs angekündigt, den Angeklagten wegen der sexuellen Übergriffe anzuzeigen. In der Hauptverhandlung hat sich die zu die- sem Zeitpunkt 19 Jahre alte Nebenklägerin „nicht mehr genau erinnern“ kön- nen, ob die letzte Tat vor oder nach ihrer Inobhutnahme vorgefallen sei, wie sie auch insgesamt nicht in der Lage war, die Tatzeiten näher als vom Landgericht festgestellt (Tatzeitraum zwischen dem 26. Juli 2006 und dem 31. Juli 2012) zu konkretisieren.
8
cc) Die jüngere Schwester der Nebenklägerin, die Zeugin C. I. , hat den Angaben der polizeilichen Ermittlungsführerin zufolge bei ihrer polizeilichen Vernehmung verneint, dass der Angeklagte ihr gegenüber sexuelle Handlungen vorgenommen habe. Welche Angaben sie hierzu in der Hauptverhandlung gemacht hat, wird im Urteil nicht wiedergegeben.
9
c) Das Landgericht hat suggestive Einflüsse auf die Nebenklägerin lediglich im Zusammenhang mit einem sexuellen Missbrauch einer weiteren Schwester der Nebenklägerin durch einen Nachbarn im Jahr 2002 erörtert und verneint. Etwaige gegenseitige suggestive Beeinflussungen der Nebenklägerin sowie ihrer Schwestern C. und S. hat es jedoch nicht in den Blick genommen.
10
d) Schließlich teilt das Urteil nicht mit, welche Angaben die in der Hauptverhandlung vernommene Mutter zu den von der Nebenklägerin geschilderten Rahmenbedingungen bei den Taten 1 bis 4 gemacht hat und wie diese zu wür- digen sind. Danach habe der sexuelle Missbrauch auf dem „nachtfertig“ bereite- ten Schlafsofa im Wohnzimmer stattgefunden, wobei die Nebenklägerin zwischen ihrer Mutter und dem Angeklagten unter dessen Decke gelegen habe. Ihre Mutter habe dabei häufig mit ihrem Laptop gespielt oder Fernsehen ge- schaut und sei zum Teil „weggedöst“.
11
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Schneider König Berger
RiBGH Bellay ist Feilcke wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Schneider

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 53/16
vom
5. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
ECLI:DE:BGH:2016:050416B1STR53.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. April 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 21. August 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung zu Gunsten der Nebenklägerin getroffen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die zugleich erhobenen Verfahrensbeanstandungen nicht ankommt.
2
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält, wie die Revision zutreffend bemängelt, sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
1. Wenn – wie im vorliegenden Fall – Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, ist die Aussage der einzigen Belastungszeugin einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen. Dabei müssen die Urteilsgründe nachvollziehbar erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezo- gen hat (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Dezember 2012 – 5 StR 544/12, NStZ-RR 2013, 119). Insoweit ist zunächst eine zusammenfassende Darstellung etwaiger bestreitender Angaben des Angeklagten notwendig; die Aussage des Angeklagten und die Bewertung seines Aussageverhaltens ist in den Urteilsgründen nachvollziehbar darzulegen (vgl. Miebach in MüKo-StPO, § 261 Rn. 209). Beruht eine Verurteilung im Wesentlichen auf der Aussage einer Belastungszeugin und hat sich diese entgegen früheren Vernehmungen teilweise abweichend erinnert, bedarf es einer geschlossenen Darstellung der jetzigen und der früheren Aussagen der Zeugin, weil ansonsten eine vom Gericht erfolgte Konstanzanalyse revisionsrechtlich nicht überprüft werden kann (vgl. BGH aaO; Miebach aaO § 261 Rn. 236 mwN). Eine gravierende Inkonstanz in den Bekundungen eines Zeugen kann ein Indiz für mangelnde Glaubhaftigkeit darstellen , wenn es hierfür keine plausible Erklärung gibt (vgl. Senat, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172). Stellt das Gericht in Fällen von Aussage gegen Aussage einen Teil der angeklagten Tatvorwürfe nach § 154 Abs. 2 StPO ein, bedarf es zudem einer Mitteilung der Gründe hierfür, weil diese im Rahmen der gebotenen umfassenden Glaubhaftigkeitsbeurteilung von Bedeutung sein können (vgl. Senat, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 160).
4
2. Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung der Strafkammer in mehrfacher Hinsicht nicht.
5
a) Die Strafkammer legt schon nicht dar, wie sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung konkret eingelassen hat. Das Landgericht teilt im Rahmen der Beweiswürdigung lediglich in zwei Sätzen mit, der Angeklagte habe in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens abgestritten, die Nebenklägerin auf sexuelle Weise beleidigt zu haben, und er habe in der Hauptverhandlung die ihm zur Last gelegten Vorwürfe bestritten. Ob es sich jeweils um ein pauschales oder detailliertes Bestreiten des Angeklagten gehandelt hat und was er im Einzelnen zu den Tatvorwürfen gesagt hat, ist aus den Urteilsgründen nicht ersichtlich.
6
b) Das Landgericht hat für seine Konstanzanalyse rechtsfehlerhaft nur die letzte (ausführliche) polizeiliche Vernehmung der Nebenklägerin vom 24. Mai 2013 herangezogen. Eine plausible Konstanzanalyse erfordert jedoch den umfassenden Vergleich aller Angaben über denselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Zeitpunkten (vgl. Senat, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172).
7
Zu zwei früheren polizeilichen Vernehmungen führt die Kammer in den Urteilsgründen lediglich aus, es habe sich jeweils nur um kurze Vernehmungen gehandelt, weil diese aus Zuständigkeitsgründen alsbald beendet worden seien. In der ersten Vernehmung am 9. April 2013 habe die Nebenklägerin ausgesagt , der Angeklagte habe ihr gegenüber unverblümt den Wunsch nach Sexu- alkontakt geäußert, sie „begrapscht“ und mehrfach seinen Penis an ihrem Kör- per gerieben. Zudem habe sie hierbei deutlich gemacht, dass sie aufgrund ihrer engen finanziellen Verhältnisse Angst habe, ihre Arbeit zu verlieren, wenn sie den Angeklagten anzeige. In der zweiten Vernehmung am 17. April 2013 habe sie lediglich eine Vergewaltigung geschildert. Erst in der dritten mehrere Stunden umfassenden Vernehmung am 24. Mai 2013 habe die Nebenklägerin erstmals umfassend zur Sache aussagen können und dabei drei vaginale und eine zudem anale Vergewaltigung geschildert.
8
Nähere Einzelheiten zu den ersten beiden Vernehmungen ergeben sich aus den Urteilsgründen nicht. Der Senat kann auf dieser lückenhaften Grundlage nicht nachvollziehen, welche Gründe es für die erhebliche Änderung im Aussageverhalten der Nebenklägerin gegeben haben mag. Das Landgericht selbst benennt hierfür ebenfalls keine plausiblen Gründe. Dass – wie im Urteil angedeutet – die Angst der Nebenklägerin vor einer Kündigung ihres mit dem Angeklagten geschlossenen Arbeitsverhältnisses der Grund für eine anfängliche Zurückhaltung in den Vernehmungen gewesen sein könnte, lässt sich schon deshalb ausschließen, weil die Nebenklägerin bereits seit dem 28. März 2013 ihrer Arbeit ferngeblieben war und zudem am 7. April 2013 ihr Arbeitsverhältnis schriftlich gekündigt hatte. Die kurze Zeitdauer der zwei Vernehmungen am 9. und 17. April 2013 bietet für sich gesehen ebenfalls keine nachvollziehbare Erklärung für die gravierenden Abweichungen im Aussageverhalten, weil der Kern der tatgegenständlichen Vorwürfe auch in wenigen Worten geschildert werden kann.
9
c) Schließlich teilt die Kammer auch nicht mit, aus welchen Gründen die Einstellung der angeklagten Vergewaltigungstat zu Ziffer 2 der Anklageschrift erfolgt ist. Den Urteilsgründen ist nur zu entnehmen, dass diese Einstellung vorgenommen wurde und die Nebenklägerin auf Vorhalt ihrer polizeilichen Vernehmung die Geschehnisse insoweit bestätigt habe. Was die Nebenklägerin konkret insoweit ausgesagt hat, wird im Urteil – entgegen dem Gebot umfassender Aussageanalyse – nicht mitgeteilt.
10
3. Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung.
Raum Radtke Mosbacher Fischer Bär

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BESCHLUSS
5 StR 231/16
vom
19. Juli 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:190716B5STR231.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juli 2016 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 30. Juli 2015 mit den Feststellungen aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO).
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „schweren sexuellen Miss- brauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
2
1. Die landgerichtliche Beweiswürdigung (§ 261 StPO) hält in der hier vorliegenden Aussage-gegen-Aussage-Konstellation auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabes (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2015 – 5 StR 79/15 mwN) sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand; sie ist lückenhaft.
3
a) Die Urteilsgründe enthalten keine hinreichend detaillierte Darstellung der den die Vorwürfe bestreitenden Angeklagten belastenden Aussagen der Nebenklägerin. Sie ermöglichen es dem Revisionsgericht daher nicht, Aussagequalität und -konstanz zu überprüfen. Soweit das Landgericht sich (weitgehend ) auf die Mitteilung beschränkt hat, die Nebenklägerin habe die Tathandlungen so wie festgestellt konstant geschildert, und im Übrigen lediglich fragmentarisch einzelne Punkte ihrer Angaben wiedergegeben hat, genügt dies angesichts der eher knappen und recht detailarmen Tatfeststellungen nicht. Insoweit hätte es einer eingehenderen Darlegung der in den verschiedenen Stadien des Strafverfahrens getätigten Aussagen der Nebenklägerin bedurft. Dies gilt umso mehr, als diese in ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung – anders als bei der polizeilichen Vernehmung – angegeben hat, der Angeklag- te habe sie bei der dritten Tat nicht an der Schulter festgehalten (UA S. 8).
4
b) Soweit sich das Landgericht zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin (auch) auf das Gutachten einer psychologischen Sachverständigen stützt, wird das angefochtene Urteil den Darlegungsanforderungen ebenfalls nicht gerecht, da es lediglich die Ergebnisse der sachverständigen Untersuchung mitteilt; es fehlen die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und methodischen Darlegungen, die zum Verständnis des Gutachtens erforderlich wären (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 182). Dem Senat ist es daher nicht möglich, das Gutachten der Sachverständigen auf Schlüssigkeit und sonstige Rechtsfehlerfreiheit zu prüfen. Insoweit kann etwa schon nicht nachvollzogen werden, warum nach Ein- schätzung der Sachverständigen „die Angaben der Nebenklägerin in ihrer diffe- renzierten Konstanz den gedächtnispsychologischen Erwartungen erlebnisfun- dierter Aussagen entsprächen“ (UA S. 9).
5
c) Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
6
2. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
7
a) Soweit das Landgericht bei der Beweiswürdigung ausführt, die Kam- mer habe bei der Würdigung der Aussage der Nebenklägerin „das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen … einschließlich ihrer Ausführungen in der Hauptverhandlung“ berücksichtigt (UA S. 7) und die Sachverständige habe „sowohl schriftlich, als auch in der Hauptverhandlung mündlich ausgeführt, dass …“ (UA S. 9),lassen diese Formulierungen besorgen, dass das Landgericht seine Überzeugung von der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin nicht ausschließlich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) gewonnen hat.
8
b) Das neue Tatgericht wird die Angaben der Großeltern der Nebenklägerin und der Zeugin C. , denen sich die Nebenklägerin alsbald nach der dritten Tat anvertraut hatte, eingehend darzustellen haben. In diesem Zusammenhang werden auch die Umstände der Anzeigenerstattung in den Blick zu nehmen sein. Ebenso sind die von der Nebenklägerin bis März 2013 absolvier- ten Beratungsgespräche bei dem Verein „T. “ in die Beweiswürdigung einzu- beziehen. Im Falle einer erneuten Verurteilung werden die Ausführungen des Generalbundesanwalts zur Frage der strafrechtlichen Konkurrenzen zu berücksichtigen sein.

Sander Dölp RiBGH Prof. Dr. König ist urlaubsbedingt an der Unterschrift gehindert. Sander
Bellay Feilcke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 346/16
vom
20. April 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:200417B2STR346.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20. April 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 11. April 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Kompensationsentscheidung getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es im September und November 2007 zu zwei sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf seine da- mals 11-jährige Halbschwester S. . An einem Samstagmorgen Anfang September 2007 legte sich der Angeklagte in der Wohnung der Familie S. neben seine Halbschwester ins Bett, streichelte sie sodann unter der Bekleidung an der Brust und unter der Schlafanzughose und drang mit einem Finger in ihre Scheide ein.
3
An einem Samstagabend im November 2007 legte sich der Angeklagte erneut zu der Nebenklägerin ins Bett und streichelte sie. Anschließend zog er sie auf seinen Körper und fing an, sie und sich auszuziehen, zuerst die Oberteile , anschließend die jeweiligen Hosen. Nachdem er das Geschlechtsteil der Geschädigten gestreichelt hatte, "drückte er ihre Schulter nach oben, nahm Hüfte und Po in die Hand und drückte diese herunter", um sein Geschlechtsteil in ihre Scheide einführen zu können. Sodann vollzog er den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss.
4
Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des die Taten bestreitenden Angeklagten auf die Angaben seiner Halbschwester gestützt.

II.

5
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Dies zwingt zur Urteilsaufhebung. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es danach nicht mehr an.
6
1. In Fällen, in denen "Aussage gegen Aussage" steht, ist eine besonders sorgfältige Gesamtwürdigung aller Umstände durch das Tatgericht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 – 1 StR 700/13; Senat, Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR 408/15; Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, StV 2017, 367). Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass es alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. Senat, Urteil vom 22. April 2015 – 2 StR 351/14). Hierbei sind Gewicht und Zusammenspiel der einzelnen Indizien in einer Gesamtschau zu bewerten (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juli 2016 – 2 StR 59/16, NStZ-RR 2016, 382; Beschluss vom 4. April 2017 – 2 StR 409/16).
7
2. Den hiernach an die Beweiswürdigung zu stellenden besonderen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
8
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung auf die Aussage der Nebenklägerin gestützt und ausgeführt, dass deren Angaben ein hohes Maß an Konstanz aufwiesen. Als Beleg hat es während des zweiten Tatgeschehens gefallene Äußerungen und Angaben zu von ihr getragenen Kleidungsstücken und dem Ankleiden des Angeklagten nach dem zweiten Übergriff angeführt und im Übrigen darauf verwiesen, dass das Verschweigen des zweiten Tatvorwurfs in der ersten polizeilichen Vernehmung kein Ausdruck von Inkonstanz, sondern Folge einer "bewussten Aussagezurückhaltung" gewesen sei. Ausführungen zu Angaben der Nebenklägerin zum eigentlichen Tatgeschehen in den verschiedenen Vernehmungen und Befragungen finden sich in den Urteilsgründen – abgesehen davon, dass das Landgericht Erinnerungslücken der Nebenkläge- rin auch hinsichtlich des eigentlichen Tatgeschehens erwähnt – nicht.
9
Die Urteilsgründe enthalten damit schon keine zusammenhängende Darstellung der verschiedenen Aussagen der Nebenklägerin mit den zugehörigen Details, die eine Überprüfung der Aussagequalität und -konstanz hinsichtlich des jeweiligen Kerngeschehens ermöglichen. Die Erläuterung der Strafkammer, warum die Nebenklägerin in ihrer ersten Vernehmung keine Angaben zum zweiten Tatvorwurf gemacht habe und insoweit keine Inkonstanz vorliege, vermag einen vollständigen Überblick über die eigentlichen Aussagen zu den Tatvorwürfen nicht zu ersetzen. Angaben zu wenig tatspezifischen Erlebniswahrnehmungen , etwa zu einer bestimmten Schlafkleidung, erlauben dem Revisionsgericht insoweit keine zuverlässigen Rückschlüsse. Ohne Kenntnis der jeweiligen Angaben in den verschiedenen Befragungen ist dem Senat die Prüfung der für die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sprechenden Aussagekonstanz und der sachverständigen Einschätzung, es handele sich um eine "unter aussageinhaltlichen Aspekten erstaunlich gut qualifizierbare Beschreibung von angeblichen Ereignissen, denen eine gewisse Vielgestaltigkeit und Variationsbreite zukäme", verwehrt.
10
Dies gilt auch mit Blick auf von der Nebenklägerin für sich in Anspruch genommene Erinnerungslücken, die aus Sicht der Kammer für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage sprechen sollen, vor allem, weil eine solche Lücke sich unmittelbar auf das Kerngeschehen des ersten Übergriffs bezog. Auch insoweit wäre unerlässlich gewesen darzulegen, wie sich die Angaben der Nebenklägerin hierzu im Verlaufe des Verfahrens entwickelt haben, und anschließend zu erörtern, warum die den ersten Übergriff betreffenden Angaben in der Hauptverhandlung – sie habe sich entweder aus einem Reflex auf den Rücken gedreht , eventuell habe der Angeklagte sie auch herumgedreht – sich insoweit als (bloße) Erinnerungslücke und nicht etwa als gegenüber vorangegangenen Vernehmungen abweichende Aussage darstellen.
11
b) Die Strafkammer hat sich mit der Frage auseinander gesetzt, ob die Angaben der Nebenklägerin dazu gedient hätten, gezielt (wahrheitswidrig) gegen den Angeklagten vorzugehen. Sie hat diese Frage nachvollziehbar verneint und auf den Umstand verwiesen, dass sie die Tatvorwürfe "nur auf Druck ihrer besten Freundin sowie später auf Vorhalte des Vaters hin eröffnet" habe. Das Landgericht hat sich weiter zwar mit der Möglichkeit befasst, dass die Nebenklägerin von einer anderen Person zu einer wahrheitswidrigen Behauptung gedrängt worden sein könnte. Es hat diese Möglichkeit ausgeschlossen, weil insoweit allein die Eltern der Zeugin in Betracht zu ziehen seien, das denkbare Belastungsmotiv, ein mit dem Angeklagten gemeinsam ins Auge gefasster, im Jahre 2011 gescheiterter Hauskauf, aber nicht die bereits in den Jahren 2008/2009 liegende Eröffnung eines Übergriffs durch den Angeklagten ihrer Freundin A. gegenüber erklären könne.
12
Mit der aufgrund der Entstehungsgeschichte der Angaben jedenfalls denkbaren Alternative, die Nebenklägerin könne jeweils in einer momentanen Drucksituation unzutreffende Angaben zu Lasten des Angeklagten gemacht haben, die eine für sie unangenehme Lage beendeten, hat sich das Landgericht hingegen nicht befasst. Dies wäre aber erforderlich gewesen. Die ersten Angaben ihrer Freundin gegenüber, die nach ihren eigenen Angaben "sehr beharrlich und nervig" sein kann, erfolgten nach mehrfachem Nachfragen, was mit ihr los sei. Sie fielen kurz und knapp aus und beinhalteten eine "Lügengeschichte", wonach der Angeklagte sie abends wohl betrunken gemacht, sich in der Nacht an ihr vergangen und sie morgens Spermaflecken und Blut in ihrer Boxershort bemerkt habe. Ihr späterer Erklärungsversuch für diese unzutreffenden Angaben , sie habe das wahre Geschehen nicht erzählen wollen, damit ihre Freundin nicht noch mehr "ausraste", hätte für die Strafkammer Anlass sein müssen, sich mit der Plausibilität der nachträglichen Begründung auseinander zu setzen; dass die erfundene Geschichte ohne Weiteres geeignet gewesen wäre, für weniger Aufregung bei der Freundin A. zu sorgen, liegt jedenfalls nicht auf der Hand. Dabei hätte die Strafkammer auch in den Blick nehmen müssen, dass Ausgangspunkt der Angaben der Nebenklägerin eine von der Freundin herbeigeführte "Befragung" war, die der Nebenklägerin ersichtlich wenig ange- nehm war und die sie auf beharrliches Nachfragen offenbar nur durch eine "Lügengeschichte" (dies nach ihren Angaben freilich als Ersatz für einen tatsächlich stattgefundenen Übergriff) beenden konnte, um endlich Ruhe zu haben.
13
Eine Erörterung hätte um so mehr nahe gelegen, als auch die Offenbarung ihren Eltern gegenüber nicht in einer freiwillig von ihr herbeigeführten Aussagesituation erfolgte, sondern eine Reaktion auf einen von ihrem Vater ihr gegenüber erhobenen Vorwurf war. Dessen Frage, warum sie anders als seine Söhne so "asozial" sei, ließ sie weinend davon rennen. Der ihr gefolgten Mutter erklärte die Nebenklägerin auf die Frage, was los sei, der eine (Sohn) zocke den ganzen Tag, der andere packe kleine Kinder an. Dass bei dieser Entstehung des den Angeklagten belastenden Vorwurfs – wie die vom Landgericht gehörte Sachverständige meint – keine Anhaltspunkte für ein "gezieltes Vorgehen der Zeugin, etwa um sich mit falschen Schuldzuweisungen an dem Halbbruder für eigenes Fehlverhalten zu rechtfertigen", gegeben seien, hätte jedenfalls weiterer Erläuterung bedurft. Der Umstand, dass die Aussage "plötzlich und ungeplant im Raum gestanden habe, ohne von außen angeregt worden zu sein", schließt insoweit nicht die sich aus der Streit- und Vorwurfssituation ergebende Möglichkeit aus, die Nebenklägerin habe darauf spontan reagiert, um sich mit Blick auf die ihr vorgeworfene "Asozialität" zu ent- und die ihr vom Vater als "Vorbilder" vorgehaltenen Brüder mit unzutreffenden Angaben zu belasten. Das Landgericht hätte sich mit dieser Möglichkeit auch vor dem Hintergrund beschäftigen müssen, dass die Nebenklägerin von Anfang an gegen eine Anzeigenerstattung gewesen ist. Ein möglicher Grund hierfür könnte nämlich auch gewesen sein, eine aus der Situation heraus entstandene Falschbelastung des Bruders nicht weiter verfolgen zu wollen.
14
Die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung. Appl Krehl Eschelbach Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 273/17
vom
13. Dezember 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:131217B2STR273.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 13. Dezember 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 24. Februar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lernte der Angeklagte die zu diesem Zeitpunkt 13 Jahre alte Geschädigte Ende Juni 2015 kennen. In der Folgezeit besuchte die Geschädigte den Angeklagten regelmäßig an den Wochenenden in dessen Wohnung in H. , wobei es auch zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr kam. Am 10. Juli 2015, dem Tag ihres 14. Geburts- tags, fuhr sie erneut zum Angeklagten. Nachdem beide zunächst gemeinsam bei einem Freund Alkohol konsumiert hatten, begaben sie sich zur Wohnung des Angeklagten. Dort äußerte dieser, er wolle mit der Geschädigten schlafen. Trotz deren wiederholter Weigerung kniete er sich auf sie und versuchte, ihre Beine zu spreizen. Weil ihm dies zunächst nicht gelang, kniff er ihr in die Beine. Dann zog er sie nach und nach vollständig aus, wobei er ihre Handgelenke festhielt und so ihre Versuche unterband, sich gegen ihn zu stemmen und ihn zu treten. Als der Angeklagte sich entkleidete, versuchte die Geschädigte zu fliehen, wurde jedoch vom Angeklagten am Arm festgehalten und ins Gesicht geschlagen. Er schubste sie auf das Bett, setzte sich auf sie, hielt sie fest und drückte gegen ihren Widerstand mit seinen Füßen ihre Beine auseinander. Unter Schmerzen gab sie ihre als aussichtslos erkannte Gegenwehr auf. Daraufhin vollzog der Angeklagte mit der Geschädigten den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. Anschließend begab sich die Geschädigte ins Badezimmer, um sich zu waschen. Den Rest der Nacht verbrachte sie in der Wohnung des Angeklagten, während dieser auf der Couch des Wohnzimmers schlief. Am nächsten Morgen reiste sie ab. In der Folgezeit besuchte die Geschädigte den Angeklagten noch wiederholt, wobei es bis zum 20. August 2015 noch mehrfach zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr kam. Am 21. August 2015 beendete die Geschädigte die Beziehung mit dem Angeklagten wegen dessen Alkoholkonsums und der damit einhergehenden Aggressivität und Eifersucht.
3
Das Landgericht hat den Angeklagten, der den Tatvorwurf bestritten hat, aufgrund der Bekundungen der Geschädigten als überführt angesehen.
4
2. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der Vergewaltigung der Geschädigten hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368) - sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachw. bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
6
In Fällen, in denen - wie hier - „Aussage gegen Aussage“ steht, hat der Bundesgerichtshof zudem besondere Anforderungen an die Darlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO).
7
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln.
8
(1) Bereits die Erwägungen des Landgerichts zur Aussageentstehung sind nicht tragfähig begründet.
9
Die Geschädigte, die gegenüber der Polizei erstmals am 19. Februar 2016 Angaben zum Tatgeschehen machte, hat als Erklärung dafür angegeben, sie habe über das Geschehen zunächst niemandem berichtet, da sie der Auffassung gewesen sei, es habe sich um keine Vergewaltigung gehandelt, weil eine solche immer mit der Ermordung des Opfers verbunden sein müsse. Sie habe zum Tatzeitpunkt gedacht, der Angeklagte dürfe sich nehmen, was er wolle (UA S. 12). Diese - auch unter Berücksichtigung des jugendlichen Alters der Geschädigten - nicht nachvollziehbare und mit den von ihr behaupteten Widerstandshandlungen auch unvereinbare Vorstellung hat das Landgericht keiner ausreichend kritischen Würdigung unterzogen. Den Umstand, dass die Geschädigte das Tatgeschehen erst sieben Monate später offenbarte, hat es ledig- lich als Ausdruck eines durchgemachten „Erkenntnisprozesses“ gewertet, Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein (UA S. 23).
10
(2) Die Jugendkammer hat sich im Rahmen der Glaubhaftigkeitsprüfung der Aussagen der Geschädigten nicht ausreichend mit dem Umstand auseinandergesetzt , dass die Zeugin in der Hauptverhandlung angegeben hat, den Angeklagten nach dem sexuellen Übergriff vom 10. Juli 2015 weiterhin besucht und bis zum 20. August 2015 mit ihm mehrfach einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben (UA S. 7). Zwar hat das Landgericht gesehen, dass die Zeugin diese sexuellen Kontakte in zwei polizeilichen Vernehmungen ausdrücklich abgestritten hatte. Über diesen Widerspruch hinaus hat es jedoch diesen gegen eine stattgefundene Vergewaltigung sprechenden Umstand nicht in den Blick genommen. Dazu hätte auch schon deshalb besonderer Anlass bestanden , weil die Geschädigte in der Hauptverhandlung angegeben hat, sie leide noch heute unter der Tat und die sexuelle Beziehung mit ihrem derzeitigen Freund sei dadurch belastet, dass bei ihr die Bilder aus der Tatnacht immer „hochkommen“ (UA S. 8).
11
(3) Auch die Aussageanalyse des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
12
Insoweit hat die Jugendkammer ausgeführt, dass die Aussage der Geschädigten eine Reihe von Realkennzeichen enthalte und bezüglich des Kerngeschehens konstant sei. Soweit die Strafkammer in der Aussage der Zeugin, der Angeklagte habe sie unmittelbar vor dem Ausziehen in die Beine gekniffen, ein „originelles Detail“ gesehen hat (UA S. 26),hat sie jedoch verkannt, dass die Geschädigte dies erstmals in der Hauptverhandlung berichtet hat. In ihren polizeilichen Vernehmungen hatte sie lediglich angegeben, der Angeklagte habe sie ausgezogen und ihr den Mund zugehalten, da sie geschrien habe (UA S. 28). Bezüglich eines vom Landgericht als wichtig eingestuften Details des Kerngeschehens fehlt somit die Aussagekonstanz.
13
Als weiteres wesentliches Glaubhaftigkeitskriterium hat das Landgericht herangezogen, dass die Schilderung der Zeugin mit subjektiven Empfindungen verwoben sei (UA S. 26). Dabei übersieht es, dass auch insofern die Angaben der Geschädigten nicht konstant sind. Während sie in den polizeilichen Vernehmungen geschildert hatte, das vaginale Eindringen des Angeklagten habe ihr sehr wehgetan (UA S. 28), hat sie in der Hauptverhandlung angegeben, sie habe dadurch Schmerzen gehabt, dass sie dem Angeklagten bei dessen Versuch , ihre Beine auseinanderzudrücken, Widerstand entgegengesetzt habe (UA S. 7). Diese Schmerzen seien auch letztlich Auslöser dafür gewesen, den Widerstand aufzugeben.
14
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der verfahrensrechtlich gebotenen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter.
RiBGH Dr. Appl ist krank- Eschelbach Bartel heitsbedingt an der Unterschrift gehindert. Eschelbach
Grube Schmidt

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 53/16
vom
5. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
ECLI:DE:BGH:2016:050416B1STR53.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. April 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 21. August 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung zu Gunsten der Nebenklägerin getroffen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die zugleich erhobenen Verfahrensbeanstandungen nicht ankommt.
2
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält, wie die Revision zutreffend bemängelt, sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
1. Wenn – wie im vorliegenden Fall – Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, ist die Aussage der einzigen Belastungszeugin einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen. Dabei müssen die Urteilsgründe nachvollziehbar erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezo- gen hat (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Dezember 2012 – 5 StR 544/12, NStZ-RR 2013, 119). Insoweit ist zunächst eine zusammenfassende Darstellung etwaiger bestreitender Angaben des Angeklagten notwendig; die Aussage des Angeklagten und die Bewertung seines Aussageverhaltens ist in den Urteilsgründen nachvollziehbar darzulegen (vgl. Miebach in MüKo-StPO, § 261 Rn. 209). Beruht eine Verurteilung im Wesentlichen auf der Aussage einer Belastungszeugin und hat sich diese entgegen früheren Vernehmungen teilweise abweichend erinnert, bedarf es einer geschlossenen Darstellung der jetzigen und der früheren Aussagen der Zeugin, weil ansonsten eine vom Gericht erfolgte Konstanzanalyse revisionsrechtlich nicht überprüft werden kann (vgl. BGH aaO; Miebach aaO § 261 Rn. 236 mwN). Eine gravierende Inkonstanz in den Bekundungen eines Zeugen kann ein Indiz für mangelnde Glaubhaftigkeit darstellen , wenn es hierfür keine plausible Erklärung gibt (vgl. Senat, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172). Stellt das Gericht in Fällen von Aussage gegen Aussage einen Teil der angeklagten Tatvorwürfe nach § 154 Abs. 2 StPO ein, bedarf es zudem einer Mitteilung der Gründe hierfür, weil diese im Rahmen der gebotenen umfassenden Glaubhaftigkeitsbeurteilung von Bedeutung sein können (vgl. Senat, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 160).
4
2. Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung der Strafkammer in mehrfacher Hinsicht nicht.
5
a) Die Strafkammer legt schon nicht dar, wie sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung konkret eingelassen hat. Das Landgericht teilt im Rahmen der Beweiswürdigung lediglich in zwei Sätzen mit, der Angeklagte habe in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens abgestritten, die Nebenklägerin auf sexuelle Weise beleidigt zu haben, und er habe in der Hauptverhandlung die ihm zur Last gelegten Vorwürfe bestritten. Ob es sich jeweils um ein pauschales oder detailliertes Bestreiten des Angeklagten gehandelt hat und was er im Einzelnen zu den Tatvorwürfen gesagt hat, ist aus den Urteilsgründen nicht ersichtlich.
6
b) Das Landgericht hat für seine Konstanzanalyse rechtsfehlerhaft nur die letzte (ausführliche) polizeiliche Vernehmung der Nebenklägerin vom 24. Mai 2013 herangezogen. Eine plausible Konstanzanalyse erfordert jedoch den umfassenden Vergleich aller Angaben über denselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Zeitpunkten (vgl. Senat, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172).
7
Zu zwei früheren polizeilichen Vernehmungen führt die Kammer in den Urteilsgründen lediglich aus, es habe sich jeweils nur um kurze Vernehmungen gehandelt, weil diese aus Zuständigkeitsgründen alsbald beendet worden seien. In der ersten Vernehmung am 9. April 2013 habe die Nebenklägerin ausgesagt , der Angeklagte habe ihr gegenüber unverblümt den Wunsch nach Sexu- alkontakt geäußert, sie „begrapscht“ und mehrfach seinen Penis an ihrem Kör- per gerieben. Zudem habe sie hierbei deutlich gemacht, dass sie aufgrund ihrer engen finanziellen Verhältnisse Angst habe, ihre Arbeit zu verlieren, wenn sie den Angeklagten anzeige. In der zweiten Vernehmung am 17. April 2013 habe sie lediglich eine Vergewaltigung geschildert. Erst in der dritten mehrere Stunden umfassenden Vernehmung am 24. Mai 2013 habe die Nebenklägerin erstmals umfassend zur Sache aussagen können und dabei drei vaginale und eine zudem anale Vergewaltigung geschildert.
8
Nähere Einzelheiten zu den ersten beiden Vernehmungen ergeben sich aus den Urteilsgründen nicht. Der Senat kann auf dieser lückenhaften Grundlage nicht nachvollziehen, welche Gründe es für die erhebliche Änderung im Aussageverhalten der Nebenklägerin gegeben haben mag. Das Landgericht selbst benennt hierfür ebenfalls keine plausiblen Gründe. Dass – wie im Urteil angedeutet – die Angst der Nebenklägerin vor einer Kündigung ihres mit dem Angeklagten geschlossenen Arbeitsverhältnisses der Grund für eine anfängliche Zurückhaltung in den Vernehmungen gewesen sein könnte, lässt sich schon deshalb ausschließen, weil die Nebenklägerin bereits seit dem 28. März 2013 ihrer Arbeit ferngeblieben war und zudem am 7. April 2013 ihr Arbeitsverhältnis schriftlich gekündigt hatte. Die kurze Zeitdauer der zwei Vernehmungen am 9. und 17. April 2013 bietet für sich gesehen ebenfalls keine nachvollziehbare Erklärung für die gravierenden Abweichungen im Aussageverhalten, weil der Kern der tatgegenständlichen Vorwürfe auch in wenigen Worten geschildert werden kann.
9
c) Schließlich teilt die Kammer auch nicht mit, aus welchen Gründen die Einstellung der angeklagten Vergewaltigungstat zu Ziffer 2 der Anklageschrift erfolgt ist. Den Urteilsgründen ist nur zu entnehmen, dass diese Einstellung vorgenommen wurde und die Nebenklägerin auf Vorhalt ihrer polizeilichen Vernehmung die Geschehnisse insoweit bestätigt habe. Was die Nebenklägerin konkret insoweit ausgesagt hat, wird im Urteil – entgegen dem Gebot umfassender Aussageanalyse – nicht mitgeteilt.
10
3. Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung.
Raum Radtke Mosbacher Fischer Bär

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 235/16
vom
10. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:100117B2STR235.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 1. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in jeweils fünf Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in weiteren fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. a) Der Angeklagte lebte seit dem Jahr 2006 zusammen mit seiner Lebensgefährtin und deren Kindern, u.a. mit der am 21. November 2000 geborenen Geschädigten, in einem gemeinsamen Haushalt. Am 7. August 2010 heirateten er und seine Lebensgefährtin.
4
Im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2007 und dem 31. Dezember 2013 berührte der Angeklagte die Geschädigte an fünf verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen im Bereich der Brust, zog sich und dem Kind die Hose aus, manipulierte mit seiner Hand an der unbedeckten Vagina der Geschädigten und berührte sie mit seinem unbedeckten erigierten Glied. „In mehreren Fäl- len“ sagte die Geschädigte zum Angeklagten, „dass es weh tue und dass er das lassen solle. Das führte aber nicht dazu, dass die sexuellen Handlungen aufhör- ten“ (Fälle II. 1. bis 5. der Urteilsgründe).
5
Innerhalb des vorgenannten Zeitraums forderte der Angeklagte das Kind an weiteren vier verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen dazu auf, an ihm den Oralverkehr zu vollziehen. Das Kind leistete den Aufforderungen Folge und nahm den Penis des Angeklagten in den Mund; in einem Fall kam es zum Samenerguss im Mund der Geschädigten, die das Ejakulat „unter“ einen Teppich spuckte. „In den anderen Fällen kam es außerhalb des Mundes des Kindes zur Ejakulation“ (Fälle II. 6. bis 9. der Urteilsgründe).
6
An einem nicht mehr feststellbaren Tag im Zeitraum zwischen dem 1. Dezember 2013 und dem 31. Januar 2014 vollzog der Angeklagte mit der Geschädigten den vaginalen Geschlechtsverkehr; dabei benutzte er ein Kondom. Zu der Geschädigten sagte er danach u.a., dass er sie liebe, es ihr „kleines Geheimnis“ sei und sie es niemandem verraten dürfe (Fall II. 10. der Urteilsgründe

).


7
b) Die Geschädigte offenbarte sich erstmals während ihrer Grundschulzeit , im März 2010, gegenüber einer Freundin, die ihrerseits davon der Hortleiterin erzählte. Die Geschädigte berichtete sodann auch der Hortleiterin und ei- ner weiteren Mitarbeiterin des Hortes „von den sexuellen Übergriffen“. Sodann wurde die Mutter der Geschädigten informiert, die mit ihrer Tochter ins Krankenhaus fuhr. Aufgrund der dort vorgenommenen körperlichen Untersuchungen konnten „sexuelle Übergriffe weder bestätigt noch widerlegt werden“.
8
Die Mutter der Geschädigten spiegelte dieser sodann vor, sie habe den Angeklagten einem Lügendetektortest unterzogen. Ihrer Tochter überreichte sie daraufhin einen Brief mit dem Ergebnis des vermeintlichen Testes, wonach der Angeklagte „100%-ig die Wahrheit gesagt“ und die Geschädigte gelogen habe. Zunächst blieb das Kind dabei, dass seine Angaben zu den sexuellen Übergriffen der Wahrheit entsprochen hätten; etwa zwei bis drei Wochen später, noch im Jahr 2010 vor der Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten, entschuldigte sich die Geschädigte bei dem Angeklagten.
9
In der Folgezeit traten zunehmend gesundheitliche, insbesondere psychische Probleme bei der Geschädigten auf. Sie unternahm Suizidversuche, „woraufhin es zu mehreren stationären Aufenthalten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ kam. Im Jahr 2013 offenbarte sich die Geschädigte einer weiteren Freundin. Der Angeklagte sei des Öfteren zu ihr ins Zimmer gekommen und habe sich nackt zu ihr ins Bett gelegt. Er sei dann mit seinem Glied an sie her- angerückt. Sie habe ihm „einen Blasen“ müssen und es habe auch Geschlechtsverkehr gegeben.
10
Wegen eines Antrags auf Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie kam im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 der von der Geschädigten „bereits in der Grundschulzeit offenbarte sexuelle Missbrauch zur Sprache“, woraufhin die Richterin die Staatsanwaltschaft informierte.
11
c) Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten auch sexuelle Übergriffe zum Nachteil seiner am 24. Januar 2009 geborenen leiblichen Tochter zur Last gelegt. Aufgrund des Ergebnisses einer aussagepsychologischen Begutachtung sei deren allgemeine Aussagetüchtigkeit „noch nicht gegeben“, so dass die Ju- gendkammer insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat.
12
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Deren Angaben entsprächen einem tatsächlichen Erleben und seien glaubhaft.

II.

13
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
14
1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der sexuellen Übergriffe des Angeklagten hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) - sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
15
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, aaO).
Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
16
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an dieDarlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. August 2012 - 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657).
17
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln.
18
aa) Bereits die Feststellungen und Erwägungen zurAussageentstehung und -entwicklung, die für die Bewertung der Aussage von Geschädigten des sexuellen Missbrauchs von besonderer Bedeutung sind (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219), sind widersprüchlich und lückenhaft.
19
Zwar teilt das Urteil mit, dass sich die Geschädigte bereits im März 2010 ihrer damaligen Freundin offenbart habe. Nach Aussage dieser Zeugin sei zwar das Wort „Vergewaltigung“ nicht gefallen, es seien aber „konkrete Angaben“ zu sexuellen Handlungen (UA S. 7, 13) gewesen, die indes das Landgericht nicht weiter erläutert. An anderer Stelle des Urteils führt das Landgericht hingegen - widersprüchlich - aus, dass diese Zeugin sich in der Hauptverhandlung nicht mehr habe erinnern können, was genau die Geschädigte damals gesagt habe (UA S. 13).
20
Soweit Angaben der Geschädigten gegenüber weiteren Zeugen festgestellt sind, erscheinen diese Angaben gegenüber denjenigen der Geschädigten im Ermittlungsverfahren detailarm und kaum aussagekräftig. Deswegen ist der Schluss des Landgerichts, die Angaben der Geschädigten „zum Kern des Ge- schehens (seien) stets nachvollziehbar und widerspruchsfrei“ (UA S. 15), für den Senat nicht nachvollziehbar, zumal an anderer Stelle festgestellt ist, dass die Angaben der Geschädigten „teilweise widersprüchlich“ sind (UA S. 22). Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - zum Kerngeschehen Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlichrechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).
21
bb) Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, „bei ihrem leiblichen Vater wohnen zu können oder jeden- falls aus der Wohnung ihrer Mutter auszuziehen“ (UA S. 19), zumal die Ge- schädigte gegen eine Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten gewesen sei. Das Landgericht hat das (mögliche) Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass die Geschädigte das Ziel, aus der Wohnung der Mutter auszuziehen, zur Zeit der polizeilichen Vernehmung im Jahr 2014 bereits erreicht habe. Indes übersieht die Jugendkammer, dass sich die Geschädigte zum Zeitpunkt der Erstoffenbarung im März 2010 noch in einer anderen familiären Situation befand, insbesondere weil die Heirat, die erst im August 2010 erfolgte, noch ausstand. Bereits zu einem Zeitpunkt vor der Erstoffenbarung hat sie ihren leiblichen Vater zudem nicht nur regelmäßig besucht sondern „ihrer Mutter mehrfach gesagt, dasssie gerne bei ihrem leiblichen Vater wohnen möchte“ (UA S. 11).
22
Hinzu kommt, dass es - auch nach der Einlassung des Angeklagten - zwischen ihr und ihrem Stiefvater „seit dem Jahr 2008“ (UA S. 10) vermehrt zu Schwierigkeiten und daraus resultierenden Sanktionen gekommen ist. Dass sie „zu ihrer Mutter kein gutes Verhältnis gehabt“ (UA S. 21) habe, erläutert die Ju- gendkammer im Einzelnen nicht näher.
23
cc) Ein Erörterungsmangel liegt schließlich auch darin, dass das Landgericht sich nicht näher damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, „in der Folgezeit“ (UA S. 5, 9) wegen Suizidversuchen mehrfach in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war und der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 wegen eines Antrags auf (erneute) Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie von der Geschä- digten „zur Sprache“ kam. Offen bleibt schon, ab wann und welche psychischen Probleme bei der Geschädigten auftraten, wann, warum und von welcher Art die Suizidversuche gewesen sind, und wie lange die jeweiligen stationären Aufenthalte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie dauerten. Inwieweit die jeweiligen Aussagen der Geschädigten, die zudem von einer Zeugin als Mädchen be- schrieben wird, das „immer habe auffallen wollen und Wert darauf gelegt habe, im Mittelpunkt zu stehen“ (UA S. 7) und auch „nicht immer die Wahrheit gesagt habe“ (UA S. 14), von diesen „psychischen Problemen“ bzw. von - ebenfalls nicht näher ausgeführten - „Verhaltensauffälligkeiten“ (UA S. 20) geprägt sein könnten, erschließt sich dem Senat mangels näherer Erörterung durch das Landgericht nicht.
24
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der sachlich-rechtlichen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. VRiBGH Prof. Dr. Fischer Eschelbach Zeng ist krankheitsbedingt an der Unterschrift gehindert. Eschelbach Bartel Grube

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 273/17
vom
13. Dezember 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:131217B2STR273.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 13. Dezember 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 24. Februar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lernte der Angeklagte die zu diesem Zeitpunkt 13 Jahre alte Geschädigte Ende Juni 2015 kennen. In der Folgezeit besuchte die Geschädigte den Angeklagten regelmäßig an den Wochenenden in dessen Wohnung in H. , wobei es auch zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr kam. Am 10. Juli 2015, dem Tag ihres 14. Geburts- tags, fuhr sie erneut zum Angeklagten. Nachdem beide zunächst gemeinsam bei einem Freund Alkohol konsumiert hatten, begaben sie sich zur Wohnung des Angeklagten. Dort äußerte dieser, er wolle mit der Geschädigten schlafen. Trotz deren wiederholter Weigerung kniete er sich auf sie und versuchte, ihre Beine zu spreizen. Weil ihm dies zunächst nicht gelang, kniff er ihr in die Beine. Dann zog er sie nach und nach vollständig aus, wobei er ihre Handgelenke festhielt und so ihre Versuche unterband, sich gegen ihn zu stemmen und ihn zu treten. Als der Angeklagte sich entkleidete, versuchte die Geschädigte zu fliehen, wurde jedoch vom Angeklagten am Arm festgehalten und ins Gesicht geschlagen. Er schubste sie auf das Bett, setzte sich auf sie, hielt sie fest und drückte gegen ihren Widerstand mit seinen Füßen ihre Beine auseinander. Unter Schmerzen gab sie ihre als aussichtslos erkannte Gegenwehr auf. Daraufhin vollzog der Angeklagte mit der Geschädigten den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. Anschließend begab sich die Geschädigte ins Badezimmer, um sich zu waschen. Den Rest der Nacht verbrachte sie in der Wohnung des Angeklagten, während dieser auf der Couch des Wohnzimmers schlief. Am nächsten Morgen reiste sie ab. In der Folgezeit besuchte die Geschädigte den Angeklagten noch wiederholt, wobei es bis zum 20. August 2015 noch mehrfach zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr kam. Am 21. August 2015 beendete die Geschädigte die Beziehung mit dem Angeklagten wegen dessen Alkoholkonsums und der damit einhergehenden Aggressivität und Eifersucht.
3
Das Landgericht hat den Angeklagten, der den Tatvorwurf bestritten hat, aufgrund der Bekundungen der Geschädigten als überführt angesehen.
4
2. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der Vergewaltigung der Geschädigten hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368) - sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachw. bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
6
In Fällen, in denen - wie hier - „Aussage gegen Aussage“ steht, hat der Bundesgerichtshof zudem besondere Anforderungen an die Darlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO).
7
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln.
8
(1) Bereits die Erwägungen des Landgerichts zur Aussageentstehung sind nicht tragfähig begründet.
9
Die Geschädigte, die gegenüber der Polizei erstmals am 19. Februar 2016 Angaben zum Tatgeschehen machte, hat als Erklärung dafür angegeben, sie habe über das Geschehen zunächst niemandem berichtet, da sie der Auffassung gewesen sei, es habe sich um keine Vergewaltigung gehandelt, weil eine solche immer mit der Ermordung des Opfers verbunden sein müsse. Sie habe zum Tatzeitpunkt gedacht, der Angeklagte dürfe sich nehmen, was er wolle (UA S. 12). Diese - auch unter Berücksichtigung des jugendlichen Alters der Geschädigten - nicht nachvollziehbare und mit den von ihr behaupteten Widerstandshandlungen auch unvereinbare Vorstellung hat das Landgericht keiner ausreichend kritischen Würdigung unterzogen. Den Umstand, dass die Geschädigte das Tatgeschehen erst sieben Monate später offenbarte, hat es ledig- lich als Ausdruck eines durchgemachten „Erkenntnisprozesses“ gewertet, Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein (UA S. 23).
10
(2) Die Jugendkammer hat sich im Rahmen der Glaubhaftigkeitsprüfung der Aussagen der Geschädigten nicht ausreichend mit dem Umstand auseinandergesetzt , dass die Zeugin in der Hauptverhandlung angegeben hat, den Angeklagten nach dem sexuellen Übergriff vom 10. Juli 2015 weiterhin besucht und bis zum 20. August 2015 mit ihm mehrfach einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben (UA S. 7). Zwar hat das Landgericht gesehen, dass die Zeugin diese sexuellen Kontakte in zwei polizeilichen Vernehmungen ausdrücklich abgestritten hatte. Über diesen Widerspruch hinaus hat es jedoch diesen gegen eine stattgefundene Vergewaltigung sprechenden Umstand nicht in den Blick genommen. Dazu hätte auch schon deshalb besonderer Anlass bestanden , weil die Geschädigte in der Hauptverhandlung angegeben hat, sie leide noch heute unter der Tat und die sexuelle Beziehung mit ihrem derzeitigen Freund sei dadurch belastet, dass bei ihr die Bilder aus der Tatnacht immer „hochkommen“ (UA S. 8).
11
(3) Auch die Aussageanalyse des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
12
Insoweit hat die Jugendkammer ausgeführt, dass die Aussage der Geschädigten eine Reihe von Realkennzeichen enthalte und bezüglich des Kerngeschehens konstant sei. Soweit die Strafkammer in der Aussage der Zeugin, der Angeklagte habe sie unmittelbar vor dem Ausziehen in die Beine gekniffen, ein „originelles Detail“ gesehen hat (UA S. 26),hat sie jedoch verkannt, dass die Geschädigte dies erstmals in der Hauptverhandlung berichtet hat. In ihren polizeilichen Vernehmungen hatte sie lediglich angegeben, der Angeklagte habe sie ausgezogen und ihr den Mund zugehalten, da sie geschrien habe (UA S. 28). Bezüglich eines vom Landgericht als wichtig eingestuften Details des Kerngeschehens fehlt somit die Aussagekonstanz.
13
Als weiteres wesentliches Glaubhaftigkeitskriterium hat das Landgericht herangezogen, dass die Schilderung der Zeugin mit subjektiven Empfindungen verwoben sei (UA S. 26). Dabei übersieht es, dass auch insofern die Angaben der Geschädigten nicht konstant sind. Während sie in den polizeilichen Vernehmungen geschildert hatte, das vaginale Eindringen des Angeklagten habe ihr sehr wehgetan (UA S. 28), hat sie in der Hauptverhandlung angegeben, sie habe dadurch Schmerzen gehabt, dass sie dem Angeklagten bei dessen Versuch , ihre Beine auseinanderzudrücken, Widerstand entgegengesetzt habe (UA S. 7). Diese Schmerzen seien auch letztlich Auslöser dafür gewesen, den Widerstand aufzugeben.
14
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der verfahrensrechtlich gebotenen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter.
RiBGH Dr. Appl ist krank- Eschelbach Bartel heitsbedingt an der Unterschrift gehindert. Eschelbach
Grube Schmidt