Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Aug. 2014 - 1 StR 340/14


Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass die Angeklagte des Totschlags schuldig ist,
b) im Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- 1. Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes aus dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB verschobenen Strafrahmen zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Die mit der näher ausgeführten Sachrüge begründete Revision der Angeklagten erzielt den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 2. Die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 3
- a) Nach den Urteilsfeststellungen tötete die Angeklagte ihre sechs Monate alte Tochter, während ihr Ehemann, der Kindesvater, aus eigenem Antrieb auf dem Weg zu einer zwei Kilometer von der ehelichen Wohnung entfernten Arztpraxis war, um sich dort unter Vortäuschung eines Magen-Darm-Infekts für die nächsten Tage krankschreiben zu lassen. Zweck der Krankschreibung war, dass sich der Kindesvater in den kommenden Tagen – wie schon an diesem Tag und den Tagen zuvor – vermehrt um das gemeinsame Kind kümmern wollte , weil die Angeklagte mit dessen Versorgung aufgrund einer mittelgradig depressiven Episode überfordert war.
- 4
- b) Die Schwurgerichtskammer hat das Merkmal der Heimtücke insbesondere aus folgenden Gründen als erfüllt angesehen:
- 5
- Der Vater sei zur Abwehr von Gefahren gegenüber dem selbst nicht zum Argwohn fähigen Kleinkind bereit gewesen und habe schon den ganzen Tag über die Versorgung und den Schutz des Kindes in besonderem Maße wahrgenommen und beides im Vertrauen auf die Angeklagte nur wenige Minuten vor der Tat vorübergehend an diese abgegeben. Die Zeit seiner Abwesenheit sei aufgrund der räumlichen Nähe der Arztpraxis zur Wohnung der Familie von vorneherein absehbar kurz gewesen. Insbesondere habe er die Wohnung nur verlassen, um seiner schon bislang ausgeübten Schutzfunktion nach seiner Krankschreibung noch besser nachkommen zu können. Beim Verlassen der Wohnung und während des ca. 30 Minuten dauernden Arztbesuchs habe er sich keines Angriffs gegen sein Kind versehen; anderenfalls hätte er die Wohnung nicht verlassen, das Kind mitgenommen oder andere Maßnahmen zum Schutz der Tochter ergriffen. Weil er der Angeklagten vertraut und nicht im Geringsten geglaubt habe, sie könne in seiner Abwesenheit das gemeinsame Kind töten, habe er der Angeklagten vorübergehend die Obhut über das Kind überlassen. Diese Situation habe die Angeklagte bewusst zur Tötung des Kindes ausgenutzt.
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- c) Die Urteilsfeststellungen belegen das Mordmerkmal der Heimtücke nicht.
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- aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass es bei der Tötung eines wenige Wochen oder Monate alten Kleinkindes für die Frage der Heimtücke nicht auf dessen Arg- und Wehrlosigkeit ankommt, da es aufgrund seines Alters noch zu keinerlei Argwohn oder Gegenwehr fähig ist, sondern auf die Arg- und Wehrlosigkeit eines im Hinblick auf das Kind schutzbereiten Dritten (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 21. November 2012 – 2 StR 309/12, NStZ 2013, 158 mwN). Schutzbereiter Dritter ist jede Person, die den Schutz eines Kleinkindes vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder dies deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut (BGH, aaO) oder vom Täter ausgeschaltet wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2005 – 5 StR 401/05, NStZ-RR 2006, 43). Zwar ist es nicht erforderlich, dass der potentiell schutzbereite Dritte „zugegen” ist. Der schutzbereite Dritte muss auf Grund der Umstände des Einzelfalls den Schutz allerdings auch wirksam erbringen können, wofür eine gewisse räumliche Nähe erforderlich ist (vgl. BGH, Urteile vom 21. November 2012 – 2 StR 309/12, NStZ 2013, 158, und vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93, 94).
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- bb) An letzterem fehlt es vorliegend. Wer – wie hier der Kindesvater – den räumlichen Bereich des Kleinkindes für eine nicht nur unerhebliche Dauer verlässt und sich über einen Kilometer davon entfernt, ist mangels tatsächlicher Einwirkungsmöglichkeit auf das Geschehen nicht mehr in der Lage, seinen Schutz wirksam zu erbringen und kann deshalb nicht mehr als „schutzbereiter Dritter“ im oben genannten Sinne angesehen werden.Eine gleichsam stellvertretende Zurechnung der Arg- und Wehrlosigkeit eines schutzbereiten Dritten zu Gunsten eines strukturell zu Argwohn und Gegenwehr unfähigen Menschen ist nur gerechtfertigt, wenn beide derart räumlich verbunden sind, dass der Dritte dem Täter bei dem tödlichen Angriff grundsätzlich etwas entgegensetzen könnte. Dies ist nicht der Fall, wenn aufgrund der räumlichen Entfernung des Dritten der tödliche Angriff schon überhaupt nicht wahrgenommen werden kann und eine Gegenwehr auch deshalb zu spät käme, weil hierfür erst eine erhebliche räumliche Distanz überwunden werden muss.
- 9
- Ursache für die Abwesenheit des Kindesvaters war auch nicht etwa eine Aufforderung oder Täuschung durch die Angeklagte mit dem Ziel, während seiner Abwesenheit einen ungehinderten Angriff auf das gemeinsame Kind vorzunehmen. Vielmehr hat sich der Vater aus freien Stücken aus der Wohnung zum Arzt begeben und damit den zuvor ausgeübten Schutz des gemeinsamen Kindes ohne Einwirkung durch die Angeklagte aufgegeben.
- 10
- d) Weil nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen der Schwurgerichtskammer ein anderes Mordmerkmal ausscheidet und angesichts der gründlichen und erschöpfenden Beweiserhebung aus Sicht des Senats auszuschließen ist, dass noch weitergehende Feststellungen getroffen werden könnten, die nach den oben genannten Maßstäben eine heimtückische Tötung belegen, hat der Senat den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO geändert. Dass sich die Angeklagte gegen den Vorwurf des Totschlags anders hätte verteidigen können, schließt der Senat aus.
- 11
- 3. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die hierzu rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben und allenfalls durch solche ergänzt werden, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen. Der neue Tatrichter wird bei der von ihm vorzunehmenden Strafzumessung Formulierungen zu vermeiden haben, die – worauf die Revision im Ansatz zutreffend hinweist – einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot aus § 46 Abs. 3 StGB nahelegen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 19. März 2009 – 4 StR 53/09, NStZ 2009, 564).
Mosbacher Fischer

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(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.