Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR340/14
vom
5. August 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2014 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO und entsprechend § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 1. April 2014
a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass die Angeklagte des Totschlags schuldig ist,
b) im Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
1. Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes aus dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB verschobenen Strafrahmen zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Die mit der näher ausgeführten Sachrüge begründete Revision der Angeklagten erzielt den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
2. Die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
a) Nach den Urteilsfeststellungen tötete die Angeklagte ihre sechs Monate alte Tochter, während ihr Ehemann, der Kindesvater, aus eigenem Antrieb auf dem Weg zu einer zwei Kilometer von der ehelichen Wohnung entfernten Arztpraxis war, um sich dort unter Vortäuschung eines Magen-Darm-Infekts für die nächsten Tage krankschreiben zu lassen. Zweck der Krankschreibung war, dass sich der Kindesvater in den kommenden Tagen – wie schon an diesem Tag und den Tagen zuvor – vermehrt um das gemeinsame Kind kümmern wollte , weil die Angeklagte mit dessen Versorgung aufgrund einer mittelgradig depressiven Episode überfordert war.
4
b) Die Schwurgerichtskammer hat das Merkmal der Heimtücke insbesondere aus folgenden Gründen als erfüllt angesehen:
5
Der Vater sei zur Abwehr von Gefahren gegenüber dem selbst nicht zum Argwohn fähigen Kleinkind bereit gewesen und habe schon den ganzen Tag über die Versorgung und den Schutz des Kindes in besonderem Maße wahrgenommen und beides im Vertrauen auf die Angeklagte nur wenige Minuten vor der Tat vorübergehend an diese abgegeben. Die Zeit seiner Abwesenheit sei aufgrund der räumlichen Nähe der Arztpraxis zur Wohnung der Familie von vorneherein absehbar kurz gewesen. Insbesondere habe er die Wohnung nur verlassen, um seiner schon bislang ausgeübten Schutzfunktion nach seiner Krankschreibung noch besser nachkommen zu können. Beim Verlassen der Wohnung und während des ca. 30 Minuten dauernden Arztbesuchs habe er sich keines Angriffs gegen sein Kind versehen; anderenfalls hätte er die Wohnung nicht verlassen, das Kind mitgenommen oder andere Maßnahmen zum Schutz der Tochter ergriffen. Weil er der Angeklagten vertraut und nicht im Geringsten geglaubt habe, sie könne in seiner Abwesenheit das gemeinsame Kind töten, habe er der Angeklagten vorübergehend die Obhut über das Kind überlassen. Diese Situation habe die Angeklagte bewusst zur Tötung des Kindes ausgenutzt.
6
c) Die Urteilsfeststellungen belegen das Mordmerkmal der Heimtücke nicht.
7
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass es bei der Tötung eines wenige Wochen oder Monate alten Kleinkindes für die Frage der Heimtücke nicht auf dessen Arg- und Wehrlosigkeit ankommt, da es aufgrund seines Alters noch zu keinerlei Argwohn oder Gegenwehr fähig ist, sondern auf die Arg- und Wehrlosigkeit eines im Hinblick auf das Kind schutzbereiten Dritten (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 21. November 2012 – 2 StR 309/12, NStZ 2013, 158 mwN). Schutzbereiter Dritter ist jede Person, die den Schutz eines Kleinkindes vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder dies deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut (BGH, aaO) oder vom Täter ausgeschaltet wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2005 – 5 StR 401/05, NStZ-RR 2006, 43). Zwar ist es nicht erforderlich, dass der potentiell schutzbereite Dritte „zugegen” ist. Der schutzbereite Dritte muss auf Grund der Umstände des Einzelfalls den Schutz allerdings auch wirksam erbringen können, wofür eine gewisse räumliche Nähe erforderlich ist (vgl. BGH, Urteile vom 21. November 2012 – 2 StR 309/12, NStZ 2013, 158, und vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93, 94).
8
bb) An letzterem fehlt es vorliegend. Wer – wie hier der Kindesvater – den räumlichen Bereich des Kleinkindes für eine nicht nur unerhebliche Dauer verlässt und sich über einen Kilometer davon entfernt, ist mangels tatsächlicher Einwirkungsmöglichkeit auf das Geschehen nicht mehr in der Lage, seinen Schutz wirksam zu erbringen und kann deshalb nicht mehr als „schutzbereiter Dritter“ im oben genannten Sinne angesehen werden.Eine gleichsam stellvertretende Zurechnung der Arg- und Wehrlosigkeit eines schutzbereiten Dritten zu Gunsten eines strukturell zu Argwohn und Gegenwehr unfähigen Menschen ist nur gerechtfertigt, wenn beide derart räumlich verbunden sind, dass der Dritte dem Täter bei dem tödlichen Angriff grundsätzlich etwas entgegensetzen könnte. Dies ist nicht der Fall, wenn aufgrund der räumlichen Entfernung des Dritten der tödliche Angriff schon überhaupt nicht wahrgenommen werden kann und eine Gegenwehr auch deshalb zu spät käme, weil hierfür erst eine erhebliche räumliche Distanz überwunden werden muss.
9
Ursache für die Abwesenheit des Kindesvaters war auch nicht etwa eine Aufforderung oder Täuschung durch die Angeklagte mit dem Ziel, während seiner Abwesenheit einen ungehinderten Angriff auf das gemeinsame Kind vorzunehmen. Vielmehr hat sich der Vater aus freien Stücken aus der Wohnung zum Arzt begeben und damit den zuvor ausgeübten Schutz des gemeinsamen Kindes ohne Einwirkung durch die Angeklagte aufgegeben.
10
d) Weil nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen der Schwurgerichtskammer ein anderes Mordmerkmal ausscheidet und angesichts der gründlichen und erschöpfenden Beweiserhebung aus Sicht des Senats auszuschließen ist, dass noch weitergehende Feststellungen getroffen werden könnten, die nach den oben genannten Maßstäben eine heimtückische Tötung belegen, hat der Senat den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO geändert. Dass sich die Angeklagte gegen den Vorwurf des Totschlags anders hätte verteidigen können, schließt der Senat aus.
11
3. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die hierzu rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben und allenfalls durch solche ergänzt werden, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen. Der neue Tatrichter wird bei der von ihm vorzunehmenden Strafzumessung Formulierungen zu vermeiden haben, die – worauf die Revision im Ansatz zutreffend hinweist – einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot aus § 46 Abs. 3 StGB nahelegen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 19. März 2009 – 4 StR 53/09, NStZ 2009, 564).
Raum Graf Jäger
Mosbacher Fischer

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 49 Besondere gesetzliche Milderungsgründe


(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: 1. An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.2. Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf hö

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

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(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 309/12
vom
21. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. November
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Dr. Berger,
Dr. Eschelbach
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Landgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 8. März 2012 im Fall II. 3 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die auf die Verurteilung im Fall II. 3 der Urteilsgründe und den Ausspruch über die Gesamtstrafe beschränkte , vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete die Angeklagte im Oktober 2004 ihre zwei Wochen alte Tochter Katharina, indem sie ihr das Spucktuch so weit wie möglich in den Mund stopfte und ihr gleichzeitig für ca. 15 Minuten die Nase zuhielt. Die Angeklagte handelte dabei aus einem Gefühl der Überforderung heraus, weil sie das schreiende Kind nicht beruhigen konnte. Nachdem dieses nicht mehr atmete, verständigte sie den Notarzt. Eine Obduktion ergab keinen Hinweis auf einen unnatürlichen Tod, weshalb man von einem plötzlichen Kindstod als Todesursache ausging (Fall II. 1). Im August 2006 tötete die Angeklagte in einer vergleichbaren Situation ihren eineinhalb monatigen Sohn Daniel auf dieselbe Art und Weise. Als Todesursache wurde wiederum plötzlicher Kindstod angenommen (Fall II. 2). Für ihren im März 2009 geborenen Sohn Dennis verschrieben die Ärzte nunmehr einen Überwachungsmonitor , der den Herzschlag und die Atmung des Kindes während des Schlafs kontrollieren sollte. Sie empfahlen der Angeklagten und ihrem Ehemann, das Kind nachts nicht alleine schlafen zu lassen. Der Ehemann der Angeklagten schlief daher zunächst mit seinem Sohn im Schlafzimmer, während die Angeklagte im Wohnzimmer schlief. Nach etwa vier Wochen schlief die Angeklagte mit dem Säugling im Schlafzimmer, während ihr Ehemann nachts wach blieb. Er verbrachte die Nächte damit, am Bett des Kindes zu wachen und spielte zwischendurch am PC. Den Überwachungsmonitor schlossen die Eheleute lediglich rund vier Stunden am Tag an. Am 25. Juni 2009 gegen 5.00 Uhr morgens weckte der Ehemann die Angeklagte. Während diese aufstand , legte er sich schlafen. Um 5.53 Uhr schaltete die Angeklagte den Überwachungsmonitor aus. Sie fütterte ihren Sohn und legte ihn über die Schulter. Als er zu schreien begann, geriet sie erneut in eine Situation der Überforderung und tötete ihn auf dieselbe Art und Weise wie ihre anderen Kinder. Als der Säugling nicht mehr atmete, weckte sie ihren Ehemann, der sofort mit Reanimationsmaßnahmen begann. Die Angeklagte verständigte um 6.04 Uhr den Notarzt (Fall II. 3).
3
Das Landgericht hat die Angeklagte in allen drei Fällen wegen Totschlags verurteilt. Es hat im Fall II. 3 der Urteilsgründe auch unter Berücksichtigung einer möglichen Arg- und Wehrlosigkeit des Kindesvaters als schutzberei- tem Dritten nicht feststellen können, dass die Angeklagte heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB handelte. Der Ehemann der Angeklagten sei nicht als schutzbereiter Dritter zugegen gewesen, denn er habe bereits geschlafen. Die Angeklagte habe diesen auch nicht zur Tatbegehung weggelockt. Ihren Entschluss, ihren Sohn Dennis zu töten, habe die Angeklagte vielmehr erst gefasst , nachdem sich ihr Ehemann bereits von sich aus schlafen gelegt hatte.

II.

4
Diese Erwägungen des Landgerichts sind rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat die Voraussetzungen eines "Heimtückemordes" verkannt. Dies führt zur Aufhebung des Urteils im Fall II. 3 der Urteilsgründe. Der Wegfall der in diesem Fall verhängten Einzelstrafe hat die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe zur Folge.
5
1. Zutreffend hat das Landgericht für die Frage der Heimtücke nicht auf eine Arg- und Wehrlosigkeit des Kleinkindes abgestellt, da dieses aufgrund seines Alters noch zu keinerlei Argwohn oder Gegenwehr fähig war (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1952 - 2 StR 261/52, BGHSt 4, 11, 13), sondern auf die Arg- und Wehrlosigkeit eines im Hinblick auf das Kind schutzbereiten Dritten (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 1955 - 5 StR 104/55, BGHSt 8, 216, 218; BGH, Urteil vom 2. Oktober 1962 - 1 StR 299/62, BGHSt 18, 37, 38). Die Begründung , mit der das Landgericht das Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Ehemanns der Angeklagten als schutzbereiten Dritten abgelehnt und im Ergebnis das Mordmerkmal der Heimtücke verneint hat, beruht dagegen auf der Anwendung eines falschen rechtlichen Maßstabs.
6
a) Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist es nicht erforderlich, dass der potentiell schutzbereite Dritte "zugegen" ist. Schutzbereiter Dritter ist vielmehr jede Person, die den Schutz eines Kleinkindes vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder dies deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 1955 - 5 StR 104/55, BGHSt 8, 216, 219; BGH, Urteil vom 10. März 2006 - 2 StR 561/05, NStZ 2006, 338, 339 f.). Der schutzbereite Dritte muss auf Grund der Umstände des Einzelfalls den Schutz allerdings auch wirksam erbringen können, wofür eine gewisse räumliche Nähe erforderlich ist (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93, 94).
7
Der Ehemann der Angeklagten war der Vater des Kindes. Die bisherigen Feststellungen lassen auf seine Schutzbereitschaft schließen. Er lebte mit dem Kind in einem Haushalt und wachte regelmäßig über dessen Schlaf. Offen geführte Angriffe auf dessen Leben hätte er bemerkt und wäre diesen entgegengetreten. Aufgrund der räumlichen Nähe im Nebenzimmer und der Konzentration auf das Kind wäre er zum wirksamen Schutz des Kindes auch in der Lage gewesen. Tatsächlich konnte er aber den tödlichen Angriff auf das Leben seines Kindes nicht abwehren, da er sich im Vertrauen auf die Angeklagte schlafen gelegt hatte, ohne mit einem Angriff auf das Leben des Kindes zu rechnen.
8
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts scheitert ein Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des zur Tatzeit schlafenden Ehemanns auch nicht daran, dass die Angeklagte diesen nicht weglockte und damit dessen Arg- und Wehrlosigkeit nicht herbeiführte, ihn also weder von der Überwachung des Kindes ablenkte noch sonst gezielt in Sicherheit wog. Für das Ausnutzen der Argund Wehrlosigkeit eines schutzbereiten Dritten ist es - wie bei der Heimtücke gegenüber dem Tatopfer selbst, bei der es nicht darauf ankommt, ob der Täter die Arglosigkeit herbeiführte oder bestärkte (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2006 - 2 StR 561/05, NStZ 2006, 338, 339) - vielmehr ausreichend, dass der Täter die von ihm erkannte Arglosigkeit des Dritten bewusst zur Tatbegehung ausnutzt, und zwar unabhängig davon, worauf diese beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2005 - 5 StR 401/05, NStZ-RR 2006, 43; BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93, 94).
9
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des zutreffenden rechtlichen Maßstabes zu einer Verurteilung wegen Heimtückemords gekommen wäre. Auch vor dem Hintergrund der Spontanität des Tatentschlusses sowie des psychischen Zustands der Angeklagten bei Tatbegehung erscheint es nicht ausgeschlossen, dass insbesondere noch weitere Feststellungen zur subjektiven Tatseite der Heimtücke der Angeklagten getroffen werden können. Die Sache bedarf daher in dem aufgezeigten Umfang neuer Verhandlung und Entscheidung.
Becker Appl Berger Eschelbach Ott
5 StR 401/05

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 13. Oktober 2005
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Oktober 2005

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 24. Mai 2005 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen warf der Angeklagte mit unbedingtem Tötungsvorsatz sein acht Monate altes Kind vom Balkon aus einer Höhe von 10,70 m in die Tiefe und sprang, nachdem er seine ausweglose Lage erkannt hatte, aufgrund eines spontan gefassten Entschlusses zur Selbsttötung hinterher. Beide überlebten mit erheblichen Verletzungen.
Für die Beurteilung der Tat kommt es nicht darauf an, ob der Angeklagte kurz zuvor seiner Partnerin, der Mutter des gemeinsamen Kindes, angekündigt hat, gemeinsam mit dem Kind vom Balkon zu springen. Dafür ist insbesondere bedeutsam, dass der Angeklagte in der Zeit zuvor seiner Partnerin mehrfach angedroht hatte, das Kind – im Fall der Auflösung der Partnerschaft durch die Partnerin – „über den Balkon zu werfen“ oder „aus dem Fenster zu schmeißen“. Auch zu der Tante der Partnerin des Angeklagten hatte dieser bei mindestens drei Gelegenheiten sinngemäß gesagt, dass er das Kind „auch vom Balkon werfen“ könne, ihm sei es egal, ob er „in den Knast“ gehe. Diese vielfach geäußerten Androhungen der schließlich begangenen Tat würden den – sonst für den Grad der Schuldfähigkeit und die Strafzumes- sung in Betracht kommenden – Bedeutungswert einer etwaigen Ankündigung des Angeklagten kurz vor der Tat, er werde gemeinsam mit dem Kind vom Balkon springen, bis zur Bedeutungslosigkeit relativieren.
Zudem ist darauf hinzuweisen, dass das Landgericht, das den Angeklagten insoweit allein wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt hat, das Vorliegen eines versuchten Mordes mit nicht tragfähigen Begründungen verneint hat.
So hat das Landgericht bei der Verneinung von Heimtücke allein darauf abgestellt , dass das achtmonatige Kind noch nicht fähig war, Argwohn zu hegen. Dabei ist übersehen worden, dass bei der Tötung von Kleinkindern die Heimtücke in der Ausnutzung der Arglosigkeit schutzbereiter Dritter liegen kann (vgl. BGHSt 3, 330, 332; 8, 216; Jähnke in LK 11. Aufl. § 211 Rdn. 42). Hier hatte der Angeklagte der Mutter des Kindes drei kräftige Faustschläge ins Gesicht versetzt, so dass sie kurze Zeit benommen war. „Diesen Augenblick bewusst erkennend und ausnutzend“ (UA S. 10), ergriff der Angeklagte das Kind und warf es schließlich vom Balkon. Danach ist heimtückisches Handeln kaum ausschließbar.
Bei der Verneinung des Vorliegens niedriger Beweggründe ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es das Motiv des Angeklagten zur Tötung des Kindes war, seine Partnerin für die von ihr beabsichtigte Trennung zu bestrafen und sich an der Partnerin zu rächen. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass dieses Motiv nach allgemeiner Wertung sittlich auf tiefster Stufe steht und besonders verachtenswert ist (vgl. BGH, Urt. vom 8. August 2001 – 3 StR 162/01). Soweit das Landgericht gleichwohl „insbesondere aufgrund des soziokulturellen und religiösen Hintergrundes der Beziehung“ sich nicht davon hat überzeugen können, dass der Angeklagte die Niedrigkeit seiner Beweggründe auch erkannt hat, ist dies nicht nachvollziehbar. Unabhängig von der Frage, in welchem Umfang eigentümliche Wertvorstellungen des heimatlichen Kulturkreises eines Täters für das etwai- ge Vorliegen niedriger Beweggründe von Bedeutung sind (vgl. Jähnke aaO § 211 Rdn. 37; Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 211 Rdn. 14), ist auszuschließen , dass die Zivilisation oder die Religion, die den aus Algerien stammenden Angeklagten geprägt haben, dessen Motiv für die Tötung des Kindes etwa billigen würden.
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 309/12
vom
21. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. November
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Dr. Berger,
Dr. Eschelbach
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Landgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 8. März 2012 im Fall II. 3 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die auf die Verurteilung im Fall II. 3 der Urteilsgründe und den Ausspruch über die Gesamtstrafe beschränkte , vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete die Angeklagte im Oktober 2004 ihre zwei Wochen alte Tochter Katharina, indem sie ihr das Spucktuch so weit wie möglich in den Mund stopfte und ihr gleichzeitig für ca. 15 Minuten die Nase zuhielt. Die Angeklagte handelte dabei aus einem Gefühl der Überforderung heraus, weil sie das schreiende Kind nicht beruhigen konnte. Nachdem dieses nicht mehr atmete, verständigte sie den Notarzt. Eine Obduktion ergab keinen Hinweis auf einen unnatürlichen Tod, weshalb man von einem plötzlichen Kindstod als Todesursache ausging (Fall II. 1). Im August 2006 tötete die Angeklagte in einer vergleichbaren Situation ihren eineinhalb monatigen Sohn Daniel auf dieselbe Art und Weise. Als Todesursache wurde wiederum plötzlicher Kindstod angenommen (Fall II. 2). Für ihren im März 2009 geborenen Sohn Dennis verschrieben die Ärzte nunmehr einen Überwachungsmonitor , der den Herzschlag und die Atmung des Kindes während des Schlafs kontrollieren sollte. Sie empfahlen der Angeklagten und ihrem Ehemann, das Kind nachts nicht alleine schlafen zu lassen. Der Ehemann der Angeklagten schlief daher zunächst mit seinem Sohn im Schlafzimmer, während die Angeklagte im Wohnzimmer schlief. Nach etwa vier Wochen schlief die Angeklagte mit dem Säugling im Schlafzimmer, während ihr Ehemann nachts wach blieb. Er verbrachte die Nächte damit, am Bett des Kindes zu wachen und spielte zwischendurch am PC. Den Überwachungsmonitor schlossen die Eheleute lediglich rund vier Stunden am Tag an. Am 25. Juni 2009 gegen 5.00 Uhr morgens weckte der Ehemann die Angeklagte. Während diese aufstand , legte er sich schlafen. Um 5.53 Uhr schaltete die Angeklagte den Überwachungsmonitor aus. Sie fütterte ihren Sohn und legte ihn über die Schulter. Als er zu schreien begann, geriet sie erneut in eine Situation der Überforderung und tötete ihn auf dieselbe Art und Weise wie ihre anderen Kinder. Als der Säugling nicht mehr atmete, weckte sie ihren Ehemann, der sofort mit Reanimationsmaßnahmen begann. Die Angeklagte verständigte um 6.04 Uhr den Notarzt (Fall II. 3).
3
Das Landgericht hat die Angeklagte in allen drei Fällen wegen Totschlags verurteilt. Es hat im Fall II. 3 der Urteilsgründe auch unter Berücksichtigung einer möglichen Arg- und Wehrlosigkeit des Kindesvaters als schutzberei- tem Dritten nicht feststellen können, dass die Angeklagte heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB handelte. Der Ehemann der Angeklagten sei nicht als schutzbereiter Dritter zugegen gewesen, denn er habe bereits geschlafen. Die Angeklagte habe diesen auch nicht zur Tatbegehung weggelockt. Ihren Entschluss, ihren Sohn Dennis zu töten, habe die Angeklagte vielmehr erst gefasst , nachdem sich ihr Ehemann bereits von sich aus schlafen gelegt hatte.

II.

4
Diese Erwägungen des Landgerichts sind rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat die Voraussetzungen eines "Heimtückemordes" verkannt. Dies führt zur Aufhebung des Urteils im Fall II. 3 der Urteilsgründe. Der Wegfall der in diesem Fall verhängten Einzelstrafe hat die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe zur Folge.
5
1. Zutreffend hat das Landgericht für die Frage der Heimtücke nicht auf eine Arg- und Wehrlosigkeit des Kleinkindes abgestellt, da dieses aufgrund seines Alters noch zu keinerlei Argwohn oder Gegenwehr fähig war (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1952 - 2 StR 261/52, BGHSt 4, 11, 13), sondern auf die Arg- und Wehrlosigkeit eines im Hinblick auf das Kind schutzbereiten Dritten (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 1955 - 5 StR 104/55, BGHSt 8, 216, 218; BGH, Urteil vom 2. Oktober 1962 - 1 StR 299/62, BGHSt 18, 37, 38). Die Begründung , mit der das Landgericht das Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Ehemanns der Angeklagten als schutzbereiten Dritten abgelehnt und im Ergebnis das Mordmerkmal der Heimtücke verneint hat, beruht dagegen auf der Anwendung eines falschen rechtlichen Maßstabs.
6
a) Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist es nicht erforderlich, dass der potentiell schutzbereite Dritte "zugegen" ist. Schutzbereiter Dritter ist vielmehr jede Person, die den Schutz eines Kleinkindes vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder dies deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 1955 - 5 StR 104/55, BGHSt 8, 216, 219; BGH, Urteil vom 10. März 2006 - 2 StR 561/05, NStZ 2006, 338, 339 f.). Der schutzbereite Dritte muss auf Grund der Umstände des Einzelfalls den Schutz allerdings auch wirksam erbringen können, wofür eine gewisse räumliche Nähe erforderlich ist (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93, 94).
7
Der Ehemann der Angeklagten war der Vater des Kindes. Die bisherigen Feststellungen lassen auf seine Schutzbereitschaft schließen. Er lebte mit dem Kind in einem Haushalt und wachte regelmäßig über dessen Schlaf. Offen geführte Angriffe auf dessen Leben hätte er bemerkt und wäre diesen entgegengetreten. Aufgrund der räumlichen Nähe im Nebenzimmer und der Konzentration auf das Kind wäre er zum wirksamen Schutz des Kindes auch in der Lage gewesen. Tatsächlich konnte er aber den tödlichen Angriff auf das Leben seines Kindes nicht abwehren, da er sich im Vertrauen auf die Angeklagte schlafen gelegt hatte, ohne mit einem Angriff auf das Leben des Kindes zu rechnen.
8
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts scheitert ein Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des zur Tatzeit schlafenden Ehemanns auch nicht daran, dass die Angeklagte diesen nicht weglockte und damit dessen Arg- und Wehrlosigkeit nicht herbeiführte, ihn also weder von der Überwachung des Kindes ablenkte noch sonst gezielt in Sicherheit wog. Für das Ausnutzen der Argund Wehrlosigkeit eines schutzbereiten Dritten ist es - wie bei der Heimtücke gegenüber dem Tatopfer selbst, bei der es nicht darauf ankommt, ob der Täter die Arglosigkeit herbeiführte oder bestärkte (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2006 - 2 StR 561/05, NStZ 2006, 338, 339) - vielmehr ausreichend, dass der Täter die von ihm erkannte Arglosigkeit des Dritten bewusst zur Tatbegehung ausnutzt, und zwar unabhängig davon, worauf diese beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2005 - 5 StR 401/05, NStZ-RR 2006, 43; BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93, 94).
9
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des zutreffenden rechtlichen Maßstabes zu einer Verurteilung wegen Heimtückemords gekommen wäre. Auch vor dem Hintergrund der Spontanität des Tatentschlusses sowie des psychischen Zustands der Angeklagten bei Tatbegehung erscheint es nicht ausgeschlossen, dass insbesondere noch weitere Feststellungen zur subjektiven Tatseite der Heimtücke der Angeklagten getroffen werden können. Die Sache bedarf daher in dem aufgezeigten Umfang neuer Verhandlung und Entscheidung.
Becker Appl Berger Eschelbach Ott

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 53/09
vom
19. März 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 19. März 2009 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 18. Juli 2008 im Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Generalbundesanwalt hat ausgeführt: "Die Kammer hat wegen nicht ausschließbarer verminderter Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 21 StGB den Strafrahmen nach § 49 Abs. 1 StGB gemindert. Straferschwerend hat sie sodann allein folgende Erwägung herangezogen : 'Zu Lasten des Angeklagten war der in der Tat zum Ausdruck kommende unbedingte Vernichtungswille zu berücksichtigen, der für den waffenerfahrenen Angeklagten bei einem Kopfschuss mit einem Schrotgewehr aus nächster Nähe deutlich zum Ausdruck kommt, und auch innerhalb der tatbestandserfassten Fälle des direkten Tötungsvorsatzes im Hinblick auf Anlass und Ziel der Tat sowie das vorausgegangene Verhalten des Tatopfers besonders schwerwiegend erscheint' (UA S. 39). Diese Erwägung begegnet unter dem Gesichtspunkt des Doppelverwertungsverbots (§ 46 Abs. 3 StGB) durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Kammer hat damit maßgeblich auf den die Tat prägenden 'unbedingten Vernichtungswillen' abgestellt. Dass der Täter eines Tötungsdeliktes, von derartiger Absicht angetrieben, dem Opfer bewusst keine Überlebenschance lässt, verwertet aber lediglich erneut zu Lasten des Angeklagten das Tatbestandsmerkmal des Tötungsvorsatzes (vgl. Senat BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 1; Beschluss vom 3. Februar 2004 - 4 StR 403/03 -). Zwar hat die Kammer versucht, ihre Überlegungen im Folgenden weiter zu konkretisieren; dass darin tatsächlich eine Anknüpfung der Strafzumessung an zulässige Straferschwerungsgründe liegt, lässt sich indes der wenig geglückten Formulierung jedenfalls nicht zweifelsfrei entnehmen, zumal die Kammer offenbar Abstufungen innerhalb der Fälle direkten Vorsatzes vorgenommen sowie den nach dem Tatgeschehen auf der Hand liegenden direkten Tötungsvorsatz schon im Rahmen der Beweiswürdigung näher erörtert und als 'bewusst, gewollt und gezielt' (UA S. 34 unten) gekennzeichnet hat. Zudem unterliegen auch die in Betracht zu ziehenden Interpretationsmöglichkeiten Bedenken. Selbst wenn man die Wendung, der 'unbedingte Vernichtungswille' sei 'für den waffenerfahrenen Angeklagten bei einem Kopfschuss mit einem Schrotgewehr aus nächster Nähe deutlich zum Ausdruck gekommen', letztlich als eine Beschreibung der Art der Tatausführung (§ 46 Abs. 2 StGB) werten wollte (vgl. hierzu BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 5), bliebe im Kern doch nur der Vorwurf, der Angeklagte habe mit der Abgabe des Schusses aus naher Distanz die zur Erreichung seines Tatziels - die Tötung des Tatopfers - nötige Gewalt angewandt; auch dies wäre mit § 46 Abs. 3 StGB nicht vereinbar (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 2, 6). Eine solche Interpretation geriete auch mit dem Grundsatz in Konflikt, dass im Verhältnis zu dem gesetzlichen Regelfall einer Tötung mit bedingtem Vorsatz eine geringere Tatschwere zukommt, nicht aber eine Tötung mit direktem Tötungsvorsatz einen gesteigerten Unrechtsgehalt aufweist. Auch im Übrigen lassen die Ausführungen selbst bei weiter Auslegung nicht erkennen, dass die Kammer in rechtlich zulässiger Weise auf erschwerende Gesichtspunkte der Tatausführung verweisen wollte, wie etwa die durch das Bereitstellen und Verdecken der Tatwaffen vom Angeklagten bewusst geschaffene Gefährlichkeit der Situation. Zwar lässt sich der weiteren Erwägung, der Vernichtungswille erscheine 'im Hinblick auf Anlass und Ziel der Tat sowie das vorangegangene Verhalten des Tatopfers besonders schwerwiegend' ein Bezug zur Tatmotivation entnehmen. Die Herleitung strafschärfender Umstände wird insofern durch die Feststellungen aber nicht getragen. Zum Anlass der Tat hat die Kammer festgestellt, dass der von jeher eifersüchtige (UA S. 5) Angeklagte, der erhebliche Investitionen in die von seiner Lebensgefährtin betriebene Gaststätte geleistet hatte (UA S. 3, 20), die Tat beging aus 'Angst, seine Lebensgefährtin zu verlieren und aus spontaner Wut gegen den Getöteten, dem sie sich endgültig zugewandt hatte' (UA S. 14, 33). Inwiefern hieraus - jenseits der von der Kammer verneinten niedrigen Beweggründe - ein erhöhter Unrechtsgehalt folgen soll, hätte zumindest näherer Begründung bedurft. Auch aus dem Vorverhalten des Tatopfers, dessen Äußerung 'ich nehm sie dir weg' die Tat unmittelbar ausgelöst hatte (UA S. 35), ist eine Steigerung des Schuld- und Unrechtsgehalts jedenfalls ohne nähere Darlegung nicht ohne Weiteres abzuleiten. Einer Auslegung, die Kammer habe in noch zulässiger Weise strafschärfend nicht den Tötungsvorsatz, sondern eine aus der Art der Ausführung und der Tatmotivation folgende erhöhte kriminelle Energie herangezogen , steht schließlich auch die angenommene eingeschränkte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten entgegen. Denn nach den Feststellungen bestand bei ihm aufgrund seiner Alkoholisierung eine toxische Reizoffenheit , in Folge derer er nicht mehr in vollem Umfang in der Lage war, die von Außen und Innen kommenden Reize zu filtrieren, abzuwägen und bedürfnisgerecht zu reagieren (vgl. UA S. 16). Im Hinblick darauf, dass sich die Kammer bei der Zumessung der Strafe ersichtlich an der Obergrenze des rechtsfehlerfrei nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB (und nicht nach § 213, 2. Alt. StGB) gemilderten Strafrahmens orientiert hatte, lässt sich ein Beruhen des Strafausspruches auf dem dargelegten Rechtsverstoß nicht ausschließen. Eine Anwendung von § 354 Abs. 1a StPO erscheint deshalb ebenfalls nicht angebracht. Die Sache bedarf daher hinsichtlich des Strafausspruches neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen können aufrecht erhalten bleiben, weil es sich lediglich um einen Wertungsfehler handelt; ergänzende Feststellungen sind möglich."
3
Dem verschließt sich der Senat nicht. Tepperwien Maatz Athing Franke Mutzbauer