Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Okt. 2005 - 5 StR 401/05
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen warf der Angeklagte mit unbedingtem Tötungsvorsatz sein acht Monate altes Kind vom Balkon aus einer Höhe von 10,70 m in die Tiefe und sprang, nachdem er seine ausweglose Lage erkannt hatte, aufgrund eines spontan gefassten Entschlusses zur Selbsttötung hinterher. Beide überlebten mit erheblichen Verletzungen.
Für die Beurteilung der Tat kommt es nicht darauf an, ob der Angeklagte kurz zuvor seiner Partnerin, der Mutter des gemeinsamen Kindes, angekündigt hat, gemeinsam mit dem Kind vom Balkon zu springen. Dafür ist insbesondere bedeutsam, dass der Angeklagte in der Zeit zuvor seiner Partnerin mehrfach angedroht hatte, das Kind – im Fall der Auflösung der Partnerschaft durch die Partnerin – „über den Balkon zu werfen“ oder „aus dem Fenster zu schmeißen“. Auch zu der Tante der Partnerin des Angeklagten hatte dieser bei mindestens drei Gelegenheiten sinngemäß gesagt, dass er das Kind „auch vom Balkon werfen“ könne, ihm sei es egal, ob er „in den Knast“ gehe. Diese vielfach geäußerten Androhungen der schließlich begangenen Tat würden den – sonst für den Grad der Schuldfähigkeit und die Strafzumes- sung in Betracht kommenden – Bedeutungswert einer etwaigen Ankündigung des Angeklagten kurz vor der Tat, er werde gemeinsam mit dem Kind vom Balkon springen, bis zur Bedeutungslosigkeit relativieren.
Zudem ist darauf hinzuweisen, dass das Landgericht, das den Angeklagten insoweit allein wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt hat, das Vorliegen eines versuchten Mordes mit nicht tragfähigen Begründungen verneint hat.
So hat das Landgericht bei der Verneinung von Heimtücke allein darauf abgestellt , dass das achtmonatige Kind noch nicht fähig war, Argwohn zu hegen. Dabei ist übersehen worden, dass bei der Tötung von Kleinkindern die Heimtücke in der Ausnutzung der Arglosigkeit schutzbereiter Dritter liegen kann (vgl. BGHSt 3, 330, 332; 8, 216; Jähnke in LK 11. Aufl. § 211 Rdn. 42). Hier hatte der Angeklagte der Mutter des Kindes drei kräftige Faustschläge ins Gesicht versetzt, so dass sie kurze Zeit benommen war. „Diesen Augenblick bewusst erkennend und ausnutzend“ (UA S. 10), ergriff der Angeklagte das Kind und warf es schließlich vom Balkon. Danach ist heimtückisches Handeln kaum ausschließbar.
Bei der Verneinung des Vorliegens niedriger Beweggründe ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es das Motiv des Angeklagten zur Tötung des Kindes war, seine Partnerin für die von ihr beabsichtigte Trennung zu bestrafen und sich an der Partnerin zu rächen. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass dieses Motiv nach allgemeiner Wertung sittlich auf tiefster Stufe steht und besonders verachtenswert ist (vgl. BGH, Urt. vom 8. August 2001 – 3 StR 162/01). Soweit das Landgericht gleichwohl „insbesondere aufgrund des soziokulturellen und religiösen Hintergrundes der Beziehung“ sich nicht davon hat überzeugen können, dass der Angeklagte die Niedrigkeit seiner Beweggründe auch erkannt hat, ist dies nicht nachvollziehbar. Unabhängig von der Frage, in welchem Umfang eigentümliche Wertvorstellungen des heimatlichen Kulturkreises eines Täters für das etwai- ge Vorliegen niedriger Beweggründe von Bedeutung sind (vgl. Jähnke aaO § 211 Rdn. 37; Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 211 Rdn. 14), ist auszuschließen , dass die Zivilisation oder die Religion, die den aus Algerien stammenden Angeklagten geprägt haben, dessen Motiv für die Tötung des Kindes etwa billigen würden.
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