Bundesfinanzhof Beschluss, 18. März 2013 - VII B 134/12

published on 18/03/2013 00:00
Bundesfinanzhof Beschluss, 18. März 2013 - VII B 134/12
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Gericht

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Tatbestand

1

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hat gegenüber der Bank des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung erlassen. Den dagegen gerichteten Einspruch hat das FA als unbegründet zurückgewiesen; der vom Kläger zudem beantragte Vollstreckungsaufschub wurde nicht gewährt. Nachdem die Drittschuldnerin die Steuerrückstände beglichen hatte, erhob der Kläger mit der Begründung Klage, das FA habe das ihm zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt.

2

Am 9. November 2011 hat die beim Finanzgericht (FG) mit der Sache befasste Berichterstatterin einen Erörterungstermin durchgeführt, zu dem der Kläger mit Schreiben vom 9. Dezember 2011 Stellung nahm. Zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung lehnte der Kläger die Berichterstatterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung führte er an, die Berichterstatterin habe ihm auf seinen Hinweis, der Ermessensspielraum sei verkannt worden, entgegnet: "Sie wollen doch keine griechischen Verhältnisse."

3

Aufgrund der durch die Tilgung der Steuerrückstände eingetretenen Erledigung der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen und aufgrund des fehlenden Feststellungsinteresses wies das FG die Klage als unzulässig ab. Als unzulässig erachtete das FG auch den Befangenheitsantrag, der rechtsmissbräuchlich gestellt worden sei. Zudem habe der Kläger ein etwaiges Recht zur Richterablehnung bereits vor Stellung des Antrags am 21. Mai 2012 verloren, da er sich zuvor durch Einreichung der Schriftsätze vom 9. Dezember 2011 und vom 13. Januar 2012 in eine Verhandlung eingelassen habe.

4

Unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 2012  2 BvR 615/11 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2012, 3228) begehrt der Kläger mit seiner Beschwerde die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG habe den Antrag auf Ablehnung der Berichterstatterin wegen Besorgnis der Befangenheit nicht als rechtsmissbräuchlich und deshalb unzulässig ablehnen dürfen. Deshalb verstoße das Urteil gegen § 45 Abs. 1 und § 44 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 51 FGO, gegen das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes und gegen das Gebot des fairen Verfahrens nach der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Die im Ablehnungsgesuch dargelegten Gründe seien geeignet, bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an der Unvoreingenommenheit der abgelehnten Berichterstatterin zu wecken, die unsachlich reagiert und unjuristisch argumentiert habe.

5

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil der gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zum Teil nicht schlüssig dargelegt ist, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert, jedenfalls aber nicht vorliegt.

7

1. Ein Richter kann gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein derartiges Misstrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Jedoch kann eine Partei gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 43 ZPO einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat.

8

a) Ein "Einlassen" in eine Verhandlung bedeutet jedes prozessuale und der Erledigung eines Streitpunktes dienende Handeln unter Mitwirkung eines Richters. Hierzu gehört auch das Einreichen eines Schriftsatzes (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. Juli 2005 II R 28/02, BFH/NV 2005, 2027, und vom 28. Juli 1997 III B 56/96, BFH/NV 1998, 184, m.w.N.; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 51 Rz 41). Ausreichend ist, wenn in einem Schriftsatz Ausführungen zur Streitsache gemacht werden, auch wenn keine konkreten Anträge gestellt werden (BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 184).

9

b) Im Streitfall hat der Kläger nach dem Erörterungstermin im Schriftsatz vom 9. Dezember 2011 Ausführungen zu den von der Vertreterin des FA im Termin geäußerten Rechtsauffassungen in Bezug auf die Ausübung des Entschließungsermessens gemacht. Auch hat der Kläger die Äußerung der Berichterstatterin wiedergegeben, er wolle doch auch keine griechischen Verhältnisse, und abschließend ausgeführt, der Erörterungstermin habe damit bestätigt, dass die Klage zulässig und begründet sei. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte der Kläger die Möglichkeit gehabt, die zur Kenntnis genommenen und schriftlich festgehaltenen Äußerungen der Berichterstatterin zum Gegenstand eines Befangenheitsantrags zu machen. Dies hat er jedoch unterlassen. In einem weiteren Schriftsatz vom 13. Januar 2012 hat er dem FA geraten, die Klageanträge anzuerkennen und sich vom Finanzminister des Landes Baden-Württemberg fachkundig beraten zu lassen. Auch diesem Schriftsatz ist ein Befangenheitsantrag nicht zu entnehmen. Einen solchen hat der Kläger erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 21. Mai 2012 gestellt. Erst in diesem Schriftsatz hat er zu erkennen gegeben, die Äußerungen der Berichterstatterin werte er als einen Umstand, der bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit hervorrufe.

10

Da der Kläger bereits Monate zuvor zum Ergebnis des Erörterungstermins Stellung genommen hat, ohne konkrete Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Berichterstatterin zu äußern, erweist sich der Befangenheitsantrag nach § 43 ZPO als unzulässig. Das FG hat den Antrag demnach zu Recht abgelehnt und unter Mitwirkung der erfolglos abgelehnten Berichterstatterin in der Sache entschieden. Somit liegt der von der Beschwerde gerügte Verfahrensfehler nicht vor.

11

2. Ergänzend weist der beschließende Senat darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des BFH Art. 6 Abs. 1 EMRK, der das verfahrensrechtliche Fairnessgebot regelt, aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters der Besteuerung im finanzgerichtlichen Verfahren keine Anwendung finden kann (vgl. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 12. Juli 2001  44759/98, NJW 2002, 3453, und vom 13. Januar 2005  62023/00, Europäische Grundrechte Zeitschrift 2005, 234, sowie BFH-Beschlüsse vom 21. Februar 2006 I B 32/05, BFH/NV 2006, 1305, und vom 31. Juli 2003 IX E 6/03, BFH/NV 2003, 1603).

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(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden. (2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
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Annotations

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.

(1) Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung.

(2) Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter des Amtsgerichts über das Gesuch. Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der abgelehnte Richter das Ablehnungsgesuch für begründet hält.

(3) Wird das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlussunfähig, so entscheidet das im Rechtszug zunächst höhere Gericht.

(1) Das Ablehnungsgesuch ist bei dem Gericht, dem der Richter angehört, anzubringen; es kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(2) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf die Partei nicht zugelassen werden. Zur Glaubhaftmachung kann auf das Zeugnis des abgelehnten Richters Bezug genommen werden.

(3) Der abgelehnte Richter hat sich über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern.

(4) Wird ein Richter, bei dem die Partei sich in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so ist glaubhaft zu machen, dass der Ablehnungsgrund erst später entstanden oder der Partei bekannt geworden sei. Das Ablehnungsgesuch ist unverzüglich anzubringen.

(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten §§ 41 bis 49 der Zivilprozessordnung sinngemäß. Gerichtspersonen können auch abgelehnt werden, wenn von ihrer Mitwirkung die Verletzung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses oder Schaden für die geschäftliche Tätigkeit eines Beteiligten zu besorgen ist.

(2) Von der Ausübung des Amtes als Richter, als ehrenamtlicher Richter oder als Urkundsbeamter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.

(3) Besorgnis der Befangenheit nach § 42 der Zivilprozessordnung ist stets dann begründet, wenn der Richter oder ehrenamtliche Richter der Vertretung einer Körperschaft angehört oder angehört hat, deren Interessen durch das Verfahren berührt werden.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder Abschrift des Urteils, gegen das Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht im Falle der elektronischen Beschwerdeeinlegung.

(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 dargelegt werden. Die Begründungsfrist kann von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.

(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Der Bundesfinanzhof entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch den Bundesfinanzhof wird das Urteil rechtskräftig.

(6) Liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann der Bundesfinanzhof in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(7) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht der Bundesfinanzhof das angefochtene Urteil nach Absatz 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt für den Beschwerdeführer die Revisionsbegründungsfrist, für die übrigen Beteiligten die Revisions- und die Revisionsbegründungsfrist. Auf Satz 1 und 2 ist in dem Beschluss hinzuweisen.

(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten §§ 41 bis 49 der Zivilprozessordnung sinngemäß. Gerichtspersonen können auch abgelehnt werden, wenn von ihrer Mitwirkung die Verletzung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses oder Schaden für die geschäftliche Tätigkeit eines Beteiligten zu besorgen ist.

(2) Von der Ausübung des Amtes als Richter, als ehrenamtlicher Richter oder als Urkundsbeamter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.

(3) Besorgnis der Befangenheit nach § 42 der Zivilprozessordnung ist stets dann begründet, wenn der Richter oder ehrenamtliche Richter der Vertretung einer Körperschaft angehört oder angehört hat, deren Interessen durch das Verfahren berührt werden.

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.

(1) Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten §§ 41 bis 49 der Zivilprozessordnung sinngemäß. Gerichtspersonen können auch abgelehnt werden, wenn von ihrer Mitwirkung die Verletzung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses oder Schaden für die geschäftliche Tätigkeit eines Beteiligten zu besorgen ist.

(2) Von der Ausübung des Amtes als Richter, als ehrenamtlicher Richter oder als Urkundsbeamter ist auch ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat.

(3) Besorgnis der Befangenheit nach § 42 der Zivilprozessordnung ist stets dann begründet, wenn der Richter oder ehrenamtliche Richter der Vertretung einer Körperschaft angehört oder angehört hat, deren Interessen durch das Verfahren berührt werden.

Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat.