Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2016 - 21 B 16.30371

bei uns veröffentlicht am12.12.2016
vorgehend
Verwaltungsgericht Regensburg, RN 11 K 16.31082, 15.07.2016

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 wird aufgehoben, soweit der Klage stattgegeben wurde.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten über den ihm zugestandenen subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.

Der Kläger ist ein am … 1997 in Damaskus geborener Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien arabischer Volkszugehörigkeit muslimischen Glaubens (Sunnit). Er reiste seinen Angaben zufolge am 31. Januar 2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 17. Februar 2016 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 1. Juni 2016 äußerte er sich im Wesentlichen wie folgt:

„Bis zu seiner Ausreise aus Syrien habe er in Damaskus, Stadtteil …, gelebt. Unter dieser Adresse leben noch heute seine Eltern. Auch zwei Schwestern hielten sich noch in Syrien auf. Am 5. Januar 2016 habe er Syrien verlassen und sei über den Libanon, Türkei und die Balkanroute über Österreich nach Deutschland gereist. In der Türkei sei er ca. 10 Tage lang legal gewesen. In seiner Heimat habe er 9 Jahre lang die Mittelschule besucht, habe aber keinen Abschluss gemacht. Er habe Frisör gelernt und in dem Beruf gearbeitet. Wehrdienst habe er nicht geleistet. Er sei nicht Mitglied einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppierung oder einer politischen Partei gewesen. Augenzeuge oder Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder von Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder anderen Misshandlungen) durch kämpfende Einheiten auf die Zivilbevölkerung sei er nicht gewesen. Er habe auf seinem Weg nach Deutschland und in Deutschland weder Kenntnis von Personen erlangt, die er als Unterstützer oder Mitglieder von extremistischen oder terroristischen Organisationen eingeschätzt habe, noch von Personen, von denen er habe annehmen müssen, dass sie für einen Nachrichtendienst arbeiten. Er habe Syrien verlassen, weil dort Krieg herrsche. Ein Arbeiten sei dort nicht möglich. Zudem strebe er in Deutschland eine Ausbildung als Frisör an und möchte einen guten Lebensunterhalt bestreiten. Er oder seine Familie seien in Syrien nicht persönlich bedroht oder verletzt worden. Er habe sein Militärheft vorgelegt. Jeder Mann im wehrdienstfähigen Alter bekomme automatisch dieses Militärheft. Er habe nicht zur syrischen Armee einberufen werden sollen. In Syrien gebe es ein Gesetz, wonach bei nur einem Sohn in der Familie eine Einberufung nicht stattfinde (eine Übersetzung des Dolmetschers aus dem Militärheft ergab unter Bezugnahme auf die gesetzliche Regelung, dass der Kläger keinen Militärdienst leisten müsse). Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er nichts. Er habe den Wunsch nach Abschluss seines Verfahrens seine Eltern aus Syrien nachreisen zu lassen. Ein Mitglied seiner Familie sei schon als Gastarbeiter in Deutschland, deshalb sei es auch ein Wunsch seiner Eltern gewesen, dass er als Arbeiter nach Deutschland kommen könne.

“Das Bundesamt erkannte den Kläger mit Bescheid vom 13. Juni 2016 als subsidiär Schutzberechtigten an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und die Klage im Übrigen (Asylanerkennung) abgewiesen. Zur Begründung der zusprechenden Entscheidung wird im Wesentlichen ausgeführt: Der syrische Staat betrachte gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System, die das Gebot der Loyalität ihm gegenüber verletze. Ein solches Verhalten werde - ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen - vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinn des § 3a AsylG zu rechnen.

2. Die Beklagte begründet die vom Senat mit Beschluss vom 21. September 2016 zugelassene Berufung wie folgt:

„Es begegne Zweifeln, die Verfolgungsgefahr zumeist aus einem allgemeinen „Abschöpfungsinteresse“ hinsichtlich Erkenntnissen zur Exilopposition ableiten zu wollen. Gegen die Annahme, dass bei jedem Rückkehrer eine Regimegegnerschaft vermutet werde, spreche die mittlerweile sehr hohe und weiter zunehmende Zahl der Flüchtlinge. Der syrische Staat dürfte weder Veranlassung noch Ressourcen haben, gegen jeden Rückkehrer vorzugehen. Die hohe Anzahl an ausgegebenen syrischen Reisepässen spreche ebenfalls dagegen, dass jedem Rückkehrer eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt werde. Dem entspreche es, dass sich ein erheblicher Teil der syrischen Asylbewerber für den Fall einer Rückkehr nicht vor Verfolgung in Anknüpfung an Verfolgungsgründe nach § 3b AsylG fürchte, sondern ausschließlich vor Kriegsgefahren und Kriegsfolgen. Diese Erkenntnis habe das Bundesamt aus mehr als 130.000 in diesem Jahr durchgeführten Anhörungen gewonnen. Der Kläger sei ohne Vorverfolgung ausgereist und habe Syrien wohl legal verlassen. Es liege beim Kläger auch keine Risikoerhöhung wegen Militärpflichtigkeit vor, weil insoweit die „Einziger-Sohn-Regelung“ gelte und die Mutter des Klägers älter als 50 Jahre sei, so dass eine jährliche Bestätigung der Regelung im Wehrdienstheft nicht erforderlich sei.

“Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 die Klage abzuweisen, soweit ihr stattgegeben wurde.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Vor dem Hintergrund, dass der Kläger einen Asylantrag gestellt habe, sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten habe und zudem noch ein möglicher Verdacht auf Wehrdienstentziehung im Raum stehe, müsse man nach Auswertung der verschiedenen Auskünfte zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Haft und Folter von den syrischen Sicherheitskräften zu befürchten hätte. Zwar könne man nicht für jeden Fall eines zurückkehrenden Syrers die Anwendung von Folter und Haft mit Sicherheit feststellen, sie seien aber auch nicht mit der notwendigen Sicherheit auszuschließen. Unter solchen Umständen würde ein vernünftiger Mensch in der Lage des Klägers das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen.

Die Landesanwaltschaft Bayern äußert sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses unter anderem wie folgt:

Die erforderliche Verknüpfung zwischen schädigender Handlung und Verfolgungsgrund sei beim Kläger nicht gegeben. Die Annahme sei wenig plausibel und letztlich lebensfremd, dass aus dem westlichen Ausland zurückkehrende Syrer bei der in diesem Fall obligatorischen Befragung von den syrischen Sicherheitskräften allein wegen der Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositionelle betrachtet würden.

3. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2016 zu Unrecht teilweise stattgegeben. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt mit Bescheid vom 13. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). § 3 Abs. 4 AsylG gibt dem Kläger in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen darauf gerichteten Anspruch, denn er ist kein Flüchtling im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer - soweit hier von Interesse - Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien nicht vor (1.), noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger sein Herkunftsland verlassen hat (2.)

1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinn des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, hat der Kläger weder bei der Anhörung durch das Bundesamt noch im Rahmen der Berufungsverhandlung geltend gemacht.

2. Der Kläger kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem er sein Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht allein deshalb, weil der Kläger aus Syrien ausgereist ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat. Diese Umstände rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen den Kläger bei einer Rückkehr in die Arabische Republik Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle als Oppositionellen betrachten und ihn deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen.

2.1 Davon wäre nur dann auszugehen, wenn dem Kläger bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - juris Rn. 17).

2.2 Nach diesem Maßstab und nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle wegen seines Asylantrags und des damit verbundenen Aufenthalts in Deutschland eine politische Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (2.2.1). Auch das im Grundsatz eine Militärdienstpflichtigkeit begründende Alter des legal ausgereisten (2.2.2) Klägers (19 Jahre) führt nicht beachtlich wahrscheinlich zu einer staatlichen Verfolgung, da der Kläger nach der in Syrien in die Praxis umgesetzten „Einziger-Sohn-Regelung“ endgültig vom Militärdienst freigestellt wurde. Aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte fehlt es damit beim Kläger für die Unterstellung einer illoyalen und oppositionellen Haltung - anders als bei Wehrpflichtigen und Reservisten - am Anknüpfungspunkt der Ausreise trotz Militärdienstpflichtigkeit (2.2.3).

Bei der zusammenfassenden Bewertung aller Umstände haben die gegen eine Verfolgungsgefahr sprechenden Gründe größeres Gewicht als die dafür sprechenden Gründe. Diese Erkenntnis beruht auf Folgendem:

2.2.1 Eine Auswertung der in beiden Rechtszügen beigezogenen Erkenntnismittel zeigt, dass das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten ist. Der syrische Staat setzt deshalb alles daran, seine Macht zu erhalten und geht in seinem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor.

Zu den Zielen der syrischen Regierung führt Gerlach in „Was in Syrien geschieht - Essay“ vom 19. Februar 2016 (http: …www.bpb.de/apuz/221168/was-in-syrien-geschieht?p=all) aus:

„Das erklärte Ziel des syrischen Regimes, das sich für den rechtmäßigen Vertreter des Staates hält, ist die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik, also gewissermaßen in den Grenzen von 2011. … Wichtiger noch: das Fortbestehen der Machtarchitektur ohne einschneidende Veränderung, die in einer Entmachtung des Präsidenten Assad oder in der Auflösung jenes Machtkomplexes der drei um den Präsidenten gruppierten Clans Assad, Makhlouf und Shalish bestehen könnte. Diesen Kriegszielen ordnete das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele unter - und zu ihrer Verteidigung nahm es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung, sondern auch massive eigene Verluste in Kauf.“

Einem „Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)“ des Auswärtigen Amts vom 17. Februar 2012 ist zu entnehmen:

„Das syrische Regime setzt im Kampf gegen die syrische Opposition die Armee und Sicherheitskräfte gezielt gegen zivile Siedlungsgebiete ein. …

Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Es gibt vier große Sicherheitsdienste, die unabhängig voneinander alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie sich gegenseitig kontrollieren: Allgemeine Sicherheit, Politische Sicherheit, Militärische Sicherheit und die Sicherheit der Luftwaffe. … Die Befugnisse der Sicherheitsdienste unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhörzentralen, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelt. …

Syrische Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen und die Neuordnung Syriens nach demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Prinzipien anstreben, werden durch das Regime massiv unterdrückt. …

Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränken sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“ (enforced disappearance), tätlichen Angegriffen (z. B. der Karikaturist A. F. und der Oppositionspolitiker R. S.), Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte (z. B. das Kind H. al-K., der Aktivist C. M.) und Mordanschlägen (z.B. der kurdische Oppositionelle M. D.) belegt. Einige Oppositionelle sind daher in den Untergrund gegangen …; viele andere haben Syrien verlassen. …

Menschenrechtsverteidiger schätzen die Zahl der Verhafteten und Verschwundenen auf insgesamt über 40.000. … Willkürliche Verhaftungen sind in Syrien gegenwärtig sehr häufig und gehen von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen (sog. Shabbiha) aus. …

Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). …

Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. …

Es muss davon ausgegangen werden, dass exilpolitische Tätigkeiten den syrischen Sicherheitsdiensten bekannt werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass syrische Familien in Deutschland von den Sicherheitsdiensten als Druckmittel gegenüber noch in Syrien lebenden Verwandten (oder umgekehrt) missbraucht werden. …

Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt an. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. …Gegenwärtig kann sich das Individuum de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deutet darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art ´carte blanche´ erhalten haben. …

Es kommt seit Beginn der Unruhen regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen durch die Sicherheitsdienste, Rechtsmittel dagegen existieren nicht. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste kommt es zu Drohungen und körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. …

Fälle von Verschwindenlassen haben seit März 2011 erheblich zugenommen“ (Namen sind im Original vollständig wiedergegeben).

Der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2015 (https: …www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150414-syr-amnestien.0.pdf) kann entnommen werden:

„Human Rights Watch kritisierte im Januar 2015, dass trotz der Amnestie noch eine Vielzahl Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Medienschaffende sowie Personen, die humanitäre Hilfe geleistet haben, inhaftiert oder in Untersuchungshaft sind. …

In vielen Fällen werden vor allem Aktivisten, Anwälte und Menschenrechtsaktivisten von den Geheimdiensten wochen- und monatelang ohne Verfahren festgehalten. …

Die Anzahl der seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 verhafteten Personen ist umstritten. Das Violations Documentation Center, eine lokale Monitoring Gruppe, ging im Juli 2014 davon aus, dass 40.853 Personen in Haft sind. Der ehemalige UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, ging von zwischen 50.000 und 100.000 Inhaftierten des syrischen Regimes aus. Der UN High Commissioner for Human Rights, Zeid Ra'ad Al Hussein, weist auf Schätzungen zwischen zehntausenden und hunderttausenden Inhaftierten hin. Das Syrian Observatory for Human Rights schätzt, dass 200.000 Personen in syrischen Gefängnissen sitzen. …

Dass die Haftbedingungen schlecht sind und in den Gefängnissen gefoltert wird, ist seit langem dokumentiert, auch bereits vor dem Konflikt. Folter ist insbesondere in der ersten Zeit der Haft üblich, um an Informationen zu kommen, die Häftlinge einzuschüchtern und um Schuldeingeständnisse zu erzwingen. Folter und die schlechten Haftbedingungen führen zu Todesfällen. …

Viele friedliche Aktivisten, die aufgrund des Anti-Terrorismus-Gesetzes verurteilt worden sind und von der Amnestie hätten profitieren sollen, blieben weiterhin in Haft.“

Die vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 (https: …www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf) äußert sich in Fußnummer 74 u.a. wie folgt:

„Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die man für einen Regierungsgegner hält, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen einschließlich der Kinder der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder zur Vergeltung der Aktivitäten bzw. des Loyalitätsbruchs der gesuchten Person oder zwecks Einholung von Informationen über ihren Aufenthaltsort oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen anzuerkennen.”

Die Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada (Immigration and Refugee Board of Canada) verweist in einem Bericht (Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19. Januar 2016, S. 4 - zitiert nach der in das Verfahren eingeführten Übersetzung in die deutsche Sprache) auf folgende Erkenntnisse von Amnesty International (Between Prison and the Grave, Enforced Disappearances in Syria, November 2015), Human Rights Watch (Syria, World Report 2015: Events of 2014, 29.1.2015) und OHCHR (Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic, 14.4.2014) hin:

„Laut AI hat die in Syrien stationierte Kontrollgruppe Syrian Network for Human Rights über 58.000 Fälle von Zivilisten dokumentiert, die zwischen März 2011 und August 2015 durch die syrische Regierung ´zwangsweise´ verschwunden sind, und am 30. August 2015 immer noch als vermisst gelten (AI, Nov. 2015, 7). Des Weiteren vermerkt dieselbe Quelle, dass alle vier Truppengattungen der syrischen Sicherheitskräfte, bestehend aus dem militärischen Geheimdienst, dem Geheimdienst der Luftwaffe, dem politischen Sicherheitsdienst und dem allgemeinen Geheimdienst (auch Staatsicherheit genannt), Personen zwangsweise verschwinden lassen würden und dass es überall im Land Gefangenenlager gebe (ebd.). AI erklärt, dass diese Gefangenen ´außerhalb des gesetzlichen Schutzes gestellt werden, und dass ihnen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder ein faires Gerichtsverfahren verwehrt wird´; dass Gefangene in überfüllten Behausungen gehalten und regelmäßig einem Katalog der Folter ausgesetzt werden´(ebd., 8). Human Rights Watch und der UNHCR berichten über die weit verbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, der Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden (UN, 14. Apr. 2014, 1; Human Rights Watch, 29. Jan. 2015, 2 - 3).“

Nach den im Amnesty Report 2016 vom 2. März 2016 (http: …www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) festgehaltenen Erkenntnissen von Amnesty International hat sich an dieser Lage nichts zum Guten geändert. Dem Report ist u.a. zu entnehmen:

„Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben „verschwunden“. Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. …

Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. …

10.000 Personen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterrorgericht oder vor militärischen Feldgerichten.“

2.2.2 Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist es zur Überzeugung des Senats nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger allein wegen seiner Ausreise, seines Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositioneller betrachtet wird und deshalb Verfolgungshandlungen im Sinn des § 3a Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (so auch OVG SH, U.v. 23.11.2016 - 3 LB 17.16 - juris; OVG NW, B.v. 6.10.2016 - 14 A 1852/16.A - juris; a.A. OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 18.7.2012 - 3 L 147.12 - juris).

2.2.2.1 Es ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder einer anderen staatlichen Kontrollstelle im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über seinen Auslandsaufenthalt und den Grund seiner Abschiebung befragt wird. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob der Kläger von den Behörden gesucht wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Sicherheitskräfte eine „carte blanche“ haben, um zu tun, was immer sie tun wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier vom 12.10.2016 zur Ausreisekontrolle).

2.2.2.2 Zu den Folgen, die sich im Rahmen einer solchen Überprüfung für einen abgelehnten Asylbewerber ergeben, ist die Auskunftslage nicht einheitlich.

a) Die Ermittlungsabteilung (Research Directorate) der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde hat dazu verschiedene sachkundige Personen befragt. Ein emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford (emeritus Professor of anthropology and forced migration at Oxford University, telefonische Befragung am 11.12.2015) äußerte sich dahingehend, ein abgelehnter Asylbewerber werde höchstwahrscheinlich festgenommen und inhaftiert; groß sei die Wahrscheinlichkeit, dass solche Personen gefoltert würden, um eine Aussage zu erhalten, aus welchem Grund sie geflohen seien.

Der Vorstand der Nichtregierungsorganisation „Syrisches Zentrum für Justiz und Rechenschaftspflicht“ (Executive Director „Syria Justice and Accountability Center“, telefonische Befragung am 14.12.2015) sagte, ein abgelehnter Asylbewerber werde auf jeden Fall festgenommen und inhaftiert. Ihm würde vorgeworfen, im Ausland falsche Informationen verbreitet zu haben, und er würde wie ein Oppositioneller behandelt. Er würde einer Folter unterworfen, wobei die Behörden versuchen würden, Informationen über andere abgelehnte Asylbewerber oder Oppositionelle zu bekommen. Der abgelehnte Asylbewerber riskiere, zu Tode gefoltert zu werden oder gefoltert zu werden und dann für eine sehr lange Zeit in Haft genommen zu werden.

Ein leitender auf Syrien spezialisierter Gast-Forschungsbeauftragter am King´s College London (Visiting Senior Research Fellow, telefonische Befragung am 15.12.2015) bekundete gegenüber der kanadischen Behörde, es bestünde die Möglichkeit, dass ein abgelehnter Asylbewerber wegen eines Asylantrags im Ausland festgenommen und inhaftiert werden könnte. Er war aber des Weiteren der Meinung, dass das nicht „automatisch“ der Fall sei. Die mehr traditionsbewussten syrischen Beamten seien der Überzeugung, dass alle Asylbewerber Regierungsgegner seien, und somit einer Festnahme, Inhaftierung und Folter unterworfen werden könnten. Es gebe aber auch Beamte, die verstünden, dass manche Leute vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen hätten. Nichts sei „automatisch“ oder vorhersehbar. Allerdings habe der Konflikt wahrscheinlich das Misstrauen der Beamten erhöht (vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6 f.).

Die kanadische Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde zitiert in diesem Zusammenhang zudem aus den „Länderberichten über die Handhabung der Menschenrechte für 2014“ des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten (US Department of State´s „Country Reports on Human Rights Practices for 2014“). Danach seien Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl gesucht haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt. Das Gesetz sehe die Strafverfolgung jeglicher Person vor, die in einem anderen Land Zuflucht suche, um der Strafe in Syrien zu entfliehen. Das Regime nehme routinemäßig Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest, die versucht hätten, nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbst auferlegten Exils in das Land zurückzukehren.

b) Demgegenüber beantwortete die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährdung unter dem 3. Februar 2016 dahin, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden seien oder dauerhaft verschwunden seien. Das stehe überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite.

Die Frage des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts, ob unverfolgt ausgereiste Asylbewerber bei Rückkehr nach Syrien Befragungen seitens des syrischen Staates ausgesetzt seien und - bejahendenfalls - wie hoch die Gefahr einzuschätzen sei, dass sie deshalb Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staats ausgesetzt werden, beantwortete das Auswärtige Amt mit Auskunft vom 7. November 2016 wie folgt: Das Amt habe keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien. Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass diese Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.

Der UNHCR ist für den Fall einer Einzelfallprüfung von Asylanträgen syrischer Asylbewerber der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der in den Erwägungen des UNHCR angeführten Risikoprofile „wahrscheinlich“ internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention benötigen. Unter ein solches Risikoprofil fallen nach Auffassung des UNHCR unter anderem „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte; Mitglieder der Regierung und der Baath-Partei, die ihre Ämter niedergelegt haben; Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sowie andere Personen, die mit tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern in Verbindung gebracht werden; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben“ (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 25 f.).

2.2.2.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht fest, dass die gegen eine Verfolgung des Klägers sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen die dafür sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kann nicht von einem bei jedem Rückkehrer bestehenden in gleicher Weise realen Risiko von Misshandlung und Folter ausgegangen werden. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen.

a) Dabei bleibt nicht außer Betracht, dass der um seine Existenz kämpfende syrische Staat und dessen Machthaber ihre Ziele, nämlich die Wiederherstellung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium Syriens sowie der Machterhalt zugunsten des Präsidenten Assad und der um ihn gruppierten Clans mit größter Härte und menschenrechtswidrigen Mitteln verfolgen. In dieses Bild scheinen sich die Äußerungen der von der Ermittlungsabteilung der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde befragten sachkundigen Personen einzufügen. Gegen deren Annahme, abgelehnte Asylbewerber würden (allein) wegen des Asylantrags im Ausland „auf jeden Fall“ bzw. „höchstwahrscheinlich“ oder möglicherweise festgenommen, inhaftiert und gefoltert, spricht aber neben der Tatsache, dass die Bewertungen der sachkundigen Personen nicht näher konkretisiert sind, Folgendes:

Die im angefochtenen Gerichtsbescheid in Bezug genommenen (GA S. 7), in einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Februar 2012 (3 L 147/12) beschriebenen Fälle von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, sind nicht geeignet, eine allein auf die Asylantragstellung zurückzuführende politische Verfolgung zu belegen. Im Gegenteil, die insoweit ausweislich des vorbezeichneten Urteils von Amnesty International („Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und von dem kurdischen Informationsdienst „KURDWATCH“ dokumentierten neun Fälle zeigen, dass Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte nicht allein durch die Asylantragstellung, sondern durch hinzutretende Umstände ausgelöst wurden. Dazu in der Reihenfolge der Fälle wie sie im Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Februar 2012 angeführt sind:

– Der syrische Kurde B. K. hatte in Zypern erfolglos Asyl beantragt und wurde im Juni 2009 bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Damaskus festgenommen und vier Monate ohne Kontakt zur Außenwelt von den Geheimdiensten inhaftiert und offenbar misshandelt und gefoltert. Hier trat zum Asylantrag hinzu, dass B. K. nach den Erkenntnissen von amnesty international bereits Anfang 2005 als Jugendlicher für zweieinhalb Monate u.a. in der Haftanstalt der „Palästinensischen Abteilung“ beim Militärischen Geheimdienst in Haft war. Er war damit bereits vor seiner Ausreise in das Blickfeld der syrischen Dienste geraten.

– Der syrische Kurde K. K. wurde nach abgelehntem Asylantrag am 1. September 2009 nach Syrien abgeschoben. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er bei der Vorsprache beim Geheimdienst festgenommen und drei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, verhört und eigenen Angaben zufolge gefoltert und misshandelt. Im Rahmen seiner Verhöre wurden ihm auch Angaben aus seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgehalten (KURDWATCH, Meldung vom 29.08.2010). Gegen Herrn K. wurde Anklage wegen „Verbreitung falscher Informationen im Ausland“ gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches vor dem Militärgericht erhoben. Allerdings, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt lässt das unerwähnt, war Gegenstand des geheimdienstlichen Verhörs auch die Teilnahme des Verhafteten an einer Kundgebung gegen das Rückübernahmeabkommen zwischen Deutschland und der Arabischen Republik Syrien. Nach Angaben des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien hat der Rechtsanwalt des Herrn K. mitgeteilt, dass sich die nachfolgende Anklage auf den Vorwurf gestützt habe, Herr K. habe in Deutschland an dieser Kundgebung teilgenommen. Ein Monitoring durch den Verbindungsbeamten (der Deutschen Botschaft) bestätigte, dass Herr K. der Aussage seines Anwaltes entsprechend wegen der Teilnahme an einer Kundgebung in Deutschland verurteilt wurde (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded Group und aktuelle Situation, April 2011, S. 11 f.).

– Der syrische Kurde A. al-K. H. wurde im August 2010 aus Norwegen abgeschoben und bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Damaskus festgenommen. Hier tritt hinzu, dass es sich bei Herrn A. al-K. H. um den stellvertretenden Direktor des Vereins syrischer Kurden in Norwegen handelte, einer Nichtregierungsorganisation, die auf die Situation der kurdischen Minderheit in Syrien aufmerksam macht. Er war zwei Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt beim Geheimdienst in Damaskus inhaftiert. Berichten zufolge soll er bei der Haftentlassung aufgefordert worden sein, sich beim Geheimdienst in Aleppo zu melden, was ihn zur Flucht aus Syrien veranlasste.

– Nach einem von KURDWATCH dokumentierten Fall hatte die Ausländerbehörde Essen am 27. Juli 2010 eine sechsköpfige (kurdische) Familie nach Damaskus abschieben lassen. H. H. und K. H. wurden bei der Ankunft am Flughafen Damaskus von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. In diesem Fall kommt hinzu, dass die beiden festgenommen wurden, weil sie in Deutschland straffällig geworden waren. Der Aussage des H. H. zufolge wurde er an drei unterschiedlichen Orten festgehalten. Begründet wurde seine Festnahme damit, dass er in Deutschland wegen Diebstahls verurteilt worden sei und diese Strafe noch in Syrien ableisten müsse. Tatsächlich, so H. H., sei die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Darüber hinaus sei ihm, ebenfalls unter Verweis auf seine aus Deutschland stammenden Akten, zu Unrecht Drogenabhängigkeit vorgeworfen worden.

– Der staatenlose Kurde D. A. wurde nach seiner Abschiebung aus Dänemark am 15. November 2010 auf dem Flughafen Damaskus verhaftet. Herr A. war in Dänemark politisch aktiv.

– Mitglieder des Direktorats für politische Sicherheit in Syrien hatten am 4. Dezember 2010 Herrn D. Y. M. vorgeladen und festgenommen. Nach seiner Abschiebung aus Zypern im Juni 2010 hatte er am Flughafen Damaskus seinen Pass abgeben müssen. Es folgten mehrere Verhöre durch verschiedene Geheimdienste. In diesem Fall tritt hervor, dass der Betroffene in Zypern gemeinsam mit anderen kurdischen Flüchtlingen gegen seine Abschiebung demonstriert und an einem mehrtätigen Hungerstreik teilgenommen hatte.

– Die Ausländerbehörde Hildesheim hatte am 1. Februar 2011 die registrierten Staatenlosen B. N. und seinen Sohn A. N. nach Syrien abschieben lassen. Beide wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Damaskus festgenommen und der Auswanderungs- und Passbehörde überstellt. Herrn A. N. wurde vorgeworfen, unrichtige Angaben zu seinem Alter gemacht zu haben. Er wurde bei der Auswanderungs- und Passbehörde festgehalten, wo er auf eine Identitätsbescheinigung aus Al-Hassake warten musste. Sein Vater, Herr B. N, wurde zunächst dem Direktorat für politische Sicherheit vorgeführt und dort verhört. Er wurde am 13. Februar 2011, sein Sohn am 3. März 2011 freigelassen. Unabhängig davon, dass es sich bei den Betroffenen um registrierte Staatenlose handelte, tritt hier die Problematik der Identitätsfeststellung in den Vordergrund.

– Am 8. Februar 2011 wurde Herr A. A. von Dänemark über Wien nach Syrien abgeschoben. Obgleich dem Königreich Dänemark zuvor die Rücknahme des Herrn A. zugesichert worden war, erhielt er am Flughafen Damaskus die Information, er könne nicht einreisen, da es sich bei ihm nicht um einen syrischen Staatsangehörigen handele. Entweder, er verlasse das Land oder er werde inhaftiert, bis seine Identität geklärt sei. Die drei dänischen Beamten, die Herrn A. begleiteten, hielten daraufhin Rücksprache mit der dänischen Botschaft und erhielten die Anweisung, noch am selben Tag mit Herrn A. nach Kopenhagen zurückzufliegen. In diesem Moment wurde Herr A. von einem Geheimdienstmitarbeiter erkannt, der einen Beitrag des kurdischen Senders Roj-TV gesehen hatte, in dem der Kurde im September 2010 als Sprecher von Hungerstreikenden aufgetreten war. Der Geheimdienstmitarbeiter nahm Herrn A. mit in sein Büro und warf ihm vor, im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. Herr A. leugnete das und behauptete, es handele sich bei ihm um eine andere Person, es sei doch gerade festgestellt worden, dass er kein syrischer Staatangehöriger sei. Daraufhin, so Herr A. gegenüber KURDWATCH, sei er von dem Geheimdienstmitarbeiter massiv mit Kabeln auf den Rücken geschlagen und gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, dass er nicht wieder nach Syrien einreisen werde. Schließlich wurde er entlassen und flog noch am selben Tag mit den dänischen Beamten nach Kopenhagen zurück. Es ist auch in diesem Fall ohne Weiteres erkennbar, dass Anlass für die angebliche Misshandlung nicht (allein) ein Asylantrag des abgeschobenen Syrers war.

– Im Fall des Herrn K. H., der im Zuge seiner Abschiebung aus Deutschland am 13. April 2011 am Flughafen Damaskus festgenommen wurde, ergab sich das Interesse des syrischen militärischen Nachrichtendienstes an der Person des Abgeschobenen aus dessen exilpolitischen Aktivitäten, zu denen er im Verlauf einer einwöchigen Haft verhört wurde.

In die gleiche Richtung weisen auch zwei Fallbeispiele der kanadischen Immigrations- und Flüchtlingsbehörde im Zusammenhang mit der Behandlung von abgelehnten Asylbewerbern. So soll ein syrischer Mann, der in Australien ohne Erfolg Asyl beantragt hatte, bei seiner Rückkehr im August 2015 von syrischen Regierungsbeamten am Flughafen Damaskus „ausgesondert“ worden sein, „weil er von Al-Harra in der Provinz Daraa stammte. … Den Berichten zufolge beschuldigten ihn syrische Beamte, ein ´Finanzier der Revolution´ zu sein, als sie Bargeld bei ihm fanden, das ihm von der australischen Regierung für seine Rückkehr gegeben worden war; sie ´folterten´ ihn 20 Tage lang, dazu gehörten Schläge in das Gesicht, auf den Rücken und die Brust …“. Des Weiteren verweist die kanadische Behörde auf eine Stellungnahme von Human Rights Watch vom November 2013. Danach sollen laut dem UNHCR etwa 35 Palästinenser aus Syrien, die während des syrischen Konflikts nach Ägypten geflohen waren, nach Syrien zurückgeschickt worden sein; einige wurden bei Ankunft am Flughafen festgenommen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6).

b) Es gibt keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die Eingriffsschwelle der syrischen Stellen bei künftigen Abschiebungen wesentlich niedriger wäre und sie Rückkehrer unabhängig von signifikanten gefahrerhöhenden Merkmalen oder Umständen allein wegen der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland in flüchtlingsrechtlich relevanter Weise verfolgen.

Insoweit führt die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht weiter, der syrische Staat sei infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den längeren Aufenthalt im Ausland zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen nehme. Dabei ist nicht nachvollziehbar belegt, dass die syrischen Sicherheitskräfte nunmehr - anders als bis zum Abschiebestopp im Jahr 2011 - allein die Asylantragstellung in Deutschland als Hinweis auf eine oppositionelle Haltung betrachten würden. Solches ergibt sich auch nicht aus dem Verweis des Verwaltungsgerichts auf eine Zuspitzung der Situation in Syrien und einen Überlebenskampf des Assad-Regimes. Eine derartige Zuspitzung ist schon mit Blick auf die allgemein bekannte Tatsache zweifelhaft, dass sich die militärische Lage aufgrund der seit dem 30. September 2015 massiven militärischen Unterstützung durch die Russische Föderation zugunsten des syrischen Staates, wenn auch nicht entspannt, so doch jedenfalls verbessert hat. Unabhängig davon ließe sich eine Zuspitzung der Situation in Syrien auch dahin interpretieren, dass die syrischen Machthaber zunehmend auf den Zuspruch des ihnen zugeneigten Teils der Bevölkerung angewiesen sind und aus diesem Grund Verfolgungsmaßnahmen im Grundsatz nicht auf einem derart niedrigen Verdachtsniveau ansetzen wie vom Verwaltungsgericht angenommen.

Gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts spricht im Übrigen auch, dass laut Schätzungen der Vereinten Nationen und der Regierungen der Länder, die Flüchtlinge aufgenommen haben, jedes Jahr Hunderttausende von Flüchtlingen nach Syrien reisen; meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsausschuss von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016; SYR105361.E, S. 2 unter Verweis auf den Norwegischen Flüchtlingsrat und des Internationale Rettungskomitee). Eine solch umfangreiche Reisetätigkeit zeigt, dass die in den benachbarten Ländern lebenden syrischen Flüchtlinge trotz des (extrem) repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgehen, im Rahmen der auch an den übrigen Grenzübergängen zu Syrien strengen Grenzkontrollen (vgl. dazu Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f) keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, erfolglose Asylbewerber aus dem westlichen Ausland würden - im Gegensatz zu den in die Anrainerstaaten Syriens Geflüchteten - deshalb (unterschiedslos) als Oppositionelle betrachtet, weil die syrische Regierung eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land für den Ursprung des Bürgerkriegs verantwortlich mache, ist eine bloße Vermutung, die sich angesichts der hohen Zahl in das westliche Ausland geflüchteter Syrer auch nicht nachvollziehbar aus dem Charakter des syrischen Staates ableiten lässt.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn der Deutschen Botschaft Beirut einerseits keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten, ihr aber andererseits Fälle bekannt sind, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden sind oder dauerhaft verschwunden sind und das jedoch überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst steht. Ebenso ist der Hinweis der Botschaft plausibel, das entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3.2.2016).

Diese Auskunft erhält dadurch besonderes Gewicht, dass der UNHCR in seinen „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (4. aktualisierte Fassung November 2015) davon ausgeht, im Rahmen einer Einzelfallprüfung benötigten syrische Asylbewerber wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie einem oder mehreren der in den Erwägungen angeführten Risikoprofile zuzuordnen seien. Unter ein solches Risikoprofil sollen nach dem Inhalt der Erwägungen etwa Personen fallen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen. Der UNHCR führt dazu verschiedene Beispiele an wie etwa Wehrdienstverweigerer, Aufständische oder Aktivisten. Personen, die im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt haben, werden demgegenüber nicht genannt. Dabei handelt es sich ersichtlich nicht um eine Nachlässigkeit, denn der UNHCR betrachtet die von ihm erstellten Risikoprofile als Grundlage für eine „Einzelfallprüfung“. Eine solche wäre aber, wie auch die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts deutlich macht, nicht erforderlich, wenn bereits die Asylantragstellung genügte, einen Asylbewerber dem Risikoprofil „Oppositioneller“ zuzuschlagen.

c) Der Länderbericht des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten für das Jahr 2014, den die kanadische Immigrations- und Flüchtlingsbehörde zitiert (s.o. Nr. 2.2.2.2 a)), rechtfertigt keine andere Bewertung. Zwar sollen danach Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl beantragt haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt sein. Allerdings ist dem Bericht in diesem Zusammenhang auch zu entnehmen, dass die Strafverfolgung nur für solche Personen vorgesehen ist, die in einem anderen Land Zuflucht suchen, um sich der Strafe in Syrien zu entziehen. Ebenso wenig führt hier die Feststellung des amerikanischen Auswärtigen Amts weiter, das Regime nehme routinemäßig nach Jahren oder sogar Jahrzehnten zurückkehrende Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest. Der Kläger zählt nicht zu diesem Personenkreis; er ist kein Dissident und besitzt nach wie vor die syrische Staatsbürgerschaft.

d) Der vom Verwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass die syrischen Geheimdienste die im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen (angeblich) umfassend beobachten, trägt zur Beurteilung nichts Wesentliches bei. Er bestätigt den repressiven Charakter des syrischen Staates, hat aber für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung vor dem Hintergrund der übrigen Erkenntnisse kein besonderes Gewicht.

2.2.3 Es kann dahinstehen, ob eine nach syrischem Recht illegale Ausreise im Falle einer Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte auslöst. Der Kläger hat Syrien nicht illegal verlassen. Er hat seinem Vorbringen in der Berufungsverhandlung zufolge in Syrien ein Visum erhalten, das ihn berechtigte, vom Libanon aus in die Türkei zu reisen. Sodann ist er mit einem Personenkraftwagen über einen (regulären) Grenzübergang von Syrien in den Libanon eingereist.

Der angebliche Verlust des Reisepasses während der Überfahrt nach Griechenland rechtfertigt nicht die Annahme, dass im Falle einer Rückkehr des Klägers die legale Ausreise nicht nachweisbar dokumentiert ist. Die syrischen Behörden erfassen im Rahmen der Grenzkontrolle die Ausreisedaten in ihrem elektronischen Datensystem, wo sie bei der Einreise abgerufen werden können (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016 SYR105361.E, S. 8 unter Verweis auf eine telefonische Befragung des Vorstands des „Syrischen Zentrums für Justiz und Rechenschaftspflicht“ am 14.12.2015). In Anbetracht der umfassenden syrischen Grenzkontrollen ist zur Überzeugung des Senats die Einlassung des Klägers nicht glaubhaft, dass er bei der Einreise in den Libanon nur von den libanesischen Grenzbeamten kontrolliert worden sei. Die Erkenntnisquellen gehen übereinstimmend von strengen syrischen Grenzkontrollen aus. So muss insbesondere an den Grenzübergangsstellen der Landesgrenzen vom Libanon und von Syrien die Person aus dem Auto steigen und zum Einwanderungsbüro (immigration office) gehen. Dort nimmt der Beamte die Dokumente des Einreisenden und führt am Computer eine Überprüfung durch (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 3).

2.2.4 Es ist zur Überzeugung des Senats auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger von seiten der syrischen Sicherheitskräfte bei der Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle deshalb in Anknüpfung an eine ihm (unterstellte) oppositionelle Gesinnung eine menschenrechtswidrige Behandlung droht, weil der Kläger in einem Alter ist (19 Jahre), das ihn im Grundsatz der Militärdienstpflichtigkeit unterwirft. Der Kläger ist gemäß dem Eintrag in seinem Militärdienstbuch nach der „Einziger-Sohn-Regelung“ endgültig vom Militärdienst befreit, weil er der einzige Sohn der Familie ist und seine Mutter nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung älter als 50 Jahre alt ist. Nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wird diese „Einziger-Sohn-Regelung“ von den syrischen staatlichen Stellen im Wesentlichen beachtet.

2.2.4.1 Das System der allgemeinen Wehrpflicht beruht auf folgenden Grundsätzen: In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren. Männer, die 18 Jahre alt werden, müssen sich zur Generalrekrutierungsstelle begeben (Befragung, Foto, Bluttest). Danach wird ihnen ein Militärdienstbuch ausgehändigt. Bei Beginn des Militärdienstes müssen bei der Generalrekrutierungsstelle die zivilen Ausweise und das Militärdienstbuch abgegeben werden und der Betreffende erhält umgehend den Militärdienstausweis bevor er zu seiner Einheit entsandt wird. Wenn der Dienst absolviert ist, bekommt man „Entlassungspapiere“, die man bei der Generalrekrutierungsstelle abgibt und erhält den zivilen Ausweis und das Militärbuch - versehen mit dem Stempel, dass der Militärdienst geleistet und die Person entlassen wurde (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 13. 8.2014, SYR104921.E, S.5).

Im August 2014 erließ Präsident Assad die Gesetzesverordnung Nr. 33, die einige Artikel der Verordnung Nr. 30 aus dem Jahr 2007 zum obligatorischen Militärdienst ersetzt. Dabei wurde unter anderem die Regel angepasst, dass der einzige Sohn der Familie vom Militärdienst befreit werden kann (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 5 f.). Die Freistellung wird im „Militärbüchlein“ festgehalten. Bis die Mutter 50 Jahre alt ist, muss die Freistellung jährlich neu beantragt werden. Danach gilt die Freistellung für immer (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR104921.E vom 13.8.2014, S. 2 f).

Dementsprechend ist in dem vom Kläger dem Bundesamt vorgelegten Militärdienstbuch auf Seite 10 unter Bezugnahme auf die gesetzliche Regelung vermerkt, dass der Antragsteller keinen Militärdienst leisten muss (vgl. Anhörungsniederschrift vom 1.6.2016, Bl. 69 der Bundesamtsakte).

2.2.4.2 Der Senat ist davon überzeugt, dass diese Freistellung vom Militärdienst von den syrischen staatlichen Stellen auch vor dem Hintergrund des Charakters des um seine Existenz kämpfenden Staates (s.o. 2.2.1) im Wesentlichen beachtet wird. Diese Beurteilung beruht insbesondere auf Folgendem:

„Seit Herbst 2014 ergriff das syrische Regime verschiedene Maßnahmen, um die durch Desertion und Verluste dezimierte syrische Armee zu stärken. Seither kommt es zu großflächiger Mobilisierung von Reservisten, Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bis dahin dem Militärdienst entzogen haben. Zudem ergriff das syrische Regime neue Maßnahmen, um gegen Desertion und Wehrdienstentziehung anzukämpfen“ (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 2f. unter Verweis auf Washington Post, Desperate for soldiers, Assad´s government imposes harsh recruitment measures, 28.12.2014). „Zusätzlich zur Mobilisierung der Reservisten intensivierte das Regime die Suche nach … jungen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen haben. Es wurden mobile Checkpoints errichtet und die Sicherheitsdienste führten anhand von Listen, die auch an Checkpoints und an der Grenze genutzt werden, Razzien durch. … Bereits in den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 dokumentiert das Syrian Network for Human Rights über 5.400 Verhaftungen von wehrdienstpflichtigen jungen Männern (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 3 unter Verweis auf Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG, 26.2.2015, S.10).

„Im Herbst 2014 erließ das Regime verschiedene Maßnahmen, um die Ausreise wehrdienstpflichtiger Männer zu verhindern. Bereits seit dem Ausbruch des Krieges verlangen die syrischen Behörden bei der Ausreise von Männern, die zwischen 18 und 42 Jahre alt sind, eine offizielle Beglaubigung des Militärs, dass sie vom Dienst freigestellt sind“ (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 4 unter Verweis auf Institute for the Study of War, The Assad Regime Under Stress: Conscription and Protest among Alawite and Minority Populations in Syria, 15.12.2014).

„Quellen geben an, dass die Sicherheitskontrollen, die von Grenzbeamten am internationalen Flughafen von Damaskus und anderen Eingangshäfen durchgeführt werden, beinhalten zu überprüfen, ob der Rückkehrer seinen Wehrdienst abgeleistet hat. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 19.1.2016, SYR105361.E, S. 8f. m.w.N.).

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe beruft sich schließlich in einer Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20. Oktober 2015 zu Syrien: „Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“ auf den Bericht des Dänischen Einwanderungsdienstes (Danish Immigration Service), der im September 2015 eine nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes verlässliche Studie zum Militärdienst veröffentlicht hat (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2016). Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass prinzipiell die Freistellung als Einzelsohn noch gilt. Verschiedene Quellen weisen jedoch darauf hin, dass die Umsetzung „nicht immer“ gewährleistet ist. Insgesamt betrachtet ergibt sich das Bild, das die Freistellung als „einziger Sohn“ zwar je nach Situation willkürlich gehandhabt wird, sie aber im Prinzip umgesetzt wird. (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1 und 3f.).

2.2.4.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem endgültig vom Militärdienst freigestellten Kläger bei der Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von seiten der staatlichen Sicherheitskräfte in Anknüpfung an eine ihm (unterstellte) oppositionelle Gesinnung Verfolgung droht.

Das erklärte Ziel des syrischen Regimes ist unter Fortbestehen der Machtarchitektur die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik. Diesen Kriegszielen hat das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele untergeordnet - und zu ihrer Verteidigung hat es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen, sondern auch massive eigene Verluste (s.o. 2.2.1, Gerlach, „Was in Syrien geschieht - Essay“ v. 19. 2.2016). Die erheblichen Verluste auf Seiten des syrischen Militärs führten dazu, dass im Verlaufe des Krieges die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten erheblich intensiviert wurden. Dabei sind bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen hatten, auch Fälle von Folter dokumentiert worden. Die Ausreise von militärdienstpflichtigen Personen wurde durch verschiedene Maßnahmen (z.B. Ausreiseerlaubnis) erschwert.

Insoweit wird deutlich, dass das Interesse des syrischen Regimes an einer jederzeit möglichen Einberufung seiner militärdienstpflichtigen Staatsbürger zur Weiterverfolgung seiner Kriegsziele und damit letztlich für die Wiederherstellung und den Erhalt seiner Macht von entscheidender Bedeutung ist. Im Zusammenwirken mit dem Charakter des bedingungslos zur Erreichung seiner Ziele agierenden syrischen Regimes unter weitverbreitetem Einsatz von menschenrechtswidrigen Mitteln, wie insbesondere Folter, ist davon auszugehen, dass das syrische Regime Personen, die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, regelmäßig eine illoyale, politisch oppositionelle Haltung unterstellt. Denn diese Personen haben sich trotz des das Regime in seiner Existenz bedrohenden Krieges nicht für einen Militäreinsatz bereitgehalten und so aus der Sicht der Machthaber ein Verhalten gezeigt, das dessen drängenden militärischen Bedürfnissen zuwiderläuft (vgl. zu einem Reservisten: Urteil des Senats vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30372 - juris).

Dieser Personengruppe (Wehrpflichtiger, Reservist), die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, gehört der Kläger aber weder an, noch besteht Anlass zu der Annahme, dass ihn die syrischen Behörden bei Rückkehr entsprechend einem Militärdienstverweigerer behandeln und ihm dementsprechend eine oppositionelle Gesinnung unterstellen.

Das syrische Regime hat zwar zur Stärkung seiner Armee seine Maßnahmen gegen wehrdienstpflichtige Männer verschärft, der Kläger ist jedoch aufgrund seiner Freistellung, die im Militärbuch dokumentiert ist, nicht wehrdienstpflichtig und wegen der weiterhin geltenden und auch in die Praxis umgesetzten „Einziger-Sohn-Regelung“ damit aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte zur Verwirklichung der Kriegsziele durch Militäreinsatz nicht geeignet. Er war aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte nicht verpflichtet, sich für einen möglichen Militär- und Kriegseinsatz im Inland zur Verfügung zu halten, so dass bei seiner Rückkehr im Rahmen der obligatorischen Einreisekontrollen am Flughafen Damaskus oder einer anderen staatlichen Kontrollstelle die syrischen Sicherheitskräfte keinen Anknüpfungspunkt dafür haben, dem Kläger eine oppositionelle Gesinnung wegen seiner Flucht ins Ausland, um einen Militäreinsatz zu vermeiden, zu unterstellen.

Den vereinzelt angegebenen Fällen, dass vom Militärdienst freigestellten Einzelsöhnen an Checkpoints vermehrt die Einziehung angedroht worden sei, um Bestechungsgelder zu erpressen, bzw. es in Syrien grundsätzlich keine Garantie gebe, dass Gesetze respektiert würden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 4), kann eine Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Persönlichkeitsmerkmale nicht entnommen werden.

Darin fügt sich ein, dass der Kläger bei seiner Anhörung durch das Bundesamt auf die Frage, was er bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte, antwortete: „Es passiert nichts.“

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 1, § 711 ZPO.

5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2016 - 21 B 16.30371

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2016 - 21 B 16.30371

Referenzen - Gesetze

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2016 - 21 B 16.30371 zitiert 15 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 77 Entscheidung des Gerichts


(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

Zivilprozessordnung - ZPO | § 711 Abwendungsbefugnis


In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt e

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 16a


(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. (2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3a Verfolgungshandlungen


(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3b Verfolgungsgründe


(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen: 1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;2. der Begrif

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3c Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann


Die Verfolgung kann ausgehen von 1. dem Staat,2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließl

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 28 Nachfluchttatbestände


(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2016 - 21 B 16.30371 zitiert oder wird zitiert von 22 Urteil(en).

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2016 - 21 B 16.30371 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2016 - 21 B 16.30372

bei uns veröffentlicht am 12.12.2016

Tenor I. Die Berufung wird zurückgewiesen. II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 18. Juli 2012 - 3 L 147/12

bei uns veröffentlicht am 18.07.2012

Tatbestand 1 Der 1979 in A./Syrien geborene Kläger ist nach eigenen Angaben syrischer Staatsangehöriger, muslimischen Glaubens und kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach seinen Schilderungen reiste er am 30. November 2010 aus der Türkei kommend a
20 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2016 - 21 B 16.30371.

Verwaltungsgericht Augsburg Gerichtsbescheid, 12. Nov. 2018 - Au 4 K 18.31113

bei uns veröffentlicht am 12.11.2018

Tenor I. Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern zu 2 und zu 3 die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid vom 30.05.2018 (Gesch.-Z. 7399352-475) wird in Ziffer 2 aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Im Übrigen wird

Verwaltungsgericht Ansbach Urteil, 16. Nov. 2017 - AN 15 K 16.31749

bei uns veröffentlicht am 16.11.2017

Tenor 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Tatbestand Der Kläger, geboren am … 1980, ist syrischer Staatsangehöriger

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 13. Nov. 2017 - 21 ZB 17.31601

bei uns veröffentlicht am 13.11.2017

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilf

Verwaltungsgericht München Urteil, 22. Feb. 2017 - M 19 K 16.34473

bei uns veröffentlicht am 22.02.2017

Tenor I. Die Beklagte wird unter Aufhebung von Nr. 2 des Bescheids vom 16. November 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen. II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. III.

Referenzen

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Satz 1 findet insbesondere keine Anwendung, wenn der Ausländer sich auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte.

(1a) Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.

(2) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag und stützt diesen auf Umstände, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat, kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Tatbestand

1

Der 1979 in A./Syrien geborene Kläger ist nach eigenen Angaben syrischer Staatsangehöriger, muslimischen Glaubens und kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach seinen Schilderungen reiste er am 30. November 2010 aus der Türkei kommend auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein.

2

Am 14. Januar 2011 wurde der Kläger vom Bundesamt zu seinem Asylbegehren angehört. Zur Begründung gab er an: Er sei ungefähr von 2001 bis 2007 inhaftiert gewesen. Aufgrund einer Bürgschaft sei er freigelassen worden. Er sei Sympathisant der Kurdischen Volksunion gewesen. Im Rahmen der Vorbereitung des Newroz-Festes am 21. März 2010 habe man sich versammelt. Daraus sei eine Demonstration entstanden. Irgendwann habe man begonnen, Leute zu verhaften. Er sei geflüchtet und habe sich bei seinem Cousin versteckt. Er habe dann erfahren, dass sein Bruder verhaftet worden sei. Es sei ihm klar geworden, dass dies erfolgt sei, weil man in Wirklichkeit seiner habhaft werden wollte. Er habe sich sechs Monate bei seinem Cousin versteckt und dann seine Ausreise organisieren lassen.

3

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 23. März 2011 ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen eines Monats nach Rechtskraft der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls würde er nach Syrien abgeschoben. Der Kläger könnte auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei. Zur Begründung ist ausgeführt, der Kläger könnte kein Asyl beanspruchen, weil davon auszugehen sei, dass er auf dem Landweg über einen sicheren Drittstaat eingereist sei. Der Kläger hätte ein individuelles Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft gemacht. Auch die illegale Ausreise bzw. die Asylantragstellung im Ausland führe nicht zu einer politischen Verfolgung. Mangels einer politischen Verfolgung könne er daher nicht die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen. Auch Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.

4

Am 5. April 2011 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben. Zur Begründung berief er sich auf die aktuelle politische Situation in Syrien. Ferner sei bei ihm im Jahr 2011 eine kryptogene Epilepsie und der Verdacht auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung festgestellt worden.

5

Der Kläger hat beantragt,

6

unter Aufhebung des Bescheides vom 23. März 2011 festzustellen, dass für ihn die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

7

Die Beklagte hat beantragt,

8

die Klage abzuweisen.

9

Mit Gerichtsbescheid vom 23. April 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 23. März 2011 verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG für den Kläger vorliegen.

10

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, dass das Verwaltungsgericht für seine tragende Argumentation hinsichtlich der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft keine Referenzfälle benannt habe. Sie hat sich im Verlauf des Berufungsverfahrens verpflichtet festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG im Hinblick auf den Kläger vorliegt.

11

Die Beklagte beantragt,

12

die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 23. April 2012 abzuweisen.

13

Der Kläger beantragt,

14

die Berufung zurückzuweisen.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten sowie auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten und auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einen Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person die Voraussetzungen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

17

Maßgeblich für die Beurteilung, ob dem Kläger der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen ist, sind § 3 Abs. 1 und 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.11.2011, BGBl. I S. 2258) sowie § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162, zuletzt geändert durch Gesetz vom 01.06.2012, BGBl. I S. 1224).

18

Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.

19

Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, Art. 4 Abs. 4 und Art. 7 bis 10 derRichtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie, nachfolgend QRL) des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 304 S. 12) ergänzend anzuwenden. Wie nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist auch unionsrechtlich eine Verfolgungshandlung für die Flüchtlingsanerkennung nur dann von Bedeutung, wenn sie an einen der in Art. 10 QRL genannten Verfolgungsgründe anknüpft (Art. 9 Abs. 3 QRL). Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Art. 6 QRL genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (Art. 10 Abs. 1 lit. e QRL). Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe reicht es aus, wenn diese Merkmale dem Antragsteller von seinem Verfolger lediglich zugeschrieben werden (Art. 10 Abs. 2 QRL). Die Qualifikationsrichtlinie hat sich insofern an dem aus dem angloamerikanischen Rechtsraum bekannten Auslegungsprinzip der „imputed political opinion“ orientiert, wonach es ausreicht, dass ein Verfolger seine Maßnahmen deshalb gegen den Antragsteller richtet, weil er davon ausgeht, dass dieser eine abweichende politische Überzeugung vertritt (vgl. Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 15 Rdnr. 26; Nachweise aus der Rechtsprechung bei UNHCR, „Auslegung von Artikel 1 des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“, 2001, Fußnote 54 zu Rdnr. 25). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylgrundrecht des Art. 16a GG kann eine politische Verfolgung dann vorliegen, wenn staatliche Maßnahmen gegen - an sich unpolitische - Personen ergriffen werden, weil sie dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet werden, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Dienen diese Maßnahmen der Ausforschung der Verhältnisse des Dritten, so kann ihnen die Asylerheblichkeit nicht von vornherein mit dem Argument abgesprochen werden, sie seien nicht gegen die politische Überzeugung des Betroffenen gerichtet (BVerfG, Beschl. v. 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, juris).

20

Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 QRL Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (lit. a) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter lit. a) beschriebenen Weise betroffen ist (lit. b).

21

Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird, Art. 4 Abs. 4 QRL. Art. 4 Abs. 4 QRL ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht. Die Qualifikationsrichtlinie modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 QRL erlitten hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51; EuGH, Urteil v. 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505). Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ des Art. 2 lit. e QRL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Urt. v. 28.02.2008 - Nr. 37201/06 -, NVwZ 2008, 1330); dies entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010, a. a. O).Art. 4 Abs. 4 QRL privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urt. v. 02.03.2010, a. a. O.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010, a. a. O.).

22

Nach der Überzeugung des Senates ist der Kläger nicht im oben dargestellten Sinne vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Der die Flüchtlingsanerkennung Begehrende hat aufgrund seiner Mitwirkungspflicht seine Gründe für eine politische Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - bei verständiger Würdigung die drohende Verfolgung ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701). Daher hat sich das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit - des vom Schutzsuchenden behaupteten Sachverhalts zu verschaffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658). Für diese Überzeugungsbildung ist wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich ein Schutzsuchender bezüglich der Vorgänge in seinem Heimatland regelmäßig befindet, nicht die volle Beweiserhebung notwendig, sondern die Glaubhaftmachung ausreichend.

23

Der Kläger hat keine Vorverfolgung glaubhaft gemacht, da er unter Berücksichtigung und Würdigung seines gesamten Vorbringens bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt und dem erkennenden Senat keinen zusammenhängenden, in sich schlüssigen, im Wesentlichen widerspruchsfrei geschilderten Sachverhalt vorgetragen hat. Der Kläger hat bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt als wesentliches fluchtauslösendes Motiv die Verhaftung seines Bruders geschildert, aus der er den Schluss gezogen haben will, dass der syrische Staat auch seiner Person habhaft werden wolle. Diesen Umstand hat der Kläger bei der Anhörung in der mündlichen Verhandlung zu den Gründen seiner Ausreise nicht mehr erwähnt. Vielmehr hat er nunmehr bei seiner Anhörung vor dem Senat als maßgeblich ausgeführt, dass er aufgrund des Umstandes, dass er bei der anlässlich des Newroz-Festes durchgeführten Versammlung fotografiert worden sei, sich zur Ausreise entschlossen habe. Die Leute, die dort festgenommen worden seien, seien auch nach Jahren nicht mehr zurückgekehrt. Er habe befürchtet, dass ihm Gleiches widerfahre. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hatte er eine mögliche Gefährdung wegen der Fertigung von Bildaufnahmen der Demonstration nicht erwähnt.

24

Unabhängig von einer Vorverfolgung muss aufgrund der aktuellen Situation in Syrien jedoch davon ausgegangen werden, dass der Kläger aus beachtlichen Nachfluchtgründen von Verfolgung im vorgenannten Sinne bedroht ist. Der Kläger ist wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und seinem mehrjährigen Aufenthalt im Ausland von einer Verfolgung bedroht, wobei hinsichtlich der Personen, die die genannten Merkmale erfüllen, von einer drohenden „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ auszugehen ist. Der Senat geht davon aus, dass diese Handlungen ungeachtet einer oppositionellen Haltung des Einzelnen bei Vorliegen der zuvor genannten Kriterien vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst werden und der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an seine tatsächliche oder jedenfalls vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hat.

25

Die Vielfalt möglicher Verfolgungsgefährdungen verbietet es, die Zugehörigkeit zu einer gefährdeten Gruppe unberücksichtigt zu lassen, weil die Gefährdung unterhalb der Schwelle der Gruppenverfolgung liegt. Denn die Gefahr politischer Verfolgung, die sich für jemanden daraus ergibt, dass Dritte wegen eines Merkmals verfolgt werden, das auch er aufweist, kann von verschiedener Art sein: Der Verfolger kann von individuellen Merkmalen gänzlich absehen, seine Verfolgung vielmehr ausschließlich gegen die durch das gemeinsame Merkmal gekennzeichnete Gruppe als solche und damit grundsätzlich gegen alle Gruppenmitglieder betreiben. Dann handelt es sich um eine in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 m. w. N.) als Gruppenverfolgung bezeichnetes Verfolgungsgeschehen. Das Merkmal, das seinen Träger als Angehörigen einer missliebigen Gruppe ausweist, kann für den Verfolger aber auch nur ein Element in seinem Feindbild darstellen, das die Verfolgung erst bei Hinzutreten weiterer Umstände auslöst. Das vom Verfolgungsstaat zum Anlass für eine Verfolgung genommene Merkmal ist dann ein mehr oder minder deutlich im Vordergrund stehender, die Verfolgungsbetroffenheit des Opfers mitprägender Umstand, der für sich allein noch nicht die Annahme politischer Verfolgung jedes einzelnen Merkmalsträgers rechtfertigt, wohl aber bestimmter unter ihnen, etwa solcher, die durch weitere Besonderheiten in den Augen des Verfolgerstaates zusätzlich belastet sind. Löst die Zugehörigkeit zum Kreis der Vertreter einer bestimmten politischen Richtung, wie hier, nicht bei jedem Gruppenangehörigen unterschiedslos und ungeachtet sonstiger individueller Besonderheiten, sondern nur nach Maßgabe weiterer individueller Eigentümlichkeiten die Verfolgung des Einzelnen aus, so kann hiernach eine „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ vorliegen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.02.1996 - 9 B 14.96 -, DVBl 1996, 623 m. w. N.).

26

Die Verfolgungsgefahr ist auch nicht unbeachtlich, weil sie (auch) auf dem eigenen Nachfluchtverhalten des Klägers beruht. Nach § 28 Abs. 1a AsylVfG kann eine Bedrohung nach § 60 Abs. 1 AufenthG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 QRL, der mit § 28 Abs. 1a AsylVfG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylVfG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss eines Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urt. v. 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, NVwZ 2009, 730).

27

Die dem Senat vorliegenden und ausgewerteten Erkenntnisse rechtfertigen den Schluss, dass für den Kläger aufgrund des Nachfluchtgeschehens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr nach Syrien besteht. Dieser Schluss rechtfertigt sich aus mehreren Gründen, nämlich der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, die umfassende Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, die Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 sowie dem Umgang der syrischen Behörden in Syrien insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.

28

Amnesty international (vgl. zum Nachfolgenden: Bericht „Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und der kurdische Informationsdienst KURDWATCH haben eine Reihe von Fällen dokumentiert, in denen seit 2009 abgelehnte syrische Asylbewerber nach ihrer Abschiebung (aus Deutschland und anderen europäischen Staaten) festgenommen und ohne Kontakt zur Außenwelt unter erheblicher Foltergefahr von den Geheimdiensten inhaftiert wurden.

29

Der syrische Kurde Berzani Karro wurde im Juni 2009 von den zypriotischen Behörden nach Syrien abgeschoben. Er hatte im Jahr 2006 in Zypern einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt wurde. Berzani Karro wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Damaskus festgenommen und vier Monate ohne Kontakt zur Außenwelt von den Geheimdiensten inhaftiert und offenbar misshandelt und gefoltert. Nach den Erkenntnissen von amnesty international war Karro bereits Anfang 2005 als Jugendlicher für zweieinhalb Monate u.a. in der Haftanstalt der „Palästinensischen Abteilung“ beim Militärischen Geheimdienst in Haft. Im März 2010 wurde Berzani Karro von einem Militärgericht zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Er wurde der „versuchten Abspaltung von syrischem Territorium und dessen Angliederung an einen anderen Staat“ für schuldig befunden.

30

Ein weiterer Fall ist der am 1. September 2009 von deutschen Behörden nach Syrien abgeschobene abgelehnte kurdische Asylbewerber Khalid Kandschu. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er bei der Vorsprache beim Geheimdienst festgenommen und drei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, verhört und eigenen Angaben zufolge gefoltert und misshandelt. Im Rahmen seiner Verhöre wurden ihm auch Angaben aus seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgehalten (KURDWATCH, Meldung vom 29.08.2010). Gegen Kandschu wurde Anklage wegen „Verbreitung falscher Informationen im Ausland“ gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches vor dem Militärgericht erhoben. Anfang 2010 wurde Kandschu vorläufig aus der Haft entlassen. Das Verfahren gegen ihn vor dem Militärgericht wurde fortgesetzt. Er wurde in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von vier Monaten sowie einer geringfügigen Geldbuße verurteilt. Im Juli 2010 konnte Kandschu wieder in die Bundesrepublik einreisen und wurde als Asylberechtigter anerkannt.

31

Amnesty international hat ferner den Fall des syrischen Kurden Abd al-Karim Hussein dokumentiert, der im August 2010 aus Norwegen abgeschoben wurde. Er wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Damaskus festgenommen. Abd al-Karim Hussein ist stellvertretender Direktor des Vereins syrischer Kurden in Norwegen, einer Nichtregierungsorganisation, die auf die Situation der kurdischen Minderheit in Syrien aufmerksam macht. Der an Diabetes erkrankte Hussein war zwei Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt beim Geheimdienst in Damaskus inhaftiert. Berichten zufolge soll er bei der Haftentlassung aufgefordert worden sein, sich beim Geheimdienst in Aleppo zu melden, was ihn zur Flucht aus Syrien veranlasst hat.

32

Nach einem weiteren von KURDWATCH dokumentierten Fall hatte die Ausländerbehörde Essen am 27. Juli 2010 eine sechsköpfige Familie nach Damaskus abschieben lassen. Hamza Hasan und Khalid Hasan wurden bei der Ankunft am Flughafen Damaskus von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. Von den Abgeschobenen sind drei - Hamza, Mariam und Imad Hasan - in Deutschland geboren. Ihre Eltern hatten in Deutschland Asyl beantragt und dabei eine falsche Identität angegeben. Ursprünglich hatten sie behauptet, aus dem Libanon zu stammen und erst später ihre syrische Staatsangehörigkeit offenbart. Anscheinend wurden Hamza und Khalid Hasan festgenommen, da sie in Deutschland straffällig geworden waren. Unklar blieb, wer die syrischen Sicherheitskräfte über ihre Straffälligkeit informiert hat. Am 24. August 2010 wurde Hamza Hasan aus der Haft in Damaskus entlassen worden. Hasans Aussagen zufolge wurde er an drei unterschiedlichen Orten festgehalten - von welchen Sicherheitsorganen war für den in der Bundesrepublik geborenen Kurden nicht ersichtlich. Begründet wurde seine Festnahme damit, dass er in Deutschland wegen Diebstahls verurteilt worden sei und diese Strafe noch in Syrien ableisten müsse. Tatsächlich, so Hasan, sei die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Darüber hinaus sei ihm, ebenfalls unter Verweis auf seine aus Deutschland stammenden Akten, zu Unrecht Drogenabhängigkeit vorgeworfen worden (KURDWATCH, Meldung vom 7. September 2010).

33

Nach seiner Abschiebung aus Dänemark wurde der staatenlose Kurde Amir Muhammad Dschan Ato am 15. November 2010 auf dem Flughafen Damaskus verhaftet. Ato war in Dänemark politisch aktiv (KURDWATCH, Meldung vom 21. November 2010).

34

Mitglieder des Direktorats für politische Sicherheit in Syrien hatten am 4. Dezember 2010 Dschuan Yusuf Muhammad vorgeladen und festgenommen. Nach seiner Abschiebung aus Zypern im Juni 2010 hatte er am Flughafen Damaskus seinen Pass abgeben müssen. Es folgten mehrere Verhöre durch verschiedene Geheimdienste. In Zypern hatte Muhammad gemeinsam mit anderen kurdischen Flüchtlingen gegen seine Abschiebung demonstriert und an einem mehrtätigen Hungerstreik teilgenommen (KURDWATCH, Meldung vom 17.12.2010)

35

Die Ausländerbehörde Hildesheim hatte am 1. Februar 2011 die registrierten Staatenlosen Badr Naso und seinen Sohn Anwar Naso nach Syrien abschieben lassen. Badr und Anwar Naso wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Damaskus festgenommen und der Auswanderungs- und Passbehörde überstellt. Anwar Naso wurde vorgeworfen, unrichtige Angaben zu seinem Alter gemacht zu haben. Er wurde bei der Auswanderungs- und Passbehörde festgehalten, wo er auf eine Identitätsbescheinigung aus Al-Hassake warten musste. Sein Vater wurde zunächst dem Direktorat für politische Sicherheit vorgeführt und dort verhört. Badr Naso wurde am 13. Februar 2011, sein Sohn am 3. März 2011 freigelassen (KURDWATCH, Meldungen vom 13.02.2011, 26.02.2011 und 15.03.2011).

36

Am 8. Februar 2011 wurde Annas Abdullah von Dänemark über Wien nach Syrien abgeschoben. Obgleich Dänemark zuvor die Rücknahme Abdullahs zugesichert worden war, erhielt er am Flughafen Damaskus die Information, er könne nicht einreisen, da es sich bei ihm nicht um einen syrischen Staatsangehörigen handele. Entweder, er verlasse das Land oder er werde inhaftiert, bis seine Identität geklärt sei. Die drei dänischen Beamten, die Abdullah begleiteten, hielten daraufhin Rücksprache mit der dänischen Botschaft und erhielten die Anweisung, noch am selben Tag mit Abdullah nach Kopenhagen zurückzufliegen. In diesem Moment wurde Abdullah von einem Geheimdienstmitarbeiter erkannt, der einen Beitrag des kurdischen Senders Roj-TV gesehen hatte, in dem der Kurde im September 2010 als Sprecher von Hungerstreikenden aufgetreten war. Der Geheimdienstmitarbeiter nahm Abdullah mit in sein Büro und warf ihm vor, im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. Abdullah leugnete dies und behauptete, es handele sich bei ihm um eine andere Person, es sei doch gerade festgestellt worden, dass er kein syrischer Staatangehöriger sei. Daraufhin, so Abdullah gegenüber KURDWATCH, sei er von dem Geheimdienstmitarbeiter massiv mit Kabeln auf den Rücken geschlagen und gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, dass er nicht wieder nach Syrien einreisen werde. Schließlich wurde er entlassen und flog noch am selben Tag mit den dänischen Beamten nach Kopenhagen zurück. In Dänemark angekommen informierte Abdullah die dänische Polizei über die erlittene Folter, die durch entsprechende Spuren auf seinem Rücken belegt sind (KURDWATCH, Meldung vom 29.03.2011).

37

Nach seiner Abschiebung nach Syrien wurde am 13. April 2011 Khalid Hamid Hamid am Flughafen Damaskus festgenommen. Er war am 12. April 2011 in Lebach festgenommen worden, als er bei der dortigen Ausländerbehörde seine Duldung verlängern lassen wollte. Hamid hatte im Jahr 2002 einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Am 20. April 2011 wurde er in Damaskus aus der Haft entlassen. Nach seiner Abschiebung aus Deutschland war er eine Woche lang im Gefängnis der Fara Filastin, einer Abteilung des Militärischen Nachrichtendienstes, festgehalten worden. Dort war er zu seinen exilpolitischen Aktivitäten und zu in Deutschland lebenden Syrern verhört und dabei mit einer als „al kursi al almani“ („deutscher Stuhl“) bezeichneten Methode gefoltert worden, bei der das Opfer auf einem beweglichen Stuhl fixiert wird, der die Wirbelsäule nach hinten biegt (KURDWATCH, Meldungen vom 14.04.2011 und 28.04.2011).

38

Ein weiteres gefahrbegründendes Moment besteht in dem Umstand, dass syrische Geheimdienste mit ihren Verbindungen zur syrischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland über ein Agentennetz verfügen, mit dem die im Ausland lebenden Syrerinnen und Syrer flächendeckend überwacht werden. Seit Beginn des „arabischen Frühlings“ hat sich nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes die Aktivität des syrischen Geheimdienstes in der Bundesrepublik Deutschland intensiviert. In der syrischen Botschaft in Berlin, die auch als Legalresidentur für Spionageaktivitäten fungiere, seien hauptamtlich abgetarnte Nachrichtendienstler beschäftigt, die ein Agentennetz in Deutschland führen. Bei der Anwerbung von neuen Agenten würden auch Repressalien angewandt. In Syrien lebende Angehörige könnten dabei auch als Druckmittel missbraucht werden (Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 15. Februar 2012 zum Thema „Aktivitäten des syrischen Geheimdienstes in Berlin“, Seite 4 f.). Anfang Februar 2012 hat die Bundesregierung vier syrische Diplomaten ausgewiesen, die ihm Verdacht stehen, an Einschüchterungsversuchen gegen Oppositionelle beteiligt gewesen zu sein. Ebenfalls Anfang Februar 2012 sind ein Deutsch-Libanese und ein syrischer Staatsangehöriger unter dem Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 StGB) für die Arabische Republik Syrien aufgrund vom Bundesgerichtshof erlassener Haftbefehle in Untersuchungshaft genommen worden. Die beiden sollen intensiv an der Ausforschung Oppositioneller beteiligt gewesen sein. Bei Demonstrationen hätten sie Teilnehmer fotografiert sowie Bilder und andere Informationen nach Damaskus weitergeleitet (vgl. Zeit Online vom 09.02.2012: „Deutschland weist vier syrische Diplomaten aus“; Tagesspiegel vom 09.02.2012: „Mutmaßliche Spione forschten Syrer in Berlin aus“; Zeit Online vom 10.02.2012: „Worauf die Syrer in Deutschland hoffen“; FAZ vom 11.02.2012: „Assad sieht dich - Syrische Spione in Berlin“ und Abgeordnetenhaus Berlin,“; zur fortdauernden Beobachtung der syrischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland: Dradio.de, Transkript eines Radioberichts vom 05.06.2012: „Warten im Niemandsland - Die syrische Opposition im Exil“). Hieran anschließend hat unter anderem das Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt mit Erlass vom 16. Februar 2012 die Ausländerbehörden aufgefordert, keinen Kontakt mehr mit syrischen Stellen zwecks Feststellung der Identität bzw. der Staatsangehörigkeit bei aus Syrien stammenden Ausländern aufzunehmen.

39

Diese Einschätzung deutscher amtlicher Stellen über die umfassende Überwachung von im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen durch im Ausland operierende syrische Geheimdienste deckt sich mit den Erkenntnissen von amnesty international. Im Ausland lebende Syrer werden systematisch von Angehörigen der syrischen Auslandsvertretungen oder anderen Personen im Auftrag der syrischen Regierung überwacht und eingeschüchtert. In einigen Fällen von im Ausland politisch aktiven Syrern wurden auch die in Syrien lebenden Familienangehörigen unter Druck gesetzt (vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 17.02.2012, S. 10).

40

In einem Bericht von Anfang Oktober 2011 hat amnesty international exemplarisch 30 Fälle in acht Ländern - darunter auch Deutschland - dokumentiert („The long reach of the Mukhabaraat - violence and harassment against Syrians abroad and their relatives back home“), welche eine umfassende und systematische Überwachung der im Ausland lebenden Syrer belegen. Bereits objektiv vergleichsweise geringfügige Anlässe lösen Maßnahmen der syrischen staatlichen Stellen aus, welche sich auch gegen Familienangehörige in Syrien richten.

41

So rief die in Chile lebende Syrerin Naima Darwish am 25. Februar 2011 auf ihrer Facebook-Seite zu einer Protestveranstaltung vor der syrischen Botschaft in Santiago auf. Nur zwei Stunden später erreichten sie Anrufe von Freunden, welche sie darüber unterrichteten, dass die syrische Botschaft versuche, ihre Telefonnummer in Erfahrung zu bringen. Zwei Tage nach dem Aufruf erhielt sie einen Anruf eines Botschaftsangehörigen, welcher sie aufforderte, in die Botschaft zu kommen. Nach dem dies durch Darwish abgelehnt wurde, fand ein Treffen außerhalb der Botschaft statt. Auf diesem Treffen wurde sie beleidigt und ihr damit gedroht, dass sie nicht mehr nach Syrien zurückkehren könne, wenn sie die oppositionellen Tätigkeiten fortsetze.

42

Ferner wurde der Bruder des in Spanien lebenden Syrers Imad Mouhalhel, Aladdin, im Juli 2011 für vier Tage in Syrien inhaftiert. Nachdem Aladdin Mouhalhel offenbar gefoltert worden war, wurden ihm Fotos und Videos von Protesten vor der syrischen Botschaft in Spanien gezeigt und er wurde aufgefordert, seinen Bruder Imad unter den Teilnehmern der Demonstration zu identifizieren. Am 29. August 2011 wurde Aladdin erneut verhaftet und offenbar gezwungen, seinen Bruder Imad anzurufen und ihn aufzufordern, nicht mehr an den Protesten teilzunehmen. Imad und seine Familie haben seitdem kein Lebenszeichen von Aladdin erhalten.

43

Malek Jandali, ein 38-jähriger Komponist und Pianist, war im Juli 2011 bei einer reformorientierten Versammlung vor dem Weißen Haus in Washington aufgetreten. Wenige Tage später wurden seine 66-jährige Mutter und sein 73 Jahre alter Vater in ihrem Haus in Homs von Sicherheitskräften angegriffen. Malek Jandali berichtete amnesty international, dass seine Eltern geschlagen und ins Badezimmer eingesperrt wurden, während ihre Wohnung von Agenten durchsucht und geplündert wurde. Man sagte ihnen, dies sei die Strafe dafür, dass sich ihr Sohn über die syrische Regierung lustig gemacht habe. Nach diesem Vorfall flüchteten seine Eltern aus Syrien.

44

Einige Familien in Syrien wurden offenbar auch dazu gezwungen, ihre im Ausland lebenden Familienangehörigen öffentlich zu verleugnen. So wurde der Bruder der in Deutschland lebenden Sondos Sulaiman, die im Juni 2011 in einem Video bei YouTube zum Widerstand gegen den syrischen Präsidenten aufrief, im syrischen Staatsfernsehen gezeigt, wie er ihr Video denunzierte und sich abfällig über seine Schwester äußerte. Sondos Sulaiman ist davon überzeugt, dass ihr Bruder zu diesem Fernseh-Auftritt gezwungen wurde. Ihr war es seitdem nicht möglich, Kontakt zu ihrer Familie aufzunehmen, um herauszufinden, was mit ihnen, insbesondere mit ihrem Bruder, passiert ist.

45

Ein weiteres gefahrbegründendes Element liegt in der innenpolitischen Eskalation der Lage in Syrien seit dem Frühjahr 2011. Ganz allgemein können die Ereignisse des „Arabischen Frühlings“ in anderen Ländern der Region als Anlass für die Demonstrationen in Syrien genannt werden (zur nachfolgend dargestellten Entwicklung in Syrien von Januar 2011 bis Januar 2012: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, „Syrien“, Januar 2012).

46

Am 17. März 2011 kam es erstmals zu schweren Zusammenstößen in der südsyrischen Stadt Daraa. Die Sicherheitskräfte gingen z. T. gewaltsam (mit scharfer Munition und Tränengas) gegen die Demonstrierenden vor und töteten dabei in Daraa mehrere Demonstranten. Die Demonstranten hatten u. a. ein Ende des Ausnahmezustandes, mehr Freiheiten, die Entlassung politischer Gefangener und eine Bekämpfung der Korruption gefordert. Tausende demonstrierten auch an den Folgetagen. Die Unruhen verbreiteten sich, auch aufgrund der gewaltsamen Reaktion des Regimes auf die Demonstrationen, in der Folgezeit landesweit (u. a. in Damaskus, Homs, Aleppo, Deir al-Zor, Banjas und anderen Städten), wobei die Stadt Daraa zunächst zum Brennpunkt der Unruhen wurde. Die Regierung reagierte auf die Demonstrationen auf der einen Seite mit brutaler Gewalt, versuchte auf der anderen Seite aber auch konziliante Töne anzuschlagen. Am 20. März 2011 wurden z. B. 15 inhaftierte Kinder freigelassen. Präsident Assad entließ auch den Gouverneur der Provinz Daraa wegen „krasser Fehler beim Umgang mit Protesten in der Region“. In der Folgezeit breiteten sich die Demonstrationen im ganzen Land aus (im Süden, in Damaskus, in der Hafenstadt Latakia, Tafas und in Homs), wobei es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten kam, bei denen es Tote und Verletzte gab. Die Protestbewegung, die sich auch mit Hilfe des Internetnetzwerkes Facebook organisierte, forderte u. a. demokratische Reformen, Aufhebung des Ausnahmezustandes, Achtung der Menschenrechte und freie Meinungsäußerung. Zahlreiche Verhaftungen wurden durchgeführt. Als Reaktion auf die landesweiten Unruhen wurden z. T. Reformen versprochen und das Kabinett des Ministerpräsidenten Naji Otri trat am 29. März 2011 zurück. Am 3. April 2011 beauftragte Präsident Assad den bisherigen Agrarminister, Adel Safar, mit der Bildung einer neuen Regierung. Um den Kurden in der gespannten Situation entgegen zu kommen, entschied Präsident Assad am 7. April 2011 mit Dekret 49/2011, dass die im Ausländerregister der Provinz Hassake eingetragenen Ausländer (ajanib) die Staatsbürgerschaft Syriens erhalten. Am 19. April 2011 beschloss die syrische Regierung die Aufhebung der seit 1963 geltenden Notstandsgesetze. Auch das Staatssicherheitsgericht wurde abgeschafft und ein Gesetz beschlossen, das friedliche Demonstrationen erlaubt.

47

Trotz dieser Zugeständnisse gingen die Demonstrationen jedoch weiter und weiteten sich u. a. auch auf die Provinz Idlib und auf den kurdisch geprägten Nordosten aus. Den Druck auf die Opposition in Syrien lockerte die Führung in Damaskus nicht. Auch das gewaltsame Vorgehen des Regimes und seine Repressionsmaßnahmen hielten an. Im April 2011 verschärfte die syrische Regierung mit einem großen Militäreinsatz erneut ihr Vorgehen gegen Regimegegner.

48

Armeeeinheiten stürmten am 25. April 2011 Daraa, wobei Artillerie und Scharfschützen beteiligt waren. Elektrizität und alle Kommunikationsmöglichkeiten in der Stadt wurden unterbrochen, die Bewegungsfreiheit dadurch eingeschränkt, dass Heckenschützen das Feuer auf jeden eröffneten, der versuchte sein Haus zu verlassen. Auch im Mai 2011 gingen die Proteste weiter, obwohl die größeren Städte und Protesthochburgen Banjas, Daraa und Homs abgeriegelt, Moscheen besetzt und zentrale Plätze abgesperrt worden waren. Die Armee weitete ihre Operationen entlang der Küstenlinie aus, Truppen zogen sich außer in den bereits genannten Städten z. B. auch in Hama oder in kleineren Dörfern zusammen. Kontrollstellen wurden eingerichtet, Strom, Wasser und Telefonleitungen wurden immer wieder abgeschaltet. Auch Mobiltelefone, Festnetz und Internet wurden sporadisch blockiert. Nachdem zunächst hauptsächlich am Freitagabend protestiert worden war, wurden die Demonstrationen auch auf andere Tage nach Sonnenuntergang verlegt. Mitte Mai 2011 kreisten schwer bewaffnete Sicherheitskräfte die Kleinstadt Tell Kalakh in der Nähe der libanesischen Grenze ein. Aus Angst versuchten viele Menschen in Richtung Libanon zu fliehen, darunter Familien, wobei sie von syrischen Kräften beschossen und zum Teil tödlich getroffen wurden. Ende Mai 2011 trat nach einem Erlass Assads eine Generalamnestie für alle politischen Gefangenen in Kraft, darunter auch für Angehörige der Muslimbruderschaft. Auch im Juni 2011 hielten die Unruhen und ihre gewaltsame Bekämpfung an. Während der ersten drei Monate der Proteste sollen mehr als 1.300 Personen getötet und ca. 10.000 - 12.000 verhaftet worden sein.

49

Mitte Juni 2011 führte die syrische Armee Razzien in den grenznahen Dörfern durch und begann mit der Abriegelung von grenznahen Gebieten, um das Absetzen weiterer Flüchtlinge in die Türkei zu verhindern.

50

In seiner dritten Rede an die Nation während der Krise schlug Präsident Assad am 20. Juni 2011 einen „nationalen Dialog“ vor und versprach Änderungen der Verfassung, ein neues Wahl- und Mehrparteiengesetz sowie Schritte gegen die Korruption. Die Aktivisten lehnten einen Dialog „mit Mördern“ ab, die Unruhen in Homs, Hama und Latakia, aber auch in den Vororten von Damaskus gingen weiter. An der Universität in Aleppo wurden mehr als 200 Studenten festgenommen. Angehörige des militärischen Geheimdienstes kontrollierten die Straßen. Der syrische Präsident setzte im Juni 2011 auch eine Generalamnestie in Kraft, die für alle vor dem 20. Juni begangenen Straftaten gelten sollte, so die amtliche syrische Nachrichtenagentur Sana. Streitkräfte des syrischen Regimes rückten am 23. Juni 2011 in Khirbet al-Jouz ein und weiter in Richtung der syrischen Grenzdörfer vor. Soldaten und Angehörige der Schabihha-Miliz sollen mit Namenslisten durch das Dorf gegangen und Häuser von Anti-Regime-Aktivisten zerstört haben. Als Anführer der Schabihha-Milizen gelten die Cousins des Präsidenten Assad, Fawaz und Munhir Assad; aus diesem Grund gehörten sie zu den ersten Regimeangehörigen, die von der Europäischen Union im Frühjahr 2011 mit Sanktionen belegt wurden. Die Miliz wird meist im „Windschatten“ der Streitkräfte aktiv; wenn ein Ort durch das Militär unterworfen wurde, plündert und mordet die Schabihha-Miliz im Anschluss daran. Sie richtet auch die Soldaten hin, die sich weigerten, auf die eigenen Bürger zu schießen. Sie rekrutieren sich aus Angehörigen der alawitischen Glaubensgemeinschaft.

51

Am 30. Juni /1. Juli 2011 wurden erstmals aus Aleppo größere Proteste gemeldet, an denen über 1.000 Demonstranten teilgenommen haben sollen. Es kam zu zahlreichen Festnahmen. Am 01. Juli 2011 sollen sich in Hama bis zu 300.000 oder sogar 500.000 Demonstranten getroffen haben. Die Sicherheitskräfte griffen zunächst nicht an, sondern beschränkten sich darauf, Checkpoints zu errichten und die Zugänge zur Stadt zu kontrollieren. Am 04. Juli 2011 kamen 30 Busse mit regimetreuen Milizionären, die 250 Menschen verhaftet und drei erschossen haben sollen; Panzer bildeten einen Belagerungsring um die Stadt. Präsident Assad erließ weitere personelle Maßnahmen, so entließ er am 2. Juli 2011 den Gouverneur der Provinz Hama, nachdem bereits die Gouverneure in den Provinzen Daraa und Homs hatten gehen müssen. Am 08. Juli 2011 demonstrierten in mehreren Städten Syriens (u.a. in Hama und Damaskus) erneut Hunderttausende, wobei mindestens 15 Personen erschossen worden sein sollen, rund 200 Menschen sollen an dem Wochenende verhaftet worden sein.

52

Am 22. Juli 2011 und dem nachfolgenden Wochenende setzten sich die Demonstrationen fort; in Damaskus, Homs und Hama gingen Hunderttausende auf die Straße und wurden von den Truppen bekämpft. In Damaskus soll die Armee in einigen Stadtteilen Straßensperren errichtet haben, Hunderte sollen festgenommen worden sein. In Hama sollen 650.000 Menschen demonstriert haben, in Deir al-Zor ca. eine halbe Million, auch in Latakia, Homs, Daraa, Vororten von Damaskus und in zahlreichen kurdischen Orten sollen große Proteste stattgefunden haben. In Homs sollen vom 18. Juli bis 23. Juli 2011 durch Beschuss von Wohnvierteln und Scharfschützen auf den Dächern mindestens 50 Personen getötet worden sein. Auch in den Kurdengebieten soll es Auseinandersetzungen gegeben haben. Präsident Assad kündigte ein Mehrparteiensystem an, die Parteiprogramme dürften jedoch keine Sonderstellung einzelner Religionsgruppen oder Ethnien beinhalten.

53

Nachdem die Stadt fast einen Monat belagert worden war, begannen am Morgen des 31. Juli 2011 syrische Truppen mit einer Militäroffensive gegen die Stadt Hama. Spezialisten kappten zunächst die Strom- und Wasserversorgung, danach sollen Panzer in Wohngebieten und Scharfschützen auf Dächern nach Augenzeugenberichten auf alles gefeuert haben, was sich bewegte. Auch in anderen Landesteilen kam es zu Angriffen mit Panzern, u. a. in Harak, in der südlichen Provinz Daraa, in Deir al-Zor und einem Vorort von Damaskus, landesweit soll es mindestens 140 Tote gegeben haben. Der syrische Präsident Assad verteidigte das Vorgehen als Reaktion auf eine Verschwörung mit dem Ziel der Zerschlagung Syriens.

54

Die syrische Regierung erließ laut Meldung vom 25. Juli 2011 ein neues Parteiengesetz, das die freie Gründung von politischen Parteien gestattet, wenn sie sich nicht auf konfessioneller, ethnischer, clanmäßiger, regionaler oder berufsständischer Grundlage befinden. Neue Parteien, die mindestens 1.000 Mitglieder haben müssen, müssen die geltende Verfassung (und damit die „führende Rolle“ der Baath-Partei) respektieren und die Gründung muss von einem Komitee des Justizministeriums genehmigt werden. Auch Wahlgesetze wurden im August 2011 in Kraft gesetzt. Die Opposition lehnte die Gesetze jedoch ab und forderte weiterhin den Rücktritt des Präsidenten und echte politische Reformen in Syrien. Seit Beginn des Fastenmonats Ramadan am 01. August 2011 verstärkte der syrische Präsident die Offensive gegen Regimegegner, wobei es täglich zu weiteren Demonstrationen kam, in deren Verlauf es jeweils zu zahlreichen Todesopfern kam. Am 14. August 2011 griffen syrische Sicherheitskräfte von Kanonenbooten aus mehrere Bezirke der Stadt Latakia an, gleichzeitig stürmten Bodentruppen einige Viertel der Stadt. Mindestens 26 Zivilisten sollen dabei nach Angaben der Syrischen Nationalen Organisation für Menschenrechte getötet worden sein, darunter eine Zweijährige. Angegriffen wurde auch ein Viertel mit einem palästinensischen Flüchtlingslager, aus dem Tausende flohen. Am 20. August 2011 rückte die syrische Armee erneut in Homs ein, obwohl der syrische Präsident dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gegenüber am 18. August 2011 versichert hatte, die Militäroffensive sei beendet. Am 21. August 2011 lehnte Präsident Assad Rücktrittsforderungen ab und warnte vor einer ausländischen Intervention. Er kündigte eine Verfassungsreform und Neuwahlen im Februar 2012 an.

55

Nach UN-Informationen sollen seit Beginn der Proteste gegen das Assad-Regime im März bis Anfang September 2011 2.600 Menschen getötet worden sein, die meisten von ihnen friedliche Demonstranten. Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sollen außerdem mehr als 70.000 Menschen festgenommen worden sein, von denen zum damaligen Zeitpunkt noch 15.000 in Haft gewesen seien.

56

Nach der Ermordung des bekannten kurdischen Oppositionspolitikers Mishaal Tammo am 7. Oktober 2011 nahmen an seinem Trauerzug am 08. Oktober 2011 in Qamishli ca. 50.000 Personen teil, so viele wie nie zuvor in den kurdischen Regionen in Syrien. Syrische Sicherheitskräfte sollen in die Menge gefeuert haben, mindestens zwei Personen sollen getötet worden sein. Für die Ermordung Tammos wurde von Beobachtern das syrische Regime verantwortlich gemacht. Aufgrund der Ermordung Tammos wurden am Wochenende (08.10./09.10.2011) syrische Botschaften im Ausland angegriffen, u.a. in London, Berlin und Wien, wobei erheblicher Sachschaden entstand. Auch die syrische UNO-Mission in Genf wurde am 08. Oktober 2011 von kurdischen Syrern attackiert, es kam zu fünf Festnahmen. In Berlin stürmten rund 30 Demonstranten die Botschaft, in Wien wurden elf Personen festgenommen. Auch das Gebäude des syrischen Honorarkonsulats in Hamburg wurde in der Nacht zum 09. Oktober 2011 von 30 Regimegegnern gestürmt.

57

Am 27. Oktober 2011 begann die syrische Armee damit, an der Grenze zum Libanon in der Provinz Homs und in mindestens einem weiteren Landesteil Minen zu verlegen. Die syrischen Behörden gaben an, den Waffenschmuggel aus dem Libanon damit eindämmen zu wollen, während es auch als Zeichen dafür gewertet werden kann, dass die syrische Regierung verhindern wollte, dass der Libanon ein Rückzugsgebiet für die syrische Opposition wird. Obwohl die syrische Regierung dem Friedensplan der Arabischen Liga, der u. a. den Rückzug des Militärs aus den syrischen Städten und die Freilassung aller politischen Gefangenen vorsieht, am 2. November 2011 zugestimmt hatte, wurde von den syrischen Truppen weiterhin mit Gewalt gegen Aktivisten vorgegangen. Soldaten feuerten auf Gläubige, die zu Beginn des Opferfestes die Moscheen verließen, um gegen das syrische Regime zu protestieren. Besonders betroffen war der Norden des Landes.

58

Nach der Zustimmung Syriens zum Friedensplan der Arabischen Liga am 2. November 2011 verschärfte das Regime sein Vorgehen gegen die Demonstranten. Im Anschluss sollen innerhalb von zwei Wochen mehr als 250 Menschen getötet worden sein, allein in Homs über 104. Es wurde befürchtet, dass der November 2011 zum „blutigsten Monat“ seit Beginn der Proteste im März werden könnte. Die Anzahl der bei den Unruhen Getöteten soll Anfang November nach Schätzungen der Vereinten Nationen bei mehr als 3.500 Personen gelegen haben. Am 2. Dezember 2011 untersagte die syrische Regierung den Bürgern die Nutzung von iPhone-Mobiltelefonen, um zu verhindern, dass Videos ins Internet gestellt werden.

59

Ein Aufruf zum Generalstreik am 11. Dezember 2011, mit dem die Opposition in Syrien den Druck auf das Regime verstärken wollte, soll in vielen Städten befolgt worden sein, u. a. blieben in den Provinzen Daraa und Idlib und in den Städten Homs und Harasta viele Geschäfte geschlossen. Es soll Gefechte in Idlib und Daraa gegeben haben. Die Opposition forderte auch zu einem Boykott der für den 12. Dezember 2011 geplanten Kommunalwahlen auf. Am 12. Dezember 2011 gab die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Pillay an, dass durch das gewaltsame Vorgehen der syrischen Regierung die Zahl der ums Leben gekommenen Personen auf mehr als 5.000, darunter mindestens 300 Kinder, angewachsen sei.

60

Bei zwei Selbstmordanschlägen in der Hauptstadt Damaskus wurden am 23.Dezember 2011 nach offiziellen Angaben 44 Menschen getötet und 166 verletzt. Die Sicherheitskräfte begannen mit einer groß angelegten Suche nach den Tätern. Es kam zu zahlreichen Verhaftungen. Die Regierung erklärte, dass es sich bei den Unruhen im Land nicht um einen Volksaufstand, sondern um das Werk von Terroristen handele.

61

Die Arabische Liga entsandte eine erste offizielle Beobachtermission mit zunächst mehr als 50 Beobachtern am 26. Dezember 2011 nach Syrien.

62

In einer Rede am 10. Januar 2012 stellte der syrische Präsident Assad erneut Reformen in Aussicht, u. a. kündigte er für März ein Referendum über eine neue Verfassung an, und führte die Proteste im Land auf eine „internationale Verschwörung“ und auf ausländische Einmischung zurück. Er kritisierte auch die Arabische Liga und die Golfstaaten. Nach dem öffentlichen Auftritt Assads nahmen die Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und Regimegegnern zu. Am 15. Januar 2012 erließ Präsident Assad eine Generalamnestie für die seit Beginn der Protestwelle begangenen Straftaten, von der friedliche Demonstranten, inhaftierte Besitzer nicht registrierter Waffen, diejenigen, die ihre Waffen bis Ende Januar abgeben, und Deserteure betroffen sein sollen, die sich bis Ende Januar selbst stellen.

63

Ende Januar 2012 unterbrach die Arabische Liga nach etwas über einem Monat ihre Beobachtermission in Syrien, deren erklärtes Ziel die Beendigung der Gewalt im Land war. Mitglieder der Mission gaben unterschiedliche Einschätzungen der Lage in Syrien ab, einige beendeten ihre Teilnahme sogar vorzeitig (Zeit Online vom 30.01.2012).

64

Ein weiterer Versuch, im UN-Sicherheitsrat eine Resolution zur Verurteilung der Gewalt in Syrien zu verabschieden, scheiterte bei der Abstimmung am 4. Februar 2012 am Veto Russlands und Chinas. Der Resolutionsentwurf war zuvor schon abgeschwächt worden, um ein Veto zu verhindern. Westliche Staaten und der oppositionelle Syrische Nationalrat verurteilten das Verhalten der beiden Vetomächte scharf (Zeit Online vom 04.02.2012).

65

Der 4. Februar 2012 wurde zudem zu einem der bisher blutigsten Tage in Syrien, als die syrische Armee die Stadt Homs bombardierte. Nach verschiedenen Angaben von Aktivisten wurden dabei 55 – 200 Menschen getötet. Seit dem 4. Februar 2012 befand sich die Stadt unter kontinuierlicher Bombardierung (Zeit Online vom 08.02.2012).

66

Nach der ersten Beobachtermission der Arabischen Liga trat deren Leiter General al-Dabi am 12. Februar 2012 zurück. In seinen Berichten über die Arbeit der Beobachter in Syrien hatte er die erfolgreiche Mitarbeit der syrischen Behörden gelobt und darauf verwiesen, dass bewaffnete Extremisten und Söldner gegen die syrischen Militärs vorgingen (Zeit Online vom 12.02.2012).

67

Am 15. Februar 2012 kündigte die syrische Regierung ein Verfassungsreferendum für den 26. Februar 2012 an. Die neue Verfassung solle die Gründung von Parteien vereinfachen. Gleichzeitig bombardierte die Regierung nach Angaben von Oppositionellen die Stadt Homs. In Damaskus kam es am 18. Februar 2012 zu einer großen Demonstration, die sich aus einem Begräbnis von Toten des Vortages entwickelte. Es handelte sich um eine der größten Demonstrationen in Damaskus seit Beginn des Aufstandes. Auch diese Demonstration wurde durch Sicherheitskräfte beschossen (Zeit Online vom 19.02.2012).

68

Am 24. Februar 2012 wurde bekanntgegeben, dass der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan von den Vereinten Nationen und der Arabischen Liga zum Sondergesandten für Syrien ernannt wurde, der zwischen den Oppositionellen und der Regierung vermitteln soll. Am selben Tag erhielten Nothelfer des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds erstmals Zugang nach Homs, um Verletzte sowie Frauen und Kinder zu versorgen bzw. zu evakuieren. Die Rettungseinsätze wurden am 26. Februar 2012 - nach erfolglosen Verhandlungen über einen sicheren Korridor zur Evakuierung von Verletzten aus Homs - wieder eingestellt (Zeit Online vom 29.02.2012).

69

Das nur 10 Tage zuvor angekündigte Referendum über eine neue Verfassung fand am 26. Februar 2012 statt. Die Opposition hatte zuvor zum Boykott des Referendums aufgerufen (Zeit Online vom 27.02.2012).

70

Erstmals wurden auch Flüchtlinge auf türkischen Boden nahe der Grenze von syrischen Soldaten getötet (Zeit Online vom 09.04.2012). Am 21. April 2012 sprach sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Resolution 2043 einstimmig dafür aus, die Zahl der Beobachter von 30 auf 300 zu erhöhen. Diese sollten jedoch erst nach Syrien reisen, wenn UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Waffenruhe als hinreichend stabil bewertet. Bei den Beobachtern im Rahmen der United Nations Supervision Mission in Syria (UNSMIS) handelt es sich durchweg um unbewaffnete Soldaten, die den Waffenstillstand zwischen den Truppen Assads und den Oppositionellen überwachen sollen. Zuvor hatten in der ersten Feuerpause seit mehreren Wochen internationale Beobachter die Stadt Homs besucht (Zeit Online vom 21.04.2012).

71

Ungeachtet der Entsendung der UN-Beobachter kam es zu Bombenanschlägen in Aleppo und Damaskus. Bei einer Doppelexplosion in der Hauptstadt Damaskus starben am 10. Mai 2012 70 Menschen. Es war der schwerste Anschlag seit dem Ausbruch der Proteste im März 2011 (Zeit Online vom 10.05.2012).

72

Nachdem es am 25. Mai 2012 zunächst zu Schusswechseln zwischen Regierungstruppen und Aufständischen gekommen war, beschossen die Truppen des Regimes die Siedlung Taldo bei Hula in der Provinz Homs mit Artillerie. UN-Beobachter bestätigten den Tod von 116 Menschen, darunter mindestens 32 Kinder, sowie die Zahl von etwa 300 Verletzten. Syriens Regierung wies Beschuldigungen zurück, dass das Massaker von der Armee verübt worden sei. Das syrische Außenministerium gab an, „Hunderte von Kämpfern“ hätten angegriffen und dabei „schwere Waffen wie Granatwerfer, Maschinengewehre und Panzerabwehrraketen verwendet, die seit Neuestem in der Konfrontation mit den staatlichen Sicherheitskräften eingesetzt“ würden (Zeit Online vom 26.05. und 28.05.2012).

73

Am 29. Mai 2012 wiesen mehrere Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und die Vereinigten Staaten den jeweils ranghöchsten syrischen Diplomaten aus Protest gegen das Massaker in Hula aus (Zeit Online vom 29.05.2012).

74

Am 3. Juni 2012 sprach Assad erstmals nach dem Massaker von Hula vor dem syrischen Parlament. Er sagte Syrien befinde sich in einem echten Krieg und er würde die „Schlacht gegen Terroristen“ fortsetzen. Als Reaktion auf die Ausweisung syrischer Diplomaten aus zahlreichen Staaten Ende Mai wurden zahlreiche westliche Diplomaten am 5. Juni 2012 des Landes verwiesen (Zeit Online vom 03.06 und 05.06.2012).

75

Am 7. Juni 2012 berichteten Oppositionsgruppen über ein Massaker im Dorf Al-Kobir welches sich in der Provinz Hama befindet. UN-Beobachter, die sich auf dem Weg nach Al-Kobir befanden, wurde die Weiterfahrt seitens der Regierungstruppen untersagt. Berichten zufolge gerieten sie unter Beschuss (Zeit Online vom 07.06.2012). Aufgrund der anhaltenden Gewalt wurde die UN-Beobachtermission am 16. Juni 2012 ausgesetzt (Zeit Online vom 16.06.2012).

76

Anfang Juli 2012 hat der syrische Präsident neue sog. Anti-Terror-Gesetze erlassen. Gründer oder Führer einer terroristischen Vereinigung müssen demnach mit bis zu 20 Jahren Zwangsarbeit rechnen. Die Strafe könne aber noch härter ausfallen, sollte es das Ziel sein, die Regierung oder die Staatsform zu ändern, hieß es. Mitgliedern einer Terrorgruppe drohen bis zu sieben Jahre Haft. Werden bei den begangenen Taten Menschen verletzt oder getötet, kann zudem die Todesstrafe verhängt werden. Die Unterstützung von Terrorgruppen mit Geld, Waffen oder Kommunikationsmitteln kann mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft werden (Zeit Online vom 02.07.2012).

77

Ein weiteres, eine Verfolgungsgefahr begründendes Moment ist darin zu sehen, dass die syrischen Behörden insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 vergleichsweise geringfügige Umstände ausreichen lassen, damit ein Betroffener in den Verdacht einer oppositionellen Haltung gerät und damit der reellen Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des Artikel 9 QRL ausgesetzt ist.

78

So heißt es schon in dem Ad-hoc-Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. Februar 2012, dass Oppositionsgruppen im Jahr 2011 mehrfach Anträge zur Genehmigung von Mahnwachen gestellt haben, die mit einer Ausnahme sämtlich abgelehnt worden seien. Demonstrationen der Opposition werden grundsätzlich nicht genehmigt. Vielmehr werden Demonstrationen, die sich gegen das Regime richten, gewaltsam von staatlicher Seite bekämpft, d.h. Sicherheitskräfte und Schabihha-Milizen gehen mit Schlag- und Schusswaffen gegen Demonstranten vor. Regelmäßig werden auch Scharfschützen eingesetzt, die wahllos auf Menschen schießen. Glaubhaften Informationen syrischer Menschenrechtsverteidiger zufolge komme es auch zur Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte und staatlich organisierte Milizen gegen Teilnehmer von Beerdigungszügen für Opfer staatlicher Gewalt. In den letzten Monaten haben zahlreiche Akteure der Zivilgesellschaft und des Menschenrechtsbereiches zu ihrem eigenen Schutz auf legalem oder illegalem Weg auf Grund der Bedrohungslage Syrien verlassen. Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). Im Sommer 2011 wurde ein neues Mediengesetz erlassen, das das syrische Pressegesetz von 2001 ersetzt. In dem neuen Gesetz wird das Recht des Bürgers auf Information anerkannt und die Reichweite der Zensur eingeschränkt. Allerdings werden die Medienvertreter zur „wahrheitsgemäßen Berichterstattung“ verpflichtet. Faktisch habe sich nach Auffassung des Auswärtigen Amtes die Pressefreiheit jedoch nicht verbessert. Der Raum für Meinungs- und Pressefreiheit habe sich in den letzten Monaten vielmehr stark verringert: Filmemacher, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und „citizen journalists“, die über die Aktivitäten der Opposition, die Anti-Regime-Demonstrationen sowie die staatliche Repression zu berichten versuchen, werden verfolgt, festgenommen, angegriffen oder sogar ermordet. Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. In den letzten zehn Monaten (von Februar 2012 an gerechnet) sind zahlreiche Journalisten in Syrien inhaftiert und mehrere Medienvertreter getötet worden. Internetnutzung wird mit ausgefeilter Software überwacht und reguliert. In Regionen und Stadtteilen, in denen Operationen von Sicherheit und Militär liefen, werden Internet- und Telekommunikationsverbindungen oft tagelang abgestellt. In dem Lagebericht wird ausgeführt, dass obwohl die syrische Verfassung und das syrische Strafrecht Folter verbiete und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwenden. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei nach Auffassung des Auswärtigen Amtes in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, sind ebenfalls einem hohen Folterrisiko ausgesetzt. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitsdienste belegt. Offizielle Angaben zu Todesfällen in Folge von Gewaltanwendung in syrischen Haftanstalten gibt es nicht. Es bestehen nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes keine Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter oder anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte. Bereits vor März 2011 habe es Hinweise dafür gegeben, dass Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschwerten, Gefahr liefen, dafür strafrechtlich verfolgt zu werden. Vieles deutet nach Auffassung des Auswärtigen Amtes darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Schabihha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten.

79

Amnesty international hat in dem Bericht vom 14. Juni 2012 („Deadly Reprisals: Deliberate killings and other abuses by Syria´s armed forces“) nicht nur die zunehmend massiver werdende Anwendung von militärischer Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung, sondern auch bestimmte Muster von politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen geschildert. Die Maßnahmen der syrischen Armee und der regimetreuen Milizen richten sich in erster Linie gegen Ortschaften, in denen aus Sicht der Regierung oppositionelle Personen leben oder dies nur vermutet wird. Die Aktionen beginnen in der Regel so, dass zunächst mit Artillerie und Gewehrfeuer in die Orte geschossen wird. Ist aus Sicht der Regierungseinheiten nicht mehr mit nennenswertem Widerstand zu rechnen, gehen reguläre Soldaten und Milizionäre von Haus zu Haus, brennen die Häuser nieder und töten häufig wahllos die Einwohner. Nach Einschätzung der Regierungstruppen ist allein der Umstand, dass Personen in einem Ort leben, in denen Oppositionelle vermutet werden, Grund für eine willkürliche Verhaftung oder Ermordung (S. 9 und 11 f. des Berichts). Anlass für Verhaftung und Ermordung kann auch das Tragen von Kleidungsstücken sein, welche aus Sicht der Regierungseinheiten bevorzugt von den bewaffneten Oppositionsgruppen getragen werden (Bericht, S. 17).

80

Auch in dem Bericht des United Nations High Commissioner for Human Rights (Bericht zur Lage in Syrien vom 24. Mai 2012) wird geschildert, dass Anknüpfungspunkt für eine auf der Vermutung der oppositionellen Haltung beruhende Verhaftung, Folter und Bestrafung bereits der Umstand sein kann, dass eine Person in unmittelbarer Nachbarschaft oder in einem Ort lebt, in dem sich Personen aufhalten sollen, die gegen die syrische Regierung eingestellt sind (dort Randziffer 10). Ferner wird in dem Bericht der Fall eines Mannes geschildert, der allein aufgrund des Umstandes, dass er eine größere Menge Geld besaß, unter dem Verdacht der oppositionellen Haltung und des Waffenschmuggels zugunsten der bewaffneten Rebellengruppierungen festgenommen und gefoltert wurde (dort Randziffer 13).

81

Human Rights Watch schildert bereits in seinem im Dezember 2011 erschienenen Bericht „By all means necessary!“ die Verhaftung und Folter von Rechtsanwälten und Journalisten, welche die Proteste unterstützen, aber auch von Ärzten und Pflegepersonal, welche verdächtigt wurden, verletzte Demonstrationen in Privathäusern oder provisorischen Feldlazaretten versorgt zu haben (Bericht S. 16 und 51). Ausreichend für eine Verhaftung und anschließende Foltermaßnahmen in der Region Hama waren bereits „verdächtige Blicke“ und „freche“ Antworten gegenüber Soldaten (Bericht S. 45).

82

In dem im Juli 2012 erschienenen Bericht von Human Rights Watch „Torture Archipelago“ wird anhand einer Vielzahl von Einzelbeispielen ausgeführt, dass Ziel der Folter in den z. T. provisorischen Hafteinrichtungen der staatlichen Stellen nicht die Gewinnung von Informationen, sondern die Einschüchterung und Bestrafung von als illoyal gegenüber der syrischen Regierung angesehenen Personen ist. Auch in diesem Bericht werden im Grunde belanglose Handlungen und Äußerungen von Inhaftierten geschildert, welche jeweils Foltermaßnahmen nach sich gezogen haben. So wird der Fall eines in Idlib Verhafteten geschildert, welcher in einem Verhör die bei den Demonstrationen Getöteten als „Märtyrer“ bezeichnet hatte und daraufhin Elektroschocks erhielt. Diese Maßnahme wurde erst eingestellt, nachdem er erklärt hatte, dass er die Getöteten nicht mehr als Märtyrer, sondern nur noch als tote Personen bezeichnen werde.

83

Der Senat geht bei einer Gesamtschau davon aus, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt.

84

Der Auffassung der Beklagten, eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer politischen Verfolgung allein wegen der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Aufenthalts im Ausland könne bei der erforderlichen Anwendung der anzuwendenden Maßstäbe mangels Referenzfällen nicht festgestellt werden, berücksichtigt nicht hinreichend die aktuelle Situation seit Erlass des Abschiebungsstopps im Frühjahr 2011. Wenn Asylsuchende abgeschoben würden, wäre tatsächlich die Häufigkeit von Verfolgungsmaßnahmen in Syrien allein anknüpfend an die vorgenannten Aspekte nach den oben dargestellten Kriterien für die Feststellung einer Verfolgungswahrscheinlichkeit zu ermitteln. Die Beklagte selbst hat jedoch in Reaktion auf die eskalierende Lage in Syrien die Möglichkeit der Feststellung solcher Referenzfälle verhindert, indem sie mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 28. April 2011 an die Länderinnenverwaltungen geraten hat, von Abschiebungen nach Syrien vorläufig abzusehen. Sonstige Erkenntnismöglichkeiten zur Frage der Behandlung von Rückkehrern durch Auskünfte anderer Stellen sieht die Beklagte offenkundig auch nicht. Ebenso bestätigt das Auswärtige Amt, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorliegen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht Augsburg vom 02.11.2011). Die Gefahrendichte ist also nicht mangels hinreichender Referenzfälle zu verneinen, vielmehr kann sie nur nicht durch Referenzfälle nachgewiesen werden, weil die deutschen wie auch andere europäische Behörden Abschiebungen nach Syrien zur Zeit nicht vornehmen (so ausdrücklich zur Gefahr der Folter im Rahmen von Verhören: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, juris). Der Senat hat daher auf der Basis der vorgenannten Erkenntnisse und allgemeinkundigen Tatsachen festgestellt, dass eine flüchtlingsrechtlich relevante Gefahrendichte gegeben ist und insofern die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung für den Kläger besteht.

85

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

86

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 VwGO) sind nicht gegeben.


Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten über den ihm zugestandenen subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.

Der Kläger ist ein am ... 1985 in D. geborener Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien arabischer Volkszugehörigkeit muslimischen Glaubens (Sunnit). Er reiste seinen Angaben zufolge am 20. Dezember 2015 auf dem Land Weg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 31. März 2016 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 20. Mai 2016 äußerte er sich im Wesentlichen wie folgt:

Bis zu seiner Ausreise aus Syrien am 30. November 2015 habe er in D.,..., gelebt. Seine Ehefrau und sein Kind seien noch in D. Beide habe er aus finanziellen Gründen und aus Angst wegen der Gefährlichkeit der Reise nicht mitgebracht. Wehrdienst habe er vom 1. März 2004 bis zum 1. April 2006 geleistet. Er sei Gefreiter in nicht spezieller Funktion gewesen. Er sei auch nicht Mitglied einer nicht staatlichen bewaffneten Gruppierung gewesen oder in einer sonstigen politischen Organisation. Augenzeuge oder Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder von Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder anderen Misshandlungen) durch kämpfende Einheiten auf die Zivilbevölkerung sei er nicht gewesen. Er habe auf seinem Weg nach Deutschland und in Deutschland weder Kenntnis von Personen erlangt, die er als Unterstützer oder Mitglieder von extremistischen oder terroristischen Organisationen eingeschätzt habe, noch von Personen, von denen er habe annehmen müssen, dass sie für einen Nachrichtendienst arbeiten. Er habe rechtzeitig seine Ausreise aus Syrien geplant, weil es zu dieser Zeit eine große Welle von Einberufungen zum Militärdienst gegeben habe. Das habe er vermeiden wollen. Zum Zeitpunkt der Ausreise habe er noch keine Einberufung erhalten gehabt. Ob jetzt eine Einberufung vorliege, wisse er nicht. Er kenne auch niemanden aus seinem Bekannten- und Freundeskreis, der dann einberufen worden sei, weil viele rechtzeitig vorzeitig ausgereist seien. Vor der Ausreise sei er außer der allgemeinen Lage, z. B. ständige Bombenanschläge, nicht persönlich bedroht gewesen. Bei einer Rückkehr nach Syrien habe er Angst verhaftet zu werden und zum Militärdienst zu müssen. Die allgemeine Sicherheitslage in Syrien sei schlecht. Dies treffe auch insbesondere auf seine Frau und sein Kind zu.

Das Bundesamt erkannte den Kläger mit Bescheid vom 6. Juni 2016 als subsidiär Schutzberechtigten an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Beklagte mit Urteil vom 2. August 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Zur Begründung führte es u.a. aus: Der syrische Staat betrachte gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System, die das Gebot der Loyalität ihm gegenüber verletze. Ein solches Verhalten werde - ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen - vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinn des § 3a AsylG zu rechnen.

2. Die Beklagte begründet die vom Senat mit Beschluss vom 22. September 2016 zugelassene Berufung wie folgt:

Es begegne Zweifeln, die Verfolgungsgefahr zumeist aus einem allgemeinen „Abschöpfungsinteresse“ hinsichtlich Erkenntnissen zur Exilopposition ableiten zu wollen. Die insoweit geschilderten Referenzfälle hätten Personen betroffen, bei denen zuvor ein individualisierter Verdacht bestanden habe. Gegen die Annahme einer Regimegegnerschaft jedes Rückkehrers spreche die sehr hohe Zahl der Flüchtlinge. Der syrische Staat dürfte weder Veranlassung noch Ressourcen haben, gegen jeden Rückkehrer vorzugehen. Auch die hohe Anzahl an ausgegebenen syrischen Reisepässen spreche dagegen, dass jedem Rückkehrer unbesehen eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt werde. Die Maßnahmen im Rahmen der Einreisekontrollen seien nicht systematisch, sondern willkürlich. Das erfülle nicht den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Eine unklare Tatsachensituation verlange im Rahmen der gebotenen Prognoseentscheidung tendenziell eine zurückhaltende Beurteilung. Für den Kläger als Reservisten bestehe zwar bei einer Rückkehr die Gefahr Militärdienst leisten zu müssen, allerdings sei noch keine Konkretisierung eingetreten etwa durch einen Einberufungsbefehl. Die abstrakte Möglichkeit, Militärdienst leisten zu müssen, werde nicht als hinreichend risikoerhöhend betrachtet. Eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG sei mangels Anhaltspunkt für eine individuelle Verantwortung bezüglich etwaiger Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht erkennbar.

Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 2. August 2016 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der syrische Staat werde die Flucht eines wehrdienstfähigen Mannes als Ausdruck der Gegnerschaft betrachten. Bei einer Rückkehr nach Syrien drohe dem Kläger daher politische Verfolgung. Es sei auch eine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG gegeben. Der Kläger wäre im Falle der Einziehung zum Militärdienst gezwungen, an Kriegsverbrechen der syrischen Armee teilzunehmen.

Die Landesanwaltschaft Bayern äußert sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses insbesondere wie folgt:

Die erforderliche Verknüpfung zwischen schädigender Handlung und Verfolgungsgrund sei beim Kläger nicht gegeben. Die Annahme, dass aus dem westlichen Ausland zurückkehrende Syrer bei der in diesem Fall obligatorischen Befragung von den syrischen Sicherheitskräften allein wegen der Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositionelle betrachtet würden, sei wenig plausibel und letztlich lebensfremd.

3. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Der Kläger hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4, Abs. 1, AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verpflichtet, dem Kläger - ungeachtet des ihm mit Bescheid vom 6. Juni 2016 zugesprochenen subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) - die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer - soweit hier von Interesse - Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Dem nicht vorverfolgt ausgereisten Kläger droht bei einer (rechtlich hypothetisch unterstellten) Rückkehr nach Syrien nach der Überzeugung des Senats mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.

1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinne des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, hat der Kläger nicht substantiiert geltend gemacht. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren einen Vorfall genannt hat, der sich etwa einen Monat vor Ausreise ereignet haben soll, ist weder eine Anknüpfung der Maßnahme an ein flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal noch die erforderliche asylerhebliche Intensität vorhanden.

2. Eine begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich aber aus den Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger Syrien verlassen hat (sog. Nachfluchtgründe (§ 28 Abs. 1a AsylG).

Ein solcher Nachfluchtgrund besteht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht deshalb, weil der Kläger aus Syrien ausgereist ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat. Diese Umstände allein rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen den Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien als Oppositionellen betrachten und ihn deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen (vgl. Urteile des Senats vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30338 und 16.30364, 16.30371 - juris).

Eine begründete Furcht vor Verfolgung besteht zur Überzeugung des Senats deshalb, weil sich der Kläger als Reservist durch seinen Auslandsaufenthalt dem Militärdienst entzogen hat.

Eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG liegt vor, wenn dem Kläger bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - juris Rn. 17).

Nach diesem Maßstab und der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist es zur Überzeugung des Senats beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei einer Einreise über den Flughafen D. oder eine andere staatliche Kontrollstelle menschenrechtswidrige Maßnahmen drohen, insbesondere Folter als schwerwiegende Verletzung eines notstandsfesten grundlegenden Menschenrechts (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG, Art. 15 Abs. 2, Art. 3 EMRK). Aufgrund des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist beachtlich wahrscheinlich, dass die syrischen Sicherheitsbehörden den Kläger, der sich als Reservist durch seinen Auslandsaufenthalt dem Militärdienst entzogen hat, bei Rückkehr in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Persönlichkeitsmerkmale, nämlich eine ihm wegen Verweigerung des Militärdienstes unterstellte regimefeindliche Gesinnung als Oppositionellen behandeln (vgl. allgemein dazu BVerfG, B.v. 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315/335; BVerwG, U.v. 19.1.2009 - 10 C 52.07 - juris Rn. 24).

Diese Beurteilung beruht auf einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts (2.3) unter Einbeziehung der Umstände, die das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad charakterisieren (2.1) und der übrigen für die Prognoseentscheidung erheblichen Tatsachen (2.2).

2.1 Eine Auswertung der in beiden Rechtszügen beigezogenen Erkenntnismittel zeigt, dass das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten ist. Der syrische Staat setzt deshalb alles daran, seine Macht zu erhalten und geht in seinem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor.

Zu den Zielen der syrischen Regierung führt Gerlach in „Was in Syrien geschieht - Essay“ vom 19. Februar 2016 (http: www.b...de/...) aus:

„Das erklärte Ziel des syrischen Regimes, das sich für den rechtmäßigen Vertreter des Staates hält, ist die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik, also gewissermaßen in den Grenzen von 2011. … Wichtiger noch: das Fortbestehen der Machtarchitektur ohne einschneidende Veränderung, die in einer Entmachtung des Präsidenten Assad oder in der Auflösung jenes Machtkomplexes der drei um den Präsidenten gruppierten Clans Assad, Makhlouf und Shalish bestehen könnte. Diesen Kriegszielen ordnete das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele unter - und zu ihrer Verteidigung nahm es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung, sondern auch massive eigene Verluste in Kauf.“

Einem „Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)“ des Auswärtigen Amts vom 17. Februar 2012 ist zu entnehmen:

„Das syrische Regime setzt im Kampf gegen die syrische Opposition die Armee und Sicherheitskräfte gezielt gegen zivile Siedlungsgebiete ein. …

Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Es gibt vier große Sicherheitsdienste, die unabhängig voneinander alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie sich gegenseitig kontrollieren: Allgemeine Sicherheit, Politische Sicherheit, Militärische Sicherheit und die Sicherheit der Luftwaffe. … Die Befugnisse der Sicherheitsdienste unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhörzentralen, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelt. …

Syrische Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen und die Neuordnung Syriens nach demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Prinzipien anstreben, werden durch das Regime massiv unterdrückt. …

Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränken sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“ (enforced disappearance), tätlichen Angegriffen (z. B. der Karikaturist A. F. und der Oppositionspolitiker R. S.), Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte (z. B. das Kind H. al-K., der Aktivist C. M.) und Mordanschlägen (z.B. der kurdische Oppositionelle M. D.) belegt. Einige Oppositionelle sind daher in den Untergrund gegangen …; viele andere haben Syrien verlassen. …

Menschenrechtsverteidiger schätzen die Zahl der Verhafteten und Verschwundenen auf insgesamt über 40.000. … Willkürliche Verhaftungen sind in Syrien gegenwärtig sehr häufig und gehen von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen (sog. Shabbiha) aus. …

Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). …

Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. …

Es muss davon ausgegangen werden, dass exilpolitische Tätigkeiten den syrischen Sicherheitsdiensten bekannt werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass syrische Familien in Deutschland von den Sicherheitsdiensten als Druckmittel gegenüber noch in Syrien lebenden Verwandten (oder umgekehrt) missbraucht werden. …

Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt an. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. …Gegenwärtig kann sich das Individuum de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deutet darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art ´carte blanche´ erhalten haben. …

Es kommt seit Beginn der Unruhen regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen durch die Sicherheitsdienste, Rechtsmittel dagegen existieren nicht. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste kommt es zu Drohungen und körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. …

Fälle von Verschwindenlassen haben seit März 2011 erheblich zugenommen“ (Namen sind im Original vollständig wiedergegeben).

Der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2015 (https: www...ch/...) kann entnommen werden:

„Human Rights Watch kritisierte im Januar 2015, dass trotz der Amnestie noch eine Vielzahl Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Medienschaffende sowie Personen, die humanitäre Hilfe geleistet haben, inhaftiert oder in Untersuchungshaft sind. …

In vielen Fällen werden vor allem Aktivisten, Anwälte und Menschenrechtsaktivisten von den Geheimdiensten wochen- und monatelang ohne Verfahren festgehalten. …

Die Anzahl der seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 verhafteten Personen ist umstritten. Das Violations Documentation Center, eine lokale Monitoring Gruppe, ging im Juli 2014 davon aus, dass 40.853 Personen in Haft sind. Der ehemalige UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, ging von zwischen 50.000 und 100.000 Inhaftierten des syrischen Regimes aus. Der UN High Commissioner for Human Rights, Zeid Ra'ad Al Hussein, weist auf Schätzungen zwischen zehntausenden und hunderttausenden Inhaftierten hin. Das Syrian Observatory for Human Rights schätzt, dass 200.000 Personen in syrischen Gefängnissen sitzen. …

Dass die Haftbedingungen schlecht sind und in den Gefängnissen gefoltert wird, ist seit langem dokumentiert, auch bereits vor dem Konflikt. Folter ist insbesondere in der ersten Zeit der Haft üblich, um an Informationen zu kommen, die Häftlinge einzuschüchtern und um Schuldeingeständnisse zu erzwingen. Folter und die schlechten Haftbedingungen führen zu Todesfällen. …

Viele friedliche Aktivisten, die aufgrund des Anti-Terrorismus-Gesetzes verurteilt worden sind und von der Amnestie hätten profitieren sollen, blieben weiterhin in Haft.“

Die vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 (https: www.e...net/...) äußert sich in Fußnummer 74 u.a. wie folgt:

„Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die man für einen Regierungsgegner hält, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen einschließlich der Kinder der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder zur Vergeltung der Aktivitäten bzw. des Loyalitätsbruchs der gesuchten Person oder zwecks Einholung von Informationen über ihren Aufenthaltsort oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen anzuerkennen.”

Die Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada (Immigration and Refugee Board of Canada) verweist in einem Bericht (Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 4 - zitiert nach der in das Verfahren eingeführten Übersetzung in die deutsche Sprache) auf folgende Erkenntnisse von Amnesty International (Between Prison and the Grave, Enforced Disappearances in Syria, November 2015), Human Rights Watch (Syria, World Report 2015: Events of 2014, 29.1.2015) und OHCHR (Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic, 14.4.2014) hin:

„Laut AI hat die in Syrien stationierte Kontrollgruppe Syrian Network for Human Rights über 58.000 Fälle von Zivilisten dokumentiert, die zwischen März 2011 und August 2015 durch die syrische Regierung ´zwangsweise´ verschwunden sind, und am 30. August 2015 immer noch als vermisst gelten (AI, Nov. 2015, 7). Des Weiteren vermerkt dieselbe Quelle, dass alle vier Truppengattungen der syrischen Sicherheitskräfte, bestehend aus dem militärischen Geheimdienst, dem Geheimdienst der Luftwaffe, dem politischen Sicherheitsdienst und dem allgemeinen Geheimdienst (auch Staatsicherheit genannt), Personen zwangsweise verschwinden lassen würden und dass es überall im Land Gefangenenlager gebe (ebd.). AI erklärt, dass diese Gefangenen ´außerhalb des gesetzlichen Schutzes gestellt werden, und dass ihnen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder ein faires Gerichtsverfahren verwehrt wird´; dass Gefangene in überfüllten Behausungen gehalten und regelmäßig einem Katalog der Folter ausgesetzt werden´(ebd., 8). Human Rights Watch und der UNHCR berichten über die weit verbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, der Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden (UN, 14. Apr. 2014, 1; Human Rights Watch, 29. Jan. 2015, 2 - 3).“

Nach den im Amnesty Report 2016 vom 2. März 2016 (http: www.a...de/...) festgehaltenen Erkenntnissen von Amnesty International hat sich an dieser Lage nichts zum Guten geändert. Dem Report ist u.a. zu entnehmen:

„Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben „verschwunden“. Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. …

Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. …

10.000 Personen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterrorgericht oder vor militärischen Feldgerichten.“

2.2 Darüber hinaus sind folgende Prognosetatsachen zu berücksichtigen:

2.2.1 Es ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen D. oder eine andere staatliche Kontrollstelle im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über seinen Auslandsaufenthalt und den Grund seiner Abschiebung befragt wird. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob der Kläger von den Behörden gesucht wird. Die obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte und die Sicherheitskontrollen, die von Grenzbeamten am Flughafen D. und anderen Eingangshäfen durchgeführt wird, beinhaltet zu überprüfen, ob der Rückkehrer seinen Wehrdienst abgeleistet hat (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 2 f. und 8, Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier v. 12.10.2016 zur Ausreisekontrolle). Auch nach einer Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee“, v. 30.7.2014, S. 7) können Personen, die während ihres Auslandsaufenthalts zum Wehrdienst einberufen wurden, bei ihrer Einreise durch die syrischen Behörden identifiziert werden, da ihr Name auf einer entsprechenden Suchliste zu finden ist.

2.2.2 Zu den Umständen und Folgen einer solchen Überprüfung für einen abgelehnten Asylbewerber, der sich als Wehrpflichtiger oder Reservist durch den Auslandsaufenthalt der Einberufung zum Militärdienst entzogen hat, ergibt die Auskunftslage Folgendes:

Die Ermittlungsabteilung (Research Direcorate) der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde hat dazu verschiedene sachkundige Personen befragt. Ein leitender auf Syrien spezialisierter Gast-Forschungsbeauftragter am King´s College London (Visiting Senior Research Fellow, telefonische Befragung am 15.12.2015) bekundete gegenüber der kanadischen Behörde, dass Sicherheitsbeamte am Flughafen und anderen Grenzübergängen eine „carte blanche“ hätten, um zu tun, was immer sie tun wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen. Wenn ein Sicherheitsbeamter jemanden verdächtige, nähmen sie ihn möglicherweise sofort mit. In diesem Fall könne die Person verschwinden oder gefoltert werden. Das System sei sehr unberechenbar, Rechtsbehelfe gegen die Misshandlungen der Grenzbeamten gebe es nicht. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden (so ein emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford - emeritus Professor of anthropology and forced migration at Oxford University, telefonische Befragung am 11.12.2015; sowie der Vorstand der Nichtregierungsorganisation „Syrisches Zentrum für Justiz und Rechenschaftspflicht“ - Executive Director „Syria Justice and Accountability Center“, telefonische Befragung am 14.12.2015). Der emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford (telefonische Befragung am 11.12.2015) beschrieb Männer im wehrpflichtigen Alter als die „meist gefährdete“ Gruppe in Bezug auf die Behandlung seitens der syrischen Behörden an den Eingangshäfen, „besonders wenn sie niemals im Militär gedient haben“. Eine Programmbeauftragte (program officer) am Center for Civilians in Conflict (CIVIC), die sich spezialisiert hat auf humanitäre und Flüchtlingsthemen in Syrien und im Irak, äußerte in einem Telefoninterview am 11. Dezember 2015, dass junge Männer zwischen 16 und 40 Jahren von den Grenzbeamten „besonders verfolgt“ werden und „allseits der Zwangswehrpflicht unterstellt seien“, auch wenn sie ihren Militärdienst schon abgeleistet hätten (vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 8f.).

2.2.3 Auch aus dem System der allgemeinen Wehrpflicht in Syrien und den während des Kriegs eingeführten Reisebeschränkungen für militärdienstpflichtige Männer lassen sich Erkenntnisse für die vorzunehmende Gesamtschau gewinnen.

Das System der allgemeinen Wehrpflicht beruht auf folgenden Grundsätzen: In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren. Männer, die 18 Jahre alt werden, müssen sich zur Generalrekrutierungsstelle begeben (Befragung, Foto, Bluttest). Danach wird ihnen ein Militärdienstbuch ausgehändigt. Bei Beginn des Militärdienstes müssen bei der Generalrekrutierungsstelle die zivilen Ausweise und das Militärdienstbuch abgegeben werden und der Betreffende erhält umgehend den Militärdienstausweis bevor er zu seiner Einheit entsandt wird. Wenn der Dienst absolviert ist, bekommt man „Entlassungspapiere“, die man bei der Generalrekrutierungsstelle abgibt und erhält den zivilen Ausweis und das Militärbuch - versehen mit dem Stempel, dass der Militärdienst geleistet und die Person entlassen wurde (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 13.8.2014, SYR104921.E, S. 5).

Syrische Behörden hätten nach den Ermittlungen der Agence-France-Presse (AFP) das Recht, im Kriegsfall oder im Falle einer Erklärung eines Ausnahmezustands, alle männlichen Personen zwischen 18 und 42 Jahren, die ihren Wehrdienst abgeleistet hatten, wieder einzuberufen (AFP v. 27.3.2012 „Syria Imposes Travel Ban on Men Under 42: Reports“). Zum Thema Reisebeschränkungen der militärdienstpflichtigen Männer heißt es, dass die Regierung allen Männern zwischen 18 und 42 Jahren offiziell verboten habe, außerhalb des Landes zu reisen (The Christian Science Monitor v. 27.3.2012, „As Syria’s War Rages, Assad Bans Military-Age Men From Leaving“). Einschränkend gibt die AFP an, dass diese Männer reisen dürften, aber vorher eine Genehmigung von den Behörden bräuchten und das bisherige Reiseverbot sich nur auf Männer bezogen habe, die ihre zweijährige Wehrpflicht noch nicht abgeleistet hätten (AFP v. 27.3.2012; vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 13.8.2014, SYR104921.E, S. 6 f.).

Nach den Erkenntnissen des Orient-Instituts habe die syrische Regierung im März 2012 beschlossen, dass die Ausreise für alle männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren untersagt bzw. nur nach einer zuvor erteilten Genehmigung gestattet sei, auch wenn diese bereits den Wehrdienst abgeleistet hätten. Männliche syrische Staatsangehörige sähen sich nach einer Wiedereinreise nach Syrien in das durch die syrische Regierung kontrollierte Gebiet, wenn sie älter als 18 Jahre seien, der Einberufung in den Wehrdienst gegenüber. Für den Fall, dass der Wehrdienst vor der Ausreise nicht abgeleistet worden sei, könne dies von der syrischen Regierung verlangt werden. Habe die Ausreise unter anderem dem Zweck gedient, sich dem Wehrdienst zu entziehen (z.B. durch Flucht oder Bestechung eines direkten Vorgesetzten), so habe dies eine harte Bestrafung bis hin zur Todesstrafe, aber auch Folter zur Folge. Auch wenn der Wehrdienst bereits verrichtet worden sei, komme es seit Anfang 2011 dazu, dass männliche Staatsangehörige bis zu einem Alter von 42 Jahren erneut eingezogen würden (Deutsches Orient-Institut an das Schleswig-Holsteinische OVG undatiert).

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe führt aus („Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee“, v. 30.7.2014, S. 3 ff.), Männer hätten, nachdem sie die allgemeine Wehrpflicht absolviert hätten, die Möglichkeit, für die Dauer von fünf Jahren in den aktiven Militärdienst einzutreten. Ansonsten dienten sie während der nächsten 18 Jahre als Reservisten. Es gebe keine Möglichkeit für einen Ersatzdienst. Wehrdienstverweigerung werde gemäß dem Military Penal Code von 1950, der 1973 angepasst worden sei, bestraft. In Art. 68 sei festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft werde, wer sich der Einberufung entziehe. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlasse und sich so der Einberufung entziehe, werde mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Gemäß Art. 101 werde Desertion mit fünf Jahren oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlassen habe.

Im Herbst 2014 habe das Regime verschiedene Maßnahmen erlassen, um die Ausreise wehrdienstpflichtiger Männer zu verhindern. Bereits seit dem Ausbruch des Krieges hätten die syrischen Behörden bei der Ausreise von Männern, die zwischen 18 und 42 Jahre alt seien, eine offizielle Beglaubigung des Militärs verlangt, dass sie vom Dienst freigestellt seien. Am 20. Oktober 2014 habe die „General Mobilisation Administration des Department of Defense“ allen Männern die Ausreise verboten, die zwischen 1985 und 1991 geboren seien. Mit diesen neuen Restriktionen hätten Männer in den Zwanzigern keine Möglichkeiten mehr, das Land legal zu verlassen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien, Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.3.2015, S. 4).

2.2.4 Zum Vorgehen des syrischen Regimes bei der Rekrutierung von Wehrdienstverweigerern sind folgende Umstände in den Blick zu nehmen:

Nach den Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe werden in Kriegszeiten Reservisten einberufen. Die Einberufung als Reservist werde wie die Einberufung in den Militärdienst individuell ausgehändigt. Seit Ende 2012 werden immer mehr Reservisten in den Militärdienst einberufen. Tausende sollen 2012 einen Einberufungsbefehl erhalten haben. Präsident Assad sei dringend auf den Einsatz von Reservisten angewiesen. Im März 2012 habe die syrische Regierung deshalb allen Männern zwischen 18 und 42 Jahren verboten, das Land ohne Bewilligung zu verlassen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee v. 30.7.2014, S. 6 f). Seit Herbst 2014 habe das syrische Regime die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten intensiviert. Seither komme es zu großflächiger Mobilisierung von Reservisten, Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bis dahin dem Militärdienst entzogen hätten. Das Office of United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) habe bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen hätten, Fälle von Folter dokumentiert. Viele Männer, die im Rahmen der Maßnahmen einberufen würden, erhielten eine nur sehr begrenzte militärische Ausbildung und würden zum Teil innerhalb nur weniger Tage an die Front geschickt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.3.2015, S. 3 f).

Die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) hat am 3. Februar 2016 eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährdung dahingehend beantwortet, dass in den vergangenen Wochen mehrere tausend Personen in Syrien zum Wehrdienst eingezogen worden seien. Laut Augenzeugenberichten soll sich die Anzahl junger Männer in den Straßen von D. deutlich verringert haben. Einige hätten darüber berichtet, dass über die Überprüfung an Checkpoints hinaus auch Wohnhäuser aufgesucht worden seien, um Wehrdienstverweigerer zu rekrutieren. Auch habe es verlässliche Berichte darüber gegeben, dass Personen aus dem Gefängnis hinaus zum Wehrdienst eingezogen worden seien.

Nach einem Artikel in „Syria Deeply“ (unabhängiges digitales Medienprojekt in New York) vom 16. Dezember 2015 habe es in D. eine erhöhte Anzahl von Verhaftungen an staatlichen Kontrollstellen gegeben; die Behörden würden vermehrt prüfen, ob jemand sich dem Wehrdienst entziehe (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 8f.).

2.2.5 Nach der Überzeugung des Senats kann der von der Beklagten eingewandten gelockerten Ausstellungspraxis bei syrischen Reisepässen seit April 2015 wegen der wirtschaftlichen Dimension für den syrischen Staatshaushalt durch erhebliche Einnahmen keine Zielrichtung des Inhalts entnommen werden, dass dadurch die Ausreise von Männern im militärdienstpflichtigen Alter (Wehrpflichtige, Reservisten) staatlicherseits geduldet werden soll.

Nach Auskunft der Botschaft Beirut (Referat 313) vom 3. Februar 2016 (Antwort auf eine Anfrage des Bundesamts) werden seit April 2015 von syrischen Stellen innerhalb Syriens, aber auch von den syrischen Auslandsvertretungen wieder vermehrt syrische Reisepässe ausgestellt. Die Kosten belaufen sich innerhalb Syriens (D.) auf ca. 40 USD, außerhalb Syriens auf ca. 400 USD. Da sich die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes im ersten Quartal 2015 weiter verschlechtert habe, sei zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen syrischen Staatshaushalt zugute kämen. Letztlich lägen der Botschaft Beirut aber keine konkreten Erkenntnisse zur Verwendung syrischer staatlicher Einnahmen vor. Im Übrigen kann ein Staat auch andere geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Ausreise der Personengruppe der militärdienstpflichtigen Männer zu erschweren, wie z.B. das Erfordernis einer behördlichen Ausreisegenehmigung (s.o. 2.2.3). Eine gelockerte Ausstellungspraxis bei syrischen Reisepässen lässt daher im Hinblick auf die hier relevante Personengruppe der militärdienstpflichtigen Männer keine Schlüsse auf eine geänderte Haltung syrischer Sicherheitskräfte gegenüber Rückkehrern bei deren Einreise über den Flughafen D. bzw. andere Grenzkontrollen zu.

2.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht zur Überzeugung des Senats fest, dass Rückkehrern im militärdienstpflichtigen Alter (Wehrpflichtige, Reservisten), die sich durch Flucht ins Ausland einer in der Bürgerkriegssituation drohenden Einberufung zum Militärdienst entzogen haben, bei der Einreise im Zusammenhang mit den Sicherheitskontrollen von den syrischen Sicherheitskräften, in Anknüpfung an eine (unterstellte) oppositionelle Gesinnung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine menschenrechtswidrige Behandlung, insbesondere Folter, droht.

Aus den Erkenntnisquellen geht übereinstimmend hervor, dass jeder über eine offizielle Grenzstelle - insbesondere den Flughafen D. - zurückkehrende Syrer den strengen obligatorischen Einreisekontrollen der syrischen Sicherheitskräfte unterzogen wird. Weiter ist davon auszugehen, dass die Sicherheitskräfte darüber informiert sind (Datenbanken bzw. Kontrolllisten), ob die betreffende Person Wehrpflichtiger oder Reservist ist. Ebenso wird für die Sicherheitskräfte ersichtlich sein, ob der Rückkehrer im militärdienstpflichtigen Alter ggf. gegen die Mitteilungspflicht seines Wohnortes gegenüber den Militärbehörden verstoßen hat bzw. ob eine Ausreiseerlaubnis der Militärbehörde vorlag. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden (Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 9).

Auch das Auswärtige Amt unterscheidet im Hinblick auf eine Rückkehrgefährdung: Dort liegen zwar keine Erkenntnisse vor, dass unverfolgt ausgereiste Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts und Asylantragstellung Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien (Auswärtiges Amt an das Schleswig-Holsteinische OVG v. 7.11.2016). Dem Auswärtigen Amt sind aber Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien. Dies stehe überwiegend im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammen arbeite (Deutsche Botschaft Beirut v. 3.2.2016 an das Bundesamt).

Seit dem generellen Abschiebestopp im April 2011 liegen nur vereinzelt Fallbeispiele von Rücküberstellungen aus westlichen Ländern vor, so dass insoweit von „Referenzfällen“ nicht ausgegangen werden kann. Laut Auskunft eines juristischen Mitarbeiters vom UNHCR Kanada gebe es nur eingeschränkte Informationen bezüglich der Behandlung von syrischen Rückkehrern seit 2011. Die Presse berichte nicht über die Behandlung von Rückkehrern durch Grenzbeamte (Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E, v. 19.1.2016, S. 5).

Vor diesem Hintergrund ergibt sich die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Merkmale vornehmlich aus dem Charakter des um seine Existenz kämpfenden Staates und den von seinen Machthabern mit größter Härte und unter Einsatz menschenrechtswidriger Mittel verfolgten Zielen. Das erklärte Ziel des syrischen Regimes ist unter Fortbestehen der Machtarchitektur die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik. Diesen Kriegszielen hat das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele untergeordnet - und zu ihrer Verteidigung hat es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen, sondern auch massive eigene Verluste (s.o. Nr. 2.1, Gerlach, „Was in Syrien geschieht - Essay“ v. 19. 2.2016).

Die erheblichen Verluste auf Seiten des syrischen Militärs führten dazu, dass im Verlaufe des Krieges die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten erheblich intensiviert wurden. Dabei sind bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen hatten, auch Fälle von Folter dokumentiert worden. Die Ausreise von militärpflichtigen Personen wurde durch verschiedene Maßnahmen (z.B. Ausreiseerlaubnis) erschwert.

Insoweit wird deutlich, dass das Interesse des syrischen Regimes an einer jederzeit möglichen Einberufung seiner militärdienstpflichtigen Staatsbürger zur Weiterverfolgung seiner Kriegsziele und damit letztlich für die Wiederherstellung und den Erhalt seiner Macht von entscheidender Bedeutung ist. Im Zusammenwirken mit dem Charakter des bedingungslos zur Erreichung seiner Ziele agierenden syrischen Regimes unter weitverbreitetem Einsatz von menschenrechtswidrigen Mitteln, wie insbesondere Folter, ist davon auszugehen, dass das syrische Regime Personen, die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, regelmäßig eine illoyale, politisch oppositionelle Haltung unterstellt. Denn diese Personen haben sich trotz des das Regime in seiner Existenz bedrohenden Krieges nicht für einen Militäreinsatz bereitgehalten und so aus der Sicht der Machthaber ein Verhalten gezeigt, das dessen drängenden militärischen Bedürfnissen zuwiderläuft.

An diese (unterstellte) oppositionelle Gesinnung des Rückkehrers knüpft bei seiner Einreise beachtlich wahrscheinlich eine Folterbehandlung an, die der Einschüchterung und Bestrafung für die regimefeindliche Gesinnung dient. Der Rückkehrer soll durch die unmittelbar bei Einreise erfolgende „Sonderbehandlung“ der Folter - neben der flüchtlingsrechtlich im Grundsatz nicht relevanten Zwangsrekrutierung und ggf. erfolgenden Bestrafung wegen eines Wehrdelikts - für seine in der Bürgerkriegssituation politisch unzuverlässige Haltung und die darin zum Ausdruck kommende regimefeindliche Gesinnung eingeschüchtert und bestraft werden. Diese Verhaltensmuster der syrischen Sicherheitskräfte finden ihre Entsprechung und Bestätigung im allgemeinen Vorgehen der syrischen Regierung gegen Personen, die im Verdacht stehen Oppositionsbewegungen zu unterstützen. Die Auswertung der beigezogenen Erkenntnismittel zeigt vielmehr, dass das syrische Regime zur Erhaltung seiner Macht ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner mit größter Rücksichtslosigkeit vorgeht. So führt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International im jüngsten Bericht zu Haftbedingungen in Syrien betreffend das Jahr 2016 an, dass die Nachforschungen der Organisation seit dem Beginn der Krise darauf hindeuten würden, dass jeder, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, Gefahr laufe willkürlich inhaftiert zu werden, zu verschwinden oder gefoltert oder misshandelt zu werden und möglicherweise in der Haft zu sterben. Die Gründe für eine Verhaftung wegen des Verdachts der Regimefeindlichkeit würden variieren (Amnesty Report 2016 v. 2. März 2016, S. 16).

Auch aus den Umständen, dass das syrische Regime bei „missliebigen Personen“ menschenrechtswidrige Maßnahmen, insbesondere Folter und „Verschwindenlassen“ anwendet, und zulässt, dass sich das Opfer gegenüber staatlichen Willkürakten nicht zur Wehr setzen kann, können Schlüsse darauf gezogen werden, wie ein Unrechtsstaat mit Personen, die er als illoyal und regimefeindlich einstuft, bei deren Rückkehr verfährt. Human Rights Watch und der UNHCR haben über die weitverbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden berichtet (Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 4; OHCHR, Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic v. 14.4.2014; Human Rights Watch, Syria, World Report 2015, 29.1.2015). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe verweist auf die von Human Rights Watch 2012 ausführlich dokumentierte Vorgehensweise der Geheimdienste, die Willkür der Inhaftierung und die miserablen Haftbedingungen in den Haftzentren der verschiedenen Geheimdienstabteilungen. Gemäß dem Bericht des United States Departement of State 2015 habe die Anzahl willkürlicher Verhaftungen vor allem von Jungen ab 10 Jahren sowie Männern im Jahr 2014 zugenommen. Viele Verhaftungen hätten an Checkpoints stattgefunden, die vom Militär, einem der Geheimdienste oder den Paramilitärischen National Defense Forces unterhalten werden. Die UN Kommission über Syrien (UN Commission of Inquiry on Syria) habe über Massenverhaftungen von Männern im wehrdienstfähigen Alter berichtet. Dies sei vor allem in Regionen geschehen, die vom syrischen Regime zurückerobert worden seien. Human Rights Watch habe 2012 über zwanzig verschiedene Foltermethoden dokumentiert, die in den Haftzentren der Geheimdienste entwickelt und angewendet würden. Straffreiheit der Sicherheitskräfte sei die Norm. Aus dem Jahr 2014 seien dem United States Departement of State keine strafrechtlichen Verfahren oder Verurteilungen von Angehörigen der Sicherheitsdienste wegen Missbrauchs oder Korruption bekannt (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse v. 26.10.2015 zu Syrien: Geheimdienst, S. 4f. m.w.N.)

Der UNHCR kommt für den Fall der „Prüfung individueller Asylanträge“ zu der Einschätzung, es sei wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. Art. 1 A (2) der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllen. (S.25 f, Nr. 36,). Der UNHCR ist der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der beschriebenen Risikoprofile „wahrscheinlich“ internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention benötigten. Unter ein solches Risikoprofil fallen nach Auffassung des UNHCR unter anderem „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte…“ (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S.25 f.). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom 15. Oktober 2015 die Ansicht von Human Rights Watch zugrunde gelegt, dass junge Männer im wehrfähigen Alter von Haft und Misshandlung besonders bedroht seien (vgl. EGMR U.v. 15.10.2015 - 40081/14, 40127/14 - L.M. u.a. ./ Russische Föderation, NVwZ 2016, 1779, Rn. 123-125).

Nach alldem ist nach der Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die syrischen Sicherheitskräfte die Rückkehrer nicht pauschal der Opposition zuordnen, sondern danach differenzieren, ob der Rückkehrer als Unpolitischer oder Oppositioneller einzustufen ist. Die Verfolgungsprognose führt nach der Überzeugung des Senats auch unter Berücksichtigung der hohen Flüchtlingszahlen (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 6, bis Herbst 2015 seien mehr als vier Millionen Syrer ins Ausland geflohen) zu dem Ergebnis, dass die Personengruppe der militärdienstpflichtigen Personen (Wehrpflichtige, Reservisten), die sich im Bürgerkrieg nicht den Regierungstruppen zur Verfügung gestellt haben, sondern durch Flucht ins Ausland ihren staatsbürgerlichen Aufgaben nicht nachgekommen sind, aus Sicht des syrischen Regimes als oppositionell eingestuft werden und dementsprechend bei einer Rückkehr beachtlich wahrscheinlich der weit verbreiteten Folterbehandlung unterzogen werden.

3. Ausführungen zu weiteren möglichen Verfolgungshandlungen (§ 3a Abs. 1 und 2 AsylG) seitens des syrischen Regimes im Hinblick auf rückkehrende Militärdienstpflichtige, wie insbesondere zu § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG einschließlich der glaubhaften Darlegung eines ernsthaften Gewissenskonflikts (vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 3a Rn 36, 41), sowie zur flüchtlingsrechtlichen Relevanz einer dem Kläger drohenden Bestrafung wegen Kriegsdienstverweigerung mit politischem Charakter („Politmalus“) sind nicht veranlasst.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 1, § 711 ZPO.

6. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.