Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 11. Mai 2017 - 20 B 16.203

bei uns veröffentlicht am11.05.2017

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 30. April 2015 wird geändert. Es wird festgestellt, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, dem Kläger zu untersagen, zur Kennzeichnung der auf seinen Rebflächen erzeugten und in den Verkehr zu bringenden bzw. gebrachten Qualitätsweine b.A. der Lage „J…“, die Ortsbezeichnung „I… bzw. „I…r“ als Name der Gemeinde oder des Ortsteils i.S. von § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WeinV nicht zusammen mit dem Lagenamen auf dem Frontetikett, sondern auf dem Rückenetikett aufzuführen.

II. Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Beklagte.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger betreibt als Einzelhandelskaufmann ein Weingut in I… zu dessen Rebflächen u.a. Flächen in der in der Weinbergsrolle eingetragenen, in der Gemeinde I… gelegenen Einzellage „J…“ gehören.

Die Regierung von Unterfranken erteilte für einen Wein der Rebsorte Riesling aus dem Jahrgang 2011, der in der Weinlage I…r J… erzeugt worden war, die amtliche Prüfungsnummer. Der Kläger beabsichtigte, diesen Wein mit folgender Etikettierung in den Verkehr zu bringen:

„Frontetikett“:

Weingut

J. R.

I…

Franken

2011er

J…

Riesling

Gutsabfüllung …

„Rückenetikett“:

2011er I…r J…

Riesling trocken

Deutscher Qualitätswein Enthält Sulfite

Weingut ... Gutsabfüllung

AP-Nr. …

0,75 L alc. 12,5% vol

FRANKEN

Aufgrund einer Probenahme kam das Bayer. Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit unter dem 24. Juli 2012 zu der Beurteilung, auf der Grundlage von Art. 67 Abs. 1 und Abs. 2 Verordnung (EG) 607/2009 und § 23 Abs. 1 WeinG bestimme § 39 Abs. 1 Nr. 2 WeinV, dass bei der Verwendung des Namens einer Lage in der Bezeichnung eines Qualitätsweines b.A. diesem Namen der Name der Gemeinde oder des Ortsteiles hinzuzufügen sei. Auf dem Etikett des untersuchten Qualitätsweines b.A. mit der g.U. „Franken“ sei auf dem Rückenetikett die Lage „J…“ zusammen mit der Gemeinde „I…“ angegeben. Auf dem Frontetikett sei die Lage „J…“ ohne die nach Weinbergsrolle zugehörige Gemeinde bzw. den zugehörigen Ortsteil gekennzeichnet. Da auf dem Frontetikett der Name der Lage „J…“ ohne die Hinzufügung des Namens der Gemeinde oder des Ortsteils gekennzeichnet sei, entspreche diese Angabe nicht § 39 Abs. 1 Nr. 2 WeinV. Die korrekte Angabe von Lage und Gemeinde auf dem Rückenetikett sei nicht ausreichend, da der Bezeichnung des Lagenamens auf dem Frontetikett die vorgeschriebene Hinzufügung des Gemeindenamens fehle. Nach § 27 Abs. 1 WeinG dürften Erzeugnisse, die u.a. diesem Gesetz nicht entsprächen, nicht in den Verkehr gebracht, eingeführt oder ausgeführt werden, soweit nichts Abweichendes bestimmt sei (z.B. durch Ausnahmegenehmigung).

Daraufhin brachte der Kläger den Wein nicht unter dieser Etikettierung in den Verkehr.

Am 26. Juni 2013 ließ der Kläger Feststellungsklage erheben.

Mit Urteil vom 30. April 2015 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung. Auf der Grundlage der einschlägigen europäischen Normen und denen des Weingesetzes enthalte § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Weinverordnung (WeinV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. April 2009 (BGBl. I S. 827), zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. April 2015 (BGBl. I S. 614), diejenige Regelung, auf die sich der Beklagte im vorliegenden Verfahren berufe. Wird hiernach zur Bezeichnung eines Qualitätsweines der Name einer Lage oder einer kleineren geografischen Einheit gem. § 23 Abs. 1 WeinG verwendet, ist diesem der Name der Gemeinde oder des Ortsteils hinzuzufügen. Aus den zitierten Vorschriften ergebe sich somit, dass der Kläger bei einem Wein mit geschützter Ursprungsbezeichnung bzw. mit einem traditionellen Begriff, also auch bei einem Qualitätswein aus dem Anbaugebiet Franken, eine gegenüber diesem Anbaugebiet kleinere geografische Einheit, also auch eine in die Weinbergsrolle eingetragene Lagebezeichnung wie z.B. die Einzellage angeben darf. Eine Überprüfung des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WeinV ergebe, dass die Regelung als Berufsausübungsregelung nicht zu beanstanden sei und demzufolge auch nicht die vom Kläger in den Raum gestellte verfassungskonforme Auslegung erforderlich sei, um der Regelung überhaupt zur Verfassungskonformität und damit zur Anwendbarkeit zu verhelfen. Die Zwecke des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WeinV seien als legitime Gemeinwohlziele anzusehen, da eine eindeutige und transparente Bezeichnung von Lebensmitteln zum Schutz der Verbraucher immer ein wichtiges Gemeinwohlziel sei. Insbesondere sei es sachgerecht, auf eine klare Unterscheidbarkeit zwischen einer Lagebezeichnung (geografische Einheit) und einer Fantasiebezeichnung (ggf. eine Marke) hinzuarbeiten. Dies ergebe sich schon aus der oben dargestellten „Schloßberg-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 51, 193). Hiernach sei die geografische Herkunftsangabe neben anderen Angaben ein werbliches Kennzeichnungsmittel, das der Individualisierung der Ware, der Herstellung einer Beziehung zwischen der gekennzeichneten Ware einerseits und Qualitäts- und Preisvorstellungen der Kunden andererseits diene. Sie sei ein für die Kaufentscheidung des Verbrauchers bedeutsamer Informationsträger. Der Kennzeichnungsfunktion der geografischen Lage komme damit über die reine „Adressenangabe“ hinaus erhebliche Bedeutung für den Wettbewerb zu. Aber auch aus einer anderen Blickrichtung seien die Zwecke des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WeinV sachgerecht und vernünftig: Denn Fantasiebezeichnungen könnten für den Fall, dass sie Verkehrsgeltung erlangen, dem Markenbegriff zuzuordnen sein. Demzufolge sei es auch unter diesem Aspekt sachgerecht, zum Schutz von Fantasiebezeichnungen, die zu Marken „mutieren“ könnten, deren eindeutige Erkennbarkeit sicherzustellen. Eine eindeutige Unterscheidbarkeit zwischen gleichlautenden Lagenamen einerseits und zwischen Lagenamen und Fantasiebezeichnungen andererseits sei jedoch ohne eine entsprechende Regelung zur näheren (eindeutigen) Kennzeichnung der entsprechenden Begriffe nicht hinreichend gegeben. Hinsichtlich der Unterscheidbarkeit von gleichlautenden Lagenamen liege dies auf der Hand. Aber auch hinsichtlich der Unterscheidbarkeit zwischen Lagenamen einerseits und Fantasiebezeichnungen (ggf. Marken) andererseits sei nicht immer eine eindeutige Unterscheidbarkeit ohne weitere Kennzeichnung möglich. Dies ergebe sich daraus, dass viele in die Weinbergsrolle eingetragene Lagenamen vielen von deutschen Weingütern verwendeten Fantasiebezeichnungen ähnlich sind (und umgekehrt), so dass eine eindeutige Unterscheidbarkeit ohne ein zusätzliches Merkmal (wie die Hinzufügung des Ortsnamens zur Lagebezeichnung) nicht möglich erscheine. Es bedürfe keiner weiteren Erörterung, dass der Durchschnittsweinverbraucher zwischen derartigen Lagenamen und Fantasiebezeichnungen ohne ein weiteres Unterscheidungsmerkmal wie die Hinzufügung des Ortsnamens bei Lagebezeichnungen kaum unterscheiden könne. Mit der Kombination aus Orts- und Lagename werde eindeutig erkennbar, dass es sich um eine Weinlage handelt. Umgekehrt werde eindeutig ein Begriff ohne hinzugefügten Ortsnamen als Fantasiebezeichnung (ggf. Marke) gekennzeichnet. Die vom Kläger angestrebte Verfahrensweise, auf dem einen Etikett (vom Kläger als „Rückenetikett“ bezeichnet) den Lagenamen unter Hinzufügung des Ortsnamens anzugeben, auf einem anderen auf der gegenüberliegenden Flaschenseite angebrachten Etikett (vom Kläger als „Schauetikett“ bezeichnet) lediglich die Lagebezeichnung ohne den Ortsnamen anzugeben, sei ungeeignet, weil sich hieraus die Gefahr einer Irreführung des Verbrauchers, also die Gefahr einer Verbrauchertäuschung ergäbe.

Die Verbrauchererwartung gehe nach Überzeugung des Gerichts davon aus, dass bei der geografischen Kennzeichnung eines Qualitätsweins b.A. das Anbaugebiet erkennbar sei und mit einem der in § 3 Abs. 1 WeinG genannten Begriffe gekennzeichnet sei. Darüber hinaus gehe die Verbrauchererwartung nach Überzeugung des Gerichts davon aus, dass bei der Angabe einer Lagebezeichnung (und hier unterscheidet der Durchschnittsverbraucher nicht zwischen Einzellage und Großlage) immer auch die Angabe des Ortes oder des Ortsteils zu finden sei, in dem die Weinlage gelegen sei. Der Durchschnittsverbraucher erwarte also regelmäßig einen Doppelbegriff, bestehend aus Orts- und Lagenamen. Diese Erwartung sei durch eine jahrzehntelange Praxis der Verbindung von Gemeinde- und Lagenamen geprägt, auch wenn nach dem ab dem Jahr 1930 geltenden Weinrecht keine entsprechende zwingende gesetzliche Vorschrift bestand. Durch die jahrzehntelange Praxis habe sich eine „optische Erwartung“ des Verbrauchers herausgebildet; eine alleinstehende Bezeichnung wird nicht als Lagenamen wahrgenommen (Koch, a.a.O.). Demgegenüber signalisiere schon der visuelle Eindruck eines aus zwei Wörtern stehenden Begriffes auf einem Weinetikett, dass es sich hier um die Angabe von Ort und Lage handelt.

An dieser Verkehrsauffassung bzw. Verbrauchererwartung des Durchschnittsverbrauchers habe sich durch die seit knapp zehn Jahren gängige Praxis mancher Weinerzeuger, ihren Wein so zu etikettieren nichts geändert, weil dies nur dem Weinkenner bekannt sei, auf den nicht abzustellen sei. Das Irreführungsverbot wolle aber gewährleisten, dass der Verbraucher klare, eindeutige und schnell erkennbare Informationen über die geografische Herkunft des Weines erhalte. Sofortige Erkennbarkeit solle gewährleistet und missverständliche Angaben, auch wenn sie sachlich richtig seien, verhindert werden. Bei der Weinauswahl sei der Verbraucher auf das Frontetikett ausgerichtet. Hier bestehe im Falle des Klägers die Gefahr, dass der Verbraucher die Lageangabe ohne Ortsbezeichnung als Fantasiebegriff verstehe und keinen Anlass sehe, die Flasche umzudrehen. Soweit er die Flasche dennoch umdrehe, könne er durch die widersprüchlichen Etikettierungen verwirrt werden. Die einheitliche Rechtsanwendung der Vorschrift gebiete eine generalisierende Betrachtungsweise ohne jeden Einzelfall gesondert zu bewerten.

Mit seiner wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Berufung beantragt der Kläger:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 30. April 2015 wird geändert. Es wird festgestellt, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, dem Kläger zu untersagen, zur Kennzeichnung der auf seinen Rebflächen erzeugten und in den Verkehr zu bringenden bzw. gebrachten Qualitätsweinen b.A. der Lage „J…“, die Ortsbezeichnung „I…“ bzw. „I…r“ als Name der Gemeinde oder des Ortsteils i.S. von § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WeinV nicht zusammen mit dem Lagenamen auf dem Frontetikett, sondern auf dem Rückenetikett aufzuführen.

§ 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WeinV sei nicht von der Verordnungsermächtigung des § 24 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 5 WeinG gedeckt. Aufgrund der Tatsache, dass § 23 Abs. 1 Nr. 3 WeinG bezüglich des Namens von Gemeinden und Ortsteilen zusätzliche Angaben betreffe, die Verordnungsermächtigung gemäß § 24 Abs. 3 Nr. 5 WeinG vorgeschriebene Bezeichnungen und sonstige Angaben auf Behältnissen zum Schutz des Verbrauchers enthalte, ergebe sich, dass die in § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WeinV getroffene Regelung - ausgestaltet als zwingende Voraussetzungen für das Inverkehrbringen, einführen oder ausführen von Erzeugnissen gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 WeinG - die Ermächtigungsgrundlage gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 5 WeinG überschreite, somit bereits aus diesem Grunde rechtswidrig sei.

Weiter sei § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WeinV nicht mit der Verordnung (EG) Nr. 607/2009 vereinbar. Diese Verordnung eröffne zwei unterschiedliche Tatbestandskonstellationen. Zum einen hinsichtlich der Anbringung der obligatorischen Angaben gemäß Art. 58 der Verordnung (EG) Nr. 479/2008 sowie derjenigen gemäß Art. 59 dieser Verordnung, die gemäß Art. 50 der Verordnung (EG) Nr. 607/2009 zusammen im gleichen Sichtbereich auf dem Behältnis so anzubringen, dass sie gleichzeitig gelesen werden könnten, ohne dass es erforderlich sei, das Behältnis umzudrehen. Zum anderen hinsichtlich des Namens einer geographischen Einheit folgender Bezugnahmen auf geographische Punkte, die gemäß Art. 67 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 607/2009 nur auf dem Etikett von Weinen mit geschützter Ursprungsbezeichnung oder geographischer Angabe stehen dürften, sodass bereits nach dem Wortlaut von Art. 67 Abs. 3 der Verordnung Nr. 607/2009 alternativ, nicht jedoch kumulativ, zur Verfügung stünden die Bezeichnung einer Lage oder einer Einheit, die mehrere Lagen umfasse, einer Gemeinde oder eines Ortsteils, eines Untergebiets oder des Teils eines Untergebiets sowie einer Gemeinde. Art. 50 der VO 607/2009 i.V.m. Art. 58 und 59 der VO 479/2008 beträfen also obligatorische Angaben, Art. 67 der 607/2009 fakultative Angaben. Letztere unterlägen nicht dem für die Anbringung obligatorischer Angaben gemäß Art. 50 Abs. 1 Satz 1 VO 607/2009 bestehenden Maßgabe der Anbringung im gleichen Sichtbereich auf dem Behältnis.

Schließlich sei die Voraussetzung des gemeinschaftsrechtlichen Irreführungsverbots nicht erfüllt. Das Urteil der Vorinstanz verkenne nicht nur das nach den Gesetzen der Lebenserfahrung zu qualifizierende und erwartbare Kaufverhalten des Durchschnittsverbrauchers, sondern darüber hinaus, dass sich auf dem Rückenetikett obligatorische Angaben wie zum Beispiel der Alkoholgehalt oder das Flaschenvolumen befänden. Wolle der Verbraucher diese Angaben zur Kenntnis nehmen, müsse er die Flasche umdrehen und könne in diesem Zusammenhang auch die Lagebezeichnung in Kombination mit dem Ort wahrnehmen. Weiter müssten nach Art. 50 Abs. 1 Satz 2, Art. 51 Abs. 1 der VO 607/2009 die obligatorischen Angaben sowie diejenigen gemäß Art. 51 und Art. 56 Abs. 4 VO 607/2009 außerhalb des Sichtbereichs angebracht werden, in dem sich die anderen obligatorischen Angaben befänden, wovon unter anderen betroffen seien die Angabe des Alkoholgehalts, das Flaschenvolumen sowie die Angabe „enthält Sulfite“. Die vorbezeichneten Angaben befänden sich regelmäßig auf dem Rückenetikett des Behältnisses, so wie das auch vom Kläger gehandhabt werde. Nach der Lebenserfahrung müsse angenommen werden, dass der Durchschnittsverbraucher das Behältnis umdrehe, um sich Vergewisserung hinsichtlich des Alkoholgehalts zu verschaffen. Des Weiteren werde auf die Verwaltungspraxis der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier hingewiesen, welche die vom Kläger angestrebte Praxis in ihrem Zuständigkeitsbereich ausdrücklich erlaube.

Der Beklagte beantragte,

die Berufung zurückzuweisen.

Tatsächlich benenne § 23 Abs. 1 WeinG in Nummer 1 unter anderem die Namen von Lagen und die Nummer 3 unter anderen die Namen von Gemeinden als zusätzlich zur Angabe des Anbaugebiets im Sinne von § 3 Abs. 1 WeinG zulässige Angaben, ohne zu bestimmen, ob und welche Kombinationsmöglichkeiten dabei offen stehen oder versagt sein sollten. § 23 Abs. 1 WeinG sei somit hinsichtlich der in § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WeinV getroffenen Regelung neutral. Die Vorgaben in Art. 50 der VO 607/2009 schlössen nicht aus, dass im nationalen Weinrecht wie zum Beispiel in § 39 Abs. 1 Satz 1 WeinV strengere Anforderungen an die Etikettierung gestellt würden. Dies werde vielmehr durch Art. 67 Abs. 2 Satz 2 und Art. 70 Abs. 1 der VO 607/2009 gerade ermöglicht. Zum Irreführungsverbot sei festzuhalten, dass Art. 50, Art. 51 und Art. 56 der VO 607/2009 sich nicht mit der Frage auseinandersetzten, auf welchem von mehreren Etiketten obligatorische Angaben sich zu befinden hätten. Sinn und Zweck dieser Vorschriften sei es vielmehr, dass obligatorische Angaben grundsätzlich auf einen Blick zu sehen sein sollten, ohne sich dazu zu verhalten, auf welchem Etikett sich diese Angaben befinden sollten. Für die Auslegung des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WeinV seien diese Vorschriften nicht hilfreich. Die Überlegungen des Verwaltungsgerichtes seien nicht von der Hand zu weisen. Dies gelte insbesondere hinsichtlich der Unterscheidbarkeit und Fantasiebezeichnungen. Die abweichende Verwaltungspraxis des Landes Rheinland-Pfalz treffe keine Aussage über die Richtigkeit der rechtlichen Einschätzung durch den Beklagten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und beigezogenen Behördenakten verwiesen. Hinsichtlich des Verlaufes der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet.

Die von dem Kläger erhobene Feststellungsklage ist zulässig und begründet. Deswegen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die begehrte Feststellung getroffen.

Die Klage ist zulässig. Die Feststellungsklage ist nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Nach § 43 Abs. 1 kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

Der Kläger begehrt die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses. Unter einem solchen Rechtsverhältnis ist die rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache zu verstehen (W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 43 Rn. 11 m.w.N.). Der Kläger will festgestellt wissen, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, ihm zu untersagen, dass er seinen Wein nur mit dem Lagenamen auf dem Frontetikett und den Lagenamen mit der Ortsbezeichnung lediglich auf dem Rückenetikett im Geschäftsverkehr verwendet. Damit zielt er auf das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses.

Ihm steht auch das Rechtsschutzinteresse zu, weil der Beklagte der Auffassung ist, dass die vom Kläger etikettierten Weinflaschen unter das Verkehrsverbot des § 27 WeinG fallen. Zudem kommt bei einer gesetzeswidrigen Bezeichnung eine Ahndung nach Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrecht nach §§ 48f. WeinG in Betracht (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 7.12.2016 - 8 A 10482/16 - juris Rn 25).

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger ist gegenüber dem Beklagten nicht verpflichtet, die Ortsbezeichnung dem Lagenamen auf dem Frontetikett hinzuzufügen. Das Verwaltungsgericht hat die vom Kläger beantragte Feststellung zu Unrecht nicht getroffen. Der Kläger ist nicht verpflichtet, auf dem Frontetikett dem Lagenamen die Ortsbezeichnung hinzuzufügen, wenn er dies auf dem Rückenetikett vornimmt.

Rechtsgrundlage für die Kennzeichnung und Aufmachung im Weinsektor ist die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 (ABl. L 347, S. 671) - Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 -, geändert durch Verordnung (EU) Nr. 1310/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 (ABl. L 347, S. 865 berichtigt in ABl. L 189, S. 261).

Nach Art. 117 Halbsatz a) der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 bezeichnet der Ausdruck „Kennzeichnung“ u.a. die Angaben, Bezeichnungen, Hersteller- oder Handelsmarken, Abbildungen oder Zeichen auf Etiketten, wobei die Etikettierung gemäß Art. 118 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3a der Richtlinie 2000/13/EG alle Angaben, Kennzeichnungen, Hersteller- oder Handelsmarken, Abbildungen oder Zeichen umfasst, die sich auf ein Lebensmittel beziehen und auf jeglicher Art von Verpackung, Schriftstück, Tafel, Etikett, Ring oder Verschluss angebracht sind und dieses Lebensmittel begleiten oder sich auf dieses Lebensmittel beziehen, so dass auf die gesamte Etikettierung des Weins, also sowohl auf das so genannte Schauetikett als auch auf das Rückenetikett abzustellen ist (vgl. insoweit auch EuGH, Urteil vom 4.6.2015 - C-195/14 -, juris Rn. 41 und BGH, Urteil vom 10.12.2015 - I ZR 222/13 -, juris Rn. 44).

Nach Art. 119 Abs. 1e der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 gehört bei der Kennzeichnung von Wein, der gemäß Anhang VII Nr. 1 der Verordnung zu den von dieser Norm erfassten Erzeugnissen gehört, die Angabe der Herkunft und des Abfüllers zu den obligatorischen Angaben bei der Kennzeichnung, wobei sich die Herkunft des Weines im Sinne dieser Bestimmung danach richtet, wo die Trauben gewachsen sind, nicht aber danach, wo der Wein erzeugt und abgefüllt wurde.

Nach Art. 120 Abs. 1 Buchst. g) Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 kann die Kennzeichnung und Aufmachung von Wein neben anderen Angaben insbesondere für Weine mit einer geschützten Ursprungsbezeichnung den Namen einer anderen geografischen Einheit, die kleiner oder größer ist als das Gebiet, das der Ursprungsbezeichnung zugrunde liegt, als fakultative Angabe umfassen.

Diese Vorschrift wird durch Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 607/2009 der Kommission vom 14. Juli 2009 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 479/2008 des Rates hinsichtlich der geschützten Ursprungsbezeichnungen und geografischen Angaben, der traditionellen Begriffe sowie der Kennzeichnung und Aufmachung bestimmter Weinbauerzeugnisse (ABl. L 193, S. 60), zuletzt geändert durch Durchführungsverordnung (EU) Nr. 753/2013 der Kommission vom 2. August 2013 (ABl. L 210, S. 21) - Verordnung (EG) Nr. 607/2009 - ergänzt. Diese Verordnung ist im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 anwendbar. Dies ergibt sich aus den Bezugnahmen in Art. 49 ff. Verordnung (EG) Nr. 607/2009 auf die Verordnung (EG) Nr. 479/2008. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 491/2009 wird die Verordnung (EG) Nr. 479/2008 aufgehoben, Verweise auf die aufgehobene Verordnung gelten als Verweise auf die Verordnung (EG) Nr. 1234/2007. Gemäß Art. 230 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 gelten Verweise auf die Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 als Verweise auf die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013.

Nach Art. 67 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 607/2009 dürfen der Name einer geografischen Einheit und Bezugnahmen auf geografische Gebiete nur auf dem Etikett von Weinen mit geschützter Ursprungsbezeichnung stehen. Gemäß Art. 67 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung muss für die Verwendung des Namens einer geografischen Einheit, die kleiner ist als das Gebiet, das der Ursprungsbezeichnung zugrunde liegt, das Gebiet der betreffenden geografischen Einheit genau definiert sein. Gemäß Art. 67 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EG) Nr. 607/2009 können die Mitgliedstaaten Vorschriften für die Verwendung dieser geografischen Einheiten erlassen. Art. 67 Abs. 3 der Verordnung legt fest, dass der Name einer geografischen Einheit, die kleiner oder größer ist als das Gebiet, das der Ursprungsbezeichnung zugrunde liegt, aus dem Namen einer Lage oder einer Einheit, die mehrere Lagen umfasst (Buchst. a)), einer Gemeinde oder eines Ortsteils (Buchst. b)), eines Untergebiets oder des Teils eines Untergebiets (Buchst. c)), einer Verwaltungseinheit (Buchst. d)) bestehen muss. Art. 70 Abs. 1 der Verordnung legt fest, dass von den Mitgliedstaaten für in ihrem Hoheitsgebiet hergestellte Weine mit geschützter Ursprungsbezeichnung die Angaben gemäß Art. 67 zwingend vorgeschrieben, verboten oder hinsichtlich ihrer Verwendung eingeschränkt werden können.

Auf der Grundlage von Art. 67 Abs. 2 Satz 2, Art. 70 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 607/2009 hat der nationale Gesetzgeber weitere Regelungen geschaffen. Nach § 3 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 des Weingesetzes (WeinG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 2011 (BGBl. I S. 66), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. Oktober 2014 (BGBl. I S. 1586), werden u.a. für Qualitätsweine bestimmte Anbaugebiete festgelegt, darunter auch das Anbaugebiet Franken. Soweit diese Bezeichnungen der bestimmten Anbaugebiete nach europäischem Recht geschützt sind, gelten u.a. für die Qualitätsweine dieser Anbaugebiete die Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union über Weine mit geschützter Ursprungsbezeichnung, sofern dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.

Nach § 23 Abs. 1 WeinG dürfen u.a. bei Qualitätsweinen, die mit dem Namen eines bestimmten Anbaugebietes i.S.d. § 3 Abs. 1 WeinG benannt sind, zusätzlich nur angegeben werden (1.) die Namen von in die Weinbergsrolle eingetragenen Lagen und Bereichen (2.) die Namen kleinerer geographischer Einheiten, die in der Liegenschaftskarte abgegrenzt sind, soweit diese Namen in die Weinbergsrolle eingetragen sind, (3.) die Namen von Gemeinden und Ortsteilen.

Nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 5 WeinG wird der Verordnungsgeber ermächtigt, Vorschriften über geografische Bezeichnungen zu erlassen und zu regeln, in welcher Weise vorgeschriebene Bezeichnungen und sonstige Angaben auf Behältnissen angebracht sein müssen.

Auf dieser Grundlage enthält § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Weinverordnung (WeinV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. April 2009 (BGBl. I S. 827), zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. April 2015 (BGBl. I S. 614), diejenige Regelung, auf die sich der Beklagte im vorliegenden Verfahren beruft. Wird hiernach zur Bezeichnung eines Qualitätsweines der Name einer Lage oder einer kleineren geografischen Einheit gem. § 23 Abs. 1 WeinG verwendet, ist diesem der Name der Gemeinde oder des Ortsteils hinzuzufügen.

Nach dem Wortlaut der Rechtsverordnung besteht, wie vom Beklagten vertreten, die Auslegungsmöglichkeit, dass immer dann, wenn, wie hier, die Lage zur Bezeichnung eines Qualitätsweines verwendet wird, stets die Ortsbezeichnung dem Lagenamen hinzuzufügen ist. Auf der anderen Seite schließt aber der Wortlaut des Gesetzes nicht aus, dass die Verwendung ausschließlich des Lagenamens gestattet ist, soweit an anderer Stelle der Lagenamen mit der entsprechenden Ortsbezeichnung vorhanden ist. Insoweit ist es entscheidend, ob man § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WeinV als Handlungsgebot oder als umfassendes Handlungsverbot versteht.

Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (BVerfG, U.v. 19.3.2013 - 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11 - BVerfGE 133, 168 - 241 Rn. 66). Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (BVerfG, U.v. 20.3.2002 - 2 BvR 794/95 - BVerfGE 105, 135 - 185, Rn. 79; BVerfG, B.v. 17.5.1960 - 2 BvL 11/59, 2 BvL 11/60 - BVerfGE 11, 126 - 136, Rn. 18). Ausgangspunkt der Auslegung ist zwar der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu (BVerfG, U.v. 19.3.2013 - 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11 - BVerfGE 133, 168 - 241, Rn. 66).

Bei der Auslegung des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WeinV geben die zugrundeliegenden Gesetzesmaterialien entscheidende Hinweise für eine den Wortlaut einschränkende Auslegung, die eine Nennung nur des Lagenamens erlaubt, soweit an anderer Stelle dem Lagenamen die Ortsbezeichnung hinzugefügt worden ist. § 39 WeinV ist am 1. September 1995 in Kraft getreten. Aufgrund des Weingesetzes vom 8. Juli 1994 wurde die Weinverordnung 1995 völlig neu gefasst. Teilweise wurden Vorschriften der Weinverordnung 1971 übernommen, geändert und ergänzt. Außerdem wurden in der Neufassung der Weinverordnung Regelungen aus dem Weingesetz 1982 übernommen, um eine schnellere Anpassung an Änderungen der Weinmarktordnung sowie an veränderte Markterfordernisse zu ermöglichen (Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, C 401 Rn. 4).

Im Verordnungsentwurf des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 17. Februar 1995 (BR-Drs. 112/95 S. 30) hatte § 39 Abs. 1 Satz 1 WeinV noch folgende Fassung:

(1) Wird zur Bezeichnung eines Qualitätsweines b.A. der Name

1. eines Bereichs verwendet, ist diesem, soweit er mit einer sonstigen geographischen Bezeichnung identisch oder verwechselbar ist, die Angabe „Bereich“,

2. einer Lage verwendet, ist diesem der Name der Gemeinde oder des Ortsteils

in Schriftzeichen gleicher Art, Größe und Farbe voranzustellen…

Im ursprünglichen Verordnungsentwurf war also festgelegt, dass sowohl dem Bereich als auch der Lage der Name der Gemeinde oder des Ortsteils in gleicher Art, Größe und Farbe vorangestellt werden musste. Zwar ging der Verordnungsentwurf davon aus, dass § 39 Abs. 1 Satz 1 WeinV dem § 10 Abs. 4 Satz 2 erster Halbsatz und Abs. 11 Satz 1 des Weingesetzes (1982) entsprach. Der Bundesrat hat in seinem Beschluss vom 31. März 2015 (BR-Drs. 112/95 Beschluss S.13) aber darauf hingewiesen, dass die vorgeschlagene Fassung, bei Verwendung des Namens einer Lage diesem der Name der Gemeinde oder des Ortsteils in Schriftzeichen gleicher Art, Größe und Farbe voranzustellen sei, gegenüber bisher geltendem Recht eine nicht gerechtfertigte Verschärfung bedeute. Hierdurch würden die den Wein vermarktenden Betriebe in unnötiger Weise belastet. Es sollte daher bei der bisherigen Rechtslage bleiben. Mit diesem Hinweis wurde die noch heute geltende Fassung des § 39 Abs. 1 Nr. 2 WeinV beschlossen. In § 10 Abs. 11 Satz 2 WeinG (1982) war nämlich lediglich geregelt, dass bei der Wahl eines Lagenamens außerdem die Gemeinde oder der Ortsteil anzugeben ist. Damit zeigt sich, dass der Gesetzgeber eine immerwährende, stete Verbindung von Lagenamen und Namen der Gemeinde oder des Ortsteils nicht gewollt hat. Deswegen ist der vom Kläger gewählte Weg, auf dem Frontetikett nur den Lagenamen zu verwenden und auf dem Rückenetikett, den Lagenamen unter Hinzufügung des Namens der Gemeinde im Hinblick auf die gesetzliche Regelung des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WeinV nicht zu beanstanden.

Zu prüfen bleibt aber, ob die Gefahr besteht, dass der Verbraucher irregeführt wird. Hierbei hat das Verwaltungsgericht die Anforderungen, die durch das Irreführungsverbot an die Kennzeichnung für das Produkt des Klägers gestellt werden, überspannt. Für den Begriff der Irreführung kommt es auf dessen unionsrechtliche Bedeutung an; § 25 WeinG ist demgegenüber nicht anwendbar. Die unionsrechtliche Regelung ist durch europäisches Verordnungsrecht getroffen, das unmittelbar gilt; sie ist abschließend und lässt damit keinen Raum für nationale Regelungen (vgl. § 1 Abs. 1 WeinG). Nach dem Unions- bzw. Gemeinschaftsrecht aber ist für die Frage der Irreführung darauf abzustellen, wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher die fragliche Angabe wahrscheinlich auffassen wird (EuGH, Urteile v. 16.7.1998 - Rs. C-210/96, Gut Springenheide und Tusky - Slg. I-4657, 4681 Rn. 31 und vom 28.1.1999 - Rs. C-303/97, Sektkellerei Kessler - Slg. I-513, 532 Rn. 38; vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 25.10.2007 Rn. 57). Es kommt also darauf an, wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher die fragliche Angabe wahrscheinlich auffassen wird. Damit ist weder auf den flüchtigen Verbraucher noch umgekehrt auf den Weinkenner oder den mit weinrechtlichen Fragen befassten Beamten einer Behörde abzustellen (BVerwG, U.v. 18.6.2008 - 3 C 5.08 -, GewArch 2008, 501 und juris Rn. 32; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 22.10.2008 - 8 A 10809/08.OVG - DVBl. 2009, 1587 und juris Rn. 23). Entscheidend ist vielmehr der gelegentliche Weinkäufer, der gewisse Elementarkenntnisse über Weinsorten und Weinlagen wie überhaupt über den Weinbau hat (Zipfel, Lebensmittelrecht, § 25 WeinG Rn. 16). Maßgeblich für die Irreführungsgefahr ist damit die Verkehrsauffassung. Diese kann vom Gericht in eigener Sachkunde beurteilt werden, wenn es sich um einen Begriff handelt, dessen Verständnis in einem bestimmten Sinn einfach und naheliegend ist, die Richter selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören und sich die Angabe auf Gegenstände des allgemeinen Bedarfs bezieht (BGH, U.v. 10.8.2000 - I ZR 126/98 - NJW-RR 2000, 1640 und juris, Rn. 29; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 11.9.2013 - 8 A 10219/13.OVG - LKRZ 2013, 524 sowie DÖV 2014, 45). Diese Voraussetzungen sind im Falle des erkennenden Senats erfüllt.

Bei der Beantwortung der Frage der Irreführung des Verbrauchers muss hinsichtlich der Etikettierung die gesamte Etikettierung, also Vorderseiten- und Rückseitenetikett in den Blick genommen werden. Die gesamte Etikettierung soll nämlich vor allem der Unterrichtung und dem Schutz der Verbraucher dienen, sie soll Auskunft über die genaue Art und die Merkmale der Erzeugnisse geben und es so dem Verbraucher ermöglichen, sachkundig seine Wahl zu treffen. Der Käufer soll über korrekte, neutrale und objektive Informationen verfügen, durch die er nicht irregeführt wird. Von ihm kann erwartet werden, dass er das Schauetikett nicht isoliert betrachtet, sondern auch das Rückenetikett in Augenschein nimmt (VG Trier, U.v. 9.3.2016 - 5 K 3540/15.TR - juris). Ein durchschnittlich informierter Verbraucher, der an zusätzlichen Informationen interessiert ist, weiß, dass er auf dem Rückenetikett zusätzliche Informationen findet (BGH, U. v. 19.9.2001 - I ZR 54/96 - juris Rn. 38; OLG Nürnberg, U.v. 7.2.2017 - 3 U 1537/16 - juris Rn. 24). Macht er hiervon Gebrauch, findet er bei der vom Kläger gewünschten Etikettierung ohne weiteres die nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WeinV gebotene Weinbezeichnung. Gerade bei geographischen Herkunftsangaben kann der Verkehr einen Lagenamen auch ohne Ortsangabe als eine ihm geläufige Lagebezeichnung identifizieren oder aus anderen Gründen ohne unmittelbaren örtlichen Bezug als geographischen Herkunftshinweis auffassen (BGH, U.v. 10.8.2000 - I ZR 126/98 - juris Rn. 38). Es mag zwar auch sein, dass im Einzelfall durch die Nennung der Lage unter dem Hinweglassen der Ortsbezeichnung auf dem Vorderetikett eine Täuschung des Verbrauchers hinsichtlich der genauen Herkunft des Weines entstehen kann. Dies ist aber eine Frage des Einzelfalles und von den besonderen örtlichen Verhältnissen und der Gestaltung der Etikettierung im Einzelfall abhängig. Im Falle des streitgegenständlichen Weins des Klägers ist jedenfalls keine Täuschung des Verbrauchers zu besorgen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.

Die Revision wird zugelassen, weil die Frage, ob dem Lagenamen nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WeinV der Name der Gemeinde oder des Ortsteils stets hinzuzufügen ist grundsätzliche Bedeutung besitzt (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Wird zur Bezeichnung eines Qualitätsweines, Prädikatsweines, Sekts b.A., Qualitätslikörweines b.A. oder Qualitätsperlweines b.A. durch den nach Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 verantwortlichen Lebensmittelunternehmer beim Inv

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1.
eines Bereichs oder einer Großlage verwendet, ist diesem deutlich lesbar und unverwischbar in gleicher Farbe, Schriftart und Schriftgröße stets die Bezeichnung „Region“ unmittelbar voranzustellen,
2.
einer Gemeinde oder eines Ortsteils verwendet,
a)
muss der Traubenmost oder die Maische im gärfähig befüllten Behältnis mindestens den für das Prädikat Kabinett vorgeschriebenen natürlichen Mindestalkoholgehalt aufgewiesen haben und
b)
darf das Erzeugnis nicht vor dem 15. Dezember des Erntejahrgangs der verwendeten Trauben an Endverbraucher abgegeben werden,
3.
einer Einzellage oder einer kleineren geografischen Einheit nach § 23 Absatz 1 Nummer 2 des Weingesetzes verwendet,
a)
ist diesem deutlich lesbar und unverwischbar in gleicher Farbe und in einer Schriftgröße, bei der die Buchstaben unabhängig von der verwendeten Schriftart mindestens 1,2 Millimeter groß sind, stets der Gemeinde- oder Ortsteilname unmittelbar voranzustellen oder anzufügen,
b)
darf das Erzeugnis nicht vor dem 1. März des auf den Erntejahrgang der verwendeten Trauben folgenden Kalenderjahres an Endverbraucher abgegeben werden,
c)
darf das Erzeugnis mit Ausnahme der zur Süßung verwendeten Erzeugnisse nur aus einer in der jeweiligen Produktspezifikation dafür festgelegten Rebsorte oder mehreren solcher Rebsorten hergestellt worden sein,
d)
muss der Traubenmost oder die Maische im gärfähig befüllten Behältnis mindestens den für das Prädikat Kabinett vorgeschriebenen natürlichen Mindestalkoholgehalt aufgewiesen haben.
In den jeweiligen Produktspezifikationen können strengere und insbesondere hinsichtlich des Hektarertrages weitere Anforderungen als die in Satz 1 vorgesehenen festgelegt werden.

(2) (weggefallen)

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.


Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2016 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Trier wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie einen aromatisierten weinhaltigen Cocktail, der mit der Angabe „Hugo mit Chardonnay-Sekt mit natürlichem Holunderblütensaft, aromatisierter weinhaltiger Cocktail mit mindestens 51 % Chardonnay-Sekt“ versehen ist, vertreiben darf.

2

Die Klägerin betreibt eine Sektkellerei. In diesem Rahmen stellt sie auch aromatisierte Weinerzeugnisse her. Hierzu gehört ein aromatisierter weinhaltiger Cocktail, der zu 51 % aus Chardonnay-Sekt besteht. Dem Produkt werden darüber hinaus 0,5 % Holunderblütensirup und weitere Aromen zugesetzt. Das Getränk ist allgemein unter der Bezeichnung „Hugo“ bekannt. Das Vorderetikett trägt die Aufschrift „Hugo mit Chardonnay-Sekt und natürlichem Holunderblütensirup“. Auf dem Rückenetikett der Getränkeflaschen findet sich ebenfalls die Angabe „Hugo mit Chardonnay-Sekt und natürlichem Holunderblütensirup“. Darunter ist in kleinerer Schrift ausgeführt: „Aromatisierter weinhaltiger Cocktail mit mindestens 51 % Chardonnay-Sekt“.

3

Mit Schreiben vom 25. Januar 2016 wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin an den Beklagten und wies darauf hin, dass er die entsprechende Ausstattung der Klägerin gegenüber freigegeben habe. Die Auffassung des Beklagten, dass aromatisierte Weinerzeugnisse ein Zutatenverzeichnis tragen müssten, wenn in der Etikettierung nicht nur auf die Hauptgeschmacksrichtung hingewiesen werde, sondern einzelne Zutaten benannt würden, sei ihm nicht bekannt gewesen. Mit Schreiben vom 3. Februar 2016 verwies der Beklagte unter Hinweis auf den Schriftwechsel bezüglich des Produktes „F...“ darauf, dass der Klägerin die Anforderungen an die Etikettierung vor Abfüllung des Produktes „Hugo“ bekannt gewesen seien. Unter der Bezeichnung „F...“ vertreibt die Klägerin einen aromatisierten weinhaltigen Cocktail, der neben Sekt als Zutat Holunderblüte, Himbeere oder Erdbeere enthält. Hierzu hatte der Beklagte ihr gegenüber im September 2015 die Auffassung vertreten, dass bei Aufzählung mehrerer Zutaten auf dem Vorderetikett ein Zutatenverzeichnis erforderlich sei, das alle Zutaten in absteigender Menge bezeichne. Bezüglich des Produkts „Hugo“ könne er daher einem unbeschränkten Abverkauf nicht zustimmen. Zudem habe er seine Rechtsauffassung in einem Schreiben vom 25. September 2015 an den Bundeskellereienverband dargelegt. Da er in einem unvollständigen Zutatenverzeichnis die Möglichkeit einer Irreführung sehe, behalte er sich die Abgabe des Falles an die Staatsanwaltschaft vor. Die Klägerin vertrat demgegenüber mit Schreiben vom 11. Februar 2016 die Auffassung, dass nicht jede Angabe einer oder mehrerer Zutaten ein Zutatenverzeichnis im Sinne der Lebensmittelinformationsverordnung darstelle. Die Benennung einzelner Zutaten lasse kein Zutatenverzeichnis entstehen, soweit es sich um freiwillige zusätzliche Informationen handele.

4

Am 22. Februar 2016 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie dargelegt hat, die Rechtsauffassung des Beklagten sei unzutreffend. Für das von ihr hergestellte Produkt „Hugo“ sei ein Zutatenverzeichnis nicht erforderlich. Es unterliege lediglich dem Erfordernis der mengenmäßigen Angabe von Zutaten. Durch diese Angabe entstehe aber kein unvollständiges Zutatenverzeichnis, das nur dann vorliege, wenn sämtliche Zutaten des Lebensmittels in absteigender Reihenfolge aufgezählt würden. Die Ausstattung des Produktes führe auch nicht zu einer Irreführung des Verbrauchers. Die Lebensmittelinformationsverordnung erwähne die Benennung einer oder mehrerer Zutaten in unterschiedlichen Zusammenhängen. So sei in der Verordnung einerseits vom Verzeichnis der Zutaten die Rede. Andererseits kenne die Verordnung die Angabe der „Menge bestimmter Zutaten oder Klassen von Zutaten“. Nicht jede Erwähnung einer oder mehrerer Zutaten lasse ein verkapptes Zutatenverzeichnis entstehen. Unstreitig sei, dass bei Angabe eines „Zutatenverzeichnisses“ auf dem Etikett dieses vollständig sein müsse. Gerade bei alkoholischen Getränken habe der Verordnungsgeber indessen keine Notwendigkeit für die Angabe eines Zutatenverzeichnisses gesehen. Daher spielten in diesem Zusammenhang weder der Gesundheitsschutz noch das Informationsbedürfnis des Verbrauchers eine Rolle.

5

Die Klägerin hat beantragt,

6

festzustellen, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, die Ausstattung eines aromatisieren weinhaltigen Cocktails zu beanstanden, der mit der Angabe „Hugo mit Chardonnay-Sekt und natürlichem Holunderblütensirup, aromatisierter weinhaltiger Cocktail mit mindestens 51 % Chardonnay-Sekt“ gekennzeichnet ist, aber über kein ein Zutatenverzeichnis verfügt.

7

Der Beklagte hat beantragt,

8

die Klage abzuweisen.

9

Er vertritt die Auffassung, dass die freiwillige Angabe von Zutaten in gleicher Weise erfolgen müsse, wie die entsprechende Pflichtinformation. Die Lebensmittelinformationsverordnung kenne keine beschränkte Zutatenaufzählung. Ein Zutatenverzeichnis liege hiernach bereits dann vor, wenn eine Aufzählung von mindestens zwei Zutaten erfolge.

10

Das Verwaltungsgericht hat die beantragte Feststellung mit Urteil vom 14. April 2016 getroffen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klage als allgemeine Feststellungsklage zulässig sei. Die Klage sei auch begründet. Die Lebensmittelinformationsverordnung enthalte keine normative Vorgabe dahingehend, dass bei Benennung von zwei Bestandteilen eines aromatisierten weinhaltigen Cocktails die Auflistung sämtlicher verwendeter Zutaten erforderlich sei. Ein Zutatenverzeichnis müsse für alkoholische Getränke ab 1,2 % vol. grundsätzlich nicht angebracht werden. Bei den von der Klägerin verwendeten Angaben handele es sich nicht um eine Pflichtinformation. Sie habe auch kein Zutatenverzeichnis erstellt. Die selektive Angabe zweier Bestandteile sei kein Zutatenverzeichnis. Die Verordnung sehe die Nennung einzelner Zutaten beispielsweise bei der Mengenangabe von Zutaten vor. Sie enthalte hingegen keine Regelung, wonach die Nennung einzelner Bestandteile die Pflichtangabe des Zutatenverzeichnisses auslöse. Die Etiketten und die Aufmachung des Produktes erwiesen sich auch nicht als irreführend. Der verständige Verbraucher werte die Angaben auf dem Etikett des Getränks nicht als Zutatenverzeichnis. Er erwarte auch nicht, dass das Produkt lediglich aus Sekt und Holunderblütensirup bestehe.

11

Am 23. Mai 2016 hat der Beklagte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Er führt zur Begründung aus, dass die Ausstattung des von der Klägerin hergestellten aromatisierten weinhaltigen Cocktails nicht vollständig gewesen sei. Die freiwillige Angabe einer ansonsten obligatorischen Information müsse den Anforderungen an die verpflichtenden Angaben genügen. Sobald Zutaten aufgezählt würden, handele es sich um ein Zutatenverzeichnis, das den Anforderungen der Lebensmittelinformationsverordnung entsprechen müsse. Ein Zutatenverzeichnis sei immer dann anzunehmen, wenn eine Aufzählung von Zutaten vorliege. Dies sei indessen bei der Benennung von mindestens zwei Zutaten stets der Fall. Die aufgeworfene Rechtsfrage bedürfe einer Klärung durch den Europäischen Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsverfahren.

12

Der Beklagte beantragt,

13

unter Abänderung des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2016 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Trier die Klage abzuweisen.

14

Die Klägerin beantragt,

15

die Berufung zurückzuweisen.

16

Sie stellt darauf ab, dass maßgeblich sei, ob bei der Etikettierung das „Zutatenverzeichnis“ angegeben sei. Ein solches Verzeichnis liege nicht bereits bei Angabe einzelner Zutaten vor. Für die Nährwertdeklaration treffe Art. 30 Abs. 4 Lebensmittelinformationsverordnung eine Sonderregelung, die für das Zutatenverzeichnis nicht existiere.

17

Das Zutatenverzeichnis sei zudem in der Lebensmittelinformationsverordnung derart definiert, dass es aus einer Aufzählung sämtlicher Zutaten des Lebensmittels bestehe. Die Verordnung sehe als Korrektiv vor, dass freiwillige Angaben nicht irreführend sein dürften.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsakte verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Berufung bleibt erfolglos.

20

Das Verwaltungsgericht hat dem zulässigerweise geltend gemachten Feststellungsbegehren der Klägerin zu Recht stattgegeben.

21

1. Die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage ist zulässig.

22

a) Die Feststellungsklage ist nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Nach § 43 Abs. 1 kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

23

Die Klägerin begehrt die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses. Unter einem solchen Rechtsverhältnis ist die rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache zu verstehen (W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 43 Rn. 11 m.w.N.). Die Klägerin will festgestellt wissen, dass das von ihr hergestellte und vertriebene Produkt „Hugo mit Chardonnay-Sekt und natürlichem Holunderblütensirup“ nicht mit einem vollständigen Zutatenverzeichnis zu versehen ist, und zielt damit auf das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab.

24

b) Ihr steht auch das Rechtsschutzinteresse zu, eine vorbeugende Feststellungsklage zu erheben.

25

Das Rechtsschutzinteresse für eine derartige Klage ist ausnahmsweise dann gegeben, wenn der Betroffene nicht in zumutbarerer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Der Verweis auf ein repressives Verfahren kommt vor dem Hintergrund der Garantie wirksamen Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG insbesondere dann nicht in Betracht, wenn der Kläger damit auf die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe in einem eingeleiteten Straf- oder Bußgeldverfahren verwiesen würde. Es ist ihm nicht zuzumuten, die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen „von der Anklagebank herab“ zu führen. In diesem Fall besteht ein als schutzwürdig anzuerkennendes Interesse, den Verwaltungsrechtsweg als sachnähere und fachspezifische Rechtsschutzform einzuschlagen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. April 2003 – 1 BvR 2129/02 –, NVwZ 2003, 856 und juris, Rn. 14; BVerwG, Beschluss vom 8. August 1988 – 3 B 91.87 –, LRE 22, 341 und juris, Rn. 4; Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 7 C 13.12 –, LRE 67, 16 und juris, Rn. 41; VGH BW, Urteil vom 11. Februar 2010 – 9 S 1130/08 –, VBl. BW 2010, 325 und juris, Rn. 16; Pietzcker, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 31. EL 2016, § 43 Rn. 9 und 40; W.-R. Schenke, a.a.O., § 43 Rn. 24). Der Beklagte sieht den Tatbestand einer Strafvorschrift nach den §§ 48 und 49 WeinG oder zumindest einer Ordnungswidrigkeit nach § 50 WeinG verwirklicht, wenn die Klägerin den von ihr hergestellten aromatisierten weinhaltigen Cocktail mit der bisherigen Aufmachung in Verkehr bringen sollte, da er der Verwendung des aus seiner Sicht unvollständigen Zutatenverzeichnisses irreführenden Charakter beimisst. Der Klägerin ist es vor diesem Hintergrund aber nicht zuzumuten, den Ausgang eines Straf- oder Bußgeldverfahrens abzuwarten, um die von dem Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage zu klären.

26

2. Die Klage ist auch begründet.

27

Das Verwaltungsgericht hat die von der Klägerin beantragte Feststellung zu Recht getroffen. Die Klägerin war nicht verpflichtet, den von ihr hergestellten aromatisierten weinhaltigen Cocktail, der mit der Angabe „Hugo mit Chardonnay-Sekt und natürlichem Holunderblütensirup“ vertrieben wird, mit einem vollständigen Zutatenverzeichnis auszustatten.

28

a) Für dieses Produkt bestand auf der Grundlage des Art. 16 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel – Lebensmittelinformationsverordnung – LMIV – (ABl. L 304 vom 22.11.2011, S 18) grundsätzlich keine Verpflichtung, ein Zutatenverzeichnis nach Art. 9 Abs. 1 Buchstabe b LMIV anzugeben. Nach dieser Bestimmung sind die Angaben des Verzeichnisses der Zutaten (Art. 9 Abs. 1 Buchstabe b LMIV) und die Nährwertdeklaration (Art. 9 Abs. 1 Buchstabe l LMIV) nicht verpflichtend für Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 % vol. Der von der Klägerin hergestellte aromatisierte weinhaltige Cocktail weist einen Alkoholgehalt von 5,9 % vol auf.

29

Das Produkt der Klägerin unterfällt auch der LMIV. Nach Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 251/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Begriffsbestimmung, Beschreibung, Aufmachung und Etikettierung von aromatisierten Weinerzeugnissen sowie den Schutz geografischer Angaben für aromatisierte Weinerzeugnisse – VO (EU) Nr. 251/2014 – (ABl. L 84 vom 20.März 2014, S. 14) gilt die LMIV für die Aufmachung und Etikettierung aromatisierter Weinerzeugnisse, soweit in der VO (EU) Nr. 251/2014 keine abweichenden Bestimmungen festgelegt sind. Bei dem von der Klägerin hergestellten Getränk handelt es sich um einen aromatisierten weinhaltigen Cocktail i.S.v. Art. 3 Abs. 4 VO (EU) Nr. 251/2014 und damit um ein aromatisiertes Weinerzeugnis im Sinne dieser Vorschrift.

30

b) Besteht hiernach grundsätzlich keine Verpflichtung, für das von der Klägerin hergestellte aromatisierte Weinerzeugnis ein Zutatenverzeichnis anzugeben, so ergibt sich eine derartige Verpflichtung auch nicht aus anderen Vorschriften der LMIV.

31

aa) Die Verpflichtung zur Angabe eines Zutatenverzeichnisses ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 36 Abs. 1 LMIV.

32

Art. 36 Abs. 1 LMIV sieht vor, dass Informationen über Lebensmittel, die gemäß den Art. 9 und 10 LMIV freiwillig bereitgestellt werden, den Anforderungen des Kapitels IV Abschnitte 2 und 3 der Verordnung entsprechen müssen. Eine Verpflichtung der Klägerin, ein vollständiges Zutatenverzeichnis zu erstellen, besteht indessen deshalb nicht, weil sie kein „Verzeichnis der Zutaten“ im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchstabe b LMIV freiwillig bereitgestellt hat.

33

Ein Zutatenverzeichnis ist nach Art. 18 Abs. 1 LMIV dadurch gekennzeichnet, dass ihm eine Überschrift oder eine geeignete Bezeichnung vorangestellt wird, in der das Wort „Zutaten“ erscheint. Zudem besteht das Zutatenverzeichnis aus einer Aufzählung sämtlicher Zutaten des Lebensmittels in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils zum Zeitpunkt ihrer Verwendung bei der Herstellung des Lebensmittels. Hiernach kann von der freiwilligen Angabe eines Zutatenverzeichnisses nur dann gesprochen werden, wenn der Begriff „Zutaten“ in der Überschrift oder in einer dem Verzeichnis vorangestellten geeigneten Bezeichnung verwandt wird oder wenn ansonsten aus Sicht des Verbrauchers der Eindruck entsteht, dass der Lebensmittelunternehmer mit den bereitgestellten Informationen sämtliche Zutaten des Lebensmittels angegeben hat. Die Annahme eines freiwillig angegebenen Zutatenverzeichnisses kann entgegen der Auffassung der Klägerin nicht auf den Fall beschränkt werden, dass tatsächlich alle Zutaten eines Lebensmittels in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils aufgeführt werden.

34

Vielmehr ist auf den Verständnishorizont des Verbrauchers abzustellen, der mit den Angaben auf dem Etikett konfrontiert wird. Die Bestimmungen der LMIV sollen gerade der Information des Verbrauchers dienen. Er soll sich umfassend insbesondere über die gesundheitlichen Auswirkungen eines Produktes informieren können zwecks Vorbereitung einer fundierten Entscheidung für den Erwerb eines Produktes auf der Grundlage der für ihn hierfür maßgeblichen Erwägungen, die etwa gesundheitsbezogen, wirtschaftlich, umweltbezogen, sozial oder ethisch sein können (vgl. Art. 3 Abs. 1 LMIV und Erwägungsgrund Nr. 3 zur LMIV). Zudem sollen die Etiketten von Lebensmitteln klar und verständlich sein, um dem Verbraucher die erforderlichen Informationen als Grundlage seiner Entscheidung für bestimmte Lebensmittel und die gewünschte Ernährungsweise zu verschaffen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 26 zur LMIV). Dieser auf den Verbraucher zugeschnittene und auf seine klare und umfassende Information abstellende Ansatz der LMIV legt es aber nahe, bei der Frage, ob ein freiwillig bereitgestelltes Zutatenverzeichnis gemäß Art. 36 Art. LMIV vorliegt, auf den Empfängerhorizont des – informierten und verständigen – Durchschnittsverbrauchers abzustellen (vgl. Voit/Grube, LMIV, 2. Aufl. 2016 Art. 7, Rn. 48 f.). Liegt aus seiner Sicht eines der Kriterien des Art. 18 Abs. 1 LMIV für ein Zutatenverzeichnis vor, so muss die Aufzählung insgesamt den Anforderungen dieser Vorschrift genügen. Nur so kann im Interesse des Verbrauchers die von Art. 36 Abs. 1 LMIV geforderte Einhaltung der Anforderungen insbesondere des 2. Abschnitts des Kapitels IV der LMIV sichergestellt werden.

35

Insoweit ist aber nicht allein auf das in Art. 36 Abs. 2 LMIV vorgesehene Irreführungsverbot abzustellen. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine allgemeine Anforderung an die Informationen über Lebensmittel, die neben spezielle, konkret formulierte Anforderungen an bestimmte Angaben über Lebensmittel treten. Dies wird auch an der Systematik der LMIV bei den verpflichtenden Angaben deutlich. Dem entsprechenden Kapitel IV werden in Kapitel III allgemeine Anforderungen an die Informationen über Lebensmittel vorangestellt, zu denen nach Art. 7 Abs. 1 LMIV auch das Irreführungsverbot gehört.

36

Stellt man hiernach auf den Verständnishorizont eines verständigen Verbrauchers ab, so ist hinsichtlich der von der Klägerin verwendeten Angaben nicht von der freiwilligen Bereitstellung eines „Verzeichnisses der Zutaten“ auszugehen.

37

Die Klägerin hat weder eine den Begriff der Zutaten enthaltende Überschrift verwandt. Noch entsteht aus Verbrauchersicht der Eindruck, dass sie sämtliche Zutaten des von ihr hergestellten aromatisierten weinhaltigen Getränks angegeben hat. Die beiden benannten Bestandteile des aromatisierten weinhaltigen Cocktails „Hugo“, nämlich Chardonnay-Sekt und Holunderblütensirup, lassen angesichts des Umstandes, dass der Anteil des Chardonnay-Sektes mit 51 % des Gesamtproduktes angegeben wird, nicht die Erwartung entstehen, dass der Holunderblütensirup in nahezu entsprechender Menge (49 %) vorhanden ist. Vielmehr entsteht bei einem informierten Verbraucher die Vorstellung, dass der Holunderblütensirup lediglich als Zugabe zur Geschmacksgebung verwendet wurde. Hierfür spricht auch der Umstand, dass bei der Benennung dieser Zutaten die Präposition „mit“ verwendet wurde. Diese Präposition bringt unmissverständlich zum Ausdruck, dass die beiden genannten Zutaten neben anderen Zutaten verwendet wurden.

38

Der Angabe von Chardonnay-Sekt und Holunderblütensirup kommt hiernach lediglich die Funktion zu, einzelne Bestandteile des Getränks hervorzuheben. Insoweit findet die der Rechtsauffassung des Beklagten zugrunde liegende pauschalierende Überlegung, dass bei Benennung von mehr als einem Bestandteil eines Produkts stets ein (unvollständiges) Zutatenverzeichnis vorliegt, in der Lebensmittelinformationsverordnung keine Stütze.

39

Gegen eine solche Annahme lässt sich wiederum die Systematik der LMIV anführen. So kennt diese Verordnung in Art. 9 Abs. 1 LMIV neben dem Zutatenverzeichnis weitere verpflichtende Angaben in Bezug auf Zutaten, ohne dass damit ein Zutatenverzeichnis erstellt würde. Art. 9 Abs. 1 Buchstabe d LMIV bestimmt etwa, dass die Menge bestimmter Zutaten oder Klassen von Zutaten verpflichtend anzugeben ist. Hiernach legt aber die Verordnung losgelöst vom Begriff des Zutatenverzeichnisses fest, dass auch mehrere Bestandteile eines Produktes als Zutaten angegeben werden können, ohne dass damit ein Zutatenverzeichnis erstellt wird. Die Angabe der Menge einer Zutat hat nach Art. 22 LMIV u.a. dann zu erfolgen, wenn die betreffende Zutat oder Zutatenklasse auf der Kennzeichnung durch Worte, Bilder oder eine grafische Darstellung hervorgehoben ist (Buchstabe b). Auf der Grundlage dieser Bestimmung war die Klägerin verpflichtet, die Menge des bei der Herstellung ihres aromatisierten weinhaltigen Cocktails „Hugo“ verwendeten Chardonnay-Sektes anzugeben, da dieser auf den Etiketten besonders erwähnt und drucktechnisch hervorgehoben wird. Nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten war eine Mengenangabe für den Holunderblütensirup, der in gleicher Weise hervorgehoben wird, gemäß Art. 22 Abs. 2 i.V.m. Anhang 8 LMIV nicht erforderlich, da es sich um eine Zutat handelt, die in kleinen Mengen zur Geschmacksgebung verwendet wird (Nr. 1 Buchstabe a, Nr. iii).

40

Im Übrigen ist der pauschalierende Ansatz des Beklagten, wonach ein Zutatenverzeichnis immer bei der Benennung von mindestens zwei Bestandteilen eines Produkts vorliegt, auch im Hinblick auf Art. 19 Abs. 1 Buchstabe e LMIV nicht zwingend. Hiernach ist ein Zutatenverzeichnis – ausnahmsweise – nicht erforderlich bei Lebensmitteln, die aus einer einzigen Zutat bestehen, soweit die Bezeichnung des Lebensmittels mit der Zutatenbezeichnung identisch ist oder die Bezeichnung des Lebensmittels eindeutig auf die Art der Zutat schließen lässt. Aus dieser Vorschrift kann demnach gefolgert werden, dass auch Zutatenverzeichnisse vorstellbar sind, wenn ein Produkt lediglich aus einer Zutat besteht und die genannten Voraussetzungen nicht vorliegen.

41

bb) Ein vollständiges Zutatenverzeichnis ist im Falle der Klägerin auch nicht im Hinblick nach Art. 36 Abs. 2 Buchstabe a LMIV erforderlich. Hiernach dürfen freiwillig bereitgestellte Informationen über Lebensmittel für die Verbraucher nicht irreführend i.S.d. Art. 7 LMIV sein. Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a LMIV bezieht diese Vorgabe insbesondere auf die Eigenschaften des Lebensmittels. Es ist indessen nicht erkennbar, dass die Angaben auf den Etiketten des von der Klägerin vertriebenen Produktes „Hugo“ im Hinblick auf dessen Eigenschaften irreführend wären.

42

Was die Frage der Irreführung angeht, so ist auf die mutmaßliche Erwartung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen, die dieser in Bezug auf den Ursprung, die Herkunft und die Qualität des Lebensmittels hegt, wobei es hauptsächlich darauf ankommt, dass der Verbraucher nicht irregeführt und nicht zu der irrtümlichen Annahme verleitet wird, dass das Erzeugnis einen anderen Ursprung, eine andere Herkunft oder eine andere Eigenschaft als in Wirklichkeit hat (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015, Rechtssache C-195/14 [Amtsbl. C 236 vom 20. Juli 2015, S. 16, Rn. 36]; BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2012 – 3 B 87.11 –, LRE 64, 17 und juris, Rn. 4; VGH BW, Urteil vom 11. Februar 2010, a.a.O., juris, Rn. 31).

43

Nach dem oben Gesagten unterliegt der informierte und verständige Durchschnittsverbraucher keinem Irrtum in dem Sinne, dass die Vorstellung hervorgerufen wird, der aromatisierte weinhaltige Cocktail „Hugo“ bestehe ausschließlich aus den angegebenen Zutaten Chardonnay-Sekt und Holunderblütensirup. Zudem liegt keine Irreführung dahingehend vor, dass eine Fehlvorstellung über die Qualität der nicht erwähnten Zutaten und damit über die Wertigkeit des Gesamtproduktes hervorgerufen würde. Vielmehr wird der Verbraucher über die Zutaten informiert, die er als Bestandteile eines unter der Bezeichnung „Hugo“ vertriebenen Produktes erwartet, nämlich Sekt und Holunderblütensirup. Dass darüber hinaus eine Erwartung an bestimmte Eigenschaften und damit an die Qualität weiterer Zutaten besteht, die nicht ausdrücklich erwähnt werden, ist hingegen nicht ersichtlich.

44

3. Der Senat sieht auch keine Veranlassung, die streitgegenständliche Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV vorzulegen.

45

Nach dieser Vorschrift entscheidet der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Verträge (Buchstabe a) und über die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union (Buchstabe b). Dabei kann ein Gericht des Mitgliedsstaates, dem eine derartige Frage gestellt wird, diese Frage dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Entscheidung vorlegen, wenn es eine Entscheidung darüber für erforderlich hält. Eine Verpflichtung zur Vorlage besteht bei einem einzelstaatlichen Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechtes angefochten werden können. Im Falle der von dem Beklagten aufgeworfenen Frage, ob ein Zutatenverzeichnis immer dann anzunehmen ist, wenn mindestens zwei Zutaten eines Produktes genannt werden, bestand indessen kein Erfordernis für eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, da die richtige Anwendung des Europäischen Rechts offenkundig und zweifelsfrei ist. Hiernach besteht kein Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2005, Rechtssache C-461/03, Rn. 16; Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand: Juli 2016, Art. 267 AEUV, Rn. 57 f.).

46

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

47

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.

48

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der hierfür in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Beschluss

49

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 10.000,00 € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 1 GKG).

44
(3) Das Berufungsgericht hat bei der Bestimmung des durch die Angaben "Lernstark" und "Mit Eisen … zur Unterstützung der Konzentrationsfähigkeit" hervorgerufenen Verkehrsverständnisses ferner zutreffend die auf dem Etikett abgebildete Darstellung eines blonden Mädchens mit blauem Kopftuch und roten Wangen einbezogen. Bei der Prüfung, ob eine Werbeaussage aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers eine Angabe im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 darstellt und ob der Verbraucher eine solche Angabe als gesundheitsbezogen im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 dieser Verordnung ansieht, sind die Gesamtaufmachung des betreffenden Lebensmittels sowie Vorkenntnisse und Erwartungen des Verbrauchers zu berücksichtigen (zu Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung vgl. BGH, GRUR 2014, 1224 Rn. 14 f. - ENERGY & VODKA und GRUR 2015, 498 Rn. 26 f. - Combiotik; zu Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 der Verordnung vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 2014 - I ZR 178/12, GRUR 2014, 500 Rn. 21 = WRP 2014, 562 - Praebiotik und BGH, GRUR 2015, 611 Rn. 27 - RESCUE-Produkte). Ebenso ist bei der Prüfung , ob der Durchschnittsverbraucher eine Angabe auf die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern bezieht, nicht nur auf die Angabe selbst, sondern - soweit dies vom Streitgegenstand erfasst ist - auch auf die Aufmachung und Präsentation des Produkts abzustellen (Meisterernst in Meisterernst/Haber aaO 25. Lief. 06/15, Art. 14 Rn. 14d; ders., ZLR 2014, 184, 189).

(1) Wird zur Bezeichnung eines Qualitätsweines, Prädikatsweines, Sekts b.A., Qualitätslikörweines b.A. oder Qualitätsperlweines b.A. durch den nach Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 verantwortlichen Lebensmittelunternehmer beim Inverkehrbringen der Name

1.
eines Bereichs oder einer Großlage verwendet, ist diesem deutlich lesbar und unverwischbar in gleicher Farbe, Schriftart und Schriftgröße stets die Bezeichnung „Region“ unmittelbar voranzustellen,
2.
einer Gemeinde oder eines Ortsteils verwendet,
a)
muss der Traubenmost oder die Maische im gärfähig befüllten Behältnis mindestens den für das Prädikat Kabinett vorgeschriebenen natürlichen Mindestalkoholgehalt aufgewiesen haben und
b)
darf das Erzeugnis nicht vor dem 15. Dezember des Erntejahrgangs der verwendeten Trauben an Endverbraucher abgegeben werden,
3.
einer Einzellage oder einer kleineren geografischen Einheit nach § 23 Absatz 1 Nummer 2 des Weingesetzes verwendet,
a)
ist diesem deutlich lesbar und unverwischbar in gleicher Farbe und in einer Schriftgröße, bei der die Buchstaben unabhängig von der verwendeten Schriftart mindestens 1,2 Millimeter groß sind, stets der Gemeinde- oder Ortsteilname unmittelbar voranzustellen oder anzufügen,
b)
darf das Erzeugnis nicht vor dem 1. März des auf den Erntejahrgang der verwendeten Trauben folgenden Kalenderjahres an Endverbraucher abgegeben werden,
c)
darf das Erzeugnis mit Ausnahme der zur Süßung verwendeten Erzeugnisse nur aus einer in der jeweiligen Produktspezifikation dafür festgelegten Rebsorte oder mehreren solcher Rebsorten hergestellt worden sein,
d)
muss der Traubenmost oder die Maische im gärfähig befüllten Behältnis mindestens den für das Prädikat Kabinett vorgeschriebenen natürlichen Mindestalkoholgehalt aufgewiesen haben.
In den jeweiligen Produktspezifikationen können strengere und insbesondere hinsichtlich des Hektarertrages weitere Anforderungen als die in Satz 1 vorgesehenen festgelegt werden.

(2) (weggefallen)

A. 

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen ihre strafgerichtliche Verurteilung im Anschluss an eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten. Mittelbar richten sich die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. zudem gegen die Vorschrift des § 257c StPO, die durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl I S. 2353) - im Folgenden: Verständigungsgesetz - in die Strafprozessordnung eingefügt wurde und seither die rechtliche Grundlage für die Verständigung bildet. 

I. 

1. Die Praxis urteilsbezogener Verständigungen hat sich - feststellbar jedenfalls seit den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts - als Instrument zur Bewältigung von Strafverfahren herausgebildet, ohne dass es dafür eine ausdrückliche Rechtsgrundlage gegeben hätte. Es handelt sich hierbei um Absprachen zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft sowie der Verteidigung und dem Angeklagten, nach denen das Gericht dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine bestimmte Strafe oder jedenfalls eine Strafobergrenze zusagt. Solche Verständigungen wurden häufig außerhalb der Hauptverhandlung getroffen. Bei Abgabe des Geständnisses wurde sodann in der Regel auf eine weitere Beweisaufnahme verzichtet, so dass die Verständigung zu einer wesentlichen Verfahrensabkürzung führte. In den meisten Fällen wurde gegen ein Urteil, das auf einer solchen Verständigung beruhte, kein Rechtsmittel eingelegt, oftmals wurde sogar ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet (vgl. zur Entwicklung der Verständigungspraxis Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, Einl. Rn. 119 ff.). 

2. Eine wesentliche Ursache für die hohe praktische Bedeutung von Verständigungen wird in der stetig wachsenden Arbeitsbelastung der Strafjustiz gesehen, die bereits an die Grenze der Überlastung heranreiche (vgl. eingehend Krey/Windgätter, in: Festschrift für Hans Achenbach, 2011, S. 233 ff.). Neben der zunehmenden Komplexität der Fallgestaltungen infolge des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts sowie der Globalisierung, die auch in neuen Formen grenzüberschreitender Kriminalität in Erscheinung tritt, trägt der Bundesgesetzgeber durch eine immer stärkere strafrechtliche Durchdringung vieler Lebensbereiche zu dieser Entwicklung bei. Die Regelungsdichte des materiellen Strafrechts ist in den vergangenen Jahrzehnten beständig gestiegen; dies gilt besonders für das Wirtschafts- und das Nebenstrafrecht (vgl. etwa Braun, AnwBl 2000, S. 222 <225>; Theile, MSchrKrim 2010, S. 147 <149 f.>; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 249). Gleichzeitig bringt die zunehmende Differenzierung und Komplizierung des Strafprozessrechts immer höhere Anforderungen mit sich. So ist etwa die Rechtsprechung zu den Beweisverwertungsverboten für die tatrichterliche Praxis mittlerweile kaum noch überschaubar (vgl. Gössel, in: Festschrift für Reinhard Böttcher, 2007, S. 79 <80>; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 242 ff.). Zudem bieten extensiv einsetzbare Verfahrensrechte der Verteidigung zahlreiche Möglichkeiten, den Fortgang des Verfahrens zu erschweren; vor allem Ablehnungsgesuche und Beweisanträge sowie das Fragerecht können zu diesem Zweck missbraucht werden (vgl. Gössel, a.a.O., S. 81; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 238 ff.). Unterdessen sehen sich die Tatgerichte durch das Beschleunigungsgebot in Haftsachen einem immer stärkeren Druck ausgesetzt, die Verfahrensdauer trotz aller prozessualen Schwierigkeiten zu verkürzen. Dass die Bewertung richterlicher Arbeit und die Festsetzung der Arbeitspensen nicht unwesentlich nach quantitativen Gesichtspunkten erfolgt, schafft zusätzliche Anreize für eine möglichst rasche Verfahrenserledigung auch unter Inkaufnahme inhaltlicher Defizite. Der steigenden Belastung der Strafjustiz haben die Länder nicht durch eine entsprechende personelle und sachliche Ausstattung Rechnung getragen; vielmehr ist auch die Justiz immer wieder von Sparmaßnahmen betroffen (vgl. Krey/Windgätter, a.a.O., S. 235). 
 
3. Das Bundesverfassungsgericht prüfte 1987 in einer Kammerentscheidung (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 f.) die Zulässigkeit von Verständigungen im Strafprozess unter den Gesichtspunkten eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und des Schuldprinzips. Diese Grundsätze verböten nicht, außerhalb der Hauptverhandlung eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Verhandlung herbeizuführen, der schon das Strafrecht Grenzen setze. Sie schlössen es aber aus, die Handhabung der richterlichen Aufklärungspflicht, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafzumessung in einer Hauptverhandlung, die letztlich mit einem Urteil zur Schuldfrage abschließen solle, ins Belieben oder zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Dem Gericht und der Staatsanwaltschaft sei es deshalb untersagt, sich auf einen „Vergleich“ im Gewande des Urteils, auf einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ einzulassen. Das Gericht dürfe sich also beispielsweise nicht mit einem Geständnis des Angeklagten begnügen, das dieser gegen die Zusage oder das In-Aussicht-Stellen einer Strafmilderung abgelegt habe, obwohl es sich beim gegebenen Verfahrensstand mit Blick auf das Ziel der Wahrheitserforschung und der schuldangemessenen, gerechten Ahndung der Tat zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Das Gericht müsse es sich auch versagen, den Angeklagten auf eine in Betracht kommende geständnisbedingte Strafmilderung hinzuweisen, mit der es den Boden schuldangemessenen Strafens verließe. Darüber hinaus sei die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung des Angeklagten vor beachtenswerter Beeinträchtigung geschützt, was seinen Ausdruck auch in der Bestimmung des § 136a StPO finde. Der Angeklagte dürfe infolgedessen nicht durch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Vorteilsversprechen oder durch Täuschung zu einem Geständnis gedrängt werden. Das schließe jedoch eine Belehrung oder einen konkreten Hinweis auf die Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses nicht aus, wenn dies im Stand der Hauptverhandlung eine sachliche Grundlage finde. Nach diesen Maßstäben gelangte die Kammer im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass die Verständigung bei der im damaligen Ausgangsverfahren gegebenen besonderen Sachverhaltsgestaltung - der anwaltlich verteidigte Angeklagte hatte von sich aus eine Verständigung angeregt, als die Beweisaufnahme bereits vor ihrem Abschluss stand - keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. 

4. Nachdem der Bundesgerichtshof gegenüber Verständigungen (in dessen früherer Terminologie: „Absprachen“) außerhalb der Hauptverhandlung anfänglich eine ablehnende Haltung eingenommen hatte (vgl. etwa BGHSt 37, 298 <304 f.>; BGH, Beschlüsse vom 19. Oktober 1993 - 1 StR 662/93 -, NJW 1994, S. 1293 f., und vom 25. Oktober 1995 - 2 StR 529/95 -, wistra 1996, S. 68; BGHSt 42, 46 <48>), wurden Verständigungen innerhalb der Hauptverhandlung zunächst durch den 4. Strafsenat und sodann durch den Großen Senat für Strafsachen grundsätzlich gebilligt. 

a) In seiner Leitentscheidung vom 28. August 1997 (BGHSt 43, 195 ff.) erklärte der 4. Strafsenat - trotz ausdrücklicher Anerkennung der Vergleichsfeindlichkeit des Strafverfahrens und des Verbots einer Disposition über den staatlichen Strafanspruch - in der Hauptverhandlung getroffene Verständigungen für grundsätzlich zulässig und sprach zudem aus, dass sie - sofern nach den von ihm aufgestellten Vorgaben zustande gekommen - für das Gericht verbindlich seien. Unter folgenden Voraussetzungen könne eine Verständigung getroffen werden: Der Schuldspruch dürfe nicht Gegenstand der Verständigung sein. Ein verständigungsbasiertes Geständnis müsse auf seine Glaubhaftigkeit überprüft werden; sich hierzu aufdrängende Beweiserhebungen dürften nicht unterbleiben. Die freie Willensentschließung des Angeklagten müsse gewahrt bleiben; insbesondere dürfe er nicht durch Drohung mit einer höheren Strafe oder durch Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils zu einem Geständnis gedrängt werden. Die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts sei unzulässig. Die Verständigung selbst müsse in öffentlicher Hauptverhandlung erfolgen; Vorgespräche außerhalb der Hauptverhandlung seien aber möglich. In die Verständigung seien alle Verfahrensbeteiligten einzubeziehen. Das Ergebnis der Verständigung sei im Protokoll niederzulegen. Eine bestimmte Strafe dürfe das Gericht nicht zusagen; unbedenklich sei aber die Zusage einer Strafobergrenze. Von dieser dürfe nur abgewichen werden, wenn sich neue schwerwiegende Umstände zu Lasten des Angeklagten ergäben; auf eine beabsichtigte Abweichung sei in der Hauptverhandlung hinzuweisen. Der Strafausspruch dürfe den Boden schuldangemessenen Strafens nicht verlassen. 
 
b) Der Große Senat für Strafsachen hielt in seinem Beschluss vom 3. März 2005 (BGHSt 50, 40 ff.) an den vom 4. Strafsenat aufgestellten Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Verständigungen fest und präzisierte diese dahingehend, dass die Differenz zwischen der verständigungsgemäßen und der bei einem „streitigen Verfahren“ zu erwartenden Sanktion nicht unangemessen groß sein („Sanktionsschere“) und das Gericht nicht nur wegen neuer Erkenntnisse von seiner Zusage abweichen dürfe, sondern - nach entsprechendem Hinweis - auch dann, wenn schon bei der Verständigung vorhandene relevante tatsächliche oder rechtliche Aspekte übersehen worden seien. Der nach einer Verständigung erklärte Rechtsmittelverzicht sei grundsätzlich unwirksam; die Unwirksamkeit entfalle jedoch, wenn der Rechtsmittelberechtigte darüber belehrt worden sei, dass er ungeachtet der Verständigung in seiner Entscheidung frei sei, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung). Die grundsätzliche Billigung der Verständigung begründete der Große Strafsenat mit der Notwendigkeit, trotz knapper Ressourcen die Funktionstüchtigkeit der Strafjustiz zu gewährleisten, und mit Hinweisen auf den Beschleunigungsgrundsatz, die Prozessökonomie sowie den Zeugen- und Opferschutz. Allerdings sei die Strafprozessordnung in ihrer geltenden Form am Leitbild der materiellen Wahrheit orientiert, die vom Gericht in der Hauptverhandlung von Amts wegen zu ermitteln und der Disposition der Verfahrensbeteiligten weitgehend entzogen sei. Die Praxis der Verständigungen sei daher kaum ohne Bruch in das gegenwärtige System einzupassen. Aus diesem Grund appellierte der Große Senat für Strafsachen an den Gesetzgeber, die Zulässigkeit und, bejahendenfalls, die wesentlichen rechtlichen Voraussetzungen und Begrenzungen von Verständigungen im Strafprozess gesetzlich zu regeln. 

5. Dieser Forderung nach einer gesetzlichen Regelung hat der Gesetzgeber mit dem Verständigungsgesetz Rechnung getragen. Das darin enthaltene Regelungskonzept geht ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 8) in seinem Grundansatz davon aus, dass für die Verständigung im Strafverfahren keine neue - dem deutschen Strafprozess bislang unbekannte - Form einer konsensualen Verfahrenserledigung eingeführt werden sollte, die die Rolle des Gerichts, insbesondere seine Verpflichtung zur Ermittlung der materiellen Wahrheit, zurückdrängen würde. Die Grundsätze des Strafverfahrens sollten vielmehr weiterhin Geltung behalten, namentlich, dass eine Verständigung unter Beachtung aller maßgeblichen Verfahrensregeln einschließlich der Überzeugung des Gerichts vom festgestellten Sachverhalt und der Glaubhaftigkeit eines Geständnisses stattfinden müsse, die Grundsätze des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs, nicht zuletzt auch die Transparenz der Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung gewahrt sein müssten, und dass insbesondere der Boden schuldangemessenen Strafens nicht verlassen werden dürfe. 

Die zentrale Bestimmung des gesetzgeberischen Regelungskonzepts in § 257c StPO hat folgenden Wortlaut:

§ 257c
(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. 
(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein. 
(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen. 
(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen. 

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren. 

Die Vorschrift erlaubt dem Gericht ausdrücklich eine Verständigung über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens nach den darin genannten Maßgaben; sie stellt außerdem klar, dass die Pflicht des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) unberührt bleibt. Hierdurch soll in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs die Beachtung der rechtsstaatlichen Anforderungen an das Strafverfahren gewährleistet und insbesondere die Schuldangemessenheit der Strafe sichergestellt werden (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 9). 

Außerdem wurden Vorschriften eingeführt, die es der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren sowie dem Gericht vor und nach Eröffnung des Hauptverfahrens sowie in der Hauptverhandlung ausdrücklich erlauben, „den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten zu erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern“ (§§ 160b, 202a, 212, 257b StPO). Der wesentliche Inhalt einer solchen Erörterung ist jeweils aktenkundig zu machen; der Inhalt einer in der Hauptverhandlung durchgeführten Erörterung ist in das Protokoll aufzunehmen (§ 273 Abs. 1 Satz 2 StPO). 

§ 160b
Die Staatsanwaltschaft kann den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist aktenkundig zu machen. 

§ 202a
Erwägt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, kann es den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist aktenkundig zu machen. 

§ 212
Nach Eröffnung des Hauptverfahrens gilt § 202a entsprechend. 

§ 257b
Das Gericht kann in der Hauptverhandlung den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. 

§ 273
(1) […] In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden. […] 
Flankiert werden diese Regelungen durch weitere neue Vorschriften, die die Transparenz der Verständigung und die Möglichkeit einer Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht gewährleisten sollen. Nach § 243 Abs. 4 StPO ist in der Hauptverhandlung mitzuteilen, ob - und falls ja mit welchem Inhalt - außerhalb der Hauptverhandlung Erörterungen des Verfahrensstandes zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten stattgefunden haben, in denen die Möglichkeit einer Verständigung nach § 257c StPO thematisiert wurde:

§ 243
[…] (4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben. […] 
Ist dem Urteil eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen, muss dies in den schriftlichen Urteilsgründen angegeben werden (§ 267 Abs. 3 Satz 5, Abs. 4 Satz 2 StPO). 

Die in § 273 StPO enthaltenen Vorschriften über die Protokollierung der Hauptverhandlung wurden wie folgt erweitert:

§ 273
[…] (1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken. […] 
Ist dem Urteil eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen, ist ein Rechtsmittelverzicht ausgeschlossen (§ 302 Abs. 1 Satz 2 StPO). In diesem Fall ist der Angeklagte darüber zu belehren, dass er in jedem Fall frei in seiner Entscheidung ist, ein Rechtsmittel einzulegen (§ 35a Satz 3 StPO). 

6. Das Regelungskonzept des Gesetzgebers ist teils auf Zustimmung (vgl. etwa Jahn/Müller, NJW 2009, S. 2625 ff.) gestoßen, teils aber auch auf scharfe Kritik (vgl. etwa Meyer-Goßner, ZRP 2009, S. 107 ff.; Bittmann, wistra 2009, S. 414 ff.; Fezer, NStZ 2010, S. 177 ff.). Nach verbreiteter Ansicht entsprechen die gesetzlichen Vorschriften über die Verständigung nicht den Bedürfnissen der Praxis. So werden die Protokollierungs- und Belehrungspflichten sowie der generelle Ausschluss eines Rechtsmittelverzichts als Erschwerung der richterlichen Tätigkeit und damit als Rückschritt gegenüber der früheren Rechtslage empfunden; der mit der Verständigung angestrebte Entlastungseffekt werde dadurch jedenfalls teilweise wieder zunichte gemacht (vgl. Polomski, DRiZ 2011, S. 315 f.). Ferner wird die Auffassung vertreten, § 257c StPO regele nur die „förmliche“ Verständigung, weshalb für „informelle“ Absprachen oder „Gentlemen‘s Agreements“ außerhalb der Hauptverhandlung weder die gesetzlichen Protokollierungs- und Belehrungspflichten noch der Ausschluss eines Rechtsmittelverzichts gälten (vgl. Peglau, jurisPR-StrafR 4/2012 Anm. 1; Niemöller, StV 2012, S. 387 <388 f.>; ders., in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 273 Rn. 16, § 302 Rn. 5; Bittmann, a.a.O., S. 416 Fn. 25). 

II. 

1. a) Der Beschwerdeführer zu I. wurde als einer von vier Angeklagten durch das Landgericht München II mit Urteil vom 9. März 2010 wegen gemeinschaftlichen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in 259 tatmehrheitlichen Fällen in Tateinheit mit vier Fällen der Beihilfe zum vorsätzlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Unmittelbar nach Anklageverlesung und Belehrung der Angeklagten war die Hauptverhandlung für ein Rechtsgespräch unterbrochen worden. Anschließend gaben die Verteidiger für ihre Mandanten jeweils eine Erklärung ab, und die Angeklagten erklärten sich zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Der Vorsitzende schlug die Erteilung eines Hinweises vor, wonach das Gericht in voller Besetzung das Verfahren gemäß § 257b StPO mit den Verteidigern und dem Vertreter der Staatsanwaltschaft ausführlich erörtert habe. Unter Berücksichtigung der vorläufigen rechtlichen Bewer- tung, der Vorstrafen und eines angekündigten Geständnisses der Angeklagten rege die Kammer an, dass sich die Verfahrensbeteiligten dahingehend verständigten, dass der Beschwerdeführer zu I. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als sechs Jahren und die drei Mitangeklagten zu Gesamtfreiheitsstrafen von nicht mehr als fünf Jahren und sechs Monaten, zwei Jahren und vier Jahren verurteilt würden. Für den Fall einer Verurteilung in dieser Größenordnung habe die Staatsanwaltschaft angekündigt, ein dort noch anhängiges Ermittlungsverfahren zu einem weiteren Tatkomplex im Wesentlichen nach § 154 Abs. 1 StPOeinzustellen. Eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erfolgte nicht. Die Angeklagten, die Verteidiger und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft erklärten sich mit dem Vorschlag des Gerichts einverstanden. Im Anschluss machten die Angeklagten jeweils Angaben zur Sache, wobei der Beschwerdeführer zu I. auch Fragen beantwortete. Sämtliche polizeilichen Zeugenvernehmungsprotokolle wurden gemäß § 249 Abs. 2, § 251 Abs. 1 Satz 1 StPO im Selbstleseverfahren eingeführt und die entsprechenden Zeugen abgeladen. In der Folge vernahm die Kammer noch mehrere Polizeibeamte und Behördenmitarbeiter als Zeugen. Unterlagen wurden teils in Augenschein genommen oder verlesen, teils im Selbstleseverfahren eingeführt. 

b) Mit seiner Revision beanstandete der Beschwerdeführer zu I. den Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 StPO und erhob die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision mit Beschluss vom 8. Oktober 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. In Bezug auf den Belehrungsfehler verwies der Bundesgerichtshof auf eine frühere Entscheidung (Beschluss vom 17. August 2010 - 4 StR 228/10 -), in der er die Rüge eines Verstoßes gegen § 257c Abs. 5 StPO mit der Erwägung zurückgewiesen hatte, das Urteil beruhe nicht auf dem Fehler, weil die Strafkammer die im Rahmen der Verständigung angekündigte Strafobergrenze eingehalten habe. 

2. a) Die Beschwerdeführer zu II. wurden durch das Landgericht München II mit Urteil vom 27. April 2010 wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betruges in 27 tatmehrheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem gemeinschaftlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren und sechs Monaten (Beschwerdeführer zu II. 1)) und drei Jahren und vier Monaten (Beschwerdeführer zu II. 2)) verurteilt. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Zu Beginn der Hauptverhandlung hatte der Verteidiger des Beschwerdeführers zu II. 2) ein Rechtsgespräch angeregt, für das die Verhandlung unterbrochen wurde. In der Pause führten die Verteidiger, das Gericht und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Verständigungsgespräche. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung stellte das Gericht fest, das Verfahren gemäß § 257b StPO mit allen Verfahrensbeteiligten ausführlich erörtert zu haben. Die Kammer habe darauf hingewiesen, dass nach Aktenlage und vorbehaltlich des Ergebnisses der Hauptverhandlung und der Beweisaufnahme ein Schuldspruch wegen 27 Fällen des Betruges in besonders schwerem Fall jeweils in Tateinheit mit dem vorsätzlichen gemeinschaftlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts in Betracht komme. Unter Berücksichtigung dieser Bewertung sowie eines angekündigten Geständnisses rege die Kammer an, dass sich die Verfahrensbeteiligten dahingehend verständigten, dass der Beschwerdeführer zu II. 1) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren und sechs Monaten verurteilt werde und der Beschwerdeführer zu II. 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren und vier Monaten. Eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erfolgte nicht. Dem Vorschlag stimmten die Beschwerdeführer zu II., ihre Verteidiger und die Staatsanwaltschaft ausdrücklich zu. Auf die Einvernahme von Zeugen - mit Ausnahme des ermittelnden Polizeibeamten - wurde allseits verzichtet. Die Verteidiger gaben Erklärungen zur Sache ab, die sich die Beschwerdeführer zu II. jeweils zu eigen machten. Die Feststellungen im Urteil beruhen ausschließlich auf diesen Erklärungen und auf den Angaben des ermittelnden Polizeibeamten sowie den im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführten Ergebnissen einer von der Polizei in Form von Fragebögen durchgeführten schriftlichen Zeugenbefragung. 

b) Mit ihrer Revision beanstandeten die Beschwerdeführer zu II. den Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 StPO und erhoben die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision mit Beschluss vom 2. November 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. Zu dem Belehrungsmangel führte er aus, dass eine der von § 257c Abs. 4 StPO erfassten Fallgestaltungen, über deren Rechtsfolgen vorab zu belehren sei, nicht vorliege. Die verhängten Strafen überstiegen auch nicht die vom Gericht jeweils zugesicherte Höhe. Konkrete, fallbezogene Gründe, die für die auch nur entfernte Möglichkeit sprächen, dass sich der aufgezeigte Verfahrensmangel auf das Prozessverhalten der Angeklagten ausgewirkt haben könnte, so dass letztlich ein für sie günstigeres Urteil nicht auszuschließen wäre, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. 

3. a) Der Beschwerdeführer zu III. wurde als einer von zwei Angeklagten durch das Landgericht Berlin mit Urteil vom 15. März 2011 wegen zweier Fälle des schweren Raubes und wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Der Vorsitzende hatte die Angeklagten nach Verlesung der Anklageschrift darauf hingewiesen, dass es hinsichtlich der Raubtaten im Wesentlichen drei Möglichkeiten gebe. Die erste sei ein Freispruch, die zweite eine Verurteilung wegen eines oder zweier Fälle des schweren Raubes mit jeweils einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren nach streitiger Beweisaufnahme. In der zweitgenannten Konstellation - so die Urteilsgründe - „verspüre“ die Kammer angesichts dessen, dass es sich um Taten handele, die die Angeklagten als Polizeibeamte im Dienst begangen hätten, „wenig Neigung“ zur Annahme von minder schweren Fällen. Die dritte Möglichkeit schließlich sei hinsichtlich der Konsequenzen ein Mittelweg: Falls die Angeklagten sich zu Geständnissen, die eine Beweisaufnahme überflüssig machen, entschlössen, könne dieser Umstand bei der Gesamtabwägung, ob minder schwere Fälle vorliegen, eine entscheidende Rolle spielen und letztlich den Ausschlag zugunsten der Angeklagten geben. In diesem Fall seien Gesamtfreiheitsstrafen zu erwarten, deren Vollstreckung die Kammer zur Bewährung aussetzen könne. Während einer 85-minütigen Verhandlungspause hatten die Angeklagten Gelegenheit, über den Vorschlag des Gerichts nachzudenken und ihn mit ihren Verteidigern zu beraten. Der Vorsitzende mahnte derweil zur Eile. Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers zu III. warnte ihn sein Verteidiger zudem vor der Möglichkeit einer „Saalverhaftung“, wenn er der vorgeschlagenen Verständigung nicht nähertrete. Nach der Verhandlungspause erklärten die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung zu dem Vorschlag des Gerichts, was entsprechend zu Protokoll genommen wurde. Nach allgemeiner und besonderer Belehrung gemäß § 257c Abs. 4 und 5 StPO legten die Angeklagten Geständnisse in Form einer schlichten Bestätigung des Anklagesatzes ab. Anschließend erklärten die Verteidiger jeweils, dass Fragen zur Sache nicht beantwortet würden. Auf die Vernehmung von Zeugen wurde allseits verzichtet. Nach den Plädoyers und dem letzten Wort der Angeklagten zog sich die Kammer zur Beratung zurück, trat sodann aber noch einmal in die Beweisaufnahme ein, um die Angeklagten zu fragen, ob sie bei den Taten ihre Dienstwaffen bei sich geführt hätten und ob diese geladen gewesen seien, was die Angeklagten bejahten. Die Feststellungen im Urteil beruhen ausschließlich auf den Erklärungen der Angeklagten und entsprechen weitgehend dem Anklagesatz. 

b) Mit seiner Revision machte der Beschwerdeführer zu III. im Wege der Verfahrensrüge Verstöße gegen § 244 Abs. 2 StPO und gegen § 136a StPO geltend und erhob daneben die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 349 Abs. 2 StPOals unbegründet und bemerkte lediglich ergänzend, dass er der Revision jenseits der vom Generalbundesanwalt zutreffend als unzulässig bewerteten Verfahrensrügen eine noch zulässig erhobene Beanstandung der Anwendung von § 257c StPO entnehme. Diese greife in der Sache aber nicht durch. Das Landgericht habe den Angeklagten vor Augen halten dürfen, dass im Verurteilungsfall nur unter der Voraussetzung eines Geständnisses der Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB (minder schwerer Fall) eröffnet sein könne. Eine Drohung mit einer willkürlich bemessenen „Sanktionsschere“ liege deshalb nicht vor. Zu allen darüber hinausgehenden Behauptungen unzulässigen Drucks fehle es schon an ausreichendem Revisionsvortrag. Abgesehen davon sei insoweit ersichtlich nichts erwiesen. 

III. 

1. Die Beschwerdeführer zu I. und zu II. rügen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Selbstbelastungsfreiheit und des fairen Verfahrens sowie dem Schuldprinzip, ferner Verstöße gegen Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG, Art. 19 Abs. 4 sowie Art. 101 Abs. 1 GG durch das Unterlassen der von § 257c Abs. 5 StPO verlangten Belehrung vor Zustandekommen der Verständigung. Hilfsweise rügen sie die Verfassungswidrigkeit des § 257c StPOwegen Verstoßes insbesondere gegen das Schuldprinzip und das Rechtsstaatsgebot. 

a) Die Möglichkeit einer Beeinflussung des Verfahrensausgangs durch eine Verständigung übe mittelbar Druck auf den Angeklagten aus, ein Geständnis abzulegen. Eine freiverantwortliche, auf autonomer Einschätzung des damit verbundenen Risikos beruhende Entscheidung über die Abgabe eines Geständnisses setze voraus, dass der Angeklagte wisse, dass sich das Gericht über § 257c Abs. 4 StPOwieder von der Verständigung lösen könne. Die Gerichte hätten diese Aufgabe, die der Gesetzgeber der Belehrungspflicht zugewiesen habe, übersehen und § 257c Abs. 5 StPO unter Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG zu einer reinen Ordnungsvorschrift entwertet. Käme nämlich - worauf die Revisionsentscheidung hinauslaufe - ein Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO nur bei einer Abweichung des Gerichts von der Verständigung zum Tragen, so bliebe ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht letztlich in allen Fällen ohne Konsequenz, da bei einer Abweichung von der Verständigung das Geständnis schon wegen § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO nicht verwertbar sei. Auch aus tatsächlicher Sicht überzeuge die Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht, da niemand wissen könne, ob bei ordnungsgemäßer Belehrung die Verständigung überhaupt zustande gekommen wäre. 

b) Die Vorschrift des § 257c StPO verstoße gegen das Schuldprinzip und das aus Rechtsstaatsgebot und Gleichheitssatz folgende Legalitätsprinzip, die beide die Ermittlung des wahren Sachverhalts verlangten. Das Bemühen um Gewährleistung einer - trotz der Verständigung - schuldangemessenen Strafe sei mit dem zugleich verfolgten Anliegen einer Verfahrensverkürzung unvereinbar. Dieser innere Widerspruch präge die gesamte Diskussion zu § 257c StPO. Die gesetzliche Regelung sei nicht geeignet, die Realität der Verständigungspraxis zu beeinflussen. Eine wirksame revisionsgerichtliche Kontrolle von Verständigungen sei nicht möglich. Die Verständigung laufe darauf hinaus, der gerichtlichen Entscheidung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zugrundezulegen; dieses sei aber gerade nicht zur Findung der materiellen Wahrheit, sondern lediglich zu einer Verdachtsklärung bestimmt. Die Schöffen, die den Akteninhalt nicht kennten, seien für ihre Überzeugungsbildung auf den Inbegriff der Hauptverhandlung angewiesen. Im Falle eines Scheiterns der Verständigung sei die Neutralität des Richters im weiteren Verlauf des Verfahrens gefährdet. Dass dem unverteidigten Angeklagten faktisch die Möglichkeit einer Verständigung verschlossen bleibe, verstoße gegen den Gleichheitssatz. 

2. Der Beschwerdeführer zu III. rügt eine Verletzung seiner Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren gemäß Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG. Der Bundesgerichtshof habe die Anforderungen an die Zulässigkeit von Verfahrensrügen in der Revision überspannt. Ferner verstoße die vom Landgericht angedrohte „Sanktionsschere“ gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Schließlich habe das Landgericht seine Aufklärungspflicht verletzt, weil es das Geständnis nicht auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft habe. 

IV. 

1. Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, die durch das Verständigungsgesetz eingeführten Vorschriften seien mit dem Grundgesetz vereinbar. Durch die Verständigung werde nicht ermöglicht, dass sich die Verfahrensbeteiligten ohne Ermittlung des wahren Sachverhalts auf ein bestimmtes Ergebnis einigten. § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO stelle vielmehr klar, dass der Amtsermittlungsgrundsatz auch im Falle einer Verständigung unberührt bleibe. Entsprechendes gelte für die Strafzumessung, die sich weiterhin nach § 46 StGB bestimme. Der Angeklagte könne unabhängig vom Vorliegen einer Verständigung frei entscheiden, ob er sich geständig einlassen wolle oder nicht. § 257c StPO lasse daher die Selbstbelastungsfreiheit unberührt. Auch die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege werde durch die gesetzliche Regelung nicht beeinträchtigt. Vielmehr könne eine geständige Einlassung zu einer weniger umfangreichen Beweisaufnahme führen. Auch könnten Verständigungen eine Verbesserung des Opferschutzes bewirken, wenn ein Geständnis die Vernehmung von Opferzeugen in der Hauptverhandlung entbehrlich mache. 

2. Die Bayerische Staatsregierung, die sich zu den Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und zu II. geäußert hat, hält diese für unbegründet. Ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren liege nicht vor. Zum einen habe sich das Gericht an die zugesagten Strafobergrenzen gehalten, zum anderen mache die bloß abstrakte Möglichkeit, dass die Beschwerdeführer bei ordnungsgemäßer Belehrung von der Verständigung insgesamt Abstand genommen hätten, das Verfahren nicht unfair. § 257c StPO verletze weder das Schuldprinzip noch den Legalitätsgrundsatz. Die nunmehr gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, ein Ermittlungs- oder Strafverfahren durch Einräumung von inneren und äußeren Umständen im Rahmen einer Verständigung abzukürzen, werde der Tatsache gerecht, dass dem Angeklagten aufgrund seiner Subjektqualität auch zugetraut werden müsse, Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen. Außerdem lasse § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO die Amtsaufklärungspflicht unberührt. 

3. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat Stellungnahmen der Vorsitzenden des 1., 3., 4. und 5. Strafsenats vorgelegt. 

a) Der Vorsitzende des 1. Strafsenats führt aus, eine frühe Einbeziehung des Angeklagten und seines Verteidigers in die Überlegungen zur Strafzumessung bis hin zu einer Verständigung stärke die Stellung des Angeklagten als Subjekt. An der Bedeutung eines Geständnisses für die Strafzumessung habe sich durch § 257c StPO nichts geändert. Seien die zur Wahrheitsfindung erforderlichen Tatsachen nach Überzeugung des Gerichts durch ein Geständnis umfassend erwiesen, komme einer weiteren Beweisaufnahme keine Bedeutung mehr zu. Sie werde von § 244 Abs. 2 StPO nicht gefordert und sei zur Vermeidung unnötiger Belastung des Angeklagten, der Tatopfer sowie zum effektiven Einsatz der Ressource Recht zu vermeiden. Eine überdurchschnittliche Fehlerquote könne der Senat bei dem Verständigungsverfahren gemäß § 257c StPO nicht konstatieren. Von den im Jahr 2011 beim 1. Strafsenat anhängig gewordenen 650 Revisionsverfahren habe dem Urteil nur in 34 Fällen (ca. 5 %) eine Verständigung zugrunde gelegen. Nur in drei Fällen habe es Anlass zu Kritik gegeben: In zwei Fällen habe eine unzulässige Vereinbarung über den Schuldspruch vorgelegen, im dritten Fall eine unvertretbare Nichtberücksichtigung eines besonders schweren Falles. 

b) Die Vorsitzenden des 3. und 4. Strafsenats verweisen auf Entscheidungen ihrer Senate. Der Vorsitzende des 5. Strafsenats verweist ebenfalls auf Entscheidungen seines Senats und teilt mit, die von seinem Strafsenat bislang entschiedenen Fälle ließen aus seiner Sicht noch keine generelle Beurteilung der Normanwendung durch die Tatgerichte aus der in diesem Bereich ohnehin eingeschränkten Sicht des Revisionsgerichts zu. Der Senat hege bislang keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 257c StPO.
 
4. Der Generalbundesanwalt hält § 257c StPO für grundsätzlich verfassungskonform. Die Norm ersetze nicht die bisherige Struktur des Strafprozesses durch ein adversatorisches Verfahren, sondern füge sich entsprechend dem Willen des Gesetzgebers in das bestehende System ein. Sie verletze weder das Schuldprinzip noch das Recht auf ein faires Verfahren. Die Unschuldsvermutung und die Selbstbelastungsfreiheit blieben ebenso unangetastet wie der Gleichheitssatz. Zwar führe die gesetzliche Zulassung von Verständigungen zu Spannungen mit zahlreichen Verfahrensmaximen des Strafprozesses. In Anbetracht des Gestaltungsermessens des Gesetzgebers folge hieraus aber nicht die Verfassungswidrigkeit der Norm. Erheblich für die Verfassungsmäßigkeit der Verständigung spreche, dass sie besonders geeignet sei, den - in seiner Bedeutung im Verhältnis zum Ideal der Wahrheitsfindung zuletzt deutlich aufgewerteten - Zweck der Herstellung von Rechtsfrieden zu erreichen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Verständigung auch auf einer angemessenen Einbeziehung und Interessenwahrung des Opfers beruhe. Eine Legitimation der Verständigung lasse sich teilweise auch aus dem Prinzip der Disponibilität von Rechten ableiten. Die Rechtsordnung gewähre dem Angeklagten in weitem Umfang die Möglichkeit, auf Verfahrensrechte zu verzichten und die Art seines Verteidigungsverhaltens autonom zu bestimmen. Anführen lasse sich für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Verständigungen ferner, dass diese Erledigungsart auf dem durchweg als modern und zeitgemäß empfundenen Gebot eines offenen und kommunikativen Verhandlungsstils aufbaue. 

Ungeachtet dessen entfalte die gesetzliche Verankerung der Verständigung eine erhebliche Sogwirkung in Richtung auf strukturelle Veränderungen des Strafprozesses. Die Anerkennung und Ausbreitung quasi-vertraglicher Erledigungsformen habe sich in mehreren Stufen mit bislang ungebrochen expansiver Tendenz vollzogen. Rechtsprechung und Gesetzgebung hätten die normative Kraft des Faktischen nur nachholend bestätigen können, wobei gegenläufige, auf eine Kanalisierung der Verständigungspraxis gerichtete Bestrebungen bislang nicht in der Lage gewesen seien, die Dynamik der Entwicklung aufzuhalten. Ein wesentliches Motiv für die gewachsene Zahl von Verständigungen sei die in den vergangenen Jahrzehnten gestiegene Arbeitsbelastung der Justiz, mit der deren sachliche und personelle Ausstattung nicht Schritt gehalten habe. Angesichts dessen beziehe die Verständigung als Gegenmodell zur Durchführung einer aufwendigen streitigen Hauptverhandlung einen wesentlichen Teil ihrer Attraktivität aus der Möglichkeit für alle Beteiligten, das Verfahren drastisch abzukürzen, es möglichst weiterer rechtlicher Kontrolle zu entziehen und so über die Einsparung von Arbeitsaufwand im konkreten Fall die jeweiligen Erledigungsquoten - beim Verteidiger zudem mit positiven ökonomischen Folgen - zu erhöhen. 

Zur Sicherung der Verfassungskonformität sei daher einer weiteren Expansion von Formen der Verständigung im Strafprozess Einhalt zu gebieten. Dieser Erledigungsart könne im strafprozessualen System nach dem Willen des Gesetzgebers nur eine ergänzende Funktion zukommen. Sie dürfe nicht zum Regelfall des Strafverfahrens werden. Um den mit ihr verbundenen mittelbaren Gefährdungen verfassungsrechtlich geschützter Verfahrensprinzipien auf Dauer entgegenzuwirken, bedürften Anwendungsbereich und Voraussetzungen des § 257c StPO in Fortführung bereits vorhandener Ansätze in der fachgerichtlichen Rechtsprechung einer einschränkenden Auslegung. Ferner seien die im Gesetz angelegten Restriktionspotenziale über die bisherige Rechtsanwendung hinaus weiter auszuschöpfen und weitere flankierende Maßnahmen geboten. 

Vor diesem Hintergrund hält der Generalbundesanwalt die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. für unbegründet. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Beruhensprüfung hinsichtlich des Belehrungsmangels sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu III. erachtet der Generalbundesanwalt dagegen auf der Grundlage der von ihm als notwendig erachteten verfassungskonformen Auslegung des § 257c StPOals nicht aussichtslos. Es fehle bereits an der plausiblen Darlegung der Eignung des Falles für eine Verständigung, auf die die Strafkammer vorschnell ausgewichen sei. Zudem habe das Landgericht das erkennbar auf eine reine Bestätigung der Anklage beschränkte Geständnis keiner weiteren Überprüfung unterzogen. Schließlich gehe die Verständigung auf ein verfassungsrechtlich bedenkliches Aufzeigen von Alternativstrafen zurück. 

5. Der Senat hat ferner Stellungnahmen des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins und der Bundesrechtsanwaltskammer eingeholt. 
a) Der Deutsche Richterbund vertritt die Auffassung, das Verständigungsgesetz habe zwar einen erheblichen Gewinn an Rechtssicherheit gebracht; gleichwohl habe sich die gesetzliche Regelung aus Sicht der Praxis nicht uneingeschränkt bewährt. Das Risiko, dass eine Verständigung auch und gerade wegen des erwünschten Beschleunigungseffekts einen Verzicht auf gründliche und umfassende Sachaufklärung zur Folge haben könne, sei unübersehbar. Die Verkürzung der Hauptverhandlung führe außerdem dazu, dass der - in der Praxis in aller Regel von der Polizei erstellte - schriftliche Inhalt der Akten an Bedeutung gewinne. Die Justiz drohe die gebotene Kontrolle über die polizeilichen Ermittlungsergebnisse zu verlieren. Hinzu komme, dass es für alle Verfahrensbeteiligten verführerisch sei, sich die oft notwendige Erfassung, Auswertung und Beurteilung umfangreicher elektronisch gespeicherter Beweismittel durch eine Verständigung zu ersparen unter Inkaufnahme und im Bewusstsein des Umstandes, dadurch nur einen kleinen Teil des Beweisstoffes zur Kenntnis zu nehmen. Nicht von der Hand zu weisen sei die Gefahr, dass gerade bei Verfahren großen Umfangs das zu einem frühen Zeitpunkt aus echter Reue abgegebene Geständnis im Vergleich zu dem im Hinblick auf eine mögliche Verständigung taktisch zurückgehaltenen Geständnis entwertet werde. Damit verbunden sei die bedenkliche Tendenz, „kleine“, häufig unverteidigte Straftäter härter zu bestrafen, während die Justiz in Großverfahren aus Mangel an Mitteln immer nachgiebiger werde. Die in vielen Ländern unzureichende Personalausstattung der Justiz führe in der Kombination mit weiteren ungünstigen Rahmenbedingungen des deutschen Strafprozesses, deren Verbesserung bislang nicht gelungen sei, immer wieder zu Hauptverhandlungen, die der Öffentlichkeit nicht als dem hohen Gerechtigkeitsanspruch der deutschen Justiz entsprechend vermittelt werden könnten. Dadurch leide das Ansehen der Rechtspflege insgesamt. Hinzu komme, dass das Verständigungsverfahren zahlreiche noch offene Probleme aufweise. So würden die Öffentlichkeits- und Protokollierungspflichten teilweise als Belastung empfunden; zugleich würden vielfältige Hinweis- und Fürsorgepflichten des Tatrichters die Handhabung des § 257c StPO erschweren. Auch die umfangreichen Belehrungspflichten des § 257c Abs. 5 StPO hätten sich als wenig praxistauglich erwiesen. Der Ausschluss des Verzichts auf Rechtsmittel stehe im Widerspruch zu der Erwartung der Praxis, mit der ausgehandelten Verständigung eine rasche Rechtskraft des Ergebnisses zu erreichen. Die Verlockung, „es so zu machen wie früher“ und eine unzulässige „informelle“ Absprache außerhalb des § 257c StPO zu treffen, erscheine daher evident. Nicht zu unterschätzen sei zudem die Gefahr, dass sich Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verteidiger dergestalt an Absprachen gewöhnten, dass die Beendigung des Verfahrens auf diese Weise zum Regelfall werde. Die Warnungen vor einem „schleichend eingeläuteten Systemwechsel“ seien ernst zu nehmen. Dem Zeitgeist folgend versuche der Gesetzgeber, unter dem Deckmantel der Förderung eines offenen und kommunikativen Verhandlungsstils Versäumnisse bei der Ausgestaltung und Praktikabilität des formellen und materiellen Rechts zu kompensieren. Der Gesetzgeber sei jedoch verpflichtet, die prozessualen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass die Justiz ihrem gesetzlichen Strafverfolgungsauftrag gerecht werden könne, ohne sich auf Verhandlungen mit dem Angeklagten zulasten der materiellen Wahrheit und der Gerechtigkeit einlassen zu müssen. Um dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot Genüge zu tun und die Handlungsfähigkeit der Justiz zu gewährleisten, kämen etwa eine Neuordnung des Ablehnungsrechts, die Befristung von Beweisanträgen, eine Neufassung des § 265 Abs. 3 StPO, Erleichterungen bei Beweistransfers aus dem Ermittlungsverfahren in die Hauptverhandlung (etwa bei der Einführung von Urkunden) und eine Änderung des § 273 Abs. 3 StPO in Betracht. 

b) Der Deutsche Anwaltverein hält die Anwendung des § 257c StPO durch die Gerichte in den Ausgangsverfahren für verfassungswidrig und die Verfassungsbeschwerden daher für begründet. Insbesondere verstoße die Verletzung der Belehrungspflicht aus § 257c Abs. 5 StPO gegen das Recht auf ein faires Verfahren, da bei fehlender Belehrung die Willensfreiheit des Angeklagten im Zeitpunkt der Entscheidung über den Abschluss der Verständigung nicht gegeben sei. Zudem bestünden an der Verfassungsmäßigkeit des § 257c StPO erhebliche Zweifel. Der Aufklärungsgrundsatz und das Schuldprinzip stünden dem mit § 257c StPO verfolgten Ziel einer Verfahrensverkürzung und -vereinfachung strukturell entgegen. Eine „Bändigung der Verständigung“ sei durch die gesetzliche Regelung nicht geglückt. Dieser Befund werde durch Erfahrungsberichte von Mitgliedern des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins bestätigt. In einem Fall habe etwa der Vorsitzende einer Strafkammer im Gespräch mit dem Verteidiger geäußert, dass das Urteil, das aufgrund der Verständigung zustande kommen sollte, einer revisionsgerichtlichen Überprüfung vermutlich nicht standhalten würde. Dieses Risiko würde er aber eingehen, weil er davon ausgehe, dass sich alle Beteiligten an die Verständigung halten und daher keine Revision eingelegt werde. In einem anderen Fall habe die Kammer für die Abgabe umfassender Geständnisse im Sinne der Anklage eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich in Aussicht gestellt, obwohl sich der Sachverhalt in der Hauptverhandlung anders dargestellt habe. Da für die Angeklagten die Freiheit wichtiger gewesen sei als die Wahrheit, seien entsprechende, die Anklage bestätigende Geständnisse abgegeben worden. Die Gefahr falscher Geständnisse habe durch das Verständigungsgesetz eher zugenommen. Benachteiligt werde der Angeklagte, der schon früh im Ermittlungsverfahren gestanden habe, da er für eine Verständigung nichts mehr anzubieten habe. Die Förmlichkeiten und Beschränkungen des gesetzlich vorgesehenen Verständigungsverfahrens würden in der Praxis überwiegend umgangen. Die Revisionsgerichte ließen die Möglichkeiten zur „Domestizierung“ der Verständigung ungenutzt. 

c) Die Bundesrechtsanwaltskammer hält § 257c StPO für verfassungsgemäß. Die Vorschrift stehe im Spannungsverhältnis zwischen den Verpflichtungen zur Ermittlung des wahren Sachverhalts und zur Bestimmung der schuldangemessenen Strafe als Elementen des Schuldprinzips, dem Grundsatz des fairen Verfahrens und dem Gebot wirksamer Strafrechtspflege. Die gesetzliche Regelung sei ausgerichtet auf einen praktisch konkordanten Ausgleich zwischen diesen Grundsätzen. Sie schaffe im Vergleich zur früheren Rechtslage ein beträchtliches Maß an Rechtssicherheit. Tragende Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens seien nicht verletzt. Dies gelte insbesondere für den Amtsermittlungsgrundsatz, die Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit und das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung. Das generell mit der Verurteilung auf der Grundlage eines Geständnisses verbundene Risiko eines Fehlurteils werde durch die gesetzlichen Verständigungsregelungen nicht signifikant erhöht. Dass der Bundesgerichtshof dazu neige, bei Verstößen gegen die formellen Voraussetzungen einer Verständigung, namentlich die Dokumentations-, Mitteilungs- und Belehrungspflichten, ein Beruhen des Urteils auszuschließen, sei der vom Gesetzgeber angestrebten Transparenz des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens allerdings nicht förderlich. Die Eindämmung „informeller“ Absprachen werde dadurch erschwert. Im Ergebnis sei ein struktureller Mangel des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren derzeit nicht erkennbar. Die Bundesrechtsanwaltskammer hält die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. für unbegründet. Die unterbliebene Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO habe das Verfahren nicht insgesamt unfair gemacht, da das Gericht letztlich von der Verständigung nicht abgewichen sei. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu III. hält die Bundesrechtsanwaltskammer dagegen für begründet. Insbesondere habe das Landgericht seine Aufklärungspflicht verletzt, indem es sich mit einem Formalgeständnis begnügt habe. Zudem sei dem Geständnis ein Aufzeigen von Alternativstrafen vorausgegangen. Dies stelle einen Verstoß gegen das Schuldprinzip dar. 

V. 

Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. Altenhain, Universitätsprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, mit der Durchführung einer repräsentativen empirischen Untersuchung zur Praxis der Verständigung im Strafverfahren beauftragt. Zu diesem Zweck hat der Sachverständige im Zeitraum zwischen dem 17. April und 24. August 2012 insgesamt 190 mit Strafsachen befasste Richterinnen und Richter des Landes Nordrhein-Westfalen befragt, von denen 117 als Strafrichter oder Vorsitzende eines Schöffengerichts und 73 als Vorsitzende einer Strafkammer tätig waren. Als Kontrollgruppe wurden daneben 68 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie 76 Fachanwältinnen und Fachanwälte für Strafrecht befragt. 

Nach Einschätzung der befragten Richter wurden im Kalenderjahr 2011 17,9 % der Strafverfahren an Amtsgerichten und 23 % der Strafverfahren an Landgerichten durch Absprachen erledigt. Auf die Frage, in wieviel Prozent der Fälle nach ihrer Einschätzung in der gerichtlichen Praxis die gesetzlichen Vorschriften zur Verständigung verletzt würde, gaben etwas mehr als die Hälfte der Richter an, dass dies in mehr als der Hälfte aller Verfahren mit Absprachen der Fall sein dürfte. So gaben 58,9 % der befragten Richter an, mehr als die Hälfte ihrer Absprachen „informell“, also ohne Anwendung des § 257c StPOdurchgeführt zu haben, 26,7 % gaben an, immer so vorgegangen zu sein. 33 % der befragten Richter gaben an, außerhalb der Hauptverhandlung Absprachen geführt zu haben, ohne dass dies in der Hauptverhandlung offengelegt wurde, während 41,8 % der Staatsanwälte und 74,7 % der Verteidiger angaben, dies schon erlebt zu haben. Die Offenlegungspflicht wird von einem nicht unbeachtlichen Teil der Richter als überflüssiger Formalismus empfunden. Die Regelung zum sogenannten Negativattest (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO) bleibt in der Praxis oft unbeachtet. 54,4 % der befragten Richter gaben an, eine nicht erfolgte Verständigung für im Protokoll nicht erwähnenswert zu halten. 46,7 % der befragten Richter weisen entgegen § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO nicht in den Urteilsgründen auf eine dem Urteil vorausgegangene Verständigung hin. Sehr häufiger Inhalt von Absprachen ist die Einstellung beziehungsweise Beschränkung des Verfahrens nach §§ 154, 154a StPO; in diesem Zusammenhang wird auch die Einstellung anderer, nicht in die Anklage einbezogener Verfahren im Rahmen sogenannter „Gesamtlösungen“ immer wieder thematisiert. (Im Rahmen einer von G. Schöch durchgeführten anonymisierten empirischen Erhebung zur Absprachepraxis in München sind sogar „Familienlösungen“ bekanntgeworden, bei denen etwa der Mann eine höhere Freiheitsstrafe erhält und im Gegenzug die Frau eine Bewährungsstrafe, um zu Hause die Kinder versorgen zu können, oder die zukünftigen Strafen von Familienangehörigen in anderen Verfahren gleich mit abgesprochen werden [vgl. G. Schöch, Urteilsabsprachen in der Strafrechtspraxis, 2007, S. 147]). Teilweise werden ausweislich der Studie von Prof. Dr. Altenhain durch § 257c Abs. 2 StPO ausdrücklich ausgeschlossene Inhalte wie etwa der Schuldspruch in die Absprache aufgenommen. Während 61,7 % der Richter angaben, die Glaubhaftigkeit von im Anschluss an eine Absprache abgelegten Geständnissen immer zu überprüfen, räumten 38,3 % der Richter ein, die Glaubhaftigkeit des Geständnisses nicht immer, sondern nur häufig, manchmal, selten oder nie zu überprüfen. 35,3 % der befragten Richter haben nach eigenem Bekunden dem Angeklagten oder seinem Verteidiger in Verständigungsgesprächen neben der Strafobergrenze beziehungsweise dem bestimmten Strafmaß für den Fall einer Kooperation schon einmal eine zweite Strafe für den Fall einer „streitigen“ Hauptverhandlung genannt, 16 % gaben an, typischerweise so vorzugehen. Die Einlegung eines Rechtsmittels nach einer Absprache ist sehr selten. Nach Auskunft von 27,4 % der Richter wurde sogar bei Verständigungen gemäß § 257c StPO - entgegen § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO - ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet. Von den Richtern gaben 14,7 % an, dass bei ihnen nach einer Absprache „immer“ auf Rechtsmittel verzichtet werde; bei 56,6 % geschah dies „häufig“ (Staatsanwälte: 5,6 % bzw. 64,8 %; Verteidiger: 5,6 % bzw. 76,1 %). Nicht weniger als 16,4 % der Richter und 30,9 % der Staatsanwälte erklärten, sich im Rahmen einer Absprache schon auf eine ihrer Ansicht nach zu milde Strafe eingelassen zu haben.

Demgegenüber haben sich von den Verteidigern 30,3 % nach eigener Auskunft schon auf eine ihrer Ansicht nach zu hohe Strafe im Wege der Absprache eingelassen. Der „Strafrabatt“ im Anschluss an ein absprachegemäß abgelegtes Geständnis liegt nach Angaben der Befragten zumeist zwischen 25 % und 33,3 % der wahrscheinlich zu erwartenden Strafe nach „streitiger“ Verhandlung. 

VI. 

Mit Beschlüssen vom 22. Mai 2012 und vom 21. Juni 2012 hat die 1. Kammer des Zweiten Senats auf Antrag der sich zu dieser Zeit in Strafhaft befindenden Beschwerdeführer zu I. und II. die Vollstreckung aus den angegriffenen Urteilen des Landgerichts München II bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden, längstens für sechs Monate, einstweilen ausgesetzt. Mit Beschlüssen vom 22. Oktober 2012 und vom 5. Dezember 2012 hat der Senat auf Antrag der Beschwerdeführer zu I. und II. die einstweiligen Anordnungen wiederholt. 

VII. 

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat Prof. Dr. Altenhain zu dessen im Auftrag des Senats angefertigter empirischer Studie über die Praxis der Verständigung im Strafverfahren gehört, zu den Erfahrungen und Einschätzungen bei den Tat- und Revisionsgerichten den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, Generalbundesanwalt Range, Vorsitzenden Richter am Landgericht Marburg Dr. Paul, Vorsitzenden Richter am Landgericht Hildesheim Pohl, Vorsitzenden Richter am Landgericht Hamburg Dr. Tully und Vorsitzenden Richter am Landgericht Freiburg im Breisgau i.R. Royen. Prof. Dr. Frisch, Direktor der Abteilung 1 des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, hat sich zum Schuldprinzip und dessen Bedeutung für die Legitimation staatlichen Strafens im Rechtsstaat und die Erfüllung der freiheitssichernden Funktion des Strafrechts sowie zur Vereinbarkeit der Verständigungspraxis und des § 257c StPO mit dem Schuldprinzip geäußert. Die Bevollmächtigten der Beschwerdeführer sowie Vertreter der Bundesregierung, des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins und der Bundesrechtsanwaltskammer haben ihren schriftlichen Vortrag ergänzt und vertieft. Zur Verfassungsmäßigkeit von Verständigungen im Strafprozess hat ferner ein Vertreter der Neuen Richtervereinigung Stellung genommen. 

B. 

Die Verfassungsbeschwerden sind begründet, soweit sie sich gegen die angegriffenen Entscheidungen richten; im Übrigen haben sie keinen Erfolg. 

I. 

1. Das Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz (BVerfGE 123, 267 <413>), der den gesamten Bereich staatlichen Strafens beherrscht. Der Schuldgrundsatz hat Verfassungsrang; er ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG) sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert (vgl. BVerfGE 45, 187 <259 f.>; 86, 288 <313>; 95, 96 <140>; 120, 224 <253 f.>; 130, 1 <26>). 
a) Der Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ (nulla poena sine culpa) setzt die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann. Dem Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>; 123, 267 <413>). Auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG die Auffassung vom Wesen der Strafe und das Verhältnis von Schuld und Sühne (vgl. BVerfGE 95, 96 <140>) sowie den Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 80, 367 <378>; 90, 145 <173>; 123, 267 <413>). Die Strafe ist im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme dadurch gekennzeichnet, dass sie - wenn nicht ausschließlich, so doch auch - auf gerechte Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten abzielt. Mit der Strafe wird dem Täter ein sozialethisches Fehlverhalten vorgeworfen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>; 110, 1 <13>). Eine solche strafrechtliche Reaktion wäre ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>). 

b) Das Rechtsstaatsprinzip ist eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes (BVerfGE 20, 323 <331>). Es sichert den Gebrauch der Freiheitsrechte, indem es Rechtssicherheit gewährt, die Staatsgewalt an das Gesetz bindet und Vertrauen schützt (BVerfGE 95, 96 <130>). Das Rechtsstaatsprinzip umfasst als eine der Leitideen des Grundgesetzes auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit (vgl. BVerfGE 7, 89 <92>; 7, 194 <196>; 45, 187 <246>; 74, 129 <152>; 122, 248 <272>) und schließt den Grundsatz der Rechtsgleichheit als eines der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate ein (vgl. BVerfGE 84, 90 <121>). Für den Bereich des Strafrechts werden diese rechtsstaatlichen Anliegen auch im Schuldgrundsatz aufgenommen (BVerfGE 95, 96 <130 f.>). Gemessen an der Idee der Gerechtigkeit müssen Straftatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 25, 269 <286>; 27, 18 <29>; 50, 205 <214 f.>; 120, 224 <241>; stRspr). Die Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 45, 187 <228>; 50, 5 <12>; 73, 206 <253>; 86, 288 <313>; 96, 245 <249>; 109, 133 <171>; 110, 1 <13>; 120, 224 <254>). In diesem Sinne hat die Strafe die Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BVerfGE 45, 187 <253 f.>; 109, 133 <173>; 120, 224 <253 f.>). 

2. Aufgabe des Strafprozesses ist es, den Strafanspruch des Staates um des Schutzes der Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und dem mit Strafe Bedrohten eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten. Der Strafprozess hat das aus der Würde des Menschen als eigenverantwortlich handelnder Person und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf (vgl. BVerfGE 80, 244 <255>; 95, 96 <140>), zu sichern und entsprechende verfahrensrechtliche Vorkehrungen bereitzustellen. Zentrales Anliegen des Strafprozesses ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das materielle Schuldprinzip nicht verwirklichen lässt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 118, 212 <231>; 122, 248 <270>; 130, 1 <26>). Dem Täter müssen Tat und Schuld prozessordnungsgemäß nachgewiesen werden (vgl. BVerfGE 9, 167 <169>; 74, 358 <371>). Bis zum Nachweis der Schuld wird seine Unschuld vermutet (vgl. BVerfGE 35, 311 <320>; 74, 358 <371>). 

a) Der Staat ist von Verfassungs wegen gehalten, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272>; 130, 1 <26>). Der Schutz elementarer Rechtsgüter durch Strafrecht und seine Durchsetzung im Verfahren sind Verfassungsaufgaben (vgl. BVerfGE 107, 104 <118 f.>; 113, 29 <54>). Das erfordert, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten, also schuldangemessenen Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272 f.>; 129, 208 <260>). Die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, umfasst auch die Pflicht, die Durchführung eingeleiteter Strafverfahren und die Vollstreckung rechtskräftig erkannter (Freiheits-)Strafen sicherzustellen. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, und der Anspruch aller in Strafverfahren Beschuldigten auf Gleichbehandlung erfordern grundsätzlich, dass der Strafanspruch durchgesetzt, also auch eingeleitete Verfahren fortgesetzt und rechtskräftig verhängte Strafen vollstreckt werden (BVerfGE 46, 214 <222 f.>; 49, 24 <54>; 51, 324 <344>). 

b) Bei alledem darf der Beschuldigte im Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht bloßes Objekt des Strafverfahrens sein; ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 65, 171 <174 f.>; 66, 313 <318>). 

aa) Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 122, 248 <271 f.>). Dies bedeutet allerdings nicht, dass im Strafverfahren - unter dem Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ (vgl. BVerfGE 110, 226 <253>) - in der Rollenverteilung begründete verfahrensspezifische Unterschiede in den Handlungsmöglichkeiten von Staatsanwaltschaft und Verteidigung in jeder Beziehung ausgeglichen werden müssten (vgl. BVerfGE 63, 45 <67>; 63, 380 <392 f.>; 122, 248 <272>); vielmehr sind angesichts der besonderen, zur Objektivität verpflichtenden Stellung der Staatsanwaltschaft Differenzierungen möglich. Die Bestimmung der verfahrensrechtlichen Befugnisse und Hilfestellungen, die dem Beschuldigten nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens im Einzelnen einzuräumen und die Festlegung, wie diese auszugestalten sind, ist in erster Linie dem Gesetzgeber und sodann - in den vom Gesetz gezogenen Grenzen - den Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (vgl. BVerfGE 57, 250 <276>; 64, 135 <145 f.>; 122, 248 <272>). Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfGE 47, 239 <250>; 80, 367 <375>; 122, 248 <272>). Verfahrensgestaltungen, die den Erfordernissen einer wirksamen Strafrechtspflege dienen, verletzen daher nicht schon dann den grundrechtlichen Anspruch auf ein faires Strafverfahren, wenn verfahrensrechtliche Positionen des Angeklagten oder Beschuldigten dabei eine Zurücksetzung zugunsten einer wirksameren Strafrechtspflege erfahren (BVerfGE 122, 248 <273>). Das Beschleunigungsgebot ist bei der Konkretisierung des Rechts auf ein faires Verfahren ebenfalls zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 41, 246 <250>; 63, 45 <68 f.>; 122, 248 <273>), denn unnötige Verfahrensverzögerungen stellen nicht nur die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>) und die Zwecke der Kriminalstrafe in Frage, sondern beeinträchtigen, da die Beweisgrundlage durch Zeitablauf verfälscht werden kann, auch die Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit (vgl. BVerfGE 57, 250 <280>; 122, 248 <273>; 130, 1 <27>). 

bb) Die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (nemo tenetur se ipsum accusare) sind notwendiger Ausdruck einer auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde beruhenden rechtsstaatlichen Grundhaltung (vgl. BVerfGE 38, 105 <113 f.>; 55, 144 <150 f.>; 56, 37 <43>). Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist im Rechtsstaatsprinzip verankert und hat Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 38, 105 <113 f.>; 55, 144 <150 f.>; 56, 37 <43>; 110, 1 <31>). Er umfasst das Recht auf Aussage- und Entschließungsfreiheit innerhalb des Strafverfahrens. Dazu gehört, dass im Rahmen des Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen (vgl. BVerfGE 56, 37 <49>; 109, 279 <324>). Der Beschuldigte muss frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt (vgl. BVerfGE 38, 105 <113>; 56, 37 <43>). Dies setzt voraus, dass er über seine Aussagefreiheit in Kenntnis gesetzt wird. 

cc) Die Unschuldsvermutung hat als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips ebenfalls Verfassungsrang (BVerfGE 74, 358 <371>). Sie verbietet zum einen, im konkreten Strafverfahren ohne prozessordnungsgemäßen - nicht notwendiger Weise rechtskräftigen - Schuldnachweis Maßnahmen gegen den Beschuldigten zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen, und ihn verfahrensbezogen als schuldig zu behandeln; zum anderen verlangt sie den rechtskräftigen Nachweis der Schuld, bevor diese dem Verurteilten im Rechtsverkehr allgemein vorgehalten werden darf (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <371>). Als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips enthält die Unschuldsvermutung - wie auch das Recht des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren - allerdings keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- und Verbote; ihre Auswirkungen auf das Verfahrensrecht bedürfen vielmehr der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Dies ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers (BVerfGE 74, 358 <371 f.>; vgl. auch BVerfGE 7, 89 <92 f.>; 57, 250 <275 f.>; 65, 283 <291>). 

3. Das Grundgesetz gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand bietet (vgl. BVerfGE 4, 412 <416>; 21, 139 <145 f.>; 23, 321 <325>; 82, 286 <298>; 89, 28 <36>). Neben der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 Abs.1 und 2 GG) ist es wesentliches Kennzeichen der Rechtsprechung im Sinne des Grundgesetzes, dass die richterliche Tätigkeit von einem „nicht beteiligten Dritten“ ausgeübt wird (vgl. BVerfGE 3, 377 <381>; 4, 331 <346>; 21, 139 <145>; 27, 312 <322>; 48, 300 <316>; 87, 68 <85>; 103, 111 <140>). Diese Vorstellung von neutraler Amtsführung ist mit den Begriffen „Richter“ und „Gericht“ untrennbar verknüpft (vgl. BVerfGE 4, 331 <346>; 60, 175 <214>; 103, 111 <140>). Die richterliche Tätigkeit erfordert daher unbedingte Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten (BVerfGE 21, 139 <146>; 103, 111 <140>). Das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt deshalb nicht nur einen Anspruch auf den sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergebenden Richter (vgl. BVerfGE 89, 28 <36>), sondern garantiert auch, dass der Betroffene nicht vor einem Richter steht, der aufgrund persönlicher oder sachlicher Beziehungen zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Streitgegenstand die gebotene Neutralität vermissen lässt (BVerfGE 21, 139 <146>; 89, 28 <36>). Dieses Verlangen nach Unvoreingenommenheit und Neutralität des Richters ist zugleich ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit (vgl. BVerfGE 3, 377 <381>; 37, 57 <65>). 

4. Das im Rechtsstaatsprinzip und dem allgemeinen Freiheitsrecht verankerte Recht auf ein faires Strafverfahren umfasst das Recht des Beschuldigten, sich von einem Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens verteidigen zu lassen (BVerfGE 66, 313 <318 f.>; 110, 226 <253>). Wenngleich das Recht auf ein faires Verfahren keine in allen Einzelheiten bestimmten Gebote und Verbote enthält, sondern der Konkretisierung durch den Gesetzgeber je nach den sachlichen Gegebenheiten bedarf, untersagt es jedenfalls eine Ausgestaltung des Strafverfahrens, bei der rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind (BVerfGE 57, 250 <276>; 122, 248 <272>). Angesichts der besonderen Bedeutung, die dem Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zukommt (vgl. BVerfGE 110, 226 <254>), verbietet es sich, im Strafprozess Verfahrensweisen vorzusehen, die - etwa aufgrund der Schaffung sachwidriger Anreize - erwarten lassen, dass dieses Vertrauen unterlaufen und damit das Recht auf eine effektive Verteidigung entwertet wird. 

II. 

Nach diesen Maßstäben kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung der Verständigung im Strafverfahren nicht festgestellt werden. Der Gesetzgeber hat Verständigungen im Strafprozess lediglich in einem begrenzten Rahmen zugelassen und sein Regelungskonzept mit spezifischen Schutzmechanismen versehen, die bei der gebotenen präzisierenden Auslegung und Anwendung erwarten lassen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Strafprozesses erfüllt werden (1. und 2.). Eine das Verständigungsgesetz in nicht unerheblichem Umfang vernachlässigende Praxis belegt derzeit noch kein verfassungsrechtlich relevantes Regelungsdefizit (3.). Der Gesetzgeber ist allerdings gehalten, die Wirksamkeit der zur Wahrung eines verfassungskonformen Strafverfahrens vorgesehenen Vorkehrungen zu beobachten und erforderlichenfalls erneut über die Zulässigkeit sowie die Bedingungen von Verständigungen zu entscheiden (4.). 

1. Das Verständigungsgesetz statuiert nach dem in seinem Wortlaut und Normgefüge zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers (a) kein neues, „konsensuales“ Verfahrensmodell. Vielmehr integriert es die von ihm zugelassene Verständigung mit dem Ziel in das geltende Strafprozessrechtssystem, weiterhin ein der Erforschung der materiellen Wahrheit und der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtetes Strafverfahren sicherzustellen. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich klargestellt, dass eine Verständigung als solche niemals alleinige Urteilsgrundlage sein kann, sondern das Gericht weiterhin an die in § 244 Abs. 2 StPO niedergelegte Amtsaufklärungspflicht gebunden ist und die rechtliche Würdigung nicht der Disposition der Beteiligten an einer Verständigung unterliegt (b). Das Verständigungsgesetz regelt die Zulässigkeit einer Verständigung im Strafverfahren abschließend; es untersagt damit die beschönigend als „informell“ bezeichneten Vorgehensweisen bei einer Verständigung (c). Der Gesetzgeber hat sein Regelungskonzept mit spezifischen Schutzmechanismen versehen, die eine vollständige Transparenz und Dokumentation des zu einer Verständigung führenden Geschehens sicherstellen und so die vom Gesetzgeber als erforderlich bewertete vollumfängliche Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht ermöglichen sollen (d). Schließlich gewährleistet das Gesetz über eine Einschränkung der Bindungswirkung einer Verständigung die Neutralität des Gerichts und sieht mit der Pflicht zur Belehrung des Angeklagten über diese Einschränkung eine dessen Belangen dienende Sicherung vor (e). 

a) Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (vgl. BVerfGE 1, 299 <312>; 11, 126 <130 f.>; 105, 135 <157>; stRspr). Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (vgl. BVerfGE 11, 126 <130>; 105, 135 <157>). Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf (vgl. BVerfGE 122, 248 <283> - abw. M.). Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall - auch unter gewandelten Bedingungen - möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 96, 375 <394 f.>). In keinem Fall darf richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen (vgl. BVerfGE 78, 20 <24> m.w.N.). Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fern liegen. Anderenfalls wäre es für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textlich Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen gegenüber der Rechtsprechung über einen längeren Zeitraum durchzusetzen (vgl. BVerfGE 122, 248 <284> - abw. M.).  

b) Der Gesetzgeber hat eine gesetzliche Regelung der Verständigung im Strafverfahren als notwendig erachtet, weil das in der Praxis entstandene und dort bedeutsame, aber stets umstritten gebliebene Institut der Verständigung zur Herstellung von Rechtssicherheit und der Gewährleistung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung dringend klarer gesetzlicher Vorgaben bedürfe. Dabei war dem Gesetzgeber bewusst, dass sich auf das Urteil bezogene Verständigungen des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten nicht ohne Weiteres mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Strafverfahren, insbesondere hinsichtlich der Erforschung der materiellen Wahrheit, der Schuldangemessenheit der Strafe und der Verfahrensfairness, würden in Einklang bringen lassen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1). Dementsprechend war es ausdrücklich sein zentrales Ziel, die Verständigung in einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht werdenden Weise in das geltende Strafverfahrensrecht zu integrieren, ohne die den Strafprozess dominierenden Grundsätze der richterlichen Sachverhaltsaufklärung und Überzeugungsbildung anzutasten. Die Auslegung und Anwendung des Verständigungsgesetzes hat sich zuvörderst an diesem gesetzgeberischen Konzept zu orientieren. Das gilt auch für das Bundesverfassungsgericht, das dann, wenn eine präzisierende Auslegung eines Gesetzes möglich ist, diese seiner Prüfung zugrunde zu legen hat (vgl. zur Bestimmtheit von Strafnormen BVerfGE 126, 170 <196 f.>; siehe auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 2012 - 1 BvR 1509/10 -). Der Gesetzgeber wollte zwar eine offene, kommunikative Verhandlungsführung des Gerichts stärken, aber gerade kein neues, „konsensuales“ Verfahrensmodell einführen. Vielmehr war es sein erklärtes Regelungsziel, weiterhin ein Strafverfahren sicherzustellen, das dem fundamentalen und verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Wahrheitsermittlung sowie der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtet ist (vgl. dazu Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f.), weshalb auch in der Verständigungssituation das Maß der Schuldangemessenheit weder über- noch unterschritten werden darf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2010 - 1 StR 400/10 -, NStZ 2011, S. 592 <594>, und vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11 -, juris, Rn. 23; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 44). Um diese Aufgabenstellung zu verwirklichen, hat der Gesetzgeber nicht nur den zulässigen Inhalt von Verständigungen und das Verständigungsverfahren „umfassend“ normieren wollen, sondern einen Schwerpunkt seines Regelungskonzepts in der Herstellung von Transparenz, Öffentlichkeit und einer vollständigen Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens gesehen, die wiederum die von ihm als erforderlich bewertete „vollumfängliche“ Rechtsmittelkontrolle ermöglichen und wirksam ausgestalten soll (vgl. nur Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f., 12, 15, sowie Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, BTDrucks 16/12310, S. 22). Das Verlangen nach umfassender Transparenz des Verständigungsgeschehens kennzeichnet die gesetzliche Regelung insgesamt (ebenso BGH, Urteil vom 29. November 2011 - 1 StR 287/11 -, NStZ 2012, S. 347 <348>, und Beschluss vom 22. Februar 2012 - 1 StR 349/11 -, StV 2012, S. 649 <652>). Hiernach muss sich eine Verständigung unter allen Umständen „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbaren“ (BTDrucks 16/12310, S. 12). 

aa) Als Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, Möglichkeiten einer Verständigung in das geltende Strafprozessrechtssystem zu integrieren, ist vor allem die Klarstellung des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO zu verstehen, die in § 244 Abs. 2 StPO niedergelegte Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen bleibe „unberührt“. Der Wortlaut von § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO ist eindeutig; die Norm schließt jede Disposition über Gegenstand und Umfang der dem Gericht von Amts wegen obliegenden Pflicht zur Aufklärung des mit der Anklage vorgeworfenen Geschehens aus. Damit wird hervorgehoben, dass eine Verständigung niemals als solche die Grundlage eines Urteils bilden kann, sondern weiterhin allein und ausschließlich die - ausreichend fundierte - Überzeugung des Gerichts von dem von ihm festzustellenden Sachverhalt maßgeblich bleibt (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13). Dem Gesetzgeber waren die Besonderheiten des aufgrund einer Verständigung abgegebenen Geständnisses, insbesondere dessen erhöhte Fehleranfälligkeit infolge der Anreiz- und Verlockungssituation, in der sich der Angeklagte wie auch sein Verteidiger befinden können, und demzufolge die Gefahr von „Falschgeständnissen“, bewusst, und er hat deshalb die Geltung der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO ausdrücklich klargestellt. Dementsprechend bleibt das nach § 244 Abs. 2 StPO erforderliche Maß an Beweiserhebung stets insoweit unberührt, als ein wirksamer Verzicht auf (weitere) Beweisanträge und Beweiserhebungen sich nicht außerhalb dessen bewegen kann, was durch die unverändert geltende Sachaufklärungspflicht des Gerichtes bestimmt ist (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13; siehe auch BGH, Beschluss vom 31. Januar 2012 - 3 StR 285/11 -, StV 2012, S. 653 <654>; BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 3 StR 335/11 -, juris, Rn. 5). 

Die Regelung des § 257c Abs. 4 Satz 1 StPO, nach der die Bindung des Gerichts an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist, baut auf der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO auf und bestätigt die dargelegte Grundentscheidung des Gesetzgebers. Entsprechendes gilt für das die Zulässigkeit von Verständigungen nach § 257c Abs. 1 Satz 1 StPObeschränkende Kriterium der „geeigneten Fälle“, mit dem der Gesetzgeber nicht nur die Anwendung der Verständigung im Jugendstrafverfahren mit Blick auf den dieses beherrschenden Erziehungsgedanken einschränken, sondern vor allem auch sicherstellen wollte, dass das Gericht nicht vorschnell auf eine Verständigung ausweicht, ohne zuvor pflichtgemäß die Anklage tatsächlich und rechtlich überprüft zu haben (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 16/12310, S. 10, 13; siehe auch BGHSt 50, 40 <49>, sowie BGH, Beschlüsse vom 20. April 2004 - 5 StR 11/04 -, juris, Rn. 14 ff., und vom 9. Juni 2004 - 5 StR 579/03 -, juris, Rn. 13 ff.). 

Aufgrund des klarstellenden Hinweises auf § 244 Abs. 2 StPO durch § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO bedurfte es auch keiner zusätzlichen ausdrücklichen Festlegung der an ein Geständnis zu stellenden „Qualitätsanforderungen“. Vielmehr genügt dieser Hinweis, um einerseits zu verdeutlichen, dass auch in der Verständigungssituation ein bloßes inhaltsleeres Formalgeständnis - vor allem, wenn die Beantwortung von Fragen zum Sachverhalt verweigert wird - oder gar die nicht einmal ein Geständnis darstellende schlichte Erklärung, der Anklage nicht entgegenzutreten, allein keine taugliche Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein können. Andererseits hat es der Gesetzgeber damit den Gerichten ermöglicht, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen. 

Vor dem Hintergrund des Regelungsziels, die Grundsätze der Amtsaufklärungspflicht des Gerichts und der richterlichen Überzeugungsbildung unangetastet zu lassen, kann § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO zudem nur so verstanden werden, dass das verständigungsbasierte Geständnis zwingend auf seine Richtigkeit zu überprüfen ist. Diese Überprüfung hat sich - unter zusätzlicher Berücksichtigung des Grundanliegens des Gesetzgebers, Verständigungen transparent und kontrollierbar zu machen - durch Beweiserhebung in der Hauptverhandlung (vgl. § 261 StPO) zu vollziehen. Freilich kann dies nicht bedeuten, dass die Überprüfung eines verständigungsbasierten Geständnisses strengeren Anforderungen unterliegt als sie an eine Beweisaufnahme in der nach herkömmlicher Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung nach Abgabe eines Geständnisses zu stellen wären; so bleiben etwa Vorhalte oder das Selbstleseverfahren nach den allgemeinen Regeln möglich. Es genügt jedoch nicht, das verständigungsbasierte Geständnis durch einen bloßen Abgleich mit der Aktenlage zu überprüfen (anders noch BGHSt 50, 40 <49>, in diese Richtung auch Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <387 f.>), da dies keine hinreichende Grundlage für die erforderliche Überzeugungsbildung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) darstellt und mit einem solchen Verständnis dem Transparenzanliegen des Verständigungsgesetzes und der Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle verständigungsbasierter Urteile gerade nicht Rechnung getragen werden könnte. 

Dieses Verständnis des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass hiernach der Raum für Verständigungen - insbesondere mit Blick auf das Ausmaß der ermöglichten Verfahrensabkürzung - spürbar eingeengt wird. Diese Wirkung ist nicht etwa Ausdruck einer unauflösbaren inneren Widersprüchlichkeit der Norm, sondern achtet das ausdrückliche Ziel des Gesetzgebers, die Verständigung mit den Grundsätzen der Amtsaufklärung nach § 244 Abs. 2 StPO und der richterlichen Überzeugungsbildung in Einklang zu bringen. Die Beschränkung des praktischen Anwendungsbereichs von Verständigungen ist die zwangsläufige Konsequenz der Einfügung von Verständigungsmöglichkeiten in das System des geltenden Strafprozessrechts. 

bb) Nach dem Regelungsziel des Gesetzgebers, weiterhin ein der Wahrheitserforschung und der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtetes Strafverfahren sicherzustellen, bleiben nicht nur die tatsächlichen Feststellungen, sondern auch deren rechtliche Würdigung der Disposition der an einer Verständigung Beteiligten entzogen (ebenso BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 - 4 StR 623/11 -, juris, Rn. 16). Unmittelbaren Ausdruck findet das gesetzliche Regelungsanliegen in § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO, der den zulässigen Gegenstand von Verständigungen ausdrücklich auf die „Rechtsfolgen“ beschränkt, ferner in dem von § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO ausgesprochenen Verbot einer Verständigung über den Schuldspruch und dem Wegfall der Bindungswirkung einer Verständigung unter den Voraussetzungen des § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO

Aus § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO folgt unter Berücksichtigung der Systematik und von Sinn und Zweck des gesetzlichen Regelungskonzepts insbesondere, dass eine Strafrahmenverschiebung nicht Gegenstand einer Verständigung sein darf, und zwar auch dann nicht, wenn sie sich auf Sonderstrafrahmen für besonders schwere oder minder schwere Fälle im Vergleich zum Regelstrafrahmen bezieht. Zwar handelt es sich bei diesen Sonderstrafrahmen nach herrschender Meinung (vgl. BGHSt 23, 254 <256>; 26, 104 <105>; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, Vor §§ 38 ff., Rn. 47; Theune, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2007, Vor §§ 46 ff. Rn. 18) um gesetzliche Strafzumessungsregeln, die mit Ausnahme von § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht in den Urteilstenor aufzunehmen sind. Allerdings weist die Regelungstechnik der besonders schweren und minder schweren Fälle eine spezifische Nähe zu Qualifikations- und Privilegierungstatbeständen auf. Wesentliche Unterschiede zwischen diesen Regelungsbereichen sind im Hinblick auf die Schuldangemessenheit des Strafens nicht zu erkennen. So werden die Regelbeispiele besonders schwerer Fälle als „tatbestandsähnlich“ angesehen (vgl. BGHSt 33, 370 <374>; BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1997 - 5 StR 328/97 -, NStZ 1998, S. 91 <92>; Urteil vom 7. August 2001 - 1 StR 470/00 -, NStZ 2001, S. 642 <643>; Beschluss vom 28. Juli 2010 - 1 StR 332/10 -, NStZ 2011, S. 167). Die Regelungstechnik unterfällt auch dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 45, 363 <371>) sowie dem Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. April 2004 - 3 StR 113/04-, NStZ-RR 2004, S. 262, und vom 20. Juli 2004 - 3 StR 231/04 -, NStZ-RR 2005, S. 373 <374>). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Fall besonders schwer, wenn er sich nach dem Gewicht von Unrecht und Schuld vom Durchschnitt vorkommender Fälle so abhebt, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist (vgl. BGHSt 28, 318, <319 f.>; BGH, Urteil vom 26. Juni 1991 - 3 StR 145/91 -, NStZ 1991, S. 529 <530>); für das Vorliegen eines minder schweren Falls ist zu prüfen, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maß abweicht, dass die Anwendung des milderen Strafrahmens geboten erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2000 - 5 StR 349/00 -, NJW 2000, S. 3580; Urteil vom 13. Februar 2003 - 3 StR 349/02 -, NJW 2003, S. 1679 <1680>; Beschluss vom 26. August 2008 - 3 StR 316/08 -, NStZ 2009, S. 37). Auch die Sonderstrafrahmen sind daher - wie jeder Strafrahmen - Ausdruck des Unwert- und Schuldgehalts, den der Gesetzgeber einem unter Strafe gestellten Verhalten beigemessen hat. Mit der Normierung von Sonderstrafrahmen bringt der Gesetzgeber - nicht anders als bei Qualifikationen und Privilegierungen - zum Ausdruck, innerhalb eines Deliktstypus eine Differenzierung schon auf der Ebene der Strafrahmenwahl für geboten zu erachten. Bei umfassender Würdigung des dem Verständigungsgesetz zugrundeliegenden Regelungskonzepts kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe diese Bewertung für den Fall einer Verständigung aufgeben und den Begriff der „Rechtsfolge“ in § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO auch auf Strafrahmenverschiebungen ausdehnen wollen. 
c) Mit den Vorschriften des Verständigungsgesetzes hat die Zulassung von Verständigungen im Strafverfahren eine abschließende Regelung erfahren. Außerhalb des gesetzlichen Regelungskonzepts erfolgende sogenannte informelle Absprachen sind unzulässig. 

aa) Bereits aus dem Wortlaut von § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO, der Verständigungen nur „nach Maßgabe der folgenden Absätze“ zulässt, folgt, dass jegliche sonstigen „informellen“ Absprachen, Vereinbarungen und „Gentlemen‘s Agreements“ untersagt sind. Damit wird das Ziel der gesetzlichen Regelung, der Verständigung zur Herstellung von Rechtssicherheit und der Gewährleistung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung durch ein „umfassendes und differenziertes Regelungskonzept“ (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 7 f., 9) klare Vorgaben zu setzen, verwirklicht. Hätte die Regelung keinen abschließenden Charakter, könnten die vom Gesetzgeber als erforderlich erachteten flankierenden Vorschriften, die Transparenz und Öffentlichkeit des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens sichern, die ihnen zur Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle von Verständigungen zugedachte Funktion von vornherein nicht wirksam erfüllen. Hierin liegt aber gerade ein zentrales Anliegen des Gesetzgebers. So ist im Gesetzgebungsverfahren die in der Stellungnahme des Bundesrats kritisierte Regelung des sogenannten „Negativattests“ in § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO mit dem Argument verteidigt worden, dass mit ihrer Streichung „eine wichtige Regelung entfiele, die dazu dienen soll, mit höchst möglicher Gewissheit und in der Revision überprüfbar das Geschehen in der Hauptverhandlung zu dokumentieren und auszuschließen, dass ‚stillschweigend‘ und ohne Beachtung der gesetzlichen Förmlichkeiten eine Verständigung stattgefunden hat“ (Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, BTDrucks 16/12310, S. 22). Schließlich findet sich in dem Anliegen, eine „vollumfängliche“ Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht zu gewährleisten, eine Bestätigung des abschließenden Charakters des gesetzlichen Regelungskonzepts. Diese Kontrolle soll nämlich gerade „einen unterstützenden Beitrag dazu leisten, dass Verständigungen in erster Instanz wirklich so ablaufen, wie es den Vorgaben des Gesetzgebers entspricht“ (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 9). 

In Anbetracht der strikten Bindung jeglicher Ausübung hoheitlicher Gewalt an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) bedurfte die Absicht des Gesetzgebers, nur solche Verständigungen zuzulassen, die sich innerhalb des vom Gesetz gezogenen Rahmens bewegen, keiner weiteren ausdrücklichen Hervorhebung. 

bb) Aus dem gesetzlichen Regelungskonzept zum Inhalt, zum Zustandekommen und zu den Folgen einer Verständigung folgt unter anderem, dass ein wirksamer Rechtsmittelverzicht auch dann ausgeschlossen ist, wenn sich die Beteiligten unter Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften verständigt haben (vgl. dazu bereits BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. März 2012 - 2 BvR 1464/11 -, juris, Rn. 21 ff.; ebenso etwa Jahn/Müller, NJW 2009, S. 2625 <2630>; Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <393>). Eine solche Verständigung unterliegt zudem der Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO. Sollte in letzterem Fall ein Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO erteilt werden, wäre dieses falsch und könnte den Tatbestand der Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) erfüllen. 

cc) Ebenso wenig können etwaige Zusagen der Staatsanwaltschaft, andere bei ihr anhängige Ermittlungsverfahren - etwa nach § 154 Abs. 1 StPO - einzustellen, eine Bindungswirkung oder ein schutzwürdiges Vertrauen auslösen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13; anders noch zur Rechtslage vor dem Verständigungsgesetz BGHSt 37, 10 <13 f.>). Aus dem Wortlaut von § 257c Abs. 1 und 2 StPO folgt, dass sich Verständigungen ausschließlich auf das „zugrundeliegende Erkenntnisverfahren“ beziehen dürfen, also sogenannte „Gesamtlösungen“ unter Einbeziehung anderer Verfahren und nicht in der Kompetenz des Gerichts liegende Zusagen unzulässig sind (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2010 - 2 StR 354/10 -, wistra 2011, S. 28; siehe auch Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 34; Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <387>). Nur dieses Verständnis entspricht dem Ziel des Gesetzgebers, Verständigungen transparent und kontrollierbar zu machen. Bei Einbeziehung anderer, nicht den Gegenstand der Hauptverhandlung bildender Verfahren ist insoweit eine wirksame Kontrolle der Verständigung - insbesondere durch die Öffentlichkeit - nicht gewährleistet. 

d) Einen Schwerpunkt des Regelungskonzeptes des Verständigungsgesetzes bildet die Gewährleistung der vom Gesetzgeber ausdrücklich als „erforderlich“ bewerteten Transparenz und Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens als Voraussetzung einer effektiven Kontrolle durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f.). Zur Erreichung dieses Ziels hat der Gesetzgeber spezifische, das Regelungskonzept prägende Schutzmechanismen vorgesehen. 

aa) In der Konzeption des Gesetzgebers kommt der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung eine zentrale Bedeutung zu. Mit dem Gebot, die mit einer Verständigung verbundenen Vorgänge umfassend in die Hauptverhandlung einzubeziehen, gewährleistet der Gesetzgeber nicht nur vollständige Transparenz; er legt zugleich besonderes Gewicht auf die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung und bekräftigt damit, dass auch im Fall der Verständigung der Inbegriff der Hauptverhandlung die Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung bleibt (§ 261 StPO). 
(1) (a) Dem Gesetzgeber kam es maßgeblich darauf an, die Transparenz der strafgerichtlichen Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung gerade im Falle einer Verständigung zu bewahren; die Verständigung müsse sich „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbaren“ (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 8, 12). Dementsprechend hat das Verständigungsgesetz umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten mit Bezug auf die Hauptverhandlung statuiert. Sie zielen darauf, nicht nur die Verständigung selbst, also den formalen Verständigungsakt des § 257c Abs. 3 StPO, sondern darüber hinausgehend auch die zu einer Verständigung führenden Vorgespräche in die Hauptverhandlung einzuführen. Zwar ist nach der Begründung des Regierungsentwurfs die „Vorbereitung“ einer Verständigung auch außerhalb der Hauptverhandlung möglich. Gegenstand einer Erörterung im Vorfeld der Hauptverhandlung kann es danach auch sein, Möglichkeit und Umstände einer Verständigung zu besprechen (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 9, 12). Für alle Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung verlangt § 243 Abs. 4 StPO eine Mitteilung deren „wesentlichen Inhalts“. Diese Mitteilung ist gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO zu protokollieren. Demgegenüber sind hinsichtlich der Verständigung selbst gemäß § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO der wesentliche Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis wiederzugeben. Die Protokollierungspflicht hinsichtlich der Verständigung geht also über die Protokollierung der nach § 243 Abs. 4 StPO vorgeschriebenen Mitteilung hinaus. Dem liegt zugrunde, dass die Verständigung als solche nach § 257c Abs. 1 StPO nur in der Hauptverhandlung erfolgen kann. Die im Vergleich zur Verständigung selbst reduzierte Pflicht zur Dokumentation der Gespräche zur Vorbereitung einer Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2, § 243 Abs. 4 StPO fügt sich in das vom Gesetzgeber verfolgte Konzept der Stärkung der Transparenz und Dokumentation ein, weil die Verständigung selbst erst in der Hauptverhandlung stattfinden kann und § 273 Abs. 1a Satz 1 StPOdie Dokumentation der wesentlichen Abläufe, des Inhalts und des Ergebnisses dieser Verständigung gebietet. Alle wesentlichen Elemente einer Verständigung, zu denen angesichts des vom Gesetzgeber verfolgten Konzepts auch außerhalb der Hauptverhandlung geführte Vorgespräche zählen, sind zum Gegenstand der Erörterung in der Hauptverhandlung zu machen und unterliegen der Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO

(b) Hinsichtlich des Inhalts möglicher Erörterungen des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten und der dabei bestehenden Transparenz- und Dokumentationspflichten ist zu unterscheiden: 

(aa) Möglich sind Gespräche, die ausschließlich der Organisation sowie der verfahrenstechnischen Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung dienen, etwa die Abstimmung der Verhandlungstermine. Mangels eines Bezugs auf das Verfahrensergebnis sind diese Gespräche dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgelagert und von ihm nicht betroffen. Sie unterliegen deshalb nicht der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO

(bb) In Betracht kommen weiterhin Gespräche, die als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können und über deren wesentlichen Inhalt deshalb nach § 243 Abs. 4 StPO in der Hauptverhandlung zu informieren ist. Die Mitteilungspflicht greift ein, sobald bei im Vorfeld oder neben der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 12) einer Verständigung im Raum stehen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt. Im Zweifel wird in der Hauptverhandlung zu informieren sein. Zum mitzuteilenden Inhalt solcher Erörterungen gehört, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10 -, juris; siehe auch Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 243 Rn. 18a; Altenhain/Haimerl, JZ 2010, S. 327 <336>; Schlothauer/Weider, StV 2009, S. 600 <603>). Fehlt im Hauptverhandlungsprotokoll der nach § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO vorgeschriebene Hinweis auf eine Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO, ergibt sich daraus lediglich, dass eine solche Mitteilung in der Hauptverhandlung unterblieben ist, nicht aber, dass es keine Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung gegeben hat, weil diese Tatsache nicht von der negativen Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) umfasst ist (a.A. ohne nähere Begründung Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 243 Rn. 18a a.E.). 

(cc) Die Verständigung selbst hat zwingend in der Hauptverhandlung stattzufinden, wo die vom Gesetzgeber verlangte Protokollierung nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO und damit eine Voraussetzung vollumfänglicher Kontrolle gewährleistet ist. Zum „wesentlichen Ablauf und Inhalt“ im Sinne dieser Norm gehört nach Sinn und Zweck der Dokumentationspflicht insbesondere, wer die Anregung zu den Gesprächen gab und welchen Inhalt die einzelnen „Diskussionsbeiträge“ aller Verfahrensbeteiligten sowie der Richter hatten, insbesondere von welchem Sachverhalt sie hierbei ausgingen und welche Ergebnisvorstellungen sie äußerten (vgl. Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 71). 

(2) Darüber hinaus folgt aus dem Ziel des Gesetzgebers, die Verständigung in das Licht der öffentlichen Hauptverhandlung zu stellen, dass er der Kontrollfunktion der Öffentlichkeit besondere Bedeutung beigemessen hat. 

Der in § 169 GVG niedergelegte Öffentlichkeitsgrundsatz soll eine Kontrolle der Justiz durch die am Verfahren nicht beteiligte Öffentlichkeit ermöglichen und ist Ausdruck der demokratischen Idee. Die mit der Möglichkeit einer Beobachtung der Hauptverhandlung durch die Allgemeinheit verbundene öffentliche Kontrolle der Justiz, die historisch als unverzichtbares Institut zur Verhinderung obrigkeitlicher Willkür eingeführt wurde (vgl. zum Ganzen Wickern, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, Vor § 169 GVG Rn. 2 ff. m.w.N.), erhält als demokratisches Gebot durch die gesetzliche Zulassung der in eine vertrauliche Atmosphäre drängenden Verständigungen zusätzliches Gewicht. Dem hat der Gesetzgeber durch die Mitteilungspflicht in § 243 Abs. 4 StPO Rechnung getragen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 12). 
Die Öffentlichkeit kann ihre Kontrollfunktion nur ausüben, wenn sie die Informationen erhält, die zur Beurteilung der Angemessenheit einer etwaigen Verständigung erforderlich sind. Nur so bleibt der gerichtliche Entscheidungsprozess transparent und die Rechtsprechung auch in Verständigungsfällen für die Allgemeinheit durchschaubar. Dies ist notwendig, damit das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit des Staates, mittels einer wirksamen Strafverfolgung öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten (vgl. zu dieser Aufgabe des Öffentlichkeitsgrundsatzes Wickern, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, Vor § 169 GVG Rn. 2 ff.) und Gerechtigkeit im Einzelfall sowie eine gleichmäßige Behandlung aller zu garantieren, uneingeschränkt aufrechterhalten werden kann. 

(3) Die Einbeziehung des zu einer Verständigung führenden Geschehens in die öffentliche Hauptverhandlung hat auch die Aufgabe, deren Funktion als alleinige Grundlage richterlicher Überzeugungsbildung zu wahren. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll diese Funktion der öffentlichen Hauptverhandlung unberührt bleiben. In den Materialien wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Überzeugung des Gerichts von dem festzustellenden Sachverhalt stets erforderlich bleibt und eine Verständigung als solche niemals die Grundlage eines Urteils bilden kann (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 8, 13). Das Gericht bildet sich seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (vgl. § 261 StPO). Dieser Grundsatz ist nicht zuletzt im Hinblick auf die während der Hauptverhandlung das Richteramt in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die Berufsrichter ausübenden Schöffen (§§ 30, 77 Abs. 1 GVG) von Bedeutung. Da aus § 257c Abs. 4 StPO folgt, dass der Gesetzgeber der Verständigung eine - wenn auch nur eingeschränkte - Bindungswirkung für das Gericht beigemessen hat, musste er zugleich gewährleisten, dass die Schöffen in das zu einer Verständigung führende Geschehen, soweit es in der Hauptverhandlung stattfindet, unmittelbar eingebunden und im Übrigen nach § 243 Abs. 4 StPO umfassend über dieses unterrichtet sind. Anderenfalls wäre ihnen eine verantwortbare Entscheidung über die Verständigung - insbesondere die damit verbundene Zusage einer Strafobergrenze und Ankündigung einer Strafuntergrenze - und über den Inhalt des nach einer Verständigung oder nach dem Scheitern von Verständigungsbemühungen ergehenden Urteils nicht möglich. Dementsprechend ermöglicht § 257c StPO es ausschließlich „dem Gericht“ - nicht nur dem Vorsitzenden oder nur den Berufsrichtern -, eine Verständigung mit den Verfahrensbeteiligten herbeizuführen. Damit ist es ausgeschlossen, dass ohne eine Beteiligung der Schöffen Strafgrenzen mit der Bindungswirkung des § 257c Abs. 4 StPO in Aussicht gestellt werden. 

bb) Mit dem Erfordernis ihrer Zustimmung zu einer Verständigung weist der Gesetzgeber der Staatsanwaltschaft eine aktive Rolle bei der Verwirklichung seines Ziels zu, eine wirksame Kontrolle von Verständigungen zu gewährleisten. 

Ihr ist die Aufgabe zugewiesen, an der Sicherung der Gesetzmäßigkeit des Verfahrensablaufs und -ergebnisses mitzuwirken. Mit ihrer Verpflichtung zur Objektivität (§ 160 Abs. 2 StPO) ist sie Garantin für Rechtsstaatlichkeit und gesetzmäßige Verfahrensabläufe; als Vertreterin der Anklage gewährleistet sie eine effektive Strafrechtspflege (vgl. Kühne, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2006, Einl. J Rn. 42). Diese Bedeutung der Staatsanwaltschaft ist nicht auf die erstinstanzliche Hauptverhandlung beschränkt, sondern setzt sich in ihrer Aufgabenstellung im Rechtsmittelverfahren fort (vgl. § 296 Abs. 2, § 301 StPO). Ihren Niederschlag hat diese Stellung der Staatsanwaltschaft in den Bestimmungen der Nr. 127 Abs. 1 Satz 1 und Nr. 147 Abs. 1 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) gefunden. 

In der Verständigungssituation kommt der Kontrolle durch die Staatsanwaltschaft herausgehobene Bedeutung zu, weil sich Angeklagter und Gericht hinsichtlich des möglichen Verfahrensergebnisses einer - wenngleich eingeschränkten - Bindung unterwerfen. Die Einbindung der Staatsanwaltschaft in die Verständigung hat damit vor allem den Zweck, deren Gesetzmäßigkeit zu sichern (vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11 -, juris, Rn. 23 f.; BGH, Beschluss vom 12. Juli 2011 - 1 StR 274/11 -, StV 2011, S. 645 f.; BGH, Urteil vom 9. November 2011 - 1 StR 302/11 -, juris, Rn. 45). Dem Verständigungsgesetz liegt die Erwartung zugrunde, dass die Staatsanwaltschaft - entsprechend ihrer Rolle als „Wächter des Gesetzes“ (vgl. hierzu Promemoria der Staats- und Justiz-Minister von Savigny und Uhden über die Einführung der Staats-Anwaltschaft im Kriminal-Prozesse vom 23. März 1846, abgedruckt bei Otto, Die Preußische Staatsanwaltschaft, 1899, S. 40 ff.) - sich gesetzwidrigen Vorgehensweisen im Zusammenhang mit Verständigungen verweigert. Weisungsgebundenheit und Berichtspflichten ermöglichen es, einheitliche Standards für die Erteilung der Zustimmung zu Verständigungen sowie für die Ausübung der Rechtsmittelbefugnis aufzustellen und durchzusetzen. Die Staatsanwaltschaft ist nicht nur gehalten, ihre Zustimmung zu einer gesetzwidrigen Verständigung zu versagen. Sie hat darüber hinaus gegen Urteile, die - beispielsweise von der Staatsanwaltschaft zunächst unerkannt - auf solchen Verständigungen beruhen, Rechtsmittel einzulegen. In Anbetracht der hohen Bedeutung, die der Gesetzgeber der Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess auch in Verständigungsfällen beigemessen hat, werden Verstöße gegen die Vorgaben des Verständigungsgesetzes in der Regel von wesentlicher Bedeutung (vgl. auch Nr. 147 Abs. 1 Satz 1 RiStBV) und deshalb durch die Staatsanwaltschaft einer revisionsgerichtlichen Kontrolle zuzuführen sein. Auch kann es angezeigt sein, dass sich die Generalstaatsanwaltschaften dieser Aufgabe in besonderer Weise annehmen. 

cc) Schließlich verfolgen die in dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgesehenen Schutzmechanismen das Ziel, eine wirksame „vollumfängliche“ Kontrolle verständigungsbasierter Urteile durch das Rechtsmittelgericht zu ermöglichen. 

(1) Diese Kontrolle soll dazu beitragen, dass „Verständigungen in erster Instanz wirklich so ablaufen, wie es den Vorgaben des Gesetzgebers entspricht“ (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 9). Hiernach verzichtete der Gesetzgeber darauf, nach vorangegangener Verständigung Rechtsmittel auszuschließen oder einzuschränken, um die Verständigung in einer insbesondere mit dem Gebot schuldangemessenen Strafens und der daraus folgenden Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit in Einklang stehenden Weise in das geltende Strafverfahren integrieren zu können (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1 f., 8 f.; siehe auch Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrats, BTDrucks 16/4197, S. 12). Mit dieser Zielsetzung grenzt sich das Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes ausdrücklich von dem vom Bundesrat vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Absprachen im Strafverfahren (BTDrucks 16/4197) ab, der die Rechtsmittelmöglichkeiten gegen ein verständigungsbasiertes Urteil durch einen Ausschluss der Berufung sowie eine Beschränkung der Revision auf im Zusammenhang mit der Verständigung stehende Verfahrensfehler und die Revisionsgründe des § 338 StPO wesentlich einschränken wollte (vgl. Gesetzentwurf und Begründung des Bundesrats, BTDrucks 16/4197, S. 5 f., 7, 11 sowie die Stellungnahme der Bundesregierung, BTDrucks 16/4197, S. 12). Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Möglichkeit eines Rechtsmittelverzichts nach gesonderter qualifizierter Belehrung hat der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages verworfen, um sicherzustellen, dass sich die Berechtigten in Ruhe und ohne Druck überlegen können, ob sie Rechtsmittel einlegen wollen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 6, 15 sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks 16/13095, S. 7, 10). In bewusster Abkehr von den Entwürfen schränkt das Verständigungsgesetz die Rechtsmittelmöglichkeiten gegen verständigungsbasierte Urteile nicht ein, sondern schließt - über die dem Regelungskonzept weitgehend zugrundeliegende Entscheidung des Großen Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGHSt 50, 40 ff.) hinausgehend - einen Rechtsmittelverzicht nach einer Verständigung generell aus (§ 302 Abs. 1 Satz 2 StPO) und sichert die Ermöglichung einer Rechtsmittelkontrolle durch das Erfordernis einer qualifizierten Belehrung noch zusätzlich ab. 

(2) Die Wirksamkeit der Kontrolle soll durch umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten sichergestellt werden. Diese Schutzmechanismen können nicht als bloße Ordnungsvorschriften verstanden werden. Die Gewährleistung einer „vollumfänglichen“ Kontrolle verständigungsbasierter Urteile setzt umfassende Transparenz des Verständigungsgeschehens in der öffentlichen Hauptverhandlung sowie eine vollständige Dokumentation im Verhandlungsprotokoll voraus. Dementsprechend kommt im Wortlaut der Normen, in der Systematik des Regelungskonzepts und in den Materialien unmissverständlich zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber eine Verständigung nur bei Wahrung der Transparenz- und Dokumentationspflichten für zulässig hält. Das gesetzliche Regelungskonzept ist damit als eine untrennbare Einheit aus Zulassung und inhaltlicher Beschränkung von Verständigungen bei gleichzeitiger Einhegung durch die Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten zu begreifen. Dabei dienen die Verfahrensnormen in gleicher Weise wie die den zulässigen Inhalt von Verständigungen beschränkenden Vorschriften und der Verweis des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO auf § 244 Abs. 2 StPO dem Ziel, die mit einer urteilsbezogenen Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten verbundenen Risiken für die Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess zu minimieren. Die Vorschriften zur Transparenz des Verständigungsgeschehens in der öffentlichen Hauptverhandlung, zu dessen Dokumentation und zur Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle auch durch das Rechtsmittelgericht zählen zum Kern des gesetzlichen Regelungskonzepts. 

(3) Ein Verstoß gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten führt deshalb grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer gleichwohl getroffenen Verständigung. Hält sich das Gericht an eine solche gesetzwidrige Verständigung, wird ein Beruhen des Urteils auf diesem Gesetzesverstoß regelmäßig schon deshalb nicht auszuschließen sein, weil die Verständigung, auf der das Urteil beruht, ihrerseits mit einem Gesetzesverstoß behaftet ist. Diese Auslegung entspricht der Funktion dieser Vorschriften im Konzept des Verständigungsgesetzes. Dass Verstöße gegen die verfahrensrechtlichen Sicherungen der Verständigung nicht den absoluten Revisionsgründen zugeordnet worden sind, steht einer Auslegung des § 337 Abs. 1 StPO nicht entgegen, derzufolge das Revisionsgericht ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten - die nach dem Willen des Gesetzgebers gerade zum Kern des dem Verständigungsgesetz zugrunde liegenden Schutzkonzepts gehören - nur in besonderen Ausnahmefällen wird ausschließen können (vgl. zur Verletzung von § 258 Abs. 2 und 3 StPOBGHSt 21, 288<290>; 22, 278 <280 f.>). 

(4) Kommt eine Verständigung nicht zustande und fehlt es an der gebotenen Negativmitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10 -, wistra 2011, S. 72 f. = StV 2011, S. 72 f.) oder dem vorgeschriebenen Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, wird nach Sinn und Zweck des gesetzlichen Schutzkonzepts ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 257c StPO grundsätzlich ebenfalls nicht auszuschließen sein (str., im Ergebnis wie hier Kirsch, StraFo 2010, S. 96 <100>; Schlothauer, StV 2011, S. 205 <206>; in der Tendenz auch Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <390>; anders BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2010 - 1 StR 400/10 -, NStZ 2011, S. 592 <593> zu § 243 Abs. 4 StPO), sofern nicht ausnahmsweise zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011 - 32 Ss 87/11 -, juris, Rn. 11, 13). Bei einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten wird sich nämlich in den meisten Fällen nicht sicher ausschließen lassen, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige „informelle“ Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht.

e) Aus der in § 257c Abs. 4 StPO getroffenen Regelung ergibt sich zwar einerseits, dass das Gericht (nur) an eine nach den Vorgaben des Gesetzes entsprechende Verständigung grundsätzlich gebunden ist. Andererseits stellt die Regelung zugleich klar, dass die Bindungswirkung entfällt, wenn das Gericht nach Zustandekommen der Verständigung zu der Überzeugung gelangt, dass der nach § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht (mehr) tat- und schuldangemessen ist. Die Bestimmung des § 257c Abs. 4 StPO ist somit Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, die richterliche Überzeugungsbildung unangetastet zu lassen. Mit dem Verwertungsverbot des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO ist dort zudem eine dem Schutz des Angeklagten dienende Vorschrift enthalten, der im Vertrauen auf den Bestand einer Verständigung ein Geständnis abgegeben und damit von seinem Recht, sich nicht zur Sache einzulassen, keinen Gebrauch gemacht und der Verurteilung eine Grundlage verschafft hat. Mit dem Ziel, dem Angeklagten überhaupt eine autonome Entscheidung über das für ihn mit einer Mitwirkung an einer Verständigung verbundene Risiko zu ermöglichen, sieht schließlich § 257c Abs. 5 StPO vor, dass der Angeklagte vor der Verständigung über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis zu belehren ist. Hiermit wollte der Gesetzgeber die Fairness des Verständigungsverfahrens sichern und - wie sein Hinweis auf das Ziel der Ermöglichung einer autonomen Einschätzung (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 15) bestätigt - zugleich die Autonomie des Angeklagten im weiten Umfang schützen. Der Angeklagte sieht sich durch die Aussicht, mit der Verständigung eine das Gericht bindende Zusage einer Strafobergrenze zu erreichen und so Einfluss auf den Verfahrensausgang zu nehmen, einer besonderen Anreiz- und Verlockungssituation ausgesetzt. Der hiermit einhergehenden Gefährdung der Selbstbelastungsfreiheit soll unter anderem durch die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO Rechnung getragen werden. Bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht wird daher im Rahmen der revisionsgerichtlichen Prüfung regelmäßig davon auszugehen sein, dass das Geständnis und damit auch das Urteil auf dem Unterlassen der Belehrung beruht. Ein Beruhen wird nur dann verneint werden können, wenn sich feststellen lässt, dass der Angeklagte das Geständnis auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte (vgl. zu dem in seiner Bedeutung für die Selbstbelastungsfreiheit ähnlich gelagerten Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPOBGHSt 38, 214<226 f.>). Nur so ist gewährleistet, dass die Schutzfunktion der Belehrungspflicht ihre vorgesehene Wirkung entfaltet. 

2. Das Verständigungsgesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dieses schließt Verständigungen im Strafprozess nicht schlechthin aus (a). Der Gesetzgeber hat ausreichende Vorkehrungen getroffen, um zu gewährleisten, dass sich Verständigungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Strafverfahren halten (b).

a) Verständigungen im Strafprozess berühren die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Strafverfahren (aa), der Gesetzgeber ist aber nicht gehindert, Verständigungen mit den zur Sicherung der Verfassungsmäßigkeit gebotenen Vorkehrungen zuzulassen (bb). 
aa) Der Strafprozess hat das Schuldprinzip zu verwirklichen und darf sich von dem ihm vorgegebenen Ziel der bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit und der Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch ein unabhängiges und neutrales Gericht nicht entfernen. Das Fehlen eines nicht an den sachlichen Verfahrenszielen orientierten eigenen Interesses des Gerichts am Verfahrensausgang bildet im Zusammenwirken mit seiner Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) die Grundlage für die bestmögliche Ermittlung des wahren Sachverhaltes und die richtige Anwendung des materiellen Rechts auf den festgestellten Sachverhalt. Dabei trägt das Gebot einer schuldangemessenen Bestrafung auch im Einzelfall dem Verlangen nach Rechtsgleichheit als einem der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate Rechnung. Das Maß der verwirklichten Schuld legitimiert die Differenzierung in den Rechtsfolgen und sichert so zugleich die gebotene Gleichbehandlung der Beschuldigten im Strafverfahren. 
(1) Das verfassungsrechtliche Schuldprinzip steht nicht zur Disposition des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 123, 267 <413>). Dies schließt es nicht aus, den Strafverfolgungsbehörden Möglichkeiten zu einem Absehen von der Strafverfolgung zu eröffnen, namentlich in Fällen geringfügiger Kriminalität, in denen der Rechtsfrieden nicht ernsthaft beeinträchtigt und eine Kriminalstrafe zum Schuldausgleich nicht zwingend geboten ist, so dass ein öffentliches Interesse an einem Schuldspruch nicht besteht oder durch die Erfüllung von Auflagen oder/und Weisungen beseitigt werden kann. Solche Ausnahmen dürfen die Geltungskraft des Schuldprinzips nicht in Frage stellen und bedürfen stets einer gesetzlichen Regelung, wie sie der Gesetzgeber etwa in den §§ 153 ff. StPO getroffen hat. Als Ausnahmen von der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs sind sie fest zu umgrenzen und bedürfen jeweils einer eigenständigen Legitimation (vgl. zu Beschränkungen der Sachverhaltsaufklärung BVerfGE 33, 367 <382 f.>; 46, 214 <222 f.>; 49, 24 <54>; 51, 324 <344>; 129, 208 <260>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2000 - 1 BvR 77/96 -, NStZ 2001, S. 43 <44>). 

(2) Als unerlässliche Voraussetzung der Verwirklichung des Schuldprinzips unterliegt auch die Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit nicht der Disposition des Gesetzgebers. Sie ist das bestimmende Ziel, von dem sich der Strafprozess nicht entfernen darf. Allerdings ist es Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln er die Verwirklichung des Schuldprinzips gewährleistet. Es ist dem Gesetzgeber auch nicht versagt, unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze für Fälle einfach gelagerter und eindeutiger Sachverhalte - etwa bei einer sich mit den Ermittlungsergebnissen deckenden geständigen Einlassung schon im Ermittlungsverfahren oder bei einem auf frischer Tat angetroffenen Beschuldigten - ein vereinfachtes Verfahren zur Gewinnung der richterlichen Überzeugung von Schuld oder Unschuld des Angeschuldigten und der hieraus zu ziehenden Folgen ohne das Erfordernis einer öffentlichen Hauptverhandlung mit ihrer formalisierten Beweisaufnahme einzurichten, wie es die Strafprozessordnung mit dem Strafbefehlsverfahren gemäß § 407 Abs. 1 und 2 StPO vorsieht (vgl. dazu Gössel, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2009, Vor § 407 Rn. 25 f. m.w.N.). Ermöglichen es die in der Akte befindlichen Unterlagen und Beweismittel dem Richter, sich die Überzeugung von der Richtigkeit des dem Angeschuldigten zur Last gelegten Sachverhalts zu bilden, ist eine öffentliche Hauptverhandlung zur Gewinnung einer tragfähigen Grundlage für die Schuldfeststellung, die rechtliche Beurteilung und die Strafzumessung von Verfassungs wegen nicht zwingend geboten, sofern es der Angeschuldigte in der Hand hat, durch einfache Erklärung die Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung zu erzwingen (vgl. BVerfGE 25, 158 <164 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Februar 1995 - 2 BvR 1950/94 -, NJW 1995, S. 2545 <2546> und vom 4. Juli 2002 - 2 BvR 2168/00 -, NJW 2002, S. 3534 m.w.N.). 
(3) Das im Grundgesetz verankerte Schuldprinzip und die mit ihm verbundene Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit sowie der Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, die Unschuldsvermutung und die Neutralitätspflicht des Gerichts schließen es jedoch aus, die Handhabung der Wahrheitserforschung, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafzumessung in der Hauptverhandlung, die letztlich mit einem Urteil zur Schuldfrage abschließen soll, zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Dem Gericht muss es untersagt bleiben, im Wege vertragsähnlicher Vereinbarungen mit den Verfahrensbeteiligten über die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit zu verfügen und sich von dem Gebot schuldangemessenen Strafens zu lösen. Es ist Gericht und Staatsanwaltschaft untersagt, sich auf einen „Vergleich“ im Gewande des Urteils, auf einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ einzulassen (vgl. schon BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 <2663>) und mit dem Angeklagten einen bestimmten Schuldspruch oder auch nur eine konkrete Strafe zu vereinbaren. Der Rechtsanwendungspraxis ist es untersagt, das vom Gesetzgeber normierte Strafverfahren in einer Weise zu gestalten, die auf solche vertragsähnliche Erledigungsformen hinausläuft. 

Demgegenüber steht das Grundgesetz unverbindlichen Erörterungen der Beurteilung der Sach- und Rechtslage zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten nicht entgegen. Eine offene, kommunikative Verhandlungsführung kann der Verfahrensförderung dienlich sein und ist daher heute selbstverständliche Anforderung an eine sachgerechte Prozessleitung. So begegnen etwa Rechtsgespräche und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Solche Formen der kommunikativen Verhandlungsführung stellen insbesondere nicht die Unvoreingenommenheit des Gerichts in Frage, solange sie transparent bleiben und kein Verfahrensbeteiligter hiervon ausgeschlossen ist. 

bb) Verständigungen zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Hauptverhandlung, die dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine Strafobergrenze zusagen und eine Strafuntergrenze ankündigen, tragen das Risiko in sich, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in vollem Umfang beachtet werden. Gleichwohl ist es dem Gesetzgeber in Anbetracht seiner Gestaltungsmacht von Verfassungs wegen nicht schlechthin verwehrt, zur Verfahrensvereinfachung Verständigungen zuzulassen. Er muss jedoch zugleich durch hinreichende Vorkehrungen sicherstellen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen gewahrt bleiben. Die Wirksamkeit der vorgesehenen Schutzmechanismen hat der Gesetzgeber fortwährend zu überprüfen. Ergibt sich, dass sie unvollständig oder ungeeignet sind, hat er insoweit nachzubessern und erforderlichenfalls seine Entscheidung für die Zulässigkeit strafprozessualer Absprachen zu revidieren (vgl. BVerfGE 110, 141 <158> m.w.N.). 

b) Das Verständigungsgesetz sichert die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in ausreichender Weise. 

aa) Nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO dürfen Gegenstand einer Verständigung nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrunde liegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO schließt den Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung als Gegenstand einer Verständigung aus. Das Verständigungsgesetz entbindet das Gericht auch nicht von der Beachtung der Strafzumessungsregeln, wenn es in § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO das Gericht ermächtigt, bei der Bekanntgabe des möglichen Inhalts einer Verständigung unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe anzugeben. Damit sind nicht nur, wie vom Schuldgrundsatz gefordert, Verständigungen über den Schuldspruch wirksam ausgeschlossen, sondern es ist auch sichergestellt, dass die aus dem Gebot schuldangemessenen Strafens folgenden Grundsätze der Strafzumessung nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten stehen. Dem Gericht ist es nicht gestattet, im Wege der Verständigung seine Wertungen an die Stelle derjenigen des Strafgesetzgebers zu setzen. Dabei ist zu beachten, dass eine maßgebliche Bedeutung insoweit den gesetzlichen Strafrahmen zukommt, die mit ihren nach Straftat und Strafhöhe gestaffelten Sanktionen die Abstufung der verschiedenen Straftaten nach ihrem Unrechtsgehalt erst zum Ausdruck bringen (vgl. BVerfGE 27, 18 <29>). Tatbestand und Rechtsfolge sind wechselseitig aufeinander bezogen und müssen - gemessen an der Idee der Gerechtigkeit - sachgerecht aufeinander abgestimmt sein. Einerseits richtet sich die Strafhöhe nach dem normativ festgelegten Wert des verletzten Rechtsgutes und der Schuld des Täters. Andererseits lässt sich das Gewicht einer Straftat, der ihr in der verbindlichen Wertung des Gesetzgebers beigemessene Unwertgehalt, in aller Regel erst aus der Höhe der angedrohten Strafe entnehmen. Insofern ist auch die Strafandrohung für die Charakterisierung, Bewertung und Auslegung des Straftatbestandes von entscheidender Bedeutung (BVerfGE 25, 269 <286>; 27, 18 <29>). Erst von einer differenzierenden Bewertung des Unwertgehaltes der verschiedenen Straftaten her wird die Abstufung der strafrechtlichen Sanktionen verständlich und sachlich gerechtfertigt (BVerfGE 27, 18 <29>). Innerhalb eines Deliktstypus kommt die differenzierende Bewertung des Unwertgehaltes vor allem durch Qualifikations- und Privilegierungstatbestände zum Ausdruck. Aber auch die Sonderstrafrahmen für besonders schwere und minder schwere Fälle nehmen an dieser Abstufung teil, auch wenn es sich hierbei nach überwiegender Auffassung um Strafzumessungsregeln handelt (Nachweise siehe oben unter B. II. 1. b) bb)). Diese Regelungstechnik ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt (vgl. BVerfGK 14, 177 <182>). Wenn er jedoch mit der Einführung solcher Sonderstrafrahmen zum Ausdruck gebracht hat, eine Differenzierung schon bei der Strafandrohung für erforderlich zu halten, ist diese Bewertung für die Rechtsanwendung bindend. 

bb) Das Verständigungsgesetz wahrt den Schuldgrundsatz auch insoweit, als eine Verfahrensverkürzung um den Preis der Erforschung der materiellen Wahrheit ausgeschlossen ist. Wie dargestellt, enthebt die Möglichkeit einer Verständigung das Gericht nicht von der Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen. Ein Geständnis darf nicht zur „Handelsware“ werden und kann als Grundlage der Zusage einer Strafobergrenze nur akzeptiert werden, wenn es - aus sich heraus oder aufgrund der Beantwortung von Fragen - überprüfbar ist. Das im Zusammenhang mit der Zusage einer Strafobergrenze abgegebene Geständnis in der - die Grundlage der richterlichen Überzeugung über Schuld oder Unschuld und die daran zu knüpfenden Folgen bildenden - Hauptverhandlung ist auf seine Richtigkeit zu überprüfen, denn eine solche Zusage kann den Angeklagten zur Abgabe eines (teilweise) falschen Geständnisses veranlassen. 

cc) Mit den Bestimmungen zum Entfallen der Bindung des Gerichts an eine Verständigung (§ 257c Abs. 4 StPO) hat der Gesetzgeber ferner die aus dem Schuldprinzip, der Pflicht des Gerichts zur Erforschung der materiellen Wahrheit und seiner Neutralitätspflicht sowie der Unschuldsvermutung zu ziehenden Konsequenzen für die Grenzen der richterlichen Selbstbindung an gegebene Zusagen konkretisiert. Es ist gewährleistet, dass die der Verständigung beigemessene Bindung entfällt, wenn sich im Laufe der Hauptverhandlung der in Aussicht gestellte eingegrenzte Strafrahmen als nicht (mehr) tat- oder schuldangemessen erweist. 

dd) Der insbesondere im Grundsatz der Verfahrensfairness verankerten Forderung, dass der Angeklagte autonom darüber entscheiden kann, ob er den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit aufgibt, sich auf eine Verständigung einlässt und mit einem Geständnis sich seines Schweigerechts begibt, genügt das Verständigungsgesetz ebenfalls. Das Strafverfahrensrecht trägt dem Anliegen, die Entscheidungsfreiheit des Angeklagten zu wahren, bereits generell in allen Verfahrensstadien Rechnung. So haben Belehrungspflichten sowie die Freiheit von Willensentschließung und Willensbetätigung in den allgemeinen Vorschriften der §§ 136, 136a StPO und - beispielsweise - für das Ermittlungsverfahren in § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO sowie für die Hauptverhandlung in § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO ihren Niederschlag gefunden. Wenn diese Sicherungen schon bei der Entscheidungsfindung über allgemeines Aussageverhalten greifen, so haben sie eine umso größere Bedeutung, wenn es um die Frage eines Schuldeingeständnisses geht, vor allem in der für eine Verständigung typischen Anreiz- und Verlockungssituation (vgl. oben B. II. 1. e)). Vor diesem Hintergrund kommt der in § 257c Abs. 5 StPOvorgesehenen Belehrung über die Reichweite der Bindungswirkung und die Folgen eines Scheiterns der Verständigung besondere Bedeutung zu, der auch revisionsrechtlich Rechnung zu tragen ist. 

Von ebenso hohem Gewicht ist, dass der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit es dem Gericht verbietet, dem Angeklagten eine geständnisbedingte Strafmilderung in Aussicht zu stellen, mit der es den Boden schuldangemessenen Strafens verließe. Der Angeklagte darf infolgedessen nicht durch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Vorteilsversprechen, aber auch nicht durch Täuschung oder Drohung zu einem Geständnis gedrängt werden. Letzteres hat in § 136a StPO bereits seinen Ausdruck gefunden (vgl. BVerfG, Vorprüfungsausschuss, Beschluss vom 19. Oktober 1983 - 2 BvR 859/83 -, NStZ 1984, S. 82; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 <2663>). Erst recht greift dieses Schutzgebot zugunsten eines Angeklagten, mit dessen Geständnis in der Hauptverhandlung der Ausgang des Verfahrens steht oder fällt. 
ee) Das Verständigungsgesetz trifft umfangreiche Vorkehrungen dahin, dass das maßgebliche Verständigungsgeschehen in die Hauptverhandlung einbezogen und dokumentiert wird, und gibt mit der in § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO vorgesehenen Abhängigkeit der Verständigung von der Zustimmung der Staatsanwaltschaft dieser ein Mittel zur Wahrung rechtsstaatlicher Standards in die Hand, zu der die effektiv zu handhabende Überprüfung durch Rechtsmittel hinzutritt (vgl. oben B. II. 1. d)). Der Gesetzgeber begegnet damit der mit der Möglichkeit der Verfahrensverkürzung durch eine Verständigung einhergehenden Gefahr einer Motivationsverschiebung bei dem erkennenden Gericht und trägt dem mit der Zusage einer wesentlichen Strafmilderung für den Fall eines Geständnisses verbundenen Anreiz für den Angeklagten Rechnung, ein (teilweise) falsches Geständnis abzulegen. Zugleich wirkt er dem Risiko entgegen, dass sich ein möglicher Interessengleichlauf von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung zum Nachteil des Angeklagten auswirkt. Die verfahrensrechtlichen Sicherungen lassen jedenfalls in ihrem Zusammenwirken erwarten, dass die mit Verständigungen verbundenen rechtsstaatlichen Risiken beherrscht werden. Dabei kann unentschieden bleiben, ob bestimmte Vorkehrungen von Verfassungs wegen unverzichtbar sind, solange ein ausreichendes Gewährleistungsniveau verwirklicht wird. 

ff) Schließlich hat der Gesetzgeber eindeutig entschieden, dass auf das Strafurteil bezogene „informelle“ Absprachen unzulässig sind. Ausweislich des § 257c Abs. 1 StPO sind Verständigungen über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens nur nach Maßgabe der folgenden Absätze zulässig. Intransparente, unkontrollierbare „Deals“ sind im Strafprozess wegen der mit ihnen verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Prinzips des fairen Verfahrens bereits von Verfassungs wegen untersagt, und der Gesetzgeber hat derartige Vorgehensweisen in unmissverständlicher Weise verworfen. 

3. Der in erheblichem Maße defizitäre Vollzug des Verständigungsgesetzes führt derzeit nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung. 

a) Die repräsentative empirische Erhebung von Prof. Dr. Altenhain, die Anhörung der Auskunftspersonen in der mündlichen Verhandlung, aber auch die schriftlichen Stellungnahmen zu den Verfassungsbeschwerden und die vorliegende obergerichtliche Rechtsprechung zeigen zwar, dass Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verteidigung in einer hohen Zahl von Fällen die gesetzlichen Vorgaben missachten und die Rechtsmittelgerichte der ihnen zugewiesenen Aufgabe der Kontrolle der Verständigungspraxis nicht immer in genügendem Maße nachgekommen sind. Aus diesem empirischen Befund kann jedoch derzeit noch nicht auf ein in der Norm selbst angelegtes und daher zu deren Verfassungswidrigkeit führendes Versagen der zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Vorgaben normierten Schutzmechanismen geschlossen werden. 

b) Eine gesetzliche Regelung, gegen die in der Rechtsanwendungspraxis in verfassungswidriger Weise verstoßen wird, verletzt nur dann auch selbst das Grundgesetz, wenn die verfassungswidrige Praxis auf die Vorschrift selbst zurückzuführen, mithin Ausdruck eines strukturbedingt zu dieser Praxis führenden normativen Regelungsdefizits ist. Ein solches Defizit kann im vorliegenden Zusammenhang nicht schon darin gesehen werden, dass der Gesetzgeber urteilsbezogene Verständigungen, welche sich durch ihre Grundstruktur für die Verwirklichung des Schuldprinzips als gefährlich erweisen, überhaupt gestattet hat. Dies ließe unberücksichtigt, dass er ihre Zulassung an umfangreiche flankierende Schutzmechanismen gekoppelt hat, die die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess sicherstellen sollen (vgl. auch BVerfGE 81, 123 <129 f.>; 83, 24 <31>; 118, 212 <231 f.>). Verfassungswidrig wäre das gesetzliche Regelungskonzept nur, wenn die vorgesehenen Schutzmechanismen in einer Weise lückenhaft oder sonst unzureichend wären, die eine gegen das Grundgesetz verstoßende „informelle“ Absprachepraxis fördert, das Vollzugsdefizit also durch die Struktur der Norm determiniert wäre. 

c) Ein strukturelles Regelungsdefizit kann gegenwärtig nicht festgestellt werden. Die Gründe für den erheblichen, keineswegs auf Einzelfälle beschränkten Vollzugsmangel sind vielschichtig und finden sich nach gegenwärtiger Erkenntnis nicht in einer Schutzlücke der gesetzlichen Regelung. Die gesetzliche Regelung traf auf Rahmenbedingungen, die von immer komplexer werdenden Lebenssachverhalten, einer stetigen Ausweitung des materiellen Strafrechts sowie immer differenzierteren Anforderungen an den Ablauf des Strafverfahrens geprägt sind, und hatte die schwierige Aufgabe, eine zuvor über drei Jahrzehnte in der Praxis entstandene und dort längst verfestigte Entwicklung in geordnete Bahnen zu lenken. Im Vergleich zu der lang andauernden und - wie auch die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zeigt - immer weiter um sich greifenden Praxis jedenfalls gesetzlich nicht geregelter Absprachen ist der Zeitraum der bisherigen Geltungsdauer der gesetzlichen Schutzmechanismen noch sehr kurz, was dafür spricht, dass die Durchsetzung der strikt umgrenzten und stark formalisierten Verständigungsform entsprechend dem gesetzlichen Regelungskonzept noch nicht abgeschlossen ist und insbesondere die hohe Bedeutung der Schutzmechanismen von der Praxis noch nicht vollständig verinnerlicht wurde. Hierfür spricht auch, dass in der Literatur Stellungnahmen anzutreffen sind, die dahin verstanden werden können, dass die gesetzliche Regelung nicht abschließend sei und die Schutzmechanismen insbesondere des § 273 Abs. 1a und des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht für „informelle“ Vorgehensweisen außerhalb der Vorgaben des § 257c StPO gälten (vgl. etwa Peglau, jurisPR-StrafR 4/2012 Anm. 1; Niemöller, StV 2012, S. 387 <388 f.>; ders., in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 273 Rn. 16, § 302 Rn. 5; Bittmann, wistra 2009, S. 414 <416>; Kirsch, StraFo 2010, S. 96 <101>). Hinzu kommt die nicht selten anzutreffende Bewertung gerade der Schutzmechanismen als „praxisuntauglich“, welche die Sicherung der verfassungsrechtlichen Vorgaben als zentrale Aufgabenstellung des Strafverfahrensrechts übergeht. Dies verkennt, dass im Rechtsstaat des Grundgesetzes das Recht die Praxis bestimmt und nicht die Praxis das Recht. 
d) Weder das Ergebnis der empirischen Erhebung noch die in den Verfassungsbeschwerdeverfahren abgegebenen Stellungnahmen zwingen zu der Annahme, dass es strukturelle Mängel des gesetzlichen Regelungskonzepts sind, die zu dem bisherigen Vollzugsdefizit geführt haben könnten. Als Hauptgrund für die Nichtbeachtung der gesetzlichen Regelungen wird in der empirischen Untersuchung vielmehr eine „fehlende Praxistauglichkeit“ der Vorschriften genannt. Dabei werden als praxisuntauglich oftmals die Begrenzung des zulässigen Inhalts von Verständigungen, die Transparenz- und Dokumentationspflichten - hier vor allem das Negativattest des § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO - sowie das Verbot eines Rechtsmittelverzichts angeführt, also gerade diejenigen Vorschriften, die die Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben gewährleisten sollen. So gaben viele Verteidiger in der Befragung an, die gesetzliche Regelung widerspreche dem „Wesen des Deals“; dieser sei informell. Auch dies spricht für ein bisher nur unzureichend ausgeprägtes Bewusstsein, dass es Verständigungen ohne die Einhaltung der Anforderungen des Verständigungsgesetzes nicht geben darf. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung stützen daher nicht die Annahme eines im gesetzlichen Regelungskonzept verankerten strukturellen Defizits, sondern sprechen für interessengeleitete Missverständnisse und Bestrebungen, die gesetzliche Regelung wegen ihrer - als unpraktisch empfundenen - Schutzmechanismen zu umgehen. 

4. Auch wenn derzeit aus dem defizitären Vollzug des Verständigungsgesetzes nicht auf eine Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung geschlossen werden kann, muss der Gesetzgeber die weitere Entwicklung sorgfältig im Auge behalten. Sollte sich die gerichtliche Praxis weiterhin in erheblichem Umfang über die gesetzlichen Regelungen hinwegsetzen und sollten die materiellen und prozeduralen Vorkehrungen des Verständigungsgesetzes nicht ausreichen, um das festgestellte Vollzugsdefizit zu beseitigen und dadurch die an eine Verständigung im Strafverfahren zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen, muss der Gesetzgeber der Fehlentwicklung durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken (vgl. zu Beobachtungs- und Nachbesserungspflichten des Gesetzgebers BVerfGE 25, 1 <12 f.>; 49, 89 <130>; 95, 267 <314>; 110, 141 <158, 166>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. November 2009 - 1 BvR 213/08 -, GRUR 2010, S. 332 <334>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Januar 2011 - 1 BvR 3222/09 -, NJW 2011, S. 1578 <1582>). Unterbliebe dies, träte ein verfassungswidriger Zustand ein. 

5. Das Normgefüge des Verständigungsgesetzes gestattet nach der hier zugrunde gelegten Auslegung des einfachen Rechts keine Verfahrensweise im Strafprozess, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben widerspräche. Die durch das Verständigungsgesetz eingeführten Vorschriften sind deshalb weder für unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären noch besteht Anlass, sie im Wege einer verfassungskonformen Auslegung einzugrenzen. Damit ist der Anwendungsbereich von § 79 BVerfGGnicht eröffnet. 

III.  

Die mit den Verfassungsbeschwerden angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen sind mit den Vorgaben des Grundgesetzes für eine Verständigung im Strafprozess nicht zu vereinbaren. 

1. Die von den Beschwerdeführern zu I. und II. angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts München II und des Bundesgerichtshofs verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und verstoßen gegen die Selbstbelastungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Im Anschluss an die in beiden Fällen unterbliebene Belehrung der Angeklagten über die Voraussetzungen und Folgen des Wegfalls der Bindung an eine Verständigung (§ 257c Abs. 5 StPO) hat der Bundesgerichtshof im Rahmen der Prüfung, ob die Urteile des Landgerichts München II auf dem Gesetzesverstoß beruhen, die grundlegende Bedeutung der Belehrungspflicht nach § 257c Abs. 5 StPOfür die Fairness des Verfahrens und die Selbstbelastungsfreiheit verkannt. 

a) Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist. Die Belehrungspflicht verliert nicht deshalb an Bedeutung oder wird gar obsolet, weil eine Lösung des Gerichts von der Verständigung nach § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO das infolge der Verständigung abgegebene Geständnis unverwertbar macht. Denn die Belehrung hat sicherzustellen, dass der Angeklagte vor dem Eingehen einer Verständigung, deren Bestandteil das Geständnis ist, vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung an der Verständigung informiert ist (vgl. auch Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 16/12310, S. 15). Nur so ist gewährleistet, dass er autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verweigern, (weiterhin) Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt. 

Zwar muss der Angeklagte unabhängig von der Möglichkeit einer Verständigung darüber befinden, ob und gegebenenfalls wie er sich zur Sache einlässt. Mit der Aussicht auf eine Verständigung wird jedoch eine verfahrensrechtliche Situation geschaffen, in der es dem Angeklagten in die Hand gegeben wird, durch sein Verhalten spezifischen Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses zu nehmen. Anders als in einer nach der herkömmlichen Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung kann er nämlich mit einem Geständnis die das Gericht grundsätzlich bindende Zusage einer Strafobergrenze und damit Sicherheit über den Ausgang des Verfahrens erreichen. Damit ist aus der Perspektive des Angeklagten das Festhalten an der Freiheit von Selbstbelastung nur noch um den Preis der Aufgabe der Gelegenheit zu einer das Gericht bindenden Verständigung und damit einer (vermeintlich) sicheren Strafobergrenze zu erlangen. Die Erwartung der Bindung des Gerichts bildet dementsprechend Anlass und Grundlage der Entscheidung des Angeklagten über sein prozessuales Mitwirken; damit entsteht eine wesentlich stärkere Anreiz- und Verführungssituation als es - mangels Erwartung einer festen Strafobergrenze - etwa in der Situation von § 136 Abs. 1 oder § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO der Fall ist. Der Angeklagte muss deshalb wissen, dass die Bindung keine absolute ist, sondern unter bestimmten Voraussetzungen - die er ebenfalls kennen muss - entfällt. Nur so ist es ihm möglich, Tragweite und Risiken der Mitwirkung an einer Verständigung autonom einzuschätzen. Die in § 257c Abs. 5 StPO verankerte Belehrungspflicht ist aus diesem Grund keine bloße Ordnungsvorschrift, sondern eine zentrale rechtsstaatliche Sicherung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und der Selbstbelastungsfreiheit. 

b) Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs verkennen diese besondere Funktion des § 257c Abs. 5 StPO. Eine Verständigung ohne vorherige Belehrung nach dieser Vorschrift verletzt den Angeklagten grundsätzlich in seinem Recht auf ein faires Verfahren und in seiner Selbstbelastungsfreiheit. Bleibt die unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht zustande gekommene Verständigung bestehen und fließt das auf der Verständigung basierende Geständnis in das Urteil ein, beruht dieses auf der mit dem Verstoß einhergehenden Grundrechtsverletzung, es sei denn eine Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis kann ausgeschlossen werden, weil der Angeklagte dieses auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte. Hierzu müssen vom Revisionsgericht konkrete Feststellungen getroffen werden. Soweit der Bundesgerichtshof in beiden Fällen damit argumentiert, dass ein Entfallen der Bindung des Gerichts an die Verständigung nach § 257c Abs. 4 StPO nicht eingetreten sei, führt dies im Hinblick auf die Frage, ob die Urteile gerade wegen der Verwertung des nach einem Belehrungsmangel abgegebenen Geständnisses auf einer Verletzung der Autonomie des Angeklagten beruhen, nicht weiter. Wenn der Bundesgerichtshof im Fall der Beschwerdeführer zu II. ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO darüber hinaus mit der Erwägung verneint, konkrete, fallbezogene Gründe, die für die auch nur entfernte Möglichkeit sprächen, dass sich der aufgezeigte Verfahrensmangel auf das Prozessverhalten der Angeklagten ausgewirkt haben könnte, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, verkennt er die grundlegende Bedeutung des § 257c Abs. 5 StPO für den Grundsatz des fairen Verfahrens und die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten. Es ist nicht auszuschließen, dass der Bundesgerichtshof bei Anwendung des oben genannten Maßstabs in beiden Fällen zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Aus diesem Grund sind die angegriffenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs aufzuheben und die Sachen an diesen zurückzuverweisen. 

2. Die von dem Beschwerdeführer zu III. angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts Berlin und des Bundesgerichtshofs verletzen den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG

a) Das Urteil des Landgerichts Berlin verstößt schon deshalb gegen den verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz und die darin verankerte Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit, weil das Landgericht ein unter weitgehender Weigerung, Fragen zu beantworten, abgegebenes inhaltsleeres Formalgeständnis als Grundlage einer Verurteilung akzeptiert hat, ohne es - abgesehen von einer, dann auch beantworteten Frage zum Mitführen und Ladezustand der Dienstwaffen - durch eine weitere, auf eigenständige Spezifizierung seitens des Angeklagten zielende Beweiserhebung in der Hauptverhandlung zu überprüfen. Ein Geständnis, das sich in einer Bezugnahme auf die Anklage erschöpft, ist als Grundlage einer Verständigung bereits deshalb ungeeignet, weil es keine Grundlage für eine Überprüfung seiner Glaubhaftigkeit (§ 257c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO) bietet. Darüber hinaus beruht das angegriffene Urteil auf einer Verständigung, die infolge der Kopplung eines Geständnisses „im Sinne der Anklage“ an den Verzicht auf die Stellung von Beweisanträgen „zur Schuldfrage“ unzulässig über den Schuldspruch disponiert und zudem eine Strafrahmenverschiebung zum Gegenstand hat. Deshalb stellt sich das Urteil als ein vom Grundgesetz untersagter „Handel mit der Gerechtigkeit“ dar. 
Hinzu kommt, dass dieser „Handel mit der Gerechtigkeit“ auf einer verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbaren Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit des Beschwerdeführers beruht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob für den Fall einer Verurteilung ohne vorherige Verständigung für jede der beiden angeklagten schweren Raubtaten eine Mindeststrafe von drei Jahren in Aussicht gestellt wurde - so die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden der Strafkammer im Revisionsverfahren - oder ob eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren im Raum stand, wie der Beschwerdeführer vorträgt. Entscheidend ist die vor dem Gebot schuldangemessenen Strafens nicht zu rechtfertigende Spannweite zwischen der zugesagten Strafobergrenze für den Fall einer Verständigung auf der einen Seite und der für den Fall einer Verurteilung in einer nach herkömmlicher Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung im Raum stehenden Straferwartung auf der anderen Seite. Die Frage, wann die Grenze zu einer verfassungswidrigen Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit überschritten ist, entzieht sich zwar einer exakten mathematischen Berechnung. Im vorliegenden Fall ist diese Grenze jedoch deutlich überschritten, nachdem eine schon für sich gesehen übermäßige Differenz zwischen den beiden Strafgrenzen noch zusätzlich mit der Zusage einer Strafaussetzung zur Bewährung verbunden wurde, die überhaupt nur aufgrund der ebenfalls zugesagten Strafrahmenverschiebung zu einem minder schweren Fall (§ 250 Abs. 3 StGB) möglich war. 

b) Das Urteil des Landgerichts Berlin ist aus diesen Gründen aufzuheben; gleiches gilt für den Beschluss des Bundesgerichtshofs, mit dem die Grundrechtsverletzung perpetuiert worden ist. Die Sache ist an das Landgericht Berlin zurückzuverweisen. 

C. 

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG.
 

Tenor

Die einstweilige Anordnung vom 21. Juni 2012 wird für die Dauer von sechs Monaten, längstens jedoch bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, wiederholt.

A. 

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen ihre strafgerichtliche Verurteilung im Anschluss an eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten. Mittelbar richten sich die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. zudem gegen die Vorschrift des § 257c StPO, die durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl I S. 2353) - im Folgenden: Verständigungsgesetz - in die Strafprozessordnung eingefügt wurde und seither die rechtliche Grundlage für die Verständigung bildet. 

I. 

1. Die Praxis urteilsbezogener Verständigungen hat sich - feststellbar jedenfalls seit den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts - als Instrument zur Bewältigung von Strafverfahren herausgebildet, ohne dass es dafür eine ausdrückliche Rechtsgrundlage gegeben hätte. Es handelt sich hierbei um Absprachen zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft sowie der Verteidigung und dem Angeklagten, nach denen das Gericht dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine bestimmte Strafe oder jedenfalls eine Strafobergrenze zusagt. Solche Verständigungen wurden häufig außerhalb der Hauptverhandlung getroffen. Bei Abgabe des Geständnisses wurde sodann in der Regel auf eine weitere Beweisaufnahme verzichtet, so dass die Verständigung zu einer wesentlichen Verfahrensabkürzung führte. In den meisten Fällen wurde gegen ein Urteil, das auf einer solchen Verständigung beruhte, kein Rechtsmittel eingelegt, oftmals wurde sogar ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet (vgl. zur Entwicklung der Verständigungspraxis Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, Einl. Rn. 119 ff.). 

2. Eine wesentliche Ursache für die hohe praktische Bedeutung von Verständigungen wird in der stetig wachsenden Arbeitsbelastung der Strafjustiz gesehen, die bereits an die Grenze der Überlastung heranreiche (vgl. eingehend Krey/Windgätter, in: Festschrift für Hans Achenbach, 2011, S. 233 ff.). Neben der zunehmenden Komplexität der Fallgestaltungen infolge des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts sowie der Globalisierung, die auch in neuen Formen grenzüberschreitender Kriminalität in Erscheinung tritt, trägt der Bundesgesetzgeber durch eine immer stärkere strafrechtliche Durchdringung vieler Lebensbereiche zu dieser Entwicklung bei. Die Regelungsdichte des materiellen Strafrechts ist in den vergangenen Jahrzehnten beständig gestiegen; dies gilt besonders für das Wirtschafts- und das Nebenstrafrecht (vgl. etwa Braun, AnwBl 2000, S. 222 <225>; Theile, MSchrKrim 2010, S. 147 <149 f.>; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 249). Gleichzeitig bringt die zunehmende Differenzierung und Komplizierung des Strafprozessrechts immer höhere Anforderungen mit sich. So ist etwa die Rechtsprechung zu den Beweisverwertungsverboten für die tatrichterliche Praxis mittlerweile kaum noch überschaubar (vgl. Gössel, in: Festschrift für Reinhard Böttcher, 2007, S. 79 <80>; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 242 ff.). Zudem bieten extensiv einsetzbare Verfahrensrechte der Verteidigung zahlreiche Möglichkeiten, den Fortgang des Verfahrens zu erschweren; vor allem Ablehnungsgesuche und Beweisanträge sowie das Fragerecht können zu diesem Zweck missbraucht werden (vgl. Gössel, a.a.O., S. 81; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 238 ff.). Unterdessen sehen sich die Tatgerichte durch das Beschleunigungsgebot in Haftsachen einem immer stärkeren Druck ausgesetzt, die Verfahrensdauer trotz aller prozessualen Schwierigkeiten zu verkürzen. Dass die Bewertung richterlicher Arbeit und die Festsetzung der Arbeitspensen nicht unwesentlich nach quantitativen Gesichtspunkten erfolgt, schafft zusätzliche Anreize für eine möglichst rasche Verfahrenserledigung auch unter Inkaufnahme inhaltlicher Defizite. Der steigenden Belastung der Strafjustiz haben die Länder nicht durch eine entsprechende personelle und sachliche Ausstattung Rechnung getragen; vielmehr ist auch die Justiz immer wieder von Sparmaßnahmen betroffen (vgl. Krey/Windgätter, a.a.O., S. 235). 
 
3. Das Bundesverfassungsgericht prüfte 1987 in einer Kammerentscheidung (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 f.) die Zulässigkeit von Verständigungen im Strafprozess unter den Gesichtspunkten eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und des Schuldprinzips. Diese Grundsätze verböten nicht, außerhalb der Hauptverhandlung eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Verhandlung herbeizuführen, der schon das Strafrecht Grenzen setze. Sie schlössen es aber aus, die Handhabung der richterlichen Aufklärungspflicht, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafzumessung in einer Hauptverhandlung, die letztlich mit einem Urteil zur Schuldfrage abschließen solle, ins Belieben oder zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Dem Gericht und der Staatsanwaltschaft sei es deshalb untersagt, sich auf einen „Vergleich“ im Gewande des Urteils, auf einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ einzulassen. Das Gericht dürfe sich also beispielsweise nicht mit einem Geständnis des Angeklagten begnügen, das dieser gegen die Zusage oder das In-Aussicht-Stellen einer Strafmilderung abgelegt habe, obwohl es sich beim gegebenen Verfahrensstand mit Blick auf das Ziel der Wahrheitserforschung und der schuldangemessenen, gerechten Ahndung der Tat zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Das Gericht müsse es sich auch versagen, den Angeklagten auf eine in Betracht kommende geständnisbedingte Strafmilderung hinzuweisen, mit der es den Boden schuldangemessenen Strafens verließe. Darüber hinaus sei die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung des Angeklagten vor beachtenswerter Beeinträchtigung geschützt, was seinen Ausdruck auch in der Bestimmung des § 136a StPO finde. Der Angeklagte dürfe infolgedessen nicht durch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Vorteilsversprechen oder durch Täuschung zu einem Geständnis gedrängt werden. Das schließe jedoch eine Belehrung oder einen konkreten Hinweis auf die Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses nicht aus, wenn dies im Stand der Hauptverhandlung eine sachliche Grundlage finde. Nach diesen Maßstäben gelangte die Kammer im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass die Verständigung bei der im damaligen Ausgangsverfahren gegebenen besonderen Sachverhaltsgestaltung - der anwaltlich verteidigte Angeklagte hatte von sich aus eine Verständigung angeregt, als die Beweisaufnahme bereits vor ihrem Abschluss stand - keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. 

4. Nachdem der Bundesgerichtshof gegenüber Verständigungen (in dessen früherer Terminologie: „Absprachen“) außerhalb der Hauptverhandlung anfänglich eine ablehnende Haltung eingenommen hatte (vgl. etwa BGHSt 37, 298 <304 f.>; BGH, Beschlüsse vom 19. Oktober 1993 - 1 StR 662/93 -, NJW 1994, S. 1293 f., und vom 25. Oktober 1995 - 2 StR 529/95 -, wistra 1996, S. 68; BGHSt 42, 46 <48>), wurden Verständigungen innerhalb der Hauptverhandlung zunächst durch den 4. Strafsenat und sodann durch den Großen Senat für Strafsachen grundsätzlich gebilligt. 

a) In seiner Leitentscheidung vom 28. August 1997 (BGHSt 43, 195 ff.) erklärte der 4. Strafsenat - trotz ausdrücklicher Anerkennung der Vergleichsfeindlichkeit des Strafverfahrens und des Verbots einer Disposition über den staatlichen Strafanspruch - in der Hauptverhandlung getroffene Verständigungen für grundsätzlich zulässig und sprach zudem aus, dass sie - sofern nach den von ihm aufgestellten Vorgaben zustande gekommen - für das Gericht verbindlich seien. Unter folgenden Voraussetzungen könne eine Verständigung getroffen werden: Der Schuldspruch dürfe nicht Gegenstand der Verständigung sein. Ein verständigungsbasiertes Geständnis müsse auf seine Glaubhaftigkeit überprüft werden; sich hierzu aufdrängende Beweiserhebungen dürften nicht unterbleiben. Die freie Willensentschließung des Angeklagten müsse gewahrt bleiben; insbesondere dürfe er nicht durch Drohung mit einer höheren Strafe oder durch Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils zu einem Geständnis gedrängt werden. Die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts sei unzulässig. Die Verständigung selbst müsse in öffentlicher Hauptverhandlung erfolgen; Vorgespräche außerhalb der Hauptverhandlung seien aber möglich. In die Verständigung seien alle Verfahrensbeteiligten einzubeziehen. Das Ergebnis der Verständigung sei im Protokoll niederzulegen. Eine bestimmte Strafe dürfe das Gericht nicht zusagen; unbedenklich sei aber die Zusage einer Strafobergrenze. Von dieser dürfe nur abgewichen werden, wenn sich neue schwerwiegende Umstände zu Lasten des Angeklagten ergäben; auf eine beabsichtigte Abweichung sei in der Hauptverhandlung hinzuweisen. Der Strafausspruch dürfe den Boden schuldangemessenen Strafens nicht verlassen. 
 
b) Der Große Senat für Strafsachen hielt in seinem Beschluss vom 3. März 2005 (BGHSt 50, 40 ff.) an den vom 4. Strafsenat aufgestellten Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Verständigungen fest und präzisierte diese dahingehend, dass die Differenz zwischen der verständigungsgemäßen und der bei einem „streitigen Verfahren“ zu erwartenden Sanktion nicht unangemessen groß sein („Sanktionsschere“) und das Gericht nicht nur wegen neuer Erkenntnisse von seiner Zusage abweichen dürfe, sondern - nach entsprechendem Hinweis - auch dann, wenn schon bei der Verständigung vorhandene relevante tatsächliche oder rechtliche Aspekte übersehen worden seien. Der nach einer Verständigung erklärte Rechtsmittelverzicht sei grundsätzlich unwirksam; die Unwirksamkeit entfalle jedoch, wenn der Rechtsmittelberechtigte darüber belehrt worden sei, dass er ungeachtet der Verständigung in seiner Entscheidung frei sei, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung). Die grundsätzliche Billigung der Verständigung begründete der Große Strafsenat mit der Notwendigkeit, trotz knapper Ressourcen die Funktionstüchtigkeit der Strafjustiz zu gewährleisten, und mit Hinweisen auf den Beschleunigungsgrundsatz, die Prozessökonomie sowie den Zeugen- und Opferschutz. Allerdings sei die Strafprozessordnung in ihrer geltenden Form am Leitbild der materiellen Wahrheit orientiert, die vom Gericht in der Hauptverhandlung von Amts wegen zu ermitteln und der Disposition der Verfahrensbeteiligten weitgehend entzogen sei. Die Praxis der Verständigungen sei daher kaum ohne Bruch in das gegenwärtige System einzupassen. Aus diesem Grund appellierte der Große Senat für Strafsachen an den Gesetzgeber, die Zulässigkeit und, bejahendenfalls, die wesentlichen rechtlichen Voraussetzungen und Begrenzungen von Verständigungen im Strafprozess gesetzlich zu regeln. 

5. Dieser Forderung nach einer gesetzlichen Regelung hat der Gesetzgeber mit dem Verständigungsgesetz Rechnung getragen. Das darin enthaltene Regelungskonzept geht ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 8) in seinem Grundansatz davon aus, dass für die Verständigung im Strafverfahren keine neue - dem deutschen Strafprozess bislang unbekannte - Form einer konsensualen Verfahrenserledigung eingeführt werden sollte, die die Rolle des Gerichts, insbesondere seine Verpflichtung zur Ermittlung der materiellen Wahrheit, zurückdrängen würde. Die Grundsätze des Strafverfahrens sollten vielmehr weiterhin Geltung behalten, namentlich, dass eine Verständigung unter Beachtung aller maßgeblichen Verfahrensregeln einschließlich der Überzeugung des Gerichts vom festgestellten Sachverhalt und der Glaubhaftigkeit eines Geständnisses stattfinden müsse, die Grundsätze des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs, nicht zuletzt auch die Transparenz der Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung gewahrt sein müssten, und dass insbesondere der Boden schuldangemessenen Strafens nicht verlassen werden dürfe. 

Die zentrale Bestimmung des gesetzgeberischen Regelungskonzepts in § 257c StPO hat folgenden Wortlaut:

§ 257c
(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. 
(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein. 
(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen. 
(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen. 

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren. 

Die Vorschrift erlaubt dem Gericht ausdrücklich eine Verständigung über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens nach den darin genannten Maßgaben; sie stellt außerdem klar, dass die Pflicht des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) unberührt bleibt. Hierdurch soll in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs die Beachtung der rechtsstaatlichen Anforderungen an das Strafverfahren gewährleistet und insbesondere die Schuldangemessenheit der Strafe sichergestellt werden (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 9). 

Außerdem wurden Vorschriften eingeführt, die es der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren sowie dem Gericht vor und nach Eröffnung des Hauptverfahrens sowie in der Hauptverhandlung ausdrücklich erlauben, „den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten zu erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern“ (§§ 160b, 202a, 212, 257b StPO). Der wesentliche Inhalt einer solchen Erörterung ist jeweils aktenkundig zu machen; der Inhalt einer in der Hauptverhandlung durchgeführten Erörterung ist in das Protokoll aufzunehmen (§ 273 Abs. 1 Satz 2 StPO). 

§ 160b
Die Staatsanwaltschaft kann den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist aktenkundig zu machen. 

§ 202a
Erwägt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, kann es den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist aktenkundig zu machen. 

§ 212
Nach Eröffnung des Hauptverfahrens gilt § 202a entsprechend. 

§ 257b
Das Gericht kann in der Hauptverhandlung den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. 

§ 273
(1) […] In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden. […] 
Flankiert werden diese Regelungen durch weitere neue Vorschriften, die die Transparenz der Verständigung und die Möglichkeit einer Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht gewährleisten sollen. Nach § 243 Abs. 4 StPO ist in der Hauptverhandlung mitzuteilen, ob - und falls ja mit welchem Inhalt - außerhalb der Hauptverhandlung Erörterungen des Verfahrensstandes zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten stattgefunden haben, in denen die Möglichkeit einer Verständigung nach § 257c StPO thematisiert wurde:

§ 243
[…] (4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben. […] 
Ist dem Urteil eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen, muss dies in den schriftlichen Urteilsgründen angegeben werden (§ 267 Abs. 3 Satz 5, Abs. 4 Satz 2 StPO). 

Die in § 273 StPO enthaltenen Vorschriften über die Protokollierung der Hauptverhandlung wurden wie folgt erweitert:

§ 273
[…] (1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken. […] 
Ist dem Urteil eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen, ist ein Rechtsmittelverzicht ausgeschlossen (§ 302 Abs. 1 Satz 2 StPO). In diesem Fall ist der Angeklagte darüber zu belehren, dass er in jedem Fall frei in seiner Entscheidung ist, ein Rechtsmittel einzulegen (§ 35a Satz 3 StPO). 

6. Das Regelungskonzept des Gesetzgebers ist teils auf Zustimmung (vgl. etwa Jahn/Müller, NJW 2009, S. 2625 ff.) gestoßen, teils aber auch auf scharfe Kritik (vgl. etwa Meyer-Goßner, ZRP 2009, S. 107 ff.; Bittmann, wistra 2009, S. 414 ff.; Fezer, NStZ 2010, S. 177 ff.). Nach verbreiteter Ansicht entsprechen die gesetzlichen Vorschriften über die Verständigung nicht den Bedürfnissen der Praxis. So werden die Protokollierungs- und Belehrungspflichten sowie der generelle Ausschluss eines Rechtsmittelverzichts als Erschwerung der richterlichen Tätigkeit und damit als Rückschritt gegenüber der früheren Rechtslage empfunden; der mit der Verständigung angestrebte Entlastungseffekt werde dadurch jedenfalls teilweise wieder zunichte gemacht (vgl. Polomski, DRiZ 2011, S. 315 f.). Ferner wird die Auffassung vertreten, § 257c StPO regele nur die „förmliche“ Verständigung, weshalb für „informelle“ Absprachen oder „Gentlemen‘s Agreements“ außerhalb der Hauptverhandlung weder die gesetzlichen Protokollierungs- und Belehrungspflichten noch der Ausschluss eines Rechtsmittelverzichts gälten (vgl. Peglau, jurisPR-StrafR 4/2012 Anm. 1; Niemöller, StV 2012, S. 387 <388 f.>; ders., in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 273 Rn. 16, § 302 Rn. 5; Bittmann, a.a.O., S. 416 Fn. 25). 

II. 

1. a) Der Beschwerdeführer zu I. wurde als einer von vier Angeklagten durch das Landgericht München II mit Urteil vom 9. März 2010 wegen gemeinschaftlichen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in 259 tatmehrheitlichen Fällen in Tateinheit mit vier Fällen der Beihilfe zum vorsätzlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Unmittelbar nach Anklageverlesung und Belehrung der Angeklagten war die Hauptverhandlung für ein Rechtsgespräch unterbrochen worden. Anschließend gaben die Verteidiger für ihre Mandanten jeweils eine Erklärung ab, und die Angeklagten erklärten sich zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Der Vorsitzende schlug die Erteilung eines Hinweises vor, wonach das Gericht in voller Besetzung das Verfahren gemäß § 257b StPO mit den Verteidigern und dem Vertreter der Staatsanwaltschaft ausführlich erörtert habe. Unter Berücksichtigung der vorläufigen rechtlichen Bewer- tung, der Vorstrafen und eines angekündigten Geständnisses der Angeklagten rege die Kammer an, dass sich die Verfahrensbeteiligten dahingehend verständigten, dass der Beschwerdeführer zu I. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als sechs Jahren und die drei Mitangeklagten zu Gesamtfreiheitsstrafen von nicht mehr als fünf Jahren und sechs Monaten, zwei Jahren und vier Jahren verurteilt würden. Für den Fall einer Verurteilung in dieser Größenordnung habe die Staatsanwaltschaft angekündigt, ein dort noch anhängiges Ermittlungsverfahren zu einem weiteren Tatkomplex im Wesentlichen nach § 154 Abs. 1 StPOeinzustellen. Eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erfolgte nicht. Die Angeklagten, die Verteidiger und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft erklärten sich mit dem Vorschlag des Gerichts einverstanden. Im Anschluss machten die Angeklagten jeweils Angaben zur Sache, wobei der Beschwerdeführer zu I. auch Fragen beantwortete. Sämtliche polizeilichen Zeugenvernehmungsprotokolle wurden gemäß § 249 Abs. 2, § 251 Abs. 1 Satz 1 StPO im Selbstleseverfahren eingeführt und die entsprechenden Zeugen abgeladen. In der Folge vernahm die Kammer noch mehrere Polizeibeamte und Behördenmitarbeiter als Zeugen. Unterlagen wurden teils in Augenschein genommen oder verlesen, teils im Selbstleseverfahren eingeführt. 

b) Mit seiner Revision beanstandete der Beschwerdeführer zu I. den Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 StPO und erhob die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision mit Beschluss vom 8. Oktober 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. In Bezug auf den Belehrungsfehler verwies der Bundesgerichtshof auf eine frühere Entscheidung (Beschluss vom 17. August 2010 - 4 StR 228/10 -), in der er die Rüge eines Verstoßes gegen § 257c Abs. 5 StPO mit der Erwägung zurückgewiesen hatte, das Urteil beruhe nicht auf dem Fehler, weil die Strafkammer die im Rahmen der Verständigung angekündigte Strafobergrenze eingehalten habe. 

2. a) Die Beschwerdeführer zu II. wurden durch das Landgericht München II mit Urteil vom 27. April 2010 wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betruges in 27 tatmehrheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem gemeinschaftlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren und sechs Monaten (Beschwerdeführer zu II. 1)) und drei Jahren und vier Monaten (Beschwerdeführer zu II. 2)) verurteilt. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Zu Beginn der Hauptverhandlung hatte der Verteidiger des Beschwerdeführers zu II. 2) ein Rechtsgespräch angeregt, für das die Verhandlung unterbrochen wurde. In der Pause führten die Verteidiger, das Gericht und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Verständigungsgespräche. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung stellte das Gericht fest, das Verfahren gemäß § 257b StPO mit allen Verfahrensbeteiligten ausführlich erörtert zu haben. Die Kammer habe darauf hingewiesen, dass nach Aktenlage und vorbehaltlich des Ergebnisses der Hauptverhandlung und der Beweisaufnahme ein Schuldspruch wegen 27 Fällen des Betruges in besonders schwerem Fall jeweils in Tateinheit mit dem vorsätzlichen gemeinschaftlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts in Betracht komme. Unter Berücksichtigung dieser Bewertung sowie eines angekündigten Geständnisses rege die Kammer an, dass sich die Verfahrensbeteiligten dahingehend verständigten, dass der Beschwerdeführer zu II. 1) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren und sechs Monaten verurteilt werde und der Beschwerdeführer zu II. 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren und vier Monaten. Eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erfolgte nicht. Dem Vorschlag stimmten die Beschwerdeführer zu II., ihre Verteidiger und die Staatsanwaltschaft ausdrücklich zu. Auf die Einvernahme von Zeugen - mit Ausnahme des ermittelnden Polizeibeamten - wurde allseits verzichtet. Die Verteidiger gaben Erklärungen zur Sache ab, die sich die Beschwerdeführer zu II. jeweils zu eigen machten. Die Feststellungen im Urteil beruhen ausschließlich auf diesen Erklärungen und auf den Angaben des ermittelnden Polizeibeamten sowie den im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführten Ergebnissen einer von der Polizei in Form von Fragebögen durchgeführten schriftlichen Zeugenbefragung. 

b) Mit ihrer Revision beanstandeten die Beschwerdeführer zu II. den Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 StPO und erhoben die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision mit Beschluss vom 2. November 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. Zu dem Belehrungsmangel führte er aus, dass eine der von § 257c Abs. 4 StPO erfassten Fallgestaltungen, über deren Rechtsfolgen vorab zu belehren sei, nicht vorliege. Die verhängten Strafen überstiegen auch nicht die vom Gericht jeweils zugesicherte Höhe. Konkrete, fallbezogene Gründe, die für die auch nur entfernte Möglichkeit sprächen, dass sich der aufgezeigte Verfahrensmangel auf das Prozessverhalten der Angeklagten ausgewirkt haben könnte, so dass letztlich ein für sie günstigeres Urteil nicht auszuschließen wäre, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. 

3. a) Der Beschwerdeführer zu III. wurde als einer von zwei Angeklagten durch das Landgericht Berlin mit Urteil vom 15. März 2011 wegen zweier Fälle des schweren Raubes und wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Der Vorsitzende hatte die Angeklagten nach Verlesung der Anklageschrift darauf hingewiesen, dass es hinsichtlich der Raubtaten im Wesentlichen drei Möglichkeiten gebe. Die erste sei ein Freispruch, die zweite eine Verurteilung wegen eines oder zweier Fälle des schweren Raubes mit jeweils einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren nach streitiger Beweisaufnahme. In der zweitgenannten Konstellation - so die Urteilsgründe - „verspüre“ die Kammer angesichts dessen, dass es sich um Taten handele, die die Angeklagten als Polizeibeamte im Dienst begangen hätten, „wenig Neigung“ zur Annahme von minder schweren Fällen. Die dritte Möglichkeit schließlich sei hinsichtlich der Konsequenzen ein Mittelweg: Falls die Angeklagten sich zu Geständnissen, die eine Beweisaufnahme überflüssig machen, entschlössen, könne dieser Umstand bei der Gesamtabwägung, ob minder schwere Fälle vorliegen, eine entscheidende Rolle spielen und letztlich den Ausschlag zugunsten der Angeklagten geben. In diesem Fall seien Gesamtfreiheitsstrafen zu erwarten, deren Vollstreckung die Kammer zur Bewährung aussetzen könne. Während einer 85-minütigen Verhandlungspause hatten die Angeklagten Gelegenheit, über den Vorschlag des Gerichts nachzudenken und ihn mit ihren Verteidigern zu beraten. Der Vorsitzende mahnte derweil zur Eile. Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers zu III. warnte ihn sein Verteidiger zudem vor der Möglichkeit einer „Saalverhaftung“, wenn er der vorgeschlagenen Verständigung nicht nähertrete. Nach der Verhandlungspause erklärten die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung zu dem Vorschlag des Gerichts, was entsprechend zu Protokoll genommen wurde. Nach allgemeiner und besonderer Belehrung gemäß § 257c Abs. 4 und 5 StPO legten die Angeklagten Geständnisse in Form einer schlichten Bestätigung des Anklagesatzes ab. Anschließend erklärten die Verteidiger jeweils, dass Fragen zur Sache nicht beantwortet würden. Auf die Vernehmung von Zeugen wurde allseits verzichtet. Nach den Plädoyers und dem letzten Wort der Angeklagten zog sich die Kammer zur Beratung zurück, trat sodann aber noch einmal in die Beweisaufnahme ein, um die Angeklagten zu fragen, ob sie bei den Taten ihre Dienstwaffen bei sich geführt hätten und ob diese geladen gewesen seien, was die Angeklagten bejahten. Die Feststellungen im Urteil beruhen ausschließlich auf den Erklärungen der Angeklagten und entsprechen weitgehend dem Anklagesatz. 

b) Mit seiner Revision machte der Beschwerdeführer zu III. im Wege der Verfahrensrüge Verstöße gegen § 244 Abs. 2 StPO und gegen § 136a StPO geltend und erhob daneben die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 349 Abs. 2 StPOals unbegründet und bemerkte lediglich ergänzend, dass er der Revision jenseits der vom Generalbundesanwalt zutreffend als unzulässig bewerteten Verfahrensrügen eine noch zulässig erhobene Beanstandung der Anwendung von § 257c StPO entnehme. Diese greife in der Sache aber nicht durch. Das Landgericht habe den Angeklagten vor Augen halten dürfen, dass im Verurteilungsfall nur unter der Voraussetzung eines Geständnisses der Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB (minder schwerer Fall) eröffnet sein könne. Eine Drohung mit einer willkürlich bemessenen „Sanktionsschere“ liege deshalb nicht vor. Zu allen darüber hinausgehenden Behauptungen unzulässigen Drucks fehle es schon an ausreichendem Revisionsvortrag. Abgesehen davon sei insoweit ersichtlich nichts erwiesen. 

III. 

1. Die Beschwerdeführer zu I. und zu II. rügen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Selbstbelastungsfreiheit und des fairen Verfahrens sowie dem Schuldprinzip, ferner Verstöße gegen Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG, Art. 19 Abs. 4 sowie Art. 101 Abs. 1 GG durch das Unterlassen der von § 257c Abs. 5 StPO verlangten Belehrung vor Zustandekommen der Verständigung. Hilfsweise rügen sie die Verfassungswidrigkeit des § 257c StPOwegen Verstoßes insbesondere gegen das Schuldprinzip und das Rechtsstaatsgebot. 

a) Die Möglichkeit einer Beeinflussung des Verfahrensausgangs durch eine Verständigung übe mittelbar Druck auf den Angeklagten aus, ein Geständnis abzulegen. Eine freiverantwortliche, auf autonomer Einschätzung des damit verbundenen Risikos beruhende Entscheidung über die Abgabe eines Geständnisses setze voraus, dass der Angeklagte wisse, dass sich das Gericht über § 257c Abs. 4 StPOwieder von der Verständigung lösen könne. Die Gerichte hätten diese Aufgabe, die der Gesetzgeber der Belehrungspflicht zugewiesen habe, übersehen und § 257c Abs. 5 StPO unter Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG zu einer reinen Ordnungsvorschrift entwertet. Käme nämlich - worauf die Revisionsentscheidung hinauslaufe - ein Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO nur bei einer Abweichung des Gerichts von der Verständigung zum Tragen, so bliebe ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht letztlich in allen Fällen ohne Konsequenz, da bei einer Abweichung von der Verständigung das Geständnis schon wegen § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO nicht verwertbar sei. Auch aus tatsächlicher Sicht überzeuge die Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht, da niemand wissen könne, ob bei ordnungsgemäßer Belehrung die Verständigung überhaupt zustande gekommen wäre. 

b) Die Vorschrift des § 257c StPO verstoße gegen das Schuldprinzip und das aus Rechtsstaatsgebot und Gleichheitssatz folgende Legalitätsprinzip, die beide die Ermittlung des wahren Sachverhalts verlangten. Das Bemühen um Gewährleistung einer - trotz der Verständigung - schuldangemessenen Strafe sei mit dem zugleich verfolgten Anliegen einer Verfahrensverkürzung unvereinbar. Dieser innere Widerspruch präge die gesamte Diskussion zu § 257c StPO. Die gesetzliche Regelung sei nicht geeignet, die Realität der Verständigungspraxis zu beeinflussen. Eine wirksame revisionsgerichtliche Kontrolle von Verständigungen sei nicht möglich. Die Verständigung laufe darauf hinaus, der gerichtlichen Entscheidung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zugrundezulegen; dieses sei aber gerade nicht zur Findung der materiellen Wahrheit, sondern lediglich zu einer Verdachtsklärung bestimmt. Die Schöffen, die den Akteninhalt nicht kennten, seien für ihre Überzeugungsbildung auf den Inbegriff der Hauptverhandlung angewiesen. Im Falle eines Scheiterns der Verständigung sei die Neutralität des Richters im weiteren Verlauf des Verfahrens gefährdet. Dass dem unverteidigten Angeklagten faktisch die Möglichkeit einer Verständigung verschlossen bleibe, verstoße gegen den Gleichheitssatz. 

2. Der Beschwerdeführer zu III. rügt eine Verletzung seiner Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren gemäß Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG. Der Bundesgerichtshof habe die Anforderungen an die Zulässigkeit von Verfahrensrügen in der Revision überspannt. Ferner verstoße die vom Landgericht angedrohte „Sanktionsschere“ gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Schließlich habe das Landgericht seine Aufklärungspflicht verletzt, weil es das Geständnis nicht auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft habe. 

IV. 

1. Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, die durch das Verständigungsgesetz eingeführten Vorschriften seien mit dem Grundgesetz vereinbar. Durch die Verständigung werde nicht ermöglicht, dass sich die Verfahrensbeteiligten ohne Ermittlung des wahren Sachverhalts auf ein bestimmtes Ergebnis einigten. § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO stelle vielmehr klar, dass der Amtsermittlungsgrundsatz auch im Falle einer Verständigung unberührt bleibe. Entsprechendes gelte für die Strafzumessung, die sich weiterhin nach § 46 StGB bestimme. Der Angeklagte könne unabhängig vom Vorliegen einer Verständigung frei entscheiden, ob er sich geständig einlassen wolle oder nicht. § 257c StPO lasse daher die Selbstbelastungsfreiheit unberührt. Auch die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege werde durch die gesetzliche Regelung nicht beeinträchtigt. Vielmehr könne eine geständige Einlassung zu einer weniger umfangreichen Beweisaufnahme führen. Auch könnten Verständigungen eine Verbesserung des Opferschutzes bewirken, wenn ein Geständnis die Vernehmung von Opferzeugen in der Hauptverhandlung entbehrlich mache. 

2. Die Bayerische Staatsregierung, die sich zu den Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und zu II. geäußert hat, hält diese für unbegründet. Ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren liege nicht vor. Zum einen habe sich das Gericht an die zugesagten Strafobergrenzen gehalten, zum anderen mache die bloß abstrakte Möglichkeit, dass die Beschwerdeführer bei ordnungsgemäßer Belehrung von der Verständigung insgesamt Abstand genommen hätten, das Verfahren nicht unfair. § 257c StPO verletze weder das Schuldprinzip noch den Legalitätsgrundsatz. Die nunmehr gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, ein Ermittlungs- oder Strafverfahren durch Einräumung von inneren und äußeren Umständen im Rahmen einer Verständigung abzukürzen, werde der Tatsache gerecht, dass dem Angeklagten aufgrund seiner Subjektqualität auch zugetraut werden müsse, Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen. Außerdem lasse § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO die Amtsaufklärungspflicht unberührt. 

3. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat Stellungnahmen der Vorsitzenden des 1., 3., 4. und 5. Strafsenats vorgelegt. 

a) Der Vorsitzende des 1. Strafsenats führt aus, eine frühe Einbeziehung des Angeklagten und seines Verteidigers in die Überlegungen zur Strafzumessung bis hin zu einer Verständigung stärke die Stellung des Angeklagten als Subjekt. An der Bedeutung eines Geständnisses für die Strafzumessung habe sich durch § 257c StPO nichts geändert. Seien die zur Wahrheitsfindung erforderlichen Tatsachen nach Überzeugung des Gerichts durch ein Geständnis umfassend erwiesen, komme einer weiteren Beweisaufnahme keine Bedeutung mehr zu. Sie werde von § 244 Abs. 2 StPO nicht gefordert und sei zur Vermeidung unnötiger Belastung des Angeklagten, der Tatopfer sowie zum effektiven Einsatz der Ressource Recht zu vermeiden. Eine überdurchschnittliche Fehlerquote könne der Senat bei dem Verständigungsverfahren gemäß § 257c StPO nicht konstatieren. Von den im Jahr 2011 beim 1. Strafsenat anhängig gewordenen 650 Revisionsverfahren habe dem Urteil nur in 34 Fällen (ca. 5 %) eine Verständigung zugrunde gelegen. Nur in drei Fällen habe es Anlass zu Kritik gegeben: In zwei Fällen habe eine unzulässige Vereinbarung über den Schuldspruch vorgelegen, im dritten Fall eine unvertretbare Nichtberücksichtigung eines besonders schweren Falles. 

b) Die Vorsitzenden des 3. und 4. Strafsenats verweisen auf Entscheidungen ihrer Senate. Der Vorsitzende des 5. Strafsenats verweist ebenfalls auf Entscheidungen seines Senats und teilt mit, die von seinem Strafsenat bislang entschiedenen Fälle ließen aus seiner Sicht noch keine generelle Beurteilung der Normanwendung durch die Tatgerichte aus der in diesem Bereich ohnehin eingeschränkten Sicht des Revisionsgerichts zu. Der Senat hege bislang keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 257c StPO.
 
4. Der Generalbundesanwalt hält § 257c StPO für grundsätzlich verfassungskonform. Die Norm ersetze nicht die bisherige Struktur des Strafprozesses durch ein adversatorisches Verfahren, sondern füge sich entsprechend dem Willen des Gesetzgebers in das bestehende System ein. Sie verletze weder das Schuldprinzip noch das Recht auf ein faires Verfahren. Die Unschuldsvermutung und die Selbstbelastungsfreiheit blieben ebenso unangetastet wie der Gleichheitssatz. Zwar führe die gesetzliche Zulassung von Verständigungen zu Spannungen mit zahlreichen Verfahrensmaximen des Strafprozesses. In Anbetracht des Gestaltungsermessens des Gesetzgebers folge hieraus aber nicht die Verfassungswidrigkeit der Norm. Erheblich für die Verfassungsmäßigkeit der Verständigung spreche, dass sie besonders geeignet sei, den - in seiner Bedeutung im Verhältnis zum Ideal der Wahrheitsfindung zuletzt deutlich aufgewerteten - Zweck der Herstellung von Rechtsfrieden zu erreichen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Verständigung auch auf einer angemessenen Einbeziehung und Interessenwahrung des Opfers beruhe. Eine Legitimation der Verständigung lasse sich teilweise auch aus dem Prinzip der Disponibilität von Rechten ableiten. Die Rechtsordnung gewähre dem Angeklagten in weitem Umfang die Möglichkeit, auf Verfahrensrechte zu verzichten und die Art seines Verteidigungsverhaltens autonom zu bestimmen. Anführen lasse sich für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Verständigungen ferner, dass diese Erledigungsart auf dem durchweg als modern und zeitgemäß empfundenen Gebot eines offenen und kommunikativen Verhandlungsstils aufbaue. 

Ungeachtet dessen entfalte die gesetzliche Verankerung der Verständigung eine erhebliche Sogwirkung in Richtung auf strukturelle Veränderungen des Strafprozesses. Die Anerkennung und Ausbreitung quasi-vertraglicher Erledigungsformen habe sich in mehreren Stufen mit bislang ungebrochen expansiver Tendenz vollzogen. Rechtsprechung und Gesetzgebung hätten die normative Kraft des Faktischen nur nachholend bestätigen können, wobei gegenläufige, auf eine Kanalisierung der Verständigungspraxis gerichtete Bestrebungen bislang nicht in der Lage gewesen seien, die Dynamik der Entwicklung aufzuhalten. Ein wesentliches Motiv für die gewachsene Zahl von Verständigungen sei die in den vergangenen Jahrzehnten gestiegene Arbeitsbelastung der Justiz, mit der deren sachliche und personelle Ausstattung nicht Schritt gehalten habe. Angesichts dessen beziehe die Verständigung als Gegenmodell zur Durchführung einer aufwendigen streitigen Hauptverhandlung einen wesentlichen Teil ihrer Attraktivität aus der Möglichkeit für alle Beteiligten, das Verfahren drastisch abzukürzen, es möglichst weiterer rechtlicher Kontrolle zu entziehen und so über die Einsparung von Arbeitsaufwand im konkreten Fall die jeweiligen Erledigungsquoten - beim Verteidiger zudem mit positiven ökonomischen Folgen - zu erhöhen. 

Zur Sicherung der Verfassungskonformität sei daher einer weiteren Expansion von Formen der Verständigung im Strafprozess Einhalt zu gebieten. Dieser Erledigungsart könne im strafprozessualen System nach dem Willen des Gesetzgebers nur eine ergänzende Funktion zukommen. Sie dürfe nicht zum Regelfall des Strafverfahrens werden. Um den mit ihr verbundenen mittelbaren Gefährdungen verfassungsrechtlich geschützter Verfahrensprinzipien auf Dauer entgegenzuwirken, bedürften Anwendungsbereich und Voraussetzungen des § 257c StPO in Fortführung bereits vorhandener Ansätze in der fachgerichtlichen Rechtsprechung einer einschränkenden Auslegung. Ferner seien die im Gesetz angelegten Restriktionspotenziale über die bisherige Rechtsanwendung hinaus weiter auszuschöpfen und weitere flankierende Maßnahmen geboten. 

Vor diesem Hintergrund hält der Generalbundesanwalt die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. für unbegründet. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Beruhensprüfung hinsichtlich des Belehrungsmangels sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu III. erachtet der Generalbundesanwalt dagegen auf der Grundlage der von ihm als notwendig erachteten verfassungskonformen Auslegung des § 257c StPOals nicht aussichtslos. Es fehle bereits an der plausiblen Darlegung der Eignung des Falles für eine Verständigung, auf die die Strafkammer vorschnell ausgewichen sei. Zudem habe das Landgericht das erkennbar auf eine reine Bestätigung der Anklage beschränkte Geständnis keiner weiteren Überprüfung unterzogen. Schließlich gehe die Verständigung auf ein verfassungsrechtlich bedenkliches Aufzeigen von Alternativstrafen zurück. 

5. Der Senat hat ferner Stellungnahmen des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins und der Bundesrechtsanwaltskammer eingeholt. 
a) Der Deutsche Richterbund vertritt die Auffassung, das Verständigungsgesetz habe zwar einen erheblichen Gewinn an Rechtssicherheit gebracht; gleichwohl habe sich die gesetzliche Regelung aus Sicht der Praxis nicht uneingeschränkt bewährt. Das Risiko, dass eine Verständigung auch und gerade wegen des erwünschten Beschleunigungseffekts einen Verzicht auf gründliche und umfassende Sachaufklärung zur Folge haben könne, sei unübersehbar. Die Verkürzung der Hauptverhandlung führe außerdem dazu, dass der - in der Praxis in aller Regel von der Polizei erstellte - schriftliche Inhalt der Akten an Bedeutung gewinne. Die Justiz drohe die gebotene Kontrolle über die polizeilichen Ermittlungsergebnisse zu verlieren. Hinzu komme, dass es für alle Verfahrensbeteiligten verführerisch sei, sich die oft notwendige Erfassung, Auswertung und Beurteilung umfangreicher elektronisch gespeicherter Beweismittel durch eine Verständigung zu ersparen unter Inkaufnahme und im Bewusstsein des Umstandes, dadurch nur einen kleinen Teil des Beweisstoffes zur Kenntnis zu nehmen. Nicht von der Hand zu weisen sei die Gefahr, dass gerade bei Verfahren großen Umfangs das zu einem frühen Zeitpunkt aus echter Reue abgegebene Geständnis im Vergleich zu dem im Hinblick auf eine mögliche Verständigung taktisch zurückgehaltenen Geständnis entwertet werde. Damit verbunden sei die bedenkliche Tendenz, „kleine“, häufig unverteidigte Straftäter härter zu bestrafen, während die Justiz in Großverfahren aus Mangel an Mitteln immer nachgiebiger werde. Die in vielen Ländern unzureichende Personalausstattung der Justiz führe in der Kombination mit weiteren ungünstigen Rahmenbedingungen des deutschen Strafprozesses, deren Verbesserung bislang nicht gelungen sei, immer wieder zu Hauptverhandlungen, die der Öffentlichkeit nicht als dem hohen Gerechtigkeitsanspruch der deutschen Justiz entsprechend vermittelt werden könnten. Dadurch leide das Ansehen der Rechtspflege insgesamt. Hinzu komme, dass das Verständigungsverfahren zahlreiche noch offene Probleme aufweise. So würden die Öffentlichkeits- und Protokollierungspflichten teilweise als Belastung empfunden; zugleich würden vielfältige Hinweis- und Fürsorgepflichten des Tatrichters die Handhabung des § 257c StPO erschweren. Auch die umfangreichen Belehrungspflichten des § 257c Abs. 5 StPO hätten sich als wenig praxistauglich erwiesen. Der Ausschluss des Verzichts auf Rechtsmittel stehe im Widerspruch zu der Erwartung der Praxis, mit der ausgehandelten Verständigung eine rasche Rechtskraft des Ergebnisses zu erreichen. Die Verlockung, „es so zu machen wie früher“ und eine unzulässige „informelle“ Absprache außerhalb des § 257c StPO zu treffen, erscheine daher evident. Nicht zu unterschätzen sei zudem die Gefahr, dass sich Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verteidiger dergestalt an Absprachen gewöhnten, dass die Beendigung des Verfahrens auf diese Weise zum Regelfall werde. Die Warnungen vor einem „schleichend eingeläuteten Systemwechsel“ seien ernst zu nehmen. Dem Zeitgeist folgend versuche der Gesetzgeber, unter dem Deckmantel der Förderung eines offenen und kommunikativen Verhandlungsstils Versäumnisse bei der Ausgestaltung und Praktikabilität des formellen und materiellen Rechts zu kompensieren. Der Gesetzgeber sei jedoch verpflichtet, die prozessualen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass die Justiz ihrem gesetzlichen Strafverfolgungsauftrag gerecht werden könne, ohne sich auf Verhandlungen mit dem Angeklagten zulasten der materiellen Wahrheit und der Gerechtigkeit einlassen zu müssen. Um dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot Genüge zu tun und die Handlungsfähigkeit der Justiz zu gewährleisten, kämen etwa eine Neuordnung des Ablehnungsrechts, die Befristung von Beweisanträgen, eine Neufassung des § 265 Abs. 3 StPO, Erleichterungen bei Beweistransfers aus dem Ermittlungsverfahren in die Hauptverhandlung (etwa bei der Einführung von Urkunden) und eine Änderung des § 273 Abs. 3 StPO in Betracht. 

b) Der Deutsche Anwaltverein hält die Anwendung des § 257c StPO durch die Gerichte in den Ausgangsverfahren für verfassungswidrig und die Verfassungsbeschwerden daher für begründet. Insbesondere verstoße die Verletzung der Belehrungspflicht aus § 257c Abs. 5 StPO gegen das Recht auf ein faires Verfahren, da bei fehlender Belehrung die Willensfreiheit des Angeklagten im Zeitpunkt der Entscheidung über den Abschluss der Verständigung nicht gegeben sei. Zudem bestünden an der Verfassungsmäßigkeit des § 257c StPO erhebliche Zweifel. Der Aufklärungsgrundsatz und das Schuldprinzip stünden dem mit § 257c StPO verfolgten Ziel einer Verfahrensverkürzung und -vereinfachung strukturell entgegen. Eine „Bändigung der Verständigung“ sei durch die gesetzliche Regelung nicht geglückt. Dieser Befund werde durch Erfahrungsberichte von Mitgliedern des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins bestätigt. In einem Fall habe etwa der Vorsitzende einer Strafkammer im Gespräch mit dem Verteidiger geäußert, dass das Urteil, das aufgrund der Verständigung zustande kommen sollte, einer revisionsgerichtlichen Überprüfung vermutlich nicht standhalten würde. Dieses Risiko würde er aber eingehen, weil er davon ausgehe, dass sich alle Beteiligten an die Verständigung halten und daher keine Revision eingelegt werde. In einem anderen Fall habe die Kammer für die Abgabe umfassender Geständnisse im Sinne der Anklage eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich in Aussicht gestellt, obwohl sich der Sachverhalt in der Hauptverhandlung anders dargestellt habe. Da für die Angeklagten die Freiheit wichtiger gewesen sei als die Wahrheit, seien entsprechende, die Anklage bestätigende Geständnisse abgegeben worden. Die Gefahr falscher Geständnisse habe durch das Verständigungsgesetz eher zugenommen. Benachteiligt werde der Angeklagte, der schon früh im Ermittlungsverfahren gestanden habe, da er für eine Verständigung nichts mehr anzubieten habe. Die Förmlichkeiten und Beschränkungen des gesetzlich vorgesehenen Verständigungsverfahrens würden in der Praxis überwiegend umgangen. Die Revisionsgerichte ließen die Möglichkeiten zur „Domestizierung“ der Verständigung ungenutzt. 

c) Die Bundesrechtsanwaltskammer hält § 257c StPO für verfassungsgemäß. Die Vorschrift stehe im Spannungsverhältnis zwischen den Verpflichtungen zur Ermittlung des wahren Sachverhalts und zur Bestimmung der schuldangemessenen Strafe als Elementen des Schuldprinzips, dem Grundsatz des fairen Verfahrens und dem Gebot wirksamer Strafrechtspflege. Die gesetzliche Regelung sei ausgerichtet auf einen praktisch konkordanten Ausgleich zwischen diesen Grundsätzen. Sie schaffe im Vergleich zur früheren Rechtslage ein beträchtliches Maß an Rechtssicherheit. Tragende Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens seien nicht verletzt. Dies gelte insbesondere für den Amtsermittlungsgrundsatz, die Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit und das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung. Das generell mit der Verurteilung auf der Grundlage eines Geständnisses verbundene Risiko eines Fehlurteils werde durch die gesetzlichen Verständigungsregelungen nicht signifikant erhöht. Dass der Bundesgerichtshof dazu neige, bei Verstößen gegen die formellen Voraussetzungen einer Verständigung, namentlich die Dokumentations-, Mitteilungs- und Belehrungspflichten, ein Beruhen des Urteils auszuschließen, sei der vom Gesetzgeber angestrebten Transparenz des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens allerdings nicht förderlich. Die Eindämmung „informeller“ Absprachen werde dadurch erschwert. Im Ergebnis sei ein struktureller Mangel des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren derzeit nicht erkennbar. Die Bundesrechtsanwaltskammer hält die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. für unbegründet. Die unterbliebene Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO habe das Verfahren nicht insgesamt unfair gemacht, da das Gericht letztlich von der Verständigung nicht abgewichen sei. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu III. hält die Bundesrechtsanwaltskammer dagegen für begründet. Insbesondere habe das Landgericht seine Aufklärungspflicht verletzt, indem es sich mit einem Formalgeständnis begnügt habe. Zudem sei dem Geständnis ein Aufzeigen von Alternativstrafen vorausgegangen. Dies stelle einen Verstoß gegen das Schuldprinzip dar. 

V. 

Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. Altenhain, Universitätsprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, mit der Durchführung einer repräsentativen empirischen Untersuchung zur Praxis der Verständigung im Strafverfahren beauftragt. Zu diesem Zweck hat der Sachverständige im Zeitraum zwischen dem 17. April und 24. August 2012 insgesamt 190 mit Strafsachen befasste Richterinnen und Richter des Landes Nordrhein-Westfalen befragt, von denen 117 als Strafrichter oder Vorsitzende eines Schöffengerichts und 73 als Vorsitzende einer Strafkammer tätig waren. Als Kontrollgruppe wurden daneben 68 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie 76 Fachanwältinnen und Fachanwälte für Strafrecht befragt. 

Nach Einschätzung der befragten Richter wurden im Kalenderjahr 2011 17,9 % der Strafverfahren an Amtsgerichten und 23 % der Strafverfahren an Landgerichten durch Absprachen erledigt. Auf die Frage, in wieviel Prozent der Fälle nach ihrer Einschätzung in der gerichtlichen Praxis die gesetzlichen Vorschriften zur Verständigung verletzt würde, gaben etwas mehr als die Hälfte der Richter an, dass dies in mehr als der Hälfte aller Verfahren mit Absprachen der Fall sein dürfte. So gaben 58,9 % der befragten Richter an, mehr als die Hälfte ihrer Absprachen „informell“, also ohne Anwendung des § 257c StPOdurchgeführt zu haben, 26,7 % gaben an, immer so vorgegangen zu sein. 33 % der befragten Richter gaben an, außerhalb der Hauptverhandlung Absprachen geführt zu haben, ohne dass dies in der Hauptverhandlung offengelegt wurde, während 41,8 % der Staatsanwälte und 74,7 % der Verteidiger angaben, dies schon erlebt zu haben. Die Offenlegungspflicht wird von einem nicht unbeachtlichen Teil der Richter als überflüssiger Formalismus empfunden. Die Regelung zum sogenannten Negativattest (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO) bleibt in der Praxis oft unbeachtet. 54,4 % der befragten Richter gaben an, eine nicht erfolgte Verständigung für im Protokoll nicht erwähnenswert zu halten. 46,7 % der befragten Richter weisen entgegen § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO nicht in den Urteilsgründen auf eine dem Urteil vorausgegangene Verständigung hin. Sehr häufiger Inhalt von Absprachen ist die Einstellung beziehungsweise Beschränkung des Verfahrens nach §§ 154, 154a StPO; in diesem Zusammenhang wird auch die Einstellung anderer, nicht in die Anklage einbezogener Verfahren im Rahmen sogenannter „Gesamtlösungen“ immer wieder thematisiert. (Im Rahmen einer von G. Schöch durchgeführten anonymisierten empirischen Erhebung zur Absprachepraxis in München sind sogar „Familienlösungen“ bekanntgeworden, bei denen etwa der Mann eine höhere Freiheitsstrafe erhält und im Gegenzug die Frau eine Bewährungsstrafe, um zu Hause die Kinder versorgen zu können, oder die zukünftigen Strafen von Familienangehörigen in anderen Verfahren gleich mit abgesprochen werden [vgl. G. Schöch, Urteilsabsprachen in der Strafrechtspraxis, 2007, S. 147]). Teilweise werden ausweislich der Studie von Prof. Dr. Altenhain durch § 257c Abs. 2 StPO ausdrücklich ausgeschlossene Inhalte wie etwa der Schuldspruch in die Absprache aufgenommen. Während 61,7 % der Richter angaben, die Glaubhaftigkeit von im Anschluss an eine Absprache abgelegten Geständnissen immer zu überprüfen, räumten 38,3 % der Richter ein, die Glaubhaftigkeit des Geständnisses nicht immer, sondern nur häufig, manchmal, selten oder nie zu überprüfen. 35,3 % der befragten Richter haben nach eigenem Bekunden dem Angeklagten oder seinem Verteidiger in Verständigungsgesprächen neben der Strafobergrenze beziehungsweise dem bestimmten Strafmaß für den Fall einer Kooperation schon einmal eine zweite Strafe für den Fall einer „streitigen“ Hauptverhandlung genannt, 16 % gaben an, typischerweise so vorzugehen. Die Einlegung eines Rechtsmittels nach einer Absprache ist sehr selten. Nach Auskunft von 27,4 % der Richter wurde sogar bei Verständigungen gemäß § 257c StPO - entgegen § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO - ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet. Von den Richtern gaben 14,7 % an, dass bei ihnen nach einer Absprache „immer“ auf Rechtsmittel verzichtet werde; bei 56,6 % geschah dies „häufig“ (Staatsanwälte: 5,6 % bzw. 64,8 %; Verteidiger: 5,6 % bzw. 76,1 %). Nicht weniger als 16,4 % der Richter und 30,9 % der Staatsanwälte erklärten, sich im Rahmen einer Absprache schon auf eine ihrer Ansicht nach zu milde Strafe eingelassen zu haben.

Demgegenüber haben sich von den Verteidigern 30,3 % nach eigener Auskunft schon auf eine ihrer Ansicht nach zu hohe Strafe im Wege der Absprache eingelassen. Der „Strafrabatt“ im Anschluss an ein absprachegemäß abgelegtes Geständnis liegt nach Angaben der Befragten zumeist zwischen 25 % und 33,3 % der wahrscheinlich zu erwartenden Strafe nach „streitiger“ Verhandlung. 

VI. 

Mit Beschlüssen vom 22. Mai 2012 und vom 21. Juni 2012 hat die 1. Kammer des Zweiten Senats auf Antrag der sich zu dieser Zeit in Strafhaft befindenden Beschwerdeführer zu I. und II. die Vollstreckung aus den angegriffenen Urteilen des Landgerichts München II bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden, längstens für sechs Monate, einstweilen ausgesetzt. Mit Beschlüssen vom 22. Oktober 2012 und vom 5. Dezember 2012 hat der Senat auf Antrag der Beschwerdeführer zu I. und II. die einstweiligen Anordnungen wiederholt. 

VII. 

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat Prof. Dr. Altenhain zu dessen im Auftrag des Senats angefertigter empirischer Studie über die Praxis der Verständigung im Strafverfahren gehört, zu den Erfahrungen und Einschätzungen bei den Tat- und Revisionsgerichten den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, Generalbundesanwalt Range, Vorsitzenden Richter am Landgericht Marburg Dr. Paul, Vorsitzenden Richter am Landgericht Hildesheim Pohl, Vorsitzenden Richter am Landgericht Hamburg Dr. Tully und Vorsitzenden Richter am Landgericht Freiburg im Breisgau i.R. Royen. Prof. Dr. Frisch, Direktor der Abteilung 1 des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, hat sich zum Schuldprinzip und dessen Bedeutung für die Legitimation staatlichen Strafens im Rechtsstaat und die Erfüllung der freiheitssichernden Funktion des Strafrechts sowie zur Vereinbarkeit der Verständigungspraxis und des § 257c StPO mit dem Schuldprinzip geäußert. Die Bevollmächtigten der Beschwerdeführer sowie Vertreter der Bundesregierung, des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins und der Bundesrechtsanwaltskammer haben ihren schriftlichen Vortrag ergänzt und vertieft. Zur Verfassungsmäßigkeit von Verständigungen im Strafprozess hat ferner ein Vertreter der Neuen Richtervereinigung Stellung genommen. 

B. 

Die Verfassungsbeschwerden sind begründet, soweit sie sich gegen die angegriffenen Entscheidungen richten; im Übrigen haben sie keinen Erfolg. 

I. 

1. Das Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz (BVerfGE 123, 267 <413>), der den gesamten Bereich staatlichen Strafens beherrscht. Der Schuldgrundsatz hat Verfassungsrang; er ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG) sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert (vgl. BVerfGE 45, 187 <259 f.>; 86, 288 <313>; 95, 96 <140>; 120, 224 <253 f.>; 130, 1 <26>). 
a) Der Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ (nulla poena sine culpa) setzt die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann. Dem Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>; 123, 267 <413>). Auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG die Auffassung vom Wesen der Strafe und das Verhältnis von Schuld und Sühne (vgl. BVerfGE 95, 96 <140>) sowie den Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 80, 367 <378>; 90, 145 <173>; 123, 267 <413>). Die Strafe ist im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme dadurch gekennzeichnet, dass sie - wenn nicht ausschließlich, so doch auch - auf gerechte Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten abzielt. Mit der Strafe wird dem Täter ein sozialethisches Fehlverhalten vorgeworfen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>; 110, 1 <13>). Eine solche strafrechtliche Reaktion wäre ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>). 

b) Das Rechtsstaatsprinzip ist eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes (BVerfGE 20, 323 <331>). Es sichert den Gebrauch der Freiheitsrechte, indem es Rechtssicherheit gewährt, die Staatsgewalt an das Gesetz bindet und Vertrauen schützt (BVerfGE 95, 96 <130>). Das Rechtsstaatsprinzip umfasst als eine der Leitideen des Grundgesetzes auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit (vgl. BVerfGE 7, 89 <92>; 7, 194 <196>; 45, 187 <246>; 74, 129 <152>; 122, 248 <272>) und schließt den Grundsatz der Rechtsgleichheit als eines der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate ein (vgl. BVerfGE 84, 90 <121>). Für den Bereich des Strafrechts werden diese rechtsstaatlichen Anliegen auch im Schuldgrundsatz aufgenommen (BVerfGE 95, 96 <130 f.>). Gemessen an der Idee der Gerechtigkeit müssen Straftatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 25, 269 <286>; 27, 18 <29>; 50, 205 <214 f.>; 120, 224 <241>; stRspr). Die Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 45, 187 <228>; 50, 5 <12>; 73, 206 <253>; 86, 288 <313>; 96, 245 <249>; 109, 133 <171>; 110, 1 <13>; 120, 224 <254>). In diesem Sinne hat die Strafe die Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BVerfGE 45, 187 <253 f.>; 109, 133 <173>; 120, 224 <253 f.>). 

2. Aufgabe des Strafprozesses ist es, den Strafanspruch des Staates um des Schutzes der Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und dem mit Strafe Bedrohten eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten. Der Strafprozess hat das aus der Würde des Menschen als eigenverantwortlich handelnder Person und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf (vgl. BVerfGE 80, 244 <255>; 95, 96 <140>), zu sichern und entsprechende verfahrensrechtliche Vorkehrungen bereitzustellen. Zentrales Anliegen des Strafprozesses ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das materielle Schuldprinzip nicht verwirklichen lässt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 118, 212 <231>; 122, 248 <270>; 130, 1 <26>). Dem Täter müssen Tat und Schuld prozessordnungsgemäß nachgewiesen werden (vgl. BVerfGE 9, 167 <169>; 74, 358 <371>). Bis zum Nachweis der Schuld wird seine Unschuld vermutet (vgl. BVerfGE 35, 311 <320>; 74, 358 <371>). 

a) Der Staat ist von Verfassungs wegen gehalten, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272>; 130, 1 <26>). Der Schutz elementarer Rechtsgüter durch Strafrecht und seine Durchsetzung im Verfahren sind Verfassungsaufgaben (vgl. BVerfGE 107, 104 <118 f.>; 113, 29 <54>). Das erfordert, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten, also schuldangemessenen Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272 f.>; 129, 208 <260>). Die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, umfasst auch die Pflicht, die Durchführung eingeleiteter Strafverfahren und die Vollstreckung rechtskräftig erkannter (Freiheits-)Strafen sicherzustellen. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, und der Anspruch aller in Strafverfahren Beschuldigten auf Gleichbehandlung erfordern grundsätzlich, dass der Strafanspruch durchgesetzt, also auch eingeleitete Verfahren fortgesetzt und rechtskräftig verhängte Strafen vollstreckt werden (BVerfGE 46, 214 <222 f.>; 49, 24 <54>; 51, 324 <344>). 

b) Bei alledem darf der Beschuldigte im Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht bloßes Objekt des Strafverfahrens sein; ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 65, 171 <174 f.>; 66, 313 <318>). 

aa) Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 122, 248 <271 f.>). Dies bedeutet allerdings nicht, dass im Strafverfahren - unter dem Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ (vgl. BVerfGE 110, 226 <253>) - in der Rollenverteilung begründete verfahrensspezifische Unterschiede in den Handlungsmöglichkeiten von Staatsanwaltschaft und Verteidigung in jeder Beziehung ausgeglichen werden müssten (vgl. BVerfGE 63, 45 <67>; 63, 380 <392 f.>; 122, 248 <272>); vielmehr sind angesichts der besonderen, zur Objektivität verpflichtenden Stellung der Staatsanwaltschaft Differenzierungen möglich. Die Bestimmung der verfahrensrechtlichen Befugnisse und Hilfestellungen, die dem Beschuldigten nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens im Einzelnen einzuräumen und die Festlegung, wie diese auszugestalten sind, ist in erster Linie dem Gesetzgeber und sodann - in den vom Gesetz gezogenen Grenzen - den Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (vgl. BVerfGE 57, 250 <276>; 64, 135 <145 f.>; 122, 248 <272>). Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfGE 47, 239 <250>; 80, 367 <375>; 122, 248 <272>). Verfahrensgestaltungen, die den Erfordernissen einer wirksamen Strafrechtspflege dienen, verletzen daher nicht schon dann den grundrechtlichen Anspruch auf ein faires Strafverfahren, wenn verfahrensrechtliche Positionen des Angeklagten oder Beschuldigten dabei eine Zurücksetzung zugunsten einer wirksameren Strafrechtspflege erfahren (BVerfGE 122, 248 <273>). Das Beschleunigungsgebot ist bei der Konkretisierung des Rechts auf ein faires Verfahren ebenfalls zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 41, 246 <250>; 63, 45 <68 f.>; 122, 248 <273>), denn unnötige Verfahrensverzögerungen stellen nicht nur die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>) und die Zwecke der Kriminalstrafe in Frage, sondern beeinträchtigen, da die Beweisgrundlage durch Zeitablauf verfälscht werden kann, auch die Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit (vgl. BVerfGE 57, 250 <280>; 122, 248 <273>; 130, 1 <27>). 

bb) Die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (nemo tenetur se ipsum accusare) sind notwendiger Ausdruck einer auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde beruhenden rechtsstaatlichen Grundhaltung (vgl. BVerfGE 38, 105 <113 f.>; 55, 144 <150 f.>; 56, 37 <43>). Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist im Rechtsstaatsprinzip verankert und hat Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 38, 105 <113 f.>; 55, 144 <150 f.>; 56, 37 <43>; 110, 1 <31>). Er umfasst das Recht auf Aussage- und Entschließungsfreiheit innerhalb des Strafverfahrens. Dazu gehört, dass im Rahmen des Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen (vgl. BVerfGE 56, 37 <49>; 109, 279 <324>). Der Beschuldigte muss frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt (vgl. BVerfGE 38, 105 <113>; 56, 37 <43>). Dies setzt voraus, dass er über seine Aussagefreiheit in Kenntnis gesetzt wird. 

cc) Die Unschuldsvermutung hat als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips ebenfalls Verfassungsrang (BVerfGE 74, 358 <371>). Sie verbietet zum einen, im konkreten Strafverfahren ohne prozessordnungsgemäßen - nicht notwendiger Weise rechtskräftigen - Schuldnachweis Maßnahmen gegen den Beschuldigten zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen, und ihn verfahrensbezogen als schuldig zu behandeln; zum anderen verlangt sie den rechtskräftigen Nachweis der Schuld, bevor diese dem Verurteilten im Rechtsverkehr allgemein vorgehalten werden darf (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <371>). Als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips enthält die Unschuldsvermutung - wie auch das Recht des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren - allerdings keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- und Verbote; ihre Auswirkungen auf das Verfahrensrecht bedürfen vielmehr der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Dies ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers (BVerfGE 74, 358 <371 f.>; vgl. auch BVerfGE 7, 89 <92 f.>; 57, 250 <275 f.>; 65, 283 <291>). 

3. Das Grundgesetz gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand bietet (vgl. BVerfGE 4, 412 <416>; 21, 139 <145 f.>; 23, 321 <325>; 82, 286 <298>; 89, 28 <36>). Neben der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 Abs.1 und 2 GG) ist es wesentliches Kennzeichen der Rechtsprechung im Sinne des Grundgesetzes, dass die richterliche Tätigkeit von einem „nicht beteiligten Dritten“ ausgeübt wird (vgl. BVerfGE 3, 377 <381>; 4, 331 <346>; 21, 139 <145>; 27, 312 <322>; 48, 300 <316>; 87, 68 <85>; 103, 111 <140>). Diese Vorstellung von neutraler Amtsführung ist mit den Begriffen „Richter“ und „Gericht“ untrennbar verknüpft (vgl. BVerfGE 4, 331 <346>; 60, 175 <214>; 103, 111 <140>). Die richterliche Tätigkeit erfordert daher unbedingte Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten (BVerfGE 21, 139 <146>; 103, 111 <140>). Das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt deshalb nicht nur einen Anspruch auf den sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergebenden Richter (vgl. BVerfGE 89, 28 <36>), sondern garantiert auch, dass der Betroffene nicht vor einem Richter steht, der aufgrund persönlicher oder sachlicher Beziehungen zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Streitgegenstand die gebotene Neutralität vermissen lässt (BVerfGE 21, 139 <146>; 89, 28 <36>). Dieses Verlangen nach Unvoreingenommenheit und Neutralität des Richters ist zugleich ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit (vgl. BVerfGE 3, 377 <381>; 37, 57 <65>). 

4. Das im Rechtsstaatsprinzip und dem allgemeinen Freiheitsrecht verankerte Recht auf ein faires Strafverfahren umfasst das Recht des Beschuldigten, sich von einem Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens verteidigen zu lassen (BVerfGE 66, 313 <318 f.>; 110, 226 <253>). Wenngleich das Recht auf ein faires Verfahren keine in allen Einzelheiten bestimmten Gebote und Verbote enthält, sondern der Konkretisierung durch den Gesetzgeber je nach den sachlichen Gegebenheiten bedarf, untersagt es jedenfalls eine Ausgestaltung des Strafverfahrens, bei der rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind (BVerfGE 57, 250 <276>; 122, 248 <272>). Angesichts der besonderen Bedeutung, die dem Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zukommt (vgl. BVerfGE 110, 226 <254>), verbietet es sich, im Strafprozess Verfahrensweisen vorzusehen, die - etwa aufgrund der Schaffung sachwidriger Anreize - erwarten lassen, dass dieses Vertrauen unterlaufen und damit das Recht auf eine effektive Verteidigung entwertet wird. 

II. 

Nach diesen Maßstäben kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung der Verständigung im Strafverfahren nicht festgestellt werden. Der Gesetzgeber hat Verständigungen im Strafprozess lediglich in einem begrenzten Rahmen zugelassen und sein Regelungskonzept mit spezifischen Schutzmechanismen versehen, die bei der gebotenen präzisierenden Auslegung und Anwendung erwarten lassen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Strafprozesses erfüllt werden (1. und 2.). Eine das Verständigungsgesetz in nicht unerheblichem Umfang vernachlässigende Praxis belegt derzeit noch kein verfassungsrechtlich relevantes Regelungsdefizit (3.). Der Gesetzgeber ist allerdings gehalten, die Wirksamkeit der zur Wahrung eines verfassungskonformen Strafverfahrens vorgesehenen Vorkehrungen zu beobachten und erforderlichenfalls erneut über die Zulässigkeit sowie die Bedingungen von Verständigungen zu entscheiden (4.). 

1. Das Verständigungsgesetz statuiert nach dem in seinem Wortlaut und Normgefüge zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers (a) kein neues, „konsensuales“ Verfahrensmodell. Vielmehr integriert es die von ihm zugelassene Verständigung mit dem Ziel in das geltende Strafprozessrechtssystem, weiterhin ein der Erforschung der materiellen Wahrheit und der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtetes Strafverfahren sicherzustellen. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich klargestellt, dass eine Verständigung als solche niemals alleinige Urteilsgrundlage sein kann, sondern das Gericht weiterhin an die in § 244 Abs. 2 StPO niedergelegte Amtsaufklärungspflicht gebunden ist und die rechtliche Würdigung nicht der Disposition der Beteiligten an einer Verständigung unterliegt (b). Das Verständigungsgesetz regelt die Zulässigkeit einer Verständigung im Strafverfahren abschließend; es untersagt damit die beschönigend als „informell“ bezeichneten Vorgehensweisen bei einer Verständigung (c). Der Gesetzgeber hat sein Regelungskonzept mit spezifischen Schutzmechanismen versehen, die eine vollständige Transparenz und Dokumentation des zu einer Verständigung führenden Geschehens sicherstellen und so die vom Gesetzgeber als erforderlich bewertete vollumfängliche Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht ermöglichen sollen (d). Schließlich gewährleistet das Gesetz über eine Einschränkung der Bindungswirkung einer Verständigung die Neutralität des Gerichts und sieht mit der Pflicht zur Belehrung des Angeklagten über diese Einschränkung eine dessen Belangen dienende Sicherung vor (e). 

a) Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (vgl. BVerfGE 1, 299 <312>; 11, 126 <130 f.>; 105, 135 <157>; stRspr). Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (vgl. BVerfGE 11, 126 <130>; 105, 135 <157>). Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf (vgl. BVerfGE 122, 248 <283> - abw. M.). Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall - auch unter gewandelten Bedingungen - möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 96, 375 <394 f.>). In keinem Fall darf richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen (vgl. BVerfGE 78, 20 <24> m.w.N.). Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fern liegen. Anderenfalls wäre es für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textlich Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen gegenüber der Rechtsprechung über einen längeren Zeitraum durchzusetzen (vgl. BVerfGE 122, 248 <284> - abw. M.).  

b) Der Gesetzgeber hat eine gesetzliche Regelung der Verständigung im Strafverfahren als notwendig erachtet, weil das in der Praxis entstandene und dort bedeutsame, aber stets umstritten gebliebene Institut der Verständigung zur Herstellung von Rechtssicherheit und der Gewährleistung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung dringend klarer gesetzlicher Vorgaben bedürfe. Dabei war dem Gesetzgeber bewusst, dass sich auf das Urteil bezogene Verständigungen des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten nicht ohne Weiteres mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Strafverfahren, insbesondere hinsichtlich der Erforschung der materiellen Wahrheit, der Schuldangemessenheit der Strafe und der Verfahrensfairness, würden in Einklang bringen lassen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1). Dementsprechend war es ausdrücklich sein zentrales Ziel, die Verständigung in einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht werdenden Weise in das geltende Strafverfahrensrecht zu integrieren, ohne die den Strafprozess dominierenden Grundsätze der richterlichen Sachverhaltsaufklärung und Überzeugungsbildung anzutasten. Die Auslegung und Anwendung des Verständigungsgesetzes hat sich zuvörderst an diesem gesetzgeberischen Konzept zu orientieren. Das gilt auch für das Bundesverfassungsgericht, das dann, wenn eine präzisierende Auslegung eines Gesetzes möglich ist, diese seiner Prüfung zugrunde zu legen hat (vgl. zur Bestimmtheit von Strafnormen BVerfGE 126, 170 <196 f.>; siehe auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 2012 - 1 BvR 1509/10 -). Der Gesetzgeber wollte zwar eine offene, kommunikative Verhandlungsführung des Gerichts stärken, aber gerade kein neues, „konsensuales“ Verfahrensmodell einführen. Vielmehr war es sein erklärtes Regelungsziel, weiterhin ein Strafverfahren sicherzustellen, das dem fundamentalen und verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Wahrheitsermittlung sowie der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtet ist (vgl. dazu Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f.), weshalb auch in der Verständigungssituation das Maß der Schuldangemessenheit weder über- noch unterschritten werden darf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2010 - 1 StR 400/10 -, NStZ 2011, S. 592 <594>, und vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11 -, juris, Rn. 23; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 44). Um diese Aufgabenstellung zu verwirklichen, hat der Gesetzgeber nicht nur den zulässigen Inhalt von Verständigungen und das Verständigungsverfahren „umfassend“ normieren wollen, sondern einen Schwerpunkt seines Regelungskonzepts in der Herstellung von Transparenz, Öffentlichkeit und einer vollständigen Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens gesehen, die wiederum die von ihm als erforderlich bewertete „vollumfängliche“ Rechtsmittelkontrolle ermöglichen und wirksam ausgestalten soll (vgl. nur Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f., 12, 15, sowie Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, BTDrucks 16/12310, S. 22). Das Verlangen nach umfassender Transparenz des Verständigungsgeschehens kennzeichnet die gesetzliche Regelung insgesamt (ebenso BGH, Urteil vom 29. November 2011 - 1 StR 287/11 -, NStZ 2012, S. 347 <348>, und Beschluss vom 22. Februar 2012 - 1 StR 349/11 -, StV 2012, S. 649 <652>). Hiernach muss sich eine Verständigung unter allen Umständen „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbaren“ (BTDrucks 16/12310, S. 12). 

aa) Als Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, Möglichkeiten einer Verständigung in das geltende Strafprozessrechtssystem zu integrieren, ist vor allem die Klarstellung des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO zu verstehen, die in § 244 Abs. 2 StPO niedergelegte Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen bleibe „unberührt“. Der Wortlaut von § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO ist eindeutig; die Norm schließt jede Disposition über Gegenstand und Umfang der dem Gericht von Amts wegen obliegenden Pflicht zur Aufklärung des mit der Anklage vorgeworfenen Geschehens aus. Damit wird hervorgehoben, dass eine Verständigung niemals als solche die Grundlage eines Urteils bilden kann, sondern weiterhin allein und ausschließlich die - ausreichend fundierte - Überzeugung des Gerichts von dem von ihm festzustellenden Sachverhalt maßgeblich bleibt (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13). Dem Gesetzgeber waren die Besonderheiten des aufgrund einer Verständigung abgegebenen Geständnisses, insbesondere dessen erhöhte Fehleranfälligkeit infolge der Anreiz- und Verlockungssituation, in der sich der Angeklagte wie auch sein Verteidiger befinden können, und demzufolge die Gefahr von „Falschgeständnissen“, bewusst, und er hat deshalb die Geltung der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO ausdrücklich klargestellt. Dementsprechend bleibt das nach § 244 Abs. 2 StPO erforderliche Maß an Beweiserhebung stets insoweit unberührt, als ein wirksamer Verzicht auf (weitere) Beweisanträge und Beweiserhebungen sich nicht außerhalb dessen bewegen kann, was durch die unverändert geltende Sachaufklärungspflicht des Gerichtes bestimmt ist (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13; siehe auch BGH, Beschluss vom 31. Januar 2012 - 3 StR 285/11 -, StV 2012, S. 653 <654>; BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 3 StR 335/11 -, juris, Rn. 5). 

Die Regelung des § 257c Abs. 4 Satz 1 StPO, nach der die Bindung des Gerichts an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist, baut auf der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO auf und bestätigt die dargelegte Grundentscheidung des Gesetzgebers. Entsprechendes gilt für das die Zulässigkeit von Verständigungen nach § 257c Abs. 1 Satz 1 StPObeschränkende Kriterium der „geeigneten Fälle“, mit dem der Gesetzgeber nicht nur die Anwendung der Verständigung im Jugendstrafverfahren mit Blick auf den dieses beherrschenden Erziehungsgedanken einschränken, sondern vor allem auch sicherstellen wollte, dass das Gericht nicht vorschnell auf eine Verständigung ausweicht, ohne zuvor pflichtgemäß die Anklage tatsächlich und rechtlich überprüft zu haben (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 16/12310, S. 10, 13; siehe auch BGHSt 50, 40 <49>, sowie BGH, Beschlüsse vom 20. April 2004 - 5 StR 11/04 -, juris, Rn. 14 ff., und vom 9. Juni 2004 - 5 StR 579/03 -, juris, Rn. 13 ff.). 

Aufgrund des klarstellenden Hinweises auf § 244 Abs. 2 StPO durch § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO bedurfte es auch keiner zusätzlichen ausdrücklichen Festlegung der an ein Geständnis zu stellenden „Qualitätsanforderungen“. Vielmehr genügt dieser Hinweis, um einerseits zu verdeutlichen, dass auch in der Verständigungssituation ein bloßes inhaltsleeres Formalgeständnis - vor allem, wenn die Beantwortung von Fragen zum Sachverhalt verweigert wird - oder gar die nicht einmal ein Geständnis darstellende schlichte Erklärung, der Anklage nicht entgegenzutreten, allein keine taugliche Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein können. Andererseits hat es der Gesetzgeber damit den Gerichten ermöglicht, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen. 

Vor dem Hintergrund des Regelungsziels, die Grundsätze der Amtsaufklärungspflicht des Gerichts und der richterlichen Überzeugungsbildung unangetastet zu lassen, kann § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO zudem nur so verstanden werden, dass das verständigungsbasierte Geständnis zwingend auf seine Richtigkeit zu überprüfen ist. Diese Überprüfung hat sich - unter zusätzlicher Berücksichtigung des Grundanliegens des Gesetzgebers, Verständigungen transparent und kontrollierbar zu machen - durch Beweiserhebung in der Hauptverhandlung (vgl. § 261 StPO) zu vollziehen. Freilich kann dies nicht bedeuten, dass die Überprüfung eines verständigungsbasierten Geständnisses strengeren Anforderungen unterliegt als sie an eine Beweisaufnahme in der nach herkömmlicher Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung nach Abgabe eines Geständnisses zu stellen wären; so bleiben etwa Vorhalte oder das Selbstleseverfahren nach den allgemeinen Regeln möglich. Es genügt jedoch nicht, das verständigungsbasierte Geständnis durch einen bloßen Abgleich mit der Aktenlage zu überprüfen (anders noch BGHSt 50, 40 <49>, in diese Richtung auch Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <387 f.>), da dies keine hinreichende Grundlage für die erforderliche Überzeugungsbildung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) darstellt und mit einem solchen Verständnis dem Transparenzanliegen des Verständigungsgesetzes und der Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle verständigungsbasierter Urteile gerade nicht Rechnung getragen werden könnte. 

Dieses Verständnis des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass hiernach der Raum für Verständigungen - insbesondere mit Blick auf das Ausmaß der ermöglichten Verfahrensabkürzung - spürbar eingeengt wird. Diese Wirkung ist nicht etwa Ausdruck einer unauflösbaren inneren Widersprüchlichkeit der Norm, sondern achtet das ausdrückliche Ziel des Gesetzgebers, die Verständigung mit den Grundsätzen der Amtsaufklärung nach § 244 Abs. 2 StPO und der richterlichen Überzeugungsbildung in Einklang zu bringen. Die Beschränkung des praktischen Anwendungsbereichs von Verständigungen ist die zwangsläufige Konsequenz der Einfügung von Verständigungsmöglichkeiten in das System des geltenden Strafprozessrechts. 

bb) Nach dem Regelungsziel des Gesetzgebers, weiterhin ein der Wahrheitserforschung und der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtetes Strafverfahren sicherzustellen, bleiben nicht nur die tatsächlichen Feststellungen, sondern auch deren rechtliche Würdigung der Disposition der an einer Verständigung Beteiligten entzogen (ebenso BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 - 4 StR 623/11 -, juris, Rn. 16). Unmittelbaren Ausdruck findet das gesetzliche Regelungsanliegen in § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO, der den zulässigen Gegenstand von Verständigungen ausdrücklich auf die „Rechtsfolgen“ beschränkt, ferner in dem von § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO ausgesprochenen Verbot einer Verständigung über den Schuldspruch und dem Wegfall der Bindungswirkung einer Verständigung unter den Voraussetzungen des § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO

Aus § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO folgt unter Berücksichtigung der Systematik und von Sinn und Zweck des gesetzlichen Regelungskonzepts insbesondere, dass eine Strafrahmenverschiebung nicht Gegenstand einer Verständigung sein darf, und zwar auch dann nicht, wenn sie sich auf Sonderstrafrahmen für besonders schwere oder minder schwere Fälle im Vergleich zum Regelstrafrahmen bezieht. Zwar handelt es sich bei diesen Sonderstrafrahmen nach herrschender Meinung (vgl. BGHSt 23, 254 <256>; 26, 104 <105>; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, Vor §§ 38 ff., Rn. 47; Theune, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2007, Vor §§ 46 ff. Rn. 18) um gesetzliche Strafzumessungsregeln, die mit Ausnahme von § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht in den Urteilstenor aufzunehmen sind. Allerdings weist die Regelungstechnik der besonders schweren und minder schweren Fälle eine spezifische Nähe zu Qualifikations- und Privilegierungstatbeständen auf. Wesentliche Unterschiede zwischen diesen Regelungsbereichen sind im Hinblick auf die Schuldangemessenheit des Strafens nicht zu erkennen. So werden die Regelbeispiele besonders schwerer Fälle als „tatbestandsähnlich“ angesehen (vgl. BGHSt 33, 370 <374>; BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1997 - 5 StR 328/97 -, NStZ 1998, S. 91 <92>; Urteil vom 7. August 2001 - 1 StR 470/00 -, NStZ 2001, S. 642 <643>; Beschluss vom 28. Juli 2010 - 1 StR 332/10 -, NStZ 2011, S. 167). Die Regelungstechnik unterfällt auch dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 45, 363 <371>) sowie dem Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. April 2004 - 3 StR 113/04-, NStZ-RR 2004, S. 262, und vom 20. Juli 2004 - 3 StR 231/04 -, NStZ-RR 2005, S. 373 <374>). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Fall besonders schwer, wenn er sich nach dem Gewicht von Unrecht und Schuld vom Durchschnitt vorkommender Fälle so abhebt, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist (vgl. BGHSt 28, 318, <319 f.>; BGH, Urteil vom 26. Juni 1991 - 3 StR 145/91 -, NStZ 1991, S. 529 <530>); für das Vorliegen eines minder schweren Falls ist zu prüfen, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maß abweicht, dass die Anwendung des milderen Strafrahmens geboten erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2000 - 5 StR 349/00 -, NJW 2000, S. 3580; Urteil vom 13. Februar 2003 - 3 StR 349/02 -, NJW 2003, S. 1679 <1680>; Beschluss vom 26. August 2008 - 3 StR 316/08 -, NStZ 2009, S. 37). Auch die Sonderstrafrahmen sind daher - wie jeder Strafrahmen - Ausdruck des Unwert- und Schuldgehalts, den der Gesetzgeber einem unter Strafe gestellten Verhalten beigemessen hat. Mit der Normierung von Sonderstrafrahmen bringt der Gesetzgeber - nicht anders als bei Qualifikationen und Privilegierungen - zum Ausdruck, innerhalb eines Deliktstypus eine Differenzierung schon auf der Ebene der Strafrahmenwahl für geboten zu erachten. Bei umfassender Würdigung des dem Verständigungsgesetz zugrundeliegenden Regelungskonzepts kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe diese Bewertung für den Fall einer Verständigung aufgeben und den Begriff der „Rechtsfolge“ in § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO auch auf Strafrahmenverschiebungen ausdehnen wollen. 
c) Mit den Vorschriften des Verständigungsgesetzes hat die Zulassung von Verständigungen im Strafverfahren eine abschließende Regelung erfahren. Außerhalb des gesetzlichen Regelungskonzepts erfolgende sogenannte informelle Absprachen sind unzulässig. 

aa) Bereits aus dem Wortlaut von § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO, der Verständigungen nur „nach Maßgabe der folgenden Absätze“ zulässt, folgt, dass jegliche sonstigen „informellen“ Absprachen, Vereinbarungen und „Gentlemen‘s Agreements“ untersagt sind. Damit wird das Ziel der gesetzlichen Regelung, der Verständigung zur Herstellung von Rechtssicherheit und der Gewährleistung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung durch ein „umfassendes und differenziertes Regelungskonzept“ (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 7 f., 9) klare Vorgaben zu setzen, verwirklicht. Hätte die Regelung keinen abschließenden Charakter, könnten die vom Gesetzgeber als erforderlich erachteten flankierenden Vorschriften, die Transparenz und Öffentlichkeit des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens sichern, die ihnen zur Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle von Verständigungen zugedachte Funktion von vornherein nicht wirksam erfüllen. Hierin liegt aber gerade ein zentrales Anliegen des Gesetzgebers. So ist im Gesetzgebungsverfahren die in der Stellungnahme des Bundesrats kritisierte Regelung des sogenannten „Negativattests“ in § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO mit dem Argument verteidigt worden, dass mit ihrer Streichung „eine wichtige Regelung entfiele, die dazu dienen soll, mit höchst möglicher Gewissheit und in der Revision überprüfbar das Geschehen in der Hauptverhandlung zu dokumentieren und auszuschließen, dass ‚stillschweigend‘ und ohne Beachtung der gesetzlichen Förmlichkeiten eine Verständigung stattgefunden hat“ (Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, BTDrucks 16/12310, S. 22). Schließlich findet sich in dem Anliegen, eine „vollumfängliche“ Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht zu gewährleisten, eine Bestätigung des abschließenden Charakters des gesetzlichen Regelungskonzepts. Diese Kontrolle soll nämlich gerade „einen unterstützenden Beitrag dazu leisten, dass Verständigungen in erster Instanz wirklich so ablaufen, wie es den Vorgaben des Gesetzgebers entspricht“ (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 9). 

In Anbetracht der strikten Bindung jeglicher Ausübung hoheitlicher Gewalt an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) bedurfte die Absicht des Gesetzgebers, nur solche Verständigungen zuzulassen, die sich innerhalb des vom Gesetz gezogenen Rahmens bewegen, keiner weiteren ausdrücklichen Hervorhebung. 

bb) Aus dem gesetzlichen Regelungskonzept zum Inhalt, zum Zustandekommen und zu den Folgen einer Verständigung folgt unter anderem, dass ein wirksamer Rechtsmittelverzicht auch dann ausgeschlossen ist, wenn sich die Beteiligten unter Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften verständigt haben (vgl. dazu bereits BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. März 2012 - 2 BvR 1464/11 -, juris, Rn. 21 ff.; ebenso etwa Jahn/Müller, NJW 2009, S. 2625 <2630>; Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <393>). Eine solche Verständigung unterliegt zudem der Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO. Sollte in letzterem Fall ein Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO erteilt werden, wäre dieses falsch und könnte den Tatbestand der Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) erfüllen. 

cc) Ebenso wenig können etwaige Zusagen der Staatsanwaltschaft, andere bei ihr anhängige Ermittlungsverfahren - etwa nach § 154 Abs. 1 StPO - einzustellen, eine Bindungswirkung oder ein schutzwürdiges Vertrauen auslösen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13; anders noch zur Rechtslage vor dem Verständigungsgesetz BGHSt 37, 10 <13 f.>). Aus dem Wortlaut von § 257c Abs. 1 und 2 StPO folgt, dass sich Verständigungen ausschließlich auf das „zugrundeliegende Erkenntnisverfahren“ beziehen dürfen, also sogenannte „Gesamtlösungen“ unter Einbeziehung anderer Verfahren und nicht in der Kompetenz des Gerichts liegende Zusagen unzulässig sind (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2010 - 2 StR 354/10 -, wistra 2011, S. 28; siehe auch Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 34; Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <387>). Nur dieses Verständnis entspricht dem Ziel des Gesetzgebers, Verständigungen transparent und kontrollierbar zu machen. Bei Einbeziehung anderer, nicht den Gegenstand der Hauptverhandlung bildender Verfahren ist insoweit eine wirksame Kontrolle der Verständigung - insbesondere durch die Öffentlichkeit - nicht gewährleistet. 

d) Einen Schwerpunkt des Regelungskonzeptes des Verständigungsgesetzes bildet die Gewährleistung der vom Gesetzgeber ausdrücklich als „erforderlich“ bewerteten Transparenz und Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens als Voraussetzung einer effektiven Kontrolle durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f.). Zur Erreichung dieses Ziels hat der Gesetzgeber spezifische, das Regelungskonzept prägende Schutzmechanismen vorgesehen. 

aa) In der Konzeption des Gesetzgebers kommt der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung eine zentrale Bedeutung zu. Mit dem Gebot, die mit einer Verständigung verbundenen Vorgänge umfassend in die Hauptverhandlung einzubeziehen, gewährleistet der Gesetzgeber nicht nur vollständige Transparenz; er legt zugleich besonderes Gewicht auf die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung und bekräftigt damit, dass auch im Fall der Verständigung der Inbegriff der Hauptverhandlung die Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung bleibt (§ 261 StPO). 
(1) (a) Dem Gesetzgeber kam es maßgeblich darauf an, die Transparenz der strafgerichtlichen Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung gerade im Falle einer Verständigung zu bewahren; die Verständigung müsse sich „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbaren“ (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 8, 12). Dementsprechend hat das Verständigungsgesetz umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten mit Bezug auf die Hauptverhandlung statuiert. Sie zielen darauf, nicht nur die Verständigung selbst, also den formalen Verständigungsakt des § 257c Abs. 3 StPO, sondern darüber hinausgehend auch die zu einer Verständigung führenden Vorgespräche in die Hauptverhandlung einzuführen. Zwar ist nach der Begründung des Regierungsentwurfs die „Vorbereitung“ einer Verständigung auch außerhalb der Hauptverhandlung möglich. Gegenstand einer Erörterung im Vorfeld der Hauptverhandlung kann es danach auch sein, Möglichkeit und Umstände einer Verständigung zu besprechen (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 9, 12). Für alle Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung verlangt § 243 Abs. 4 StPO eine Mitteilung deren „wesentlichen Inhalts“. Diese Mitteilung ist gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO zu protokollieren. Demgegenüber sind hinsichtlich der Verständigung selbst gemäß § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO der wesentliche Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis wiederzugeben. Die Protokollierungspflicht hinsichtlich der Verständigung geht also über die Protokollierung der nach § 243 Abs. 4 StPO vorgeschriebenen Mitteilung hinaus. Dem liegt zugrunde, dass die Verständigung als solche nach § 257c Abs. 1 StPO nur in der Hauptverhandlung erfolgen kann. Die im Vergleich zur Verständigung selbst reduzierte Pflicht zur Dokumentation der Gespräche zur Vorbereitung einer Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2, § 243 Abs. 4 StPO fügt sich in das vom Gesetzgeber verfolgte Konzept der Stärkung der Transparenz und Dokumentation ein, weil die Verständigung selbst erst in der Hauptverhandlung stattfinden kann und § 273 Abs. 1a Satz 1 StPOdie Dokumentation der wesentlichen Abläufe, des Inhalts und des Ergebnisses dieser Verständigung gebietet. Alle wesentlichen Elemente einer Verständigung, zu denen angesichts des vom Gesetzgeber verfolgten Konzepts auch außerhalb der Hauptverhandlung geführte Vorgespräche zählen, sind zum Gegenstand der Erörterung in der Hauptverhandlung zu machen und unterliegen der Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO

(b) Hinsichtlich des Inhalts möglicher Erörterungen des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten und der dabei bestehenden Transparenz- und Dokumentationspflichten ist zu unterscheiden: 

(aa) Möglich sind Gespräche, die ausschließlich der Organisation sowie der verfahrenstechnischen Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung dienen, etwa die Abstimmung der Verhandlungstermine. Mangels eines Bezugs auf das Verfahrensergebnis sind diese Gespräche dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgelagert und von ihm nicht betroffen. Sie unterliegen deshalb nicht der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO

(bb) In Betracht kommen weiterhin Gespräche, die als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können und über deren wesentlichen Inhalt deshalb nach § 243 Abs. 4 StPO in der Hauptverhandlung zu informieren ist. Die Mitteilungspflicht greift ein, sobald bei im Vorfeld oder neben der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 12) einer Verständigung im Raum stehen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt. Im Zweifel wird in der Hauptverhandlung zu informieren sein. Zum mitzuteilenden Inhalt solcher Erörterungen gehört, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10 -, juris; siehe auch Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 243 Rn. 18a; Altenhain/Haimerl, JZ 2010, S. 327 <336>; Schlothauer/Weider, StV 2009, S. 600 <603>). Fehlt im Hauptverhandlungsprotokoll der nach § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO vorgeschriebene Hinweis auf eine Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO, ergibt sich daraus lediglich, dass eine solche Mitteilung in der Hauptverhandlung unterblieben ist, nicht aber, dass es keine Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung gegeben hat, weil diese Tatsache nicht von der negativen Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) umfasst ist (a.A. ohne nähere Begründung Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 243 Rn. 18a a.E.). 

(cc) Die Verständigung selbst hat zwingend in der Hauptverhandlung stattzufinden, wo die vom Gesetzgeber verlangte Protokollierung nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO und damit eine Voraussetzung vollumfänglicher Kontrolle gewährleistet ist. Zum „wesentlichen Ablauf und Inhalt“ im Sinne dieser Norm gehört nach Sinn und Zweck der Dokumentationspflicht insbesondere, wer die Anregung zu den Gesprächen gab und welchen Inhalt die einzelnen „Diskussionsbeiträge“ aller Verfahrensbeteiligten sowie der Richter hatten, insbesondere von welchem Sachverhalt sie hierbei ausgingen und welche Ergebnisvorstellungen sie äußerten (vgl. Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 71). 

(2) Darüber hinaus folgt aus dem Ziel des Gesetzgebers, die Verständigung in das Licht der öffentlichen Hauptverhandlung zu stellen, dass er der Kontrollfunktion der Öffentlichkeit besondere Bedeutung beigemessen hat. 

Der in § 169 GVG niedergelegte Öffentlichkeitsgrundsatz soll eine Kontrolle der Justiz durch die am Verfahren nicht beteiligte Öffentlichkeit ermöglichen und ist Ausdruck der demokratischen Idee. Die mit der Möglichkeit einer Beobachtung der Hauptverhandlung durch die Allgemeinheit verbundene öffentliche Kontrolle der Justiz, die historisch als unverzichtbares Institut zur Verhinderung obrigkeitlicher Willkür eingeführt wurde (vgl. zum Ganzen Wickern, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, Vor § 169 GVG Rn. 2 ff. m.w.N.), erhält als demokratisches Gebot durch die gesetzliche Zulassung der in eine vertrauliche Atmosphäre drängenden Verständigungen zusätzliches Gewicht. Dem hat der Gesetzgeber durch die Mitteilungspflicht in § 243 Abs. 4 StPO Rechnung getragen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 12). 
Die Öffentlichkeit kann ihre Kontrollfunktion nur ausüben, wenn sie die Informationen erhält, die zur Beurteilung der Angemessenheit einer etwaigen Verständigung erforderlich sind. Nur so bleibt der gerichtliche Entscheidungsprozess transparent und die Rechtsprechung auch in Verständigungsfällen für die Allgemeinheit durchschaubar. Dies ist notwendig, damit das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit des Staates, mittels einer wirksamen Strafverfolgung öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten (vgl. zu dieser Aufgabe des Öffentlichkeitsgrundsatzes Wickern, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, Vor § 169 GVG Rn. 2 ff.) und Gerechtigkeit im Einzelfall sowie eine gleichmäßige Behandlung aller zu garantieren, uneingeschränkt aufrechterhalten werden kann. 

(3) Die Einbeziehung des zu einer Verständigung führenden Geschehens in die öffentliche Hauptverhandlung hat auch die Aufgabe, deren Funktion als alleinige Grundlage richterlicher Überzeugungsbildung zu wahren. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll diese Funktion der öffentlichen Hauptverhandlung unberührt bleiben. In den Materialien wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Überzeugung des Gerichts von dem festzustellenden Sachverhalt stets erforderlich bleibt und eine Verständigung als solche niemals die Grundlage eines Urteils bilden kann (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 8, 13). Das Gericht bildet sich seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (vgl. § 261 StPO). Dieser Grundsatz ist nicht zuletzt im Hinblick auf die während der Hauptverhandlung das Richteramt in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die Berufsrichter ausübenden Schöffen (§§ 30, 77 Abs. 1 GVG) von Bedeutung. Da aus § 257c Abs. 4 StPO folgt, dass der Gesetzgeber der Verständigung eine - wenn auch nur eingeschränkte - Bindungswirkung für das Gericht beigemessen hat, musste er zugleich gewährleisten, dass die Schöffen in das zu einer Verständigung führende Geschehen, soweit es in der Hauptverhandlung stattfindet, unmittelbar eingebunden und im Übrigen nach § 243 Abs. 4 StPO umfassend über dieses unterrichtet sind. Anderenfalls wäre ihnen eine verantwortbare Entscheidung über die Verständigung - insbesondere die damit verbundene Zusage einer Strafobergrenze und Ankündigung einer Strafuntergrenze - und über den Inhalt des nach einer Verständigung oder nach dem Scheitern von Verständigungsbemühungen ergehenden Urteils nicht möglich. Dementsprechend ermöglicht § 257c StPO es ausschließlich „dem Gericht“ - nicht nur dem Vorsitzenden oder nur den Berufsrichtern -, eine Verständigung mit den Verfahrensbeteiligten herbeizuführen. Damit ist es ausgeschlossen, dass ohne eine Beteiligung der Schöffen Strafgrenzen mit der Bindungswirkung des § 257c Abs. 4 StPO in Aussicht gestellt werden. 

bb) Mit dem Erfordernis ihrer Zustimmung zu einer Verständigung weist der Gesetzgeber der Staatsanwaltschaft eine aktive Rolle bei der Verwirklichung seines Ziels zu, eine wirksame Kontrolle von Verständigungen zu gewährleisten. 

Ihr ist die Aufgabe zugewiesen, an der Sicherung der Gesetzmäßigkeit des Verfahrensablaufs und -ergebnisses mitzuwirken. Mit ihrer Verpflichtung zur Objektivität (§ 160 Abs. 2 StPO) ist sie Garantin für Rechtsstaatlichkeit und gesetzmäßige Verfahrensabläufe; als Vertreterin der Anklage gewährleistet sie eine effektive Strafrechtspflege (vgl. Kühne, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2006, Einl. J Rn. 42). Diese Bedeutung der Staatsanwaltschaft ist nicht auf die erstinstanzliche Hauptverhandlung beschränkt, sondern setzt sich in ihrer Aufgabenstellung im Rechtsmittelverfahren fort (vgl. § 296 Abs. 2, § 301 StPO). Ihren Niederschlag hat diese Stellung der Staatsanwaltschaft in den Bestimmungen der Nr. 127 Abs. 1 Satz 1 und Nr. 147 Abs. 1 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) gefunden. 

In der Verständigungssituation kommt der Kontrolle durch die Staatsanwaltschaft herausgehobene Bedeutung zu, weil sich Angeklagter und Gericht hinsichtlich des möglichen Verfahrensergebnisses einer - wenngleich eingeschränkten - Bindung unterwerfen. Die Einbindung der Staatsanwaltschaft in die Verständigung hat damit vor allem den Zweck, deren Gesetzmäßigkeit zu sichern (vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11 -, juris, Rn. 23 f.; BGH, Beschluss vom 12. Juli 2011 - 1 StR 274/11 -, StV 2011, S. 645 f.; BGH, Urteil vom 9. November 2011 - 1 StR 302/11 -, juris, Rn. 45). Dem Verständigungsgesetz liegt die Erwartung zugrunde, dass die Staatsanwaltschaft - entsprechend ihrer Rolle als „Wächter des Gesetzes“ (vgl. hierzu Promemoria der Staats- und Justiz-Minister von Savigny und Uhden über die Einführung der Staats-Anwaltschaft im Kriminal-Prozesse vom 23. März 1846, abgedruckt bei Otto, Die Preußische Staatsanwaltschaft, 1899, S. 40 ff.) - sich gesetzwidrigen Vorgehensweisen im Zusammenhang mit Verständigungen verweigert. Weisungsgebundenheit und Berichtspflichten ermöglichen es, einheitliche Standards für die Erteilung der Zustimmung zu Verständigungen sowie für die Ausübung der Rechtsmittelbefugnis aufzustellen und durchzusetzen. Die Staatsanwaltschaft ist nicht nur gehalten, ihre Zustimmung zu einer gesetzwidrigen Verständigung zu versagen. Sie hat darüber hinaus gegen Urteile, die - beispielsweise von der Staatsanwaltschaft zunächst unerkannt - auf solchen Verständigungen beruhen, Rechtsmittel einzulegen. In Anbetracht der hohen Bedeutung, die der Gesetzgeber der Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess auch in Verständigungsfällen beigemessen hat, werden Verstöße gegen die Vorgaben des Verständigungsgesetzes in der Regel von wesentlicher Bedeutung (vgl. auch Nr. 147 Abs. 1 Satz 1 RiStBV) und deshalb durch die Staatsanwaltschaft einer revisionsgerichtlichen Kontrolle zuzuführen sein. Auch kann es angezeigt sein, dass sich die Generalstaatsanwaltschaften dieser Aufgabe in besonderer Weise annehmen. 

cc) Schließlich verfolgen die in dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgesehenen Schutzmechanismen das Ziel, eine wirksame „vollumfängliche“ Kontrolle verständigungsbasierter Urteile durch das Rechtsmittelgericht zu ermöglichen. 

(1) Diese Kontrolle soll dazu beitragen, dass „Verständigungen in erster Instanz wirklich so ablaufen, wie es den Vorgaben des Gesetzgebers entspricht“ (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 9). Hiernach verzichtete der Gesetzgeber darauf, nach vorangegangener Verständigung Rechtsmittel auszuschließen oder einzuschränken, um die Verständigung in einer insbesondere mit dem Gebot schuldangemessenen Strafens und der daraus folgenden Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit in Einklang stehenden Weise in das geltende Strafverfahren integrieren zu können (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1 f., 8 f.; siehe auch Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrats, BTDrucks 16/4197, S. 12). Mit dieser Zielsetzung grenzt sich das Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes ausdrücklich von dem vom Bundesrat vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Absprachen im Strafverfahren (BTDrucks 16/4197) ab, der die Rechtsmittelmöglichkeiten gegen ein verständigungsbasiertes Urteil durch einen Ausschluss der Berufung sowie eine Beschränkung der Revision auf im Zusammenhang mit der Verständigung stehende Verfahrensfehler und die Revisionsgründe des § 338 StPO wesentlich einschränken wollte (vgl. Gesetzentwurf und Begründung des Bundesrats, BTDrucks 16/4197, S. 5 f., 7, 11 sowie die Stellungnahme der Bundesregierung, BTDrucks 16/4197, S. 12). Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Möglichkeit eines Rechtsmittelverzichts nach gesonderter qualifizierter Belehrung hat der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages verworfen, um sicherzustellen, dass sich die Berechtigten in Ruhe und ohne Druck überlegen können, ob sie Rechtsmittel einlegen wollen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 6, 15 sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks 16/13095, S. 7, 10). In bewusster Abkehr von den Entwürfen schränkt das Verständigungsgesetz die Rechtsmittelmöglichkeiten gegen verständigungsbasierte Urteile nicht ein, sondern schließt - über die dem Regelungskonzept weitgehend zugrundeliegende Entscheidung des Großen Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGHSt 50, 40 ff.) hinausgehend - einen Rechtsmittelverzicht nach einer Verständigung generell aus (§ 302 Abs. 1 Satz 2 StPO) und sichert die Ermöglichung einer Rechtsmittelkontrolle durch das Erfordernis einer qualifizierten Belehrung noch zusätzlich ab. 

(2) Die Wirksamkeit der Kontrolle soll durch umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten sichergestellt werden. Diese Schutzmechanismen können nicht als bloße Ordnungsvorschriften verstanden werden. Die Gewährleistung einer „vollumfänglichen“ Kontrolle verständigungsbasierter Urteile setzt umfassende Transparenz des Verständigungsgeschehens in der öffentlichen Hauptverhandlung sowie eine vollständige Dokumentation im Verhandlungsprotokoll voraus. Dementsprechend kommt im Wortlaut der Normen, in der Systematik des Regelungskonzepts und in den Materialien unmissverständlich zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber eine Verständigung nur bei Wahrung der Transparenz- und Dokumentationspflichten für zulässig hält. Das gesetzliche Regelungskonzept ist damit als eine untrennbare Einheit aus Zulassung und inhaltlicher Beschränkung von Verständigungen bei gleichzeitiger Einhegung durch die Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten zu begreifen. Dabei dienen die Verfahrensnormen in gleicher Weise wie die den zulässigen Inhalt von Verständigungen beschränkenden Vorschriften und der Verweis des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO auf § 244 Abs. 2 StPO dem Ziel, die mit einer urteilsbezogenen Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten verbundenen Risiken für die Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess zu minimieren. Die Vorschriften zur Transparenz des Verständigungsgeschehens in der öffentlichen Hauptverhandlung, zu dessen Dokumentation und zur Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle auch durch das Rechtsmittelgericht zählen zum Kern des gesetzlichen Regelungskonzepts. 

(3) Ein Verstoß gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten führt deshalb grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer gleichwohl getroffenen Verständigung. Hält sich das Gericht an eine solche gesetzwidrige Verständigung, wird ein Beruhen des Urteils auf diesem Gesetzesverstoß regelmäßig schon deshalb nicht auszuschließen sein, weil die Verständigung, auf der das Urteil beruht, ihrerseits mit einem Gesetzesverstoß behaftet ist. Diese Auslegung entspricht der Funktion dieser Vorschriften im Konzept des Verständigungsgesetzes. Dass Verstöße gegen die verfahrensrechtlichen Sicherungen der Verständigung nicht den absoluten Revisionsgründen zugeordnet worden sind, steht einer Auslegung des § 337 Abs. 1 StPO nicht entgegen, derzufolge das Revisionsgericht ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten - die nach dem Willen des Gesetzgebers gerade zum Kern des dem Verständigungsgesetz zugrunde liegenden Schutzkonzepts gehören - nur in besonderen Ausnahmefällen wird ausschließen können (vgl. zur Verletzung von § 258 Abs. 2 und 3 StPOBGHSt 21, 288<290>; 22, 278 <280 f.>). 

(4) Kommt eine Verständigung nicht zustande und fehlt es an der gebotenen Negativmitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10 -, wistra 2011, S. 72 f. = StV 2011, S. 72 f.) oder dem vorgeschriebenen Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, wird nach Sinn und Zweck des gesetzlichen Schutzkonzepts ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 257c StPO grundsätzlich ebenfalls nicht auszuschließen sein (str., im Ergebnis wie hier Kirsch, StraFo 2010, S. 96 <100>; Schlothauer, StV 2011, S. 205 <206>; in der Tendenz auch Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <390>; anders BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2010 - 1 StR 400/10 -, NStZ 2011, S. 592 <593> zu § 243 Abs. 4 StPO), sofern nicht ausnahmsweise zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011 - 32 Ss 87/11 -, juris, Rn. 11, 13). Bei einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten wird sich nämlich in den meisten Fällen nicht sicher ausschließen lassen, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige „informelle“ Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht.

e) Aus der in § 257c Abs. 4 StPO getroffenen Regelung ergibt sich zwar einerseits, dass das Gericht (nur) an eine nach den Vorgaben des Gesetzes entsprechende Verständigung grundsätzlich gebunden ist. Andererseits stellt die Regelung zugleich klar, dass die Bindungswirkung entfällt, wenn das Gericht nach Zustandekommen der Verständigung zu der Überzeugung gelangt, dass der nach § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht (mehr) tat- und schuldangemessen ist. Die Bestimmung des § 257c Abs. 4 StPO ist somit Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, die richterliche Überzeugungsbildung unangetastet zu lassen. Mit dem Verwertungsverbot des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO ist dort zudem eine dem Schutz des Angeklagten dienende Vorschrift enthalten, der im Vertrauen auf den Bestand einer Verständigung ein Geständnis abgegeben und damit von seinem Recht, sich nicht zur Sache einzulassen, keinen Gebrauch gemacht und der Verurteilung eine Grundlage verschafft hat. Mit dem Ziel, dem Angeklagten überhaupt eine autonome Entscheidung über das für ihn mit einer Mitwirkung an einer Verständigung verbundene Risiko zu ermöglichen, sieht schließlich § 257c Abs. 5 StPO vor, dass der Angeklagte vor der Verständigung über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis zu belehren ist. Hiermit wollte der Gesetzgeber die Fairness des Verständigungsverfahrens sichern und - wie sein Hinweis auf das Ziel der Ermöglichung einer autonomen Einschätzung (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 15) bestätigt - zugleich die Autonomie des Angeklagten im weiten Umfang schützen. Der Angeklagte sieht sich durch die Aussicht, mit der Verständigung eine das Gericht bindende Zusage einer Strafobergrenze zu erreichen und so Einfluss auf den Verfahrensausgang zu nehmen, einer besonderen Anreiz- und Verlockungssituation ausgesetzt. Der hiermit einhergehenden Gefährdung der Selbstbelastungsfreiheit soll unter anderem durch die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO Rechnung getragen werden. Bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht wird daher im Rahmen der revisionsgerichtlichen Prüfung regelmäßig davon auszugehen sein, dass das Geständnis und damit auch das Urteil auf dem Unterlassen der Belehrung beruht. Ein Beruhen wird nur dann verneint werden können, wenn sich feststellen lässt, dass der Angeklagte das Geständnis auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte (vgl. zu dem in seiner Bedeutung für die Selbstbelastungsfreiheit ähnlich gelagerten Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPOBGHSt 38, 214<226 f.>). Nur so ist gewährleistet, dass die Schutzfunktion der Belehrungspflicht ihre vorgesehene Wirkung entfaltet. 

2. Das Verständigungsgesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dieses schließt Verständigungen im Strafprozess nicht schlechthin aus (a). Der Gesetzgeber hat ausreichende Vorkehrungen getroffen, um zu gewährleisten, dass sich Verständigungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Strafverfahren halten (b).

a) Verständigungen im Strafprozess berühren die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Strafverfahren (aa), der Gesetzgeber ist aber nicht gehindert, Verständigungen mit den zur Sicherung der Verfassungsmäßigkeit gebotenen Vorkehrungen zuzulassen (bb). 
aa) Der Strafprozess hat das Schuldprinzip zu verwirklichen und darf sich von dem ihm vorgegebenen Ziel der bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit und der Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch ein unabhängiges und neutrales Gericht nicht entfernen. Das Fehlen eines nicht an den sachlichen Verfahrenszielen orientierten eigenen Interesses des Gerichts am Verfahrensausgang bildet im Zusammenwirken mit seiner Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) die Grundlage für die bestmögliche Ermittlung des wahren Sachverhaltes und die richtige Anwendung des materiellen Rechts auf den festgestellten Sachverhalt. Dabei trägt das Gebot einer schuldangemessenen Bestrafung auch im Einzelfall dem Verlangen nach Rechtsgleichheit als einem der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate Rechnung. Das Maß der verwirklichten Schuld legitimiert die Differenzierung in den Rechtsfolgen und sichert so zugleich die gebotene Gleichbehandlung der Beschuldigten im Strafverfahren. 
(1) Das verfassungsrechtliche Schuldprinzip steht nicht zur Disposition des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 123, 267 <413>). Dies schließt es nicht aus, den Strafverfolgungsbehörden Möglichkeiten zu einem Absehen von der Strafverfolgung zu eröffnen, namentlich in Fällen geringfügiger Kriminalität, in denen der Rechtsfrieden nicht ernsthaft beeinträchtigt und eine Kriminalstrafe zum Schuldausgleich nicht zwingend geboten ist, so dass ein öffentliches Interesse an einem Schuldspruch nicht besteht oder durch die Erfüllung von Auflagen oder/und Weisungen beseitigt werden kann. Solche Ausnahmen dürfen die Geltungskraft des Schuldprinzips nicht in Frage stellen und bedürfen stets einer gesetzlichen Regelung, wie sie der Gesetzgeber etwa in den §§ 153 ff. StPO getroffen hat. Als Ausnahmen von der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs sind sie fest zu umgrenzen und bedürfen jeweils einer eigenständigen Legitimation (vgl. zu Beschränkungen der Sachverhaltsaufklärung BVerfGE 33, 367 <382 f.>; 46, 214 <222 f.>; 49, 24 <54>; 51, 324 <344>; 129, 208 <260>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2000 - 1 BvR 77/96 -, NStZ 2001, S. 43 <44>). 

(2) Als unerlässliche Voraussetzung der Verwirklichung des Schuldprinzips unterliegt auch die Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit nicht der Disposition des Gesetzgebers. Sie ist das bestimmende Ziel, von dem sich der Strafprozess nicht entfernen darf. Allerdings ist es Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln er die Verwirklichung des Schuldprinzips gewährleistet. Es ist dem Gesetzgeber auch nicht versagt, unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze für Fälle einfach gelagerter und eindeutiger Sachverhalte - etwa bei einer sich mit den Ermittlungsergebnissen deckenden geständigen Einlassung schon im Ermittlungsverfahren oder bei einem auf frischer Tat angetroffenen Beschuldigten - ein vereinfachtes Verfahren zur Gewinnung der richterlichen Überzeugung von Schuld oder Unschuld des Angeschuldigten und der hieraus zu ziehenden Folgen ohne das Erfordernis einer öffentlichen Hauptverhandlung mit ihrer formalisierten Beweisaufnahme einzurichten, wie es die Strafprozessordnung mit dem Strafbefehlsverfahren gemäß § 407 Abs. 1 und 2 StPO vorsieht (vgl. dazu Gössel, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2009, Vor § 407 Rn. 25 f. m.w.N.). Ermöglichen es die in der Akte befindlichen Unterlagen und Beweismittel dem Richter, sich die Überzeugung von der Richtigkeit des dem Angeschuldigten zur Last gelegten Sachverhalts zu bilden, ist eine öffentliche Hauptverhandlung zur Gewinnung einer tragfähigen Grundlage für die Schuldfeststellung, die rechtliche Beurteilung und die Strafzumessung von Verfassungs wegen nicht zwingend geboten, sofern es der Angeschuldigte in der Hand hat, durch einfache Erklärung die Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung zu erzwingen (vgl. BVerfGE 25, 158 <164 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Februar 1995 - 2 BvR 1950/94 -, NJW 1995, S. 2545 <2546> und vom 4. Juli 2002 - 2 BvR 2168/00 -, NJW 2002, S. 3534 m.w.N.). 
(3) Das im Grundgesetz verankerte Schuldprinzip und die mit ihm verbundene Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit sowie der Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, die Unschuldsvermutung und die Neutralitätspflicht des Gerichts schließen es jedoch aus, die Handhabung der Wahrheitserforschung, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafzumessung in der Hauptverhandlung, die letztlich mit einem Urteil zur Schuldfrage abschließen soll, zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Dem Gericht muss es untersagt bleiben, im Wege vertragsähnlicher Vereinbarungen mit den Verfahrensbeteiligten über die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit zu verfügen und sich von dem Gebot schuldangemessenen Strafens zu lösen. Es ist Gericht und Staatsanwaltschaft untersagt, sich auf einen „Vergleich“ im Gewande des Urteils, auf einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ einzulassen (vgl. schon BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 <2663>) und mit dem Angeklagten einen bestimmten Schuldspruch oder auch nur eine konkrete Strafe zu vereinbaren. Der Rechtsanwendungspraxis ist es untersagt, das vom Gesetzgeber normierte Strafverfahren in einer Weise zu gestalten, die auf solche vertragsähnliche Erledigungsformen hinausläuft. 

Demgegenüber steht das Grundgesetz unverbindlichen Erörterungen der Beurteilung der Sach- und Rechtslage zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten nicht entgegen. Eine offene, kommunikative Verhandlungsführung kann der Verfahrensförderung dienlich sein und ist daher heute selbstverständliche Anforderung an eine sachgerechte Prozessleitung. So begegnen etwa Rechtsgespräche und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Solche Formen der kommunikativen Verhandlungsführung stellen insbesondere nicht die Unvoreingenommenheit des Gerichts in Frage, solange sie transparent bleiben und kein Verfahrensbeteiligter hiervon ausgeschlossen ist. 

bb) Verständigungen zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Hauptverhandlung, die dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine Strafobergrenze zusagen und eine Strafuntergrenze ankündigen, tragen das Risiko in sich, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in vollem Umfang beachtet werden. Gleichwohl ist es dem Gesetzgeber in Anbetracht seiner Gestaltungsmacht von Verfassungs wegen nicht schlechthin verwehrt, zur Verfahrensvereinfachung Verständigungen zuzulassen. Er muss jedoch zugleich durch hinreichende Vorkehrungen sicherstellen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen gewahrt bleiben. Die Wirksamkeit der vorgesehenen Schutzmechanismen hat der Gesetzgeber fortwährend zu überprüfen. Ergibt sich, dass sie unvollständig oder ungeeignet sind, hat er insoweit nachzubessern und erforderlichenfalls seine Entscheidung für die Zulässigkeit strafprozessualer Absprachen zu revidieren (vgl. BVerfGE 110, 141 <158> m.w.N.). 

b) Das Verständigungsgesetz sichert die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in ausreichender Weise. 

aa) Nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO dürfen Gegenstand einer Verständigung nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrunde liegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO schließt den Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung als Gegenstand einer Verständigung aus. Das Verständigungsgesetz entbindet das Gericht auch nicht von der Beachtung der Strafzumessungsregeln, wenn es in § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO das Gericht ermächtigt, bei der Bekanntgabe des möglichen Inhalts einer Verständigung unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe anzugeben. Damit sind nicht nur, wie vom Schuldgrundsatz gefordert, Verständigungen über den Schuldspruch wirksam ausgeschlossen, sondern es ist auch sichergestellt, dass die aus dem Gebot schuldangemessenen Strafens folgenden Grundsätze der Strafzumessung nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten stehen. Dem Gericht ist es nicht gestattet, im Wege der Verständigung seine Wertungen an die Stelle derjenigen des Strafgesetzgebers zu setzen. Dabei ist zu beachten, dass eine maßgebliche Bedeutung insoweit den gesetzlichen Strafrahmen zukommt, die mit ihren nach Straftat und Strafhöhe gestaffelten Sanktionen die Abstufung der verschiedenen Straftaten nach ihrem Unrechtsgehalt erst zum Ausdruck bringen (vgl. BVerfGE 27, 18 <29>). Tatbestand und Rechtsfolge sind wechselseitig aufeinander bezogen und müssen - gemessen an der Idee der Gerechtigkeit - sachgerecht aufeinander abgestimmt sein. Einerseits richtet sich die Strafhöhe nach dem normativ festgelegten Wert des verletzten Rechtsgutes und der Schuld des Täters. Andererseits lässt sich das Gewicht einer Straftat, der ihr in der verbindlichen Wertung des Gesetzgebers beigemessene Unwertgehalt, in aller Regel erst aus der Höhe der angedrohten Strafe entnehmen. Insofern ist auch die Strafandrohung für die Charakterisierung, Bewertung und Auslegung des Straftatbestandes von entscheidender Bedeutung (BVerfGE 25, 269 <286>; 27, 18 <29>). Erst von einer differenzierenden Bewertung des Unwertgehaltes der verschiedenen Straftaten her wird die Abstufung der strafrechtlichen Sanktionen verständlich und sachlich gerechtfertigt (BVerfGE 27, 18 <29>). Innerhalb eines Deliktstypus kommt die differenzierende Bewertung des Unwertgehaltes vor allem durch Qualifikations- und Privilegierungstatbestände zum Ausdruck. Aber auch die Sonderstrafrahmen für besonders schwere und minder schwere Fälle nehmen an dieser Abstufung teil, auch wenn es sich hierbei nach überwiegender Auffassung um Strafzumessungsregeln handelt (Nachweise siehe oben unter B. II. 1. b) bb)). Diese Regelungstechnik ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt (vgl. BVerfGK 14, 177 <182>). Wenn er jedoch mit der Einführung solcher Sonderstrafrahmen zum Ausdruck gebracht hat, eine Differenzierung schon bei der Strafandrohung für erforderlich zu halten, ist diese Bewertung für die Rechtsanwendung bindend. 

bb) Das Verständigungsgesetz wahrt den Schuldgrundsatz auch insoweit, als eine Verfahrensverkürzung um den Preis der Erforschung der materiellen Wahrheit ausgeschlossen ist. Wie dargestellt, enthebt die Möglichkeit einer Verständigung das Gericht nicht von der Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen. Ein Geständnis darf nicht zur „Handelsware“ werden und kann als Grundlage der Zusage einer Strafobergrenze nur akzeptiert werden, wenn es - aus sich heraus oder aufgrund der Beantwortung von Fragen - überprüfbar ist. Das im Zusammenhang mit der Zusage einer Strafobergrenze abgegebene Geständnis in der - die Grundlage der richterlichen Überzeugung über Schuld oder Unschuld und die daran zu knüpfenden Folgen bildenden - Hauptverhandlung ist auf seine Richtigkeit zu überprüfen, denn eine solche Zusage kann den Angeklagten zur Abgabe eines (teilweise) falschen Geständnisses veranlassen. 

cc) Mit den Bestimmungen zum Entfallen der Bindung des Gerichts an eine Verständigung (§ 257c Abs. 4 StPO) hat der Gesetzgeber ferner die aus dem Schuldprinzip, der Pflicht des Gerichts zur Erforschung der materiellen Wahrheit und seiner Neutralitätspflicht sowie der Unschuldsvermutung zu ziehenden Konsequenzen für die Grenzen der richterlichen Selbstbindung an gegebene Zusagen konkretisiert. Es ist gewährleistet, dass die der Verständigung beigemessene Bindung entfällt, wenn sich im Laufe der Hauptverhandlung der in Aussicht gestellte eingegrenzte Strafrahmen als nicht (mehr) tat- oder schuldangemessen erweist. 

dd) Der insbesondere im Grundsatz der Verfahrensfairness verankerten Forderung, dass der Angeklagte autonom darüber entscheiden kann, ob er den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit aufgibt, sich auf eine Verständigung einlässt und mit einem Geständnis sich seines Schweigerechts begibt, genügt das Verständigungsgesetz ebenfalls. Das Strafverfahrensrecht trägt dem Anliegen, die Entscheidungsfreiheit des Angeklagten zu wahren, bereits generell in allen Verfahrensstadien Rechnung. So haben Belehrungspflichten sowie die Freiheit von Willensentschließung und Willensbetätigung in den allgemeinen Vorschriften der §§ 136, 136a StPO und - beispielsweise - für das Ermittlungsverfahren in § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO sowie für die Hauptverhandlung in § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO ihren Niederschlag gefunden. Wenn diese Sicherungen schon bei der Entscheidungsfindung über allgemeines Aussageverhalten greifen, so haben sie eine umso größere Bedeutung, wenn es um die Frage eines Schuldeingeständnisses geht, vor allem in der für eine Verständigung typischen Anreiz- und Verlockungssituation (vgl. oben B. II. 1. e)). Vor diesem Hintergrund kommt der in § 257c Abs. 5 StPOvorgesehenen Belehrung über die Reichweite der Bindungswirkung und die Folgen eines Scheiterns der Verständigung besondere Bedeutung zu, der auch revisionsrechtlich Rechnung zu tragen ist. 

Von ebenso hohem Gewicht ist, dass der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit es dem Gericht verbietet, dem Angeklagten eine geständnisbedingte Strafmilderung in Aussicht zu stellen, mit der es den Boden schuldangemessenen Strafens verließe. Der Angeklagte darf infolgedessen nicht durch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Vorteilsversprechen, aber auch nicht durch Täuschung oder Drohung zu einem Geständnis gedrängt werden. Letzteres hat in § 136a StPO bereits seinen Ausdruck gefunden (vgl. BVerfG, Vorprüfungsausschuss, Beschluss vom 19. Oktober 1983 - 2 BvR 859/83 -, NStZ 1984, S. 82; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 <2663>). Erst recht greift dieses Schutzgebot zugunsten eines Angeklagten, mit dessen Geständnis in der Hauptverhandlung der Ausgang des Verfahrens steht oder fällt. 
ee) Das Verständigungsgesetz trifft umfangreiche Vorkehrungen dahin, dass das maßgebliche Verständigungsgeschehen in die Hauptverhandlung einbezogen und dokumentiert wird, und gibt mit der in § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO vorgesehenen Abhängigkeit der Verständigung von der Zustimmung der Staatsanwaltschaft dieser ein Mittel zur Wahrung rechtsstaatlicher Standards in die Hand, zu der die effektiv zu handhabende Überprüfung durch Rechtsmittel hinzutritt (vgl. oben B. II. 1. d)). Der Gesetzgeber begegnet damit der mit der Möglichkeit der Verfahrensverkürzung durch eine Verständigung einhergehenden Gefahr einer Motivationsverschiebung bei dem erkennenden Gericht und trägt dem mit der Zusage einer wesentlichen Strafmilderung für den Fall eines Geständnisses verbundenen Anreiz für den Angeklagten Rechnung, ein (teilweise) falsches Geständnis abzulegen. Zugleich wirkt er dem Risiko entgegen, dass sich ein möglicher Interessengleichlauf von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung zum Nachteil des Angeklagten auswirkt. Die verfahrensrechtlichen Sicherungen lassen jedenfalls in ihrem Zusammenwirken erwarten, dass die mit Verständigungen verbundenen rechtsstaatlichen Risiken beherrscht werden. Dabei kann unentschieden bleiben, ob bestimmte Vorkehrungen von Verfassungs wegen unverzichtbar sind, solange ein ausreichendes Gewährleistungsniveau verwirklicht wird. 

ff) Schließlich hat der Gesetzgeber eindeutig entschieden, dass auf das Strafurteil bezogene „informelle“ Absprachen unzulässig sind. Ausweislich des § 257c Abs. 1 StPO sind Verständigungen über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens nur nach Maßgabe der folgenden Absätze zulässig. Intransparente, unkontrollierbare „Deals“ sind im Strafprozess wegen der mit ihnen verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Prinzips des fairen Verfahrens bereits von Verfassungs wegen untersagt, und der Gesetzgeber hat derartige Vorgehensweisen in unmissverständlicher Weise verworfen. 

3. Der in erheblichem Maße defizitäre Vollzug des Verständigungsgesetzes führt derzeit nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung. 

a) Die repräsentative empirische Erhebung von Prof. Dr. Altenhain, die Anhörung der Auskunftspersonen in der mündlichen Verhandlung, aber auch die schriftlichen Stellungnahmen zu den Verfassungsbeschwerden und die vorliegende obergerichtliche Rechtsprechung zeigen zwar, dass Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verteidigung in einer hohen Zahl von Fällen die gesetzlichen Vorgaben missachten und die Rechtsmittelgerichte der ihnen zugewiesenen Aufgabe der Kontrolle der Verständigungspraxis nicht immer in genügendem Maße nachgekommen sind. Aus diesem empirischen Befund kann jedoch derzeit noch nicht auf ein in der Norm selbst angelegtes und daher zu deren Verfassungswidrigkeit führendes Versagen der zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Vorgaben normierten Schutzmechanismen geschlossen werden. 

b) Eine gesetzliche Regelung, gegen die in der Rechtsanwendungspraxis in verfassungswidriger Weise verstoßen wird, verletzt nur dann auch selbst das Grundgesetz, wenn die verfassungswidrige Praxis auf die Vorschrift selbst zurückzuführen, mithin Ausdruck eines strukturbedingt zu dieser Praxis führenden normativen Regelungsdefizits ist. Ein solches Defizit kann im vorliegenden Zusammenhang nicht schon darin gesehen werden, dass der Gesetzgeber urteilsbezogene Verständigungen, welche sich durch ihre Grundstruktur für die Verwirklichung des Schuldprinzips als gefährlich erweisen, überhaupt gestattet hat. Dies ließe unberücksichtigt, dass er ihre Zulassung an umfangreiche flankierende Schutzmechanismen gekoppelt hat, die die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess sicherstellen sollen (vgl. auch BVerfGE 81, 123 <129 f.>; 83, 24 <31>; 118, 212 <231 f.>). Verfassungswidrig wäre das gesetzliche Regelungskonzept nur, wenn die vorgesehenen Schutzmechanismen in einer Weise lückenhaft oder sonst unzureichend wären, die eine gegen das Grundgesetz verstoßende „informelle“ Absprachepraxis fördert, das Vollzugsdefizit also durch die Struktur der Norm determiniert wäre. 

c) Ein strukturelles Regelungsdefizit kann gegenwärtig nicht festgestellt werden. Die Gründe für den erheblichen, keineswegs auf Einzelfälle beschränkten Vollzugsmangel sind vielschichtig und finden sich nach gegenwärtiger Erkenntnis nicht in einer Schutzlücke der gesetzlichen Regelung. Die gesetzliche Regelung traf auf Rahmenbedingungen, die von immer komplexer werdenden Lebenssachverhalten, einer stetigen Ausweitung des materiellen Strafrechts sowie immer differenzierteren Anforderungen an den Ablauf des Strafverfahrens geprägt sind, und hatte die schwierige Aufgabe, eine zuvor über drei Jahrzehnte in der Praxis entstandene und dort längst verfestigte Entwicklung in geordnete Bahnen zu lenken. Im Vergleich zu der lang andauernden und - wie auch die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zeigt - immer weiter um sich greifenden Praxis jedenfalls gesetzlich nicht geregelter Absprachen ist der Zeitraum der bisherigen Geltungsdauer der gesetzlichen Schutzmechanismen noch sehr kurz, was dafür spricht, dass die Durchsetzung der strikt umgrenzten und stark formalisierten Verständigungsform entsprechend dem gesetzlichen Regelungskonzept noch nicht abgeschlossen ist und insbesondere die hohe Bedeutung der Schutzmechanismen von der Praxis noch nicht vollständig verinnerlicht wurde. Hierfür spricht auch, dass in der Literatur Stellungnahmen anzutreffen sind, die dahin verstanden werden können, dass die gesetzliche Regelung nicht abschließend sei und die Schutzmechanismen insbesondere des § 273 Abs. 1a und des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht für „informelle“ Vorgehensweisen außerhalb der Vorgaben des § 257c StPO gälten (vgl. etwa Peglau, jurisPR-StrafR 4/2012 Anm. 1; Niemöller, StV 2012, S. 387 <388 f.>; ders., in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 273 Rn. 16, § 302 Rn. 5; Bittmann, wistra 2009, S. 414 <416>; Kirsch, StraFo 2010, S. 96 <101>). Hinzu kommt die nicht selten anzutreffende Bewertung gerade der Schutzmechanismen als „praxisuntauglich“, welche die Sicherung der verfassungsrechtlichen Vorgaben als zentrale Aufgabenstellung des Strafverfahrensrechts übergeht. Dies verkennt, dass im Rechtsstaat des Grundgesetzes das Recht die Praxis bestimmt und nicht die Praxis das Recht. 
d) Weder das Ergebnis der empirischen Erhebung noch die in den Verfassungsbeschwerdeverfahren abgegebenen Stellungnahmen zwingen zu der Annahme, dass es strukturelle Mängel des gesetzlichen Regelungskonzepts sind, die zu dem bisherigen Vollzugsdefizit geführt haben könnten. Als Hauptgrund für die Nichtbeachtung der gesetzlichen Regelungen wird in der empirischen Untersuchung vielmehr eine „fehlende Praxistauglichkeit“ der Vorschriften genannt. Dabei werden als praxisuntauglich oftmals die Begrenzung des zulässigen Inhalts von Verständigungen, die Transparenz- und Dokumentationspflichten - hier vor allem das Negativattest des § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO - sowie das Verbot eines Rechtsmittelverzichts angeführt, also gerade diejenigen Vorschriften, die die Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben gewährleisten sollen. So gaben viele Verteidiger in der Befragung an, die gesetzliche Regelung widerspreche dem „Wesen des Deals“; dieser sei informell. Auch dies spricht für ein bisher nur unzureichend ausgeprägtes Bewusstsein, dass es Verständigungen ohne die Einhaltung der Anforderungen des Verständigungsgesetzes nicht geben darf. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung stützen daher nicht die Annahme eines im gesetzlichen Regelungskonzept verankerten strukturellen Defizits, sondern sprechen für interessengeleitete Missverständnisse und Bestrebungen, die gesetzliche Regelung wegen ihrer - als unpraktisch empfundenen - Schutzmechanismen zu umgehen. 

4. Auch wenn derzeit aus dem defizitären Vollzug des Verständigungsgesetzes nicht auf eine Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung geschlossen werden kann, muss der Gesetzgeber die weitere Entwicklung sorgfältig im Auge behalten. Sollte sich die gerichtliche Praxis weiterhin in erheblichem Umfang über die gesetzlichen Regelungen hinwegsetzen und sollten die materiellen und prozeduralen Vorkehrungen des Verständigungsgesetzes nicht ausreichen, um das festgestellte Vollzugsdefizit zu beseitigen und dadurch die an eine Verständigung im Strafverfahren zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen, muss der Gesetzgeber der Fehlentwicklung durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken (vgl. zu Beobachtungs- und Nachbesserungspflichten des Gesetzgebers BVerfGE 25, 1 <12 f.>; 49, 89 <130>; 95, 267 <314>; 110, 141 <158, 166>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. November 2009 - 1 BvR 213/08 -, GRUR 2010, S. 332 <334>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Januar 2011 - 1 BvR 3222/09 -, NJW 2011, S. 1578 <1582>). Unterbliebe dies, träte ein verfassungswidriger Zustand ein. 

5. Das Normgefüge des Verständigungsgesetzes gestattet nach der hier zugrunde gelegten Auslegung des einfachen Rechts keine Verfahrensweise im Strafprozess, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben widerspräche. Die durch das Verständigungsgesetz eingeführten Vorschriften sind deshalb weder für unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären noch besteht Anlass, sie im Wege einer verfassungskonformen Auslegung einzugrenzen. Damit ist der Anwendungsbereich von § 79 BVerfGGnicht eröffnet. 

III.  

Die mit den Verfassungsbeschwerden angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen sind mit den Vorgaben des Grundgesetzes für eine Verständigung im Strafprozess nicht zu vereinbaren. 

1. Die von den Beschwerdeführern zu I. und II. angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts München II und des Bundesgerichtshofs verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und verstoßen gegen die Selbstbelastungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Im Anschluss an die in beiden Fällen unterbliebene Belehrung der Angeklagten über die Voraussetzungen und Folgen des Wegfalls der Bindung an eine Verständigung (§ 257c Abs. 5 StPO) hat der Bundesgerichtshof im Rahmen der Prüfung, ob die Urteile des Landgerichts München II auf dem Gesetzesverstoß beruhen, die grundlegende Bedeutung der Belehrungspflicht nach § 257c Abs. 5 StPOfür die Fairness des Verfahrens und die Selbstbelastungsfreiheit verkannt. 

a) Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist. Die Belehrungspflicht verliert nicht deshalb an Bedeutung oder wird gar obsolet, weil eine Lösung des Gerichts von der Verständigung nach § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO das infolge der Verständigung abgegebene Geständnis unverwertbar macht. Denn die Belehrung hat sicherzustellen, dass der Angeklagte vor dem Eingehen einer Verständigung, deren Bestandteil das Geständnis ist, vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung an der Verständigung informiert ist (vgl. auch Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 16/12310, S. 15). Nur so ist gewährleistet, dass er autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verweigern, (weiterhin) Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt. 

Zwar muss der Angeklagte unabhängig von der Möglichkeit einer Verständigung darüber befinden, ob und gegebenenfalls wie er sich zur Sache einlässt. Mit der Aussicht auf eine Verständigung wird jedoch eine verfahrensrechtliche Situation geschaffen, in der es dem Angeklagten in die Hand gegeben wird, durch sein Verhalten spezifischen Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses zu nehmen. Anders als in einer nach der herkömmlichen Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung kann er nämlich mit einem Geständnis die das Gericht grundsätzlich bindende Zusage einer Strafobergrenze und damit Sicherheit über den Ausgang des Verfahrens erreichen. Damit ist aus der Perspektive des Angeklagten das Festhalten an der Freiheit von Selbstbelastung nur noch um den Preis der Aufgabe der Gelegenheit zu einer das Gericht bindenden Verständigung und damit einer (vermeintlich) sicheren Strafobergrenze zu erlangen. Die Erwartung der Bindung des Gerichts bildet dementsprechend Anlass und Grundlage der Entscheidung des Angeklagten über sein prozessuales Mitwirken; damit entsteht eine wesentlich stärkere Anreiz- und Verführungssituation als es - mangels Erwartung einer festen Strafobergrenze - etwa in der Situation von § 136 Abs. 1 oder § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO der Fall ist. Der Angeklagte muss deshalb wissen, dass die Bindung keine absolute ist, sondern unter bestimmten Voraussetzungen - die er ebenfalls kennen muss - entfällt. Nur so ist es ihm möglich, Tragweite und Risiken der Mitwirkung an einer Verständigung autonom einzuschätzen. Die in § 257c Abs. 5 StPO verankerte Belehrungspflicht ist aus diesem Grund keine bloße Ordnungsvorschrift, sondern eine zentrale rechtsstaatliche Sicherung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und der Selbstbelastungsfreiheit. 

b) Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs verkennen diese besondere Funktion des § 257c Abs. 5 StPO. Eine Verständigung ohne vorherige Belehrung nach dieser Vorschrift verletzt den Angeklagten grundsätzlich in seinem Recht auf ein faires Verfahren und in seiner Selbstbelastungsfreiheit. Bleibt die unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht zustande gekommene Verständigung bestehen und fließt das auf der Verständigung basierende Geständnis in das Urteil ein, beruht dieses auf der mit dem Verstoß einhergehenden Grundrechtsverletzung, es sei denn eine Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis kann ausgeschlossen werden, weil der Angeklagte dieses auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte. Hierzu müssen vom Revisionsgericht konkrete Feststellungen getroffen werden. Soweit der Bundesgerichtshof in beiden Fällen damit argumentiert, dass ein Entfallen der Bindung des Gerichts an die Verständigung nach § 257c Abs. 4 StPO nicht eingetreten sei, führt dies im Hinblick auf die Frage, ob die Urteile gerade wegen der Verwertung des nach einem Belehrungsmangel abgegebenen Geständnisses auf einer Verletzung der Autonomie des Angeklagten beruhen, nicht weiter. Wenn der Bundesgerichtshof im Fall der Beschwerdeführer zu II. ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO darüber hinaus mit der Erwägung verneint, konkrete, fallbezogene Gründe, die für die auch nur entfernte Möglichkeit sprächen, dass sich der aufgezeigte Verfahrensmangel auf das Prozessverhalten der Angeklagten ausgewirkt haben könnte, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, verkennt er die grundlegende Bedeutung des § 257c Abs. 5 StPO für den Grundsatz des fairen Verfahrens und die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten. Es ist nicht auszuschließen, dass der Bundesgerichtshof bei Anwendung des oben genannten Maßstabs in beiden Fällen zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Aus diesem Grund sind die angegriffenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs aufzuheben und die Sachen an diesen zurückzuverweisen. 

2. Die von dem Beschwerdeführer zu III. angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts Berlin und des Bundesgerichtshofs verletzen den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG

a) Das Urteil des Landgerichts Berlin verstößt schon deshalb gegen den verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz und die darin verankerte Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit, weil das Landgericht ein unter weitgehender Weigerung, Fragen zu beantworten, abgegebenes inhaltsleeres Formalgeständnis als Grundlage einer Verurteilung akzeptiert hat, ohne es - abgesehen von einer, dann auch beantworteten Frage zum Mitführen und Ladezustand der Dienstwaffen - durch eine weitere, auf eigenständige Spezifizierung seitens des Angeklagten zielende Beweiserhebung in der Hauptverhandlung zu überprüfen. Ein Geständnis, das sich in einer Bezugnahme auf die Anklage erschöpft, ist als Grundlage einer Verständigung bereits deshalb ungeeignet, weil es keine Grundlage für eine Überprüfung seiner Glaubhaftigkeit (§ 257c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO) bietet. Darüber hinaus beruht das angegriffene Urteil auf einer Verständigung, die infolge der Kopplung eines Geständnisses „im Sinne der Anklage“ an den Verzicht auf die Stellung von Beweisanträgen „zur Schuldfrage“ unzulässig über den Schuldspruch disponiert und zudem eine Strafrahmenverschiebung zum Gegenstand hat. Deshalb stellt sich das Urteil als ein vom Grundgesetz untersagter „Handel mit der Gerechtigkeit“ dar. 
Hinzu kommt, dass dieser „Handel mit der Gerechtigkeit“ auf einer verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbaren Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit des Beschwerdeführers beruht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob für den Fall einer Verurteilung ohne vorherige Verständigung für jede der beiden angeklagten schweren Raubtaten eine Mindeststrafe von drei Jahren in Aussicht gestellt wurde - so die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden der Strafkammer im Revisionsverfahren - oder ob eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren im Raum stand, wie der Beschwerdeführer vorträgt. Entscheidend ist die vor dem Gebot schuldangemessenen Strafens nicht zu rechtfertigende Spannweite zwischen der zugesagten Strafobergrenze für den Fall einer Verständigung auf der einen Seite und der für den Fall einer Verurteilung in einer nach herkömmlicher Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung im Raum stehenden Straferwartung auf der anderen Seite. Die Frage, wann die Grenze zu einer verfassungswidrigen Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit überschritten ist, entzieht sich zwar einer exakten mathematischen Berechnung. Im vorliegenden Fall ist diese Grenze jedoch deutlich überschritten, nachdem eine schon für sich gesehen übermäßige Differenz zwischen den beiden Strafgrenzen noch zusätzlich mit der Zusage einer Strafaussetzung zur Bewährung verbunden wurde, die überhaupt nur aufgrund der ebenfalls zugesagten Strafrahmenverschiebung zu einem minder schweren Fall (§ 250 Abs. 3 StGB) möglich war. 

b) Das Urteil des Landgerichts Berlin ist aus diesen Gründen aufzuheben; gleiches gilt für den Beschluss des Bundesgerichtshofs, mit dem die Grundrechtsverletzung perpetuiert worden ist. Die Sache ist an das Landgericht Berlin zurückzuverweisen. 

C. 

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG.
 

Tenor

Die einstweilige Anordnung vom 21. Juni 2012 wird für die Dauer von sechs Monaten, längstens jedoch bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, wiederholt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 126/98 Verkündet am:
10. August 2000
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Stich den Buben
MarkenG §§ 2, 127; UWG §§ 1, 3; WeinVO § 39 Abs. 1 Nr. 2

a) Der Name einer im Verkehr bekannten (Weinbergs-)Lage kann - auch ohne
die weinbezeichnungsrechtlich vorgesehene Beifügung einer Ortsbezeichnung
(§ 39 Abs. 1 Nr. 2 WeinVO) - eine (mittelbare) geographische Herkunftsangabe
darstellen.

b) Wird eine geographische Herkunftsangabe oder eine der Herkunftsangabe
ähnliche Bezeichnung als Firmenbestandteil verwendet, so liegt allein darin
noch keine Benutzung "für Waren" im Sinne von § 127 MarkenG. Ein wettbewerbsrechtlicher
Schutz vor unlauterer bzw. irreführender Verwendung ei-
ner geographischen Herkunftsangabe kann sich in einem solchen Fall aber
aus §§ 1, 3 UWG ergeben (§ 2 MarkenG).

c) Unabhängig von einer Irreführung kommt jedenfalls bei mittelbaren Herkunftsangaben
in Betracht, daß die Benutzung als Bestandteil der Firma eines
einzelnen Unternehmens zu einer individuellen Behinderung (§ 1 UWG)
derjenigen Wettbewerber führt, die die Herkunftsangabe (ebenfalls) berechtigt
als Hinweis auf ein bestimmtes geographisches Gebiet verwenden. Insbesondere
kann die Kennzeichnungskraft einer geographischen Herkunftsangabe
dadurch beeinträchtigt werden, daß sie in anderer Weise (hier als
Unternehmenskennzeichen) benutzt und dadurch ihre Funktion, als Hinweis
auf die Herkunft aus einem bestimmten geographischen Gebiet zu dienen,
gefährdet wird. Eine Benutzung als Firmenbestandteil kann zudem infolge
Verkehrsverwirrung den Werbewert der geographischen Herkunftsangabe
empfindlich schwächen und die Gefahr einer Umwandlung in einen betrieblichen
Herkunftshinweis begründen.

d) Zu der Frage, ob der Verkehr aufgrund einer Verwendung des Bestandteils
"Winzerhaus" in der Firma einer Winzergenossenschaft über den Charakter
des Unternehmens als ein weinanbauendes Einzelunternehmen irregeführt
wird, wenn nur die Mitglieder der Genossenschaft über Rebflächen verfügen
und die Genossenschaft den Wein ihrer Mitglieder ausbaut und vertreibt.

e) Zu der weiteren Frage, ob beachtliche Teile des Verkehrs aufgrund einer
Benutzung des Firmenbestandteils "Hans StichdenBuben" über den ausschließlichen
Vertrieb von Weinen aus der im Verkehr bekannten Lage
"Stich den Buben" sowie über einen Alleinbesitz der so firmierenden Winzergenossenschaft
an dieser Lage getäuscht werden, wenn die Genossen-
schaft überwiegend, aber nicht ausschließlich Wein aus der Lage "Stich den
Buben" vertreibt und die Lage weder im Alleinbesitz der Genossenschaft
noch dem ihrer Mitglieder steht.
BGH, Urteil vom 10. August 2000 - I ZR 126/98 - OLG Karlsruhe
LG Karlsruhe
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann
und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Starck, Pokrant und Dr. Büscher

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 8. April 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Kläger betreibt in Baden-Baden ein Weingut. Zu seinem Grundbesitz gehören Flurstücke in der im Verkehr bekannten Lage "Stich den Buben".
Die Beklagte ist eine Winzergenossenschaft mit Sitz in Baden-Baden. Ihr gehören Winzer aus den Gemarkungen Steinbach und Umweg an. Ein Großteil der Rebflächen der Lage "Stich den Buben" steht im Eigentum dieser Mitglieder. Die Beklagte selbst verfügt nicht über Rebflächen. Sie befaßt sich mit dem Ausbau und Vertrieb von Wein ihrer Mitglieder, der vorwiegend aus
der Lage "Stich den Buben", aber auch aus anderen Lagen stammt. Seit 1936 benutzt die Beklagte für Weine die Bezeichnung "Stich den Buben". Im Jahre 1959 wurde für die Beklagte das Wort-/Bildzeichen "Stich den Buben" als Warenzeichen eingetragen. Seit 1996 firmiert sie mit "Winzerhaus Hans StichdenBuben eG".
Der Kläger hat die neue Firma der Beklagten als wettbewerbswidrig beanstandet. Hierzu hat er vorgetragen, der Firmenbestandteil "Winzerhaus" vermittle dem Verkehr den irreführenden Eindruck, er habe es mit einem Einzelunternehmen zu tun, das sich nicht nur mit dem Vertrieb, sondern auch mit dem Anbau von Wein befasse.
Darüber hinaus hat sich der Kläger gegen die Verwendung des weiteren Namensbestandteils "Hans StichdenBuben" gewandt. Er hat die Ansicht vertreten , die Benutzung des Firmenbestandteils "StichdenBuben" sei irreführend, weil die Beklagte auch Weine aus anderen Lagen ausbaue und unter dieser Firma vertreibe. Dadurch werde bei diesen Weinen eine tatsächlich nicht bestehende Verbindung zur Lage "Stich den Buben" hergestellt. Darüber hinaus erwecke die Firma der Beklagten die unzutreffende Vorstellung, die Lage stehe im Alleinbesitz der Beklagten bzw. nur die Beklagte vertreibe Wein aus dieser Lage.
Der Kläger hat beantragt,
der Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr zur Kennzeichnung ihres Unternehmens die Bezeichnung "Winzerhaus Hans StichdenBuben" zu benutzen und unter dieser Firmenbezeichnung im Geschäftsverkehr sonst tätig zu werden.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat die Ansicht vertreten, ihre Firma sei weder irreführend noch verstoße sie gegen § 1 UWG.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und dabei die Unterlassungsanordnung auf die (vollständige) Firmenbezeichnung "Winzerhaus Hans StichdenBuben eG" (unter Einschluß des Rechtsformzusatzes eG) erstreckt.
Auf die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen (OLG-Report Karlsruhe 1998, 418, nur Leitsatz

).


Mit seiner Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Ein Verstoß gegen § 3 UWG liege nicht vor. Der Gebrauch einer Unternehmenskennzeichnung könne zwar irreführend sein, wenn sie geeignet sei, beim Verkehr unzutreffende Vorstellungen über die geschäftlichen Verhältnisse des Unternehmens hervorzurufen. Davon könne im Streitfall aber nicht ausgegangen werden.
Die angesprochenen Verkehrskreise - Endverbraucher und Wiederverkäufer aus dem Einzelhandel oder der Gastronomie - gingen aufgrund der an-
gegriffenen Firma, die in der Berufungsinstanz ausschließlich in ihrer vollständigen Form, also mit Rechtsformzusatz (eG), zu beurteilen sei, nicht davon aus, es mit dem Betrieb eines selbst vermarktenden Winzers zu tun zu haben. Eine solche Vorstellung scheide schon deshalb aus, weil dem Verkehr die Bedeutung der Abkürzung "eG" bekannt sei. Auch wenn - was nahe liege - das Publikum die Firma der Beklagten abkürze, komme es nicht zu der behaupteten Fehlvorstellung. Der Begriff "Winzerhaus" deute nach dem Verkehrsverständnis nicht auf den Betrieb eines einzelnen Winzers hin. Bislang sei es nicht üblich, daß sich weinproduzierende Unternehmen des Begriffs "Winzerhaus" als Bestandteil der Firma oder in der Werbung bedienten. Der angesprochene Verkehr orientiere sich daher am sprachlichen Sinn des Wortes sowie seiner Bestandteile und an dem Zusammenhang, in dem es benutzt werde. Sofern der Begriff, der nicht zur Umgangssprache gehöre, zur Kennzeichnung eines Unternehmens gebraucht werde, bringe der Verkehr ihn mit der Erzeugung und Vermarktung von Wein in Verbindung, wobei er bei einem Handelsunternehmen , das sich als "Haus" bezeichne, von einem vollkaufmännischen Geschäft größeren Umfangs ausgehe. Darüber hinaus sei das Publikum seit langem daran gewöhnt, daß der Begriff "Winzer" in der Firma eines weinvertreibenden Unternehmens auf einen Zusammenschluß von Weinproduzenten hinweise.
In der aufgrund der verwendeten Bezeichnung "Winzer" bestehenden Erwartung, daß sich die Beklagte jedenfalls weit überwiegend mit der Herstellung von Wein aus eigenem Anbau befasse, werde der Verkehr nicht enttäuscht , weil die Beklagte unstreitig nur solchen Wein ausbaue und abfülle, der von ihren Mitgliedern stamme. Dies rechtfertige nach den einschlägigen EGVerordnungen die Bezeichnung der Weine als "Erzeugerabfüllung" und die Aufnahme des Begriffs "Winzer" (in der Mehrzahl) in die Firmenbezeichnung,
zumal die Verbraucher seit langem mit der Existenz von Winzergenossenschaften vertraut seien.
Die angegriffene Firma sei auch nicht aufgrund des Bestandteils "Hans StichdenBuben" irreführend. Fehlvorstellungen über die geographische Herkunft der von der Beklagten vertriebenen Weine würden nicht erweckt. Zwar gehe ein nicht unbeträchtlicher Teil der angesprochenen Interessenten aufgrund der Ä hnlichkeit mit der bekannten Lage "Stich den Buben" von einer Herkunftsangabe aus. Denkbar sei auch, daß ein Teil der Interessenten daraus den Schluß ziehe, das Sortiment der Beklagten umfasse im wesentlichen Wein aus der betreffenden Lage. Darin liege jedoch keine Irreführung, da der weit überwiegende Teil der Weine der Beklagten unstreitig aus Trauben der Lage "Stich den Buben" hergestellt werde. Die Auffassung des Landgerichts, wonach der Verkehr annehme, sämtliche Weine der Beklagten stammten aus dieser Lage, finde weder im Vortrag der Parteien noch in der Lebenserfahrung eine Grundlage.
Eine Irreführung werde auch nicht dadurch begründet, daß die Beklagte auch Weine aus anderen Lagen ausbaue und vermarkte. Selbst wenn dies zur Irreführung des Verkehrs führen könne, rechtfertige dies nicht die beantragte Untersagung einer Benutzung der Firma schlechthin. Allenfalls käme ein - vom Kläger jedoch nicht erstrebtes - Verbot, Wein aus anderen Lagen unter der angegriffenen Firma auf den Markt zu bringen, in Betracht. Darüber hinaus erwecke nicht jede Nennung der Firma auf einem Etikett - unabhängig von der sonstigen Ausgestaltung des Etiketts - beim Verkehr den Eindruck, der Wein stamme aus der Lage "Stich den Buben". Denn der Interessent, der die Lagebezeichnung erkenne, wisse ausnahmslos, daß es auch andere Weinlagen gebe und in welcher Form auf diese üblicherweise hingewiesen werde. Der
Kläger habe nicht unter Beweis gestellt, daß die Beklagte Weine, die nicht aus der Lage "Stich den Buben" stammten, ohne Orts- oder Lagebezeichnung vertreibe.
Der beanstandete Firmenbestandteil "Hans StichdenBuben" begründe schließlich auch keine - unzutreffende - Alleinstellungsbehauptung. Soweit der Verkehr mit Lagenamen eine Vorstellung verbinde, sei ihm geläufig, daß es zahlreiche Lagen gebe, die nicht im Alleinbesitz eines Winzers oder eines Zusammenschlusses von Winzern stünden. Dies gelte auch, wenn ein oder mehrere Hersteller einen auf diese Lage hinweisenden Firmenbestandteil führten.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung auf der bislang festgestellten Tatsachengrundlage nicht in allen Punkten stand. Die Angriffe der Revision führen zur Aufhebung und Zurückverweisung.
1. Ohne Erfolg wendet sich die Revision allerdings dagegen, daß das Berufungsgericht die Gefahr einer Irreführung des Verkehrs durch Verwendung des Firmenbestandteils "Winzerhaus" verneint hat.
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Gebrauch eines Unternehmenskennzeichens irreführend sein kann, wenn ein Firmenbestandteil oder -zusatz geeignet ist, beim Verkehr unzutreffende Vorstellungen über die geschäftlichen Verhältnisse des Unternehmens hervorzurufen (st. Rspr.; vgl. BGHZ 53, 339, 343 - Euro-Spirituosen; BGH, Urt. v. 10.3.1961 - I ZR 142/59, GRUR 1961, 425, 426 = WRP 1961, 188 - Möbelhaus des Handwerks; Urt. v. 7.6.1996 - I ZR 103/94, GRUR 1996, 802 = WRP 1996, 1032 - Klinik; Urt. v. 16.1.1997 - I ZR 225/94, GRUR 1997, 669 = WRP 1997, 731 - Euromint). Zu Recht hat es dabei den Unterlassungsanspruch in erster
Linie nach § 3 UWG beurteilt, weil aus den gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Weinbezeichnungsvorschriften unmittelbar wettbewerbsrechtliche Ansprüche nicht herzuleiten sind (vgl. BGH, Urt. v. 20.10.1999 - I ZR 86/97, WRP 2000, 628, 629 = MarkenR 2000, 175, 176 - Lorch Premium). Daran hat sich durch die seit dem 1. August 2000 geltende Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 des Rates über die Gemeinsame Marktorganisation für Wein vom 7. Mai 1999 (ABl. L Nr. 179, S. 1, im folgenden: GMO), die in erster Linie eine flexiblere Ausgestaltung der bislang geltenden marktordnenden Regeln bezweckt und für den Bereich des Weinbezeichnungsrechts - in Abkehr vom bisherigen Verbotsprinzip - eine Öffnung auch für nicht ausdrücklich zugelassene Angaben vorsieht (vgl. Hieronimi, WRP 2000, 458), nichts geändert.

a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erweckt der Bestandteil "Winzerhaus" in der Firma der Beklagten nicht den unzutreffenden Eindruck eines von einer Einzelperson betriebenen privaten Weingutes. Diese Beurteilung des Verkehrsverständnisses läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
aa) Entgegen der Ansicht der Revision steht die Feststellung des Berufungsgerichts , daß der Begriff "Winzerhaus" kein Wort der Umgangssprache, sondern eine Wortzusammensetzung sei, die im üblichen Sprachgebrauch so nicht vorkomme, nicht im Widerspruch zu seinen weiteren Ausführungen, wonach Anhaltspunkte dafür fehlten, daß die Bezeichnung anders als in dem "gewohnten Sinne" verstanden werde.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß sich ein üblicher Gebrauch der Wortzusammensetzung "Winzerhaus" als Unternehmenskennzeichnung nicht feststellen lasse und sich die Vorstellung des Publikums in einem solchen Fall am sprachlichen Sinn des Wortes und seiner Bestandteile
sowie an dem Zusammenhang, in dem es benutzt werde, orientiere. In bezug auf den Wortbestandteil "Haus" hat es angenommen, der Verkehr habe sich seit langem daran gewöhnt, daß dieser Begriff von Unternehmen mit einer gewissen (örtlichen) Bedeutung beansprucht werde. Hinsichtlich des Bestandteils "Winzer" hat das Berufungsgericht festgestellt, daß diese Bezeichnung häufig in Unternehmenskennzeichen einer Gemeinschaft von zusammengeschlossenen Weinproduzenten ("Winzergenossenschaft", "Winzerkeller") vorkomme. Im Zusammenhang mit diesen - unbeanstandeten - Tatsachenfeststellungen zum Verkehrsverständnis der Wortbestandteile "Winzer" und "Haus" hat das Berufungsgericht weiter ausgeführt, die Wortkombination werde nicht anders als in dem gewohnten Sinne der Einzelbegriffe verstanden. Dies widerspricht weder Denkgesetzen noch der Lebenserfahrung.
Begegnet dem Verkehr - wie vom Berufungsgericht unangegriffen festgestellt - die im Singular und Plural identische Berufsbezeichnung "Winzer" in Unternehmenskennzeichen in Wortzusammensetzungen, die auf einen Zusammenschluß mehrerer Winzer hindeuten ("Winzergenossenschaft", "Winzerkeller" ), so liegt es nicht fern, daß er auch bei der Wortkombination "Winzerhaus" eher an eine Vereinigung mehrerer Winzer als an das Unternehmen eines einzelnen Angehörigen dieser Berufsgruppe erinnert wird. Dafür spricht auch, daß für den landwirtschaftlichen Betrieb eines einzelnen Winzers die Bezeichnung "Weingut" gebräuchlich ist (vgl. BayObLG GRUR 1972, 659; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 21. Aufl., § 3 UWG Rdn. 386; Koch, Weinrecht, 4. Aufl., Stand: Oktober 1999, Stichwort "Weingut", Ziff. 3.3.1) und der Firmenbestandteil "Haus" nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jedenfalls traditionell von Unternehmen mit gewisser (örtlicher) Bedeutung verwendet wird (vgl. BGH, Urt. v. 6.7.1979 - I ZR 96/77, GRUR 1980, 60, 61 - 10 Häuser erwarten Sie; Urt. v. 10.2.1982 - I ZR 65/80, GRUR 1982, 491, 492
- Möbel-Haus; BayObLG BB 1990, 2357; Baumbach/Hefermehl aaO § 3 UWG Rdn. 376; Bokelmann, Firmen- und Geschäftsbezeichnungen, 4. Aufl. 1997, Rdn. 182 a, 205 f.).
bb) Soweit der Wortbestandteil "Winzer" auf Weinerzeugnisse "aus eigenem Anbau" hindeutet, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, daß es nach der durch die Existenz von Winzergenossenschaften mitgeprägten Vorstellung des Publikums genügt, wenn die Inhaber bzw. Mitglieder des Unternehmens den eigenen Weinanbau betreiben. Dies stand - worauf sich das Berufungsgericht zutreffend berufen hat - in Einklang mit der Regelung in Art. 5 Abs. 3 VO (EWG) Nr. 3201/90 der Kommission über Durchführungsbestimmungen für die Bezeichnung und Aufmachung der Weine und der Traubenmoste vom 16. Oktober 1990 (ABl. Nr. L 309, S. 1; zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1470/1999 vom 5. Juli 1999, ABl. Nr. L 170, S. 16), die eine Verwendung der Bezeichnung "Winzer" (in der Mehrzahl) im Firmennamen einer Vereinigung von Weinbaubetrieben oder einer Personenvereinigung ausdrücklich gestattete, wenn der von dem Unternehmen angebotene Wein - wie vorliegend - ausschließlich aus Trauben gewonnen wurde, die aus Weinbergen der Mitglieder stammten (vgl. jetzt zum - fakultativen - Hinweis über die Abfüllung in einem Zusammenschluß von Weinbaubetrieben: Anh. VII, Abschn. B Nr. 1 Buchst. b GMO). Dementsprechend durfte die Beklagte, wie die Revision nicht in Zweifel zieht, ihre Weine nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der vorbezeichneten Verordnung i.V. mit Art. 2 Abs. 3 Buchst. f, Art. 11 Abs. 2 Buchst. q WeinbezeichnungsVO auch als Erzeugerabfüllung bezeichnen. Was aber das Weinbezeichnungsrecht erlaubt, ist wettbewerbsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden (vgl. Koch aaO Stichwort "Irreführungsverbot", Ziff. 4.4, S. 13, m.w.N.; Stichwort "Bezeichnungsrecht", Ziff. 3.2.1, S. 8; vgl. hierzu auch v. Gamm, GRUR 1984, 165, 168).

Die gegenteilige Ansicht des Landgerichts, der Begriff "Winzerhaus" weise auf die Tätigkeit eines einzelnen, mit der Weinerzeugung von der Arbeit am Weinberg bis zur Kellerverarbeitung befaßten Winzers hin, läßt erkennbar außer acht, daß die in Rede stehende Bezeichnung nicht in Alleinstellung, sondern lediglich als Teil einer aus weiteren Elementen bestehenden Unternehmenskennzeichnung benutzt wird. Seine Annahme, der Zusatz "eG" sei nicht geeignet, Fehlvorstellungen des Verkehrs über die Unternehmensstruktur zu verhindern, entbehrt einer Begründung und erweist sich zudem als erfahrungswidrig. Die von der Revision insoweit erhobene Rüge, die Ansicht des Berufungsgerichts, wonach der Zusatz "eG" klarstellend wirke, sei unzutreffend , geht fehl. Das Berufungsgericht hat ausführlich dargelegt, daß der Zusatz "eG" dem angesprochenen Verkehr als Abkürzung für "eingetragene Genossenschaft" bekannt sei und deshalb irrtumsausschließend wirke. Dies steht auch, worauf die Revisionserwiderung zutreffend hinweist, mit der in § 3 Abs. 2 GenG (jetzt § 3 Abs. 1 GenG) zum Ausdruck gelangten gesetzgeberischen Wertung in Einklang, wonach die aufklärenden Rechtsformzusätze "eG" und "eingetragene Genossenschaft" einander gleichgestellt sind.
cc) Ebensowenig ist aus Rechtsgründen zu beanstanden, daß das Berufungsgericht die vom Kläger dargelegten und durch einen Zeitungsbericht über die Umfirmierung untermauerten Beweggründe der Beklagten für ihre Umbenennung für unbeachtlich gehalten hat. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt es für die Beurteilung der angegriffenen Firma als irreführend allein darauf an, welche Vorstellungen sie hervorruft und ob dieser Eindruck mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Unerheblich ist demgegenüber , welchen Eindruck der Unternehmensinhaber mit der Firmenwahl zu erzeugen beabsichtigt. Die nach dem Vorbringen des Klägers bestehende Ab-
sicht der Beklagten, mit ihrer Firma den Eindruck eines privaten Weinguts hervorzurufen , stellt noch kein ausreichendes Indiz dafür dar, daß die neue Firma diesen Eindruck auch tatsächlich erweckt.

b) Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe die erforderlichen Feststellungen zum Verkehrsverständnis des Firmenbestandteils "Winzerhaus" nicht aus eigener Sachkunde und Lebenserfahrung treffen dürfen, hat keinen Erfolg.
Die Beurteilung der Verkehrsauffassung aus eigener Sachkunde setzt u.a. voraus, daß es sich bei dem verwendeten Begriff um einen solchen handelt , dessen Verständnis in einem bestimmten Sinn einfach und naheliegend ist, und daß keine Gründe vorliegen, die Zweifel an dem vom Gericht angenommenen Verkehrsverständnis wecken (vgl. BGH, Urt. v. 11.5.1983 - I ZR 64/81, GRUR 1984, 467, 468 = WRP 1984, 62 - Das unmögliche Möbelhaus ; Urt. v. 17.10.1984 - I ZR 187/82, GRUR 1985, 140, 141 = WRP 1985, 72 - Größtes Teppichhaus der Welt; Urt. v. 19.1.1995 - I ZR 197/92, GRUR 1995, 354, 357 = WRP 1995, 398 - Rügenwalder Teewurst II; Urt. v. 17.6.1999 - I ZR 149/97, GRUR 2000, 239, 240 = WRP 2000, 92 - Last-Minute-Reise). Diese Annahme liegt um so näher, wenn die Richter selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören und sich die Angabe auf Gegenstände des allgemeinen Bedarfs bezieht. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen ist das Berufungsgericht bei der Beurteilung des Verkehrsverständnisses betreffend den Firmenbestandteil "Winzerhaus" rechtsfehlerfrei ausgegangen.
aa) Zu Unrecht macht die Revision geltend, die Mitglieder des Berufungsgerichts repräsentierten nicht uneingeschränkt den angesprochenen Verkehr , so daß ihnen im Hinblick darauf die für die Beurteilung des Streitfalls er-
forderliche Sachkunde fehle. Auch wenn zu den beteiligten Verkehrskreisen nach den zutreffenden und unbeanstandet gebliebenen Ausführungen des Berufungsgerichts nicht nur Endverbraucher, sondern auch Wiederverkäufer aus dem Bereich des Einzelhandels und der Gastronomie gehören und diese ferner nicht immer über überragende, Irrtümer von vornherein ausschließende Kenntnisse verfügen sollten, war das Berufungsgericht dadurch nicht an eigenen Feststellungen gehindert. Denn es ist nicht ersichtlich, daß sich das Verständnis dieser nicht mit Sonderwissen ausgestatteten Zwischenhändler von dem der Gruppe der Endverbraucher, zu der die Mitglieder des Berufungsgerichts zählen, unterscheidet.
bb) Soweit die Revision auf Entscheidungen verschiedener Instanzgerichte verweist, die bei der Beurteilung des Verkehrsverständnisses zu scheinbar abweichenden Ergebnissen gelangt sind, verkennt sie, daß den angeführten Urteilen der Landgerichte Hamburg ("Winzer Martin's Weindepot") und Baden -Baden (Firmenbestandteil "Winzerhaus" ohne den Zusatz "eG") andere Sachverhalte und Klageanträge zugrunde gelegen haben. Dies steht einer Übertragung auf den Streitfall entgegen. Aus gleichen Gründen mußte das Berufungsgericht auch dem Vorbringen des Klägers zur Beurteilung einer Umbenennung der "Zentralkellerei der badischen Winzergenossenschaften" in "Badischer Winzerkeller" nicht weiter nachgehen.
2. Mit Recht wendet sich die Revision aber dagegen, daß das Berufungsgericht auch den Firmenbestandteil "Hans StichdenBuben" als wettbewerbsrechtlich unbedenklich beurteilt hat. Die bisherigen Feststellungen hierzu vermögen die Abweisung der Klage nicht in jeder Hinsicht zu rechtfertigen.

a) Dem Berufungsgericht kann allerdings darin beigetreten werden, daß der Bestandteil "Hans StichdenBuben" in der Firma der Beklagten nicht den irreführenden Eindruck hervorruft, die Beklagte vertreibe ausnahmslos Weine, die aus in der Lage "Stich den Buben" gewonnenen Trauben hergestellt werden.
aa) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß es sich bei dem Firmenbestandteil "Hans StichdenBuben" um eine (mittelbare) geographische Herkunftsangabe handelt, die auf die Lage "Stich den Buben" im Baden-Badener Rebland hinweist.
Auch Personenbezeichnungen - wie hier der Name "Hans StichdenBuben" des Leibkochs des Markgrafen zu Baden, dem der Markgraf nach dem unstreitigen Parteivorbringen im 15. Jahrhundert Rebflächen zu Lehen überlassen hatte - können im Verkehr Hinweis auf eine bestimmte geographische Herkunft sein (vgl. BGH, Urt. v. 9.4.1987 - I ZR 201/84, GRUR 1987, 535 = WRP 1987, 625 - Wodka Woronoff; Klaka in: Althammer/Ströbele/Klaka, MarkenG, 5. Aufl., § 126 Rdn. 11). So verhält es sich hier.
Das Berufungsgericht hat unangegriffen festgestellt, daß "Stich den Buben" eine im Verkehr bekannte Lage bezeichnet und der Verkehr diese Lagebezeichnung aufgrund der Ä hnlichkeit der Wortzeichen in dem Firmenbestandteil "Hans StichdenBuben" wiedererkennt.
Eine Lage ist eine bestimmte Rebfläche (Einzellage) oder die Zusammenfassung solcher Flächen (Großlage), aus deren Erträgen gleichwertige Weine gleichartiger Geschmacksrichtungen hergestellt zu werden pflegen und die in einer Gemeinde oder in mehreren Gemeinden desselben bestimmten
Anbaugebietes belegen sind (§ 2 Nr. 22 WeinG 1994). Danach stellt die auf eine bestimmte Rebfläche bezogene Lagebezeichnung (hier: "Stich den Buben" ) eine geographische Herkunftsangabe dar (vgl. § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a WeinG 1994).
Dem steht nicht entgegen, daß nach § 39 Abs. 1 Nr. 2 WeinVO (i.d.F. v. 28.8.1998, BGBl. I, 2609) dem Namen der Lage der entsprechende Name der Gemeinde oder des Ortsteils hinzuzufügen ist, wenn er zur Bezeichnung eines Qualitätsweins b.A. verwendet wird. Denn diese Rechtslage schließt es nicht aus, daß der Verkehr einen Lagenamen auch ohne Ortsangabe als eine ihm geläufige Lagebezeichnung identifiziert oder aus anderen Gründen ohne unmittelbaren örtlichen Bezug als geographischen Herkunftshinweis auffaßt (vgl. EuGH, Urt. v. 25.2.1981 - 56/80, GRUR 1981, 430, 431 - Schloßdoktor/Klosterdoktor ; BGH, Urt. v. 30.10.1981 - I ZR 149/77, GRUR 1982, 423, 424 - Schloßdoktor /Klosterdoktor; Beschl. v. 28.9.1979 - I ZB 2/78, GRUR 1980, 173, 174 - FÜRSTENTHALER). Die Revision hat sich hiergegen auch nicht gewandt.
bb) Es begegnet auch keinen rechtlichen Bedenken, daß das Berufungsgericht den Firmenbestandteil "Hans StichdenBuben" unter dem Gesichtspunkt des Vertriebes von Weinen aus anderen Lagen nach § 3 UWG beurteilt hat.
(1) Ein wettbewerbsrechtlicher Schutz von Mitbewerbern läßt sich auch hinsichtlich der hier in Rede stehenden geographischen Herkunftsangabe nicht aus den gemeinschaftsrechtlichen oder nationalen Bestimmungen des Weinbezeichnungsrechts herleiten (vgl. Koch aaO Stichwort "Irreführungsverbot", Ziff. 4.4, S. 13 a.E.). Zwar findet der Begriff der Lage als "Name einer kleineren geographischen Einheit als der Mitgliedstaat" auch im Gemeinschaftsrecht
Niederschlag (vgl. Art. 51 Abs. 1, 1. Spiegelstrich GMO). Die nähere Ausgestaltung des Rechts der Lagebezeichnungen bleibt aber - bei weitem Spielraum - den nationalen Rechtsetzungsakten der Mitgliedstaaten überlassen (vgl. Koch aaO Stichwort "Lage", Ziff. 3.1, S. 5). So kann etwa die Bezeichnung von Qualitätsweinen b.A. "nach Maßgabe der Vorschriften des Erzeugermitgliedstaats" um die Angabe einer geographischen Einheit, die kleiner ist als das bestimmte Anbaugebiet, also um eine Lage (vgl. Hieronimi, WRP 2000, 458, 463), ergänzt werden (vgl. Anh. VII Abschn. B Nr. 1 Buchst. c, 1. Spiegelstrich GMO; zur Rechtslage bis zum 1. August 2000: Art. 11 Abs. 2 Buchst. l, Art. 13 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 2392/89 v. 24. Juli 1989). Soweit die gegenüber dem allgemeinen Irreführungsschutz nach § 3 UWG spezielleren Regelungen des Weinbezeichnungsrechts, wie in Art. 48 GMO (früher Art. 40 VO (EWG) Nr. 2392/89 v. 24. Juli 1989) und - auf nationaler Ebene - § 25 WeinG 1994, Irreführungsverbote enthalten, sind diese zivilrechtlich nicht sanktioniert und unterstellen grundsätzlich keine strengeren Anforderungen als das Irreführungsverbot nach § 3 UWG (Koch aaO Stichwort "Irreführungsverbot", Ziff. 4.4, S. 13 m.w.N.). Die Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates vom 14. Juli 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (ABl. Nr. L 208, S. 1) findet nach der ausdrücklichen Regelung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 auf - hier allein in Rede stehende - Weinbauerzeugnisse keine Anwendung.
(2) Ebensowenig werden die Bestimmungen des UWG vorliegend durch vorrangige Regelungen aus dem Markengesetz verdrängt.
Zwar hat der wettbewerbsrechtlich begründete Schutz der geographischen Herkunftsangabe im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes durch die Bestimmungen der §§ 126 ff. des zum 1. Januar 1995 in Kraft getretenen
Markengesetzes eine sondergesetzliche Ausgestaltung erfahren (vgl. BGHZ 139, 138, 139 - Warsteiner II; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, Vor §§ 126-139, Rdn. 2). Dies bedeutet, daß die genannten Vorschriften grundsätzlich als leges speciales gegenüber den Regelungen der §§ 1, 3 UWG anzusehen sind. Allerdings können, wie sich § 2 MarkenG entnehmen läßt, die Vorschriften der §§ 1, 3 UWG weiterhin ergänzend für Sachverhalte herangezogen werden, die nicht unter §§ 126 ff. MarkenG fallen. So liegt es hier.
Gemäß § 128 Abs. 1 i.V. mit § 127 Abs. 1 MarkenG ist zur Unterlassung verpflichtet, wer geographische Herkunftsangaben im geschäftlichen Verkehr für Waren benutzt, die nicht aus dem Ort stammen, der durch die geographische Herkunftsangabe bezeichnet wird, wenn bei der Benutzung für Waren anderer Herkunft eine Gefahr der Irreführung über die geographische Herkunft besteht. Im Streitfall geht es jedoch nicht um eine Benutzung der geographischen Herkunftsangabe "Stich den Buben" bzw. der ähnlichen Bezeichnung (vgl. § 127 Abs. 4 Nr. 1 MarkenG) "Hans StichdenBuben" für Waren, sondern um eine Verwendung in der Firma der Beklagten. Darüber hinaus ist das generell formulierte Begehren des Klägers auf Unterlassung einer Benutzung der Firma nicht (nur) im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Waren anderer Herkunft gerichtet; vielmehr wendet sich der Kläger - wenn auch mit Blick auf den Vertrieb von Weinen anderer Herkunft - gegen eine Benutzung des Firmenbestandteils schlechthin. Dieser Fall wird von § 127 Abs. 1 MarkenG nicht erfaßt.
Entsprechendes gilt auch für die Regelung des § 127 Abs. 2 MarkenG, die qualifizierte Herkunftsangaben zum Gegenstand hat. Zwar gewährt diese Bestimmung einen Irreführungsschutz auch im Zusammenhang mit der Benutzung für Waren derselben Herkunft, wenn diese nicht bestimmte Eigenschaften oder eine bestimmte Qualität aufweisen (vgl. Reinhard, Die geographische
Herkunftsangabe nach dem Markengesetz, 1999, S. 95; Klaka in: Althammer /Ströbele/Klaka aaO § 127 Rdn. 2). Ebenso wie § 127 Abs. 1 MarkenG verlangt sie aber eine Benutzung der geographischen Herkunftsangabe für Waren. Daran fehlt es im Streitfall, weil der angegriffene Firmenbestandteil nicht stets sowie allenfalls mittelbar "für Waren", d.h. warenkennzeichnend oder -beschreibend, gebraucht wird. Ist aber - wie im Streitfall - der Anwendungsbereich des § 127 Abs. 1 und 2 MarkenG nicht betroffen, so bestehen gegen eine ergänzende Heranziehung von §§ 1, 3 UWG keine durchgreifenden Bedenken (vgl. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12/6581, S. 117; Ingerl/Rohnke aaO Vor §§ 126-139 Rdn. 2). Nichts anderes gilt für den Fall des § 127 Abs. 3 MarkenG.
cc) Dem Berufungsgericht ist auch bei der eigentlichen Prüfung des § 3 UWG unter dem Gesichtspunkt des Vertriebs von Wein aus anderen Lagen kein Rechtsfehler unterlaufen.
Welchen Inhalt ein bestimmter Begriff in seiner konkreten Benutzungsform hat, insbesondere, ob der Verkehr darin einen Hinweis auf das gesamte Sortiment, auf eine besondere Spezialisierung unter Verzicht auf ein breiteres Sortiment oder nur als Hinweis auf einen Teil des Sortiments sieht, unterliegt der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall (vgl. BGH, Urt. v. 2.2.1984 - I ZR 219/81, GRUR 1984, 465, 466 f. - Natursaft; v. Gamm, Wettbewerbsrecht , 5. Aufl. 1987, Bd. 1, Kap. 37 Rdn. 55, Rdn. 87). Im Wirtschaftsleben kommt es nicht selten vor, daß ein Unternehmen in seiner Firma nur auf einen Teil seines Sortiments hinweist, der, sei es historisch, sei es der Abkürzung wegen oder aus sonstigen Gründen, in den Mittelpunkt gerückt wird (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.1976 - I ZR 23/75, GRUR 1977, 159 f. - Ostfriesische Tee Gesell-
schaft; BGH GRUR 1984, 465, 466 f. - Natursaft). Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte wolle aus Sicht des Verkehrs mit dem Firmenbestandteil "Hans StichdenBuben" (lediglich) darauf hinweisen , daß der weit überwiegende Teil ihrer Weine aus dieser Lage stammt, sie sich also im Schwerpunkt mit dem Vertrieb von "Stich den Buben"-Weinen befaßt, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

b) Erfolglos bleiben die Angriffe der Revision auch, soweit sie sich dagegen richten, daß das Berufungsgericht dem Kläger Ansprüche aus § 3 UWG unter dem Gesichtspunkt einer Täuschung des Verkehrs über einen Alleinbesitz der Beklagten bzw. ihrer Mitglieder an der Lage "Stich den Buben" versagt hat.
Die Annahme des Berufungsgerichts, der Verkehr wisse, daß es zahlreiche Lagen gebe, die nicht im Alleinbesitz stünden, und gehe deshalb auch dann, wenn ein Hersteller - wie die Beklagte - einen auf eine bestimmte Lage hinweisenden Firmenbestandteil führe, grundsätzlich davon aus, daß Wein aus derselben Lage von verschiedenen Produzenten vermarktet werden kann, ist weder denkgesetz- noch erfahrungswidrig. Für ihren gegenteiligen Standpunkt, wonach der Verkehr aufgrund des Firmenbestandteils "Hans StichdenBuben" eine Lage im Alleinbesitz der Beklagten oder ihrer Mitglieder annehme, hat die Beklagte keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgebracht.

c) Mit Erfolg rügt die Revision jedoch, das Berufungsgericht habe sich mit dem Vorbringen des Klägers zur Frage einer Monopolisierung der geographischen Lagebezeichnung "Stich den Buben" durch Benutzung einer ähnlichen Bezeichnung als Firmenbestandteil nicht ausreichend auseinandergesetzt. Dieses Vorbringen hätte eine Prüfung nach § 1 UWG unter dem Ge-
sichtspunkt der von § 127 MarkenG nicht erfaßten individuellen Behinderung erfordert.
Nach dem Vortrag des Klägers begründet die Verwendung des Lagenamens als Firmenbestandteil die unmittelbare Gefahr einer Wettbewerbsbeeinträchtigung zu seinen Lasten, weil er in der Lage "Stich den Buben" ebenfalls über Grundbesitz verfügt und Weine aus dieser Lage unter der Lagebezeichnung in Verkehr bringt. Ferner hat er vorgebracht, es liege in seinem Interesse als Wettbewerber, eine Verwässerung des bekannten und berühmten Lagenamens "Stich den Buben" zu verhindern, die dadurch drohe, daß die Beklagte den Qualitätsbegriff im Sinne einer wettbewerbsrechtlich zu beanstandenden Alleinstellung für ihre Handelsfirma verwende und damit (auch) einen Zusammenhang zu Weinen aus anderen, qualitativ nicht vergleichbaren Lagen herstelle.
aa) Nach diesem Vorbringen des Klägers zur Verwendung des Bestandteils "Hans StichdenBuben" in der Firma der Beklagten kommt eine Beeinträchtigung oder Schwächung der Lagebezeichnung "Stich den Buben" in Betracht, die die Prüfung eines Verstoßes gegen § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt einer individuellen Behinderung nahelegt. Denn es kann wettbewerbswidrig sein, die Werbe- und Kennzeichnungskraft einer geographischen Herkunftsangabe dadurch zu beeinträchtigen, daß sie in anderer Weise (hier als Unternehmenskennzeichen) benutzt und dadurch ihre Funktion, als Hinweis auf die Herkunft aus einem bestimmten geographischen Gebiet zu dienen, gefährdet wird. In derartigen Fällen kann vor allem der Werbewert der Herkunftsangabe infolge Verkehrsverwirrung empfindlich geschwächt und die Gefahr der Umwandlung in eine betriebliche Herkunftsangabe begründet werden (vgl. auch Baumbach/Hefermehl aaO § 1 UWG Rdn. 227 f.). Dies kommt jedenfalls
- anders als bei der unmittelbaren - bei der mittelbaren geographischen Herkunftsangabe in Betracht, bei der der Verkehr nicht aus der direkten Benennung eines geographischen Gebietes, sondern erst aufgrund anderer Hinweise auf ein bestimmtes Gebiet schließt.
Geographische Herkunftsangaben, insbesondere Lagebezeichnungen, können für die Vermarktung von aus der bezeichneten Gegend stammenden Produkten, vor allem bei Naturprodukten, von großer Bedeutung und - im Sinne eines preisbildenden Faktors - von hohem Wert sein (vgl. Begr. zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Markenrechts, BT-Drucks. 12/6581, S. 116; Koch aaO Stichwort "Lage", Ziff. 3.1.3.2, S. 8/9). Zwar sind geographische Herkunftsangaben, auch in die Weinbergsrolle eingetragene Lagebezeichnungen, mangels Zuordnung der Kennzeichnung zu einem bestimmten (ausschließlichen) Rechtsträger grundsätzlich nicht mit individuellen Schutz- oder subjektiven Kennzeichenrechten verknüpft (vgl. BVerfGE 51, 193, 215 - Weinbergsrolle; BGHZ 139, 138, 140 - Warsteiner II). Ein wettbewerbsrechtlicher Schutz ergibt sich aber mittelbar aufgrund einer Reflexwirkung des objektiven Rechts in dem Sinne, daß jedes Unternehmen, das Wein aus der bezeichneten Lage herstellt oder vertreibt, in gleichem Maße zur Benutzung der geographischen Herkunftsangabe berechtigt ist. Geographische Herkunftsangaben verkörpern dabei eine Art "kollektiven Goodwill", der allen berechtigten Unternehmen gemeinsam zusteht (Begr. zum Regierungsentwurf, BTDrucks. 12/6581, S. 116). In dieses Gefüge greift ein, wer dazu übergeht, die geographische Herkunftsangabe als Bestandteil in seine Firma zu übernehmen und damit als individuelles Unternehmenskennzeichen zu verwenden. Dabei darf die Möglichkeit eines Wandels der Verkehrsauffassung dahin nicht außer acht gelassen werden, daß der Verkehr die geographische Herkunftsangabe in der Firma der Beklagten eines Tages nur noch als Hinweis auf die betriebliche
Herkunft bzw. auf ein bestimmtes Unternehmen - die Beklagte - versteht (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 17.9.1957 - I ZR 105/56, GRUR 1958, 39, 40 - Rosenheimer Gummimäntel; Urt. v. 26.9.1980 - I ZR 19/78, GRUR 1981, 57, 59 - Jena). Eine derartige Monopolisierung der geographischen Herkunftsangabe müssen die übrigen Beteiligten nicht ohne weiteres hinnehmen. Sie ist vergleichbar mit der Eintragung des Namens einer Lage als Warenzeichen oder Marke, deren Zulässigkeit - auch wenn die Markeneintragung bei Lagen im Alleinbesitz diskutiert und größtenteils befürwortet wird (vgl. BGH, Beschl. v. 3.6.1993 - I ZB 6/91, GRUR 1993, 832, 833 - Piesporter Goldtröpfchen; Beschl. v. 14.5.1992 - I ZB 12/90, GRUR 1993, 43, 44 f. - Römigberg; Beschl. v. 21.1.1982 - I ZB 7/81, GRUR 1983, 440, 441 - Burkheimer Schloßberg) - nach allgemeiner Ansicht jedenfalls bei nicht im Alleinbesitz stehenden Lagen mit Rücksicht auf das hohe Freihaltebedürfnis der übrigen Weinbauunternehmen mit Rebflächen in der bezeichneten Lage abzulehnen ist (vgl. hierzu Haß, GRUR 1980, 87, 89). Zwar verliert selbst eine Ortsangabe, die sich aufgrund ihrer Benutzung durch einen bestimmten Betrieb für diesen durchgesetzt hat, dadurch noch nicht von selbst ihre ursprüngliche Eigenschaft als geographische Angabe (vgl. BGHZ 139, 138, 142 - Warsteiner II, m.w.N.). Es besteht aber grundsätzlich die Gefahr einer Verwässerung der Herkunftsangabe als Lagebezeichnung und - verbunden damit - einer Verkehrsverwirrung, wenn aufgrund der Verwendung als Firmenbestandteil die ursprünglich der Lage entgegengebrachte Wertschätzung nunmehr ganz oder zum Teil auf das mit der Lagebezeichnung firmierende Unternehmen abgeleitet wird.
bb) Das Berufungsgericht hat zur Frage einer individuellen Behinderung nach § 1 UWG durch Benutzung der Lagebezeichnung "Stich den Buben" in der Firma der Beklagten bislang keine Feststellungen getroffen. Mangels einer
ausreichenden Tatsachengrundlage ist der Senat zu einer eigenen Sachentscheidung nicht in der Lage. Das Berufungsgericht wird die erforderlichen Feststellungen im wiedereröffneten Berufungsrechtszug, in dem die Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen haben, nachzuholen haben.
III. Danach war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Erdmann v. Ungern-Sternberg Starck
Pokrant Büscher

1. Es wird festgestellt, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, der Klägerin zu untersagen, in der Etikettierung von Wein die Angabe „Weinbiet 554 N.N.“ zu verwenden, wenn sie im Zusammenhang mit dem weiteren rückseitigen Etikett mit dem Zusatz „Wir leben und arbeiten am Fuße des Weinbiets. Stolz tragen wir den Namen des 554 m hohen Berges, der schützend über uns thront.“ verwendet wird.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte berechtigt ist, der Klägerin zu untersagen, aus der Pfalz stammenden und von der Klägerin abgefüllten Wein unter Angabe des Begriffs „554 N.N. Weinbiet“ auf dem so genannten Vorder- oder Schauetikett in Verkehr zu bringen. Dem liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:

2

Nachdem das Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz, Institut für Lebensmittelchemie Speyer diese Etikettierung als problematisch angesehen hatten, weil der Begriff „Weinbiet“ einen geographischen Bezug habe, wies die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier die Klägerin mit Schriftsatz vom 8. September 2015 im Rahmen einer Anhörung darauf hin, dass der Begriff nach § 23 Weingesetz – WeinG – nicht verwandt werden dürfe; im Hinblick auf den weiteren Verfahrensablauf werde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

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Hierzu vertrat die Klägerin sodann die Auffassung, dass sich aus dem Kontext der von ihr verwandten Etikettierung ergebe, dass sich die streitige Angabe auf die Genossenschaft als den Wein herstellen Betrieb beziehe, aber keine Herkunftsbezeichnung in Bezug auf den Wein darstelle. § 23 WeinG nehme Bezug auf Artikel 120 Absatz 1g der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013, demzufolge bei der Kennzeichnung und Aufmachung von Weinen mit einer geschützten Ursprungsbezeichnung oder einer geschützten geographischen Angabe als fakultative Angaben Namen einer anderen geographischen Einheit, die kleiner oder größer ist als das Gebiet, das der Ursprungsbezeichnung oder geographischen Angabe zugrunde liegt, zulässig seien. Hinsichtlich der danach zulässigen Bezeichnungen sei auf Art. 67 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 607/2009 der Kommission vom 14. Juli 2009 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 479/2008 des Rates hinsichtlich der geschützten Ursprungsbezeichnungen und geographischen Angaben, der traditionellen Begriffe sowie der Kennzeichnung und Aufmachung bestimmter Weinbauerzeugnisse abzustellen, der laute: „Für die Verwendung des Namens einer geographischen Einheit, die kleiner ist als das Gebiet, das der Ursprungsbezeichnung oder geographischen Angabe zugrunde liegt, muss das Gebiet der betreffenden geographischen Einheit genau definiert sein. Die Mitgliedstaaten können Vorschriften für die Verwendung dieser geographischen Einheiten erlassen. Mindestens 85 % der Trauben, aus denen der Wein gewonnen wurde, müssen aus dieser kleineren geographischen Einheit stammen. Die restlichen 15 % der Trauben müssen aus dem abgegrenzten geographischen Gebiet der betreffenden Ursprungsbezeichnung oder geographischen Angabe stammen.“ Die in Absatz 1 der Norm in Bezug genommene Bestimmung des Art. 60 Abs. 1g der Verordnung (EG) Nr. 479/2008 sei zwischenzeitlich wortgleich ersetzt worden durch Artikel 120 Absatz 1g der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013, so dass § 23 WeinG der vorliegend streitigen Angabe nicht entgegenstehe, weil sie nicht auf die Herkunft des Weines, sondern auf den erzeugenden Betrieb verweise.

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Am 12. November 2015 hat die Klägerin sodann Klage erhoben. Sie begehrt unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens die Feststellung, dass der Beklagte nicht berechtigt sei, ihr zu untersagen, in der Etikettierung von Wein die streitige Angabe zu verwenden.

5

Die Angabe erfolge auf dem Schauetikett unter Hinweis auf z.B. „Riesling Classik“. Das rückseitige Etikett enthalte den Zusatz

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„Wir leben und arbeiten am Fuße des Weinbiets. Stolz tragen wir den Namen des 554 m hohen Berges, der schützend über uns thront.“

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und einen Hinweis, dass es sich um eine Erzeugerabfüllung der Winzergenossenschaft ... eG handele, außerdem wird dort das Wort „Pfalz“ verwandt.

8

Bei der vorliegend streitigen Angabe gehe es um eine Angabe zum Betrieb der Klägerin, die als Winzergenossenschaft ihren Sitz in A... habe, das am Fuße des Weinbiets, eines 554 m hohen Berges, auf dem kein Wein angebaut werde, liege. Bei dieser Angabe handele es sich nicht um eine Herkunftsangabe im geographischen Sinne zur Herkunft der Trauben oder des Weins. Insoweit müsse der Begriff „Weinbiet“ im Zusammenhang mit der weiteren Etikettierung gesehen werden, die eindeutig auf die Winzergenossenschaft Weinbiet hinweise, nicht aber isoliert betrachtet werden. Von daher bestehe auch keine Irreführungsgefahr. Hinzu komme, dass die Grafik mit der Angabe „Weinbiet 554 N.N.“ beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 30 2015 217 171 als Wort-/Bildmarke eingetragen sei.

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Soweit der Beklagte auf Art. 93 Abs. 1b der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 Bezug nehme, sei diese Norm nicht einschlägig, denn nicht jede Angabe, die einen geographischen Bezug herstelle, stelle eine geographische Angabe im Sinne der Verordnung dar. Insoweit werde auf den Schlussantrag des Generalanwalts Jacobs vom 25. Mai 2000 in der EuGH-Rechtssache C-312/98, Rn. 2, verwiesen.

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Im Übrigen müsse gesehen werden, dass die Winzergenossenschaft „Deutsches Weintor“ in ihren Schauetiketten stets nur die Angabe „Deutsches Weintor“ führe, ohne dass jemand auf die Idee komme, dass das fragliche Erzeugnis aus der unmittelbaren Umgebung des an der deutsch-französischen Grenze gelegenen Bauwerks „Deutsches Weintor“ stamme. Ebenso verhalte es sich bei Weinen, die unter den Angaben „ODINSTAL“ und „FORSTER“ vermarktet würden, und bei Sekten der Sektkellereien, „Schloss Wachenheim“, „Schloss Koblenz“ und „Schloss Vollrads“.

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Die Klägerin beantragt,

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festzustellen, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, der Klägerin zu untersagen, in der Etikettierung von Wein die Angabe „Weinbiet 554 N.N.“ zu verwenden, insbesondere dann nicht, wenn sie im Zusammenhang mit dem dargestellten weiteren Etikett verwendet wird.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte ist der Auffassung, dass der Begriff „Weinbiet“ eine geographische Angabe im weinrechtlichen Sinne sei, denn darunter fielen nach Art. 93 Abs. 1b der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 Namen einer Gegend, eines bestimmten Ortes oder in Ausnahmefällen eines Landes, die zur Bezeichnung eines Erzeugnisses dienten, auf das diese Verordnung Anwendung finde. Von daher werde ein direkter Bezug auf den gleichnamigen Berg hergestellt. Nicht durch den Verordnungsgeber geschützte geographische Angaben dürften in der Etikettierung nur unter den Voraussetzungen des § 23 WeinG verwandt werden. Danach sei bei Erzeugnissen, die – wie vorliegend – mit dem Namen des Anbaugebietes Pfalz gekennzeichnet seien – nur die Angabe von Namen von in die Weinbergsrolle eingetragenen Lagen und Bereichen, kleinerer geographische Einheiten, die in der Liegenschaftskarte abgegrenzt und in einem geregelten Verfahren in die Weinbergsrolle eingetragen seien und die Angabe von Namen von Gemeinden und Ortsteilen zulässig. Diese Voraussetzungen lägen bei dem Begriff Weinbiet nicht vor. Soweit die Klägerin die Auffassung vertrete, dass mit dem Begriff auf den Namen ihrer Winzergenossenschaft hingewiesen werde, könne man sich dem nicht anschließen. Insoweit komme dem Umstand, dass das Wort Weinbiet auf dem Schauetikett besonders hervorgehoben sei und erst auf dem Rückseitenetikett auf die Winzergenossenschaft verwiesen werde, besondere Bedeutung zu. Im Übrigen sei die Angabe Weinbiet auch als irreführend anzusehen, weil sie auf einen Wein mit geographischer Angabe hinweise.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Verwaltungsvorgänge, des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die die Kammer nach § 52 Nr. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - als örtlich zuständiges Gericht zu entscheiden hat, ist als Feststellungsklage nach § 43 VwGO zulässig.

18

Sie bezieht sich auf das Bestehen eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO. Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis im Sinne dieser Norm sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben und verlangen, dass eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1996 - 8 C 19/94 –, BVerwGE 100, S. 262 ff. m.w.N.). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 30. September 1999 - 3 C 39/98 -, DVBI. 2000, S. 636 m.w.N.) haben sich rechtliche Beziehungen dann zu einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist. Das Erfordernis einer Verdichtung der Rechtsbeziehungen zu einem „konkreten” Rechtsverhältnis rechtfertigt sich aus dem Anliegen, den Verwaltungsgerichten nicht die Beantwortung abstrakter Rechtsfragen aufzubürden. Die Beantwortung solcher abstrakter Rechtsfragen, von denen unsicher ist, ob und wann sie für die Rechtsstellung des Betroffenen relevant werden, ist nicht Teil des den Gerichten vom Grundgesetz erteilten Rechtsschutzauftrages.

19

Bei Anwendung dieser Kriterien steht in tatsächlicher Hinsicht außer Frage, dass die Klägerin mit der Feststellungsklage einen konkreten Sachverhalt zur Beurteilung unterbreitet hat, denn die begehrte Feststellung bezieht sich auf die Zulässigkeit der Verwendung des Begriffs „Weinbiet“ in der Etikettierung bestimmter Weine.

20

Ferner steht der Klägerin ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses zur Seite. Mit der Feststellungsklage erstrebt sie zwar letztlich vorbeugenden Rechtsschutz, der als Zulässigkeitserfordernis das Vorhandensein qualifizierter Rechtsschutzvoraussetzungen verlangt. Es muss ein spezielles auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse bestehen, das heißt, es muss eine begründete Besorgnis bestehen, bei der Vornahme der beabsichtigten Handlung nicht zumutbaren Rechtsfolgen ausgesetzt zu sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. September 1999 a.a.O.). Vorliegend ist ein derartiges besonderes Feststellungsinteresse zu bejahen, weil sich die gesetzlichen Vertreter der. Klägerin im Falle der Verwendung einer unzulässigen Angabe auf den Etiketten von Weinen möglicherweise nach §§ 48, 49 WeinG in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 2011 (BGBl. I S. 66), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. Januar 2016 (BGBl. I S. 52), strafbar machen oder eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 50 WeinG begehen könnten (vgl. zum Feststellungsinteresse auch BVerwG, Urteil vom 13. Januar 1969 - 1 C 86.64 -, BVerwGE 31, S. 177).

21

Des Weiteren steht der Zulässigkeit der Klage die Bestimmung des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht entgegen, der zufolge eine Feststellung nicht begehrt werden kann, wenn die Klägerin ihre Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Vorliegend stand der Klägerin indessen die Möglichkeit der Erhebung einer Anfechtungsklage, die allein in Betracht kommen könnte, bislang nicht offen, denn in den gegenüber der Klägerin ergangenen Stellungnahmen des Beklagten kann noch kein anfechtbarer Verwaltungsakt im Sinne des gemäß § 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz - LVwVfG - anwendbaren § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes - VwVfG - gesehen werden; insbesondere können die ergangenen Schriftsätze des Beklagten aufgrund der in ihnen enthaltenen Formulierungen weder als feststellender Verwaltungsakt noch als Verbotsverfügung qualifiziert werden.

22

Die demnach zulässige Klage ist auch in der Sache begründet.

23

Richtiger Beklagter für das Begehren der Klägerin ist dabei das Land Rheinland-Pfalz, vertreten durch die Präsidentin der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier, denn diese Behörde wäre gemäß § 1 Abs. 1 der Landesverordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Weinrechts – WeinRZustV - vom 12. Oktober 2011 (GVBl. S. 382) für den Erlass einer eventuellen Untersagungsverfügung, die ihre Rechtsgrundlage in § 31 Abs. 7 WeinG in Verbindung mit den dort genannten Bestimmungen des § 39 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) finden würde, zuständig. Nach diesen Bestimmungen trifft die zuständige Behörde die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die zum Schutz vor Täuschung erforderlich sind; sie kann insbesondere das Herstellen, Behandeln oder das Inverkehrbringen von Erzeugnissen verbieten oder beschränken (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. September 2013 – 8 A 10219/13.OVG -, juris).

24

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 WeinG dürfen Erzeugnisse, die den Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, dem Weingesetz oder den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen nicht entsprechen, nicht in den Verkehr gebracht, eingeführt oder ausgeführt werden, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist.

25

Vorliegend gibt die von der Klägerin beim Vertrieb Ihrer Weine benutzte Etikettierung indessen keinen Anlass zu rechtlichen Beanstandungen durch den Beklagten.

26

Rechtsgrundlage für die Kennzeichnung und Aufmachung im Weinsektor ist die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 (ABl. L 347, S. 671) – Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 –, geändert durch Verordnung (EU) Nr. 1310/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 (ABl. L 347, S. 865 berichtigt in ABl. L 189, S. 261).

27

Nach Art. 117 Halbsatz a) der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 bezeichnet der Ausdruck „Kennzeichnung“ u.a. die Angaben, Bezeichnungen, Hersteller- oder Handelsmarken, Abbildungen oder Zeichen auf Etiketten, wobei die Etikettierung gemäß Art. 118 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3a der Richtlinie 2000/13 alle Angaben, Kennzeichnungen, Hersteller- oder Handelsmarken, Abbildungen oder Zeichen umfasst, die sich auf ein Lebensmittel beziehen und auf jeglicher Art von Verpackung, Schriftstück, Tafel, Etikett, Ring oder Verschluss angebracht sind und dieses Lebensmittel begleiten oder sich auf dieses Lebensmittel beziehen, so dass auf die gesamte Etikettierung des Weins, also sowohl auf das so genannte Schauetikett als auch auf das Rückenseitenetikett abzustellen ist (vgl. insoweit auch EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 – C-195/14 –, juris Rd.-Nr. 41 und BGH, Urteil vom 10. Dezember 2015 – I ZR 222/13 –, juris Rd.-Nr. 44).

28

Nach Art. 119 Abs. 1e der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 gehört bei der Kennzeichnung von Wein, der gemäß Anhang VII Nr. 1 der Verordnung zu den von dieser Norm erfassten Erzeugnissen gehört, die Angaben der Herkunft und des Abfüllers zu den obligatorischen Angaben bei der Kennzeichnung, wobei sich die Herkunft des Weines im Sinne dieser Bestimmung danach richtet, wo die Trauben gewachsen sind, nicht aber danach, wo der Wein erzeugt und abgefüllt wurde. Des Weiteren gehört bei Weinen, die den Zusatz „Classik“ tragen und bei denen es sich von daher um Qualitätsweine bestimmter Anbaugebiete und damit um einen Wein mit geschützter Ursprungsbezeichnung handeln muss [vgl. Art. 40 und Anhang XII, Teil A der Verordnung (EG) Nr. 607/2009, §§ 3 Abs. 1 und 5 WeinG, 32a WeinverordnungWeinV – in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. April 2009 (BGBl. I S. 827), zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. April 2015 (BGBl. I S. 614)], gemäß Art. 119 Abs. 1b ii der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 der Name der geschützten Ursprungsbezeichnung zu den obligatorischen Angaben.

29

Ausgehend hiervon stellen die auf dem von der Klägerin so genannten Rückenetikett angebrachten Angaben des Abfüllers – Winzergenossenschaft ... eG – und des Anbaugebiets – Pfalz – obligatorische Angaben bei der Etikettierung dar.

30

Des Weiteren darf gemäß Art. 120 Abs. 1g der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 bei Weinen der vorliegenden Art als fakultative Angabe der Name einer anderen geographischen Einheit, die kleiner oder größer ist als das Gebiet, das der Ursprungsbezeichnung oder geographischen Angabe zugrunde liegt – hier also Pfalz –, angegeben werden. Diese Vorschrift wird indessen durch Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 607/2009 der Kommission vom 14. Juli 2009 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 479/2008 des Rates hinsichtlich der geschützten Ursprungsbezeichnungen und geographischen Angaben, der traditionellen Begriffe sowie der Kennzeichnung und Aufmachung bestimmter Weinbauerzeugnisse (ABl. L 193, S. 60), zuletzt geändert durch Durchführungsverordnung (EU) Nr. 753/2013 der Kommission vom 2. August 2013 (ABl. L 210, S. 21), ergänzt. Diese Verordnung (EG) Nr. 607/2009 ist im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 anwendbar. Dies ergibt sich aus den Bezugnahmen in Art. 49 ff. der Verordnung (EG) Nr. 607/2009 auf die Verordnung (EG) Nr. 479/2008, die durch Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 491/2009 mit der Maßgabe aufgehoben wurde, dass Verweise auf die aufgehobene Verordnung als Verweise auf die Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 gelten, wobei gemäß Art. 230 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1308/2013 Verweise auf diese Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 wiederum als Verweise auf die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 gelten.

31

Nach Art. 67 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 607/2009 dürfen der Name einer geographischen Einheit und Bezugnahmen auf geographische Gebiete nur auf dem Etikett von Weinen mit geschützter Ursprungsbezeichnung stehen. Gemäß Art. 67 Abs. 2 Satz 1 der Bestimmung muss für die Verwendung des Namens einer geographischen Einheit, die kleiner ist als das Gebiet, das der Ursprungsbezeichnung zugrunde liegt, das Gebiet der betreffenden geographischen Einheit genau definiert sein. Gemäß Art. 67 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 607/2009 können die Mitgliedstaaten Vorschriften für die Verwendung dieser geographischen Einheiten erlassen. Art. 67 Abs. 3 der Verordnung legt dabei fest, dass der Name einer geographischen Einheit, die kleiner oder größer ist das Gebiet, das der Ursprungsbezeichnung zugrunde liegt, bestehen muss aus dem Namen a) einer Lage oder einer Einheit, die mehrere Lagen umfasst, b) einer Gemeinde oder eines Ortsteils, c) eines Untergebiets oder des Teils eines Untergebiets, d) einer Verwaltungseinheit. Art. 70 Abs. 1 der Verordnung legt des Weiteren fest, dass von den Mitgliedstaaten für in ihrem Hoheitsgebiet hergestellte Weine mit geschützter Ursprungsbezeichnung die Angaben gemäß Art. 67 zwingend vorgeschrieben, verboten oder hinsichtlich ihrer Verwendung eingeschränkt werden können.

32

Auf der Grundlage von Art. 67 Abs. 2 Satz 2, Art. 70 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 607/2009 hat der nationale Gesetzgeber weitere Regelungen geschaffen.

33

Nach § 3 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 5 WeinG werden u.a. für Qualitätsweine bestimmte Anbaugebiete festgelegt, darunter auch das Anbaugebiet Pfalz. Soweit diese Bezeichnungen der bestimmten Anbaugebiete nach europäischem Recht geschützt sind, gelten u.a. für die Qualitätsweine dieser Anbaugebiete die Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union über Weine mit geschützter Ursprungsbezeichnung, sofern dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.

34

Auf dieser Grundlage dürfen nach § 23 Abs. 1 WeinG u.a. bei Qualitätsweinen, die mit dem Namen eines bestimmten Anbaugebietes i.S.d. § 3 Abs. 1 WeinG benannt sind, zusätzlich nur angegeben werden 1) die Namen von in die Weinbergsrolle eingetragenen Lagen und Bereichen, 2) die Namen kleinerer geographischer Einheiten, die in der Liegenschaftskarte abgegrenzt sind, soweit diese Namen in die Weinbergsrolle eingetragen sind, 3) die Namen von Gemeinden und Ortsteilen.

35

Gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 5 WeinG wird der Verordnungsgeber außerdem ermächtigt, Vorschriften über geographische Bezeichnungen zu erlassen und zu regeln, in welcher Weise vorgeschriebene Bezeichnungen und sonstige Angaben auf Behältnissen angebracht sein müssen. Auf dieser Grundlage enthält § 39 WeinV weitere – vorliegend allerdings nicht einschlägige – Bestimmungen, weil es vorliegend nicht um eine Verwendung der in § 23 WeinG genannten geographischen Angaben geht, denn zur Überzeugung der Kammer stellt nicht jedes Wort, das einen geographischen Bezug hat, stets eine geographische Angabe im vorbezeichneten Sinn dar.

36

So verweist z.B. Koch in seiner Kommentierung zum Weinrecht unter dem Stichwort „Herkunftsangaben“ u.a. – nach Auffassung der Kammer zutreffend – darauf hin, dass Herkunftsangaben sich sowohl auf das Erzeugnis als solches als auch auf den Sitz einer Betriebsstätte beziehen können und von daher an sich wertneutral sind.

37

Des Weiteren merkt der Generalanwalt Jacobs in seinem Schlussantrag vom 25. Mai 2000 im Verfahren C-312/08 vor dem Europäischen Gerichtshof zutreffend an, dass die Terminologie in diesem Bereich selbst die Gefahr birgt, eine ergiebige Quelle für Verwechslungen zu sein; geographische Angaben könnten sowohl einen Hinweis auf die Eigenschaft eines Weines als auch auf seine Herkunft enthalten.

38

Von daher könnte das einen Berg bezeichnende Wort „Weinbiet“ bei isolierter Betrachtung grundsätzlich sowohl dahingehend verstanden werden, dass der fragliche Wein aus einem Weinanbaugebiet mit diesem Namen stammt, als auch dahingehend, dass der Wein an einem Ort oder von einem Betrieb mit diesem Namen abgefüllt wurde.

39

Allerdings muss bei der Beantwortung der Frage, ob ein bei der Etikettierung verwandter Begriff eine geographische Angabe darstellt, die gesamte Etikettierung, also Vorderseiten- und Rückseitenetikett in den Blick genommen werden. Die gesamte Etikettierung soll nämlich vor allem der Unterrichtung und dem Schutz der Verbraucher dienen, sie soll Auskunft über die genaue Art und die Merkmale der Erzeugnisse geben und es so dem Verbraucher ermöglichen, sachkundig seine Wahl zu treffen. Der Käufer soll über korrekte, neutrale und objektive Informationen verfügen, durch die er nicht irregeführt wird. Dabei muss bei der Beurteilung der Frage, ob eine Etikettierung den Käufer irreführen kann, hauptsächlich auf die mutmaßliche Erwartung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers mit einer gewissen Allgemeinbildung (vgl. insoweit EuGH, Urteil vom 12. September 2007 – T-304/05 –) abgestellt werden, die dieser in Bezug auf den Ursprung, die Herkunft und die Qualität des Erzeugnisses hegt. Es kommt also weder auf den flüchtigen Verbraucher noch umgekehrt auf den Weinkenner und auch nicht auf den beruflich mit weinrechtlichen Fragen befassten Bediensteten einer Behörde an (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. Oktober 2008 - 8 A 10809/08.OVG -, ESOVGRP). Abzustellen ist vielmehr auf den gelegentlichen Weinkäufer, der gewisse Elementarkenntnisse über Weinsorten und Weinlagen wie überhaupt über den Weinbau hat (vgl. Zipfel, Lebensmittelrecht, § 25 WeinG Rn. 16). Aufgabe der Etikettierung ist demnach vor allem, dass der wie vorstehend beschriebene Durchschnittsverbraucher nicht irregeführt und nicht zu der irrtümlichen Annahme verleitet wird, dass das Erzeugnis einen anderen Ursprung, eine andere Herkunft oder eine andere Eigenschaft als in Wirklichkeit hat (vgl. zu alledem auch EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 – C-195/14 – zur Richtlinie Nr. 2000/13/EG, auf die Art. 118 Abs. 1 der vorliegend einschlägigen Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 verweist).

40

Von daher kann angesichts dessen, dass auf dem Vorderetikett des Weins die Angabe Weinbiet mit dem Zusatz 554 N.N. versehen ist, von einem Durchschnittsverbraucher erwartet werden, dass er das Schauetikett nicht isoliert betrachtet, sondern auch das Rückenseitenetikett in Augenschein nimmt, denn aufgrund der allgemein verständlichen Höhenangabe 554 N.N. muss sich ihm der Eindruck aufdrängen, dass in Deutschland in einer derartigen Höhe üblicherweise kein Wein angepflanzt wird, so dass diese Angabe von vornherein als geographische Angabe zur Herkunft des Weines, der Anbaufläche des Weins, ausscheidet. Bei einer Betrachtung des rückseitigen Etiketts wird indessen zweifelsfrei deutlich, dass das Wort Weinbiet Teil des Namens der Klägerin ist, die ihren Betriebssitz am Fuße des Berges Weinbiet hat.

41

Wenn dann weiter berücksichtigt wird, dass die in der Etikettierung verwandte Grafik mit der Angabe Weinbiet und einer einen Berg darstellenden Zeichnung mit dem Zusatz 554 N.N. als Marke geschützt ist, die Eintragung einer Marke aber gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen – Markengesetz – nicht erfolgen darf, wenn sie ausschließlich aus Zeichen oder Angaben besteht, die im Verkehr zur Bezeichnung der geographischen Herkunft dienen können, spricht auch diese Markeneintragung gegen die Annahme einer geographischen Angabe in Bezug auf die Herkunft des Weins.

42

Ausgehend von alledem vermag das Gericht die Angabe „Weinbiet“ nicht als geographische Angabe im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 zu qualifizieren, weil sie bei einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher keinen Rückschluss auf einen bestimmten, konkreten Ort, an dem die Trauben gewachsen sind, und erst recht nicht auf eine bestimmte Weinlage ermöglicht.

43

Des Weiteren ist die von der Klägerin verwandte Etikettierung auch nicht irreführend im Sinne des Art. 118 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 a, i der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür. Sie ist nämlich aus den vorstehend dargelegten Gründen nicht geeignet, den Verbraucher irrezuführen in Bezug auf Ursprung oder Herkunft des Weins.

44

Von daher erweist sich die streitige Angabe als zulässig, so dass die Klage begründet ist.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

46

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung - ZPO -.

47

Gründe, nach § 124a Abs. 1 VwGO die Berufung zuzulassen, sind nicht gegeben, denn die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch liegt eine Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO vor.

48

Beschluss

49

Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG auf 10.000,00 € festgesetzt (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 10. Dezember 2003 - 7 E 11665/03.OVG – und vom 11. September 2013 - 8 A 10219/13.OVG -).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 54/96 Verkündet am:
19. September 2001
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGHR : ja
Warsteiner III
Bestehen ausnahmsweise gewichtige Interessen des Beklagten gegenüber
dem auf eine unrichtige geographische Herkunftsangabe gestützten Kennzeichnungsverbot
, so greift dieses nicht durch, wenn aufgrund entlokalisierender
Zusätze einer Irreführung des Verkehrs (hier: über die Herkunft eines Bieres
aus einer bestimmten Produktionsstätte) in ausreichendem Maße entgegengewirkt
wird und verbleibende Fehlvorstellungen des Verkehrs daneben
nicht ins Gewicht fallen.
Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung kann eine Wechselwirkung
zwischen den Anforderungen an entlokalisierende Zusätze und der Relevanz
der Herkunft der Ware für die Kaufentscheidung der Verbraucher bestehen.
BGH, Urt. v. 19. September 2001 - I ZR 54/96 - OLG Karlsruhe
LG Mannheim
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 31. Mai 2001 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann
und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Dr. Büscher und
Dr. Schaffert

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 14. Februar 1996 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Kläger ist ein eingetragener Verein mit dem satzungsmäßigen Zweck, unlauteren Wettbewerb zu bekämpfen.
Die Beklagte betreibt in Warstein eine Brauerei. Diese befindet sich seit 1753 im Familienbesitz. Die Beklagte ist Inhaberin der aufgrund Verkehrsdurchsetzung am 24. Oktober 1990 eingetragenen Marke Nr. 1 166 399 "Warsteiner" für "Bier nach Pilsener Brauart".

Im Herbst 1990 erwarb die Beklagte die 40 km von Warstein entfernt gelegene Paderborner Brauerei, in der sie die Sorten "Light" und "Fresh" bis Ende 1991 braute.
Gegenstand des Rechtsstreits sind die von der Beklagten für diese Sorten auf den Vorder- und Rückseiten der Flaschen verwendeten, nachfolgend abgebildeten Etiketten:

Der Kläger hat die Gestaltung der Etiketten als irreführend beanstandet und geltend gemacht, für das in Paderborn gebraute Bier dürfe nicht die geographische Herkunftsangabe "Warsteiner" verwendet werden.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat ausgeführt, der Verkehr sehe in "Warsteiner" keinen Hinweis auf eine geographische Herkunft. Der Ort Warstein sei dem Verkehr unbekannt. Selbst wenn Teile des Verkehrs die Bezeichnung "Warsteiner" mit einer geographischen Herkunft verbinden sollten, so hänge die Wertschätzung des Bieres nicht von den örtlichen Gegebenheiten ab. Auch andere Biere mit geographischer Herkunftsbezeichnung stammten nicht (ausschließlich) aus dem so bezeichneten Ort.
Das Landgericht hat nach Einholung eines demoskopischen Gutachtens dem - vom Kläger mit Rücksicht auf eine strafbewehrte Unterlassungserklärung der Beklagten gegenüber einem anderen Wettbewerbsverein und einer entsprechenden Verurteilung zum Antrag auf Feststellung der Erledigung der
Hauptsache nur hilfsweise gestellten - Unterlassungsantrag im wesentlichen stattgegeben und unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel der Beklagten verboten, die in Paderborner Braustätten hergestellten Biere "Warsteiner Premium Light" und "Warsteiner Premium Fresh" mit den oben wiedergegebenen Etiketten anzubieten, zu vertreiben und/oder in den Verkehr zu bringen.
Das Berufungsgericht hat nach Einholung eines ergänzenden demoskopischen Gutachtens die Klage abgewiesen.
Mit der Revision begehrt der Kläger, das Urteil des Landgerichts wiederherzustellen. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Durch Beschluß vom 2. Juli 1998 hat der Senat die Entscheidung über die Revision ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung nach Art. 177 EG (jetzt: Art. 234 EG) folgende Frage vorgelegt (GRUR 1999, 251 = WRP 1998, 998 - Warsteiner I):
"Steht die Regelung der Verordnung Nr. 2081/92 vom 14. Juli 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, welche die irreführende Verwendung einer einfachen geographischen Herkunftsbezeichnung verbietet, d.h. einer Angabe, bei welcher kein Zusammenhang zwischen den Eigenschaften des Produkts und seiner geographischen Herkunft besteht?"
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat hierüber durch Urteil vom 7. November 2000 - Rs. C-312/98 - wie folgt entschieden (GRUR 2001, 64 = WRP 2000, 1389):
"Die Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates vom 14. Juli 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel steht nicht der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, die die möglicherweise irreführende Verwendung einer geographischen Herkunftsangabe verbietet, bei der kein Zusammenhang zwischen den Eigenschaften des Produktes und seiner geographischen Herkunft besteht."

Entscheidungsgründe:


I. Das Berufungsgericht hat die Klageansprüche für unbegründet erachtet. Hierzu hat es ausgeführt:
Der klagende Verein sei als prozeßführungsbefugt im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG anzusehen. Ihm gehörten Verbände an, die ihrerseits prozeßführungsbefugt seien. Eine erhebliche Zahl von Gewerbetreibenden, die wie die Beklagte Bier vertrieben, sei Mitglieder dieser Verbände. Aufgrund einer eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers des Klägers sei davon auszugehen, daß bereits zum Landesverband B. e.V. die erforderliche Anzahl von Brauereien gehöre.

Die Verwendung der Bezeichnung "Warsteiner" für ein in Paderborn gebrautes Bier der Beklagten stelle aber keine Irreführung im Sinne des § 3 UWG dar. Aus der Verkehrsbefragung folge, daû kein erheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise durch diese Bezeichnung in relevanter, d.h. in einer für das Konsumverhalten maûgeblichen Weise irregeführt werde. Letztendlich verblieben nur 8 % der befragten Verbraucher, die Bier tränken, sei es auch nur gelegentlich oder selten, welche wüûten, daû es einen Ort Warstein gebe, und die auf Nachfrage diesem Ort auch Bedeutung beimäûen. Aus §§ 127 ff. MarkenG ergebe sich keine andere rechtliche Beurteilung, da auch dort auf die Relevanz der Irreführung durch eine unzutreffende geographische Herkunftsangabe abzustellen sei.
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Mit Recht ist das Berufungsgericht von der Befugnis des Klägers ausgegangen , die beanstandete wettbewerbswidrige Verwendung der Bezeichnung "Warsteiner" als geographische Herkunftsangabe zu verfolgen (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG i.V. mit § 128 Abs. 1 MarkenG). Die Revisionserwiderung zieht ohne Erfolg in Zweifel, daû dem Kläger eine erhebliche Zahl von Gewerbetreibenden auf dem hier einschlägigen Markt angehört.
Die Revisionserwiderung macht geltend, der Kläger habe die Brauereien , die ihm unmittelbar angehörten, nicht namentlich benannt. Dies steht seiner Klagebefugnis jedoch nicht entgegen. Es reicht aus, daû der Kläger die Verbände , aus deren Mitgliedschaft er seine Klagebefugnis herleitet, namentlich benannt hat. Die Beklagte war damit in die Lage versetzt, zur Wahrung ihrer
berechtigten Interessen die Angaben zur Mitgliederstruktur dieser Verbände substantiiert zu bestreiten und überprüfen zu lassen, was sie nicht getan hat (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 2.7.1998 - I ZR 55/96, GRUR 1999, 252, 254 = WRP 1998, 1002 - Warsteiner II, m.w.N., insoweit in BGHZ 139, 138, 141 nicht abgedruckt

).


Auf die vom Berufungsgericht herangezogene und entgegen dem Vorbringen in der Revisionserwiderung als Anlage K 25a im vorliegenden Verfahren mit der Berufungsentgegnung vom 27. Februar 1995 vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers des Klägers zur Mitgliederstruktur kommt es daher nicht an.
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, daû das Berufungsgericht einen Unterlassungsanspruch verneint hat.
Die rechtliche Beurteilung des Streitfalles richtet sich nach dem Inkrafttreten des Markengesetzes zum 1. Januar 1995 nach § 128 Abs. 1 i.V. mit § 127 Abs. 1, § 126 Abs. 1 MarkenG (vgl. BGHZ 139, 138, 139 - Warsteiner II; Fezer, Markenrecht, 2. Aufl., § 152 Rdn. 5). Die neue Regelung schlieût als lex specialis in ihrem Anwendungsbereich vorliegend die Bestimmungen der §§ 3, 1 UWG aus.

a) Die Vorschrift des § 127 Abs. 1 MarkenG regelt den Schutz (einfacher ) geographischer Herkunftsangaben gegen irreführende Verwendung für Waren und Dienstleistungen anderer Herkunft.
Bei der Bezeichnung "Warsteiner", die in adjektivischer Form auf den Ort "Warstein" Bezug nimmt, handelt es sich um eine geographische Herkunftsangabe i.S. des § 126 Abs. 1 MarkenG.
Die (einfache) geographische Herkunftsangabe gemäû § 127 Abs. 1 MarkenG setzt nicht voraus, daû der Verbraucher mit ihr eine besondere, auf regionale oder örtliche Eigenheiten zurückzuführende Qualitätsvorstellung verbindet (vgl. BGHZ 139, 138, 140 - Warsteiner II, m.w.N.).
Die nationalen Bestimmungen zum Schutz (einfacher) geographischer Herkunftsangaben werden durch die Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel vom 14. Juli 1992 (ABl. EG Nr. L 208 v. 24.7.1992 S. 1 = GRUR Int. 1992, 750 ff.) nicht ausgeschlossen (vgl. EuGH, Urt. v. 7.11.2000 - Rs. C-312/98, GRUR 2001, 64, 66 - Warsteiner; BGH, Urt. v. 25.1.2001 - I ZR 120/98, GRUR 2001, 420, 421 = WRP 2001, 546 - SPA). Nach Art. 2 Abs. 2 lit. b der Verordnung Nr. 2081/92, die gemäû Art. 1 Abs. 1 i.V. mit dem Anhang I auch Bier umfaût, betrifft diese nur die geographischen Angaben, bei denen sich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einer bestimmten Qualität, dem Ansehen oder einer anderen Eigenschaft des Erzeugnisses und seinem spezifischen geographischen Ursprung ergibt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Unstreitig besteht keine durch örtliche Besonderheiten bedingte Eigenart des in Warstein gebrauten Bieres.
Im Streitfall steht auch der Schutz der Bezeichnung "Warsteiner" als einer kraft Verkehrsdurchsetzung eingetragenen Marke und deren Verwendung auf den Etiketten der Bierflaschen dem im Interesse der Allgemeinheit ge-
währten Schutz der geographischen Herkunftsangabe i.S. des § 127 Abs. 1 MarkenG nicht entgegen (vgl. hierzu näher BGHZ 139, 138, 142 - Warsteiner

II).



b) Das Berufungsgericht hat festgestellt, daû 50 % der angesprochenen Verkehrskreise - das sind diejenigen Befragten, die häufig, gelegentlich oder selten Bier kaufen oder trinken - die Bezeichnung "Warsteiner" so verstehen, daû dieses Bier im Ort Warstein gebraut wird und es deshalb "Warsteiner" heiût. Kommt ein derartig bezeichnetes Bier aber aus einer Braustätte in Paderborn , so werden bei einer Quote von 50 % maûgebliche Teile des Verkehrs über die geographische Herkunft des Produkts irregeführt.
Das Berufungsgericht hat eine Irreführung i.S. des § 127 Abs. 1 MarkenG mit der Begründung verneint, auch bei § 127 Abs. 1 MarkenG komme es wie bei § 3 UWG auf eine für die Kaufentscheidung relevante Irreführung an.
Der Senat hat demgegenüber die Frage, ob der Schutz der geographischen Herkunftsangabe nach § 127 Abs. 1 MarkenG voraussetzt, daû die Herkunft der Ware für die Kaufentscheidung des Verbrauchers relevant i.S. des § 3 UWG ist, bislang verneint (BGHZ 139, 138, 140 - Warsteiner II; BGH GRUR 2001, 420, 421 - SPA; so auch Helm, Festschrift für Vieregge, S. 335, 349; Fezer aaO § 127 Rdn. 3; Althammer/Klaka, Markengesetz, 6. Aufl., § 127 Rdn. 3; Ullmann, GRUR 1999, 666, 667; a.A.: Ingerl/Rohnke, Markengesetz, § 127 Rdn. 3). Ob daran - was die Revisionserwiderung bezweifelt - angesichts der Ausführungen des Generalanwalts Jacobs in dem Vorabentscheidungsverfahren des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften im vorliegen-
den Verfahren unter Hinweis auf Art. 28 EG (Tz. 63 der Schluûanträge, vgl. auch Tz. 38 und 39 der Vorabentscheidung des EuGH) weiterhin festgehalten werden kann, kann im Streitfall offenbleiben.

c) Ein Unterlassungsanspruch nach § 128 Abs. 1 i.V. mit § 127 Abs. 1 MarkenG scheidet jedenfalls deshalb aus, weil das Verbot unter dem Vorbehalt der Verhältnismäûigkeit steht (vgl. BGHZ 139, 138, 145 - Warsteiner II, m.w.N.; Fezer aaO § 127 Rdn. 6a; Althammer/Klaka aaO § 127 Rdn. 5; zur Interessenabwägung auch Helm aaO S. 335, 352). Daher ist eine Abwägung des Interesses der Verbraucher und der Mitbewerber daran, daû keine Irreführung über die Herkunft des Bieres erfolgt, mit dem Interesse der Beklagten an der Nutzung der Marke "Warsteiner" erforderlich.
Ausgangspunkt dieser Abwägung ist, daû im allgemeinen kein schutzwürdiges Interesse Dritter besteht, eine unrichtige geographische Herkunftsangabe zu verwenden (vgl. BGH, Urt. v. 6.6.1980 - I ZR 97/78, GRUR 1981, 71, 72 = WRP 1981, 18 - Lübecker Marzipan; Gloy, Festschrift für Piper, S. 543, 559; Groûkomm./Lindacher, § 3 UWG Rdn. 573). Die Besonderheiten des Streitfalls führen jedoch dazu, daû dem Interesse der Beklagten an der uneingeschränkten Weiterverwendung der Bezeichnung "Warsteiner" der Vorrang einzuräumen ist.
Wie der Senat bereits in dem Parallelverfahren ausgeführt hat (BGHZ 139, 138, 145 - Warsteiner II), ist zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen, daû diese sich mit der Marke "Warsteiner" ein wertvolles Kennzeichen, welches auch Unternehmenskennzeichen ist, aufgebaut hat. Für ein expandierendes Unternehmen erweist es sich gerade als wirtschaftlich vernünftig, die
Kennzeichnungskraft des bekannten Unternehmenskennzeichens auch bei der Fortentwicklung des eigenen Unternehmens einzusetzen. Dazu gehört es auch, weitere Produktionsstätten an anderen Orten aufzubauen oder zu erwerben , um zu expandieren. Zudem besteht ein berechtigtes Interesse daran, die Unternehmensstrategie unter Beibehaltung des wichtigsten immateriellen Gutes , der Marke "Warsteiner", fortzusetzen, zumal die Beklagte ihren Unternehmenssitz in Warstein beibehalten hat, von wo sie auch die unternehmerischen Entscheidungen hinsichtlich der Produktionsstätte in Paderborn trifft.
Der Senat hat allerdings auch betont, daû diese gewichtigen Interessen gegenüber dem Kennzeichnungsverbot des § 127 Abs. 1 i.V. mit § 128 Abs. 1 MarkenG nur dann durchgreifen, wenn die Beklagte bei der Verwendung ihrer Marke "Warsteiner" durch deutliche entlokalisierende Zusätze auf die Besonderheiten der Produktionsstätte in Paderborn hinweist und verbleibende Fehlvorstellungen des Verkehrs, soweit sie für seine Kaufentscheidung relevant sein können, daneben nicht ins Gewicht fallen (BGHZ 139, 138, 145 - Warsteiner II). Dabei sind an den Ausschluû der Irreführung des Verkehrs durch entlokalisierende Zusätze (vgl. § 127 Abs. 4 Nr. 1 MarkenG) strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BGH, Urt. v. 29.4.1982 - I ZR 111/80, GRUR 1982, 564, 565 = WRP 1982, 570 - Elsässer Nudeln; Fezer aaO § 127 Rdn. 18; Althammer/Klaka aaO § 127 Rdn. 17; Groûkomm./Lindacher, § 3 UWG Rdn. 594; v. Gamm, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., Kap. 37 Rdn. 242; Baumbach /Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 3 UWG Rdn. 224; Köhler /Piper, UWG, 2. Aufl., § 3 Rdn. 315; Gloy aaO S. 543, 546 f.; Helm aaO S. 333, 351). Dies findet seine Rechtfertigung darin, daû geographischen Herkunftsangaben ein möglichst wirksamer Schutz gegen unrichtige Verwendung gewährt werden soll und daû im allgemeinen kein schutzwürdiges Interesse
Dritter besteht, unrichtige Angaben über die Herkunft zu verwenden (BGH GRUR 1981, 71, 72 - Lübecker Marzipan).
Der vorliegende Sachverhalt weicht jedoch von dem in der angeführten Rechtsprechung zugrunde gelegten Regelfall ab. Im Streitfall kann sich die Beklagte - wie dargelegt - auf erhebliche Interessen berufen. Demgegenüber kann dem Schutzbedürfnis der Verbraucher unter den gegebenen besonderen Umständen kein entscheidendes Gewicht beigemessen werden. Die Beklagte hat zwar anders als im Parallelverfahren I ZR 55/96 nicht auf den VorderEtiketten , wohl aber auf den Rück-Etiketten - worauf die Revisionserwiderung in der letzten mündlichen Verhandlung noch einmal ausdrücklich hingewiesen hat - hinreichend deutlich angegeben, daû das in Rede stehende Bier "in unserer neuen PADERBORNER BRAUEREI" gebraut wird. Zwar hat der Senat diesen Hinweis im Vorlagebeschluû vom 2. Juli 1998 - bei seiner insoweit zunächst nur vorläufigen Prüfung - nicht genügen lassen. In der Folgezeit erfolgte jedoch in der Rechtsprechung verstärkt die Hinwendung zu einem gegenüber früher veränderten Verbraucherleitbild. Dies kommt nicht nur in der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zum Ausdruck (vgl. EuGH, Urt. v. 16.7.1998 - Rs. C-210/96, GRUR Int. 1998, 795 = WRP 1998, 848 - Gut Springenheide; Urt. v. 22.6.1999 - Rs. C-342/97, GRUR Int. 1999, 734, 736 Tz. 26 = WRP 1999, 806 - Lloyd; Urt. v. 13.1.2000 - Rs. C220 /98, GRUR Int. 2000, 354 = WRP 2000, 289, 292 - Lifting-Creme). Auch der Senat geht inzwischen sowohl im Wettbewerbs- als auch im Markenrecht von dem Leitbild des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers aus, der das fragliche Werbeverhalten mit einer der Situation angemessenen Aufmerksamkeit verfolgt (vgl. zum Wettbewerbsrecht: BGH, Urt. v. 20.10.1999 - I ZR 167/97, GRUR 2000, 619, 621 = WRP 2000, 517 - Orient-
Teppichmuster; Urt. v. 17.2.2000 - I ZR 239/97, GRUR 2000, 820, 821 = WRP 2000, 724 - Space Fidelity Peep-Show; Urt. v. 17.5.2001 - I ZR 216/99, Umdr. S. 11 - Mitwohnzentrale.de; zum Markenrecht: BGH, Urt. v. 13.1.2000 - I ZR 223/97, GRUR 2000, 506 = WRP 2000, 535 - ATTACHÉ/TISSERAND; Beschl. v. 27.4.2000 - I ZR 236/97, GRUR 2000, 875, 877 = WRP 2000, 1142 - Davidoff). Der durchschnittlich informierte und verständige Verbraucher, der an zusätzlichen Informationen über ein bestimmtes Bier interessiert ist, weiû, daû er nähere Angaben auch auf den Rück-Etiketten findet. Macht er von dieser Informationsmöglichkeit Gebrauch, kann ihm der Hinweis auf die Braustätte in Paderborn nicht verborgen bleiben. Wie der Senat in seiner Entscheidung im Parallelverfahren betont hat, können verbleibende Fehlvorstellungen des Verkehrs , soweit sie für seine Kaufentscheidung relevant sein können, bei ausreichenden Hinweisen auf die Herkunft vernachlässigt werden. Der Senat ist dabei davon ausgegangen, daû die Relevanz jedenfalls im Rahmen der Interessenabwägung durchaus Bedeutung erlangen kann (BGHZ 139, 138, 146 - Warsteiner II). Zwischen ihr und den Anforderungen an den entlokalisierenden Zusatz kann eine Wechselwirkung bestehen. Bei erheblicher Relevanz sind auch hohe Anforderungen an die Klarheit und Deutlichkeit aufklärender Hinweise zu stellen und umgekehrt. In der im Parallelverfahren ergangenen Entscheidung hat der Senat der Relevanz im Rahmen der Interessenabwägung bereits eine eher geringe Bedeutung beigemessen: Auch wenn man mit der Revision davon ausgehe, daû entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts nicht nur 8 % der Befragten dem mit der Bezeichnung "Warsteiner" verbundenen Hinweis auf den Brauort "Warstein" eine Bedeutung für die Kaufentscheidung beimessen, sondern diese Quote - wie die Revision meine - bei nicht weniger als 12 % der Gesamtbevölkerung bzw. bei nicht weniger als 16 % der
"häufigen" Biertrinker liege, könne eine andere Beurteilung nicht Platz greifen (BGHZ 139, 138, 146 - Warsteiner II). Dies gilt auch hier.
III. Danach war die Revision mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Erdmann v. Ungern-Sternberg Pokrant
Büscher Schaffert

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 11.07.2016, Az. 41 HK O 333/16, abgeändert.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 150.000.00 € festgesetzt.

Gründe

A Die Beklagte, ein bundesweit agierender Discounter, vertreibt im Rahmen ihres Lebensmittelsortiments eine als „frische Weide-Milch“ bezeichnete Vollmilch. Neben dieser Bezeichnung befindet sich auf dem Etikett der Flasche auf der „Schauseite“ die Abbildung grasender Kühe. Das rückseitige Etikett enthält u. a. den Passus „bei diesem Produkt handelt es sich um 100% Weidemilch. Unsere Weidemilch stammt von Kühen, die mindestens 120 Tage im Jahr und davon mindestens 6 Stunden am Tag auf der Weide stehen „Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die im Tenor des angefochtenen Urteils abgebildete Ausstattung Bezug genommen.

Tatsächlich stammt die Milch ausschließlich von Kühen, die an mindestens 120 Tagen im Jahr und davon mindestens 6 Stunden am Tag auf der Weide stehen.

Der Kläger, ein Wettbewerbsverband, hält die Bewerbung als Weide-Milch gemäß §§ 3, 3a, 5, 8 UWG i. V. m. Art. 7 Abs. 1a LMIV für unlauter und nimmt die Beklagte deswegen auf Unterlassung in Anspruch. Die Werbung sei irreführend, weil die Milch von Kühen stamme, die hur 120 Tage, je 6 Stunden, im Jahr auf der Weide stünden, den Rest der Zeit jedoch im Stall. Es handele sich daher um einen Saisonartikel, der aber ganzjährig angeboten werde. Die Zusatzangaben auf der Rückseite der Verpackung könnten die Irreführungsgefahr nicht beseitigen. Der Verbraucher erwarte aufgrund der Bezeichnung und der Abbildung von grasenden. Kühen, dass die angebotene Milch von Milchkühen stamme, die vor dem Melken auf der Weide gestanden hätten und dementsprechend frei und ausgiebig hätten grasen können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die geltend gemachten Unterlassungsansprüche seien nach § 8 Abs. 1 S. 1 UWG i. V. m. §§ 3, 3a, 5 UWG, Art. 7 Abs. 1a LMIV begründet. Durch den Vertrieb von Milch unter der Bezeichnung „frische Weide-Milch“, die von Kühen stamme, welche nur an mindestens 120 Tagen im Jahr an mindestens 6 Stunden täglich auf der Weide stünden, wobei aber nicht gewährleistet sei, dass sie tatsächlich am Tag der Melkung oder am Vortag dort gewesen seien, verstoße die Beklagte gegen Art. 7 Abs. 1a LMIV und führe dadurch die Verbraucher irre. Für die Bezeichnung „Weide-Milch“ sei es nach dem Verbraucherverständnis erforderlich, dass die konkret verpackte und angebotene Milch tatsächlich, von Kühen stamme, die sich am Tag der Melkung oder am Vortag mindestens 6 Stunden auf der Weide befunden hätten. Dabei handele es sich um ein konkret produktbezogenes Merkmal i. S. d. § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG, über das beim Käufer eine Fehlvorstellung hervorgerufen werde. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass auf der Rückseite der Verpackung wahrheitsgemäß angegeben werde, dass die streitgegenständliche Milch von Kühen stamme, die lediglich mindestens 120 Tage im Jahr und davon mindestens 6 Stunden am Tag auf der Weide stünden. Die blickfangmäßig hervorgehobene objektive Unrichtigkeit auf der Vorderseite könne beim Verbraucher nicht durch eine Klarstellung in einem bloß kleinen Aufdruck auf der Rückseite beseitigt werden. Die Beklagte könne sich auch nicht auf Art. 8 Abs. 3 LMIV berufen, da sie die Mindestweidezeiten der milchgebenden Kühe gekannt habe. Dem Wortlaut nach habe sich ihr daher aufdrängen müssen, dass eine derartige Milch nicht als „Weide-Milch“ vertrieben werden durfte.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen weiterhin die Abweisung der Klage erstrebt. Sie meint, das Landgericht habe seiner Entscheidung ein falsches Verbraucherleitbild zugrunde gelegt. Der Verbraucher gehe nicht davon aus, dass die Weidemilch von Kühen stamme, die jeden Tag im Jahr vor der Melkung auf der Weide gestanden hätten, sondern nehme an, dass hierfür wetterbedingte Mindestweidezeiten eingehalten würden. Bei Bestimmung des Verkehrsverständnisses habe das Landgericht die Stellungnahme des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände übergangen. Die von ihm für die Bezeichnung „Weide-Milch“ aufgestellten Kriterien seien überzogen und in der Realität nicht umsetzbar. in Mitteleuropa gebe es kein Produkt, das diesen Anforderungen gerecht werden könne. Die Auffassung des Landgerichts widerspreche auch der neuesten Rechtslage in Niedersachsen. Dort habe das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ein Weidemilch-Label entwickelt, das Weidezeiten vorsehe und das nur für Milch von Kühen verwendet werden dürfe, die an mindestens 120 Tagen im Jahr mindestens 6 Stunden am Tag Weidegang erhielten. Selbst wenn aber der Verbraucher der Bezeichnung die vom Landgericht unterstellte Bedeutung entnehmen wolle, sei die auf der Rückseite der Verpackung deutlich lesbare Aufklärung ausreichend. Bei Lebensmitteln sei die Gesamtetikettierung zu beachten. Dies gelte insbesondere für die im angefochtenen Urteil untersagte Bewerbung „100% Weidemilch“, die sich auf der Rückseite zusammen mit den klarstellenden Hinweisen befinde. Zu Unrecht habe das Landgericht schließlich eine Verantwortlichkeit der Beklagten nach Art. 8 Abs. 3 LMIV angenommen. Eine Irreführung durch die gewählte Bezeichnung hätte sich ihr nicht aufdrängen müssen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Eine Beweisaufnahme hat im Berufungsverfahren nicht stattgefunden.

B I. Die Berufung ist zulässig und auch begründet.

Dem Kläger stehen keine Unterlassungsansprüche aus §§ 8 Abs. 1 Satz 1, 3, 5 Abs. 1 UWG oder § 3a UWG i. V. m. Art. 7 Abs. 1a der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) zu und zwar weder wegen der Produktaufmachung und beanstandeten Bezeichnung „frische Weide-Milch“ auf der Vorderseite der Flasche (Urteil Ziffer I. a)) noch wegen der Angabe „Bei diesem Produkt handelt es sich um 100% Weidemilch“ auf der rückseitigen Etikettierung (Urteil Ziffer I. b)).

1. Ein Anspruch nach § 3a UWG i. V. m. Art 7 Abs. 1a LMIV scheitert bereits daran, dass die Beklagte als (nur) Händlerin für einen etwaigen Verstoß gegen das in Art. 7 LMIV normierte Irreführungsverbot nicht als Verantwortliche i. S. d. Art. 8 Abs. 3 LMIV anzusehen wäre.

Nach Art. 8 Abs. 3 LMIV dürfen Lebensmittelunternehmer, deren Tätigkeiten die Informationen über Lebensmittel nicht beeinflussen, keine Lebensmittel abgeben, von denen sie aufgrund der ihnen im Rahmen ihrer Berufstätigkeit vorliegenden Informationen wissen oder annehmen müssen, dass sie dem anwendbaren Lebensmittelinformationsrecht und den Anforderungen der einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften nicht entsprechen.

Hiervon ist vorliegend nicht auszugehen. Wie die Beklagte zu Recht ausführt, existieren keine rechtlichen Vorgaben, wann eine Milch als „Weide-Milch“ bezeichnet werden darf. Nach dem von ihr als Anlage B 7 und B III vorgelegtem Positionspapier des Milchindustrieverbands zur Bezeichnung „Weide-Milch“ stammt diese von Kühen, die während der Weidesaison täglich Weidegang haben und auf der Weide grasen; die Kühe stehen auf der Weide, sofern es z. B. Witterung oder der Zustand des Bodens zulassen, mindestens jedoch 120 Tage im Jahr und 6 Stunden pro Tag. Dem so definierten Branchenstandard entspricht das streitgegenständliche Produkt. Dasselbe Verständnis liegt auch dem vom niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz entwickeltem Weidemilch-Label zugrunde (Anlage B IX). In diesem Zusammenhang weist die Beklagte weiter auf den branchenüblichen Gebrauch der Bezeichnung Weide-Milch auf in Deutschland erhältlichen Milchprodukten hin. Auch wenn, wie der Kläger zutreffend einwendet, ein etwaiges wettbewerbswidriges Verhalten anderer Händler die Beklagte grundsätzlich nicht entlasten könnte, musste sie angesichts der vorgelegen Verwendungen („Weidemilch von Arla, Hansano, Schwarzwaldmilch, Meierkamp, Anlagen B IV, VI - VIII) nicht annehmen, dass die beanstandete Aufmachung gegen das Irreführungsverbot des Art. 7 LMIV verstieße. Schließlich konnte sie auch aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf vom 21.11.2014, Az.: 38 O 18/14 (Anlage K 8) von einer rechtmäßigen Bezeichnung des streitgegenständlichen Produkts als „Weide-Milch“ ausgehen.

Nach diesen Gesichtspunkten spricht nichts dafür, dass der Beklagten hinsichtlich der streitgegenständlichen Bezeichnung ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot des Art. 7 LMIV bewusst war oder sie hiermit zumindest ernstlich gerechnet hat.

2. Auf das Irreführungsverbot gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG kann sich der Kläger nicht stützen, da die europarechtlichen Vorgaben der LMIV nicht unterlaufen werden dürfen. § 5 UW.G dient, so- weit Handlungen gegenüber Verbrauchern in Rede stehen, der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG (unlautere Geschäftspraktiken - RL). Nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie gehen ab- schließende Rechtsvorschriften der Gemeinschaft der Richtlinie und darauf beruhendem nationalen Recht vor (vgl. BGH Urteil vom 02.02.2012, Az.: IZR 45/13 - Himbeer-Vanille-Abenteuer II, Rn. 23 zu § 5a Abs. 3 Nr. 1 UWG; OLG Düsseldorf Urteil vom 26.01.2016, Az.: I-20 U 25/15, Rn. 24 jeweils juris). Für den Lebensmittelbereich enthält Art. 7 Abs. 1 der LMIV ein umfassendes Irreführungsverbot. Die Regelung ist abschließend und setzt nicht nur einen Mindeststandard, sondern erlaubt auch keine strengere, nationale Regelung (Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl., § 5 UWG Rn. 0.57, 0.59). Das in Art. 7 LMIV normierte Verbot kann zwar neben §§ 5, 5a UWG grundsätzlich anwendbar sein. Im Hinblick auf die Zielrichtung dieses besonderen Irreführungsverbots ist aber § 5 UWG in dessen Anwendungsbereich ausschließlich nach dem Maßstab des besonderen Irreführungsverbotes auszulegen. Danach richtet sich die Frage, ob die Beklagte als Händlerin gegen Art. 7 Abs. 1a LMIV verstoßen hat und auch für unrichtige Informationen auf von Dritten hergestellten Lebensmitteln verantwortlich ist, allein nach Art. 8 LMIV, dessen Voraussetzungen hier nicht erfüllt sind.

3. Da die Beklagte für eine etwaige Verletzungshandlung nicht verantwortlich wäre, kann letztlich offen bleiben^ ob die Bezeichnung „frische Weide-Milch“, die angegriffene Produktaufmachung und die Angabe „Bei diesem Produkt handelt es steh um 100% Weidemilch“ auf der rückseitigen Etikettierung gegen § 7 Abs. 1a LMIV verstoßen.

Hiervon geht der Senat allerdings, anders als das Landgericht, nicht aus.

a) Nach Art. 7 Abs. 1a LMIV dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein, insbesondere im Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, u. a. in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung. ...

Voraussetzung einer Irreführung im Sinn der Vorschrift ist es, dass die Vorstellungen, die durch die Information über das Lebensmittel bei den angesprochenen Verkehrskreisen, also den Endverbrauchern (Art. 2 Abs. 2a LMIV) ausgelöst werden, mit dem tatsächlichen Zustand, insbesondere den Eigenschaften nicht übereinstimmen (OLG Celle Urteil vom 24.11.2016, Az.: 13 U 130/16, Rn. 24-juris m. w. N.).

b) Dies ist nach Auffassung des Senats vorliegend nicht der Fall.

aa) Dabei erscheint schon zweifelhaft, ob ein relevanter Teil des angesprochenen Verbraucherkreises tatsächlich unter der Bezeichnung „Weide-Milch“ eine Milch versteht, die nur von Kühen stammt, die sich am Tag der Melkung oder am Vortag mindestens 6 Stunden auf der Weide befanden und angesichts der globalisierten Welt die Erwartung hegen, dass die Milch aus Teilen der Welt kommt, in denen Kühe das ganze Jahr über im Freien weiden können. Der Senat, dessen Mitglieder ebenfalls zu den angesprochenen Verbraucherkreisen gehören, hält es für naheliegender, dass der normal informierte und vernünftig aufmerksame und kritische Verbraucher unter der Bezeichnung „Weide-Milch“ eine Milch versteht, die von Kühen stammt, welche, wenn auch nicht ganzjährig, aber jedenfalls im Rahmen der üblichen Weidesaison und Weidezeiten auf der Wiese grasen. Dieses Verständnis steht auch im Einklang mit den beklagtenseits (Anlagen B 5, B 6, B II) vorgelegten Stellungnahmen der Verbraucherverbände.

bb) Die Beurteilung der Verbrauchererwartung kann allerdings ebenfalls offenbleiben. Denn selbst bei Annahme des vom Landgericht zugrunde gelegten Verkehrsverständnisses, läge kein Verstoß gegen das Irreführungsverbot gemäß Art. 7 LMIV vor. Eine etwaige Fehlvorstellung des Verbrauchers wird nämlich jedenfalls durch den aufklärenden Hinweis auf der rückseitigen Etikettierung beseitigt. Das gilt sowohl für die angegriffene Ausstattung mit der Auslobung „frische Weidemilch“ auf der Schauseite als auch für die auf der Rückseite angebrachte Angabe „Bei diesem Produkt handelt es sich um 100% Weidemilch“.

(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH (zuletzt Urteil v. 04.06.2015, Az. C-195/14, GRUR 2015, 701, Rn. 34, Verbraucherzentrale Bundesverband/Teekanne), der auch der BGH folgt (Urteil vom 02.02.2012, Az.: ZR 45/13 - Himbeer-Vanille-Abenteuer II a. a. O.) ist davon auszugehen, dass ein normal informierter und vernünftig aufmerksamer und kritischer Verbraucher, der sich in seiner Kaufentscheidung nach der Zusammensetzung des Erzeugnisses richtet, dabei zunächst das auf dessen Verpackung angebrachte Verzeichnis der Zutaten lesen wird. Danach wird der Verbraucher vorliegend die auf der rückseitigen Etikettierung enthaltenen Angaben „Frische Vollmilch pasteurisiert ... hocherhitzt“ und auch den direkt darunter enthaltenen, klarstellenden Hinweis zum Begriff „Weide-Milch“ und den Weidezeiten der milchgebenden Kühe zur Kenntnis nehmen. Dies gilt insbesondere deshalb, als es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt um Frischmilch handelt, die nur begrenzt haltbar ist. Der Verbraucher wird sich daher die Verpackung, auch wenn es um einen, wie das Landgericht anführt, niederpreisigen Artikel geht, genauer betrachten, um das Haltbarkeitsdatum zu überprüfen. Der entsprechende Hinweis befindet sich auf der Flaschenrückseite direkt neben den Angaben zur Weidezeit, die ihm dann ebenfalls ins Auge fallen werden. Eine Irreführung ist daher zu verneinen.

Zwar schließt nach den zitierten Entscheidungen des EuGH und BGH der Umstand, dass ein Verzeichnis der Zutaten auf der Verpackung angebracht ist, für sich allein nicht aus, dass die Etikettierung eines Erzeugnisses und die Art und Weise, in der sie erfolgt, geeignet sein können, den Verbraucher irrezuführen, denn die Etikettierung umfasst alle Angaben, Kennzeichnungen, Hersteller und Handelsmarken, Abbildungen oder Zeichen, die sich auf ein Lebensmittel beziehen und auf dessen Verpackung angebracht sind. Wenn sich aufgrund dieser insgesamt ein falscher oder missverständlicher Eindruck des Verbrauchers bezüglich der .Eigenschaften eines Lebensmittels ergibt, mögen im Einzelfall, eine auch zutreffende Zutatenliste oder ein klarstellender Hinweis nicht ausreichen, um einer Irreführungsgefahr zu begegnen. Um einen solchen Fall handelt es sich aber vorliegend nicht.

Seine gegenteilige Auffassung kann der Kläger nicht auf die Entscheidung des BGH „Himbeer-Vanille-Abenteuer II“ (a. a. O.) stützen, die zum Irreführungstatbestand des Art. 7 Abs. 1d LMIV erging. Denn anders als in dem dieser zugrundeliegendem Sachverhalt, führen die hier streitgegenständlichen, im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigenden Gestaltungsmerkmale der Etikettierung nicht dazu, dass der Verbraucher die klarstellenden Angaben nicht erkennt. Außer der in den Vordergrund gerückten, in großer Schrift auf der Schauseite der Flasche angebrachten Bezeichnung „Weide-Milch“ und der Abbildung auf grüner Wiese bei Sonne grasender Kühe sowie der Angabe „100% Weidemilch“ auf dem rückseitigen Etikett, befinden sich keine weiteren Hinweise auf dem Produkt, die eine Verbrauchererwartung beeinflussen können. Auch sind die Zutatenfiste und der sich anschließende Hinweis für sich gesehen eindeutig. Es liegt daher kein vergleichbarer Ausnahmefall vor, der es rechtfertigen würde, trotz zutreffender Zutatenliste und klarstellendem Hinweis aufgrund der Gesamtaufmachung der Verpackung eine Irreführung des Verbrauchers anzunehmen.

(2) Aus den vorgenannten Gründen ist auch kein Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Angabe „Bei diesem Produkt handelt es sich um 100% Weidemilch“ auf der Rückseite der Verpackung gegeben.

Hier wird unmittelbar im Zusammenhang mit der angegriffenen Angabe im gleichen Textabschnitt und in gleicher Schriftgröße klargestellt, welche Weidezeiten die Kühe haben, von denen die Milch stammt. Eine Irreführungsgefahr ist daher selbst bei Annahme einer auf der Vorderseite hervorgerufenen Fehlvorstellung nicht mehr gegeben.

II. Nebenentscheidungen

1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3. Den Streitwert hat der Senat auf der Grundlage der Angaben des Klägers gemäß § 51 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO bestimmt.

4. Der Senat sieht keinen Anlass für eine Zulassung der Revision nach Maßgabe des § 543 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch gebietet die Fortbildung des Rechts eine Zulassung der Revision. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Die der tatrichterlichen Würdigung des Senats zugrunde liegenden Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 126/98 Verkündet am:
10. August 2000
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Stich den Buben
MarkenG §§ 2, 127; UWG §§ 1, 3; WeinVO § 39 Abs. 1 Nr. 2

a) Der Name einer im Verkehr bekannten (Weinbergs-)Lage kann - auch ohne
die weinbezeichnungsrechtlich vorgesehene Beifügung einer Ortsbezeichnung
(§ 39 Abs. 1 Nr. 2 WeinVO) - eine (mittelbare) geographische Herkunftsangabe
darstellen.

b) Wird eine geographische Herkunftsangabe oder eine der Herkunftsangabe
ähnliche Bezeichnung als Firmenbestandteil verwendet, so liegt allein darin
noch keine Benutzung "für Waren" im Sinne von § 127 MarkenG. Ein wettbewerbsrechtlicher
Schutz vor unlauterer bzw. irreführender Verwendung ei-
ner geographischen Herkunftsangabe kann sich in einem solchen Fall aber
aus §§ 1, 3 UWG ergeben (§ 2 MarkenG).

c) Unabhängig von einer Irreführung kommt jedenfalls bei mittelbaren Herkunftsangaben
in Betracht, daß die Benutzung als Bestandteil der Firma eines
einzelnen Unternehmens zu einer individuellen Behinderung (§ 1 UWG)
derjenigen Wettbewerber führt, die die Herkunftsangabe (ebenfalls) berechtigt
als Hinweis auf ein bestimmtes geographisches Gebiet verwenden. Insbesondere
kann die Kennzeichnungskraft einer geographischen Herkunftsangabe
dadurch beeinträchtigt werden, daß sie in anderer Weise (hier als
Unternehmenskennzeichen) benutzt und dadurch ihre Funktion, als Hinweis
auf die Herkunft aus einem bestimmten geographischen Gebiet zu dienen,
gefährdet wird. Eine Benutzung als Firmenbestandteil kann zudem infolge
Verkehrsverwirrung den Werbewert der geographischen Herkunftsangabe
empfindlich schwächen und die Gefahr einer Umwandlung in einen betrieblichen
Herkunftshinweis begründen.

d) Zu der Frage, ob der Verkehr aufgrund einer Verwendung des Bestandteils
"Winzerhaus" in der Firma einer Winzergenossenschaft über den Charakter
des Unternehmens als ein weinanbauendes Einzelunternehmen irregeführt
wird, wenn nur die Mitglieder der Genossenschaft über Rebflächen verfügen
und die Genossenschaft den Wein ihrer Mitglieder ausbaut und vertreibt.

e) Zu der weiteren Frage, ob beachtliche Teile des Verkehrs aufgrund einer
Benutzung des Firmenbestandteils "Hans StichdenBuben" über den ausschließlichen
Vertrieb von Weinen aus der im Verkehr bekannten Lage
"Stich den Buben" sowie über einen Alleinbesitz der so firmierenden Winzergenossenschaft
an dieser Lage getäuscht werden, wenn die Genossen-
schaft überwiegend, aber nicht ausschließlich Wein aus der Lage "Stich den
Buben" vertreibt und die Lage weder im Alleinbesitz der Genossenschaft
noch dem ihrer Mitglieder steht.
BGH, Urteil vom 10. August 2000 - I ZR 126/98 - OLG Karlsruhe
LG Karlsruhe
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann
und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Starck, Pokrant und Dr. Büscher

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 8. April 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Kläger betreibt in Baden-Baden ein Weingut. Zu seinem Grundbesitz gehören Flurstücke in der im Verkehr bekannten Lage "Stich den Buben".
Die Beklagte ist eine Winzergenossenschaft mit Sitz in Baden-Baden. Ihr gehören Winzer aus den Gemarkungen Steinbach und Umweg an. Ein Großteil der Rebflächen der Lage "Stich den Buben" steht im Eigentum dieser Mitglieder. Die Beklagte selbst verfügt nicht über Rebflächen. Sie befaßt sich mit dem Ausbau und Vertrieb von Wein ihrer Mitglieder, der vorwiegend aus
der Lage "Stich den Buben", aber auch aus anderen Lagen stammt. Seit 1936 benutzt die Beklagte für Weine die Bezeichnung "Stich den Buben". Im Jahre 1959 wurde für die Beklagte das Wort-/Bildzeichen "Stich den Buben" als Warenzeichen eingetragen. Seit 1996 firmiert sie mit "Winzerhaus Hans StichdenBuben eG".
Der Kläger hat die neue Firma der Beklagten als wettbewerbswidrig beanstandet. Hierzu hat er vorgetragen, der Firmenbestandteil "Winzerhaus" vermittle dem Verkehr den irreführenden Eindruck, er habe es mit einem Einzelunternehmen zu tun, das sich nicht nur mit dem Vertrieb, sondern auch mit dem Anbau von Wein befasse.
Darüber hinaus hat sich der Kläger gegen die Verwendung des weiteren Namensbestandteils "Hans StichdenBuben" gewandt. Er hat die Ansicht vertreten , die Benutzung des Firmenbestandteils "StichdenBuben" sei irreführend, weil die Beklagte auch Weine aus anderen Lagen ausbaue und unter dieser Firma vertreibe. Dadurch werde bei diesen Weinen eine tatsächlich nicht bestehende Verbindung zur Lage "Stich den Buben" hergestellt. Darüber hinaus erwecke die Firma der Beklagten die unzutreffende Vorstellung, die Lage stehe im Alleinbesitz der Beklagten bzw. nur die Beklagte vertreibe Wein aus dieser Lage.
Der Kläger hat beantragt,
der Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr zur Kennzeichnung ihres Unternehmens die Bezeichnung "Winzerhaus Hans StichdenBuben" zu benutzen und unter dieser Firmenbezeichnung im Geschäftsverkehr sonst tätig zu werden.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat die Ansicht vertreten, ihre Firma sei weder irreführend noch verstoße sie gegen § 1 UWG.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und dabei die Unterlassungsanordnung auf die (vollständige) Firmenbezeichnung "Winzerhaus Hans StichdenBuben eG" (unter Einschluß des Rechtsformzusatzes eG) erstreckt.
Auf die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen (OLG-Report Karlsruhe 1998, 418, nur Leitsatz

).


Mit seiner Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Ein Verstoß gegen § 3 UWG liege nicht vor. Der Gebrauch einer Unternehmenskennzeichnung könne zwar irreführend sein, wenn sie geeignet sei, beim Verkehr unzutreffende Vorstellungen über die geschäftlichen Verhältnisse des Unternehmens hervorzurufen. Davon könne im Streitfall aber nicht ausgegangen werden.
Die angesprochenen Verkehrskreise - Endverbraucher und Wiederverkäufer aus dem Einzelhandel oder der Gastronomie - gingen aufgrund der an-
gegriffenen Firma, die in der Berufungsinstanz ausschließlich in ihrer vollständigen Form, also mit Rechtsformzusatz (eG), zu beurteilen sei, nicht davon aus, es mit dem Betrieb eines selbst vermarktenden Winzers zu tun zu haben. Eine solche Vorstellung scheide schon deshalb aus, weil dem Verkehr die Bedeutung der Abkürzung "eG" bekannt sei. Auch wenn - was nahe liege - das Publikum die Firma der Beklagten abkürze, komme es nicht zu der behaupteten Fehlvorstellung. Der Begriff "Winzerhaus" deute nach dem Verkehrsverständnis nicht auf den Betrieb eines einzelnen Winzers hin. Bislang sei es nicht üblich, daß sich weinproduzierende Unternehmen des Begriffs "Winzerhaus" als Bestandteil der Firma oder in der Werbung bedienten. Der angesprochene Verkehr orientiere sich daher am sprachlichen Sinn des Wortes sowie seiner Bestandteile und an dem Zusammenhang, in dem es benutzt werde. Sofern der Begriff, der nicht zur Umgangssprache gehöre, zur Kennzeichnung eines Unternehmens gebraucht werde, bringe der Verkehr ihn mit der Erzeugung und Vermarktung von Wein in Verbindung, wobei er bei einem Handelsunternehmen , das sich als "Haus" bezeichne, von einem vollkaufmännischen Geschäft größeren Umfangs ausgehe. Darüber hinaus sei das Publikum seit langem daran gewöhnt, daß der Begriff "Winzer" in der Firma eines weinvertreibenden Unternehmens auf einen Zusammenschluß von Weinproduzenten hinweise.
In der aufgrund der verwendeten Bezeichnung "Winzer" bestehenden Erwartung, daß sich die Beklagte jedenfalls weit überwiegend mit der Herstellung von Wein aus eigenem Anbau befasse, werde der Verkehr nicht enttäuscht , weil die Beklagte unstreitig nur solchen Wein ausbaue und abfülle, der von ihren Mitgliedern stamme. Dies rechtfertige nach den einschlägigen EGVerordnungen die Bezeichnung der Weine als "Erzeugerabfüllung" und die Aufnahme des Begriffs "Winzer" (in der Mehrzahl) in die Firmenbezeichnung,
zumal die Verbraucher seit langem mit der Existenz von Winzergenossenschaften vertraut seien.
Die angegriffene Firma sei auch nicht aufgrund des Bestandteils "Hans StichdenBuben" irreführend. Fehlvorstellungen über die geographische Herkunft der von der Beklagten vertriebenen Weine würden nicht erweckt. Zwar gehe ein nicht unbeträchtlicher Teil der angesprochenen Interessenten aufgrund der Ä hnlichkeit mit der bekannten Lage "Stich den Buben" von einer Herkunftsangabe aus. Denkbar sei auch, daß ein Teil der Interessenten daraus den Schluß ziehe, das Sortiment der Beklagten umfasse im wesentlichen Wein aus der betreffenden Lage. Darin liege jedoch keine Irreführung, da der weit überwiegende Teil der Weine der Beklagten unstreitig aus Trauben der Lage "Stich den Buben" hergestellt werde. Die Auffassung des Landgerichts, wonach der Verkehr annehme, sämtliche Weine der Beklagten stammten aus dieser Lage, finde weder im Vortrag der Parteien noch in der Lebenserfahrung eine Grundlage.
Eine Irreführung werde auch nicht dadurch begründet, daß die Beklagte auch Weine aus anderen Lagen ausbaue und vermarkte. Selbst wenn dies zur Irreführung des Verkehrs führen könne, rechtfertige dies nicht die beantragte Untersagung einer Benutzung der Firma schlechthin. Allenfalls käme ein - vom Kläger jedoch nicht erstrebtes - Verbot, Wein aus anderen Lagen unter der angegriffenen Firma auf den Markt zu bringen, in Betracht. Darüber hinaus erwecke nicht jede Nennung der Firma auf einem Etikett - unabhängig von der sonstigen Ausgestaltung des Etiketts - beim Verkehr den Eindruck, der Wein stamme aus der Lage "Stich den Buben". Denn der Interessent, der die Lagebezeichnung erkenne, wisse ausnahmslos, daß es auch andere Weinlagen gebe und in welcher Form auf diese üblicherweise hingewiesen werde. Der
Kläger habe nicht unter Beweis gestellt, daß die Beklagte Weine, die nicht aus der Lage "Stich den Buben" stammten, ohne Orts- oder Lagebezeichnung vertreibe.
Der beanstandete Firmenbestandteil "Hans StichdenBuben" begründe schließlich auch keine - unzutreffende - Alleinstellungsbehauptung. Soweit der Verkehr mit Lagenamen eine Vorstellung verbinde, sei ihm geläufig, daß es zahlreiche Lagen gebe, die nicht im Alleinbesitz eines Winzers oder eines Zusammenschlusses von Winzern stünden. Dies gelte auch, wenn ein oder mehrere Hersteller einen auf diese Lage hinweisenden Firmenbestandteil führten.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung auf der bislang festgestellten Tatsachengrundlage nicht in allen Punkten stand. Die Angriffe der Revision führen zur Aufhebung und Zurückverweisung.
1. Ohne Erfolg wendet sich die Revision allerdings dagegen, daß das Berufungsgericht die Gefahr einer Irreführung des Verkehrs durch Verwendung des Firmenbestandteils "Winzerhaus" verneint hat.
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Gebrauch eines Unternehmenskennzeichens irreführend sein kann, wenn ein Firmenbestandteil oder -zusatz geeignet ist, beim Verkehr unzutreffende Vorstellungen über die geschäftlichen Verhältnisse des Unternehmens hervorzurufen (st. Rspr.; vgl. BGHZ 53, 339, 343 - Euro-Spirituosen; BGH, Urt. v. 10.3.1961 - I ZR 142/59, GRUR 1961, 425, 426 = WRP 1961, 188 - Möbelhaus des Handwerks; Urt. v. 7.6.1996 - I ZR 103/94, GRUR 1996, 802 = WRP 1996, 1032 - Klinik; Urt. v. 16.1.1997 - I ZR 225/94, GRUR 1997, 669 = WRP 1997, 731 - Euromint). Zu Recht hat es dabei den Unterlassungsanspruch in erster
Linie nach § 3 UWG beurteilt, weil aus den gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Weinbezeichnungsvorschriften unmittelbar wettbewerbsrechtliche Ansprüche nicht herzuleiten sind (vgl. BGH, Urt. v. 20.10.1999 - I ZR 86/97, WRP 2000, 628, 629 = MarkenR 2000, 175, 176 - Lorch Premium). Daran hat sich durch die seit dem 1. August 2000 geltende Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 des Rates über die Gemeinsame Marktorganisation für Wein vom 7. Mai 1999 (ABl. L Nr. 179, S. 1, im folgenden: GMO), die in erster Linie eine flexiblere Ausgestaltung der bislang geltenden marktordnenden Regeln bezweckt und für den Bereich des Weinbezeichnungsrechts - in Abkehr vom bisherigen Verbotsprinzip - eine Öffnung auch für nicht ausdrücklich zugelassene Angaben vorsieht (vgl. Hieronimi, WRP 2000, 458), nichts geändert.

a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erweckt der Bestandteil "Winzerhaus" in der Firma der Beklagten nicht den unzutreffenden Eindruck eines von einer Einzelperson betriebenen privaten Weingutes. Diese Beurteilung des Verkehrsverständnisses läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
aa) Entgegen der Ansicht der Revision steht die Feststellung des Berufungsgerichts , daß der Begriff "Winzerhaus" kein Wort der Umgangssprache, sondern eine Wortzusammensetzung sei, die im üblichen Sprachgebrauch so nicht vorkomme, nicht im Widerspruch zu seinen weiteren Ausführungen, wonach Anhaltspunkte dafür fehlten, daß die Bezeichnung anders als in dem "gewohnten Sinne" verstanden werde.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß sich ein üblicher Gebrauch der Wortzusammensetzung "Winzerhaus" als Unternehmenskennzeichnung nicht feststellen lasse und sich die Vorstellung des Publikums in einem solchen Fall am sprachlichen Sinn des Wortes und seiner Bestandteile
sowie an dem Zusammenhang, in dem es benutzt werde, orientiere. In bezug auf den Wortbestandteil "Haus" hat es angenommen, der Verkehr habe sich seit langem daran gewöhnt, daß dieser Begriff von Unternehmen mit einer gewissen (örtlichen) Bedeutung beansprucht werde. Hinsichtlich des Bestandteils "Winzer" hat das Berufungsgericht festgestellt, daß diese Bezeichnung häufig in Unternehmenskennzeichen einer Gemeinschaft von zusammengeschlossenen Weinproduzenten ("Winzergenossenschaft", "Winzerkeller") vorkomme. Im Zusammenhang mit diesen - unbeanstandeten - Tatsachenfeststellungen zum Verkehrsverständnis der Wortbestandteile "Winzer" und "Haus" hat das Berufungsgericht weiter ausgeführt, die Wortkombination werde nicht anders als in dem gewohnten Sinne der Einzelbegriffe verstanden. Dies widerspricht weder Denkgesetzen noch der Lebenserfahrung.
Begegnet dem Verkehr - wie vom Berufungsgericht unangegriffen festgestellt - die im Singular und Plural identische Berufsbezeichnung "Winzer" in Unternehmenskennzeichen in Wortzusammensetzungen, die auf einen Zusammenschluß mehrerer Winzer hindeuten ("Winzergenossenschaft", "Winzerkeller" ), so liegt es nicht fern, daß er auch bei der Wortkombination "Winzerhaus" eher an eine Vereinigung mehrerer Winzer als an das Unternehmen eines einzelnen Angehörigen dieser Berufsgruppe erinnert wird. Dafür spricht auch, daß für den landwirtschaftlichen Betrieb eines einzelnen Winzers die Bezeichnung "Weingut" gebräuchlich ist (vgl. BayObLG GRUR 1972, 659; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 21. Aufl., § 3 UWG Rdn. 386; Koch, Weinrecht, 4. Aufl., Stand: Oktober 1999, Stichwort "Weingut", Ziff. 3.3.1) und der Firmenbestandteil "Haus" nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jedenfalls traditionell von Unternehmen mit gewisser (örtlicher) Bedeutung verwendet wird (vgl. BGH, Urt. v. 6.7.1979 - I ZR 96/77, GRUR 1980, 60, 61 - 10 Häuser erwarten Sie; Urt. v. 10.2.1982 - I ZR 65/80, GRUR 1982, 491, 492
- Möbel-Haus; BayObLG BB 1990, 2357; Baumbach/Hefermehl aaO § 3 UWG Rdn. 376; Bokelmann, Firmen- und Geschäftsbezeichnungen, 4. Aufl. 1997, Rdn. 182 a, 205 f.).
bb) Soweit der Wortbestandteil "Winzer" auf Weinerzeugnisse "aus eigenem Anbau" hindeutet, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, daß es nach der durch die Existenz von Winzergenossenschaften mitgeprägten Vorstellung des Publikums genügt, wenn die Inhaber bzw. Mitglieder des Unternehmens den eigenen Weinanbau betreiben. Dies stand - worauf sich das Berufungsgericht zutreffend berufen hat - in Einklang mit der Regelung in Art. 5 Abs. 3 VO (EWG) Nr. 3201/90 der Kommission über Durchführungsbestimmungen für die Bezeichnung und Aufmachung der Weine und der Traubenmoste vom 16. Oktober 1990 (ABl. Nr. L 309, S. 1; zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1470/1999 vom 5. Juli 1999, ABl. Nr. L 170, S. 16), die eine Verwendung der Bezeichnung "Winzer" (in der Mehrzahl) im Firmennamen einer Vereinigung von Weinbaubetrieben oder einer Personenvereinigung ausdrücklich gestattete, wenn der von dem Unternehmen angebotene Wein - wie vorliegend - ausschließlich aus Trauben gewonnen wurde, die aus Weinbergen der Mitglieder stammten (vgl. jetzt zum - fakultativen - Hinweis über die Abfüllung in einem Zusammenschluß von Weinbaubetrieben: Anh. VII, Abschn. B Nr. 1 Buchst. b GMO). Dementsprechend durfte die Beklagte, wie die Revision nicht in Zweifel zieht, ihre Weine nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der vorbezeichneten Verordnung i.V. mit Art. 2 Abs. 3 Buchst. f, Art. 11 Abs. 2 Buchst. q WeinbezeichnungsVO auch als Erzeugerabfüllung bezeichnen. Was aber das Weinbezeichnungsrecht erlaubt, ist wettbewerbsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden (vgl. Koch aaO Stichwort "Irreführungsverbot", Ziff. 4.4, S. 13, m.w.N.; Stichwort "Bezeichnungsrecht", Ziff. 3.2.1, S. 8; vgl. hierzu auch v. Gamm, GRUR 1984, 165, 168).

Die gegenteilige Ansicht des Landgerichts, der Begriff "Winzerhaus" weise auf die Tätigkeit eines einzelnen, mit der Weinerzeugung von der Arbeit am Weinberg bis zur Kellerverarbeitung befaßten Winzers hin, läßt erkennbar außer acht, daß die in Rede stehende Bezeichnung nicht in Alleinstellung, sondern lediglich als Teil einer aus weiteren Elementen bestehenden Unternehmenskennzeichnung benutzt wird. Seine Annahme, der Zusatz "eG" sei nicht geeignet, Fehlvorstellungen des Verkehrs über die Unternehmensstruktur zu verhindern, entbehrt einer Begründung und erweist sich zudem als erfahrungswidrig. Die von der Revision insoweit erhobene Rüge, die Ansicht des Berufungsgerichts, wonach der Zusatz "eG" klarstellend wirke, sei unzutreffend , geht fehl. Das Berufungsgericht hat ausführlich dargelegt, daß der Zusatz "eG" dem angesprochenen Verkehr als Abkürzung für "eingetragene Genossenschaft" bekannt sei und deshalb irrtumsausschließend wirke. Dies steht auch, worauf die Revisionserwiderung zutreffend hinweist, mit der in § 3 Abs. 2 GenG (jetzt § 3 Abs. 1 GenG) zum Ausdruck gelangten gesetzgeberischen Wertung in Einklang, wonach die aufklärenden Rechtsformzusätze "eG" und "eingetragene Genossenschaft" einander gleichgestellt sind.
cc) Ebensowenig ist aus Rechtsgründen zu beanstanden, daß das Berufungsgericht die vom Kläger dargelegten und durch einen Zeitungsbericht über die Umfirmierung untermauerten Beweggründe der Beklagten für ihre Umbenennung für unbeachtlich gehalten hat. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt es für die Beurteilung der angegriffenen Firma als irreführend allein darauf an, welche Vorstellungen sie hervorruft und ob dieser Eindruck mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Unerheblich ist demgegenüber , welchen Eindruck der Unternehmensinhaber mit der Firmenwahl zu erzeugen beabsichtigt. Die nach dem Vorbringen des Klägers bestehende Ab-
sicht der Beklagten, mit ihrer Firma den Eindruck eines privaten Weinguts hervorzurufen , stellt noch kein ausreichendes Indiz dafür dar, daß die neue Firma diesen Eindruck auch tatsächlich erweckt.

b) Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe die erforderlichen Feststellungen zum Verkehrsverständnis des Firmenbestandteils "Winzerhaus" nicht aus eigener Sachkunde und Lebenserfahrung treffen dürfen, hat keinen Erfolg.
Die Beurteilung der Verkehrsauffassung aus eigener Sachkunde setzt u.a. voraus, daß es sich bei dem verwendeten Begriff um einen solchen handelt , dessen Verständnis in einem bestimmten Sinn einfach und naheliegend ist, und daß keine Gründe vorliegen, die Zweifel an dem vom Gericht angenommenen Verkehrsverständnis wecken (vgl. BGH, Urt. v. 11.5.1983 - I ZR 64/81, GRUR 1984, 467, 468 = WRP 1984, 62 - Das unmögliche Möbelhaus ; Urt. v. 17.10.1984 - I ZR 187/82, GRUR 1985, 140, 141 = WRP 1985, 72 - Größtes Teppichhaus der Welt; Urt. v. 19.1.1995 - I ZR 197/92, GRUR 1995, 354, 357 = WRP 1995, 398 - Rügenwalder Teewurst II; Urt. v. 17.6.1999 - I ZR 149/97, GRUR 2000, 239, 240 = WRP 2000, 92 - Last-Minute-Reise). Diese Annahme liegt um so näher, wenn die Richter selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören und sich die Angabe auf Gegenstände des allgemeinen Bedarfs bezieht. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen ist das Berufungsgericht bei der Beurteilung des Verkehrsverständnisses betreffend den Firmenbestandteil "Winzerhaus" rechtsfehlerfrei ausgegangen.
aa) Zu Unrecht macht die Revision geltend, die Mitglieder des Berufungsgerichts repräsentierten nicht uneingeschränkt den angesprochenen Verkehr , so daß ihnen im Hinblick darauf die für die Beurteilung des Streitfalls er-
forderliche Sachkunde fehle. Auch wenn zu den beteiligten Verkehrskreisen nach den zutreffenden und unbeanstandet gebliebenen Ausführungen des Berufungsgerichts nicht nur Endverbraucher, sondern auch Wiederverkäufer aus dem Bereich des Einzelhandels und der Gastronomie gehören und diese ferner nicht immer über überragende, Irrtümer von vornherein ausschließende Kenntnisse verfügen sollten, war das Berufungsgericht dadurch nicht an eigenen Feststellungen gehindert. Denn es ist nicht ersichtlich, daß sich das Verständnis dieser nicht mit Sonderwissen ausgestatteten Zwischenhändler von dem der Gruppe der Endverbraucher, zu der die Mitglieder des Berufungsgerichts zählen, unterscheidet.
bb) Soweit die Revision auf Entscheidungen verschiedener Instanzgerichte verweist, die bei der Beurteilung des Verkehrsverständnisses zu scheinbar abweichenden Ergebnissen gelangt sind, verkennt sie, daß den angeführten Urteilen der Landgerichte Hamburg ("Winzer Martin's Weindepot") und Baden -Baden (Firmenbestandteil "Winzerhaus" ohne den Zusatz "eG") andere Sachverhalte und Klageanträge zugrunde gelegen haben. Dies steht einer Übertragung auf den Streitfall entgegen. Aus gleichen Gründen mußte das Berufungsgericht auch dem Vorbringen des Klägers zur Beurteilung einer Umbenennung der "Zentralkellerei der badischen Winzergenossenschaften" in "Badischer Winzerkeller" nicht weiter nachgehen.
2. Mit Recht wendet sich die Revision aber dagegen, daß das Berufungsgericht auch den Firmenbestandteil "Hans StichdenBuben" als wettbewerbsrechtlich unbedenklich beurteilt hat. Die bisherigen Feststellungen hierzu vermögen die Abweisung der Klage nicht in jeder Hinsicht zu rechtfertigen.

a) Dem Berufungsgericht kann allerdings darin beigetreten werden, daß der Bestandteil "Hans StichdenBuben" in der Firma der Beklagten nicht den irreführenden Eindruck hervorruft, die Beklagte vertreibe ausnahmslos Weine, die aus in der Lage "Stich den Buben" gewonnenen Trauben hergestellt werden.
aa) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß es sich bei dem Firmenbestandteil "Hans StichdenBuben" um eine (mittelbare) geographische Herkunftsangabe handelt, die auf die Lage "Stich den Buben" im Baden-Badener Rebland hinweist.
Auch Personenbezeichnungen - wie hier der Name "Hans StichdenBuben" des Leibkochs des Markgrafen zu Baden, dem der Markgraf nach dem unstreitigen Parteivorbringen im 15. Jahrhundert Rebflächen zu Lehen überlassen hatte - können im Verkehr Hinweis auf eine bestimmte geographische Herkunft sein (vgl. BGH, Urt. v. 9.4.1987 - I ZR 201/84, GRUR 1987, 535 = WRP 1987, 625 - Wodka Woronoff; Klaka in: Althammer/Ströbele/Klaka, MarkenG, 5. Aufl., § 126 Rdn. 11). So verhält es sich hier.
Das Berufungsgericht hat unangegriffen festgestellt, daß "Stich den Buben" eine im Verkehr bekannte Lage bezeichnet und der Verkehr diese Lagebezeichnung aufgrund der Ä hnlichkeit der Wortzeichen in dem Firmenbestandteil "Hans StichdenBuben" wiedererkennt.
Eine Lage ist eine bestimmte Rebfläche (Einzellage) oder die Zusammenfassung solcher Flächen (Großlage), aus deren Erträgen gleichwertige Weine gleichartiger Geschmacksrichtungen hergestellt zu werden pflegen und die in einer Gemeinde oder in mehreren Gemeinden desselben bestimmten
Anbaugebietes belegen sind (§ 2 Nr. 22 WeinG 1994). Danach stellt die auf eine bestimmte Rebfläche bezogene Lagebezeichnung (hier: "Stich den Buben" ) eine geographische Herkunftsangabe dar (vgl. § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a WeinG 1994).
Dem steht nicht entgegen, daß nach § 39 Abs. 1 Nr. 2 WeinVO (i.d.F. v. 28.8.1998, BGBl. I, 2609) dem Namen der Lage der entsprechende Name der Gemeinde oder des Ortsteils hinzuzufügen ist, wenn er zur Bezeichnung eines Qualitätsweins b.A. verwendet wird. Denn diese Rechtslage schließt es nicht aus, daß der Verkehr einen Lagenamen auch ohne Ortsangabe als eine ihm geläufige Lagebezeichnung identifiziert oder aus anderen Gründen ohne unmittelbaren örtlichen Bezug als geographischen Herkunftshinweis auffaßt (vgl. EuGH, Urt. v. 25.2.1981 - 56/80, GRUR 1981, 430, 431 - Schloßdoktor/Klosterdoktor ; BGH, Urt. v. 30.10.1981 - I ZR 149/77, GRUR 1982, 423, 424 - Schloßdoktor /Klosterdoktor; Beschl. v. 28.9.1979 - I ZB 2/78, GRUR 1980, 173, 174 - FÜRSTENTHALER). Die Revision hat sich hiergegen auch nicht gewandt.
bb) Es begegnet auch keinen rechtlichen Bedenken, daß das Berufungsgericht den Firmenbestandteil "Hans StichdenBuben" unter dem Gesichtspunkt des Vertriebes von Weinen aus anderen Lagen nach § 3 UWG beurteilt hat.
(1) Ein wettbewerbsrechtlicher Schutz von Mitbewerbern läßt sich auch hinsichtlich der hier in Rede stehenden geographischen Herkunftsangabe nicht aus den gemeinschaftsrechtlichen oder nationalen Bestimmungen des Weinbezeichnungsrechts herleiten (vgl. Koch aaO Stichwort "Irreführungsverbot", Ziff. 4.4, S. 13 a.E.). Zwar findet der Begriff der Lage als "Name einer kleineren geographischen Einheit als der Mitgliedstaat" auch im Gemeinschaftsrecht
Niederschlag (vgl. Art. 51 Abs. 1, 1. Spiegelstrich GMO). Die nähere Ausgestaltung des Rechts der Lagebezeichnungen bleibt aber - bei weitem Spielraum - den nationalen Rechtsetzungsakten der Mitgliedstaaten überlassen (vgl. Koch aaO Stichwort "Lage", Ziff. 3.1, S. 5). So kann etwa die Bezeichnung von Qualitätsweinen b.A. "nach Maßgabe der Vorschriften des Erzeugermitgliedstaats" um die Angabe einer geographischen Einheit, die kleiner ist als das bestimmte Anbaugebiet, also um eine Lage (vgl. Hieronimi, WRP 2000, 458, 463), ergänzt werden (vgl. Anh. VII Abschn. B Nr. 1 Buchst. c, 1. Spiegelstrich GMO; zur Rechtslage bis zum 1. August 2000: Art. 11 Abs. 2 Buchst. l, Art. 13 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 2392/89 v. 24. Juli 1989). Soweit die gegenüber dem allgemeinen Irreführungsschutz nach § 3 UWG spezielleren Regelungen des Weinbezeichnungsrechts, wie in Art. 48 GMO (früher Art. 40 VO (EWG) Nr. 2392/89 v. 24. Juli 1989) und - auf nationaler Ebene - § 25 WeinG 1994, Irreführungsverbote enthalten, sind diese zivilrechtlich nicht sanktioniert und unterstellen grundsätzlich keine strengeren Anforderungen als das Irreführungsverbot nach § 3 UWG (Koch aaO Stichwort "Irreführungsverbot", Ziff. 4.4, S. 13 m.w.N.). Die Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates vom 14. Juli 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (ABl. Nr. L 208, S. 1) findet nach der ausdrücklichen Regelung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 auf - hier allein in Rede stehende - Weinbauerzeugnisse keine Anwendung.
(2) Ebensowenig werden die Bestimmungen des UWG vorliegend durch vorrangige Regelungen aus dem Markengesetz verdrängt.
Zwar hat der wettbewerbsrechtlich begründete Schutz der geographischen Herkunftsangabe im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes durch die Bestimmungen der §§ 126 ff. des zum 1. Januar 1995 in Kraft getretenen
Markengesetzes eine sondergesetzliche Ausgestaltung erfahren (vgl. BGHZ 139, 138, 139 - Warsteiner II; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, Vor §§ 126-139, Rdn. 2). Dies bedeutet, daß die genannten Vorschriften grundsätzlich als leges speciales gegenüber den Regelungen der §§ 1, 3 UWG anzusehen sind. Allerdings können, wie sich § 2 MarkenG entnehmen läßt, die Vorschriften der §§ 1, 3 UWG weiterhin ergänzend für Sachverhalte herangezogen werden, die nicht unter §§ 126 ff. MarkenG fallen. So liegt es hier.
Gemäß § 128 Abs. 1 i.V. mit § 127 Abs. 1 MarkenG ist zur Unterlassung verpflichtet, wer geographische Herkunftsangaben im geschäftlichen Verkehr für Waren benutzt, die nicht aus dem Ort stammen, der durch die geographische Herkunftsangabe bezeichnet wird, wenn bei der Benutzung für Waren anderer Herkunft eine Gefahr der Irreführung über die geographische Herkunft besteht. Im Streitfall geht es jedoch nicht um eine Benutzung der geographischen Herkunftsangabe "Stich den Buben" bzw. der ähnlichen Bezeichnung (vgl. § 127 Abs. 4 Nr. 1 MarkenG) "Hans StichdenBuben" für Waren, sondern um eine Verwendung in der Firma der Beklagten. Darüber hinaus ist das generell formulierte Begehren des Klägers auf Unterlassung einer Benutzung der Firma nicht (nur) im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Waren anderer Herkunft gerichtet; vielmehr wendet sich der Kläger - wenn auch mit Blick auf den Vertrieb von Weinen anderer Herkunft - gegen eine Benutzung des Firmenbestandteils schlechthin. Dieser Fall wird von § 127 Abs. 1 MarkenG nicht erfaßt.
Entsprechendes gilt auch für die Regelung des § 127 Abs. 2 MarkenG, die qualifizierte Herkunftsangaben zum Gegenstand hat. Zwar gewährt diese Bestimmung einen Irreführungsschutz auch im Zusammenhang mit der Benutzung für Waren derselben Herkunft, wenn diese nicht bestimmte Eigenschaften oder eine bestimmte Qualität aufweisen (vgl. Reinhard, Die geographische
Herkunftsangabe nach dem Markengesetz, 1999, S. 95; Klaka in: Althammer /Ströbele/Klaka aaO § 127 Rdn. 2). Ebenso wie § 127 Abs. 1 MarkenG verlangt sie aber eine Benutzung der geographischen Herkunftsangabe für Waren. Daran fehlt es im Streitfall, weil der angegriffene Firmenbestandteil nicht stets sowie allenfalls mittelbar "für Waren", d.h. warenkennzeichnend oder -beschreibend, gebraucht wird. Ist aber - wie im Streitfall - der Anwendungsbereich des § 127 Abs. 1 und 2 MarkenG nicht betroffen, so bestehen gegen eine ergänzende Heranziehung von §§ 1, 3 UWG keine durchgreifenden Bedenken (vgl. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12/6581, S. 117; Ingerl/Rohnke aaO Vor §§ 126-139 Rdn. 2). Nichts anderes gilt für den Fall des § 127 Abs. 3 MarkenG.
cc) Dem Berufungsgericht ist auch bei der eigentlichen Prüfung des § 3 UWG unter dem Gesichtspunkt des Vertriebs von Wein aus anderen Lagen kein Rechtsfehler unterlaufen.
Welchen Inhalt ein bestimmter Begriff in seiner konkreten Benutzungsform hat, insbesondere, ob der Verkehr darin einen Hinweis auf das gesamte Sortiment, auf eine besondere Spezialisierung unter Verzicht auf ein breiteres Sortiment oder nur als Hinweis auf einen Teil des Sortiments sieht, unterliegt der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall (vgl. BGH, Urt. v. 2.2.1984 - I ZR 219/81, GRUR 1984, 465, 466 f. - Natursaft; v. Gamm, Wettbewerbsrecht , 5. Aufl. 1987, Bd. 1, Kap. 37 Rdn. 55, Rdn. 87). Im Wirtschaftsleben kommt es nicht selten vor, daß ein Unternehmen in seiner Firma nur auf einen Teil seines Sortiments hinweist, der, sei es historisch, sei es der Abkürzung wegen oder aus sonstigen Gründen, in den Mittelpunkt gerückt wird (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.1976 - I ZR 23/75, GRUR 1977, 159 f. - Ostfriesische Tee Gesell-
schaft; BGH GRUR 1984, 465, 466 f. - Natursaft). Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte wolle aus Sicht des Verkehrs mit dem Firmenbestandteil "Hans StichdenBuben" (lediglich) darauf hinweisen , daß der weit überwiegende Teil ihrer Weine aus dieser Lage stammt, sie sich also im Schwerpunkt mit dem Vertrieb von "Stich den Buben"-Weinen befaßt, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

b) Erfolglos bleiben die Angriffe der Revision auch, soweit sie sich dagegen richten, daß das Berufungsgericht dem Kläger Ansprüche aus § 3 UWG unter dem Gesichtspunkt einer Täuschung des Verkehrs über einen Alleinbesitz der Beklagten bzw. ihrer Mitglieder an der Lage "Stich den Buben" versagt hat.
Die Annahme des Berufungsgerichts, der Verkehr wisse, daß es zahlreiche Lagen gebe, die nicht im Alleinbesitz stünden, und gehe deshalb auch dann, wenn ein Hersteller - wie die Beklagte - einen auf eine bestimmte Lage hinweisenden Firmenbestandteil führe, grundsätzlich davon aus, daß Wein aus derselben Lage von verschiedenen Produzenten vermarktet werden kann, ist weder denkgesetz- noch erfahrungswidrig. Für ihren gegenteiligen Standpunkt, wonach der Verkehr aufgrund des Firmenbestandteils "Hans StichdenBuben" eine Lage im Alleinbesitz der Beklagten oder ihrer Mitglieder annehme, hat die Beklagte keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgebracht.

c) Mit Erfolg rügt die Revision jedoch, das Berufungsgericht habe sich mit dem Vorbringen des Klägers zur Frage einer Monopolisierung der geographischen Lagebezeichnung "Stich den Buben" durch Benutzung einer ähnlichen Bezeichnung als Firmenbestandteil nicht ausreichend auseinandergesetzt. Dieses Vorbringen hätte eine Prüfung nach § 1 UWG unter dem Ge-
sichtspunkt der von § 127 MarkenG nicht erfaßten individuellen Behinderung erfordert.
Nach dem Vortrag des Klägers begründet die Verwendung des Lagenamens als Firmenbestandteil die unmittelbare Gefahr einer Wettbewerbsbeeinträchtigung zu seinen Lasten, weil er in der Lage "Stich den Buben" ebenfalls über Grundbesitz verfügt und Weine aus dieser Lage unter der Lagebezeichnung in Verkehr bringt. Ferner hat er vorgebracht, es liege in seinem Interesse als Wettbewerber, eine Verwässerung des bekannten und berühmten Lagenamens "Stich den Buben" zu verhindern, die dadurch drohe, daß die Beklagte den Qualitätsbegriff im Sinne einer wettbewerbsrechtlich zu beanstandenden Alleinstellung für ihre Handelsfirma verwende und damit (auch) einen Zusammenhang zu Weinen aus anderen, qualitativ nicht vergleichbaren Lagen herstelle.
aa) Nach diesem Vorbringen des Klägers zur Verwendung des Bestandteils "Hans StichdenBuben" in der Firma der Beklagten kommt eine Beeinträchtigung oder Schwächung der Lagebezeichnung "Stich den Buben" in Betracht, die die Prüfung eines Verstoßes gegen § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt einer individuellen Behinderung nahelegt. Denn es kann wettbewerbswidrig sein, die Werbe- und Kennzeichnungskraft einer geographischen Herkunftsangabe dadurch zu beeinträchtigen, daß sie in anderer Weise (hier als Unternehmenskennzeichen) benutzt und dadurch ihre Funktion, als Hinweis auf die Herkunft aus einem bestimmten geographischen Gebiet zu dienen, gefährdet wird. In derartigen Fällen kann vor allem der Werbewert der Herkunftsangabe infolge Verkehrsverwirrung empfindlich geschwächt und die Gefahr der Umwandlung in eine betriebliche Herkunftsangabe begründet werden (vgl. auch Baumbach/Hefermehl aaO § 1 UWG Rdn. 227 f.). Dies kommt jedenfalls
- anders als bei der unmittelbaren - bei der mittelbaren geographischen Herkunftsangabe in Betracht, bei der der Verkehr nicht aus der direkten Benennung eines geographischen Gebietes, sondern erst aufgrund anderer Hinweise auf ein bestimmtes Gebiet schließt.
Geographische Herkunftsangaben, insbesondere Lagebezeichnungen, können für die Vermarktung von aus der bezeichneten Gegend stammenden Produkten, vor allem bei Naturprodukten, von großer Bedeutung und - im Sinne eines preisbildenden Faktors - von hohem Wert sein (vgl. Begr. zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Markenrechts, BT-Drucks. 12/6581, S. 116; Koch aaO Stichwort "Lage", Ziff. 3.1.3.2, S. 8/9). Zwar sind geographische Herkunftsangaben, auch in die Weinbergsrolle eingetragene Lagebezeichnungen, mangels Zuordnung der Kennzeichnung zu einem bestimmten (ausschließlichen) Rechtsträger grundsätzlich nicht mit individuellen Schutz- oder subjektiven Kennzeichenrechten verknüpft (vgl. BVerfGE 51, 193, 215 - Weinbergsrolle; BGHZ 139, 138, 140 - Warsteiner II). Ein wettbewerbsrechtlicher Schutz ergibt sich aber mittelbar aufgrund einer Reflexwirkung des objektiven Rechts in dem Sinne, daß jedes Unternehmen, das Wein aus der bezeichneten Lage herstellt oder vertreibt, in gleichem Maße zur Benutzung der geographischen Herkunftsangabe berechtigt ist. Geographische Herkunftsangaben verkörpern dabei eine Art "kollektiven Goodwill", der allen berechtigten Unternehmen gemeinsam zusteht (Begr. zum Regierungsentwurf, BTDrucks. 12/6581, S. 116). In dieses Gefüge greift ein, wer dazu übergeht, die geographische Herkunftsangabe als Bestandteil in seine Firma zu übernehmen und damit als individuelles Unternehmenskennzeichen zu verwenden. Dabei darf die Möglichkeit eines Wandels der Verkehrsauffassung dahin nicht außer acht gelassen werden, daß der Verkehr die geographische Herkunftsangabe in der Firma der Beklagten eines Tages nur noch als Hinweis auf die betriebliche
Herkunft bzw. auf ein bestimmtes Unternehmen - die Beklagte - versteht (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 17.9.1957 - I ZR 105/56, GRUR 1958, 39, 40 - Rosenheimer Gummimäntel; Urt. v. 26.9.1980 - I ZR 19/78, GRUR 1981, 57, 59 - Jena). Eine derartige Monopolisierung der geographischen Herkunftsangabe müssen die übrigen Beteiligten nicht ohne weiteres hinnehmen. Sie ist vergleichbar mit der Eintragung des Namens einer Lage als Warenzeichen oder Marke, deren Zulässigkeit - auch wenn die Markeneintragung bei Lagen im Alleinbesitz diskutiert und größtenteils befürwortet wird (vgl. BGH, Beschl. v. 3.6.1993 - I ZB 6/91, GRUR 1993, 832, 833 - Piesporter Goldtröpfchen; Beschl. v. 14.5.1992 - I ZB 12/90, GRUR 1993, 43, 44 f. - Römigberg; Beschl. v. 21.1.1982 - I ZB 7/81, GRUR 1983, 440, 441 - Burkheimer Schloßberg) - nach allgemeiner Ansicht jedenfalls bei nicht im Alleinbesitz stehenden Lagen mit Rücksicht auf das hohe Freihaltebedürfnis der übrigen Weinbauunternehmen mit Rebflächen in der bezeichneten Lage abzulehnen ist (vgl. hierzu Haß, GRUR 1980, 87, 89). Zwar verliert selbst eine Ortsangabe, die sich aufgrund ihrer Benutzung durch einen bestimmten Betrieb für diesen durchgesetzt hat, dadurch noch nicht von selbst ihre ursprüngliche Eigenschaft als geographische Angabe (vgl. BGHZ 139, 138, 142 - Warsteiner II, m.w.N.). Es besteht aber grundsätzlich die Gefahr einer Verwässerung der Herkunftsangabe als Lagebezeichnung und - verbunden damit - einer Verkehrsverwirrung, wenn aufgrund der Verwendung als Firmenbestandteil die ursprünglich der Lage entgegengebrachte Wertschätzung nunmehr ganz oder zum Teil auf das mit der Lagebezeichnung firmierende Unternehmen abgeleitet wird.
bb) Das Berufungsgericht hat zur Frage einer individuellen Behinderung nach § 1 UWG durch Benutzung der Lagebezeichnung "Stich den Buben" in der Firma der Beklagten bislang keine Feststellungen getroffen. Mangels einer
ausreichenden Tatsachengrundlage ist der Senat zu einer eigenen Sachentscheidung nicht in der Lage. Das Berufungsgericht wird die erforderlichen Feststellungen im wiedereröffneten Berufungsrechtszug, in dem die Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen haben, nachzuholen haben.
III. Danach war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Erdmann v. Ungern-Sternberg Starck
Pokrant Büscher

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.