Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 22. März 2019 - 8 ZB 18.30910

bei uns veröffentlicht am22.03.2019
vorgehend
Verwaltungsgericht Regensburg, RO 2 K 16.30645, 08.03.2018

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die vom Kläger im Zulassungsantrag für grundsätzlich bedeutsam nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG gehaltene Rechtsfrage,

„ob bei der Gefährdungsprognose auch dann hypothetisch eine gemeinsame Rückkehr der Familie zugrunde gelegt werden muss, wenn deren Asylverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist“, 4 ist einer generellen Klärung nicht zugänglich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohen, regelmäßig von einer gemeinsamen Rückkehr mit den Familienangehörigen auszugehen, falls er auch in Deutschland mit ihnen als Familie zusammenlebt (vgl. BVerwG, B.v. 12.4.2001 - 1 B 124.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 247 = juris Rn. 2; U.v. 21.9.1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 = juris Rn. 11 m.w.N.). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn ein Familienangehöriger aufgrund rechtskräftiger Feststellung als politisch Verfolgter anerkannt ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.9.1999, a.a.O.) oder ihm rechtskräftig Abschiebungsschutz zuerkannt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.7.2000 - 9 C 9.00 - DVBl 2001, 211 = juris Rn. 9 f. zu § 53 Abs. 6 AuslG). Im Übrigen ist der Gefahrenprognose im Fall einer hypothetischen Rückkehr eine dem Einzelfall entsprechende, realitätsgerechte Sichtweise zugrunde zu legen. Dabei sind die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Tatsachengerichts gegebenen Umstände und absehbaren Entwicklungen zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, U.v. 21.9.1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 = juris Rn. 12; vgl. auch BayVGH, B.v. 11.9.2001 - 9 B 00.31496 - InfAuslR 2002, 261 = juris Rn. 53). Diese sind keiner allgemeingültigen Klärung zugänglich.

Abgesehen davon spricht bei realitätsgerechter Betrachtung nichts dafür, dass der vierjährige Kläger in absehbarer Zeit ohne seine Eltern nach Äthiopien zurückkehren wird. Das Zulassungsvorbringen, eine Rückkehr mit seinen Eltern dürfe vor rechtskräftiger Ablehnung derer Asylanträge nicht unterstellt werden, greift zu kurz. Sollten diese - ungeachtet der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 13.2.2019 - 8 B 17.31645 - juris Rn. 28 ff.; U.v. 12.3.2019 - 8 B 18.30252 - juris Rn. 25 ff.) - als Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte anerkannt werden, wäre der Kläger als minderjähriges Kind schutzberechtigter Eltern entsprechend asylberechtigt (Familienasyl, § 26 Abs. 2, Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG). Im Übrigen vermittelt das in § 58 Abs. 1a AufenthG enthaltene Vollstreckungshindernis unbegleiteten Minderjährigen gleichwertigen Schutz vor Abschiebung wie nationaler Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.2013 - 10 C 13.12 - BVerwGE 147, 8 = juris Rn. 16 ff.).

2. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Der geltend gemachte Verfahrensmangel der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) liegt nicht vor. Der Kläger beanstandet die verwaltungsgerichtliche Ablehnung seines Beweisantrags für die Tatsache, dass er und seine Eltern als Familie, deren Mutter chronisch psychisch krank sowie an einer Infektion erkrankt sei, bei der die Eltern beide politisch belastet seien und der Vater wegen der Ehe vom Islam zum Christentum übergetreten sei, im Falle einer Rückkehr keine Chance hätten, auf Dauer ihre Existenz zu sichern. Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung des Beweisantrags damit begründet, dass der Antrag eine politische Vorbelastung der Eltern unterstelle, von der nach der Bewertung der Auskunftslage durch das Gericht nicht ausgegangen werden könne. Inwieweit der gesunde Vater die Existenz der Familie nicht sichern können sollte, sei nicht ersichtlich (vgl. S. 2 der Sitzungsniederschrift vom 7.3.2018).

Die Ablehnung eines formell ordnungsgemäßen, prozessrechtlich beachtlichen Beweisantrags verletzt nur dann die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs im Sinne von § 138 Nr. 3 VwGO, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (stRspr vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2016 - 2 BvR 1997/15 - juris Rn. 15; BVerwG, B.v. 17.6.2013 - 10 B 8.13 - juris Rn. 8, jeweils m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall.

2.1 Soweit das Verwaltungsgericht die im Beweisantrag vorausgesetzte „politische Vorbelastung“ im Sinne einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgefahr verstanden hat, hat es den unter Beweis gestellten Sachverhalt in der Sache als nicht entscheidungserheblich abgelehnt, weil es im Rahmen seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zu der Überzeugung gelangt ist, dass es sich bei den Eltern des Klägers nicht - wie der Beweisantrag bei so verstandener Auslegung der dortigen Umschreibung „politisch belastet“ voraussetzt - um herausgehobene, aus Sicht der äthiopischen Regierung verfolgungswürdige Oppositionelle, handelt (vgl. insoweit S. 17 UA im Verfahren Az. RO 2 K 16.30643 und S. 15 UA im Verfahren Az. RO 2 K 16.30644). Dies erweist sich nicht als verfahrensfehlerhaft (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 86 Rn. 70).

2.2 Das Zulassungsvorbringen, eine „politische Vorbelastung“ sei nicht am Maßstab einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung zu messen, greift ebenfalls nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag auch als unzulässigen Ausforschungsbeweis angesehen, weil nicht ersichtlich sei, inwieweit der gesunde Vater die Existenz der Familie nicht sichern können soll (vgl. S. 2 der Sitzungsniederschrift). Dies ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Ein als unzulässig ablehnbarer Ausforschungsbeweis liegt in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (vgl. BVerwG, B.v. 17.9.2014 - 8 B 15.14 - ZOV 2014, 268 = juris Rn. 10; B.v. 29.4.2002 - BVerwG 1 B 59.02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60 = juris Rn. 4; BVerfG, B.v. 26.8.1996 - 2 BvR 1968/94 - juris Rn. 3). Der Kläger hat nicht substanziiert dargelegt, woraus er annimmt, dass Rückkehrer, deren exilpolitischen Aktivitäten keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr zur Folge haben, bei der Sicherstellung ihrer Lebensgrundlage (z.B. auf dem Arbeitsmarkt) in Äthiopien benachteiligt würden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG.

4. Angesichts der fehlenden Erfolgsaussichten des Zulassungsantrages war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsverfahren nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO abzulehnen.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

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(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Re

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


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(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

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(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmäc

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 78 Rechtsmittel


(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen di

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Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG | § 30 Gegenstandswert in gerichtlichen Verfahren nach dem Asylgesetz


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(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 29. August 2017 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Gewährung subsidiären Schutzes und hilfsweise die Feststellung nationalen Abschiebungsschutzes.

1. Der Kläger ist äthiopischer Staatsangehöriger und gehört dem Volksstamm der Oromo an. Bis zu seiner Ausreise lebte er in seinem Heimatland in der Stadt Robe, die er nach seiner Einlassung am 10. September 2013 verließ. Danach hielt er sich zunächst im Sudan und in Libyen auf und gelangte am 30. April 2015 auf dem Landweg über Italien und Österreich in die Bundesrepublik Deutschland, wo er am 3. Mai 2015 Asyl beantragte.

Bei seiner persönlichen Anhörung zu seinem Verfolgungsschicksal beim Bundesamt für ... (im Folgenden: Bundesamt) am 3. Februar 2017 gab der Kläger an, er sei bei der Ausreise 16 Jahre alt gewesen. Papiere besitze er nicht. Seine Familie habe in Robe ein Hotel betrieben, wovon seine Mutter heute noch lebe. Er habe sich bis zur Ausreise dort aufgehalten. Im Heimatland lebten außerdem ein Bruder, zwei Schwestern, zwei Onkel und eine Tante; sein Vater sei verstorben. Er sei Schüler gewesen und habe seinen Eltern geholfen. Die Schule habe er bis zur achten Klasse besucht und diese mit 16 Jahren ohne einen Abschluss verlassen.

Am 3. Juni 2013 hätten sie gegen den äthiopischen Masterplan und gegen die Ungerechtigkeit demonstriert. Es sei auf dieser Demonstration ganz vorne dabei gewesen und habe ein Plakat getragen sowie ein Gedicht vorgelesen. Am nächsten Tag seien Polizisten in die Schule gekommen und hätten sie festgenommen, weil auf der Demonstration Bilder und Videoaufzeichnungen von ihnen gemacht worden seien. Man habe sie zum Gefängnis gebracht und dort einen Monat lang eingesperrt. Im Gefängnis sei er drei Tage lang in der Nacht geschlagen worden. Man habe ihm Zähne ausgeschlagen und er habe nur wenig zu essen erhalten. Er sei wieder frei gekommen, weil sein Onkel unterschrieben habe, dass er ihn bei Bedarf wieder zum Gefängnis zurückbringen werde. Er habe eine Ladung für den 11. Juni 2013 erhalten. Als er hingegangen sei, habe man ihn zu dem Gedicht und dem Plakat befragt. Am 2. August 2013 habe man ihn mit einem Gefangenentransport zu einem großen Gefängnis bringen wollen. Es sei ein Markttag gewesen. Er habe vom Auto herunterspringen und in der Menge auf dem Markt verschwinden können. Er sei zu Fuß zu einem anderen Dorf gelaufen und habe sich dort versteckt. Als er seine Mutter angerufen habe, habe diese berichtet, dass jeden Tag Polizisten kämen und nach ihm suchten. Sie seien bei dem Telefonat zu dem Entschluss gekommen, dass eine Rückkehr zu gefährlich sei und er besser Äthiopien verlassen sollte. Die Polizisten hätten seine Mutter geschlagen, um sie zum Verrat seines Aufenthaltsorts zu zwingen. Man habe ihr angedroht, ihr das Hotel wegzunehmen.

Auf die Frage, wann er aus dem Gefängnis frei gekommen sei, nannte der Kläger das Datum 3. August 2013. Als er aufgefordert wurde, die Reihenfolge der Ereignisse mit dem jeweiligen Datum auf einem Zettel zu notieren, gab er an, er sei am 3. Juni 2013 verhaftet worden. Am 21. Juni 2013 sei er freigekommen. Er habe für drei Termine Ladungen erhalten, nämlich für den 20., 21.und 28. August 2013. Er habe alle drei Termine wahrgenommen. Auf Nachfrage, warum er zunächst den 11. Juni als Ladungstermin angegeben habe, erklärte der Kläger, man habe ihm vier Termine gegeben. Der 11. Juni stimme auch. Nach der Freilassung aus dem Gefängnis sei gegen ihn ein Schulverbot erlassen worden; er habe sich bei seiner Mutter aufgehalten. Auf die Frage, wie es komme, dass er am 2. August mit einem Gefangenentransport habe verlegt werden sollen, obwohl er an diesem Tag nicht im Gefängnis gewesen sei, erklärte er, er sei an diesem Tag nicht im Gefängnis gewesen, sondern habe von der Polizei dorthin gebracht werden sollen. Darauf hingewiesen, dass er das bisher nicht geschildert habe und dass er darstellen solle, wie es zu einer erneuten Festnahme gekommen sei, gab der Kläger an, er sei nur einmal festgenommen worden. Das Datum 2. August 2013 sei von ihm falsch angegeben worden, richtig sei der 29. August 2013. An diesem Tag seien sie morgens um 7:00 Uhr herausgefahren. Ungefähr 30 Minuten später sei er von dem Auto, einem Isuzu Pickup, der hinten offen gewesen sei, abgesprungen. Es seien viele Gefangene gewesen. Dem Wagen sei ein anderes Polizeiauto gefolgt, um die Gefangenen zu bewachen. Er sei abgesprungen und in die Menschenmenge hineingelaufen. Auf die Frage, wie es komme, dass er am 29. August im Gefängnis gewesen sei, erklärte der Kläger, er sei am 28. August bei dem Termin im Gefängnis gewesen. Dort sei er festgenommen worden. Wie lange er sich nach seiner Flucht in dem Dorf aufgehalten habe, könne er nicht angeben, weil er unter Stress gestanden habe. Er habe sich bei Menschen versteckt und von diesen Essen erhalten. Seine Mutter habe ihnen Geld für den Weg in den Sudan gegeben. Dort sei ihm das Geld ausgegangen, aber andere Mitflüchtlinge und der Schleuser hätten ihn finanziell unterstützt, sodass er weiter gekommen sei. Der Schleuser habe von den anderen Flüchtlingen Geld für ihn verlangt, weil er der jüngste unter den Flüchtlingen gewesen sei.

Im Fall einer Rückkehr erwarte er, ins Gefängnis zu kommen oder getötet zu werden. In Deutschland engagiere er sich exilpolitisch für die Sache des Oromo-Volkes. Hierzu übergab er eine Mitgliedsbescheinigung der TBOJ/UOSG (Tokkummaa Barattoota Oromoo Biyyaa Jarmanii/Union of Oromo-Students in Europe, German Branch) und drei Fotos von einer Demonstration.

2. Mit Bescheid vom 21. März 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2), erkannte die Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung und im Falle einer Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen; andernfalls werde er nach Äthiopien abgeschoben (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).

Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, das Vorbringen des Klägers zu seinen Vorfluchtgründen sei aufgrund seiner widersprüchlichen Angaben nicht glaubhaft. Eine Gefährdung wegen der exilpolitischen Tätigkeit sei aufgrund ihrer untergeordneten Bedeutung nicht zu befürchten.

3. Der Kläger hat hiergegen Klage erhoben und einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise auf subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG, weiter hilfsweise auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen, geltend gemacht. Das Verwaltungsgericht Würzburg hat der Klage mit Urteil vom 29. August 2017 stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 21. März 2017 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es könne offen bleiben, ob der Kläger vorverfolgt ausgereist sei. Ungeachtet des Vorfluchtgeschehens drohten diesem im Falle der Rückkehr jedenfalls aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit an seine politische Überzeugung anknüpfende staatliche Verfolgungshandlungen. Nach der aktuellen Erkenntnislage melde der äthiopische Sicherheitsdienst unterschiedslos sämtliche von ihm beobachtete oppositionelle Tätigkeiten im Ausland, ohne zwischen bloßen Mitläufern und herausgehobenen Personen zu differenzieren. Damit bestehe nunmehr auch für äthiopische Staatsangehörige, die sich zu vom äthiopischen Staat als terroristisch eingestuften Organisationen oder zu einer Exilorganisation, die einer solchen Organisation nahe stehe, bekennen würden und ein Mindestmaß an Aktivität im Rahmen dieser Organisationen vorweisen könnten, eine konkrete Gefahr bei einer Rückführung nach Äthiopien.

4. Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 14. November 2017 (Az. 21 ZB 17.31340) zugelassenen Berufung. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, die Quellenlage trage weiterhin nicht den Schluss, dass im Rückkehrfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG wegen Nachfluchtaktivitäten der Art zu befürchten sei, die der Kläger praktiziere. Es gebe auch keine Anhaltspunkte für einen Anspruch auf unionsrechtlichen subsidiären Schutz oder auf das nationale ausländerrechtliche Abschiebungsverbot. Sonstige Gründe, die zu einer Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheids führen könnten, seien ebenfalls nicht ersichtlich.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 29. August 2017 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Zur Begründung gibt er an, er habe einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Wie verschiedene vorgelegte Fotografien und Bescheinigungen belegten, habe er seine exilpolitische Betätigung für die TBOJ/UOSG weiterhin fortgesetzt. Auch einfachen aktiven Mitgliedern dieser Organisation drohe bei Rückkehr nach Äthiopien asylrelevante Verfolgung. Die aktuelle innenpolitische Lage in Äthiopien bleibe auch nach der Ernennung des Oromo Abyi Ahmed zum Premierminister unübersichtlich und volatil. Oromische Flüchtlinge, die in Deutschland politisch für die OLF (TBOJ/UOSG) aktiv gewesen seien, würden als potentielle mutmaßliche Unterstützer einer separatistischen Bewegung angesehen werden, die die Existenz des Staates Äthiopien bedrohten. Diese Gesinnung würde ihnen unterstellt werden, weil sie nicht direkt nach der Ernennung von Abyi Ahmed zum Premier nach Äthiopien zurückgekehrt seien. Sie würden mit Sicherheit früher oder später festgenommen, für unbestimmte Zeit inhaftiert und misshandelt werden. Da der Kläger vorverfolgt ausgereist sei, bestehe eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen würden. Stichhaltige Gründe, die diese Vermutung entkräften könnten, lägen angesichts der aktuellen politischen Situation in Äthiopien nicht vor. Schon aufgrund der Vorverfolgung, zumindest aber wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten, sei dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 26. März 2018 zu verschiedenen Fragen Beweis erhoben durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amts bzw. eines schriftlichen Gutachtens von Amnesty International, des GIGA-Instituts für Afrika-Studien und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe unter anderem zu der Frage, ob nach der aktuellen innenpolitischen Lage in Äthiopien äthiopischen Staatsangehörigen, allein weil sie (einfaches) Mitglied einer in Deutschland exilpolitisch tätigen, von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation eingestuften oder einer ihr nahestehenden Organisation sind, ohne in dieser Organisation eine herausgehobene Stellung innezuhaben, bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien von staatlicher Seite schwere physische oder psychische Misshandlungen oder Haft auf bestimmte oder unbestimmte Zeit drohen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die von der Beklagten vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Bescheid des Bundesamts vom 21. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Es kann offen bleiben, ob dem Kläger im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zustand. Er hat jedenfalls in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (vgl. unten Ziff. I.) noch auf subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG (vgl. unten Ziff. II.). Auch ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (vgl. unten Ziff. III.) oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. unten Ziff. IV.) steht dem Kläger nicht zu. Das Urteil des Verwaltungsgerichts war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.

1. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, sofern nicht die in dieser Bestimmung angeführten - hier nicht einschlägigen - besonderen Voraussetzungen nach § 60 Abs. 8 AufenthG erfüllt sind. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Als Verfolgung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Diese Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337 S. 9 - im Folgenden: RL 2011/95/EU) umsetzende Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen. Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 11). Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind unter anderem gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen. Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).

Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller Vorverfolgung erlitten hat. Dieser im Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 = juris Rn. 22).

Vorverfolgte bzw. geschädigte Asylantragsteller werden durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU privilegiert. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Handlungen oder Bedrohungen eine Beweiskraft für die Wiederholung in der Zukunft bei, wenn sie eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 15; EuGH, U.v. 2.3.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 = juris Rn. 94). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 = juris Rn. 23).

Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 = juris Rn. 32). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, B.v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - DVBl 2008, 1255 = juris Rn. 37).

2. Nach diesen Maßstäben ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen.

Infolge des den in das Berufungsverfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen zu entnehmenden grundlegenden Wandels der politischen Verhältnisse seit April 2018 und der daraus folgenden Situation für Oppositionelle in Äthiopien kann im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder angenommen werden, dass dem Kläger aufgrund der behaupteten früheren Ereignisse in Äthiopien (vgl. dazu unten a) noch infolge seiner exilpolitischen Tätigkeit in Deutschland (vgl. dazu unten b) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete, flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht.

a) Es kann offen bleiben, ob der Kläger vor seiner Ausreise aus Äthiopien im Jahr 2013 aufgrund der Geschehnisse, die er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt geschildert hat, bereits verfolgt wurde oder von Verfolgung bedroht war und ob er deshalb die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für sich in Anspruch nehmen kann. Denn selbst wenn man dies zu seinen Gunsten annimmt, sprechen infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nunmehr stichhaltige Gründe gegen die Wiederholung einer solchen Verfolgung, sodass die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EG nicht greift. Dies ergibt sich aus Folgendem:

aa) Die politische Situation in Äthiopien hat sich für Regierungsgegner und Oppositionelle bereits seit Anfang 2018 deutlich entspannt. Anfang des Jahres kündigte der damalige Premierminister Heilemariam Desalegn nach zweijährigen andauernden Protesten Reformmaßnahmen und die Freilassung von politischen Gefangenen an. Am 15. Februar 2018 gab er bekannt, sein Amt als Regierungschef und Parteivorsitzender der regierenden EPRDF (Ethiopian People‘s Revolutionary Demokratic Front) niederzulegen, um den Weg für Reformen freizumachen. Dennoch verhängte die äthiopische Regierung am 16. Februar 2018 einen sechsmonatigen Ausnahmezustand mit der Begründung, Proteste und Unruhen verhindern zu wollen. Nachdem der Rat der EPRDF, die sich aus den vier regionalen Parteien TPLF (Tigray People's Liberation Front), ANDM (Amhara National Democratic Movement), OPDO (Oromo People’s Democratic Organisation) und SEPDM (Southern Ethiopian Peoples’ Democratic Movement) zusammensetzt, Abiy Ahmed mit 108 von 180 Stimmen zum Premierminister gewählt hatte (vgl. Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, SWP-Aktuell von Juni 2018, „Abiy Superstar - Reformer oder Revolutionär“ [im Folgenden: SWP-Aktuell von Juni 2018]; Ministry of Immigration and Integration, The Danish Immigration Service, Ethiopia: Political situation and treatment of opposition, September 2018, Deutsche (Teil)-Übersetzung [im Folgenden: The Danish Immigration Service] S. 11), wurde dieser am 2. April 2018 als neuer Premierminister vereidigt. Zwar kommt Abiy Ahmed ebenfalls aus dem Regierungsbündnis der EPRDF, ist aber der Erste in diesem Amt, der in Äthiopien der Ethnie der Oromo angehört (vgl. Amnesty International, Stellungnahme vom 11.7.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 S. 1), der größten ethnischen Gruppe Äthiopiens, die sich jahrzehntelang gegen wirtschaftliche, kulturelle und politische Marginalisierung wehrte (vgl. Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe-Länderanalyse vom 26.9.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 [im Folgenden: Schweizerische Flüchtlingshilfe] S. 5).

Seit seinem Amtsantritt hat Premierminister Abiy Ahmed eine Vielzahl tiefgreifender Reformen in Äthiopien umgesetzt. Mitte Mai 2018 wurden das Kabinett umgebildet und altgediente EPRDF-Funktionsträger abgesetzt; die Mehrheit des Kabinetts besteht nun aus Oromo. Die bisher einflussreiche TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hatte (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17.10.2018 [im Folgenden: AA, Ad-hoc-Bericht] S. 8), stellt nur noch zwei Minister (vgl. SWP-Aktuell von Juni 2018). Auch der bisherige Nachrichten- und Sicherheitsdienstchef und der Generalstabschef wurden ausgewechselt (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 1). Die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi wurde zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 [im Folgenden: BFA Länderinformationsblatt] S. 6). Am 5. Juni 2018 wurde der am 16. Februar 2018 verhängte sechsmonatige Ausnahmezustand vorzeitig beendet. Mit dem benachbarten Eritrea wurde ein Friedensabkommen geschlossen und Oppositionsparteien eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 5 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 10).

Gerade auch für (frühere) Oppositionelle hat sich die Situation deutlich und mit asylrechtlicher Relevanz verbessert. Bereits unmittelbar nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed im April 2018 wurde das berüchtigte „Maekelawi-Gefängnis“ in Addis Abeba geschlossen, in dem offenbar insbesondere auch aus politischen Gründen verhaftete Gefangene verhört worden waren (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14; BFA Länderinformationsblatt S. 24; AA, Ad-hoc-Bericht S. 17). Im August 2018 wurde auch das bis dahin für Folter berüchtigte „Jail Ogaden“ in der Region Somali geschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 24 f.). In der ersten Jahreshälfte 2018 sind ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte Personen vorzeitig entlassen worden. Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 politische Gefangene freigelassen worden, darunter führende Oppositionspolitiker wie der Oppositionsführer der Region Oromia, Merera Gudina, und sein Stellvertreter Bekele Gerba (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9 f.), weiterhin der Anführer von Ginbot7, Berghane Nega, der unter dem früheren Regime zum Tode verurteilt worden war, und der Kommandant der ONLF, Abdikarim Muse Qalbi Dhagah (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 6). Am 26. Mai 2018 wurde Andargachew Tsige, ein Führungsmitglied von Ginbot7, begnadigt, der sich kurz nach seiner Entlassung öffentlichwirksam mit Premierminister Abiy Ahmed getroffen hatte (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 10). Neben führenden Politikern befinden sich unter den Freigelassenen auch Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (The Danish Immigration Service S. 13).

Am 20. Juli 2018 wurde zudem ein allgemeines Amnestiegesetz erlassen, nach welchem Personen, die bis zum 7. Juni 2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze, insbesondere wegen begangener politischer Vergehen, strafrechtlich verfolgt wurden, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Amnestie stellen konnten (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019 [im Folgenden: AA, Stellungnahme vom 7.2.2019]; AA, Ad-hoc-Bericht S. 11; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; The Danish Immigration Service S. 14).

Weiterhin wurde am 5. Juli 2018 die Einstufung der Untergrund- und Auslands-Oppositionsgruppierungen Ginbot7 (auch Patriotic Ginbot7 oder PG7), OLF und ONLF (Ogaden National Liberation Front) als terroristische Organisationen durch das Parlament von der Terrorliste gestrichen und die Oppositionsgruppen wurden eingeladen, nach Äthiopien zurückzukehren, um am politischen Diskurs teilzunehmen (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019; AA, Ad-hoc-Bericht S. 18 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.; VG Bayreuth, U. v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 44 m.w.N.). Daraufhin sind sowohl Vertreter der OLF (Jawar Mohammed) als auch der Ginbot7 (Andargachew Tsige) aus der Diaspora nach Äthiopien zurückgekehrt (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.). Nach einem Treffen des Gründers und Vorsitzenden der Ginbot7 (Berhanu Nega) mit Premierminister Abiy Ahmed im Mai 2018 hat die Ginbot7 der Gewalt abgeschworen. Die ONLF verkündete am 12. August 2018 einen einseitigen Waffenstillstand (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 22). 1.700 Rebellen der ONLF in Äthiopien haben inzwischen ihre Waffen niedergelegt (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 9.2.2019 „Separatisten in Äthiopien legen Waffen nieder“). Am 7. August 2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF in Asmara (Eritrea) ein Versöhnungsabkommen. Am 15. September 2018 wurde in Addis Abeba die Rückkehr der OLF unter der Führung von Dawud Ibsa gefeiert. Die Führung der OLF kündigte an, nach einer Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen (vgl. Bundesamt für ..., Briefing Notes vom 17.9.2018 - Äthiopien; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; WELT vom 15.9.2018, „Zehntausende begrüßen Rückkehr der Oromo-Rebellen in Äthiopiens Hauptstadt“). In den vergangenen sechs Monaten sind verschiedene herausgehobene äthiopische Exilpolitiker nach Äthiopien zurückgekehrt, die nunmehr teilweise aktive Rollen im politischen Geschehen haben (vgl. AA, Stellungahme vom 7.2.2019). So wurde etwa die Oppositionspolitikerin Birtukan Mideksa, die Anfang November 2018 nach sieben Jahren Exil in den Vereinigten Staaten zurückkehrte, am 23. November 2018 zur Vorsitzenden der nationalen Wahlkommission gewählt (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 23).

Schließlich wurden Verbote für soziale Medien aufgehoben. Im Juni 2018 hat die Regierung beschlossen, eine Reihe von Webseiten, Blogs, Radio- und TV-Sendern zu entsperren, die für die Bevölkerung vorher nicht zugänglich gewesen sind. Dies betraf nach Bericht eines nationalen Beobachters auch die beiden in der Diaspora angesiedelten TV-Sender ESAT und OMN (vgl. The Danish Immigration Service S. 12); die Anklage gegen den Leiter des OMN, Jawar Mohammed, wurde fallengelassen (vgl. BFA Länderinformationsblatt, S. 22).

Unter Zugrundelegung dieser positiven Entwicklungen ist nicht anzunehmen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der von ihm angegebenen früheren oppositionellen Tätigkeit und Flucht noch Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Kläger für den Fall einer früheren Unterstützung der OLF durch die Teilnahme an einer Demonstration in Äthiopien verfolgt werden könnte. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass auch die OLF von der Terrorliste gestrichen wurde, tausende von politischen Gefangenen freigelassen wurden und in den vergangenen Monaten sogar ehemals führende Oppositionspolitiker unbehelligt nach Äthiopien zurückgekehrt sind, spricht alles dafür, dass auch der Kläger trotz einer eventuellen früheren Verfolgung im Falle seiner Rückkehr keiner der in § 3a AsylG aufgeführten Verfolgungshandlungen (mehr) ausgesetzt sein wird.

bb) Zwar haben die Reformbestrebungen des neuen Premierministers auch Rückschläge erlitten. So ist es in Äthiopien in den vergangenen Monaten mehrfach zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen der Regierung und der Bevölkerung gekommen. Auch leidet das Land mehr denn je unter ethnischen Konflikten (vgl. The Danish Immigration Service S. 11). Am 15. September 2018 kam es nach Rückkehr der Führung der OLF zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, die zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8, 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7). Bei einer Demonstration gegen die Untätigkeit der Regierung bezüglich der ethnisch motivierten Zusammenstöße im ganzen Land vertrieb die Polizei die Demonstranten gewaltsam und erschoss dabei 5 Personen. Insgesamt 28 Menschen fanden bei den Zusammenstößen angeblich den Tod. Kurz darauf wurden mehr als 3.000 junge Personen festgenommen, davon 1.200 wegen ihrer Teilnahme an der Demonstration gegen ethnische Gewalt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7), die laut Angaben der Polizei nach „Resozialisierungstrainings“ allerdings wieder entlassen wurden (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 11). Auch soll die äthiopische Luftwaffe bei Angriffen im Regionalstaat Oromia am 12./13. Januar 2019 sieben Zivilisten getötet haben. Die Regierung räumte hierzu ein, Soldaten in die Region verlegt zu haben, warf der OLF aber kriminelle Handlungen vor. Mit einer Militäroffensive sollte die Lage wieder stabilisiert werden (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien).

Auch in den Regionen sind Gewaltkonflikte nach wie vor nicht unter Kontrolle (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 6 f.). In den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8 f.). Rund um den Grenzübergang Moyale kam es mehrfach, zuletzt Mitte Dezember 2018, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia-Region sowie den Sicherheitskräften, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren. Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten in der Somali-Region geflohen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 9 f.). Auch in der Region Benishangul Gumuz sind bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden aktiv und es bestehen Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien, welche regelmäßig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften des Bundes zur Unterdrückung der Gewalt dauern die Konflikte weiterhin an. Ebenso gibt es an der Grenze zwischen der Region Oromia und der SNNPR bewaffnete Auseinandersetzungen. Insgesamt erhöhte sich die Zahl an Binnenflüchtlingen in Äthiopien deswegen allein in der ersten Jahreshälfte 2018 auf etwa 1,4 Millionen Menschen (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“).

Bei diesen Ereignissen handelt es sich nach Überzeugung des Senats auf der Grundlage der angeführten Erkenntnismittel aber nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle wegen ihrer politischen Überzeugung, sondern um Vorfälle in der Umbruchsphase des Landes bzw. um Geschehnisse, die sich nicht als Ausdruck willentlicher und zielgerichteter staatlicher Rechtsverletzungen, sondern als Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts oder als Abwehr allgemeiner Gefahrensituationen darstellen. Dies zeigt etwa auch die Tatsache, dass das äthiopische Parlament am 24. Dezember 2018 ein Gesetz zur Einrichtung einer Versöhnungskommission verabschiedet hat, deren Hauptaufgabe es ist, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 20).

cc) Soweit der Kläger geltend gemacht hat, die Situation in Äthiopien bleibe trotz der Änderung der politischen Verhältnisse unübersichtlich und instabil, ist dies tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Dem kommt nach Auffassung des Senats aber asylrechtlich keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Dem Kläger ist zuzugestehen, dass trotz der tiefgreifenden Veränderungen in Äthiopien seit der Machtübernahme von Premierminister Abiy Ahmed die Verhältnisse noch nicht als gefestigt gewertet werden können. Dafür dürfte vor allem der Umstand sprechen, dass sich nach dem Machtantritt des neuen Premierministers, der vor allem mit den Stimmen aus Oromia und Amhara, aber gegen die Stimmen der Tigray und der Vertreter der Region der südlichen Nationen gewählt wurde, die Spannungen zwischen der regierenden EPRDF, die bislang von der Ethnie ihrer Gründungsgruppe TPLF dominiert wurde, welche die Tigray repräsentiert, und der Region Tigray in jüngster Zeit verschärft haben, offenbar nachdem die Regierung gegen Mitglieder der TPLF vorgegangen war. Als Folge der veränderten Machtverhältnisse innerhalb der Führung der EPDRF sind neue Formen der ethnisch motivierten Gewalt aufgetreten (vgl. The Danish Immigration Service S. 9, 11), die vor allem in den Regionen nach wie vor nicht unter Kontrolle sind. Hierdurch ist die Zahl der Binnenflüchtlinge erheblich gestiegen und die Gefahr einer Teilung des Landes bleibt nicht ausgeschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 7; Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“). Auch auf Premierminister Abiy Ahmed selbst wurde bereits ein Anschlag verübt (nordbayern.de vom 18.11.2018 „Für eine Rückkehr nach Äthiopien ist es viel zu früh“; vgl. SWP-Aktuell Nr. 32 von Juni 2018, „Abiy-Superstar - Reformer oder Revolutionär“).

Für das Vorliegen „stichhaltiger Gründe“ im Sinn des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU, durch die die Vermutung der Wiederholung einer Vorverfolgung widerlegt wird, ist es aber nicht erforderlich, dass die Gründe, die die Wiederholungsträchtigkeit einer Vorverfolgung entkräften, dauerhaft beseitigt sind. Soweit in Teilen der Literatur und der Rechtsprechung - ohne genauere Auseinandersetzung mit der insoweit einschlägigen Bestimmung des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU - die Auffassung vertreten wird, dass die nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU maßgebenden stichhaltigen Gründe keine anderen Gründe sein könnten als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f RL 2011/95/EU maßgebend sind (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 58; VGH BW, U.v. 27.8.2014 - A 11 S 1128/14 - Asylmagazin 2014, 389 = juris Rn. 34; U.v. 3.11.2016 - A 9 S 303/15 - juris Rn. 35; U.v. 30.5.2017 - A 9 S 991/15 - juris Rn. 28), vermag dem der Senat nicht zu folgen. Anders als im Rahmen der Prüfung eines nachträglichen Grundes für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f RL 2011/95/EU, bei der nach Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU zu untersuchen ist, ob die Veränderung der Umstände, aufgrund derer ein Drittstaatangehöriger oder ein Staatenloser als Flüchtling anerkannt wurde, erheblich und nicht nur vorübergehend ist, sieht die Regelung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU eine solche Untersuchung nicht vor.

Eine entsprechende Heranziehung des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU im Rahmen der Prüfung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU scheidet nach Auffassung des Senats aus, weil die Sach- und Interessenlage in beiden Fällen nicht vergleichbar ist. Während es im Rahmen des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nämlich um eine Beweiserleichterung für die erstmalige Anerkennung eines Asylsuchenden als Flüchtling geht, betrifft Art. 11 RL 2011/95/EU, der seine Umsetzung in den §§ 72 ff. AsylG erfahren hat, die Beendigung und das Erlöschen des Flüchtlingsstatus nach einer bereits erfolgten Anerkennung. Im letzteren Fall hat der Betroffene also bereits einen gesicherten Rechtsstatus erhalten, der ihm nach dem Willen des Richtliniengebers aus Gründen des Vertrauensschutzes nur unter engen Voraussetzungen wieder entzogen können werden soll (vgl. zur gleichlautenden (Vorgänger-)Regelung des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates, KOM(2001) 510 endgültig, S. 26 f., wonach „der Mitgliedstaat, der sich auf die Beendigungsklausel beruft, sicherstellen muss, dass Personen, die das Land aus zwingenden, auf früheren Verfolgungen oder dem Erleiden eines ernsthaften nicht gerechtfertigten Schadens beruhenden Gründen nicht verlassen wollen, ein angemessener Status zuerkannt wird und sie die erworbenen Rechte behalten“; vgl. auch zum Erlöschen des subsidiären Schutzes nach Art. 16 RL 2011/95/EU die Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 24.1.2019 zur Rechtssache C-720/17, wonach „nach dem Willen des Unionsgesetzgebers die Veränderung so wesentlich und nicht nur vorübergehend sein muss, dass zuerkannte Status nicht ständig in Frage gestellt werden, wenn sich die Lage im Herkunftsland der Begünstigten kurzfristig ändert, was diesen die Stabilität ihrer Situation garantiert“). An einem entsprechenden Vertrauensschutz fehlt es, wenn ein Kläger sein Heimatland zwar vorverfolgt im Sinn des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU verlassen hat, ihm jedoch noch kein Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Etwas anderes lässt sich auch nicht dem von der zitierten Rechtsprechung und Literatur in Bezug genommenen Urteil des EuGH vom 2. März 2010 (Az. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 - Abdullah) entnehmen, zumal auch diese Entscheidung lediglich das Erlöschen des Flüchtlingsstatus betrifft.

b) Ebenso wenig ergibt sich nach aktueller Auskunftslage die Gefahr politischer Verfolgung aufgrund von Umständen nach der Ausreise des Klägers aus Äthiopien (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG). Insbesondere ist die exilpolitische Betätigung des Klägers in Deutschland für die der OLF nahestehenden TBOJ/UOSG infolge der Veränderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nicht (mehr) geeignet, eine derartige Furcht zu begründen.

Insoweit gelten die obigen Ausführungen (vgl. unter I.2. a) aa) und bb)) entsprechend. Aufgrund der jüngsten gesetzlichen Regelungen und der Maßnahmen der Regierung unter Führung von Premierminister Abiy Ahmed, insbesondere der Streichung der OLF von der Terrorliste und der Rückkehr namhafter Exilpolitiker der OLF, kann nicht (mehr) angenommen werden, dass äthiopische Staatsangehörige aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeit, etwa weil sie - wie der Kläger - (einfaches) Mitglied der TBOJ/UOSG sind oder waren oder weil sie diese Organisation durch die Teilnahme an einer oder an mehreren Demonstrationen oder Versammlungen unterstützt haben, im Fall ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen bedroht sind (vgl. ebenso VG Bayreuth, U.v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 48; VG Regensburg, U.v. 13.11.2018 - RO 2 K 17.32132 - juris Leitsatz und Rn. 34; VG Düsseldorf, U.v. 13.12.2018 - 6 K 4004/17.A - juris Rn. 54). Dies bestätigt auch die Einschätzung des Auswärtigen Amts, wonach aktuell nicht davon auszugehen ist, dass eine (einfache) Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die in Äthiopien nicht (mehr) als Terrororganisation eingestuft ist, bzw. in einer ihr nahestehenden Organisation bei aktueller Rückkehr nach Äthiopien negative Auswirkungen nach sich zieht (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019 S. 2). Ähnlich äußerte sich ein Vertreter der Britischen Botschaft, nach dessen Einschätzung es Mitgliedern der Diaspora, die sich entscheiden, nach Äthiopien zurückzukehren, erlaubt ist, sich wieder als Bürger in die Gesellschaft zu integrieren und etwa auch Privatunternehmen zu gründen (vgl. The Danish Immigration Service S. 19).

Soweit der Kläger die Befürchtung geäußert hat, dass alle Angehörigen der oromischen Opposition wegen einer vom Staat unterstellten separatistischen Haltung in Äthiopien weiterhin verfolgt würden, entbehrt dies jeder Grundlage. Richtig ist zwar, dass die OLF in der Vergangenheit für die Unabhängigkeit der Region Oromia, der bevölkerungsreichsten Region Äthiopiens mit ungefähr 35 Prozent der Einwohner, gekämpft hat und zumindest ein Teil ihrer Anhänger diese wohl auch heute noch anstrebt (vgl. The Danish Immigration Service S. 15, 20). Trotz der separatistischen Bestrebungen wurde die OLF aber von der Terrorliste gestrichen und von der Regierung eingeladen, zum Dialog nach Äthiopien zurückzukehren. Diesem Aufruf sind führende Mitglieder der OLF wie Jawar Mohammed aus dem Exil in den USA und Dawud Ibsa aus dem Exil in Eritrea gefolgt (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 6; WELT vom 15.9.2018, „Zehntausende begrüßen Rückkehr der Oromo-Rebellen in Äthiopiens Hauptstadt“). Allein dies spricht gegen die Besorgnis des Klägers.

Die Ursache dafür, dass sich in letzter Zeit der Konflikt zwischen Regierung und OLF verschärft hat und es nach ethnischen Auseinandersetzungen zwischen Oromo und ethnischen Minderheiten zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Regierung gekommen ist (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien), liegt nach Überzeugung des Senats nicht in den separatistischen Bestrebungen der OLF begründet, sondern in dem Umstand, dass militante Teile der OLF entgegen ihrer Ankündigung ihre Ziele teilweise weiterhin mit Waffengewalt verfolgen (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 18). So hat etwa der äthiopische Sender Fana berichtet, die Einsatzkräfte der Regierung hätten nach einer Militäroffensive im Regionalstaat Oromia am 12./13. Januar 2019 über 800 militante Mitglieder der OLF inhaftiert (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien). Der Regierung geht es nach aktueller Auskunftslage mit ihren Einsätzen vor allem darum, bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden sowie bestehende Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien zu bekämpfen und durch hohe Präsenz von Regierungstruppen und Sicherheitskräften und gegebenenfalls durch militärisches Eingreifen die Lage zu beruhigen (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9; BFA Länderinformationsblatt S. 11, 15; BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien). Auch insoweit handelt es sich aber nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen oppositionelle Oromo, sondern um die Ahndung kriminellen Unrechts und die Abwehr allgemeiner Gefahren.

Auch für die Annahme des Klägers, nur prominente Oppositionspolitiker würden vom Staat verschont, unbekannte Personen, die sich gegen die Politik der regierenden EPRDF gestellt hätten oder stellten, seien hingegen weiterhin von Verfolgung bedroht, gibt es keine Anhaltpunkte. Insbesondere rechtfertigt der Umstand, dass nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed weiterhin zahlreiche Personen ohne Anklage in Haft verblieben sind (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 6, 9), nicht die Annahme, dass Rückkehrer aus dem Exil mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müssten, zumal nach Angaben eines nationalen Beobachters eine Reihe von Gefangenen schlichtweg „vergessen wurde“ (vgl. The Danish Immigration Service S. 13 f.). Darüber hinaus spricht auch der generelle Erlass des Amnestiegesetzes gegen die Annahme, nur herausgehobene politische Gegner könnten hiervon betroffen sein. Schließlich sind keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier, die in Deutschland exilpolitisch tätig waren, wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit durch die äthiopischen Behörden inhaftiert oder misshandelt wurden (vgl. AA, Stellungnahme vom 14.6.2018 S. 4; AA, Ad-hoc-Bericht S. 25).

II.

Mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 AsylG steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes in Deutschland zu.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

1. Dass dem Kläger bei seiner Rückkehr die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), macht er selbst nicht geltend.

2. Ebenso wenig kann angesichts der oben genannten grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien angenommen werden, dass dem Kläger in Äthiopien Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen. Unter dem Gesichtspunkt der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes schon deswegen aus, weil die Gefahr eines ernsthaften Schadens insoweit nicht von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG (zu diesem Erfordernis vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 54 ff. m.w.N.).

3. Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu.

Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist. Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (zum Ganzen vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.)

Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bei dem Kläger, der keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände aufweist, nicht vor. Zwar werden, wie vorstehend ausgeführt, in Äthiopien zunehmend ethnische Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen, die erhebliche Binnenvertreibungen zur Folge haben. Es gibt nach aktueller Erkenntnislage aber in keiner Region Äthiopiens bürgerkriegsähnliche Zustände. Die Konflikte zwischen Ethnien, wie sie etwa in der Südregion von Gambella oder im Grenzgebiet der Siedlungsgebiete von Oromo und Somali vorkommen, oder die Auseinandersetzungen der Regierung mit bewaffneten Oppositionsbewegungen, insbesondere Ogaden, haben trotz begrenzten Einflusses und Kontrolle der Zentralregierung in der Somali-Region keine derartige Intensität (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 20). Jedenfalls lässt sich für die Stadt Robe, aus der der Kläger stammt und in der er sich zuletzt aufgehalten hat, nicht feststellen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass jede Zivilperson im Fall einer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.

III.

Die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund schlechter humanitärer Bedingungen liegen ebenfalls nicht vor.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 9). Sind Armut und staatliche Mittel ursächlich für schlechte humanitäre Bedingungen, kann dies nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“ zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. EGMR, U. v. 28.6.2011 - 8319/07 - NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f.; BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 Leitsatz 3 und Rn. 23; VGH BW, U. v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.).

Dass sich der Kläger in einer derartigen besonders gravierenden Lage befände, macht er weder geltend noch ist dies sonst ersichtlich. Zwar ist Äthiopien bei etwa 92,7 Millionen Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 927 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt. Auch wenn das Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag, lebt ein signifikanter Teil der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze. Derzeit leiden fast 8 Millionen Menschen an einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung und benötigen humanitäre Hilfe. Hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 33 f.).

Trotz dieser schwierigen Bedingungen ist aber nicht ersichtlich, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in Äthiopien nicht bestreiten könnte. Er ist seinen Angaben zufolge 23 Jahre alt und hat seine Schulausbildung in Deutschland fortgesetzt. Er ist gesund und arbeitsfähig. Seine Mutter betreibt in Robe ein Hotel, in dem er bereits vor seiner Ausreise mitgeholfen hat. Auch sein Bruder und eine Schwester leben dort. Anhaltspunkte für eine fehlende Erwerbsmöglichkeit in Äthiopien bestehen nicht. Unter Zugrundelegung dieser Umstände ist nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage bzw. unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.

IV.

Ebenso wenig besteht wegen der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach dieser Bestimmung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Allerdings kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = juris Rn. 31 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

Nach diesen Maßstäben ist bei dem Kläger ein nationales Abschiebungsverbot nach dieser Bestimmung im Hinblick auf die schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien zu verneinen. Die obigen Ausführungen gelten insoweit entsprechend (vgl. oben III.).

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der nach eigenen Angaben am ... 1993 in D. geborene Kläger ist äthiopischer Staatsangehöriger vom Volk der Amharen. Er gibt an, am 19. März 2014 auf dem Luftweg von Addis Abeba kommend über den Flughafen Frankfurt/Main in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Am 2. April 2014 stellte er einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für ... (im Folgenden: Bundesamt) am 13. Oktober 2015 gab der Kläger an, sein Vater habe für die EPPF Medikamente aus Dschibuti geschmuggelt und an verschiedenen Orten gelagert, wo sie der Kläger abgeholt und nahe der Stadt Bahadar an Leute der EPPF übergeben habe. Am 11. Januar 2014 sei sein Vater von der Polizei abgeholt worden. Der Kläger sei verdächtigt worden, Dokumente seines Vaters zu verstecken. Das Lager sei von der Ortsverwaltung mit der Begründung versiegelt worden, sein Vater unterstütze Terroristen. In der Folge sei der Kläger mehrmals bei Autofahrten angehalten worden; er habe Strafen zahlen müssen bzw. der Führerschein sei ihm entzogen worden. Am 22. Januar 2014 sei er zum Polizeirevier verbracht worden. Man habe ihm zwei Fotos gezeigt, auf denen er beim Verladen großer Pakete mit Medikamenten zu sehen sei. Der Hauptmann habe die Namen der Personen auf den Fotos wissen wollen. Als er gesagt habe, diese nicht zu kennen, sei er geschlagen worden; ein Zahn sei ihm ausgeschlagen worden. Am 24. Januar 2014 sei er freigelassen worden mit der Drohung, wenn er irgendetwas mache, ereile ihn das gleiche Schicksal wie seinen Vater. Am nächsten Tag sei er auf Anraten seines Bruders nach Addis Abeba gefahren und von dort am 19. März 2014 mithilfe eines Schleppers ausgereist.

Als Beleg für seine exilpolitischen Aktivitäten für die EPPFG legte der Kläger dem Bundesamt u.a. Bestätigungen vor, die eine Mitgliedschaft seit 9. August 2014 bescheinigen.

Mit Bescheid vom 12. Mai 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers (Nr. 2) sowie seinen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und subsidiären Schutzes (Nr. 3) ab. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor (Nr. 4). Die Abschiebung nach Äthiopien wurde angedroht, sollte keine Ausreise innerhalb von 30 Tagen erfolgen (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, bei der Polizeigewalt handle es sich um einen „Amtswalterexzess“, der durch äthiopische Sicherheitsbehörden häufiger verübt werde, sodass potenziell jeder Äthiopier damit rechnen müsse. Die exilpolitischen Tätigkeiten begründeten keinen Flüchtlingsschutz, weil sie nicht über Aktivitäten einfacher Mitglieder hinausgingen.

Am 30. Mai 2016 erhob der Kläger hiergegen beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage. Mit Schriftsatz vom 6. September 2017 ließ er Teilnahmebescheinigungen der EPPFG und Kopien von Lichtbildern von exilpolitischen Veranstaltungen vorlegen.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Klage mit Urteil vom 29. September 2017 abgewiesen. Die Angaben des Klägers zu den Geschehnissen in Äthiopien und seiner Flucht seien nicht glaubhaft. Seine Angaben zu seinen Papieren bzw. die Tatsache, dass er keinerlei Papiere vorgelegt habe, erweckten erhebliche Zweifel an seiner Identität und Glaubwürdigkeit. Bei der Schilderung seines Verfolgungsschicksals sei ein gehäuftes und fast musterartiges Auftreten von Abweichungen festzustellen, sodass davon auszugehen sei, dass es sich nicht um selbst Erlebtes handle. Es sei auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger wegen seiner exilpolitischen Betätigung in Deutschland bei seiner Rückkehr eine Verfolgung drohe. Seine exilpolitische Tätigkeit übersteige nicht das übliche Maß, sodass er von den äthiopischen Behörden nicht als „gefährlicher Oppositioneller“ angesehen werde.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. Januar 2018 zugelassene Berufung. Zur Begründung macht der Kläger geltend, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts vorverfolgt ausgereist zu sein. Jedenfalls drohe ihm aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten Verfolgung. Seit März 2017 übe er die Funktion „intelligence Regensburg and surrounded“ in der EPPFG aus und betätige sich im „Wiederaufbau-Komitee“. Als Beleg für seine exilpolitischen Aktivitäten legte er Bescheinigungen der EPPFG, EDFM sowie Lichtbilder über die Teilnahme an exilpolitischen Veranstaltungen vor. Das Verwaltungsgericht Würzburg gehe in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass einem äthiopischen Staatsangehörigen, der sich - wie der Kläger für die EPPFG - in einem Mindestmaß für eine Organisation betätige, die einer als terroristisch eingestuften Vereinigung nahestehe, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung drohe. Ungeachtet der Streichung von OLF, Ginbot7 und ONLF von der Terrorliste sei es noch zu keiner vollständigen Änderung bei der Verfolgung Oppositioneller gekommen. Tausende politische Gefangene befänden sich weiter in Haft; im September 2018 sei es wieder zu Massenverhaftungen gekommen. Die positiven Veränderungen unter Abiy Ahmed bzw. dessen Handlungen seien in der EPRDF äußerst umstritten. Das Nachgeben Abiy Ahmeds gegenüber der Opposition habe der nicht mehr beherrschbaren Situation in Äthiopien gegolten, ohne dass dies zu einem vollständigen Umdenken in der EPRDF und insbesondere der TPLF geführt habe. Die Amnestieregelung sei hier nicht relevant, weil die sechsmonatige Antragsfrist inzwischen abgelaufen sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. September 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ihm hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen sowie hilfsweise festzustellen, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Äthiopien vorliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat durch Beschluss vom 26. März 2018 zu verschiedenen Fragen Beweis erhoben durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amts bzw. schriftlicher Gutachten von Amnesty International, des GIGA-Instituts für Afrika-Studien und der Schweizerische Flüchtlingshilfe u.a. zu der Frage, ob nach der aktuellen innenpolitischen Lage in Äthiopien äthiopischen Staatsangehörigen, allein weil sie (einfaches) Mitglied einer in Deutschland exilpolitisch tätigen, von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation eingestuften oder einer ihr nahestehenden Organisation sind, ohne in dieser Organisation eine herausgehobene Stellung innezuhaben, bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien von staatlicher Seite schwere physische oder psychische Misshandlungen oder Haft auf bestimmte oder unbestimmte Zeit drohen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die von der Beklagten vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Ablehnung der in der Berufungsinstanz noch geltend gemachten Ansprüche im Bescheid des Bundesamts vom 12. Mai 2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Es kann offen bleiben, ob dem Kläger die Ansprüche im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung zustanden. Der Kläger hat jedenfalls in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (vgl. unten Ziff. I.) noch auf subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG (vgl. unten Ziff. II.). Auch ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (vgl. unten Ziff. III.) oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. unten Ziff. IV.) steht dem Kläger nicht zu.

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.

1. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, sofern nicht die in dieser Bestimmung angeführten - hier nicht einschlägigen - besonderen Voraussetzungen nach § 60 Abs. 8 AufenthG erfüllt sind. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Als Verfolgung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Diese Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337 S. 9 - im Folgenden: RL 2011/95/EU) umsetzende Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen. Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 11). Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind unter anderem gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen. Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).

Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller Vorverfolgung erlitten hat. Dieser im Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 = juris Rn. 22).

Vorverfolgte bzw. geschädigte Asylantragsteller werden durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU privilegiert. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Handlungen oder Bedrohungen eine Beweiskraft für die Wiederholung in der Zukunft bei, wenn sie eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 15; EuGH, U.v. 2.3.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 = juris Rn. 94). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 = juris Rn. 23).

Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 = juris Rn. 32). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, B.v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - DVBl 2008, 1255 = juris Rn. 37).

2. Nach diesen Maßstäben ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen.

Infolge des den in das Berufungsverfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen zu entnehmenden grundlegenden Wandels der politischen Verhältnisse seit April 2018 und der daraus folgenden Situation für Oppositionelle in Äthiopien kann im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder angenommen werden, dass dem Kläger aufgrund der behaupteten früheren Ereignisse in Äthiopien (vgl. dazu unten a) noch infolge seiner exilpolitischen Tätigkeit in Deutschland (vgl. dazu unten b) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete, flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht.

a) Es kann offen bleiben, ob der Kläger vor seiner Ausreise aus Äthiopien im Jahr 2014 aufgrund der Geschehnisse, die er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt geschildert hat, bereits verfolgt wurde oder von Verfolgung bedroht war und ob er deshalb die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für sich in Anspruch nehmen kann. Denn selbst wenn man dies zu seinen Gunsten annimmt, sprechen infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nunmehr stichhaltige Gründe gegen die Wiederholung einer solchen Verfolgung, sodass die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EG nicht greift. Dies ergibt sich aus Folgendem:

aa) Die politische Situation in Äthiopien hat sich für Regierungsgegner und Oppositionelle bereits seit Anfang 2018 deutlich entspannt. Anfang des Jahres kündigte der damalige Premierminister Heilemariam Desalegn nach zweijährigen andauernden Protesten Reformmaßnahmen und die Freilassung von politischen Gefangenen an. Am 15. Februar 2018 gab er bekannt, sein Amt als Regierungschef und Parteivorsitzender der regierenden EPRDF (Ethiopian People‘s Revolutionary Democratic Front) niederzulegen, um den Weg für Reformen freizumachen. Dennoch verhängte die äthiopische Regierung am 16. Februar 2018 einen sechsmonatigen Ausnahmezustand mit der Begründung, Proteste und Unruhen verhindern zu wollen. Nachdem der Rat der EPRDF, die sich aus den vier regionalen Parteien TPLF (Tigray People's Liberation Front), ANDM (Amhara National Democratic Movement), OPDO (Oromo People’s Democratic Organisation) und SEPDM (Southern Ethiopian Peoples’ Democratic Movement) zusammensetzt, Abiy Ahmed mit 108 von 180 Stimmen zum Premierminister gewählt hatte (vgl. Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, SWP-Aktuell von Juni 2018, „Abiy Superstar - Reformer oder Revolutionär“ [im Folgenden: SWP-Aktuell von Juni 2018]; Ministry of Immigration and Integration, The Danish Immigration Service, Ethiopia: Political situation and treatment of opposition, September 2018, Deutsche (Teil)-Übersetzung [im Folgenden: The Danish Immigration Service] S. 11), wurde dieser am 2. April 2018 als neuer Premierminister vereidigt. Zwar kommt Abiy Ahmed ebenfalls aus dem Regierungsbündnis der EPRDF, ist aber der Erste in diesem Amt, der in Äthiopien der Ethnie der Oromo angehört (vgl. Amnesty International, Stellungnahme vom 11.7.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 S. 1), der größten ethnischen Gruppe Äthiopiens, die sich jahrzehntelang gegen wirtschaftliche, kulturelle und politische Marginalisierung wehrte (vgl. Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe-Länderanalyse vom 26.9.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 [im Folgenden: Schweizerische Flüchtlingshilfe] S. 5).

Seit seinem Amtsantritt hat Premierminister Abiy Ahmed eine Vielzahl tiefgreifender Reformen in Äthiopien umgesetzt. Mitte Mai 2018 wurden das Kabinett umgebildet und altgediente EPRDF-Funktionsträger abgesetzt; die Mehrheit des Kabinetts besteht nun aus Oromo. Die bisher einflussreiche TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hatte (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17.10.2018 [im Folgenden: AA, Ad-hoc-Bericht] S. 8), stellt nur noch zwei Minister (vgl. SWP-Aktuell von Juni 2018). Auch der bisherige Nachrichten- und Sicherheitsdienstchef und der Generalstabschef wurden ausgewechselt (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 1; „Focus Äthiopien - Der politische Umbruch 2018“ vom 16. Januar 2019 der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Staatssekretariat für Migration SEM [im Folgenden: SEM] S. 8 f.). Die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi wurde zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 [im Folgenden: BFA Länderinformationsblatt] S. 6; SEM S. 7). Am 5. Juni 2018 wurde der am 16. Februar 2018 verhängte sechsmonatige Ausnahmezustand vorzeitig beendet. Mit dem benachbarten Eritrea wurde ein Friedensabkommen geschlossen und Oppositionsparteien eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 5 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 10; SEM S. 6).

Gerade auch für (frühere) Oppositionelle hat sich die Situation deutlich und mit asylrechtlicher Relevanz verbessert. Bereits unmittelbar nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed im April 2018 wurde das berüchtigte „Maekelawi-Gefängnis“ in Addis Abeba geschlossen, in dem offenbar insbesondere auch aus politischen Gründen verhaftete Gefangene verhört worden waren (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14; BFA Länderinformationsblatt S. 24; AA, Ad-hoc-Bericht S. 17). Im August 2018 wurde auch das bis dahin für Folter berüchtigte „Jail Ogaden“ in der Region Somali geschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 24 f.). In der ersten Jahreshälfte 2018 sind ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte Personen vorzeitig entlassen worden. Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 politische Gefangene freigelassen worden, darunter führende Oppositionspolitiker wie der Oppositionsführer der Region Oromia, Merera Gudina, und sein Stellvertreter Bekele Gerba (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9 f.), weiterhin der Anführer von Ginbot7, Berghane Nega, der unter dem früheren Regime zum Tode verurteilt worden war, und der Kommandant der ONLF, Abdikarim Muse Qalbi Dhagah (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 6). Am 26. Mai 2018 wurde Andargachew Tsige, ein Führungsmitglied von Ginbot7, begnadigt, der sich kurz nach seiner Entlassung öffentlichwirksam mit Premierminister Abiy Ahmed getroffen hatte (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 10). Neben führenden Politikern befinden sich unter den Freigelassenen auch Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (The Danish Immigration Service S. 13).

Am 20. Juli 2018 wurde zudem ein allgemeines Amnestiegesetz erlassen, nach welchem Personen, die bis zum 7. Juni 2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze, insbesondere wegen begangener politischer Vergehen, strafrechtlich verfolgt wurden, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Amnestie stellen konnten (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019 [im Folgenden: AA, Stellungnahme vom 7.2.2019]; AA, Ad-hoc-Bericht S. 11; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; The Danish Immigration Service S. 14).

Weiterhin wurde am 5. Juli 2018 die Einstufung der Untergrund- und Auslands-Oppositionsgruppierungen Ginbot7 (auch Patriotic Ginbot7 oder PG7), OLF und ONLF (Ogaden National Liberation Front) als terroristische Organisationen durch das Parlament von der Terrorliste gestrichen und die Oppositionsgruppen wurden eingeladen, nach Äthiopien zurückzukehren, um am politischen Diskurs teilzunehmen (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019; AA, Ad-hoc-Bericht S. 18 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.; SEM S. 15; VG Bayreuth, U. v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 44 m.w.N.). Daraufhin sind sowohl Vertreter der OLF (Jawar Mohammed) als auch der Ginbot7 (Andargachew Tsige) aus der Diaspora nach Äthiopien zurückgekehrt (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.; SEM S. 17, 19). Nach einem Treffen des Gründers und Vorsitzenden der Ginbot7 (Berhanu Nega) mit Premierminister Abiy Ahmed im Mai 2018 hat die Ginbot7 der Gewalt abgeschworen (SEM S. 17). Die ONLF verkündete am 12. August 2018 einen einseitigen Waffenstillstand und unterzeichnete am 21. Oktober 2018 ein Friedensabkommen mit der äthiopischen Regierung (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 22; SEM S. 24 f.). 1.700 Rebellen der ONLF in Äthiopien haben inzwischen ihre Waffen niedergelegt (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 9.2.2019 „Separatisten in Äthiopien legen Waffen nieder“). Am 7. August 2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF in Asmara (Eritrea) ein Versöhnungsabkommen. Am 15. September 2018 wurde in Addis Abeba die Rückkehr der OLF unter der Führung von Dawud Ibsa gefeiert. Die Führung der OLF kündigte an, nach einer Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen (vgl. Bundesamt für ..., Briefing Notes vom 17.9.2018 - Äthiopien; SEM S. 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; WELT vom 15.9.2018, „Zehntausende begrüßen Rückkehr der Oromo-Rebellen in Äthiopiens Hauptstadt“). In den vergangenen sechs Monaten sind verschiedene herausgehobene äthiopische Exilpolitiker nach Äthiopien zurückgekehrt, die nunmehr teilweise aktive Rollen im politischen Geschehen haben (vgl. AA, Stellungahme vom 7.2.2019). So wurde etwa die Oppositionspolitikerin Birtukan Mideksa, die Anfang November 2018 nach sieben Jahren Exil in den Vereinigten Staaten zurückkehrte, am 23. November 2018 zur Vorsitzenden der nationalen Wahlkommission gewählt (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 23; SEM S. 7).

Schließlich wurden Verbote für soziale Medien aufgehoben. Im Juni 2018 hat die Regierung beschlossen, eine Reihe von Webseiten, Blogs, Radio- und TV-Sendern zu entsperren, die für die Bevölkerung vorher nicht zugänglich gewesen sind. Dies betraf nach Bericht eines nationalen Beobachters auch die beiden in der Diaspora angesiedelten TV-Sender ESAT und OMN (vgl. The Danish Immigration Service S. 12); die Anklage gegen den Leiter des OMN, Jawar Mohammed, wurde fallengelassen (vgl. BFA Länderinformationsblatt, S. 22).

Unter Zugrundelegung dieser positiven Entwicklungen ist nicht anzunehmen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der von ihm angegebenen früheren oppositionellen Tätigkeit und Flucht noch Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Kläger für den Fall einer früheren Unterstützung der EPPF durch die Beteiligung an einem Medikamentenschmuggel seines Vaters in Äthiopien verfolgt werden könnte. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass die EPPF der Ginbot7 nahesteht (der Armeeflügel der EPPF wurde 2006 mit Ginbot7 verschmolzen, vgl. AA, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 2; im Jahr 2015 haben sich Ginbot7 und EPPF zum Bündnis „Arbegnoch - Ginbot7 for Unity and Democracy Movement (AGUDM)“ zusammengeschlossen, vgl. GIGA - Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien, Stellungnahme vom 19.5.2018 an den Verwaltungsgerichtshof S. 5) und Ginbot7 von der Terrorliste gestrichen wurde, tausende von politischen Gefangenen freigelassen wurden und in den vergangenen Monaten sogar ehemals führende Oppositionspolitiker unbehelligt nach Äthiopien zurückgekehrt sind, spricht alles dafür, dass auch der Kläger trotz einer eventuellen früheren Verfolgung im Falle seiner Rückkehr keiner der in § 3a AsylG aufgeführten Verfolgungshandlungen (mehr) ausgesetzt sein wird.

bb) Zwar haben die Reformbestrebungen des neuen Premierministers auch Rückschläge erlitten. So ist es in Äthiopien in den vergangenen Monaten mehrfach zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen der Regierung und der Bevölkerung gekommen. Auch leidet das Land mehr denn je unter ethnischen Konflikten (vgl. The Danish Immigration Service S. 11). Am 15. September 2018 kam es nach Rückkehr der Führung der OLF zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, die zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8, 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7). Bei einer Demonstration gegen die Untätigkeit der Regierung bezüglich der ethnisch motivierten Zusammenstöße im ganzen Land vertrieb die Polizei die Demonstranten gewaltsam und erschoss dabei fünf Personen. Insgesamt 28 Menschen fanden bei den Zusammenstößen angeblich den Tod. Kurz darauf wurden mehr als 3.000 junge Personen festgenommen, davon 1.200 wegen ihrer Teilnahme an der Demonstration gegen ethnische Gewalt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7), die laut Angaben der Polizei nach „Resozialisierungstrainings“ allerdings wieder entlassen wurden (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 11; SEM S. 20). Auch soll die äthiopische Luftwaffe bei Angriffen im Regionalstaat Oromia am 12./13. Januar 2019 sieben Zivilisten getötet haben. Die Regierung räumte hierzu ein, Soldaten in die Region verlegt zu haben, warf der OLF aber kriminelle Handlungen vor. Mit einer Militäroffensive sollte die Lage wieder stabilisiert werden (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien; vgl. auch SEM S. 21 f.).

Auch in den Regionen sind Gewaltkonflikte nach wie vor nicht unter Kontrolle (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 6 f.; SEM S. 30 ff.). In den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8 f.). Rund um den Grenzübergang Moyale kam es mehrfach, zuletzt Mitte Dezember 2018, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia-Region sowie den Sicherheitskräften, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren. Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten in der Somali-Region geflohen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 9 f.). Auch in der Region Benishangul Gumuz sind bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden aktiv und es bestehen Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien, welche regelmäßig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften des Bundes zur Unterdrückung der Gewalt dauern die Konflikte weiterhin an. Ebenso gibt es an der Grenze zwischen der Region Oromia und der SNNPR bewaffnete Auseinandersetzungen. Insgesamt erhöhte sich die Zahl an Binnenflüchtlingen in Äthiopien deswegen allein in der ersten Jahreshälfte 2018 auf etwa 1,4 Millionen Menschen (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“).

Bei diesen Ereignissen handelt es sich nach Überzeugung des Senats auf der Grundlage der angeführten Erkenntnismittel aber nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle wegen ihrer politischen Überzeugung, sondern um Vorfälle in der Umbruchsphase des Landes bzw. um Geschehnisse, die sich nicht als Ausdruck willentlicher und zielgerichteter staatlicher Rechtsverletzungen, sondern als Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts oder als Abwehr allgemeiner Gefahrensituationen darstellen (vgl. AA, Auskunft vom 7.2.2019 gegenüber dem Verwaltungsgericht Dresden, S. 2). Dies zeigt etwa auch die Tatsache, dass das äthiopische Parlament am 24. Dezember 2018 ein Gesetz zur Einrichtung einer Versöhnungskommission verabschiedet hat, deren Hauptaufgabe es ist, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 20). Am 20. Dezember 2018 hat das äthiopische Repräsentantenhaus als Reaktion auf die ethnischen Konflikte zudem beschlossen, auf Bundesebene eine Kommission für Verwaltungsgrenzen und Identitätsfragen zu schaffen (vgl. SEM S. 32 f.).

cc) Soweit der Kläger geltend macht, die Situation in Äthiopien sei trotz des politischen Umbruchs noch nicht stabil, ist dies tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Dem kommt nach Auffassung des Senats aber asylrechtlich keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Dem Kläger ist zuzugestehen, dass trotz der tiefgreifenden Veränderungen in Äthiopien seit der Machtübernahme von Premierminister Abiy Ahmed die Verhältnisse noch nicht als gefestigt gewertet werden können. Dafür dürfte vor allem der Umstand sprechen, dass sich nach dem Machtantritt des neuen Premierministers, der vor allem mit den Stimmen aus Oromia und Amhara, aber gegen die Stimmen der Tigray und der Vertreter der Region der südlichen Nationen gewählt wurde, die Spannungen zwischen der regierenden EPRDF, die bislang von der Ethnie ihrer Gründungsgruppe TPLF dominiert wurde, welche die Tigray repräsentiert, und der Region Tigray in jüngster Zeit verschärft haben, offenbar nachdem die Regierung gegen Mitglieder der TPLF vorgegangen war. Als Folge der veränderten Machtverhältnisse innerhalb der Führung der EPDRF sind neue Formen der ethnisch motivierten Gewalt aufgetreten (vgl. The Danish Immigration Service S. 9, 11; SEM S. 8 ff., 26), die vor allem in den Regionen nach wie vor nicht unter Kontrolle sind. Hierdurch ist die Zahl der Binnenflüchtlinge erheblich gestiegen und die Gefahr einer Teilung des Landes bleibt nicht ausgeschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 7; Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“). Auch auf Premierminister Abiy Ahmed selbst wurde bereits ein Anschlag verübt (SEM S. 9; nordbayern.de vom 18.11.2018 „Für eine Rückkehr nach Äthiopien ist es viel zu früh“; vgl. SWP-Aktuell Nr. 32 von Juni 2018, „Abiy-Superstar - Reformer oder Revolutionär“) und gegen ihn ein Putschversuch unternommen (vgl. SEM S. 29).

Für das Vorliegen „stichhaltiger Gründe“ im Sinn des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU, durch die die Vermutung der Wiederholung einer Vorverfolgung widerlegt wird, ist es aber nicht erforderlich, dass die Gründe, die die Wiederholungsträchtigkeit einer Vorverfolgung entkräften, dauerhaft beseitigt sind. Soweit in Teilen der Literatur und der Rechtsprechung - ohne genauere Auseinandersetzung mit der insoweit einschlägigen Bestimmung des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU - die Auffassung vertreten wird, dass die nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU maßgebenden stichhaltigen Gründe keine anderen Gründe sein könnten als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f RL 2011/95/EU maßgebend sind (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 58; VGH BW, U.v. 27.8.2014 - A 11 S 1128/14 - Asylmagazin 2014, 389 = juris Rn. 34; U.v. 3.11.2016 - A 9 S 303/15 - juris Rn. 35; U.v. 30.5.2017 - A 9 S 991/15 - juris Rn. 28), vermag dem der Senat nicht zu folgen. Anders als im Rahmen der Prüfung eines nachträglichen Grundes für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f RL 2011/95/EU, bei der nach Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU zu untersuchen ist, ob die Veränderung der Umstände, aufgrund derer ein Drittstaatangehöriger oder ein Staatenloser als Flüchtling anerkannt wurde, erheblich und nicht nur vorübergehend ist, sieht die Regelung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU eine solche Untersuchung nicht vor.

Eine entsprechende Heranziehung des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU im Rahmen der Prüfung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU scheidet nach Auffassung des Senats aus, weil die Sach- und Interessenlage in beiden Fällen nicht vergleichbar ist. Während es im Rahmen des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nämlich um eine Beweiserleichterung für die erstmalige Anerkennung eines Asylsuchenden als Flüchtling geht, betrifft Art. 11 RL 2011/95/EU, der seine Umsetzung in den §§ 72 ff. AsylG erfahren hat, die Beendigung und das Erlöschen des Flüchtlingsstatus nach einer bereits erfolgten Anerkennung. Im letzteren Fall hat der Betroffene also bereits einen gesicherten Rechtsstatus erhalten, der ihm nach dem Willen des Richtliniengebers aus Gründen des Vertrauensschutzes nur unter engen Voraussetzungen wieder entzogen können werden soll (vgl. zur gleichlautenden (Vorgänger-)Regelung des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates, KOM(2001) 510 endgültig, S. 26 f., wonach „der Mitgliedstaat, der sich auf die Beendigungsklausel beruft, sicherstellen muss, dass Personen, die das Land aus zwingenden, auf früheren Verfolgungen oder dem Erleiden eines ernsthaften nicht gerechtfertigten Schadens beruhenden Gründen nicht verlassen wollen, ein angemessener Status zuerkannt wird und sie die erworbenen Rechte behalten“; vgl. auch zum Erlöschen des subsidiären Schutzes nach Art. 16 RL 2011/95/EU die Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 24.1.2019 zur Rechtssache C-720/17, wonach „nach dem Willen des Unionsgesetzgebers die Veränderung so wesentlich und nicht nur vorübergehend sein muss, dass zuerkannte Status nicht ständig in Frage gestellt werden, wenn sich die Lage im Herkunftsland der Begünstigten kurzfristig ändert, was diesen die Stabilität ihrer Situation garantiert“). An einem entsprechenden Vertrauensschutz fehlt es, wenn ein Kläger sein Heimatland zwar vorverfolgt im Sinn des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU verlassen hat, ihm jedoch noch kein Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Etwas anderes lässt sich auch nicht dem von der zitierten Rechtsprechung und Literatur in Bezug genommenen Urteil des EuGH vom 2. März 2010 (Az. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 - Abdullah) entnehmen, zumal auch diese Entscheidung lediglich das Erlöschen des Flüchtlingsstatus betrifft.

b) Ebenso wenig ergibt sich nach aktueller Auskunftslage die Gefahr politischer Verfolgung aufgrund von Umständen nach der Ausreise des Klägers aus Äthiopien (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG). Insbesondere ist die exilpolitische Betätigung des Klägers in Deutschland für die der Ginbot7 nahestehenden EPPFG (Ethiopian People Patriotic Front Guard) infolge der Veränderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nicht (mehr) geeignet, eine derartige Furcht zu begründen.

Insoweit gelten die obigen Ausführungen (vgl. unter Rn. 26 ff.) entsprechend. Aufgrund der jüngsten gesetzlichen Regelungen und der Maßnahmen der Regierung unter Führung von Premierminister Abiy Ahmed, insbesondere der Streichung der Ginbot7 von der Terrorliste und der Rückkehr namhafter Exilpolitiker, kann nicht (mehr) angenommen werden, dass äthiopische Staatsangehörige aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeit, etwa weil sie - wie der Kläger - (einfaches) Mitglied der EPPFG sind oder waren oder weil sie diese Organisation durch die Teilnahme an Demonstrationen oder Versammlungen unterstützt haben, im Fall ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen bedroht sind (vgl. ebenso VG Bayreuth, U.v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 48; VG Regensburg, U.v. 13.11.2018 - RO 2 K 17.32132 - juris Leitsatz und Rn. 34; VG Düsseldorf, U.v. 13.12.2018 - 6 K 4004/17.A - juris Rn. 54). Dies bestätigt auch die Einschätzung des Auswärtigen Amts, wonach aktuell nicht davon auszugehen ist, dass eine (einfache) Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die in Äthiopien nicht (mehr) als Terrororganisation eingestuft ist, bzw. in einer ihr nahestehenden Organisation bei aktueller Rückkehr nach Äthiopien negative Auswirkungen nach sich zieht (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019 S. 2). Ähnlich äußerte sich ein Vertreter der Britischen Botschaft, nach dessen Einschätzung es Mitgliedern der Diaspora, die sich entscheiden, nach Äthiopien zurückzukehren, erlaubt ist, sich wieder als Bürger in die Gesellschaft zu integrieren und etwa auch Privatunternehmen zu gründen (vgl. The Danish Immigration Service S. 19).

Auch aufgrund seiner innerhalb der EPPFG übernommenen Funktion zur Werbung und Aufklärung von Mitgliedern („intelligence Regensburg and surrounded“ bzw. „Wiederaufbau-Komitee“) drohen dem Kläger bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht (mehr) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlungen. Der Senat vermag aus den hierzu in der mündlichen Verhandlung gegebenen Schilderungen des Klägers (vgl. S. 3 f. der Sitzungsniederschrift vom 12.3.2019) schon nicht zu erkennen, inwieweit damit eine „Leitungsfunktion“ in der EPPFG wahrgenommen würde. Hinzu kommt, dass der Kläger nach eigener Darstellung seit etwa einem Jahr an keiner exilpolitischen Versammlung mehr teilgenommen hat (vgl. S. 3 der Sitzungsniederschrift vom 12.3.2019). Abgesehen davon begründet infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 allein die Tatsache, dass sich äthiopische Asylbewerber in Deutschland exponiert (vgl. zu diesem Kriterium BayVGH, B.v. 14.11.2017 - 21 ZB 17.31340 - juris Rn. 2; B.v. 14.7.2015 - 21 ZB 15.30119 - juris Rn. 5; U.v. 25.2.2008 - 21 B 07.30363 - juris Rn. 16) exilpolitisch betätigt haben, grundsätzlich nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine relevante Verfolgungsgefahr; eine Rückkehrgefährdung erscheint auf Basis der aktuellen Auskunftslage allenfalls noch in besonders gelagerten Ausnahmefällen denkbar (vgl. BayVGH, U.v. 13.2.2019 - 8 B 18.30257 - noch nicht veröffentlicht; ebenso VG Bayreuth, U.v. 5.9.2018 - B 7 K 17.33349 - juris Rn. 64; ähnlich VG Regensburg, B.v. 19.6.2018 - RO 2 E 18.31617 - juris Rn. 25; VG Ansbach, B.v. 11.10.2018 - AN 3 E 18.31175 - juris Rn. 36). Diese Einschätzung wird insbesondere dadurch belegt, dass inzwischen namhafte Vertreter der äthiopischen Exilopposition der Einladung des neuen Premierministers gefolgt und zurückgekehrt sind, um sich am politischen Diskurs in Äthiopien zu beteiligen (vgl. The Danish Immigration Service S. 5; BFA Länderinformationsblatt S. 5; SEM S. 15; vgl. eingehend hierzu oben Rn. 30).

Auch der Hinweis des Klägers auf regionale (ethnische) Konflikte rechtfertigt keine andere Einschätzung. Dass es in letzter Zeit nach ethnischen Auseinandersetzungen zu gewalttätigen Zusammenstößen von Oppositionsgruppen - insbesondere der OLF - mit der Regierung gekommen ist (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien), liegt nach der Überzeugung das Bestreben der Regierung zugrunde, bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden sowie bestehende Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien zu bekämpfen und durch hohe Präsenz von Regierungstruppen und Sicherheitskräften und gegebenenfalls durch militärisches Eingreifen die Lage zu beruhigen (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9; BFA Länderinformationsblatt S. 11, 15; BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien). Insoweit handelt es sich nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle, sondern um die Ahndung kriminellen Unrechts und die Abwehr allgemeiner Gefahren.

Der Umstand, dass nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed weiterhin zahlreiche Personen ohne Anklage in Haft verblieben sind (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 6, 9), rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme, dass Rückkehrer aus dem Exil mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müssten, zumal nach Angaben eines nationalen Beobachters eine Reihe von Gefangenen schlichtweg „vergessen wurde“ (vgl. The Danish Immigration Service S. 13 f.). Der pauschale Einwand des Klägers, von dem gut aufgestellten äthiopischen National Intelligence and Security Service (NISS) werde niemand vergessen, weshalb eine Verfolgungsgefahr fortbestehe, solange aus politischen Gründen Festgenommene inhaftiert blieben, erweist sich als rein spekulativ. Es sind auch keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier, die in Deutschland exilpolitisch tätig waren, wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit durch die äthiopischen Behörden inhaftiert oder misshandelt wurden (vgl. AA, Stellungnahme vom 14.6.2018 S. 4; AA, Ad-hoc-Bericht S. 25). Auch wenn die sechsmonatige Frist zur Beantragung der Amnestie inzwischen abgelaufen ist, worauf der Kläger hinweist, ist angesichts des unter Abiy Ahmed eingeleiteten Dialogs zur Rückkehr und zum Dialog von Oppositionsangehörigen (vgl. oben Rn. 30) grundsätzlich nicht mit Verfolgungsmaßnahmen gegen im Ausland exilpolitisch tätig gewordenen Asylbewerbern zu rechnen.

c) Angesichts der in das Verfahren eingeführten und aufgrund des Beweisbeschlusses vom 26. März 2018 eingeholten Erkenntnisquellen (insbesondere AA, Auskünfte vom 7.2.2019 an den Verwaltungsgerichtshof bzw. das Verwaltungsgericht Dresden und Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17.10.2018; BFA Länderinformationsblatt vom 8.1.2018; The Danish Immigration Service, September 2018) verfügt der Senat über die erforderliche Sachkunde, ohne dass es der Einholung weiterer Sachverständigengutachten oder Auskünfte bedurfte (vgl. BVerwG, B.v. 27.3.2000 - 9 B 518.99 - NVwZ 2000, Beilage Nr. 9, 99 = juris Rn. 12; B.v. 11.2.1999 - 9 B 381.98 - DVBl 1999, 1206 = juris Rn. 4; OVG Berlin-Bbg, U.v. 12.2.2019 - OVG 3 B 27.17 - juris Rn. 45). Dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hilfsweise gestellten Beweisantrag zu der behaupteten Tatsache, dass äthiopische Staatsangehörige, die in Deutschland für die EPPFG politisch aktiv und dies gerade in einer Leitungsfunktion sind oder dies gewesen sind, im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien aufgrund ihrer exilpolitischen Aktivitäten festgenommen, für unbestimmte Zeit in Haft gehalten wurden und werden und ihnen durch äthiopische Sicherheitskräfte Misshandlungen und Folterungen drohen, musste deshalb nicht entsprochen werden.

Der Kläger hat auch nicht substanziiert dargetan, dass die beantragte Beweiserhebung bessere oder andere Erkenntnisse bringen würde als die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Materialien (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2014 - 13a ZB 14.30073 - juris Rn. 8). Soweit er sich darauf beruft, die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017 an den Verwaltungsgerichtshof sei widersprüchlich bzw. unzureichend, weil sie auf das Schreiben vom 14. Juni 2018 verweise, in dem es die Rückkehrgefährdung einfacher Mitlieder exilpolitischer Organisationen nicht abschließend bewertet habe und sich mit der Aussage des Ad-hoc-Berichts vom 17. Oktober 2018, der eine Rückkehrgefährdung dieser Personen für möglich halte, nicht auseinandersetze, kann dem nicht gefolgt werden. Die daraus gezogene Schlussfolgerung des Klägers, es sei nicht hinreichend geklärt, wie sich die Verfolgungssituation von Oppositionellen in Äthiopien aktuell darstelle, teilt der Senat nicht. Die Aussagekraft der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, es sei nicht davon auszugehen, dass eine (einfache) Mitgliedschaft einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die in Äthiopien nicht (mehr) als Terrororganisation eingestuft ist bzw. einer ihr nahestehenden Organisation, bei aktueller Rückkehr nach Äthiopien negative Auswirkungen nach sich zieht (vgl. S. 2 des Schreibens an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019) wird nicht dadurch geschmälert, dass sich die Auskunftsbehörde nicht ausdrücklich mit ihren früheren, hiervon teilweise abweichenden Einschätzungen auseinandersetzt. Im Übrigen hat das Auswärtige Amt seine aktuelle Einschätzung in seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Dresden vom 7. Februar 2019 bestätigt. Hiernach liegen dem Auswärtigen Amt, dessen Einschätzungen maßgeblich auf vor Ort gewonnenen Erkenntnissen der Auslandsvertretungen beruhen, keine Hinweise darauf vor, dass in jüngster Zeit Anhänger bzw. Unterstützer von der Terrorliste gestrichener oppositioneller Gruppierungen alleine aufgrund dieser Eigenschaft angeklagt oder angegriffen würden (vgl. AA, Auskunft vom 7.2.2019 an das Verwaltungsgericht Dresden, S. 2). Diese Bewertung steht auch im Einklang mit der Aussage des Dänischen Ministeriums für Immigration und Integration, wonach sich die Gesamtsituation für die Oppositionsparteien nach der Ernennung Abiy Ahmeds verbessert habe (vgl. The Danish Immigration Service S. 5); die letztgenannte Aussage beruht u.a. auf der Einschätzung der Britischen Botschaft, wonach Personen mit einer mutmaßlichen Verbindung zu Oppositionsgruppen nicht mehr festgenommen und die meisten politischen Gefangenen freigelassen würden (vgl. The Danish Immigration Service S. 23). Inwieweit die vom Kläger vorgelegte Veröffentlichung des SEM vom 16. Januar 2019 diesen u.a. auf Botschaftsinformationen beruhenden Lagebewertungen entgegenstünde, hat der Kläger nicht substanziiert dargelegt. Im Übrigen geht auch dieser Bericht davon aus, dass viele Oppositionsparteien - darunter Ginbot7 (vgl. SEM S. 16 f.) - inzwischen entkriminalisiert sind (vgl. SEM S. 33).

Im Übrigen trifft die in dem (bedingten) Beweisantrag aufgestellte Prämisse der Wahrnehmung einer „Leitungsfunktion“ für die EPPFG im Fall des Klägers - wie unter Rn. 41 bereits dargelegt - nicht zu, sodass sich die unter Beweis gestellte Tatsache als nicht entscheidungserheblich erweist. An der Entscheidungserheblichkeit fehlt es zudem, soweit sich der Beweisantrag - in Abweichung von dem für die Entscheidung des Gerichts maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) - auf die Behauptung der Festnahme und Inhaftierung in der Vergangenheit bezieht („wurden“).

II.

Mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 AsylG steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes in Deutschland zu.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

1. Dass dem Kläger bei seiner Rückkehr die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), macht er selbst nicht geltend.

2. Ebenso wenig kann angesichts der oben genannten grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien angenommen werden, dass dem Kläger in Äthiopien Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen. Unter dem Gesichtspunkt der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes schon deswegen aus, weil die Gefahr eines ernsthaften Schadens insoweit nicht von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG (zu diesem Erfordernis vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 54 ff. m.w.N.).

3. Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu.

Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist. Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (zum Ganzen vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.)

Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bei dem Kläger, der keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände aufweist, nicht vor. Zwar werden, wie vorstehend ausgeführt, in Äthiopien zunehmend ethnische Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen, die erhebliche Binnenvertreibungen zur Folge haben. Es gibt nach aktueller Erkenntnislage aber in keiner Region Äthiopiens bürgerkriegsähnliche Zustände. Die Konflikte zwischen Ethnien, wie sie etwa in der Südregion von Gambella oder im Grenzgebiet der Siedlungsgebiete von Oromo und Somali vorkommen, oder die Auseinandersetzungen der Regierung mit bewaffneten Oppositionsbewegungen, insbesondere Ogaden, haben trotz begrenzten Einflusses und Kontrolle der Zentralregierung in der Somali-Region keine derartige Intensität (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 20). Jedenfalls lässt sich für die Stadt Desse, aus der der Kläger stammt und in der er sich bis Januar 2014 aufgehalten hat, nicht feststellen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass jede Zivilperson im Fall einer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.

III.

Die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund schlechter humanitärer Bedingungen liegen ebenfalls nicht vor.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 9). Sind Armut und staatliche Mittel ursächlich für schlechte humanitäre Bedingungen, kann dies nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“ zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. EGMR, U. v. 28.6.2011 - 8319/07 - NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f.; BVerwG U.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 9 unter Verweis auf BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 Leitsatz 3 und Rn. 23; VGH BW, U. v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 82 ff. m.w.N.).

Dass sich der Kläger in einer derartigen besonders gravierenden Lage befände, macht er weder geltend noch ist dies sonst ersichtlich. Zwar ist Äthiopien bei etwa 92,7 Millionen Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 927 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt. Auch wenn das Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag, lebt ein signifikanter Teil der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze. Derzeit leiden fast 8 Millionen Menschen an einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung und benötigen humanitäre Hilfe. Hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 33 f.).

Trotz dieser schwierigen Bedingungen ist aber nicht ersichtlich, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in Äthiopien nicht bestreiten könnte. Er ist seinen Angaben zufolge 25 Jahre alt, gesund und arbeitsfähig. In Deutschland ist er seit drei Jahren als Metallschweißer erwerbstätig und hat hieraus zuletzt einen Bruttoarbeitslohn von monatlich ca. 1.730 Euro erwirtschaftet. Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass er über das für eine (bescheidene) Existenzgründung in Äthiopien notwendige Startkapital verfügt. Unter Zugrundelegung dieser Umstände ist nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage bzw. unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.

IV.

Ebenso wenig besteht wegen der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach dieser Bestimmung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Allerdings kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = juris Rn. 31 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

Nach diesen Maßstäben ist bei dem Kläger ein nationales Abschiebungsverbot nach dieser Bestimmung im Hinblick auf die schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien zu verneinen. Die obigen Ausführungen gelten insoweit entsprechend (vgl. oben III.).

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
Für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Satz 1 ist es unbeachtlich, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam oder aufgehoben worden ist; dies gilt nicht zugunsten des im Zeitpunkt der Eheschließung volljährigen Ehegatten.

(2) Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben,
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und
5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
Für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten gilt Satz 1 Nummer 1 bis 4 entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Familienangehörige im Sinne dieser Absätze, die die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2 erfüllen oder bei denen das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat. Die Absätze 2 und 3 gelten nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Absatz 2 oder Absatz 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist.

(5) Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind nicht anzuwenden, wenn dem Ausländer durch den Familienangehörigen im Sinne dieser Absätze eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht oder er bereits einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hat.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

Tenor

1. Das Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 17. Juni 2015 - 114 C 239/15 - und der Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 15. September 2015 - 114 C 239/15 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes.

2. Das Urteil und der Beschluss werden aufgehoben.

3. Die Sache wird an das Amtsgericht Bonn zurückverwiesen.

4. Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Bonn.

I.

2

1. Die Beschwerdeführerin hatte gegen ihren früheren Ehemann vor dem Amtsgericht Bonn Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld erhoben. Sie warf ihm vor, sie bei der Übergabe der gemeinsamen Töchter zum Zwecke des Umgangs am 24. Dezember 2013 am Oberkörper gepackt und über eine Hecke geschleudert zu haben, wodurch sie zu Fall gekommen sei und an der rechten Hand eine Prellung sowie eine schmerzhafte Handgelenksdistorsion erlitten habe.

3

2. In der Klageschrift gab der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin als Beweismittel für den geschilderten Sachverhalt unter anderem die Töchter der Beschwerdeführerin an. Er nannte sie als Beweis für den Ort der Übergabe namentlich, das heißt mit den Worten "Beweis: Zeugnis N. A…, zu laden über die Antragstellerin, Y. A…, ebenda". Für die Uhrzeit der Übergabe verwies er auf den "Beweis: wie vor". Für den Anlass des tätlichen Angriffs führte er die Beweismittel "wie vor" und "Attest Dr. med. S…" an und für die konkrete Körperverletzungshandlung, also für die Tatsachen "Der Antragsteller kam hierdurch in Rage, packte die Antragstellerin am Oberkörper und schleuderte sie über die am Gehwegrand befindliche Hecke auf das Grundstück der Deutschen Welle", die Beweismittel "wie vor" und "Zeugnis eines im Bestreitensfall noch zu nennenden Passanten, der den Vorfall ebenfalls beobachtete". Für den weiteren Geschehensablauf verwies die Klageschrift dann gleichfalls auf den "Beweis: wie vor" und für die erlittene Verletzung auf die Beweise "Zeugnis N. A…, zu laden über die Antragstellerin, Y. A…, ebenda, Attest Dr. med. D…".

4

3. Mit Urteil vom 17. Juni 2015 wies das Amtsgericht Bonn die Klage ohne mündliche Verhandlung als unbegründet ab (114 C 239/15). Die Beschwerdeführerin habe für die von ihr behauptete Körperverletzung keinen tauglichen Beweis angeboten. In der Klageschrift heiße es hierzu "Zeugnis eines im Bestreitensfall noch zu benennenden Passanten, der den Vorfall ebenfalls beobachtete". Der Beklagte habe den Hergang des Vorfalls bestritten. Die Klägerseite habe hierzu Stellung genommen und kein taugliches Beweisangebot benannt. Der Wert des Verfahrens wurde auf 500 € festgesetzt. Die Berufung wurde nicht zugelassen.

5

4. Mit Schriftsatz vom 11. August 2015 erhob der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin eine Gehörsrüge gemäß § 321a ZPO, mit der er insbesondere geltend machte, dass der anspruchsbegründende Sachverhalt in der Klagebegründung unter Benennung der Töchter der Beschwerdeführerin als Zeugen unter Beweis gestellt worden sei. Teilweise sei der Beweisantritt mit der üblichen und zulässigen Verwendung von "Beweis: wie vor" getätigt worden.

6

5. Mit Beschluss vom 15. September 2015 wies das Amtsgericht Bonn die Gehörsrüge als unbegründet zurück (114 C 239/15). Die maßgebliche behauptete Körperverletzung sei in der Klageschrift nicht unter ein taugliches Beweisangebot gestellt worden; die nachfolgenden Beweisangebote hätten sich ausdrücklich nur auf die Verletzungen, nicht aber auf den Hergang der Auseinandersetzung bezogen. Dieser Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin am 25. September 2015 zugestellt.

7

6. Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2015, im Original mit Anlagen eingegangen am 26. Oktober 2015, hat die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde erhoben.

II.

8

1. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG.

9

a) Ihre Töchter seien erkennbar als Zeuginnen für den Tathergang benannt worden, und zwar bereits als erster Beweisantritt in der Klagebegründung. Zum weiteren Sachverhalt seien dann teilweise unter Benennung weiterer Beweismittel durch die Bezugnahmen "Beweis: wie vor" die zuvor benannten Zeuginnen wiederum als Beweismittel angeboten worden. Dies sei für den gesamten Tathergang so geschehen. Eine solche Bezugnahme sei zulässig.

10

b) Das Amtsgericht Bonn habe in seinem Urteil den Vortrag der Klageschrift zum Beweis des Tathergangs unter Nichtbeachtung der Bezugnahme "wie vor" auf das "Zeugnis eines im Bestreitensfall noch zu nennenden Passanten, der den Vorfall ebenfalls beobachtete", reduziert. Die Unterschlagung der Bezugnahme überrasche umso mehr, als durch die Verwendung des Wortes "ebenfalls" zum Ausdruck gebracht worden sei, dass es neben den beiden bereits als Zeuginnen benannten Töchtern der Beschwerdeführerin einen weiteren Zeugen gebe. Die Außerachtlassung stelle eine Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG dar. Auch im Rahmen der Gehörsrüge habe sich das Amtsgericht Bonn nicht mit der beachtlichen Bezugnahme auf das Beweismittel "wie vor" auseinandergesetzt, sondern offensichtlich nur nachfolgende Beweisangebote für die Verletzung der Beschwerdeführerin beachtet. Aufgrund der Urteilsbegründung und der Begründung der Gehörsrügeentscheidung sei davon auszugehen, dass das Amtsgericht Bonn die Bezugnahme überhaupt nicht erkannt habe.

11

2. Das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen und der Beklagte des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen worden.

III.

12

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere genügt sie trotz ihrer Knappheit im Hinblick auf die Rüge einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG durch die Nichtbeachtung der Bezugnahme auf das Beweismittel "wie vor" den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz, § 92 BVerfGG.

13

a) Diese Regelungen erfordern eine hinreichend deutliche und damit substantiierte und schlüssige Darlegung der behaupteten Verletzung eines verfassungsbeschwerdefähigen Rechts innerhalb der Frist gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 6, 132 <134>; 8, 1 <9>; 11, 192 <198>; 89, 155 <171>; 108, 370 <386 f.>; stRspr). Wendet sich die Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen, so bedarf es daher in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit den konkreten Entscheidungen und deren konkreter Begründung dahingehend (vgl. BVerfGE 88, 40 <45>; 101, 331 <345>; 105, 252 <264>), dass und weshalb bei dem substantiiert und schlüssig darzustellenden Sachverhalt (vgl. BVerfGE 9, 109 <114 f.>; 81, 208 <214>; 84, 366 <369>; 99, 84 <87>; 113, 29 <44>) ein Verstoß der angegriffenen Entscheidungen gegen das mit der Beschwerde geltend gemachte verfassungsbeschwerdefähige Recht möglich erscheint (vgl. BVerfGE 28, 17 <19 f.>; 65, 227 <232 f.>; 67, 90 <94>; 89, 155 <171>; BVerfGK 9, 174 <184 f.>). Dabei muss grundsätzlich auch die verfassungsrechtliche Rechtslage dargestellt werden. Hat das Bundesverfassungsgericht zu den von der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen bereits Maßstäbe entwickelt, muss die Verfassungsbeschwerde auch an diese anknüpfen, sich mit ihnen auseinandersetzen und auf dieser Grundlage darlegen, dass und aus welchen Gründen eine Verletzung in den geltend gemachten verfassungsbeschwerdefähigen Rechten vorliegen soll (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>; 101, 331 <345 f.>; 102, 147 <164>). Liegt die Verletzung eines verfassungsbeschwerdefähigen Rechts aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts und der Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung und deren Begründung jedoch auf der Hand, gelten im Hinblick auf die Darlegung des Verfassungsverstoßes geringere Anforderungen, sodass die Verletzung eines verfassungsbeschwerdefähigen Rechts nicht im Einzelnen anhand der einschlägigen Maßstäbe dargelegt werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Dezember 2007 - 1 BvR 2697/07 -, juris, Rn. 13; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 1584/10 -, juris, Rn. 3; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Mai 2013 - 1 BvR 1083/09 -, juris, Rn. 8).

14

b) Die vorliegende Verfassungsbeschwerde legt in nachvollziehbarer Weise dar, dass das Amtsgericht Bonn die Beweisangebote der Beschwerdeführerin für die Körperverletzungshandlung nur teilweise, nämlich nur soweit auf das Zeugnis eines im Bestreitensfall noch zu nennenden Passanten verwiesen worden sei, zur Kenntnis genommen habe, während es das weitere, als erstes angeführte Beweisangebot, das mit der Formulierung "wie vor" auf bereits zuvor benannte Beweismittel Bezug genommen habe, nicht wahrgenommen habe.

15

In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass Art. 103 Abs. 1 GG dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten nicht nur ein Recht darauf gibt, im Verfahren zu Wort zu kommen und sich zu dem in Rede stehenden Sachverhalt sowie zur Rechtslage zu äußern (BVerfGE 60, 175<210>), Anträge und damit auch Beweisanträge zu stellen und Ausführungen zu machen (BVerfGE 6, 19 <20>; 15, 303 <307>; 36, 85 <87>), sondern im Gegenzug auch das Gericht verpflichtet, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 11, 218 <220>; 42, 364 <367>; 60, 250 <252>; 96, 205 <216>; stRspr). In diesem Sinne gebietet es Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung, erhebliche Beweisanträge zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 50, 32 <36>; 60, 247 <249>; 60, 250 <252>; 69, 141 <143>). Zwar verbietet es Art. 103 Abs. 1 GG den Gerichten nicht, Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt zu lassen (vgl. BVerfGE 21, 191 <194>; 69, 145 <148 f.>; 70, 288 <294>; 96, 205 <216>; stRspr). Jedoch verstößt die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn es im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. BVerfGE 50, 32 <36>; 69, 141 <144>).

16

Vor diesem Hintergrund und aufgrund der Erläuterungen der Verfassungsbeschwerde, dass das Amtsgericht Bonn das Beweismittel "wie vor" für die Körperverletzungshandlung offensichtlich nicht beachtet habe, liegt die Möglichkeit einer Verletzung des Rechts der Beschwerdeführerin aus Art. 103 Abs. 1 GG auf der Hand. § 23 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz, § 92 BVerfGG erforderten daher keine ins Einzelne gehende Darlegung der Verletzung des Rechts der Beschwerdeführerin aus Art. 103 Abs. 1 GG anhand der hierfür in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkretisierten Maßstäbe.

17

2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Gemessen an den soeben aufgezeigten Verbürgungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör verletzen das Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 17. Juni 2015 (114 C 239/15) und der Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 15. September 2015 (114 C 239/15) die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.

18

a) Das Amtsgericht Bonn ist in seinem Urteil vom 17. Juni 2015 offensichtlich davon ausgegangen, dass die dem dortigen Beklagten vorgeworfene Verletzungshandlung und ihr genauer Hergang eine zwischen den Prozessparteien entscheidungserhebliche und zugleich streitige Tatsache gewesen ist, für die die Beschwerdeführerin beweispflichtig war. Die in der Klageschrift für die Verletzungshandlung benannten Beweismittel waren daher für das Verfahren erheblich.

19

b) Aus der Begründung des Urteils vom 17. Juni 2015, die sich allein mit dem als Zeugen benannten Passanten auseinandersetzt, ergibt sich jedoch, dass das Amtsgericht Bonn das erste von der Beschwerdeführerin für den Tathergang benannte Beweisangebot ("Beweis: wie vor") entgegen seiner Verpflichtung aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht zur Kenntnis genommen hat. Das Amtsgericht Bonn hat seine Annahme, dass die Beschwerdeführerin für die von ihr behauptete Körperverletzung keinen tauglichen Beweis angeboten habe, allein damit begründet, dass es hierzu in der Klageschrift heiße: "Zeugnis eines im Bestreitensfall noch zu benennenden Passanten, der den Vorfall ebenfalls beobachtete". Der gleichfalls und sogar an erster Stelle genannte "Beweis: wie vor" für die Verletzungshandlung wird mit keinem Wort erwähnt; er wird auch nicht als untaugliches Beweismittel, unzulässige oder unklare Bezugnahme oder Ähnliches eingeordnet. Ein anderer Grund als ein schlichtes Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen des Beweisangebots ist hierfür nicht erkennbar. Das Zivilprozessrecht bietet für eine vollständige Nichtberücksichtigung dieses Beweisangebots keine Grundlage. Nach der in der Zivilprozessordnung geltenden Pflicht zur Erschöpfung der Beweismittel darf das Gericht einen Kläger nicht als beweisfällig abweisen, ohne alle angetretenen und als erheblich angesehenen Beweise zu erheben, soweit nicht ein bestimmter verfahrens- oder beweisrechtlicher Grund zur Ablehnung des Antrags gegeben ist (BGH, Urteil vom 17. Februar 1970 - III ZR 139/67 -, juris, Rn. 228; vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, Vor § 284 Rn. 8a; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl. 2016, § 284 Rn. 2). Ein solcher ist vorliegend weder eingewandt worden, noch ist er ersichtlich. Minderjährige Kinder sind auch im Fall eines ihre Eltern betreffenden Sachverhalts nicht von vornherein und grundsätzlich ungeeignete Beweismittel.

20

Die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts Bonn vom 17. Juni 2015 beruht auch auf diesem Gehörsverstoß. Denn die Klage der Beschwerdeführerin ist allein wegen der Untauglichkeit des Beweismittels "Zeugnis eines im Bestreitensfall noch zu nennenden Passanten, der den Vorfall ebenfalls beobachtete" abgewiesen worden.

21

c) Die Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin aus Art. 103 Abs. 1 GG ist im Rahmen des Gehörsrügeverfahrens nicht geheilt, sondern wiederholt worden. Das Amtsgericht Bonn nahm insoweit trotz nochmaligen Hinweises in der Gehörsrüge das erste für die Körperverletzungshandlung genannte Beweisangebot ("Beweis: wie vor") wiederum nicht zur Kenntnis. Die Gehörsrügeentscheidung vom 15. September 2015 ist auf dieses Beweisangebot mit keinem Wort eingegangen, ohne dass hierfür ein anderer Grund als ein schlichtes Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen erkennbar gewesen wäre. Das Amtsgericht hat im Hinblick auf die Körperverletzungshandlung lediglich die Feststellung erneuert, dass es an einem tauglichen Beweisangebot fehle, und hat sich danach ausschließlich zu den nach dem untauglichen "Passantenbeweis" angebotenen Beweismitteln geäußert. Auch diese Entscheidung beruht offensichtlich auf der Nichtberücksichtigung des Beweisangebots "Beweis: wie vor".

22

3. Das Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 17. Juni 2015 und der Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 15. September 2015 sind daher gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an das Amtsgericht Bonn zurückzuverweisen.

23

4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der am … 1990 geborene Kläger, äthiopischer Staatsangehörigkeit, wendet sich gegen einen ablehnenden Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) und begehrt die Anerkennung als Asylberechtigter, hilfsweise die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wiederum hilfsweise die Gewährung subsidiären Schutzes und wiederum hilfsweise die Feststellung des Vorliegens von Abschiebeverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).

Der amharische Kläger reiste eigenen Angaben zufolge am 6. September 2013 auf dem Landweg in Begleitung seiner Frau (Klägerin im Verfahren mit dem Aktenzeichen RO 2 K 16.30644) in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 16. September 2013 einen Asylantrag. Am 16. September 2013 erfolgte eine erste Befragung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt). Am 23. September 2013 führte die Regierung von Mittelfranken eine Befragung durch. Die Anhörung gemäß § 25 Asylgesetz (AsylG) fand am 22. Juli 2014 statt.

Der Kläger gab in den ersten beiden Befragungen an, der amharischen Volksgruppe anzugehören und außer amharisch keine Sprache zu beherrschen. Er habe seine Dokumente Mitte 2011 in K. im Sudan verloren. Vor seiner Ausreise aus Äthiopien habe er im Dorf G. B. in der Nähe von A. gelebt. Zusammen mit seiner Ehefrau habe er am 25. April 2008 sein Heimatland in Richtung Sudan verlassen. Bis April oder Mai 2013 habe sich das Paar in K. aufgehalten. Am 6. August 2013 seien sie nach Libyen aufgebrochen. Von dort aus hätten sie per Schiff nach Italien übergesetzt und seien dort am 14. August 2013 angekommen. Anschließend seien sie mit dem Zug nach München gefahren. In K. lebe noch eine Tochter des Paares. Diese sei am 4. August 2009 geboren worden und befinde sich in der Obhut der Schwiegermutter des Klägers. Am 16. September 2013 gab er an, sein Vater sei verstorben und seine Mutter sei ca. 45 Jahre alt und lebe in A. Be. In Äthiopien lebten noch zwei jüngere Geschwister bei seiner Mutter. Bis zur achten Klasse sei er zur Schule gegangen. Am 23. September 2013 teilte er mit, dass seine Mutter 2003 verstorben und in der Stadt D. begraben sei. Dort lebten auch seine Stiefgeschwister. Die Grundschule habe er vier Jahre lang besucht.

In der Anhörung am 22. Juli 2014 gab er zu Beginn an, dass es bei seiner Erstbefragung ein paar Missverständnisse gegeben habe, welche er ausräumen möchte. Er habe unter der Flucht noch gelitten und deswegen falsche Daten genannt. Sein richtiger Name sei Ki. H. T. Er sei Sohn eines Imam und von Geburt an Moslem gewesen. Er sei zusammen mit seiner Frau fünf Jahre im Sudan gewesen, diese habe dort gearbeitet, er nicht. Er habe dort für die äthiopische Opposition Zeitschriften, Flugblätter und solche Sachen gemacht. Er sei dort Chefredakteur gewesen. Seine Frau habe ein kleines Café gehabt und traditionelles Essen gekocht. Seine Tochter habe er im Sudan gelassen, da er von einem Imam in Äthiopien verfolgt worden sei. Seine Familie habe ihn verfolgt. Sein Leben sei in Gefahr gewesen, die Tochter müsse weiterleben, sie solle nicht wegen seiner Schuld sterben. Die Mutter seiner Frau passe auf seine Tochter auf. Zur Schwiegermutter bestehe (damals) Kontakt. Aus dem Sudan sei er ausgereist, weil in der Moschee sein Todesurteil ausgesprochen worden sei. Wer ihn umbringe, komme ins Paradies. Gegen seinen Vater habe man sich verschworen, diesem sei gesagt worden, wie könne sein Wort Gewicht haben, wenn sein Sohn Christ geworden sei. Er habe von seinem Halbbruder, der gebildet sei und in der Stadt D. arbeite, am 27. August 2013 Informationen bekommen, dass nach ihm gesucht werde. Der Bruder habe ihm mitgeteilt, dass das Versteck bekannt geworden sei und er sein Leben retten solle.

In Äthiopien habe er seine Frau im Jahr 2000 (äthiopischer Kalender) kennengelernt und sich in sie verliebt. Sie sei in das Bekleidungsgeschäft seiner Familie gekommen. Sie hätten sich öfters gesehen. Seine Frau wollte keinen Moslem zum Mann, weil dieser bis zu vier Frauen haben dürfe. Deshalb sei er konvertiert. Aus Liebe zu ihr sei er Christ geworden. Seine Eltern, insbesondere sein Vater, hätten ihm gesagt, dass er die Familienehre verletzt habe. Bis dahin sei er praktizierender Moslem gewesen. Er habe die Wahrheit erkannt und sei deshalb Christ geworden. Eine Woche vor der Hochzeit habe er sich taufen lassen. Zuvor habe er Bibelunterricht erhalten. Er habe nicht geglaubt, wegen einer Taufe Probleme zu bekommen. Er habe nur seine Frau im Kopf gehabt und gedacht, seine Familie werde es schon akzeptieren. Mit Todesdrohungen habe er nicht gerechnet. Die Familie habe von der Heirat gewusst. Nach den Todesdrohungen sei er demotiviert gewesen. Sie seien dann zum Onkel der Frau gegangen und dort drei Monate bis zur Ausreise geblieben. Er könne nicht einmal in Deutschland seinen richtigen Namen nennen, da auch hier welche seien, die sehr extremistisch sind.

In Äthiopien sei er nicht politisch tätig gewesen. Im Sudan habe er sich für eine Gruppe namens Menschen für Menschen engagiert.

In Deutschland mache er ein paar Aufgaben für die EPRP, aber nicht viel. Er nehme an Veranstaltungen teil. Er sei Chefredakteur der Zeitschrift „Platform for Freedom of Expression“ (Netsebraq). Diese Zeitschrift gebe es seit (damals) vier Monaten. Es seien zwei Ausgaben erschienen, die Auflage betrage so 100 - 200 Stück. Als Chefredakteur schaue er alle Schreiben durch und wähle die Überschriften aus. Für die 36 Seiten dicke Zeitung seien drei Chefredakteure nötig, weil sie alles korrigieren müssen und alles bestimmen. Er sei hierfür qualifiziert, weil er bis zur zehnten Klasse zur Schule gegangen und nicht wie früher angegeben bis zur Achten oder Vierten.

Bei einer Rückkehr nach Äthiopien werde er von ungebildeten Extremisten umgebracht. Lieber werde er hier von einem gebildeten umgebracht. Die äthiopische Regierung gewähre ihm keinen Schutz.

Mit Bescheid vom 29. März 2016 lehnte die Beklagte die Begehren des Klägers ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen und drohte die Abschiebung nach Äthiopien an. Hiergegen ließ der Kläger am 16. April 2016 Klage erheben.

Mit Schriftsatz vom 4. Mai 2016 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Ergänzungen vortragen. Er betonte nochmals, dass sein richtiger Name Ki. H. T. sei. Seine leibliche Mutter sei 2003 verstorben, diese habe in die Ehe bereits einen Sohn und eine Tochter mitgebracht. Der Vater habe nochmals geheiratet und weitere Kinder (Tochter und Sohn) bekommen. Der Vater sei doch nicht verstorben, sondern lebe noch. Der Kläger sei 10 Jahre in der Schule gewesen. Als Sohn eines Imams sei der Kläger nach religiösen Regeln aufgezogen worden. Im September 2007 habe er seine spätere Frau kenngelernt. Anfangs sei die Beziehung verheimlicht worden. Nach Bekanntgabe der geplanten Hochzeit habe der Vater gesagt, diese werde nicht stattfinden. Der Halbbruder des Klägers sei loyal zum Kläger geblieben. Am 1. Februar 2008 hätten er seine Frau dann kirchlich geheiratet. Daraufhin habe der Vater in der Moschee eine Fatwa gegen ihn ausgesprochen. Auch die Schwiegermutter des Klägers sei in die Verfolgung einbezogen worden, da man ihr unterstellte, zum Religionswechsel beigetragen zu haben. Ihr sei das Haus angezündet worden. Mit ihrem damals zwölfjährigen Sohn sei sie bei einer Freundin untergekommen. Der Sohn habe das Haus verlassen und sei drei Tage später verschwunden, man wisse nichts mehr über ihn. Daraufhin sei man in den Sudan geflohen. Dort habe man sich als Moslems ausgegeben. Ein Halbbruder des Klägers habe ab und an mit Geld ausgeholfen. Im Sudan sei am 4. August 2009 die Tochter F. geboren worden. Im August 2013 habe der Kläger von seinem Halbbruder die Nachricht erhalten, dass man ihm im Sudan auf die Spur gekommen sei. So habe man Schwiegermutter und Tochter im Sudan gelassen und sei über Libyen nach Italien und Deutschland geflohen. Hier sei man nun für die EPRP tätig und arbeite an der Zeitschrift Netsebraq mit. Diese Zeitschrift veröffentliche Beiträge und Gedichte, die sich gegen das äthiopische Regime wendeten. Zudem sei der Kläger Mitglied von EPCOU. Letztere sei eine parteiübergreifende Oppositionsorganisation. Der Kläger beteilige sich an Protest- und Informationsveranstaltungen der äthiopischen Exilopposition. Man habe etwa ein im äthiopischen Generalkonsulat Frankfurt am 9. April 2016 geplantes Treffen der in Deutschland lebenden Amharen verhindert, indem man vor dem Konsulat demonstriert habe.

Dem Kläger drohe Verfolgung durch seinen Vater. Die muslimische Gemeinde habe enge Netze. Auch in Ad. Ab. sei er deshalb nicht sicher. Ohne die Familie aber, könne der Kläger sich keine Existenz aufbauen. Wegen seines Engagements für die Exilorganisationen drohe ihm politische Verfolgung.

Mit weiterem Schreiben vom 27. Februar 2018 ergänzte der Klagebevollmächtigte die Klagebegründung. Der Kläger und seine Frau seien weiterhin exilpolitisch tätig. Nunmehr hätten sie sich der EDFM angeschlossen. Die EDFM (Ethiopian Democratic Forces Movement) vertrete die EPPF/Gunbot 7 Berhanu Negas in Deutschland. Man nehme an diversen Protest- und Infoveranstaltungen teil.

Auch veröffentliche er weiterhin Artikel in der Netsebraq. Im Oktober 2016 und im Januar 2018 seien Artikel von ihm erschienen. Diese finde man auch auf der Website: netsebraqm.wordpress.com. Im Januar 2018 habe er mit einem Artikel in dem Magazin den Leiter (Generaldirektor) der WHO (World Health Organisation) und früheren äthiopischen Außenminister Teerose Adhanom (gemeint ist wohl Tedros Adhanom) der Folterunterstützung bezichtigt.

Der Kläger trägt vor, die Lage in Äthiopien habe sich seit November 2015 drastisch verändert. Die Auskunftslage belege eine Verschärfung der innenpolitischen Situation. Die Eintrittsschwelle für eine politische Verfolgung sei sehr niedrig. Insbesondere richte sich die Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte auf die Exilpresse. Diese spiele angesichts der Ausschaltung der freien Presse im Land eine große Rolle. Jede Positionsnahme für eine Entmachtung der EPRDF werde als strafbar gewertet. Auf das Urteil des VG Würzburgs vom 24. Juli 2017 (W 3 K 16.20710) werden hingewiesen. Zu beachten sei auch, dass der Ausnahmezustand am 16. Februar 2018 erneut verhängt worden sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2016, Aktenzeichen 5 669 714 - 225 vollumfänglich aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten gemäß Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz anzuerkennen,

hilfsweise,

ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wiederum hilfsweise, ihm subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) zu gewähren,

weiter hilfsweise,

Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz festzustellen.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Begründung des angegriffenen Bescheids,

die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 22. Dezember 2017 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wurde durch Beschluss vom 26. Januar 2018 abgelehnt.

Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2018 informatorisch angehört. Hierbei wurde er insbesondere zu seinem vormaligen Glauben, seinem wahren Namen und seiner exilpolitischen Tätigkeiten befragt. Insoweit wird auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung verwiesen. Der Klagebevollmächtigte stellte in der mündlichen Verhandlung 6 Beweisanträge, die sämtliche abgelehnt worden sind.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten, auch des Verfahrens der Ehefrau und des Sohnes (RO 2 K 16.30644, RO 2 K 16.30645), sowie die jeweiligen Niederschrift auch in deren Verfahren der mündlichen Verhandlungen vom 7. März 2018 Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet und bleibt ohne Erfolg.

Die Entscheidung des Bundesamts, dem Kläger die Anerkennung als Asylberechtigter, die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus nicht zuzuerkennen sowie das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu verneinen und den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung nach Äthiopien zur Ausreise aufzufordern, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger damit auch nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Entscheidung des Bundesamts in Ziffer 2 des gegenständlichen Bescheids ist rechtmäßig. Der Kläger kann sich, da er nach eigenen Angaben über Italien als einem EU Mitgliedstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, nicht auf Asyl nach Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz (GG) berufen, wie sich schon aus Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG ergibt.

Auch die Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

1) Die getroffene Entscheidung ist rechtmäßig, da er keinen Anspruch nach § 3 Abs. 4 Asylgesetz (AsylG) auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat. Er ist kein Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG.

a) Ein Ausländer ist – unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben – Flüchtling, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen.

An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es aber regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, U.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris).

Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG auch unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.

Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt unabhängig davon, ob bereits eine Vorverfolgung stattgefunden hat, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22). Eine Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt aber durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden, sind danach ernsthafte Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies gilt nur dann nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. In der Vergangenheit liegenden Umständen ist damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beizumessen (vgl. auch OVG NRW, U.v. 21.2.2017 - 14 A 2316/16.A – juris).

Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers und dessen Würdigung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet anderseits jedoch nicht, dass der entscheidende Richter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 109.84 – juris; BVerwG, U.v. 11.11.1986 - 9 C 316.85 - juris). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden. Erforderlich ist somit eine anschauliche, konkrete und detailreiche Schilderung des Erlebten. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VG Ansbach, U.v. 24.10.2016 – AN 3 K 16.30452 – juris mit weiteren Nachweisen).

b) Die geltend gemachte Vorverfolgung führt schon ungeachtet der Frage der Glaubhaftigkeit der Schilderungen und der sich aus der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Richters ergebenden fehlenden Glaubwürdigkeit des Klägers aufgrund mehrfacher irreführender Behauptungen und falscher Angaben (s.u.) nicht zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung.

Zwar wäre eine Verfolgung infolge eines Religionswechsels ein tauglicher Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Jedoch ginge die geltend gemachte Verfolgung nicht von einem Akteur i.S.d. § 3c AsylG aus. Verfolger wäre nach Angaben des Klägers allenfalls sein Vater und dessen Familie. Diese sehe den Kläger infolge der Konversion zum Christentum als Apostaten an und soll in der Moschee eine Todesdrohung (Fatwa) gegen ihn ausgesprochen haben. Wobei schon fraglich ist - ohne das es hierauf ankommt -, ob im islamischen Recht jedem Dorfimam die entsprechende religiöse Autorität zukommt, Fatwas zu erlassen. Der Vater und dessen Familie sind aber weder der äthiopische Staat (§ 3c Nr. 1 AsylG), noch sind sie eine Organisation, die einen wesentlichen Teil Äthiopiens beherrscht (3c Nr. 2 AsylG), noch sind sie ein nichtstaatlicher Akteur nach § 3c Nr. 3 AsylG. Von letzterem kann entgegen der klägerischen Ausführungen nicht ausgegangen werden, da nicht ersichtlich ist, dass die äthiopische Regierung weder in der Lage noch willens wäre dem Kläger und seiner Frau Schutz vor Verfolgung zu geben. Die Behauptung des Klägers, dass ihn auch die muslimischen äthiopischen Polizisten in Folge der Fatwa umbringen würden, falls er dort Schutz suchen würde, steht in diametralem Gegensatz zur Auskunft des Auswärtigen Amts an das Bundesamt vom 15. Januar 2018. Hiernach kommt es zwar eventuell in streng religiösen Familien zu Problemen infolge von Glaubenswechseln. Jedoch herrscht in Äthiopien Glaubensfreiheit. Probleme staatlicher oder offizieller Art gibt es dort diesbezüglich nicht. Zudem gibt es in der Hauptstadt Unterstützungsgruppen für Religionswechsler.

Auch die Glaubhaftigkeit des Vortrags zur Fluchtgeschichte ist angesichts mehrerer Unstimmigkeiten oder Widersprüche in Zweifel zu ziehen. Das Gericht sieht es als zweifelhaft an, dass die vermeintlichen Verfolger über 4 Jahre nicht gewusst haben sollen, wo sich der Kläger und seine Familie aufhalten, dann aber im Sommer 2013 plötzlich den Aufenthaltsort wussten. Zudem hat der Kläger in der Befragung am 22. Juli 2014 angegeben, von seinem Bruder am 27. August 2013 über die drohende Entdeckung informiert worden zu sein. In der mündlichen Verhandlung hat er dann erklärt, schon am 27. Juli 2013 vom Bruder angerufen worden zu sein. Man sei dann am nächsten Tag nach Libyen geflohen. Bei der Regierung von Mittelfranken hatte er angegeben bis 6. August 2013 im Sudan gewesen zu sein. Auch erschließt sich dem Gericht nicht, dass Eltern ihre Tochter, die als Folge des Religionswechsels für die Verfolger sichtbares Zeichen der Apostasie sein muss, bei der Schwiegermutter lassen. Zwar ist nachvollziehbar, dass die Saharadurchquerung für ein kleines Kind nicht zu schaffen ist, umso mehr verwundert aber, dass man die Tochter dann bei der Schwiegermutter lässt, wo die Verfolger doch angeblich wissen, wo im Sudan man sich befindet, anstatt, bei ihr zu bleiben, um sie zu schützen. Die Behauptung des Klägers, man habe gehofft, dass die Verfolger glauben würden, die Tochter sei mit nach Libyen gegangen und würden sie deshalb nicht im Sudan suchen ist schlicht unglaubhaft. Zumal der Klägers im Schriftsatz vom 4. Mai 2016 (Seite 6) behauptet hat, dass die Netzwerke der äthiopischen Muslime weitreichend sind. Nimmt man nämlich an, dass die vermeintlichen Verfolger wissen, wo sich der Kläger befindet, dann ist es lebensfremd zu glauben, dass sie dann nicht herausbekommen würden, dass die Tochter vor Ort geblieben ist. Auch die Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung, man habe seit ca. 8 Monaten keinen Kontakt mehr zur Tochter, weil Schwiegermutter und Tochter krank seien und man aus Furcht vor schlechten Nachrichten lieber keine Nachrichten bekomme, verwundert sehr, widerspricht jeglicher Lebenserfahrung und trägt nicht zur Glaubhaftigkeit des Ganzen bei.

c) Eine Verfolgung durch den äthiopischen Staat aufgrund eines politischen Engagements vor Ort in Äthiopien wurde schon nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich.

d) Soweit der Kläger geltend macht, zunächst für die EPRP exilpolitisch tätig gewesen zu sein und nunmehr die EDFM zu unterstützen, sowie an der Zeitschrift NETSEBRAQ als einer von drei Chefredakteuren mitzuarbeiten, führt auch dies nicht zur Annahme der beachtlich wahrscheinlichen Gefahr einer politischen Verfolgung im Heimatland.

Zwar ermöglicht § 28 Abs. 1a AsylG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch dann, wenn die begründete Furcht nur auf Ereignissen beruht, die eingetreten sind, nachdem ein Ausländer sein Herkunftsland verlassen hat (sog. Nachfluchttatbestände). Hierbei ist auch zu beachten, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1a AsylG im Gegensatz zu § 28 Abs. 2 AsylG auch möglich ist, wenn sämtliche Umstände erst nach der Flucht eingetreten sind. Im Gegensatz zu Vorfluchtgründen, die lediglich glaubhaft zu machen sind, bedürfen Nachfluchtgründe, die auf Ereignissen innerhalb des Gastlandes beruhen, des vollen Nachweises, wobei insoweit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besonders strenge Anforderungen zu stellen sind. Insofern ist den Versuchen einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des Asylrechtsschutzes im Bereich der Sachverhaltsermittlung zu begegnen (BVerwG, U.v.21.10.1986 - 9 C 28.85 - BVerwGE 75, 99; BVerwG, U.v. 8.11.1983 - 9 C 93.83 - BVerwGE 68, 171).

Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer ist es auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Äthiopien eine Verfolgung wegen seiner exilpolitischen Betätigung in der Bundesrepublik Deutschland drohen würde (vgl. VG Regensburg, U.v. 24.1.2018 – RO 2 K 16.32411 – juris).

Dass ein Ausländer in seinem Heimatstaat politisch verfolgt wird, weil er in der Bundesrepublik Deutschland gegen seinen Staat politische Aktivitäten entfaltet hat, kann nur angenommen werden, wenn sowohl für das Bekanntwerden der Tätigkeit im Heimatstaat als auch für dessen im Sinne des Asylrechts politisch motivierte Reaktion hinreichend gewichtige Anhaltspunkte bestehen (BVerwG, U.v. 29.11.1977 - 1 C 33.71 - BVerwGE 55, 82). Gerade an letzterem fehlt es hier.

Es gibt zahlreiche äthiopische politische Exilgruppen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen und Programmen. Dem Auswärtigen Amt liegen auch nach dem aktuellen Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien vom 6. März 2017 keine Erkenntnisse darüber vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Partei im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Grundsätzlich kommt es nach dieser Auskunft auf den Einzelfall an, also z.B. darauf, ob eine Organisation von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation angesehen wird oder um welche politische Tätigkeit es sich handelt (z.B. nachweisliche Mitgliedschaft, führende Position, Organisation gewaltsamer Aktionen). Von Bedeutung ist auch, ob und wie sich die zurückgeführte Person anschließend in Äthiopien politisch betätigt (AA, Lagebericht Äthiopien vom 6.3.2017, Stand: März 2017, II. 1.9., S. 16). Bei Würdigung dieser Auskunftslage ist weiterhin davon auszugehen, dass die Toleranzschwelle des äthiopischen Staates gegenüber exilpolitischen Aktivitäten seiner Staatsangehörigen sehr gering ist, so dass nicht nur medienwirksam exponierte Führungspersönlichkeiten der als terroristisch angesehenen illegalen Opposition bedroht sind. Vielmehr ist anzunehmen, dass jedenfalls Personen, die sich exponiert betätigt haben, mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben. Dagegen ist zur Überzeugung des Gerichts nach Auswertung der aktuellen Erkenntnisquellen eine Verfolgung von nicht herausgehoben politisch tätigen Personen zwar nicht ausgeschlossen, aber jedenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich.

Die Kammer und der entscheidende Einzelrichter gehen weiterhin davon aus, dass Personen, die sich nur im Hinblick auf einen positiven Ausgang des Asylverfahrens einer exilpolitischen Gruppe anschließen und sich dort nicht exponiert betätigen, im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien nicht mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben. Gerade wegen der intensiven Beobachtung exilpolitischer Auslandsaktivitäten durch äthiopische Stellen muss davon ausgegangen werden, dass auch den äthiopischen Behörden klar ist, dass eine große Zahl äthiopischer Asylbewerber, die im Herkunftsland nicht politisch aufgefallen waren, nicht wegen ihrer politischen Überzeugung an exilpolitischen Veranstaltungen teilnimmt, sondern weil sie sich davon Vorteile im Asylverfahren erwartet.

Im Hinblick darauf ist es nicht wahrscheinlich, dass die äthiopischen Behörden derartige Personen als „verfolgungswürdig“ erachten. Damit ist eine politische Verfolgung im Heimatland nicht beachtlich wahrscheinlich. Dies gilt im Übrigen auch dann, wenn der betreffenden Person eine auf den ersten Blick exponiert erscheinende Position übertragen worden ist, ohne dass diese dann auch aktiv ausgefüllt wird. Mit dem Verwaltungsgericht Bayreuth geht das Gericht weiterhin davon aus, dass die zu beobachtenden vielfältigen Vorstands- oder sonstigen Funktionen für sich alleine betrachtet den jeweiligen Asylbewerber, wenn er sich ansonsten im Heimatland als unpolitisch erwiesen hat, nicht zu einem aus dem Kreis der bloßen Mitläufer herausragenden, ernsthaften und damit aus Sicht des äthiopischen Staates zu verfolgenden Oppositionellen machen. Vielmehr ist ausschlaggebend, ob der jeweilige Funktionsträger nicht nur durch das Innehaben eines Amtes, sondern durch sein davon unabhängiges politisches Engagement im Heimatland und in der Bundesrepublik sich als eine von der Masse der äthiopischen Asylbewerber abhebende und nach außen erkennbar politisch interessierte und aktive Person darstellt (VG Bayreuth, B.v. 26.8.2013 - B 3 K 12.30096 – juris; so im Ergebnis auch VG Ansbach, U.v. 21.2.2017 - AN 3 K 16.30481 - juris, VG Ansbach, U.v. 27.9.2016 - AN 3 K 16.30562 – juris; VG Ansbach, U.v. 27.08.2012 - AN 12.30258 - juris; VG München, U.v.31.5.2016 - M 12 K 16.30593 - juris; VG Kassel, U.v. 21.7.2016 - 1 K 1953/15.KS.A - juris).

Die Kammer und der Einzelrichter folgen damit nicht der vom Klägerbevollmächtigten dargelegten Auffassung des Verwaltungsgerichts Würzburg, wonach einem exilpolitisch tätigem Asylbewerber in Äthiopien politische Verfolgung drohe. Das VG Würzburg hat in Urteilen vom 24. Juli 2017 und vom 23. November 2017 zu einer die EPPFG,EPCOU unterstützenden Amharin und einem die TBOJ unterstützenden Oromo ausgeführt, dass es aufgrund der ihm vorliegenden Erkenntnisse - die sich auf dieselben Erkenntnismittel wie hier stützen - davon ausgehe, dass staatliche äthiopische Stellen Kenntnis von den oppositionellen Tätigkeiten im Ausland lebender Äthiopier zu erlangen versuchen und diese Kenntnisse dazu nutzten, heimgekehrte, exilpolitisch tätige Asylbewerber zu verfolgen.

Hierzu ist festzustellen, dass sich die Aussage, wonach jede exilpolitische Betätigung, auch die eines reinen Mitläufers, zu einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgung führen werde, nach Ansicht des Gerichts den Erkenntnismitteln nicht entnehmen lässt. Zunächst ist festzuhalten, dass nach sämtlichen Gutachten kein belegbarer Fall bekannt ist, wonach ein rein exilpolitisch tätiger Asylbewerber im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien verfolgt worden wäre. Sämtliche Gutachten basieren damit hinsichtlich der Verfolgungswahrscheinlichkeit auf Vermutungen ohne Tatsachengrundlage der jeweiligen Gutachter.

Das Auswärtige Amt teilt mit, dass keine Erkenntnisse vorlägen, wonach allein die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland zu staatlichen Repressionen führe. Es seien auch keine Fälle bekannt, wonach zurückgekehrte Äthiopier Benachteiligungen oder gar einer Festnahme oder Misshandlung ausgesetzt worden wären (AA in seinem Lagebericht Äthiopien vom 6.3.2017, Stand: März 2017, Seite 16 und 21). Demgegenüber steht die Aussage des Auswärtigen Amtes, wonach eine Verfolgung wahrscheinlich sei, wenn Anhänger der EPPFG aus dem Ausland zurückkehrten (AA an VG Gießen vom 9.12.2016 - EPPFG). Diese Aussage wurde aber im aktuelleren Lagebericht des Auswärtigen Amts von 2017 nicht wiederholt und kann daher als überholt angesehen werden.

Die Auskunft des Leibniz-Instituts (GIGA an VG Gießen vom 30.1.2017 - EPPFG) betrifft die EPPFG. Zudem stellt diese Auskunft nur fest, dass eine Verhaftung für den Fall der Rückkehr nicht ausgeschlossen werden könne. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab erreicht aber schon nicht den Maßstab der nötigen beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit.

Die Auskünfte des Gutachters Günter Schröder aus dem Jahr 2009 (Auskunft an das VG Köln vom 11.5.2009 Oromo, TBOJ/UOSG, OLF) und jene aus dem Jahr 2017 vermögen ebenfalls nicht zur Feststellung führen, dass heimkehrenden, rein exilpolitisch tätigen Asylbewerbern eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht. Dieser Gutachter behauptet zwar, dass zwangsweise zurückgeführte Äthiopier häufig verhaftet würden (Günter Schröder, Stellungnahme für das VG Gießen vom 15.2.2017 Rn. 214). Dieser Behauptung steht zum einen die oben genannte Auskunft des Auswärtigen Amtes entgegen. Zum anderen gibt auch der Gutachter Schröder keinen nachweisbaren Beleg an, wonach ein rein exilpolitische tätiges Mitglied einer der zahlreichen Exilorganisationen bei der Rückkehr nach Äthiopien etwa verhaftet worden wäre. Die Aussage, Rückkehrer würden häufig verhaftet, steht leer im Raum. Die von ihm näher erwähnten Verhaftungen betreffen jeweils Fälle von in Äthiopien demonstrierenden Personen (Günter Schröder, Stellungnahme für das VG Gießen vom 15.2.2017 Rn. 123, 125). So seien im Rahmen der Unruhen 2016 unter Geltung des Ausnahmezustandes über 11.000 Menschen verhaftet worden. Dabei war der Großteil der Verhafteten oromischer Volkszugehörigkeit, ihnen wurde jeweils vorgehalten, an gewalttätigen Aktionen im Auftrag der OLF beteiligt gewesen zu sein. Entscheidend für die Verhaftung war also nicht die Frage, ob sie zurückgekehrte exilpolitisch tätige Asylbewerber waren, sondern, dass sie tatsächlich vor Ort demonstriert hatten. Dies wiederum deckt sich mit der Auskunft des Auswärtigen Amts, wonach es im Hinblick auf eine Verfolgung auch darauf ankommt, wie sich ein Rückkehrer vor Ort verhält.

Der Gutachter Schröder führt weiter an, dass eine Unterscheidung in unbedeutende und herausgehobene Tätigkeiten für die Beurteilung einer Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht relevant sei (Günter Schröder, Stellungnahme für das VG Gießen vom 15.2.2017 Rn. 228), da dem äthiopischen Staat ein hohes Maß an Willkür zuzurechnen sei. Abschließend stellt der Gutachter fest, dass sich im Einzelfall nicht vorhersagen lasse, mit welchen konkreten Verfolgungsmaßnahmen ein Rückkehrer zu rechnen habe (Günter Schröder, Stellungnahme für das VG Gießen vom 15.2.2017 Rn. 237 Satz 1). Als Minimum müsse man jedoch mit einer längeren Inhaftierung und intensiver Befragung rechnen (Günter Schröder, Stellungnahme für das VG Gießen vom 15.2.2017 Rn. 237 Satz 2). Auch hier steht diese Aussage leer im Raum und der Auskunft des Auswärtigen Amts entgegen. Ein nachweisbarer Einzelfall ist vom Gutachter ebenfalls nicht dargetan. Auch erscheint es widersprüchlich, zunächst festzustellen, dass man konkrete Verfolgungshandlungen nicht vorhersagen könne, dann jedoch festzuhalten, dass mindestens mit einer längeren Inhaftierung und intensiven Befragungen zu rechnen ist.

Auch soweit das VG Würzburg dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 6. März 2017 entnimmt, dass schon die Mitgliedschaft in einer von der äthiopischen Regierung als terroristisch eingestuften Organisation für eine flüchtlingsrelevante Verfolgung ausreicht, folgt das Gericht dem nicht. Diese Wortlautauslegung einer amtlichen Auskunft legt zu viel Wert auf das Wort „oder“ und lässt den Sinnzusammenhang des Satzes im ganzen Absatz unberücksichtigt. Zunächst teilt das Auswärtige Amt nämlich mit, dass keine Erkenntnisse darüber vorlägen, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Es komme auf den Einzelfall an, d.h. darauf, ob eine Organisation von der äthiopischen Regierung als Terrororganisation angesehen werde oder um welche Art von exilpolitischer Tätigkeit es sich handle. Wenn man nun wie das VG Würzburg davon ausgeht, dass schon die einfache Mitgliedschaft eines Asylbewerbers bei einer exilpolitischen Organisation ausreicht, so betrachtet man nicht mehr den Einzelfall, sondern pauschaliert nahezu sämtliche äthiopischen Asylbewerber, da der Großteil hiervon Mitglied oder Unterstützer irgendeiner Exilorganisation ist. Man ginge dann entgegen der Auskunft des Auswärtigen Amts, wonach es eben auf den Einzelfall ankommt, von einer generellen Verfolgung aller Mitglieder von Exilorganisationen, die von der äthiopischen Regierung als terroristisch eingestuft werden, aus.

Das Gericht weist nochmals daraufhin, dass es seine Erkenntnisse aus denselben Mitteln zieht, wie das seitens des Klagebevollmächtigten erwähnte VG Würzburg. Es bestanden daher mangels Konkretisierung, was eine neue Auskunft anderes ergeben würde, keine Anhaltspunkte, dass eine weitere Auskunft bei einem der angebotenen Gutachter neue Erkenntnisse brächte. Vielmehr erfolgt durch die Gerichte derzeit eine divergierende Schlussfolgerung aus den gegebenen Erkenntnissen. Dies aber ist eben keine beweisbare Tatsache und daher nicht dem angebotenen Beweis (Antrag Nr. 5 und 6) zugänglich. Entgegen der Ansicht des Klagebevollmächtigten in seiner Gegendarstellung gegen die Ablehnung der entsprechenden Beweisanträge handelt es sich hierbei auch nicht um eine beweisbare Wertung eines Sachverständigen. Das Gericht hat eben sämtliche vorliegenden Gutachten auszuwerten und zu berücksichtigen und kann nicht blind einer Aussage folgen, sondern es muss aus divergierenden Bewertungen mehrerer Gutachter eigene Schlüsse ziehen, was durch eine weiteres Gutachten nicht anders wäre.

Soweit der Kläger angibt, Mitglied der EPRP gewesen und jetzt bei der EDFM Mitglied zu sein, ist die reine Mitgliedschaft in einer der genannten Organisationen schon keine herausgehobene Stellung. Auch die behauptete Teilnahme an Demonstrationen vermag den Kläger nicht aus der Masse der äthiopischen Asylbewerber herauszuheben. In nahezu sämtlichen Verfahren äthiopischer Asylbewerber werden Teilnahmebescheinigungen an diversen Demonstrationen vorgelegt, so dass dies keinen mehr herauszuheben vermag. Weshalb die Frage der Tätigkeiten in den genannten Gruppen insoweit schon nicht entscheidungserheblich war und damit der Grund für die Ablehnung des entsprechenden Beweisantrags war. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die in englischer Sprache erstellte und in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Mitgliedsbescheinigung der EDFM von „some of her current acivity“ spricht, also allenfalls Tätigkeiten einer Frau und nicht eines Mannes bescheinigt werden würden.

Soweit der Kläger angibt, er sei einer der drei Chefredakteure der Zeitschrift NETSEBRAQ und veröffentliche dort regierungskritische Artikel, die von der äthiopischen Regierung gesehen und ihm zugeordnet würden, vermag auch dies selbst bei Wahrunterstellung nicht zu einer herausgehobenen Stellung des Klägers zu führen, weshalb der entsprechende Beweisantrag abzulehnen war. Die Selbsttitulierung mit scheinbar bedeutenden Posten vermag nicht zu einer herausgehobenen Stellung zu führen Die behauptete Tätigkeit des Klägers führt hier mitnichten zu einer exponierten Stellung. Wie sich durch die Befragung in der mündlichen Verhandlung ergeben hat, hat der Kläger den zuletzt angegebenen Artikel aus der Januarausgabe 2018 seines Magazins schon nicht selbst verfasst. Eine Beweiserhebung darüber, dass die Artikel „unter seinem Namen“ stehen, ist unerheblich. Sie verhülfe dem Kläger nicht zum Erfolg, da es nach der Auffassung des Gerichts nicht darauf ankommt, ob irgendwelche Artikel räumlich in der Nähe seines Namens stehen oder was sonst mit dem Ausdruck „unter/mit seinem Namen“ gemeint sein soll, sondern ob er Urheber derselben ist. Letzteres ist er jedenfalls für den englischsprachigen Artikel aus der Januarausgabe 2018 seines Magazins nicht.

Dieser englische Artikel wurde bereits am 19. Mai 2017 auf folgender Website veröffentlicht: http://...org/torture-victims-reeyot-and-habtamu-oppose-dr-tedros-adhanoms-candidacy-for-director-general-of-who/ (zuletzt aufgerufen am 8. März 2018) und stammt damit nicht vom Kläger. Entgegen dem Vortrag in der ergänzenden Klagebegründung vom 27. Februar 2018 (Seite 3 unten) ist dies damit nicht „ein Artikel“ des Klägers. Zumal der Kläger auch kein Englisch kann. Auf den entsprechenden Vorhalt des Gerichts gab der Kläger zu, dass er den Artikel nur weiterleiten und verbreiten wollte. Die reine Weiterleitung regierungskritischer Artikel ist aber keinesfalls eine eigene schöpferische Leistung, die dem selbst erkorenen Titel eines Chefredakteurs entspräche.

Auch die Frau des Klägers hat entgegen ihrer Darstellung in der Klagebegründung vom 27. Februar 2018 keinen eigenen Artikel verfasst. Der unter ihrem Namen veröffentlichte Artikel stimmt im Wortlaut mit einem Artikel der BBC vom 17. Januar 2018 überein. Er ist auf folgender Website abrufbar: http://www...com/news/world-africa-42716864?intlink_from_url=http://www...com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia& link_location=live-reporting-story (zuletzt aufgerufen am 8. März 2018) und damit nicht von ihr. Auf die Bitte, ihren Artikel vorzulesen, teilte die Klägerin mit, dass sie kein Englisch könne und den Artikel auf Amharisch verfasst habe. Sodann sei er übersetzt worden.

Beide Artikel sind durch eine einfache Google-Suche auffindbar, es ist nicht ersichtlich, dass die äthiopische Regierung diese fehlende Urheberschaft nicht erkennen würde.

Des Weiteren fällt auf, dass die Zeitschrift im Jahr 2017 nach bisherigen Erkenntnissen nicht erschienen ist, jedenfalls war bei den in der mündlichen Verhandlung vorgezeigten Zeitungen keine entsprechend datierte Ausgabe enthalten. Die Frau des Klägers erklärte, die Redaktion sei zerstritten gewesen, weshalb man nichts veröffentlicht habe. Auch dies verwundert sehr, will man doch stark gegen die Regierung engagiert sein. Im Jahr 2017 ruhte also die exilpolitische Tätigkeit insoweit. Erst im Jahr 2018, nach der Terminierung der mündlichen Verhandlung wurde am 27. Februar 2018 eine auf den 1. Januar 2018 datierte Zeitung vorgelegt. Auf den Hinweis des Richters an die Frau des Klägers in deren Verhandlung, dass das Veröffentlichungsdatum nicht stimmen könne, da die Zeitung einen Artikel über die Freilassung M. Gu. am 17. Januar 2018 enthalte, antwortete diese, dass komme vor, weil man nicht rechtzeitig fertig geworden sei. Man setze dann einfach das geplante Datum auf.

Hinzukommt, dass beide Artikel entgegen der Angabe in der ergänzenden Klagebegründung vom 27. Februar 2018 auch nicht im Internet auf der angegebenen Website www.netsebraqm.wordpress.com veröffentlicht werden. Nach entsprechendem Vorhalt des Gerichts, dass dort nur Zeitschriften von Februar 2016 oder früher auffindbar seien, erklärte die Frau des Klägers, dass sie eben nicht mehr veröffentlicht werden. Der Kläger erklärte, es habe Uneinigkeit in der Redaktion gegeben, ob die Website kostenpflichtig sei oder nicht. Festzuhalten ist jedenfalls, dass die Website weiter online ist, aber eben nicht aktualisiert oder gepflegt wird, wie dies bei dem behaupteten exilpolitischen Engagement zu erwarten wäre. Jedenfalls ist hieraus zu schließen, dass der aktuelle Verbreitungsgrad der Zeitschrift, angesichts der geringen Auflage, äußerst gering ist.

Hingewiesen sei noch darauf, dass die anderen, amharischen Artikel des Klägers in früheren Zeitschriften entgegen zweimaliger Aufforderung unter Hinweis auf § 184 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) nicht übersetzt worden sind, so dass sie insoweit nicht verwertbar sind. Wobei angesichts der aufgedeckten Täuschung über die Urheberschaft der englischsprachigen Artikel zu befürchten stünde, dass auch diese Artikel nur kopiert sind.

Aus alledem ergibt sich, dass der Kläger kein Redakteur ist und ihm damit auch keinesfalls eine herausgehobene Stellung in der äthiopischen Exilszene zukommt. Die Weiterleitung englischsprachiger Artikel unter der Angabe, dass seien eigene Artikel des Klägers, ist zur Überzeugung des Einzelrichters schlicht eine Täuschung des Gerichts über die behauptete Art und Weise der Tätigkeit aus asyltaktischen Motiven. Zur Erlangung einer scheinbar herausgehobenen Stellung und um sich einen Schutzgrund zu kreieren, hat der Kläger mehrfach wahrheitswidrige oder unvollständige Angaben gemacht.

Dadurch ist die Glaubwürdigkeit des Klägers zutiefst erschüttert. Dieser hat gegenüber dem Gericht mehrfach falsche, unvollständige Angaben machen lassen. Falsch war die Angabe, der Artikel sei im Internet auf der Zeitschriftenwebsite veröffentlicht. Falsch war die Angabe, es sei sein Artikel, da er schlicht kopiert worden war. Unvollständig war zudem die Behauptung, der englische Artikel sei von ihm. Denn der Kläger kann kein Englisch. Deshalb wäre korrekterweise anzugeben gewesen, dass es ein von ihm in Amharisch verfasster und sodann übersetzter Artikel sein soll.

Angesichts der sich nach der mündlichen Verhandlung darstellenden Art und Weise der Tätigkeit scheidet eine herausgehobene, aus Sicht der äthiopischen Regierung verfolgungswürdige, Tätigkeit aus. Da die Tätigkeit auch nicht zu einer beachtlich wahrscheinlichen politischen Verfolgung führt, kam es auch nicht auf die unter Beweis gestellte Behauptung, die äthiopischen Sicherheitsdienste würden über die Aktivitäten des Klägers auch dann genauestens Bescheid wissen, wenn er unter Pseudonym tätig sei, an. Der ähnlich gelagerte Beweisantrag Nr. 3 war aber schon deshalb abzulehnen, weil nicht dargetan war, inwiefern die angebotenen Beweismittel eigenes Wissen darüber haben sollen, welche Tätigkeiten des Klägers den Sicherheitsdiensten bekannt sind.

3) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Ein derartiger Schaden droht dem Kläger nach den obigen Ausführungen nicht.

4) Schließlich sind auch Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht ersichtlich. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Mangels Erkennbarkeit diesbezüglicher Anhaltspunkte ist festzustellen, dass diese Voraussetzungen vorliegend nicht erfüllt sind.

Ebenso wenig besteht ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebeschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entfällt die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung aber jedenfalls dann, wenn die oberste Landebehörde trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage keinen generellen Abschiebestopp erlassen bzw. diesen nicht verlängert hat und ein vergleichbarer wirksamer Schutz den betroffenen Ausländern nicht vermittelt wird. Die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG gebieten danach die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn einer extremen Lebensgefahr oder einer extremen Gefahr der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit entgegen gewirkt werden muss. Dies ist der Fall, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 17.10.1995 - BVerwGE 99, 324; BVerwG, U.v. 19.11.1996 - BVerwGE 102, 249, BVerwG, U.v. 12.7.2001 - BVerwGE 115, 1). Eine derartige Gefahrensituation könnte sich auch aus den harten Existenzbedingungen und der Versorgungslage in Äthiopien ergeben.

Ob die Annahme einer extremen Gefahrenlage im Wege der verfassungskonformen Auslegung nunmehr ausscheidet, weil das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 31.1.2013 (Az. 10 C 15/12 – juris) davon ausgeht, dass in begründeten Ausnahmefällen schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat (auch) ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen können, kann letztlich dahinstehen, da die anzuwendenden Gefahrenmaßstäbe weitgehend übereinstimmen.

Nach den dem Gericht vorliegenden und ins Verfahren eingeführten Erkenntnissen ist die Versorgungssituation für den Kläger in Äthiopien jedoch nicht so schlecht, dass von einer Gefahr im beschriebenen Sinn auszugehen wäre. Obwohl Äthiopien zwischen den Jahren 2004 und 2014 ein konstantes wirtschaftliches Wachstum aufwies, zählt das Land immer noch zu den ärmsten Staaten der Welt. Auf dem Human Development Index des UNO-Entwicklungsprogramms belegt Ä. Platz 173 von 186. 77,6% der Bevölkerung leben von weniger als zwei US-Dollar pro Tag. Das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt bei 170 US-Dollar. 82% Prozent der Bevölkerung leben von der Landwirtschaft (SFH, Äthiopien, Update: Aktuelle Entwicklungen bis Juni 2014, Rahel Zürrer, Bern 2014). Andererseits ist die Arbeitslosigkeit in den ländlichen Regionen niedrig. Statt auf Arbeitslosigkeit trifft man dort auf unterproduktive Landwirtschaft (IOM, Länderinformationsblatt Äthiopien, Juni 2014, VII. 8.2.1, S. 19). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert, weshalb große Teile der Bevölkerung auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Im Jahr 2014 waren ca. 3,2 Millionen Äthiopier auf solche Hilfen angewiesen, wobei sich die Hilfen neben der reinen Nahrungsmittelhilfe auch auf Non Food Items (Hygiene und Gesundheit) bezogen. Zusätzlich wurden 7,8 Millionen Menschen über das Productive Safety Net Programme unterstützt, die sonst auch Nothilfe benötigt hätten (AA, Lagebericht vom 24.5.2016, Stand: März 2016, IV. 1. 1.1. S. 20).

Im jüngsten Lagebericht spricht das Auswärtige Amt davon, dass 7,9 Millionen Menschen auf das staatliche Sozialprogramm zur Ernährungssicherung angewiesen sind (AA, Lagebericht Äthiopien vom 6.3.2017, Stand: März 2017, IV 1.1, S. 20). Hier zeigt es sich, dass die Situation für große Teile der Bevölkerung schwierig ist. Gleichwohl bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten. Für Rückkehrer bieten sich im Übrigen schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung.

Hierbei berücksichtigt das Gericht auch, dass der Kläger - zumindest nach seinem Vortrag -nicht in den Schoß seiner Familie und die dortige soziale Sicherheit zurückkehren kann. Jedoch ist es nicht ersichtlich, dass der gesunde Kläger nicht in der Lage wäre, Arbeit in Äthiopien zu suchen und zu finden, um sich und seine Familie zu ernähren. Dabei ist davon auszugehen, dass der Kläger sich in einem gesunden Zustand befindet, er hat erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass er auch nicht gesund sei, sondern der Stress seine Spuren hinterlassen habe. Hierzu wurden jedoch schon keinerlei Atteste vorgelegt, noch führt Stress alleine zur Annahme einer Krankheit.

Die Entscheidung zur Kostentragung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselben Verfahren beteiligt, erhöht sich der Wert für jede weitere Person in Klageverfahren um 1 000 Euro und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um 500 Euro.

(2) Ist der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.

(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.

(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.

(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.