Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2015 - 15 ZB 13.2384

bei uns veröffentlicht am27.02.2015
vorgehend
Verwaltungsgericht Regensburg, 2 K 13.208, 23.09.2013

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Umnutzung einer Frühstückspension mit 33 Betten in ein Wohnheim für 25 Asylbewerber.

Der Kläger ist Eigentümer des mit einem Einfamilienwohnhaus bebauten Grundstücks FlNr. 460/2 Gemarkung D. Südlich grenzt das Grundstück FlNr. 456/3 des Beigeladenen an, das mit einem Gebäude bebaut ist, welches mit Baugenehmigungsbescheid des Landratsamts R. vom 4. Februar 1981 als Frühstückspension genehmigt wurde. Mit einem weiteren Bescheid vom 22. Juli 1988 erhielt der Beigeladene zudem die Baugenehmigung für die Erweiterung der Pension auf dem Grundstück durch einen Anbau im Osten.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 9. Januar 2013 erteilte das Landratsamt dem Beigeladenen auf dessen Antrag eine befristete Baugenehmigung für die Umnutzung der Frühstückspension in ein Wohnheim für 25 Asylbewerber.

Die hiergegen erhobene Klage des Klägers wies das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 23. September 2013 mit im Wesentlichen folgender Begründung ab: Die Baugenehmigung verstoße weder gegen bauordnungsrechtliche noch gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften, die zum Prüfprogramm des hier nach Art. 60 BayBO in Verbindung mit Art. 2 Abs. 4 Nr. 11 BayBO einschlägigen Genehmigungsverfahrens gehörten und den Kläger als Nachbarn in seinen Rechten schützten. Dadurch, dass sich die Baugenehmigung auf die Prüfung der Nutzungsänderung beschränke und die abweichenden Bauausführungen von den Baugenehmigungen von 1981 und 1988 unberücksichtigt lasse, würden Nachbarrechte des Klägers nicht verletzt. Die Nutzungsänderung löse auch keine abstandsflächenrechtliche Gesamtbeurteilung aus, weil durch das Abstandsflächenrecht geschützte Belange (Belichtung, Belüftung, Wohnfrieden) nicht negativ beeinträchtigt würden. Eine Asylbewerberunterkunft mit üblicher Belegungsdichte begründe keine bodenrechtlich relevanten Störungen. Als Anlage für soziale Zwecke sei die Unterkunft bauplanungsrechtlich in einem allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig. Bei den davon ausgehenden Geräuschemissionen wie Gespräche, Zurufe, Abspielen von Tonträgern und Kochvorgänge bei offenem Fenster handle es sich um grundsätzlich hinzunehmende Wohngeräusche. Von unzumutbaren Störungen oder Belästigungen nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sei nicht auszugehen. Im Übrigen könne sich der Kläger auf eine rechtswidrig unterlassene Vollprüfung der Nutzungsänderung unter Berücksichtigung des planabweichenden Bestands nicht berufen, weil passiver Bestandsschutz und Bestandskraft der Baugenehmigung vom 1988 eingetreten seien und der Kläger seine Nachbarrechte gegen den Altbestand zudem verwirkt habe.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. Er macht ernstliche Zweifel an seiner Richtigkeit, besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten, eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie eine Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung geltend.

II.

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.

Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt oder liegen nicht vor (§ 124 Abs. 2 VwGO, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).

A. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger durch die angegriffene Baugenehmigung für die Nutzungsänderung nicht in seinen Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil die Umnutzung der in den Jahren 1981 und 1982 genehmigten Frühstückspension in ein Wohnheim für 25 Asylbewerber keinen im Baugenehmigungsverfahren nach Art. 60 Abs. 1 BayBO zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht, die auch seinem (Nachbar-)Schutz dienen, begegnet keinen ernstlichen Zweifeln. Es ist nicht fraglich, dass die Baugenehmigung weder gegen bauordnungsrechtliche noch gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften verstößt, die die Nachbarrechte des Klägers schützen.

1. Der Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die Baugenehmigung Abstandsflächenrecht (Art. 6 BayBO) verletze, weil es zu Unrecht das Erfordernis einer abstandsflächenrechtlichen Gesamtbetrachtung verneint habe, ist nicht berechtigt.

Zwar lösen bauliche Änderungen eines Gebäudes, selbst wenn sie für die Berechnung der Abstandfläche maßgebliche Bauteile nicht unmittelbar berühren, grundsätzlich eine abstandflächenrechtliche Neubeurteilung für das gesamte Gebäude aus, wenn sich im Vergleich zum bisherigen Zustand spürbare nachteilige Auswirkungen hinsichtlich der durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange der Belichtung, Belüftung und Besonnung oder des nachbarlichen „Wohnfriedens“ (vgl. dazu BayVGH, U.v. 3.12.2014 - 1 B 14.819 - juris Rn. 17) haben können (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2007 - 1 ZB 05.2572 - juris Rn. 12; U.v. 26.4.2007 - 26 B 06.1460 - juris Rn. 22; U.v. 11.11.2014 - 15 B 12.2672 - juris Rn. 35). Entsprechendes gilt auch für Nutzungsänderungen (vgl. BayVGH U. v. 26.11.1979 - 51 XIV 78 - BayVBl 80, 405; U.v. 15.4.1981 - 15 B 80 A.1740 - BayVBl 1981, 537; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 13 m. w. N.). Entgegen der Auffassung des Klägers liegen diese Voraussetzungen hier jedoch nicht vor.

a) Sein Einwand, eine abstandsflächenrechtliche Gesamtbetrachtung sei hier deswegen erforderlich, weil der Bestand auf dem Grundstück des Beigeladenen infolge der planabweichenden Bauausführung nie genehmigt worden sei, begründet schon deswegen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, weil mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung nicht der (planabweichende) tatsächliche Bestand des als Frühstückspension bauaufsichtlich zugelassenen Gebäudes genehmigt wurde, sondern die bloße Umnutzung des Gebäudes in den Maßen der Baugenehmigungen von 1981 und 1988. Gegenstand der Beurteilung für die Frage des Vorliegens einer Nachbarrechtsverletzung durch eine Baugenehmigung ist aber ausschließlich das in den genehmigten Bauvorlagen dargestellte Vorhaben, nicht ein möglicherweise hiervon abweichend ausgeführtes, tatsächlich vorhandenes Bauwerk (vgl. OVG Saarl, U.v. 3.4.2008 - 2 A 387/07 - BRS 73 Nr. 178 = juris LS und Rn. 25). Ausweislich der genehmigten Bauvorlagen werden mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 9. Januar 2013 keine baulichen Änderungen an dem als Frühstückspension genehmigten Gebäude zugelassen, insbesondere auch nicht vom Beigeladenen offenbar vorgenommene, von früheren Baugenehmigungen abweichende Bauausführungen. Vielmehr beinhaltet die Genehmigung, wie der Vergleich mit genehmigten Bauvorlagen der Genehmigungen von 1981 und 1988 ergibt, ausschließlich die Umnutzung des Gebäudes in den damals genehmigten Maßen ohne äußere bauliche Veränderungen von zum Grundstück des Klägers gewandten Bauteilen.

Dass dem Kläger als Nachbarn nicht deswegen ein Abwehrrecht gegen die Baugenehmigung zusteht, weil der Beigeladene wegen der fehlenden Einbeziehung des tatsächlichen Bestands des Gebäudes möglicherweise gegen die Bauvorlagenpflicht (vgl. Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO, §§ 3, 8 ff. BauVorlV) verstößt, hat das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf den fehlenden Drittschutz der verfahrensrechtlichen Vorschriften zutreffend ausgeführt (vgl. auch HessVGH, B.v. 30.12.1994 - 4 TH 2064/94 - NVwZ 1995, 1010 = juris LS und Rn. 45 f.). Wird ein Vorhaben abweichend von einer Baugenehmigung und unter einem sich zulasten eines Nachbarn auswirkenden Verstoß gegen Abstandsflächenvorschriften ausgeführt, kann das möglicherweise einen Anspruch dieses Nachbarn gegen die Behörde auf bauaufsichtliches Einschreiten begründen. Ein solcher Anspruch ist aber nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.

b) Keinen ernstlichen Zweifeln begegnet auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Änderung der Nutzung der Frühstückspension in ein Wohnheim für 25 Asylbewerber im Hinblick auf die nachbarlichen Belange der Belichtung, Belüftung, Besonnung oder des nachbarlichen „Wohnfriedens“ keine spürbaren nachteiligen Auswirkungen habe.

Soweit der Kläger insoweit auf die unterschiedlichen Anwesenheitszeiten von Gästen einer Frühstückspension und den Bewohnern einer Asylbewerberunterkunft hinweist, zeigt er nicht auf, inwieweit im konkreten Fall hierdurch sein Wohnanwesen in rechtlich erheblicher Weise nachteilig betroffen sein könnte. Er setzt sich auch nicht mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts auseinander, dass es sich bei der möglichen Zunahme von Geräuschemissionen durch 25 Bewohner der Asylbewerberunterkunft infolge von Gesprächen, Zurufen, Abspielen von Tonträgern und Kochvorgängen bei offenem Fenster oder anderen Lebensäußerungen um grundsätzlich hinzunehmende Wohngeräusche handelt. Sein Hinweis auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Juni 1991 (Az. 7 B 1280/91), in dem eine abstandsflächenrechtliche Neubewertung infolge einer Verstärkung nachteiliger Auswirkungen auf den nachbarlichen „Wohnfrieden“ bejaht wurde, führt schon deswegen nicht weiter, weil die dort streitgegenständliche Nutzungsänderung von einem Verwaltungsgebäude in ein Wohnheim für bis zu 84 ausländische Flüchtlinge mit der Umnutzung einer Frühstückspension für 33 Gäste in eine Unterkunft für 25 Asylbewerber nicht vergleichbar ist.

c) Die Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht habe bei der Beurteilung, ob abstandsflächenrechtliche Belange durch das Vorhaben betroffen sein könnten, rechtlich fehlerhaft allein darauf abgestellt, ob die Nutzungsänderung bauplanungsrechtlich zulässig sei, greift ebenfalls nicht durch. Auch wenn das Verwaltungsgericht die bauordnungsrechtliche Frage der Verletzung des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO von der eines möglichen Verstoßes gegen das in § 15 Abs. 1 BauNVO verankerte Rücksichtnahmegebot im 5. Absatz der Entscheidungsgründe nicht mit der wünschenswerten Klarheit voneinander abgegrenzt hat, kann den Ausführungen des Gerichts dennoch in hinreichender Weise entnommen werden, dass es eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften weder unter dem einen noch unter dem anderen Gesichtspunkt angenommen hat (vgl. auch den Einleitungssatz im 3. Absatz der Entscheidungsgründe: „Die streitgegenständliche Baugenehmigung verstößt weder gegen bauordnungsrechtliche noch gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften, …“).

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils lägen aber auch dann nicht vor, wenn man die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zur Frage der abstandsflächenrechtlichen Neubeurteilung als fehlerhaft mit bauplanungsrechtlichen Gesichtspunkten begründet ansehen würde. Für die Beurteilung der Richtigkeit eines Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt es nämlich grundsätzlich nicht auf einzelne Elemente der Begründung an, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung, also auf die Richtigkeit des Urteils nach dem Sachausspruch in der Urteilsformel. Ernstliche Zweifel liegen danach nicht vor, wenn zwar einzelne Rechtssätze oder tatsächliche Feststellungen, welche das Urteil tragen, zu Zweifeln Anlass bieten, das Urteil aber im Ergebnis aus anderen Gründen offensichtlich richtig ist (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - NVwZ-RR 2004, 542/543; BVerfG, B.v. 16.7.2013 - 1 BvR 3057/11 - BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 7.7.2010 - 8 ZB 09.3196 - juris Rn. 10; B.v. 19.3.2013 - 20 ZB 12.1881 - juris Rn. 2). Das ist hier der Fall, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen unter a) und b) ergibt.

2. Mit dem Einwand, das Verwaltungsgericht habe ein Abwehrrecht des Klägers gegen die Baugenehmigung zu Unrecht auch infolge der Annahme eines passiven Bestandsschutzes für das Gebäude des Beigeladenen bzw. wegen der Nachbarunterschrift des Klägers unter die Baugenehmigung von 1988 verneint, kann der Kläger schon deswegen nicht durchdringen, weil es sich hierbei um (Zusatz-)Begründungen des Verwaltungsgerichts handelt („Im Übrigen….“), auf die es aus seiner Sicht aufgrund der fehlenden Notwendigkeit einer erneuten abstandsflächenrechtlichen Prüfung nicht entscheidungserheblich ankam. Ist das angefochtene Urteil auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, kann die Berufung nur zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht ist und auch vorliegt (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2008 - 9 B 31.08 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 33 = juris Rn. 7; B.v. 20.8.2014 - 3 B 50/13 - juris Rn. 9). Letzteres ist aus den unter 1. genannten Gründen nicht der Fall.

B. Ebenso wenig ist die Berufung wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache auf, wenn die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet, sich also wegen seiner Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt (vgl. BayVGH, B.v. 18.1.2011 - 8 ZB 10.2239 - juris Rn. 11 m. w. N.).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der vorliegende Rechtsstreit wirft, wie sich aus den vorstehenden Darlegungen zu A. 1. ergibt, weder hinsichtlich der Frage des Verhältnisses des bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrechts zum bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebot in Bezug auf Geräusche und sonstige Immissionen, noch hinsichtlich der Frage eines passiven Bestandsschutzes - schon mangels Entscheidungserheblichkeit dieser Frage - über das normale Maß hinausgehende Schwierigkeiten auf, die die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern.

C. Die behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat der Kläger nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt.

Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache verlangt neben der Formulierung einer konkreten Tatsachen- oder Rechtsfrage, dass aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Frage besteht (vgl. BVerwG, B.v. 22.7.2013 - 6 B 3/13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 55; B.v. 30.1.2014 - 5 B 44/13 - juris Rn. 2).

Diesen Anforderungen entspricht der Vortrag des Klägers nicht. Er zeigt bezüglich der von ihm aufgeworfenen Frage, ob der „Rückschluss des Verwaltungsgerichts zulässig sei, dass bei Einhaltung der bauplanungsrechtlichen Vorgaben die Möglichkeit einer Beeinträchtigung abstandsflächenrechtlicher Belange ausgeschlossen ist“, insbesondere die Klärungsbedürftigkeit nicht auf. Vielmehr beantwortet der Kläger diese Frage unter Anführung einschlägiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 11.1.1999 - 4 B 128/98 - NVwZ 1999, 879) und des Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 9.10.2006 - 26 ZB 06.1926 - juris) selbst dahingehend, dass ein solcher Rückschluss nicht zulässig sei. Inwieweit daher die Frage für den vorliegenden Rechtsstreit noch einer Klärung bedürfen sollte, erschließt sich dem Senat nicht.

D. Die Berufung ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wegen der geltend gemachten Abweichung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs zuzulassen. Die vom Kläger behauptete Abweichung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts von den Entscheidungen dieser Gerichte ist nicht ausreichend dargetan (§ 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO setzt voraus, dass das verwal-tungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 - 2 B 52/14 - juris Rn. 5 ff.; B.v. 12.9.2014 - 5 PB 8/14 - juris). Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenüber gestellt werden. Die bloße Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die die betreffenden Gerichte in ihrer Rechtsprechung aufgestellt haben, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 - 2 B 52/14 - juris Rn. 5; B.v. 22.10.2014 - 8 B 2/14 - juris Rn. 23). So liegt es aber hier.

Mit dem Einwand, das Verwaltungsgericht widerspreche den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Januar 1999 (Az. 4 B 128/98 - NVwZ 1999, 879) und des Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Oktober 2006 (Az. 26 ZB 06.1926 - juris), wonach der „Rückschluss unzulässig (sei), dass bei Einhaltung der bauplanungsrechtlichen Vorgaben die Möglichkeit einer Beeinträchtigung abstandsflächenrechtlicher Belange ausgeschlossen ist“, behauptet der Kläger lediglich eine Abweichung, macht aber in der Sache eine fehlerhafte Anwendung des von den genannten Gerichten aufgestellten Rechtssatzes geltend.

Gleiches gilt hinsichtlich des Vorbringens, das Urteil des Verwaltungsgerichts widerspreche dem vom Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 11. Januar 1999 (Az. 4 B 128/98 - NVwZ 1999, 879) aufgestellten Rechtssatz, „dass die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit neben dem bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrecht zu prüfen ist“, sowie der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vom 29. September 1999 (Az. 26 ZS 99.184) und vom 26. November 1979 (Az. 51 XIV 78), „dass bei Änderungen innerhalb der Abstandsflächen zwingend eine Befreiung zu erfolgen habe, wenn nachbarliche Interessen berührt sein könnten“ und „es hierbei genügt, wenn zusätzliche oder intensivere Einsichtsmöglichkeiten geschaffen werden, die selbst nicht abstandsflächenrelevant sind.“ Abgesehen davon, dass der Kläger schon nicht aufzeigt, mit welchem abstrakten Rechtssatz das Verwaltungsgericht von diesen Rechtssätzen abrücken soll, macht er mit diesem Vorbringen lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung geltend.

Auch im Zusammenhang mit der gerügten Abweichung von den Entscheidungen vom 29. September 1999 (Az. 26 ZS 99.184) und vom 26. November 1979 (Az. 51 XIV 78) sowie von den Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs vom 16. September 2013 (Az. 14 CS 13.1383 - juris) und vom 8. Mai 2008 (Az. 14 B 06.2813 - BayVBl 2008, 730), in denen nach dem Vorbringen des Klägers der Rechtssatz enthalten ist, dass „bei einer reinen Nutzungsänderung eines bestandsgeschützten Gebäudes eine abstandsrechtliche Neubewertung notwendig ist, wenn die Möglichkeit besteht, dass abstandsflächenrechtliche Belange durch die Nutzungsänderung betroffen sind“ bzw. „dass, wenn durch die Nutzungsänderung abstandsrechtliche Belange, wobei eine vermehrte Einsichtsmöglichkeit genügt, betroffen sein können, es einer Abweichung bedarf, wenn Abstandsflächenrecht nicht eingehalten ist“, stellt der Kläger keinen diesen Rechtssätzen widersprechenden Rechtssatz des Verwaltungsgerichts gegenüber, sondern macht der Sache nach lediglich eine fehlerhafte Anwendung dieser Rechtssätze geltend.

E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, erscheint schon deswegen billig, weil er keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

I.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 27. September 2012 und der Bescheid des Landratsamts D. vom 22. November 2011 werden aufgehoben.

II.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden‚ sofern nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Gegenstand des Rechtsstreits ist die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Einbau einer Wohnung in ein Bestandsgebäude auf dem Grundstück der Beigeladenen FlNr. .../...der Gemarkung G.

Das Landratsamt D.erteilte dem damaligen Eigentümer dieses Grundstücks nach vorhergehender Baueinstellung mit Bescheid vom 6. Dezember 1961 eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Nebengebäudes mit einer Gebäudelänge von ca. 33 m und einer Gebäudebreite von ca. 11 m. Im Erdgeschoss des Gebäudes umfasst sie ein Lager für Baugerüste und Baumaterial sowie für Garagen; eine gesonderte Festlegung zur Nutzung des Dachgeschosses ist den Plänen nicht zu entnehmen‚ allerdings sind die in der Eingabeplanung enthaltenen und tatsächlich auch eingebauten Dachfenster mit dem Vermerk „keine Dachfenster“ gestrichen. Der Abstand der westlichen Außenwand des Nebengebäudes zur Grenze des Grundstücks der Klägerin auf FlNr. .../... der Gemarkung G. beträgt ca. 0‚5 m. Bereits während der Bauarbeiten und vor Erteilung der Genehmigung war im nördlichen Teil auf einer Tiefe (von Norden her gemessen) von 8‚90 m eine Wohnung eingebaut worden. Ein hierfür eingereichter Bauantrag vom 27. Oktober 1964 wurde nicht verbeschieden; die Bauakte ist mit dem Vermerk „Ablehnung“ versehen.

Mit Bescheid vom 22. November 2011 genehmigte das Landratsamt D. unter Erteilung einer Abweichung für das Unterschreiten der Abstandsflächen um 2‚50 m zur Grundstückgrenze der Klägerin die Nutzungsänderung für den Einbau einer Wohnung im nördlichen Teil des Dachgeschosses.

Die hiergegen erhobene Klage‚ die u. a. auch auf die mit der Erteilung der Baugenehmigung erstmals geschaffenen Einblicksmöglichkeiten auf das Grundstück der Klägerin sowie Brandschutzaspekten begründet wurde‚ wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27. September 2012 ab. Es liege ein atypischer Fall vor‚ da es sich bei dem Nebengebäude um ein bestandsgeschütztes Gebäude handle; der Einbau von Dachfenstern habe den Bestandsschutz nicht in Frage gestellt‚ da es sich dabei nicht um eine abweichende Bauausführung handle‚ welche die Identität des gesamten Gebäudes in Frage stelle. Brandschutzrechtliche Vorschriften seien im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen. Im Übrigen werde der Belang des Brandschutzes durch die Nutzungsänderung nicht weitergehend beeinträchtigt als durch die bestehende bestandsgeschützte Nutzung. Zu berücksichtigen sei weiterhin‚ dass das Dachgeschoss bereits seit Jahrzehnten faktisch zu Wohnzwecken genutzt werde. Die Einsichtsmöglichkeiten aus den drei Dachflächenfenstern seien gering und beträfen vorrangig die nördliche Grünfläche des Grundstücks der Klägerin‚ so dass jedenfalls keine unzumutbare Beeinträchtigung vorliege.

Mit der vom Senat wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassenen Berufung trägt die Klägerin u. a. vor:

Es liege bereits kein atypischer Fall vor‚ weil das Nebengebäude planabweichend errichtet sowie von Anfang an zu Wohnzwecken genutzt und damit nicht bestandsgeschützt sei. Es habe sich von Anfang an jedenfalls hinsichtlich seiner Nutzung als ein „aliud“ gegenüber der Baugenehmigung dargestellt. Bei der Nutzung des Dachgeschosses handle sich insgesamt um eine vollständig neue Nutzung‚ da mit der genannten Baugenehmigung nicht einmal eine Lagernutzung genehmigt sei. Brandschutzrechtliche Fragen seien vom Schutzzweck der Abstandsflächenvorschriften mit umfasst‚ so dass sie auch im vereinfachten Verfahren und damit im Rahmen der Abweichungsentscheidung zu den Abstandsflächenvorschriften zu prüfen seien. Nicht hinreichend berücksichtigt habe der Beklagte den von diesen Vorschriften intendierten ausreichenden Sozialabstand zum Grundstück der Klägerin und die damit verbundenen Einblickmöglichkeiten. Durch die Genehmigung der Wohnnutzung würden solche zwar nicht auf das Wohngebäude der Klägerin‚ jedoch auf den ebenfalls schutzbedürftigen‚ wohnakzessorischen Bereich im Garten geschaffen.

Die Klägerin beantragt‚

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 27. September 2012 und den Bescheid des Landratsamts D. vom 22. November 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt‚

die Berufung zurückzuweisen.

Bei dem vorhandenen Bestandsgebäude handle es sich entgegen der Bezeichnung in der Baugenehmigung nicht um ein „Nebengebäude“‚ sondern um das Betriebsgebäude einer Baufirma. Der Nachbarschutz des Abstandsflächenrechts sei bei bestehenden Gebäuden‚ die die Abstandsflächen nicht einhielten‚ eingeschränkt. Von der beabsichtigten Wohnnutzung sei lediglich der rückwärtige‚ im Norden gelegene Gartenbereich des Grundstücks der Klägerin betroffen‚ der bereits dem Außenbereich angehören dürfte. Hinzu komme‚ dass die streitgegenständliche Wohnnutzung im Dachgeschoss seit Jahrzehnten ausgeübt werde. Ihre Legalisierung lasse keine nachhaltigen Auswirkungen auf das Grundstück der Klägerin erwarten.

Der Senat hat eine Ortsbesichtigung durchgeführt‚ auf deren Feststellungen Bezug genommen wird. Im Übrigen wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet‚ da das Verwaltungsgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen hat. Aus diesem Grund sind das Urteil des Verwaltungsgerichts und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften (Art. 6 BayBO) im Hinblick auf die nach Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO nicht genehmigungsfreie und damit nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung des Nebengebäudes zu Wohnzwecken liegen nicht vor. Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen zulassen‚ wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen‚ insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO‚ vereinbar sind. Die erteilte Abweichung ist mit dem Normzweck des Abstandsflächenrechts, das auch den sog. Wohnfrieden schützt, nicht vereinbar. Sie ist daher rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Während bei bautechnischen Anforderungen der Zweck der Vorschriften vielfach auch durch eine andere als die gesetzlich vorgesehene Bauausführung gewahrt wird‚ die dann im Wege der Abweichung zugelassen werden kann‚ haben Abweichungen von den Regeln des Abstandsflächenrechts zur Folge‚ dass dessen Ziele oft nur unvollkommen verwirklicht werden. Es müssen also Gründe vorliegen‚ durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die Einbuße an den Schutzgütern des Abstandsflächenrechts im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen. Es muss sich um eine atypische‚ von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln (z. B. BayVGH‚ B.v. 29.11.2006 - 1 CS 06.2717 - juris; U.v. 11.1.2007 - 14 B 03.572 - juris; B.v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - BauR 2007‚ 1858; OVG Berlin-Brandenburg‚ B.v. 19.12.2012 - OVG 2 S 44.12 - NVwZ-RR 2013‚ 400; OVG Bremen‚ B.v. 8.4.2013 - 1 B 303/12 - NVwZ 2013‚ 1027; kritisch zur Atypik neuerdings Happ‚ BayVBl 2014‚ 65). Diese kann sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt‚ einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation ergeben (zusammenfassend z. B. BayVGH‚ B.v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - BauR 2007‚ 1858 m. w. N.). In solchen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers‚ vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren‚ eine Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung rechtfertigen (zusammenfassend BayVGH a. a. O.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann im vorliegenden Fall eine atypische Grundstückssituation bereits deshalb bejaht werden‚ da ein zu einer Nebennutzung genehmigtes Gebäude mit noch nutzbarer‚ einen wirtschaftlichen Wert darstellender Bausubstanz vorhanden und in dieser Nutzung bestandsgeschützt ist‚ da es zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung am 6. Dezember 1961 nach der damals geltenden Bayerischen Bauordnung 1901 eine Abstandsfläche nicht einhalten musste und eine Abweichung deshalb nicht erforderlich war. Dabei ist nicht entscheidungserheblich‚ ob es sich bei dem vorhandenen Bestandsgebäude entgegen der Bezeichnung in der Baugenehmigung nicht um ein „Nebengebäude“‚ sondern - wie der Beklagte meint - um das Betriebsgebäude einer Baufirma handelte. Gleiches gilt für die Tatsache‚ dass der frühere Bauherr im Widerspruch zu den Festsetzungen der Baugenehmigung in das Gebäude Dachfenster eingebaut hat.

2. Eine atypische Fallgestaltung ist zwar eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften. Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist der Zweck der jeweiligen Anforderung‚ in diesem Fall des Abstandsflächenrechts‚ zu berücksichtigen. Insofern entspricht es gesicherter Auffassung‚ dass der Zweck des Abstandsflächenrechts darin besteht‚ eine ausreichende Belichtung und Belüftung der Gebäude zu gewährleisten und die für notwendige Nebenanlagen erforderlichen Freiflächen zu sichern (z. B. BayVGH‚ U.v. 14.10.1985 - 14 B 85 A.1224 - BayVBl 1986‚ 143; U.v. 14.12.1994 - 26 B 93.4017 - VGHE n. F. 48‚ 24). Dies kann bereits unmittelbar den gesetzlichen Vorschriften des Art. 6 Abs. 5 Satz 3 Halbs. 2‚ Art. 81 Abs. 1 Nr. 6 BayBO entnommen werden. Der Senat ist allerdings der Auffassung‚ dass darüber hinaus auch der sog. Wohnfrieden (Sozialabstand) als Zweck des Abstandsflächenrechts anzuerkennen ist. Hierzu gehört der Schutz der Privatsphäre vor unerwünschten Einblickmöglichkeiten und vor dem unerwünschten Mithören sozialer Lebensäußerungen in der Nachbarschaft. Zwar besteht nach herrschender Meinung Einigkeit‚ dass -ungeachtet eines Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelfall - der Wohnfrieden insbesondere bei Einblickmöglichkeiten in Nachbargrundstücke planungsrechtlich grundsätzlich nicht geschützt ist (BVerwG‚ B.v. 24.4.1989 - 4 B 72.89 - NVwZ 1989‚ 1060; BayVGH‚ B.v. 25.1.2013 - 15 ZB 13.68 - juris); denn das bauplanungsrechtliche Gebot des Einfügens bezieht sich nur auf die in § 34 Abs. 1 BauGB genannten städtebaulichen Merkmale der Nutzungsart‚ des Nutzungsmaßes‚ der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche. Die Möglichkeit der Einsichtnahme ist - als nicht städtebaulich relevant - davon nicht angesprochen (BVerwG a. a. O.). Demgegenüber sollen die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften auch dem Interesse dienen‚ unmittelbare Einblicke zu begrenzen (vgl. BayVGH‚ B.v. 20.7.2010 - 15 CS 10.1151 - juris Rn. 19; U.v. 8.5.2008 - 14 B 06.2813 - juris; eindeutig ablehnend wohl nur VGH BW‚ B.v. 18.3.2014 - 8 S 2628/13 - NVwZ-RR 2014‚ 545‚ allerdings zur Rechtslage in Baden-Württemberg). Diesem Ergebnis steht nicht entgegen‚ dass die amtliche Begründung zur Novellierung der Bayerischen Bauordnung im Jahr 1997 (s. LT-Drs. 13/7008 S. 29 f.) als Regelungszweck noch ein „Mindestmaß an Belichtung‚ Belüftung‚ Besonnung und Sozialabstand“ genannt hatte‚ während dieser Begriff in der amtlichen Begründung zur BayBO-Novelle im Jahr 2007 (s. LT-Drs. 15/7161 S. 43, 73) nicht mehr ausdrücklich enthalten ist. Daraus lässt sich nicht zwingend herleiten‚ dass der Wohnfrieden nun nicht mehr gesetzlich geschützt werden soll. Eher in das Gegenteil weisen die Vorschriften des Art. 6 Abs. 3 Nr. 2 BayBO und des Art. 6 Abs. 9 Nr. 1 BayBO. Nach ersterer Vorschrift dürfen sich Abstandsflächen bei Wohngebäuden der Gebäudeklassen 1 und 2 ausnahmsweise nur dann überdecken‚ wenn es sich um Außenwände zu einem fremder Sicht entzogenen Gartenhof handelt. Aus Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO folgt‚ dass grundsätzlich nur Gebäude ohne Aufenthaltsräume unter den dort bestimmten engen Voraussetzungen in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen zulässig sind. Aus den Vorschriften lässt sich demnach der Grundsatz herleiten‚ dass die Abstandsflächenvorschriften auch dem Schutz des Wohnfriedens dienen (vgl. zum - zivilrechtlichen - Schutzzweck des Art. 43 AGBGB der Wahrung des Wohnfriedens auch BayVerfGH‚ E.v. 14.12.2011 - Vf.108-VI-10 - BayVBl 2012‚ 332; kritisch neuerdings Happ‚ BayVBl 2014‚ 65) und dass nach der typisierenden Bewertung des Gesetzgebers Aufenthaltsräume in den Abstandsflächen in aller Regel nicht zulässig sind (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.1990 - 2 B 89.339 - nicht veröffentlicht).

3. Eine Abweichung für Aufenthaltsräume in den Abstandsflächen kann daher nur zugelassen werden, wenn im Einzelfall die vom Abstandsflächenrecht geschützten Zwecke nicht oder nur geringfügig beeinträchtigt werden und wenn die Abweichung unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen‚ insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO‚ vereinbar ist. Daraus folgt‚ dass es bei der Zulassung einer Nutzungsänderung unter (erheblicher) Abweichung von den Abstandsflächen - wie hier - maßgeblich sowohl auf die künftige Art der Nutzung als auch auf den Umfang der Abweichung ankommt. Das Interesse des Bauherrn‚ eine bessere wirtschaftliche Nutzung eines Gebäudes‚ insbesondere eine Wohnnutzung‚ herbeizuführen‚ reicht demgegenüber für die Erteilung einer Abweichung grundsätzlich nicht aus.

Unter Beachtung dieser Grundsätze gilt hier Folgendes:

Auf die vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung in den Vordergrund gerückte Frage‚ dass es sich bei dem vorhandenen Bestandsgebäude - entgegen der Bezeichnung in der Baugenehmigung - nicht um ein Nebengebäude‚ sondern um das ehemalige Betriebsgebäude einer Baufirma handeln solle‚ kommt es nicht an. Die hier genehmigte Nutzungsänderung betrifft allein eine - erstmalige - Wohnnutzung in unmittelbarer Nähe zur Nachbargrenze‚ die aus den drei westlichen‚ zum Grundstück der Klägerin hin gerichteten Dachflächenfenstern erstmals dauerhaft Einblickmöglichkeiten jedenfalls in den Gartenbereich des Grundstücks der Klägerin ermöglicht. In einer solchen Situation kommt dem Normzweck und den Interessen des Nachbarn, Aufenthaltsräume in den Abstandsflächen zu verhindern, von vornherein eine Priorität gegenüber den Interessen des Bauherrn zu mit der Folge‚ dass im Regelfall eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften nicht erteilt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2014 - 1 ZB 13.2536 - BayVBl 2014, 634). Die Frage‚ ob die dem Wohnhaus der Klägerin nördlich vorgelagerte Grundstücksfläche teilweise oder insgesamt dem Außenbereich zuzurechnen ist und deshalb möglicherweise nicht mit einem Wohngebäude bebaut werden kann‚ ist deshalb nicht entscheidungserheblich. Auch die Tatsache‚ dass die Wohnnutzung im Dachgeschoss Jahrzehnte ausgeübt worden ist‚ führt zu keinem anderen Ergebnis‚ da eine Legalisierungswirkung durch die formell und materiell rechtswidrige Nutzung nicht eingetreten ist.

4. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass entgegen der Auffassung des Landratsamts und des Verwaltungsgerichts im vorliegenden Fall brandschutzrechtliche Vorschriften hätten geprüft werden müssen. Bei der Zulassung einer Abweichung von nachbarschützenden Vorschriften wie denjenigen des Abstandsflächenrechts kann der Nachbar nicht nur eine ausreichende Berücksichtigung seiner Interessen beanspruchen. Wie bei einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von einer nachbarschützenden Bebauungsplanfestsetzung (siehe hierzu BVerwG‚ B.v. 8.7.1998 - 4 B 64.98 - BayVBl 1999‚ 26 m. w. N.) ist er auch dann in seinen Rechten verletzt‚ wenn die Abweichung aus einem anderen Grund mit den öffentlichen Belangen nicht vereinbar und damit objektiv rechtswidrig ist (BayVGH‚ B.v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - BauR 2007‚ 1858; Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung‚ Art. 63 Rn. 29). Allerdings hat der Nachbar keinen Anspruch darauf, dass das Vorhaben in jeder Hinsicht den öffentlich-rechtlichen Anforderungen entspricht. Es sind lediglich die Belange in die Abwägung einzustellen, die durch die die Abweichung auslösende konkrete Maßnahme erstmals oder stärker als bisher beeinträchtigt werden (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2007 a. a. O.; U.v. 15.12.2008 - 22 B 07.143 - BayVBl 2009, 530). Nach alledem hätte das Landratsamt, auch ohne dass es eines gesonderten Antrags auf Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 2 BayBO bedurfte, hier die Vorschrift des Art. 30 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BayBO prüfen müssen.

Der Beklagte trägt als Unterliegender die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst‚ da sie keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).

Die Kostenentscheidung ist gemäß § 167 VwGO i. V. m. § 708 ff. ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Tenor

I.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 26. Januar 2012 wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2 trägt die Klägerin. Die Beigeladene zu 1 trägt in beiden Rechtszügen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren durch die Beigeladene zu 2 war notwendig.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des zu vollstreckendes Betrags abwenden, sofern nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen einen Widerspruchsbescheid, mit dem eine ihr erteilte Baugenehmigung aufgehoben wurde. Im Berufungsverfahren begehrt die Beigeladene zu 2 die Aufhebung des der Klage stattgebenden erstinstanzlichen Urteils und Abweisung der Klage.

1. Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem denkmalgeschützten, dreigeschossigen Wohn- und Geschäftshaus (sog. O.haus) bebauten, in der historischen Innenstadt von A. gelegenen Grundstücks FlNr. 573/5 Gemarkung A. Die Beigeladene zu 2, eine Wohnungseigentümergemeinschaft, ist Eigentümerin des westlich angrenzenden Grundstücks FlNr. 573/4, das mit einer durch Bescheid der Beigeladenen zu 1 von Oktober 1983 genehmigten Reihenhauswohnanlage bebaut ist. Beide Grundstücke wurden anlässlich der Bebauung des Grundstücks der Beigeladenen zu 2 aus dem Grundstück FlNr. 573 (alt) herausgemessen. Sie liegen im Geltungsbereich der am 23. Juni 1989 bekannt gemachten Bebauungspläne Nr. 435 „...“ und Nr. 444 „...“, geändert durch den am 8. April 2011 bekannt gemachten Bebauungsplan Nr. 445 „...“.

Im November 2003 beantragte die Klägerin zur Verbesserung der Nutzungsqualität der Wohnungen im ersten und zweiten Obergeschoss des Gebäudes auf dem Grundstück FlNr. 573/5 die Erteilung einer Baugenehmigung für den Anbau von vier Balkonen auf der Westseite mit den Außenmaßen jeweils von 4,61 m x 1,63 m als vorgehängte Stahlkonstruktionen, wobei sich die Balkone im Luftraum teilweise über dem Grundstück der Beigeladenen zu 2 befinden. Zugleich beantragte sie die Erteilung einer Befreiung von den im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen. Die Bauvorlagen wurden für die Beigeladenen zu 2 vom damaligen Verwalter als Wohnungseigentümer unterschrieben.

2. Mit Bescheid vom 2. Februar 2004 genehmigte die Beigeladene zu 1 nach Art. 73 Abs. 1 BayBO 1998 das Vorhaben mit der Auflage, dass die maximale Ausladung der Balkone 1,50 m beträgt. Zugleich stellte sie fest, dass die Balkonanbauten an der westlichen Grundstücksgrenze den Abstandflächenvorschriften des Art. 6 Abs. 4 BayBO 1998 widersprächen, wonach zu dieser Grundstücksgrenze eine Abstandsflächentiefe von 7,90 m eingehalten werden müsse. Sie ließ gemäß Art. 70 BayBO 1998 eine Abweichung von dieser baurechtlichen Anforderung zu. Der Baugenehmigungsbescheid wurde nur der Klägerin zugestellt.

Mit Formblatt vom 6. Juli 2006, geändert durch Schreiben vom 2. August 2006, stellte die Klägerin Bauantrag für eine „Tektur“ der Balkone unter Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans und unter Zulassung einer Abweichung von bauordnungsrechtlichen Vorschriften. Nach den vorgelegten Planzeichnungen sollen die Balkone abweichend von der erteilten Baugenehmigung nicht als Hängekonstruktion, sondern mit Balkonstützen an der Grenze zum Grundstück der Beigeladenen zu 2 ausgeführt werden. Dem Antrag ist die Erklärung eines Ingenieurbüros für Tragwerksplanung vom 5. Juli 2006 an die Klägerin beigegeben, wonach „die geplanten Balkone … aus statischen Gründen mit einer durchgehenden Stützung mit Gründung auf Einzelfundamten auszuführen (seien), da eine auskragende Konstruktion mit ausschließlicher Verdübelung an der Außenwand nicht möglich (sei)“. Weiterhin ist dem Bauantrag eine von dem planenden Architekten und der Klägerin unterzeichnete Erklärung vom 5. Juli 2006 beigefügt, dass „die bisher geplante hängende Wandkonstruktion verworfen wird, um nicht in das lt. Statik ansonsten zu stark belastete best. alte Mauerwerksgefüge sowie nicht zu viel in best. Friese und Gesimse eingreifen zu müssen“. Die Maße sollten wie im genehmigten Bauantrag verbleiben. Über diesen Antrag ist bislang nicht entschieden. Im Herbst 2006 errichtete die Klägerin die Balkone entsprechend diesem Antrag.

Nachdem sich der Verwalter der Beigeladenen zu 2 mit mehreren Schreiben von Oktober und November 2006 an die Beigeladene zu 1 gegen die Errichtung der Balkone gewandt hatte, gab die Beigeladene zu 1 die Baugenehmigung vom 2. Februar 2004 am 15. Dezember 2006 im Amtsblatt nach Art. 71 Abs. 2 Satz 4 und 5 BayBO 1998 öffentlich bekannt. Am 3. Januar 2007 erhob die Beigeladene zu 2 durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch gegen die Baugenehmigung.

Eine zivilrechtliche Klage der Beigeladenen zu 2 gegen die Klägerin, die unter anderem auf Beseitigung der Balkone gerichtet war, wies das Landgericht A. mit Urteil vom 4. April 2008 (Az. 10 O 1055/07) hinsichtlich der Balkone ab. Die Berufung der Beigeladenen zu 2 wies das Oberlandesgericht München mit Urteil vom 24. September 2008 (Az. 27 U 348/08) zurück.

Mit Schreiben vom 21. September 2009 teilte die Klägerin der Regierung von Schwaben als Widerspruchsbehörde mit, dass nach Art. 83 Abs. 1 BayBO 2008 auf das Bauvorhaben nunmehr die Bayerische Bauordnung in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung angewandt werden solle, so dass das Abstandsflächenrecht nicht mehr zu prüfen sei.

3. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2009 hob die Regierung von Schwaben die Baugenehmigung auf. Zur Begründung gab sie im Wesentlichen an: Mit der Ausübung des Wahlrechts seien die Abstandsflächenvorschriften zwar grundsätzlich nicht mehr Prüfungsgegenstand. Bei Nichteinhaltung der Abstandsflächen sei jedoch weiterhin eine Abweichung zu beantragen. Im Baugenehmigungsbescheid sei ausdrücklich eine Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften erteilt worden. Diese würde in Bestandskraft erwachsen, wenn sie nicht aufgehoben werde. Abstandsflächen seien weder nach altem noch nach neuem Recht eingehalten. Aus diesem Grund sei im Widerspruchsverfahren eine Prüfung im Hinblick auf die Abstandsflächen vorzunehmen. Im Übrigen dürfe die Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO in der seit 1. August 2009 geltenden Fassung bei Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften abgelehnt werden, wenn gegen Vorschriften außerhalb des Prüfkatalogs verstoßen werde. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung lägen nicht vor. Es seien weder eine nur geringfügige Abstandsflächenüberschreitung noch eine atypische Grundstückssituation gegeben.

4. Auf die hiergegen erhobene Klage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht Augsburg den Widerspruchsbescheid mit Urteil vom 26. Januar 2012 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei als isolierte Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid zulässig. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage sei gegeben, weil mit der Aufhebung des Widerspruchsbescheids die Baugenehmigung vom 2. Februar 2004 wiederauflebe. Die Klage sei auch begründet. Der Widerspruch der Beigeladenen zu 2 sei zwar zulässig gewesen. Insbesondere habe die Beigeladene zu 2 dem Bauantrag nicht nach Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BayBO wirksam zugestimmt, weil der damalige Verwalter der Beigeladene zu 2 die Bauvorlagen nur für sich selbst, nicht aber für die Wohnungseigentümergemeinschaft unterschrieben habe. Ebenso wenig sei der Widerspruch verfristet, weil die Baugenehmigung der Beigeladenen zu 2 erstmals mit Schreiben vom 29. November 2006 übersandt worden sei. Auch habe die Beigeladene ihr Widerspruchsrecht nicht verwirkt. Der Widerspruch sei aber nicht begründet. Ob die Klägerin im Widerspruchsverfahren auf den Nachbarwiderspruch der Beigeladenen zu 2 hin ihr Verfahrenswahlrecht nach Art. 83 Abs. 1 BayBO wirksam habe ausüben können, könne dahingestellt bleiben. Selbst wenn man nämlich davon ausginge, dass Abstandsflächenrecht noch zu prüfen sei, läge ein Verstoß gegen Nachbarrechte der Beigeladenen zu 2 nicht vor. Zwar müssten die Balkone, die wegen ihrer Maße hier nicht mehr als untergeordnete Bauteile im Sinn des Art. 6 Abs. 8 Nr. 2b BayBO einzustufen seien, grundsätzlich eigene Abstandsflächen einhalten. Da die fiktive Außenwand der Balkone aber bereits auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 2 liege, seien die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO nicht erfüllt. Vielmehr liege ein Verstoß gegen das Überdeckungsverbot nach Art. 6 Abs. 3 BayBO vor. Zwar sei eine erforderliche Abweichung insoweit nicht erteilt worden. Ob der Nachbar hierdurch in seinen Rechten verletzt werde, sei aber nach der gesetzgeberischen Wertung in Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO zu beurteilen. Eine Abweichung sei im Hinblick auf den Schutzzweck des Abstandsflächenrechts hier vertretbar. Eine atypische Situation sei gegeben, weil die Grundstücke im dicht bebauten innerstädtischen Bereich mit zum Teil historischer Bausubstanz lägen und weil die Situation durch eine Grundstücksteilung entstanden sei, als das Gebäude auf dem Grundstück der Klägerin bereits errichtet gewesen sei. Die Zulassung der Abweichung sei mit den Nachbarbelangen und mit öffentlichen Belangen vereinbar. Gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts werde nicht verstoßen, weil die im Bebauungsplan Nr. 435 festgesetzten Baugrenzen nicht dem Nachbarschutz dienten. Das Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt.

5. Gegen dieses Urteil richtet sich die mit Beschluss des Senats vom 7. Dezember 2012 (15 ZB 12.838) zugelassene Berufung der Beigeladenen zu 2. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Angesichts der erheblichen Maßabweichungen der tatsächlichen Ausführung der Balkone von der Baugenehmigung stelle sich die Frage, ob diese überhaupt noch wirksam sei. Jedenfalls sei der Widerspruchsbescheid rechtmäßig, weil die Baugenehmigung nachbarschützende Vorschriften des Abstandsflächenrechts verletze. Auch unter Zugrundelegung des neuen Rechts müsse eine Überprüfung der mit der Baugenehmigung zugleich erteilten Abweichung vorgenommen werden, damit diese nicht bestandskräftig werde. Eine Abweichung sei erforderlich, soweit sich die Abstandsflächen der Balkone auf das Grundstück der Beigeladenen zu 2 erstreckten. Die Klägerin könne abstandsflächenrechtlich nicht besser gestellt werden, weil sie die Balkone teilweise auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 2 errichtet habe. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung seien nicht erfüllt, weil weder eine atypische Grundstücksituation vorliege noch eine Abweichung mit den nachbarlichen Belangen vereinbar sei. Das Verwaltungsgericht verkenne vor allem, dass von den sich überdeckenden Abstandsflächen jedenfalls die Abstandsfläche vor dem Gebäude der Beigeladenen zu 2 vollständig auf dem eigenen Grundstück liege.

Die Beigeladene zu 2 beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26. Januar 2012 zu ändern und die Klage gegen den Widerspruchsbescheid der Regierung von Schwaben vom 15. Dezember 2009 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Baugenehmigung sei infolge der planabweichenden Errichtung der Balkone nicht erloschen. Sollten die Balkone tatsächlich 30 cm tiefer ausgeführt worden sein als beantragt, liege darin keine wesentliche Abweichung von der Genehmigung. Von einem „aliud“ könne nicht gesprochen werden. Abstandsflächenvorschriften seien nicht verletzt. Selbst wenn die Balkone gegen die Abstandsflächenvorschrift des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO verstießen, wäre der Verstoß durch die zugelassene Abweichung geheilt. Das gelte auch für einen Verstoß gegen das Überdeckungsverbot. Eine Verschlechterung der Situation des Grundstücks der Beigeladenen zu 2 würde sich weder im Hinblick auf die Belichtung oder Belüftung noch den Brandschutz ergeben. Der Wohnfriede sei kein vom Abstandsflächenrecht erfasstes Schutzgut mehr. Der Nachbar sei nicht rechtlos gestellt. Zum einen könne er sich an die Zivilgerichte wenden. Zum anderen sei zu prüfen, ob eine Abweichung zugelassen werden könne. Dies sei vom Verwaltungsgericht zutreffend bejaht worden. Maßgeblich sei, dass die Balkone in den Abstandsflächen des Bestandsgebäudes lägen, so dass keine zusätzliche Beeinträchtigung der Belichtungs- und Belüftungssituation gegeben sei. Eine Nachbarrechtsverletzung der Beigeladenen zu 2 sei daher nicht erkennbar.

Der Beklagte stellt keinen Antrag. Er ist der Auffassung, die Berufung sei begründet. Der Widerspruchsbescheid sei rechtens. Auch wenn man wegen der Ausübung des Verfahrenswahlrechts durch die Klägerin annehme, dass Abstandsflächenvorschriften nicht mehr Prüfungsgegenstand seien, habe die Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO aufgehoben werden können, weil die Balkone die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhielten. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Balkone Abstandsflächen auf dem Grundstück der Klägerin nicht einhalten müssten, weil die westliche Außenwand des Gebäudes auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 2 liege, werde nicht geteilt. Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO müssten die Abstandsflächen auf dem Baugrundstück selbst liegen. Wegen des Überbaus sei diese Voraussetzung nicht erfüllt. Auf die Frage, ob auch gegen das Überdeckungsverbot verstoßen werde, komme es nicht an. Die zugelassene Abweichung sei unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Abstandsflächenrechts, wozu auch der Wohnfriede zähle, mit den nachbarlichen Belangen unvereinbar.

Die Beigeladene zu 1 stellt ebenfalls keinen Antrag.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die vom Beklagten und der Beigeladenen zu 1 vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat den Widerspruchsbescheid der Regierung von Schwaben vom 15. Dezember 2009 zu Unrecht aufgehoben. Die Klage der Klägerin gegen den Bescheid ist bereits unzulässig (I.), sie wäre aber auch unbegründet (II.).

I.

Die Klage gegen den Widerspruchsbescheid ist unzulässig.

Zwar ist die Klage gegen den isolierten Widerspruchsbescheid nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthaft, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Der Klägerin fehlt für die Klage aber das Rechtsschutzinteresse.

Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis liegt im Regelfall vor und bedarf nur in besonderen Fällen der Begründung. Wenn die Rechtsordnung ein materielles (Abwehr-)Recht gewährt, spricht sie in aller Regel auch demjenigen, den sie als Inhaber dieses Rechts ansieht, das Interesse an einem gerichtlichen Schutz dieses Rechts zu. Das Bedürfnis für einen Antrag auf gerichtlichen Rechtsschutz fehlt aber dann, wenn die Inanspruchnahme des Gerichts für den Rechtsschutzsuchenden nutzlos erscheint, weil die begehrte gerichtliche Entscheidung offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (vgl. BVerwG, U. v. 22.2.2012 - 6 C 11.11 - BVerwGE 142, 48 Rn. 27; Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 42 Rn. 335 m. w. N.).

So liegen die Dinge hier. Die Klägerin kann durch die Aufhebung des Widerspruchsbescheids und das damit verbundene Wiederaufleben der streitgegenständlichen Baugenehmigung ihre Rechtsstellung in keiner Weise verbessern, weil sich die Baugenehmigung infolge ihres „Tekturantrags“ vom 6. Juli 2006 und der planabweichenden Ausführung des Vorhabens im Herbst 2006 entsprechend diesem Antrag gemäß Art. 43 Abs. 2 Alt. 5 BayVwVfG „auf andere Weise“ erledigt und damit ihre Wirksamkeit verloren hat.

1. Nach den Umständen des Verfahrens ist anzunehmen, dass die Klägerin mit ihrem „Tekturantrag“ vom 6. Juli 2006 auf die Baugenehmigung vom 2. Februar 2004 verzichtet hat. Dies ergibt sich nicht nur aus der planabweichenden Realisierung des Vorhabens entsprechend diesem Antrag, sondern vor allem auch aus dem Inhalt des „Tekturantrags“ selbst. Aus diesem geht eindeutig hervor, dass sie die bisherige Planung nicht aufrechterhalten wollte und konnte. Die Klägerin hat mit dem „Tekturantrag“ vollständig neu gefertigte Planzeichnungen vorgelegt und unter Beifügung der Erklärung des Ingenieurbüros für Tragwerksplanung vom 5. Juli 2006, aus der sich ergibt, dass sich die ursprünglich geplante Konstruktion als nicht durchführbar erwiesen hat, ausdrücklich erklärt, dass „die bisher geplante hängende Wandkonstruktion verworfen wird“. Damit hat sie eindeutig zu erkennen gegeben, dass sie die neue Planung nicht alternativ neben der ursprünglichen Planung bestehen lassen wollte, um etwa zu einem späteren Zeitpunkt von einem Wahlrecht unter verschiedenen Planungen Gebrauch machen zu können, sondern dass sie das ursprüngliche Vorhaben nicht mehr ausführen will und kann. Darin liegt ein (konkludenter) Verzicht auf die Rechte aus der Baugenehmigung, mit der Folge, dass diese nach Art. 43 Abs. 2 Alt. 5 BayVwVfG unwirksam geworden ist.

2. Ein Rechtsschutzbedürfnis an der Aufhebung des Widerspruchsbescheids besteht auch nicht deswegen, weil das ausgeführte Vorhaben der Klägerin nur als „Tektur“ des genehmigten Vorhabens und nicht als ein anderes Vorhaben („aliud“) einzustufen wäre, so dass der Klägerin noch ein Interesse an der Aufrechterhaltung der ursprünglichen Baugenehmigung vom 2. Februar 2004 als Grundlage für eine diesen Bescheid ergänzende „Tekturgenehmigung“ zugesprochen werden könnte. Denn zum einen würde das nichts daran ändern, dass die Klägerin mit ihrem Tekturantrag und der Erklärung vom 5. Juli 2006 auf die Baugenehmigung vom 2. Februar 2004 verzichtet hat (vgl. BayVGH, B. v. 11.4.2006 - 15 ZB 06.424 - juris Rn. 4). Zum anderen kann der Antrag vom 6. Juli 2006 nicht mehr nur als geringfügige, das Bauvorhaben in seinen Grundzügen nicht berührenden Änderungen und die „Identität des Vorhabens“ wahrende „Tektur“ angesehen werden. Vielmehr stellten sich die neuen Balkone im Verhältnis zur ursprünglichen Konstruktion als ein anderes Vorhaben („aliud“) dar, welches nunmehr aus Gründen der Standsicherheit (vgl. Art. 10 Satz 1 BayBO) eine Abstützung der Balkone mit insgesamt vier bis auf den Erdboden reichenden, seitlich angebrachten Stützen anstelle der an jeder Balkonbodenplatte seitlich nach oben in die Hauswand führenden „Hänger“ erfordert und dadurch ein auf den ersten Blick ins Auge fallendes, neues Erscheinungsbild mit aufgeständerten anstatt nur auskragenden Balkonen entstehen lässt (zur Abgrenzung Tektur- und Änderungsantrag vgl. BayVGH, B. v. 2.8.2007 - 1 CS 07.801 - BayVBl. 2007, 758 = juris Rn. 31 ff.; OVG BB, U. v. 14.11.2012 - 2 B 3.11 - juris Rn. 57; NdsOVG, B. v. 16.6.2014 - 1 ME 70/14 - BauR 2014, 1762 = juris Rn. 11 f.; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 64 Rn. 18 f.).

II.

Selbst wenn man aber annehmen würde, dass für die Klage noch ein Rechtsschutzbedürfnis bestünde, wäre sie jedenfalls unbegründet. Die Aufhebung der Baugenehmigung durch den Widerspruchsbescheid der Regierung von Schwaben vom 15. Dezember 2009 ist zu Recht erfolgt. Der Nachbarwiderspruch der Beigeladenen zu 2 gegen die Baugenehmigung war zulässig und begründet.

1. Der Widerspruch war zulässig.

Die Beigeladene zu 2 hatte ein Rechtsschutzinteresse an der Aufhebung des Baugenehmigungsbescheids vom 2. Februar 2004, obwohl dieser infolge des Verzichts der Klägerin nach Art. 43 Abs. 2 Alt. 5 BayVwVfG wirkungslos geworden ist. Denn die Klägerin beruft sich, wie auch der vorliegende Rechtsstreit zeigt, noch auf die Wirksamkeit des Bescheids. Da mit dem Bescheid zulasten der Beigeladenen zu 2 eine Abweichung vom Erfordernis zugelassen wurde, dass vor der westlichen (fiktiven) Außenwand der Balkone Abstandsflächen freizuhalten sind und diese auf dem Baugrundstück selbst liegen müssen (Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO), wird aufgrund der Feststellungswirkung einer Baugenehmigung (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO) zumindest der Rechtsschein erweckt, dass durch das Bauvorhaben Abstandsflächenvorschriften zum Nachteil der Beigeladenen zu 2 nicht verletzt sind. An der Beseitigung dieses Rechtsscheins hatte die Beigeladene zu 2 ein rechtlich geschütztes Interesse.

Dass der Widerspruch nicht deswegen unzulässig war, weil die Beigeladene zu 2 mit der Unterschrift ihres Verwalters auf dem genehmigten „Eingabeplan“ dem Bauvorhaben nach Art. 71 Abs. 1 Satz 2 BayBO 1998 (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BayBO) zugestimmt und damit auf ihre öffentlich-rechtlichen Nachbarrechte verzichtet hätte (vgl. BayVGH Großer Senat, B. v. 3.11.2005 - 2 BV 04.1756 u. a. - BayVBl 2006, 246 = juris Rn. 10), hat das Verwaltungsgericht mit zutreffender Begründung ausgeführt (vgl. Urteilsabdruck Rn. 39). Hierauf wird Bezug genommen (§ 130b Satz 2 VwGO). Gleiches gilt für die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Widerspruchsfrist nach § 70 VwGO gewahrt wurde (vgl. Urteilsabdruck Rn. 40 f.) und dass die Beigeladene zu 2 ihr Widerspruchsrecht nicht verwirkt hat (vgl. Urteilsabdruck Rn. 42 bis 44). Diese Ausführungen werden von den Beteiligten im Berufungsverfahren auch nicht mehr infrage gestellt.

2. Der Widerspruch war auch begründet.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob eine Baugenehmigung Rechte des Nachbarn verletzt, ist auch beim Nachbarwiderspruch grundsätzlich der Erlass des Ausgangsbescheids, nicht des Widerspruchsbescheids. Nach diesem Zeitpunkt eingetretene Änderungen der Sach- oder Rechtslage werden nur berücksichtigt, wenn sie sich zugunsten des Bauherrn auswirken, weil einem Bauherrn die Rechtsposition, die er mit Erteilung der Baugenehmigung erlangt hat, auch in einem Widerspruchsverfahren nicht wieder entzogen werden darf. Denn es wäre mit der nach Maßgabe des einschlägigen Rechts gewährleisteten Baufreiheit nicht vereinbar, eine zur Zeit des Erlasses rechtswidrige Baugenehmigung aufzuheben, die sogleich wieder erteilt werden müsste (vgl. BVerwG, U. v. 20.8.2008 - 4 C 11/07 - BVerwGE 131, 352 Rn. 21; B. v. 8.11.2010 - 4 B 43/10 - ZfBR 2011, 164 = juris Rn. 9; BayVGH, B. v. 18.10.2005 - 1 ZB 04.1597 - juris Rn. 17 m. w. N.; B. v. 24.4.2014 - 15 ZB 13.1167 - Rn. 21). Im Zeitpunkt ihres Erlasses war die Baugenehmigung wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO 1998 materiell rechtswidrig (vgl. dazu unten a). Aber auch dann, wenn man die Baugenehmigung zu einem späteren Zeitpunkt beurteilt, ergibt sich deren Rechtswidrigkeit (vgl. dazu unten b).

a) Zum Zeitpunkt des Erlasses der Baugenehmigung war diese materiell rechtswidrig, weil das Vorhaben die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen zur westlichen Grundstücksgrenze auf dem Baugrundstück nicht einhielt (Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO 1998) und eine dafür erforderliche Abweichung (Art. 70 Abs. 1 BayBO 1998) nicht erteilt wurde.

Für das Vorhaben war eine sog. abstandsflächenrechtliche Gesamtbetrachtung erforderlich. Die Balkone sind, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, keine untergeordneten Bauteile im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Satz 7 BayBO 1998 (vgl. auch Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO), die für sich genommen abstandsflächenrechtlich irrelevant wären. Aufgrund der baulichen Verbindung mit dem Hauptgebäude war die abstandsflächenrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens jedoch nicht isoliert allein für die Abstandsflächen vor den Balkonen, sondern vor der westlichen Außenwand des O.hauses insgesamt zu prüfen (zur Frage der abstandflächenrechtlichen Neubeurteilung in Fällen des Anbaus an ein Bestandsgebäude vgl. BayVGH, U. v. 20.12.1988 - 20 B 88.00137 - BayVBl 1989, 721; U. v. 12.7.1999 - 14 B 95.2069 - juris; U. v. 20.2.1990 - 14 B 88.02464 - BayVBl 1990, 500; vgl. auch B. v. 15.1.2007 - 15 ZB 06.1361 - juris Rn. 4). Die Tiefe dieser Abstandsfläche beträgt nach den Eintragungen in den Bauvorlagen der Klägerin 11,16 m. Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO 1998 sind erfüllt, weil die westliche Außenwand des (Haupt)Gebäudes nur ca. 1 m von der Grundstücksgrenze entfernt liegt, obwohl nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 BayBO eine Abstandsflächentiefe von 11,16 m eingehalten werden müsste. Dass eine (rechtsfehlerhafte) Abweichung nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1, Art. 70 Abs. 1 BayBO 1998 isoliert nur für die vor der (fiktiven) Außenwand der Balkone erteilt wurde, ist insoweit unerheblich. Auf die Frage, ob auch ein Verstoß gegen das Überdeckungsverbot des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO 1998 (Art. 6 Abs. 3 BayBO 2008) vorliegt, kommt es nicht mehr an (vgl. dazu aber BayVGH, B. v. 14.1.2009 - 1 ZB 08.97 - BayVBl. 2009, 694 = juris Ls und Rn. 27; Molodovsky/Kraus in Molodovsky/Famers/Kraus, BayBO, Stand: April 2014, Art. 6 Rn. 104).

Durch den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO 1998 wurden die subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte der Beigeladenen zu 2 verletzt. Diesen Vorschriften kommt Nachbarschutz zu (vgl. BayVGH, B. v. 15.4.1992 - 14 B 90.856 - BauR 1992, 605 = juris Rn. 14). Ob von den Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO eine (im Ermessen der Behörde stehende) Abweichung zugelassen hätte werden können, ist - anders als das Verwaltungsgericht mit seinen Ausführungen zu Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO (vgl. Urteilsabdruck Rn. 67 ff.) offenbar meint - für die Frage der Rechtsverletzung schon deswegen ohne Belang, weil eine solche Abweichung nicht erteilt wurde.

Die Beigeladene zu 2 konnte sich auf diese Rechtsverletzung auch berufen. Ein Nachbar kann sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gegenüber einer Baugenehmigung grundsätzlich nur dann nicht mit Erfolg auf die Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift berufen, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück den Anforderungen dieser Vorschrift nicht entspricht und wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und nicht zu - gemessen am Schutzzweck der Vorschrift - schlechthin untragbaren, als Missstand (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BayBO) zu qualifizierenden Verhältnissen führen (vgl. BayVGH, U. v. 4.2.2011 - 1 BV 08.131 - IBR 2011, 303 = juris Rn. 37; B. v. 23.12.2013 - 15 CS 13.2479 - juris Rn. 13; VGH BW B. v. 4.1.2007 - 8 S 1802/06 - BRS 71 Nr. 181 = juris Rn. 4; B. v. 29.9.2010 - 3 S 1752/10 - juris Rn. 5; OVG NW, U. v. 26.6.2014 - 7 A 2057/12 - juris Rn. 39). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil das Gebäude auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 2 bei Anwendung des 16-m-Privilegs die Abstandsflächen zur östlichen Grundstücksgrenze in vollem Umfang einhält und bei einer Abstandsflächentiefe von 1 H nur geringfügig überschreitet, so dass sich keine „Gleichwertigkeit“ in den beiderseitigen Abweichungen von den Anforderungen des Abstandsflächenrechts feststellen lässt.

b) Beurteilt man die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung zu einem späteren Zeitpunkt und berücksichtigt zugunsten der Klägerin insbesondere die Erklärung nach Art. 83 Abs. 1 BayBO 2008 vom 21. September 2009 zum Verfahrenswahlrecht, welches ohne Weiteres auch noch im Widerspruchsverfahren ausgeübt werden konnte (vgl. Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, Art. 83 Rn. 5a), ergäbe sich für sie keine günstigere Rechtslage. Denn zu diesem Zeitpunkt war infolge des „Tekturantrags“ vom 6. Juli 2006 und der entsprechenden Ausführung des Vorhabens die Baugenehmigung bereits nach Art. 43 Abs. 2 Alt. 5 BayVwVfG unwirksam geworden (vgl. oben I. 1.), so dass die Erklärung insoweit ins Leere ging.

III.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen, weil sie unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Beigeladene hat zu 1 hat keinen Antrag gestellt, so dass ihr keine Kosten auferlegt werden können (§ 154 Abs. 3 VwGO). Es besteht aber auch keine Veranlassung, ihre außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren durch die Beigeladene zu 2 war notwendig (Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG, § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Tenor

Unter Abänderung des auf die mündliche Verhandlung vom 1. März 2006 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes – 5 K 89/04 – werden die Baugenehmigung des Beklagten vom 5.11.2002 und der auf die mündliche Verhandlung vom 5.2.2004 ergangene Widerspruchsbescheid aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den „Neubau einer PKW-Garage und die Errichtung einer Stahlbetonstützwand“. Er ist Miteigentümer des Wohnhausanwesens G 17a in A-Stadt-M (Parzelle Nr. 412/5 in Flur 7 der Gemarkung M). Das sich linksseitig anschließende, ebenfalls mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück (Parzelle Nr. 412/4) steht im Eigentum der Beigeladenen.

Erstmals mit Bauschein vom Oktober 1995 (vgl. den Bauschein vom 19.10.1995 – BKL. Nr. 906/05 –, später modifiziert durch Bauschein vom 13.9.1996) genehmigte der Beklagte den Beigeladenen die Errichtung einer bis auf die gemeinsame Grenze reichenden Garage. Die Anlage sollte unter Vornahme einer Geländeabgrabung auf Straßenniveau ausgeführt werden, wobei das anstehende Gelände des Grundstücks des Klägers im Bereich der vorgelagerten Garagenzufahrt durch eine im August 1996 genehmigte Stützmauer abgefangen werden sollte. (vgl. den Bauschein vom 8.8.1996 – BKL. Nr. 705/96 –) Im Wesentlichen mit Standsicherheitsbedenken begründete Rechtsbehelfe des Klägers mit dem Ziel einer Verpflichtung des Beklagten zur Einstellung der im Jahre 1996 aufgenommenen Bauarbeiten blieben zunächst ohne Erfolg. (vgl. VG des Saarlandes, Beschluss vom 17.9.1996 – 2 F 78/96 – und OVG des Saarlandes, Beschluss vom 22.10.1996 – 2 W 34/96 –, BRS 58 Nr. 181)

Im März 1997 verpflichtete das Verwaltungsgericht den Beklagten dann unter Hinweis auf eine von den Genehmigungen abweichende Bauausführung, die Bauarbeiten einzustellen. (vgl. VG des Saarlandes, Beschluss vom 19.3.1997 – 2 F 113/96 –) Ein gleichzeitig gestellter Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Rechtsbehelfe gegen die Genehmigungen wurde im April 1997 unter Verweis auf ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis zurückgewiesen, nachdem die Beigeladenen erklärt hatten, die Bauarbeiten bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren einzustellen. (vgl. VG des Saarlandes, Beschluss vom 14.4.1997 – 2 F 112/96 –; das eine Anfechtungsklage gegen die Genehmigungen und eine Verpflichtungsklage auf Erlass einer Beseitigungsanordnung betreffende Verfahren wurde nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen durch Beschluss vom 2.2.1999 – 2 K 65/97 – eingestellt)

Im November 1998 (vgl. den Bauschein vom 19.11.1998 – BKL Nr. 48/97 -) wurde den Beigeladenen eine am geschaffenen Baubestand orientierte modifizierte Baugenehmigung für den Bau der Garage sowie der Stützwand erteilt. Nachdem das Verwaltungsgericht die dagegen erhobene Klage zunächst abgewiesen hatte, (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 13.12.2000 – 5 K 194/99 –) wurde der Beklagte im April 2002 auf die Berufung des Klägers hin wegen einer Verletzung von Grenzabstandsvorschriften hinsichtlich der zulässigen Höhe der Garage unter Aufhebung der Genehmigung verpflichtet, die Beseitigung der Anlagen anzuordnen. (vgl. insoweit OVG des Saarlandes, Urteil vom 23.4.2002 – 2 R 7/01 –, BRS 65 Nr. 118) Die entsprechende Anordnung wurde im Oktober 2002 vom Beklagten erlassen, aber nie durchgesetzt.

Stattdessen erteilte der Beklagte den Beigeladenen im November 2002 im vereinfachten Genehmigungsverfahren die nunmehr streitgegenständliche Baugenehmigung für den „Neubau einer Pkw-Garage und Errichtung einer Stahlbetongrenzstützwand“. (vgl. den Bauschein vom 5.11.1002 – 00825-2002-1 –) Die zugehörigen genehmigten Bauvorlagen, denen auch eine statische Berechnung zur Standsicherheit beigefügt wurde, sehen eine höhenmäßige Reduzierung des geschaffenen Garagenbauwerks auf eine maximale seitliche Höhe von 2,985 m bezogen auf das Niveau des Baugrundstücks nach Abgrabung vor. Die Höhe der Winkelstützwand ist in der Bauvorlage „Schnitt A-A“ mit maximal 2,90 m bezogen auf die Lage der Garageneinfahrt angegeben und soll danach das Gelände auf dem Grundstück des Klägers um ca. 96 cm übersteigen.

Den am 22.11.2002 auch dagegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger unter anderem damit, dass die Stahlbetonstützwand mit einer Höhe von 3,50 m das für solche Anlagen an der Grenze maximal zulässige Maß von 2 m überschreite.

Im Juli 2003 wies das Verwaltungsgericht dann einen Antrag des Klägers auf Vollstreckung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts vom April 2002 mit Blick auf die Versuche nachträglicher Legalisierung der Anlagen zurück. (vgl. VG des Saarlandes, Beschluss vom 28.7.2003 – 5 VF 1/03 –)

Der Widerspruch des Klägers gegen die Baugenehmigung vom November 2002 wurde durch auf die mündliche Verhandlung vom 5.2.2004 ergangenen Widerspruchsbescheid zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde am 18.2.2004 als Einschreiben an den Kläger abgesandt. Mit Eingang am 18.3.2004 hat dieser Klage erhoben.

Zu deren Begründung hat er erneut eine Überschreitung der zulässigen Höhe der Stützwand geltend gemacht. Nehme man insoweit die gebotene Gesamtbetrachtung vor, werde neben der Länge mit insgesamt 11,24 m statt 9 m auch die für privilegierte Grenzgaragen geltende maximale Höhe von 3 m überschritten. Auch die Problematik unzureichender Standsicherheit bestehe nach wie vor und werde durch das im Genehmigungsverfahren vorgelegte Sachverständigengutachten nicht ausgeräumt.

Der Kläger hat beantragt,

die Baugenehmigung vom 5.11.2002 zum Neubau einer Pkw-Garage und Errichtung einer Stahlbetonstützwand auf dem Grundstück in der Gemarkung M, Flur 7, Flurstück Nr. 412/4 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 5.2.2004 aufzuheben.

Der Beklagte hat die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen verteidigt und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 1.3.2006 – 5 K 89/04 – abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es, eine Nachbarrechtsverletzung durch die in planungsrechtlicher Hinsicht unbedenkliche Baugenehmigung könne sich von vorneherein nicht unter dem Aspekt Standsicherheit ergeben. Diese bauordnungsrechtlichen Anforderungen seien im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht mehr zu prüfen. Die Abstandsflächenvorschriften seien eingehalten. Die Garage überschreite in der nunmehr genehmigten Form die maximal zulässige mittlere Wandhöhe von 3 m bezogen auf das Niveau des Baugrundstücks nicht. Deren Länge bleibe mit 5,99 m deutlich hinter den an der Grenze zulässigen 9 m zurück. Insoweit sei die Länge der vorgelagerten Stützwand nicht zu addieren. Beide Anlagen bildeten keine bauliche Einheit. Dass die Wand dazu diene, das Erdreich im Bereich der Garagenzufahrt abzustützen, mache diese noch nicht zu einem Teil der Garage. Letztere könne ohne weiteres beseitigt werden, ohne dass die Wand ihre Funktion „völlig“ verliere. Der abgesicherte Bereich könne beispielsweise als Stellplatz benutzt werden. Dass es sich um unterschiedliche Anlagen handele, zeige auch der Blick auf ihre abstandsflächenrechtliche Bedeutung. Die Garage falle unter die Abstandsflächenbestimmungen, nicht hingegen die Stützwand. Von ihr gingen keine gebäudegleichen Wirkungen aus, da sie lediglich 1 m über das Gelände des Grundstücks des Klägers hinausrage. Das habe die Kammer bereits in ihrem Urteil vom Dezember 2000 ausgeführt. Das diese Entscheidung aufhebende Berufungsurteil habe sich nur mit der Unzulässigkeit der Garage befasst. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass hinsichtlich der Möglichkeiten einer Grenzbebauung mit derartigen Anlagen durch die Neufassung der Landesbauordnung im Jahre 2004 allenfalls Änderungen zugunsten der Beigeladenen vorgenommen worden seien.

Das Urteil wurde dem Kläger am 4.4.2006 zugestellt. Seine vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung (vgl. hierzu OVG des Saarlandes, Beschluss vom 21.8.2007 – 2 Q 16/06 –) begründet er wie folgt: Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts habe die Baugenehmigungsbehörde auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 67 Abs. 4 LBO 1996 die Vollständigkeit der eingereichten Bauunterlagen zu prüfen und die Einhaltung der Anforderungen an die Standsicherheit zu überwachen. Beide Anlagen seien nicht von Fachleuten errichtet worden und nicht standsicher. Da das Urteil des Oberverwaltungsgerichts nicht befolgt worden sei, sei ein in seiner Standsicherheit „höchst zweifelhafter Baukörper verblieben“, worauf er – der Kläger – mehrfach hingewiesen habe. Das genehmigte Bauwerk halte unstreitig die Vorschriften über die Abstandsflächen nicht ein. Entgegen der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts vom April 2002, in der ein funktionaler Zusammenhang angenommen worden sei und beide Anlagen der Beseitigung anheim gegeben worden“ seien, betrachte das Verwaltungsgericht die Garage und die Stützwand erneut in unzulässiger Weise getrennt und komme dadurch zu „scheinbar gesetzeskonformen Ergebnissen“. Beide Anlagen bildeten technisch und rechtlich eine Einheit, die den Anforderungen an Grenzgebäude entsprechen müsse, allerdings eine mittlere Wandhöhe von über 3 m aufweise. Die abstandsflächenrechtliche Relevanz der Stützmauer ergebe sich daraus, dass die Anlage in § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 LBO 1996 ausdrücklich einer Regelung unterworfen worden sei. Der Hinweis auf die Rechtsänderung im Jahre 2004 gehe fehl. Für den vorliegenden Fall gelte die Landesbauordnung in der Fassung aus dem Jahre 1996. Eine Aufweichung dieses Rechts mit Blick auf die „neue Handhabung der Verfahrensfreistellung“ sei nicht akzeptabel.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 1.3.2006 – 5 K 89/04 – die Baugenehmigung des Beklagten vom 5.11.2002 zum Neubau einer Pkw-Garage und Errichtung einer Stahlbeton-Grenzstützwand auf dem Grundstück in der Gemarkung M, Flur 7, Flurstück Nr. 412/4 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 5.2.2004 aufzuheben.

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag. Sie schließen sich den Ausführungen des Beklagten an.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der verfahrensbezogenen Gerichtsakten, der Akten VG 2 F 78/96, OVG 2 W 34/96, VG 2 F 112/96, OVG 2 W 37/96, VG 2 F 113/96, VG 2 K 65/97, VG 5 K 194/99, OVG 2 R 7/01, VG 5 VF 1/03 und der zugehörigen Verwaltungsunterlagen verwiesen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht und in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise mit Begründung versehene Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung des Beklagten vom 5.11.2002 zum Neubau einer PKW-Garage und zur Errichtung einer Stahlbeton-Grenzstützwand auf der Parzelle Nr. 412/4 in Flur 7 der Gemarkung M und den seinen Widerspruch dagegen zurückweisenden Bescheid des Kreisrechtsausschusses vom 5.2.2004 zu Unrecht abgewiesen. Diese Verwaltungsentscheidungen verletzen den Kläger als Eigentümer des von der Grenzbebauung betroffenen rechten Nachbargrundstücks (Parzelle Nr. 412/5) in seinen subjektiven Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Beurteilungsgegenstand für die Frage des Vorliegens einer Nachbarrechtsverletzung durch eine Bauerlaubnis ist generell ausschließlich das in den genehmigten Bauvorlagen dargestellte Vorhaben, nicht ein unter Umständen abweichend davon ausgeführtes tatsächlich vorhandenes Bauwerk. Eine subjektive Rechtsverletzung des Nachbarn kann sich dabei nur aus der Nichtbeachtung von Rechtsvorschriften ergeben, die von der Behörde bei ihrer Genehmigungsentscheidung zu prüfen waren. Vorliegend maßgeblich ist mit Blick auf den Entscheidungszeitpunkt des Beklagten noch § 67 LBO 1996, das heißt das in dessen Abs. 2 enthaltene eingeschränkte materielle Programm des vereinfachten Genehmigungsverfahrens.

Danach war insbesondere nicht Prüfungsgegenstand die Einhaltung der Anforderungen an die Standsicherheit (§ 16 LBO 1996, heute § 13 LBO 2004), die der Kläger als nicht gewahrt ansieht und die einen wesentlichen Teil seines Sachvortrags auch im vorliegenden Verfahren einnehmen. Eine Rechtsverletzung des Klägers durch die angefochtene Genehmigungsentscheidung des Beklagten unter diesem Aspekt scheidet daher von vorneherein aus. Fragen der Standsicherheit waren seit Inkrafttreten der LBO 1996 in vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht mehr zu prüfen. Deswegen kommt es für vorliegende Entscheidung nicht darauf an, ob das Vorhaben der Beigeladenen den Anforderungen des potentiell nachbarschützenden § 16 Abs. 1 Satz 2 LBO 1996 genügt, wonach durch die Verwirklichung eines Bauvorhabens unter anderem die Tragfähigkeit des Baugrundes von Nachbargrundstücken nicht gefährdet werden darf. (vgl. zur ohnedies allenfalls eingeschränkten Bedeutung derartiger Einwände im Rahmen eines Anfechtungsstreits Bitz/Schwarz, Seiler-Dürr/Dürr, Baurecht Saarland, 2. Auflage 2005, Kp. XI RNr. 119-121) Einen Verstoß gegen diese Vorschrift hätte der Kläger, sofern ein solcher denn vorgelegen hätte, allenfalls im Wege eines Einschreitensverlangens (§ 88 Abs. 1 LBO 1996, heute § 82 Abs. 1 LBO 2004) geltend machen können. Die uneingeschränkte Geltung materieller Anforderungen unabhängig von der präventiven Prüfung durch die Bauaufsichtsbehörde hatte der Gesetzgeber in §§ 67 Abs. 6, 65 Abs. 3 LBO 1996 ausdrücklich klar gestellt. Die von dem Kläger in dem Zusammenhang angeführte Bauvorlagenpflicht nach § 67 Abs. 4 Satz 1 LBO 1996 stellt hingegen ein rein formelles Erfordernis dar, das im Falle seiner Nichtbeachtung keine subjektive Betroffenheit seinerseits auslösen könnte.

Das bauaufsichtsbehördliche Prüfungs- und damit auch Entscheidungsprogramm des vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach § 67 LBO 1996 umfasste jedoch – anders als nach heutigem Bauordnungsrecht (§ 64 Abs. 2 LBO 2004) – noch die Frage der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften (§ 67 Abs. 2 Nr. 3 LBO 1996). Mit den damals einschlägigen Vorschriften (§§ 6, 7 LBO 1996) ist das genehmigte Bauvorhaben indes nicht vereinbar.

Dies gilt allerdings, wenn man insoweit eine isolierte Betrachtung vornimmt und die Frage der Anfahrungsmöglichkeiten einmal außen vor lässt, in der nunmehr genehmigten Form nicht mehr für die Garage der Beigeladenen. Die genehmigten Bauvorlagen sehen einen Rückbau insbesondere hinsichtlich der bei der Ausführung seinerzeit nicht eingehaltenen maximalen mittleren Wandhöhe vor, so dass die Anlage nach entsprechender Reduzierung den materiellen Privilegierungsanforderungen des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 ff LBO 1996 genügen würde. (vgl. zum bisherigen Genehmigungsstand unter anderem OVG des Saarlandes, Urteil vom 23.4.2002 – 2 R 7/01 –, BRS 65 Nr. 118) Eine Nachbarrechtsverletzung des Klägers ergibt sich insoweit nicht mehr, zumal die Planung nach den Genehmigungsunterlagen nun an der Rückseite auch einen rechtwinkligen Ansatz der Rückwand an die dort schräg verlaufende Grenze aufweist. Ob ein solcher in diesen Fällen zur Vermeidung einer teilweise (nur) grenznahen Ausführung notwendig ist, bedarf daher keiner Vertiefung.

Abstandsflächenrechtlich unzulässig ist indes die im Bereich der vorgelagerten Einfahrt zur Garage seitlich zur Stützung des dort an der Grenze anstehenden Geländes des Grundstücks des Klägers genehmigte „Stahlbeton-Grenzstützwand“. Insofern liegt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ein Verstoß gegen Abstandsflächenrecht, speziell § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 b) LBO 1996 vor. Danach waren Stützmauern „ohne eigene Abstandsfläche“ an der Grenze zum Nachbarn nur bis zu einer Höhe von 2 m – ausdrücklich: gemessen vom tiefer liegenden Grundstück – zulässig. Die genehmigte Mauer entlang der Garagenzufahrt der Beigeladenen hat hingegen eine Höhe von 2,90 m (Schnitt A-A), wobei die gesonderten Maßangaben bei Anschluss an das Garagengebäude (- 3,00 m bis – 0,01 m) ein Maß von 2,99 m ergeben. Insoweit hat das Verwaltungsgericht eine Höhe von 2,95 m zugrunde gelegt und ist im Übrigen von einer maximalen Höhe von 3,20 ausgegangen. Das mag indes auf sich beruhen. Aus einer Unbestimmtheit (Widersprüchlichkeit) genehmigter Bauvorlagen könnte kein „automatischer“ Erfolg eines Nachbarrechtsbehelfs hergeleitet werden. Vielmehr ist der Prüfung die für ihn „ungünstigste“ Variante zugrunde zu legen. Die genehmigte Stützmauer hat in jedem Fall eine Gesamthöhe von deutlich über den durch § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 b) LBO 1996 maximal zugelassenen 2 m.

Das Verwaltungsgericht setzt das Verbot grenzständiger Stützmauern über 2 m mit seiner Interpretation faktisch „außer Kraft“, indem es auf das Abstandsflächenerfordernis grundsätzlich allein von Gebäuden (§ 6 Abs. 1 Satz 1 LBO 1996) verweist, weswegen es keiner „Abweichung“ im Sinne der Überschrift zu § 7 LBO 1996 bedürfe. Ein Abstandserfordernis von sonstigen Anlagen, die nicht Gebäude sind (§ 6 Abs. 8 LBO 1996), wegen gebäudegleicher Wirkungen wird von ihm ebenfalls verneint, indem die Perspektive auf die Sicht des Nachbarn verschoben wurde. Bei der Stützwand wird indes die Betrachtungsweise vom tiefer liegenden Grundstück durch den § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 b) LBO 1996 sogar ausdrücklich vorgegeben. „Abweichung“ im Sinne der Überschrift zu § 7 LBO 1996 – wenn man dies überhaupt als tauglichen Interpretationsansatz ansehen will – bedeutet daher in Ansehung der Regelung über Stützmauern, dass für derartige Anlagen über 2 m ein Abstandserfordernis begründet wird. Anders lässt sich die Vorschrift (sinnvoll) nicht interpretieren.

Dieser (objektivrechtliche) Verstoß gegen den § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 b) LBO 1996 rechtfertigt auch die Annahme einer subjektiven Rechtsverletzung des Klägers als Eigentümer des von dieser Grenzbebauung betroffenen Grundstücks. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, dass von dem baulich-optischen Inerscheinungtreten der Anlage als „Wand“ her mit Blick auf die allgemeinen Schutzzwecke des Abstandsflächenrechts, nämlich einer Sicherstellung einer ausreichenden Belichtung und Belüftung von Nachbargrundstücken, von einer Beeinträchtigung für den – vom Grundstücksniveau her – höher liegenden Kläger sicher nicht gesprochen werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kommt es für die Annahme einer Nachbarrechtsverletzung durch die Nichtbeachtung von Grenzabstandserfordernissen jedoch nicht auf die Feststellung eines bestimmten Ausmaßes tatsächlicher Beeinträchtigung an. Das gilt nicht nur für die Beurteilung von ausnahmsweise materiell abstandsflächenrechtlich privilegierten Grenzgebäuden, (vgl. dazu auch die im Vorprozess hinsichtlich der Garage der Beigeladenen ergangene Entscheidung: OVG des Saarlandes, Urteil vom 23.4.2002 – 2 R 7/01 –, BRS 65 Nr. 118) sondern auch im vorliegenden Zusammenhang.

Mit der gesetzlichen Begrenzung der Höhe von Stützmauern an der Grenze verfolgte der Landesgesetzgeber – von Fragen der Standsicherheit abgesehen – auch andere baupolizeiliche Anliegen. Der durch die auf rein optische Auswirkungen von seiner Seite aus reduzierte Betrachtung schlechter gestellte Nachbar (hier der Kläger als „Oberlieger“) soll durch diese Höhenbegrenzung auch vor den sich bei derartigen massiven Abgrabungen auf dem Nachbargrundstück ergebenden offensichtlichen baupolizeilichen Problemen geschützt werden. Bei solchen Baumaßnahmen stellen sich sicherheitsrechtliche Anforderungen auch mit Blick auf die Herstellung von Absturzsicherungen und die Verantwortlichkeit hierfür (§ 13 Abs. 1 Satz 1 TVO 1996, für Höhenunterschiede ab 1 m). Diese Problematik wird in § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 b) LBO 1996 – für die Mauern bis 2 m Höhe – ausdrücklich im Wortlaut angesprochen, indem der Landesgesetzgeber bei die genannte Maximalhöhe übersteigenden – aus Sicherheitsgründen notwendigen – Stützwänden ausdrücklich nur „offene Umwehrungen zur Sicherung des höher liegenden Grundstücks“ zugelassen hat. Auch wenn der Anwendungsbereich der Vorschrift die Begrenzung der Beeinträchtigungen des vom Niveau her tiefer liegenden Grundstücks durch solche Stützmauern auf dem (höher liegenden) Nachbargrundstück zur Sicherung des dortigen Geländes im Blick gehabt haben mag, ist damit der Schutzgehalt nicht abschließend in dem Sinne beschrieben, dass in der hier vorliegenden „umgekehrten“ Konstellation der Nachbar Abgrabungen quasi in unbestimmter Tiefe und anschließend Stützmauern letztlich sogar in jeder Höhe, vielleicht begrenzt nur durch das technisch „Machbare“, hinnehmen müsste. Die Vorschrift schützt vielmehr den Nachbarn, hier den Kläger, auch davor, dass unmittelbar an seiner Grenze massive Abgrabungen in einer Tiefe vorgenommen werden, die dann die Errichtung von Stützmauern über das durch § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4b) LBO 1996 zugelassene Maß hinaus notwendig machen.

Die Beigeladenen, die durch die nachträgliche Baugenehmigung eine Legitimierung des selbst geschaffenen Bauzustands erstreben, und die auf Einschränkungen bei der Nutzungsmöglichkeit hinsichtlich der Garage verweisen, können auch keine grundstücksbezogene Ausnahmesituation geltend machen, die – wie möglicherweise bei natürlichen Geländeversprüngen zwischen zwei Grundstücken - eine Befreiung nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 LBO 1996, der im Übrigen ausdrücklich eine Würdigung öffentlich-rechtlich geschützter nachbarlicher Belange anordnete, rechtfertigen könnte.

Im Ergebnis vermittelt die Verletzung des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 b) LBO 1996 dem Kläger hinsichtlich der konkreten Anlage einen subjektiven (abstandsflächenrechtlichen) Abwehranspruch gegen die Baugenehmigung (§ 67 Abs. 2 Nr. 3 LBO 1996).

Auch die in Fällen der Nachbaranfechtungsklage bei Rechtsänderungen nach Erteilung der Baugenehmigung nach dem sog. Günstigkeitsgrundsatz allgemein gebotene zusätzliche Prüfung, ob sich die Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Bauherrn geändert hat, (Vgl. dazu Bitz/Schwarz/Seiler-Dürr/Dürr, Baurecht Saarland, 2. Auflage 2005, Kp. XI RNrn. 55-58) rechtfertigt hier keine andere Beurteilung. Eine (materielle) „Legalisierung“ der Stützmauer ist durch das im Juni 2004 mit der Neufassung der Landesbauordnung in Kraft getretene neue Abstandsflächenrecht (§§ 7, 8 LBO 2004) nicht eingetreten. Für den vorliegenden Fall enthält dieses keine entscheidenden Veränderungen. Die für Mauern zur Stützung natürlichen Geländes auf der Grenze geltende Höhenbegrenzung auf maximal 2 m, die hier deutlich überschritten wurde, gilt nach wie vor (§ 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 10 b) LBO 2004). Dass die in der Vorläuferbestimmung enthaltene „Messanleitung“ nicht übernommen wurde, hat keine entscheidende Bedeutung. Der ohnehin nur auf die dort ebenfalls geregelten Einfriedungshöhen abhebende Satz in der Gesetzesbegründung (LTDS 12/866 vom 7.5.2003, Seite 159), dass die Beeinträchtigung des tiefer liegenden Grundstücks durch Einfriedungen nicht größer sei als durch sonstige zulässige Grenzbebauungen, hat für die vorliegende (umgekehrte) Konstellation keine Aussagekraft. Entscheidend ist, dass der Landesgesetzgeber die allgemein übliche Maßgeblichkeit der allein baugrundstücksbezogenen Höhenmessung in dem nunmehrigen § 2 Abs. 7 LBO 2004 durch entsprechende Wortlautänderung (nunmehr: „Geländeoberfläche auf dem Baugrundstück“) quasi „vor die Klammer gezogen“ und für bodenbezogene Höhenmessungen im Bereich des saarländischen Bauordnungsrechts generell für verbindlich erklärt hat. Hierzu heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf (a.a.O. Seite 154), die bisherige Formulierung sei bei grenzständigen Gebäuden missverständlich gewesen. Außerdem gelte die Vorschrift nicht nur für Gebäude, sondern auch für andere bauliche Anlagen. Daraus ergibt sich, dass auch bei der Höhenbestimmung der Stützmauer der Beigeladenen auf das Geländeniveau auf dem „Baugrundstück“ abzustellen ist. Hinsichtlich der sonstigen Rechtsfragen sind – im materiell-rechtlichen Bereich – keine hier wesentlichen Veränderungen eingetreten. Die TVO wurde in die Landesbauordnung integriert. Das sicherheitsrechtliche Erfordernis von Umwehrungen ergibt sich nunmehr aus § 38 LBO 2004. Auch das zwischenzeitlich durch Verzicht auf die allein grundstücksbezogene „Härteklausel“ des § 75 Abs. 3 Nr. 1 LBO 1996, die in aller Regel eine Befreiung nicht zuließ, vom Gesetzgeber „entschärfte“ Abweichungsrecht (§ 68 LBO 2004) setzt bereits tatbestandlich eine aus den tatsächlichen Verhältnissen des Baugrundstücks abzuleitende Sondersituation in Abweichung von dem vom Gesetzgeber in den Blick genommenen „Normalfall“ voraus. Sie kann nicht aus der Verwirklichung des zu beurteilenden Bauvorhabens – hier der massiven Abgrabung durch die Beigeladenen – hergeleitet werden, sondern muss diesem vielmehr grundstücksbezogen vorgegeben sein.

Nur ergänzend ist zu erwähnen, dass das sog. „Günstigkeitsprinzip“ nicht für den Bereich des Bauverfahrensrechts gilt. Nach dem Inkrafttreten der Neufassung der LBO (2004) ist eine Garage dieser Größe gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 1 b) LBO 2004 verfahrensfrei und damit von jeder präventiven bauaufsichtsbehördlichen Prüfung freigestellt, nicht allerdings von materiell-rechtlichen Anforderungen (§ 60 Abs. 2 LBO 2004). Insoweit besteht auch kein Bauvorlagenerfordernis mehr. Die Stützmauer ist nach heutigem Verfahrensrecht nicht verfahrensfrei, da sie die insoweit geltende Höhenbegrenzung (§ 61 Abs. 1 Nr. 6 lit. c LBO 2004) überschreitet und daher gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO 2004 einer Genehmigung im vereinfachten Verfahren bedarf. Vorbehaltlich ausdrücklicher Abweichungsanträge (§ 64 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LBO 2004) findet allerdings auch insoweit keinerlei präventive bauordnungsrechtliche Überprüfung mehr statt. Materiellrechtlich bleibt allerdings auch das ohne Bedeutung (§ 60 Abs. 2 LBO 2004).

Die in der mündlichen Verhandlung angesprochene Frage, inwieweit sich durch eine bauliche „Integration“ der (jetzigen) Stützmauer in das Garagenbauwerk, also durch dessen Vergrößerung, mit Blick auf die dann einschlägige Mittelungsmöglichkeit für die Ermittlung der zulässigen grenzseitigen Wandhöhe, rechtliche Verbesserungen hinsichtlich des Abstandsflächenerfordernisses für die Beigeladenen erzielen ließen, bedarf vorliegend keiner Vertiefung. Der Senat hat allein das genehmigte Bauvorhaben in Blick zu nehmen und in den eingangs geschilderten rechtlichen Grenzen auf seine Nachbarrechtmäßigkeit zu untersuchen.

Aufgrund des festgestellten Nachbarrechtsverstoßes ist die Baugenehmigung unabhängig von Fragen eines baulichen Funktionszusammenhangs schon aus rechtlichen Gründen insgesamt aufzuheben. Die Beigeladenen haben Garage und Stützmauer zum Gegenstand eines einheitlichen Genehmigungsverfahrens gemacht. Das Vorhaben ist auch für die Gerichte im Rahmen des Anfechtungsstreits nicht „teilbar“. Daher braucht auf die Frage des von den Beigeladenen und vom Verwaltungsgericht verneinten „funktionalen“ Zusammenhangs von Garage und Stützmauer, der allerdings eigentlich wegen der gerade von den Beigeladenen in den Vordergrund ihrer Argumentation gestellten Sicherungsfunktion der Stützmauer für die Zufahrt eigentlich schwerlich verneint werden kann, nicht weiter eingegangen zu werden. Im Urteil des Senats vom 23.4.2002 – 2 R 7/01 – wurde im Rahmen der Bejahung des Einschreitensanspruchs des Klägers sogar von einem (untrennbaren) baulich „funktionalen Zusammenhang“ zwischen Garage und Stützmauer sowie von einem „zugehörigen unselbständigen Bauteil“ in Form eines insoweit „vorgelagerten Stützmauerteils“ ausgegangen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Für einen Erstattungsausspruch zugunsten der Beigeladenen (§ 162 Abs. 3 VwGO) bestand keine Veranlassung, da sie keinen eigenen Antrag gestellt und damit keine Kostenrisiken übernommen haben (§ 154 Abs. 3 VwGO)

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 2.000,- EUR festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG; vgl. bereits die entsprechende vorläufige Festsetzung durch Beschluss vom 21.8.2007 – 2 Q 16/06).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht und in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise mit Begründung versehene Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung des Beklagten vom 5.11.2002 zum Neubau einer PKW-Garage und zur Errichtung einer Stahlbeton-Grenzstützwand auf der Parzelle Nr. 412/4 in Flur 7 der Gemarkung M und den seinen Widerspruch dagegen zurückweisenden Bescheid des Kreisrechtsausschusses vom 5.2.2004 zu Unrecht abgewiesen. Diese Verwaltungsentscheidungen verletzen den Kläger als Eigentümer des von der Grenzbebauung betroffenen rechten Nachbargrundstücks (Parzelle Nr. 412/5) in seinen subjektiven Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Beurteilungsgegenstand für die Frage des Vorliegens einer Nachbarrechtsverletzung durch eine Bauerlaubnis ist generell ausschließlich das in den genehmigten Bauvorlagen dargestellte Vorhaben, nicht ein unter Umständen abweichend davon ausgeführtes tatsächlich vorhandenes Bauwerk. Eine subjektive Rechtsverletzung des Nachbarn kann sich dabei nur aus der Nichtbeachtung von Rechtsvorschriften ergeben, die von der Behörde bei ihrer Genehmigungsentscheidung zu prüfen waren. Vorliegend maßgeblich ist mit Blick auf den Entscheidungszeitpunkt des Beklagten noch § 67 LBO 1996, das heißt das in dessen Abs. 2 enthaltene eingeschränkte materielle Programm des vereinfachten Genehmigungsverfahrens.

Danach war insbesondere nicht Prüfungsgegenstand die Einhaltung der Anforderungen an die Standsicherheit (§ 16 LBO 1996, heute § 13 LBO 2004), die der Kläger als nicht gewahrt ansieht und die einen wesentlichen Teil seines Sachvortrags auch im vorliegenden Verfahren einnehmen. Eine Rechtsverletzung des Klägers durch die angefochtene Genehmigungsentscheidung des Beklagten unter diesem Aspekt scheidet daher von vorneherein aus. Fragen der Standsicherheit waren seit Inkrafttreten der LBO 1996 in vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht mehr zu prüfen. Deswegen kommt es für vorliegende Entscheidung nicht darauf an, ob das Vorhaben der Beigeladenen den Anforderungen des potentiell nachbarschützenden § 16 Abs. 1 Satz 2 LBO 1996 genügt, wonach durch die Verwirklichung eines Bauvorhabens unter anderem die Tragfähigkeit des Baugrundes von Nachbargrundstücken nicht gefährdet werden darf. (vgl. zur ohnedies allenfalls eingeschränkten Bedeutung derartiger Einwände im Rahmen eines Anfechtungsstreits Bitz/Schwarz, Seiler-Dürr/Dürr, Baurecht Saarland, 2. Auflage 2005, Kp. XI RNr. 119-121) Einen Verstoß gegen diese Vorschrift hätte der Kläger, sofern ein solcher denn vorgelegen hätte, allenfalls im Wege eines Einschreitensverlangens (§ 88 Abs. 1 LBO 1996, heute § 82 Abs. 1 LBO 2004) geltend machen können. Die uneingeschränkte Geltung materieller Anforderungen unabhängig von der präventiven Prüfung durch die Bauaufsichtsbehörde hatte der Gesetzgeber in §§ 67 Abs. 6, 65 Abs. 3 LBO 1996 ausdrücklich klar gestellt. Die von dem Kläger in dem Zusammenhang angeführte Bauvorlagenpflicht nach § 67 Abs. 4 Satz 1 LBO 1996 stellt hingegen ein rein formelles Erfordernis dar, das im Falle seiner Nichtbeachtung keine subjektive Betroffenheit seinerseits auslösen könnte.

Das bauaufsichtsbehördliche Prüfungs- und damit auch Entscheidungsprogramm des vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach § 67 LBO 1996 umfasste jedoch – anders als nach heutigem Bauordnungsrecht (§ 64 Abs. 2 LBO 2004) – noch die Frage der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften (§ 67 Abs. 2 Nr. 3 LBO 1996). Mit den damals einschlägigen Vorschriften (§§ 6, 7 LBO 1996) ist das genehmigte Bauvorhaben indes nicht vereinbar.

Dies gilt allerdings, wenn man insoweit eine isolierte Betrachtung vornimmt und die Frage der Anfahrungsmöglichkeiten einmal außen vor lässt, in der nunmehr genehmigten Form nicht mehr für die Garage der Beigeladenen. Die genehmigten Bauvorlagen sehen einen Rückbau insbesondere hinsichtlich der bei der Ausführung seinerzeit nicht eingehaltenen maximalen mittleren Wandhöhe vor, so dass die Anlage nach entsprechender Reduzierung den materiellen Privilegierungsanforderungen des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 ff LBO 1996 genügen würde. (vgl. zum bisherigen Genehmigungsstand unter anderem OVG des Saarlandes, Urteil vom 23.4.2002 – 2 R 7/01 –, BRS 65 Nr. 118) Eine Nachbarrechtsverletzung des Klägers ergibt sich insoweit nicht mehr, zumal die Planung nach den Genehmigungsunterlagen nun an der Rückseite auch einen rechtwinkligen Ansatz der Rückwand an die dort schräg verlaufende Grenze aufweist. Ob ein solcher in diesen Fällen zur Vermeidung einer teilweise (nur) grenznahen Ausführung notwendig ist, bedarf daher keiner Vertiefung.

Abstandsflächenrechtlich unzulässig ist indes die im Bereich der vorgelagerten Einfahrt zur Garage seitlich zur Stützung des dort an der Grenze anstehenden Geländes des Grundstücks des Klägers genehmigte „Stahlbeton-Grenzstützwand“. Insofern liegt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ein Verstoß gegen Abstandsflächenrecht, speziell § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 b) LBO 1996 vor. Danach waren Stützmauern „ohne eigene Abstandsfläche“ an der Grenze zum Nachbarn nur bis zu einer Höhe von 2 m – ausdrücklich: gemessen vom tiefer liegenden Grundstück – zulässig. Die genehmigte Mauer entlang der Garagenzufahrt der Beigeladenen hat hingegen eine Höhe von 2,90 m (Schnitt A-A), wobei die gesonderten Maßangaben bei Anschluss an das Garagengebäude (- 3,00 m bis – 0,01 m) ein Maß von 2,99 m ergeben. Insoweit hat das Verwaltungsgericht eine Höhe von 2,95 m zugrunde gelegt und ist im Übrigen von einer maximalen Höhe von 3,20 ausgegangen. Das mag indes auf sich beruhen. Aus einer Unbestimmtheit (Widersprüchlichkeit) genehmigter Bauvorlagen könnte kein „automatischer“ Erfolg eines Nachbarrechtsbehelfs hergeleitet werden. Vielmehr ist der Prüfung die für ihn „ungünstigste“ Variante zugrunde zu legen. Die genehmigte Stützmauer hat in jedem Fall eine Gesamthöhe von deutlich über den durch § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 b) LBO 1996 maximal zugelassenen 2 m.

Das Verwaltungsgericht setzt das Verbot grenzständiger Stützmauern über 2 m mit seiner Interpretation faktisch „außer Kraft“, indem es auf das Abstandsflächenerfordernis grundsätzlich allein von Gebäuden (§ 6 Abs. 1 Satz 1 LBO 1996) verweist, weswegen es keiner „Abweichung“ im Sinne der Überschrift zu § 7 LBO 1996 bedürfe. Ein Abstandserfordernis von sonstigen Anlagen, die nicht Gebäude sind (§ 6 Abs. 8 LBO 1996), wegen gebäudegleicher Wirkungen wird von ihm ebenfalls verneint, indem die Perspektive auf die Sicht des Nachbarn verschoben wurde. Bei der Stützwand wird indes die Betrachtungsweise vom tiefer liegenden Grundstück durch den § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 b) LBO 1996 sogar ausdrücklich vorgegeben. „Abweichung“ im Sinne der Überschrift zu § 7 LBO 1996 – wenn man dies überhaupt als tauglichen Interpretationsansatz ansehen will – bedeutet daher in Ansehung der Regelung über Stützmauern, dass für derartige Anlagen über 2 m ein Abstandserfordernis begründet wird. Anders lässt sich die Vorschrift (sinnvoll) nicht interpretieren.

Dieser (objektivrechtliche) Verstoß gegen den § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 b) LBO 1996 rechtfertigt auch die Annahme einer subjektiven Rechtsverletzung des Klägers als Eigentümer des von dieser Grenzbebauung betroffenen Grundstücks. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, dass von dem baulich-optischen Inerscheinungtreten der Anlage als „Wand“ her mit Blick auf die allgemeinen Schutzzwecke des Abstandsflächenrechts, nämlich einer Sicherstellung einer ausreichenden Belichtung und Belüftung von Nachbargrundstücken, von einer Beeinträchtigung für den – vom Grundstücksniveau her – höher liegenden Kläger sicher nicht gesprochen werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kommt es für die Annahme einer Nachbarrechtsverletzung durch die Nichtbeachtung von Grenzabstandserfordernissen jedoch nicht auf die Feststellung eines bestimmten Ausmaßes tatsächlicher Beeinträchtigung an. Das gilt nicht nur für die Beurteilung von ausnahmsweise materiell abstandsflächenrechtlich privilegierten Grenzgebäuden, (vgl. dazu auch die im Vorprozess hinsichtlich der Garage der Beigeladenen ergangene Entscheidung: OVG des Saarlandes, Urteil vom 23.4.2002 – 2 R 7/01 –, BRS 65 Nr. 118) sondern auch im vorliegenden Zusammenhang.

Mit der gesetzlichen Begrenzung der Höhe von Stützmauern an der Grenze verfolgte der Landesgesetzgeber – von Fragen der Standsicherheit abgesehen – auch andere baupolizeiliche Anliegen. Der durch die auf rein optische Auswirkungen von seiner Seite aus reduzierte Betrachtung schlechter gestellte Nachbar (hier der Kläger als „Oberlieger“) soll durch diese Höhenbegrenzung auch vor den sich bei derartigen massiven Abgrabungen auf dem Nachbargrundstück ergebenden offensichtlichen baupolizeilichen Problemen geschützt werden. Bei solchen Baumaßnahmen stellen sich sicherheitsrechtliche Anforderungen auch mit Blick auf die Herstellung von Absturzsicherungen und die Verantwortlichkeit hierfür (§ 13 Abs. 1 Satz 1 TVO 1996, für Höhenunterschiede ab 1 m). Diese Problematik wird in § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 b) LBO 1996 – für die Mauern bis 2 m Höhe – ausdrücklich im Wortlaut angesprochen, indem der Landesgesetzgeber bei die genannte Maximalhöhe übersteigenden – aus Sicherheitsgründen notwendigen – Stützwänden ausdrücklich nur „offene Umwehrungen zur Sicherung des höher liegenden Grundstücks“ zugelassen hat. Auch wenn der Anwendungsbereich der Vorschrift die Begrenzung der Beeinträchtigungen des vom Niveau her tiefer liegenden Grundstücks durch solche Stützmauern auf dem (höher liegenden) Nachbargrundstück zur Sicherung des dortigen Geländes im Blick gehabt haben mag, ist damit der Schutzgehalt nicht abschließend in dem Sinne beschrieben, dass in der hier vorliegenden „umgekehrten“ Konstellation der Nachbar Abgrabungen quasi in unbestimmter Tiefe und anschließend Stützmauern letztlich sogar in jeder Höhe, vielleicht begrenzt nur durch das technisch „Machbare“, hinnehmen müsste. Die Vorschrift schützt vielmehr den Nachbarn, hier den Kläger, auch davor, dass unmittelbar an seiner Grenze massive Abgrabungen in einer Tiefe vorgenommen werden, die dann die Errichtung von Stützmauern über das durch § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4b) LBO 1996 zugelassene Maß hinaus notwendig machen.

Die Beigeladenen, die durch die nachträgliche Baugenehmigung eine Legitimierung des selbst geschaffenen Bauzustands erstreben, und die auf Einschränkungen bei der Nutzungsmöglichkeit hinsichtlich der Garage verweisen, können auch keine grundstücksbezogene Ausnahmesituation geltend machen, die – wie möglicherweise bei natürlichen Geländeversprüngen zwischen zwei Grundstücken - eine Befreiung nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 LBO 1996, der im Übrigen ausdrücklich eine Würdigung öffentlich-rechtlich geschützter nachbarlicher Belange anordnete, rechtfertigen könnte.

Im Ergebnis vermittelt die Verletzung des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 b) LBO 1996 dem Kläger hinsichtlich der konkreten Anlage einen subjektiven (abstandsflächenrechtlichen) Abwehranspruch gegen die Baugenehmigung (§ 67 Abs. 2 Nr. 3 LBO 1996).

Auch die in Fällen der Nachbaranfechtungsklage bei Rechtsänderungen nach Erteilung der Baugenehmigung nach dem sog. Günstigkeitsgrundsatz allgemein gebotene zusätzliche Prüfung, ob sich die Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Bauherrn geändert hat, (Vgl. dazu Bitz/Schwarz/Seiler-Dürr/Dürr, Baurecht Saarland, 2. Auflage 2005, Kp. XI RNrn. 55-58) rechtfertigt hier keine andere Beurteilung. Eine (materielle) „Legalisierung“ der Stützmauer ist durch das im Juni 2004 mit der Neufassung der Landesbauordnung in Kraft getretene neue Abstandsflächenrecht (§§ 7, 8 LBO 2004) nicht eingetreten. Für den vorliegenden Fall enthält dieses keine entscheidenden Veränderungen. Die für Mauern zur Stützung natürlichen Geländes auf der Grenze geltende Höhenbegrenzung auf maximal 2 m, die hier deutlich überschritten wurde, gilt nach wie vor (§ 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 10 b) LBO 2004). Dass die in der Vorläuferbestimmung enthaltene „Messanleitung“ nicht übernommen wurde, hat keine entscheidende Bedeutung. Der ohnehin nur auf die dort ebenfalls geregelten Einfriedungshöhen abhebende Satz in der Gesetzesbegründung (LTDS 12/866 vom 7.5.2003, Seite 159), dass die Beeinträchtigung des tiefer liegenden Grundstücks durch Einfriedungen nicht größer sei als durch sonstige zulässige Grenzbebauungen, hat für die vorliegende (umgekehrte) Konstellation keine Aussagekraft. Entscheidend ist, dass der Landesgesetzgeber die allgemein übliche Maßgeblichkeit der allein baugrundstücksbezogenen Höhenmessung in dem nunmehrigen § 2 Abs. 7 LBO 2004 durch entsprechende Wortlautänderung (nunmehr: „Geländeoberfläche auf dem Baugrundstück“) quasi „vor die Klammer gezogen“ und für bodenbezogene Höhenmessungen im Bereich des saarländischen Bauordnungsrechts generell für verbindlich erklärt hat. Hierzu heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf (a.a.O. Seite 154), die bisherige Formulierung sei bei grenzständigen Gebäuden missverständlich gewesen. Außerdem gelte die Vorschrift nicht nur für Gebäude, sondern auch für andere bauliche Anlagen. Daraus ergibt sich, dass auch bei der Höhenbestimmung der Stützmauer der Beigeladenen auf das Geländeniveau auf dem „Baugrundstück“ abzustellen ist. Hinsichtlich der sonstigen Rechtsfragen sind – im materiell-rechtlichen Bereich – keine hier wesentlichen Veränderungen eingetreten. Die TVO wurde in die Landesbauordnung integriert. Das sicherheitsrechtliche Erfordernis von Umwehrungen ergibt sich nunmehr aus § 38 LBO 2004. Auch das zwischenzeitlich durch Verzicht auf die allein grundstücksbezogene „Härteklausel“ des § 75 Abs. 3 Nr. 1 LBO 1996, die in aller Regel eine Befreiung nicht zuließ, vom Gesetzgeber „entschärfte“ Abweichungsrecht (§ 68 LBO 2004) setzt bereits tatbestandlich eine aus den tatsächlichen Verhältnissen des Baugrundstücks abzuleitende Sondersituation in Abweichung von dem vom Gesetzgeber in den Blick genommenen „Normalfall“ voraus. Sie kann nicht aus der Verwirklichung des zu beurteilenden Bauvorhabens – hier der massiven Abgrabung durch die Beigeladenen – hergeleitet werden, sondern muss diesem vielmehr grundstücksbezogen vorgegeben sein.

Nur ergänzend ist zu erwähnen, dass das sog. „Günstigkeitsprinzip“ nicht für den Bereich des Bauverfahrensrechts gilt. Nach dem Inkrafttreten der Neufassung der LBO (2004) ist eine Garage dieser Größe gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 1 b) LBO 2004 verfahrensfrei und damit von jeder präventiven bauaufsichtsbehördlichen Prüfung freigestellt, nicht allerdings von materiell-rechtlichen Anforderungen (§ 60 Abs. 2 LBO 2004). Insoweit besteht auch kein Bauvorlagenerfordernis mehr. Die Stützmauer ist nach heutigem Verfahrensrecht nicht verfahrensfrei, da sie die insoweit geltende Höhenbegrenzung (§ 61 Abs. 1 Nr. 6 lit. c LBO 2004) überschreitet und daher gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO 2004 einer Genehmigung im vereinfachten Verfahren bedarf. Vorbehaltlich ausdrücklicher Abweichungsanträge (§ 64 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LBO 2004) findet allerdings auch insoweit keinerlei präventive bauordnungsrechtliche Überprüfung mehr statt. Materiellrechtlich bleibt allerdings auch das ohne Bedeutung (§ 60 Abs. 2 LBO 2004).

Die in der mündlichen Verhandlung angesprochene Frage, inwieweit sich durch eine bauliche „Integration“ der (jetzigen) Stützmauer in das Garagenbauwerk, also durch dessen Vergrößerung, mit Blick auf die dann einschlägige Mittelungsmöglichkeit für die Ermittlung der zulässigen grenzseitigen Wandhöhe, rechtliche Verbesserungen hinsichtlich des Abstandsflächenerfordernisses für die Beigeladenen erzielen ließen, bedarf vorliegend keiner Vertiefung. Der Senat hat allein das genehmigte Bauvorhaben in Blick zu nehmen und in den eingangs geschilderten rechtlichen Grenzen auf seine Nachbarrechtmäßigkeit zu untersuchen.

Aufgrund des festgestellten Nachbarrechtsverstoßes ist die Baugenehmigung unabhängig von Fragen eines baulichen Funktionszusammenhangs schon aus rechtlichen Gründen insgesamt aufzuheben. Die Beigeladenen haben Garage und Stützmauer zum Gegenstand eines einheitlichen Genehmigungsverfahrens gemacht. Das Vorhaben ist auch für die Gerichte im Rahmen des Anfechtungsstreits nicht „teilbar“. Daher braucht auf die Frage des von den Beigeladenen und vom Verwaltungsgericht verneinten „funktionalen“ Zusammenhangs von Garage und Stützmauer, der allerdings eigentlich wegen der gerade von den Beigeladenen in den Vordergrund ihrer Argumentation gestellten Sicherungsfunktion der Stützmauer für die Zufahrt eigentlich schwerlich verneint werden kann, nicht weiter eingegangen zu werden. Im Urteil des Senats vom 23.4.2002 – 2 R 7/01 – wurde im Rahmen der Bejahung des Einschreitensanspruchs des Klägers sogar von einem (untrennbaren) baulich „funktionalen Zusammenhang“ zwischen Garage und Stützmauer sowie von einem „zugehörigen unselbständigen Bauteil“ in Form eines insoweit „vorgelagerten Stützmauerteils“ ausgegangen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Für einen Erstattungsausspruch zugunsten der Beigeladenen (§ 162 Abs. 3 VwGO) bestand keine Veranlassung, da sie keinen eigenen Antrag gestellt und damit keine Kostenrisiken übernommen haben (§ 154 Abs. 3 VwGO)

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 2.000,- EUR festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG; vgl. bereits die entsprechende vorläufige Festsetzung durch Beschluss vom 21.8.2007 – 2 Q 16/06).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.

(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.

(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. November 2011 - 13 LA 81/11 - verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Das Land Niedersachsen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 30.000 € (in Worten: dreißigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde beanstanden die Beschwerdeführer insbesondere, dass das Oberverwaltungsgericht ihren Antrag auf Zulassung der Berufung gegen ein verwaltungsgerichtliches Urteil über ihre Klage gegen einen deichrechtlichen Planfeststellungsbeschluss abgelehnt hat.

A.

I.

2

1. Die Beschwerdeführer sind Eigentümer der an der Alten Aller gelegenen Flurstücke X, Y und Z, von denen eines mit einem Wohnhaus und Nebengebäuden bebaut ist.

3

2. Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz stellte mit Beschluss vom 11. Dezember 2008 auf Antrag eines Deichverbands einen Plan für die Verbesserung der Deichsicherheit auf einem Streckenabschnitt von ungefähr 4 km fest. Der festgestellte Plan übernimmt auch einen Änderungsantrag des Deichverbands vom 7. Juli 2008. In diesem wird ausgeführt, für den Bereich der Flurstücke X, Y und Z habe der Antrag bisher die Herstellung einer neuen Hochwasserschutzmauer sowie die Anlage eines Deichverteidigungswegs zwischen der neuen Hochwassermauer und dem Wohngebäude der Beschwerdeführer auf dem Flurstück X vorgesehen. Aufgrund der doch nicht unerheblichen Vorteile eines grünen Deiches gegenüber einer Hochwasserschutzwand im Hinblick auf Sicherheit und Unterhaltungskosten habe die ursprüngliche Planung aus heutiger Sicht, nicht zuletzt auch aufgrund neuerer Vorgaben zur Finanzierung, einer neuen Bewertung bedurft. Im Ergebnis sei danach, soweit möglich, auch hier der grüne Deich zu realisieren. Der Bau des Deiches solle auf dem Flurstück Y erfolgen. Der dauerhaft in Anspruch genommene Flächenanteil dieses Flurstücks betrage 3.100 qm.

4

3. Das Verwaltungsgericht wies die Klage der Beschwerdeführer gegen den Planfeststellungsbeschluss weitgehend ab.

5

Eine Verletzung des Abwägungsgebotes könnten die Beschwerdeführer nicht mit Erfolg geltend machen. Der beklagte Landesbetrieb (im Folgenden: Beklagter) habe bei seiner Abwägungsentscheidung die Belange der Beschwerdeführer berücksichtigt. Das in ihrem Eigentum stehende Flurstück Z werde im Umfang von 830 qm für den Neubau des Deichkörpers in Anspruch genommen. Eine Flächeninanspruchnahme sei bei der Entscheidung zugunsten des grünen Deiches in diesem Umfang geboten. Eine wesentliche Beeinträchtigung ihres verbleibenden Grundbesitzes ergebe sich daraus nicht, zumal auch bei einer Erhöhung der vorhandenen Flutschutzmauer, wie dies die Beschwerdeführer wünschten, Beeinträchtigungen ihres Grundbesitzes zu erwarten wären. Die Flächeninanspruchnahme sei dann allerdings geringer. Auch die Belange des Naturschutzes würden gewahrt. Denn der vorhandene Teich, der als Biotop einzustufen sei, werde an anderer Stelle neu hergestellt. Eine erhebliche Beeinträchtigung des vorhandenen Fauna-Flora-Habitat-Gebiets (FFH-Gebiet) sei zudem durch die geplante Trassierung nicht zu erwarten. Dies wäre allenfalls bei einer Verlegung des Deiches in östlicher Richtung, also auf das Flurstück Y, der Fall. Dieses Flurstück werde aber durch die Maßnahme nicht auf Dauer beeinträchtigt, hiervon werde lediglich während der Bauzeit ein Arbeitsstreifen in Anspruch genommen.

6

4. Das Oberverwaltungsgericht lehnte den Antrag der Beschwerdeführer auf Zulassung der Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil ab.

7

Der von den Beschwerdeführern geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sei nicht hinreichend dargetan und liege zudem nicht vor. Die Beschwerdeführer hätten die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht hinreichend in Frage gestellt, dass der Planfeststellungsbeschluss dem Abwägungsgebot entspreche.

8

Die Beschwerdeführer seien durch die Deicherneuerungsmaßnahme unmittelbar in ihrem Eigentumsrecht betroffen. Sie hätten deshalb einen Anspruch auf eine umfassende gerichtliche Abwägungskontrolle.

9

Das Abwägungsgebot habe in der Rechtsprechung zu der gerichtlichen Überprüfung von Planungsalternativen in Bezug auf abweichende Standorte beziehungsweise Trassen eine nähere Ausformung erfahren, die sich auch auf die Bestimmung einer Deichlinienführung für einen der Planfeststellung unterliegenden Deichbau übertragen ließe: Ernsthaft in Betracht kommende Alternativlösungen müssten bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials berücksichtigt werden und mit der ihnen zukommenden Bedeutung in die vergleichende Prüfung der von den möglichen Alternativen jeweils berührten öffentlichen und privaten Belange eingehen. Die eigentliche planerische Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen Alternativen unterliege nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle. Eine Planfeststellungsbehörde handele nicht schon dann fehlerhaft, wenn eine von ihr verworfene Trassenführung ebenfalls aus guten Gründen vertretbar gewesen wäre. Die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit bei der Trassenwahl seien erst dann überschritten, wenn sich eine andere als die gewählte Trassenführung unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere hätte aufdrängen müssen, oder wenn der Planfeststellungsbehörde infolge einer fehlerhaften Ermittlung, Bewertung oder Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen sei.

10

Einen derartigen Fehler hätten die Beschwerdeführer in ihrer Zulassungsbegründung nicht darzulegen vermocht.

11

So sei die dauerhafte Inanspruchnahme des im Eigentum der Beschwerdeführer stehenden Flurstücks Y durch die Erstellung eines grünen Deichs anstelle der Verstärkung und Erhöhung der alten Hochwasserschutzmauer Gegenstand der Abwägung des Planfeststellungsbeschlusses gewesen. Der Änderungsantrag des Beigeladenen vom 7. Juli 2008 weise eindeutig darauf hin, dass alle beschriebenen Maßnahmen (Errichtung eines grünen Deiches anstelle einer Hochwasserschutzmauer) auf dem Flurstück Y zu realisieren seien. Der Änderungsantrag sei ebenso wie der zugehörige Lageplan Bestandteil des Planfeststellungsbeschlusses und damit Gegenstand der Abwägung geworden. Dass dieser Belang auch tatsächlich inhaltlich abgewogen worden sei, ergebe sich aus den Ausführungen des Planfeststellungsbeschlusses. Danach seien die Eigentumsbelange der Beschwerdeführer, die aufgrund der Vorgabe, dass ein grüner Deich errichtet werden müsse, betroffen würden, in die Abwägung eingestellt worden, hätten aber hinter die Belange des Hochwasserschutzes zurücktreten müssen. Einzig denkbare Alternative zur Verwirklichung des Hochwasserschutzes im Bereich des Wohnhauses der Beschwerdeführer sei die Herstellung eines grünen Deiches auf der Trasse des jetzigen Deiches. Dies hätte aber den Abriss dieses Wohnhauses zur Folge, was ungleich schwerer wiege als die Inanspruchnahme von Weideland.

12

Allerdings sei das Verwaltungsgericht offensichtlich irrig davon ausgegangen, das Flurstück Y werde nur für die Dauer der Bauzeit im Umfang eines Arbeitsstreifens in Anspruch genommen. Dies sei jedoch für die Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen Urteils ohne Bedeutung, da die dauerhafte teilweise Inanspruchnahme dieses Grundstücks - wie dargelegt - durch den Beklagten ordnungsgemäß in die Abwägung eingestellt worden sei, mithin kein Abwägungsfehler vorliege, der der Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht entgegenstünde.

13

Zu Recht habe das Verwaltungsgericht auch die Errichtung eines grünen Deiches vor dem Wohnhaus der Beschwerdeführer anstelle der ursprünglich geplanten Verstärkung und Erhöhung der vorhandenen Hochwasserschutzmauer als abwägungsfehlerfrei angesehen. Insoweit habe es zutreffend auf die Schwachstellen im Übergangsbereich einer Hochwasserschutzmauer zu dem sich anschließenden grünen Deich hingewiesen. Zu Recht habe es dabei auch darauf abgestellt, dass eine notfallmäßige Erhöhung durch Sandsäcke bei einem grünen Deich einfacher und sicherer zu bewerkstelligen sei, als dies bei einer Hochwasserschutzmauer der Fall wäre. Dies ergebe sich schon aufgrund der breiteren zur Verfügung stehenden Grundfläche und bedürfe keiner weiteren Erläuterung.

II.

14

1. Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen den Planfeststellungsbeschluss, das Urteil des Verwaltungsgerichts und die Nichtzulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht. Sie rügen eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 und Art. 14 Abs. 1 GG und machen unter anderem geltend, der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verletze ihr Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, weil er die Anforderungen an die Darlegung der verschiedenen Zulassungsgründe überspanne.

15

Hinsichtlich des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hätten sie aufgezeigt, dass sich eine erhebliche Tatsachenfeststellung des erstinstanzlichen Urteils schlüssig in Frage stellen lasse. Das Verwaltungsgericht gehe in seinem Urteil davon aus, dass das in ihrem Eigentum stehende Flurstück Y nicht auf Dauer, sondern lediglich für die Bauzeit in geringem Umfang beeinträchtigt werde. Mit der Feststellung dieser Tatsache gehe das Verwaltungsgericht außerdem davon aus, dass eine erhebliche Beeinträchtigung des sich dort befindenden FFH-Gebiets nicht zu erwarten sei. Sie hätten dargelegt, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts 3.100 qm des Flurstücks Y dauerhaft in Anspruch genommen werden sollten. Insoweit stimmten die Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht mit dem angegriffenen Planfeststellungsbeschluss überein.

16

Diese Fehleinschätzung sei für das Urteil des Verwaltungsgerichts auch erheblich, denn sie betreffe die Art und Weise sowie den Umfang der Inanspruchnahme ihres Grundeigentums, darüber hinaus aber auch die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren von ihnen rügefähige Frage der Vereinbarkeit des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses mit (europäischem) Naturschutzrecht. Erheblich sei sie auch insofern, als das Verwaltungsgericht auf die Feststellung seine Überprüfung der dem angegriffenen Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden Abwägung stütze und hiernach in dem Urteil zu dem Schluss komme, die Beklagte habe ihre Belange hinreichend berücksichtigt.

17

Die Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung des Verwaltungsgerichts habe das Oberverwaltungsgericht im Grunde zwar auch erkannt, die "irrige" Annahme des Verwaltungsgerichts zu der Inanspruchnahme des Flurstücks Y jedoch als für die Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen Urteils unbedeutend angesehen. Die angebliche Ergebnisrichtigkeit des Urteils begründe das Oberverwaltungsgericht damit, dass die Planfeststellungsbehörde die Inanspruchnahme des Flurstücks Y ordnungsgemäß in die Abwägung eingestellt habe. Mit dieser Würdigung greife das Oberverwaltungsgericht aber dem eigentlichen Berufungsverfahren vor. Unabhängig davon seien erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts dargetan, wenn sich aus dem Vorbringen ergebe, dass das Urteil auf der fehlerhaften Annahme von in Anspruch genommenen Flächen fuße, denn es sei Aufgabe des Verwaltungsgerichts zu prüfen, ob die Belange tatsächlich ordnungsgemäß in die Abwägung eingestellt worden seien.

18

2. Die Niedersächsische Landesregierung sowie der Beklagte und der im Ausgangsverfahren beigeladene Deichverband hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten der Ausgangsverfahren sind beigezogen.

B.

19

Die Verfassungsbeschwerde hat hinsichtlich des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Erfolg.

I.

20

Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts richtet, ist sie zulässig (1.) und begründet (2.). Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Er ist aufzuheben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).

21

1. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass die Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts keine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO erhoben haben. Dies war weder zur Erschöpfung des Rechtswegs (a) noch wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (b) geboten.

22

a) aa) Wird mit der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend gemacht, so gehört eine Anhörungsrüge an das Fachgericht zu dem Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG im Regelfall abhängig ist (vgl. BVerfGE 122, 190 <198>; 126, 1 <17>). Erheben Beschwerdeführer in einem solchen Fall keine Anhörungsrüge, obwohl sie statthaft und nicht offensichtlich aussichtslos wäre, hat das zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig ist, sofern die damit gerügten Grundrechtsverletzungen denselben Streitgegenstand betreffen wie der geltend gemachte Gehörsverstoß(vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05 -, juris Rn. 10).

23

Wird die Rüge einer Gehörsverletzung hingegen weder ausdrücklich noch der Sache nach zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde gemacht oder wird die zunächst wirksam im Verfassungsbeschwerdeverfahren erhobene Rüge einer Gehörsverletzung wieder zurückgenommen (vgl. BVerfGE 126, 1 <17>), hängt die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Rechtswegerschöpfung nicht von der vorherigen Durchführung eines fachgerichtlichen Anhörungsrügeverfahrens ab. Wurde ein Anhörungsrügeverfahren vor dem letztinstanzlichen Fachgericht durchgeführt, mit der Verfassungsbeschwerde aber kein Gehörsverstoß gerügt - etwa weil sich die Beschwerdeführer insoweit von den Gründen des die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschlusses haben überzeugen lassen -, zählt dieses Anhörungsrügeverfahren, wenn es nicht offensichtlich aussichtslos war, gleichwohl zum Rechtsweg und wirkt damit fristbestimmend für die Verfassungsbeschwerde.

24

bb) Die Beschwerdeführer machen mit ihrer Verfassungsbeschwerde weder ausdrücklich noch der Sache nach eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs geltend.

25

Die Begründung der Verfassungsbeschwerde enthält allerdings Ausführungen, die - isoliert betrachtet - als Rügen einer Gehörsverletzung gedeutet werden könnten. So beanstanden die Beschwerdeführer unter anderem, dass das Oberverwaltungsgericht auf die von ihnen gerügte Beeinträchtigung eines FFH-Gebiets gar nicht eingegangen sei und auch den Einwand unberücksichtigt gelassen habe, dass nach langem Vorlauf im Planungsverfahren unvermittelt eine Planänderung stattgefunden habe. Dieses Vorbringen kann bei sachdienlicher Auslegung nicht als Rüge einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG verstanden werden. Es dient im Zusammenhang der Verfassungsbeschwerde eindeutig dem Ziel zu begründen, dass das Oberverwaltungsgericht unter Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG den Berufungszulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils sowie den der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache verkannt habe. Dass die Beschwerdeführer ungeachtet dessen mit diesen Ausführungen gleichwohl der Sache nach einen Gehörsverstoß rügen wollen, kann nach dem Grundsatz wohlwollender Auslegung prozessualer Anträge im Sinne des erkennbaren Rechtsschutzanliegens auch deshalb nicht angenommen werden, weil ihrem Vorbringen ansonsten ein Verständnis unterlegt würde, das mangels Erhebung einer Anhörungsrüge zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde führen würde.

26

b) Die Erhebung der Anhörungsrüge nach § 152a VwGO war hier auch nicht mit Rücksicht auf den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde geboten.

27

aa) Dieser in § 90 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz verlangt, dass Beschwerdeführer alle nach Lage der Dinge zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung schon im fachgerichtlichen Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>; 112, 50 <60>). Das kann auch bedeuten, dass Beschwerdeführer zur Wahrung des Subsidiaritätsgebots gehalten sind, im fachgerichtlichen Verfahren eine Gehörsverletzung mit den gegebenen Rechtsbehelfen, insbesondere mit einer Anhörungsrüge, selbst dann anzugreifen, wenn sie im Rahmen der ihnen insoweit zustehenden Dispositionsfreiheit mit der Verfassungsbeschwerde zwar keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG rügen wollen (vgl. BVerfGE 126, 1 <17>), durch den fachgerichtlichen Rechtsbehelf aber die Möglichkeit wahren, dass bei Erfolg der Gehörsverletzungsrüge in den vor den Fachgerichten gegebenenfalls erneut durchzuführenden Verfahrensschritten auch andere Grundrechtsverletzungen, durch die sie sich beschwert fühlen, beseitigt werden (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05 -, juris Rn. 10). Denn die Dispositionsfreiheit der Beschwerdeführer enthebt sie nicht ohne Weiteres der Beachtung des Subsidiaritätsgebotes; als Voraussetzung der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde ist dieses der Verfügungsmacht der Beschwerdeführer entzogen.

28

Die Verweisung auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde steht allerdings unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit einer anderweitigen prozessualen Möglichkeit zur Abhilfe (stRspr, vgl. nur BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 11. Juli 2012 - 1 BvR 3142/07,1 BvR 1569/08 -, NJW 2012, S. 3081 <3082 [Tz. 45]>). Zur Vermeidung der Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde, bei der sie sich nicht auf eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG berufen, müssen Beschwerdeführer daher aus Gründen der Subsidiarität eine Anhörungsrüge oder den sonst gegen eine Gehörsverletzung gegebenen Rechtsbehelf nur dann ergreifen, wenn den Umständen nach ein Gehörsverstoß durch die Fachgerichte nahe liegt und zu erwarten wäre, dass vernünftige Verfahrensbeteiligte mit Rücksicht auf die geltend gemachte Beschwer bereits im gerichtlichen Verfahren einen entsprechenden Rechtsbehelf ergreifen würden.

29

Das Subsidiaritätsgebot greift danach in den hier in Rede stehenden Fällen insbesondere dann, wenn auf der Hand liegt, dass mit dem Beschwerdevorbringen der Sache nach ein Gehörsverstoß gerügt wird, die Beschwerdeführer aber ersichtlich mit Rücksicht darauf, dass kein Anhörungsrügeverfahren durchgeführt wurde, ausschließlich die Verletzung eines anderen Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts geltend machen, das durch ein solches Vorgehen des Gerichts gleichfalls verletzt sein kann (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juli 2011 - 1 BvR 1468/11 -, juris).

30

Die Möglichkeit, über eine erfolgreiche Anhörungsrüge die Beseitigung anderweitiger Grundrechtsverletzungen zu erreichen, besteht im Übrigen von vornherein nur in dem Umfang, als diese denselben Streitgegenstand betreffen wie die geltend gemachte Gehörsverletzung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05 -, juris Rn. 10). Nur insoweit kann aus dem Subsidiaritätsgrundsatz die Obliegenheit der Erhebung einer Anhörungsrüge auch für den Fall abgeleitet werden, dass mit der Verfassungsbeschwerde kein Gehörsverstoß gerügt wird.

31

bb) Gemessen hieran verletzt es nicht den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, dass die Beschwerdeführer es unterlassen haben, eine Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts über die Ablehnung der Zulassung der Berufung zu erheben.

32

Soweit die Beschwerdeführer beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht auf die von ihnen gerügte Beeinträchtigung des FFH-Gebiets gar nicht eingegangen sei und auch den Einwand unberücksichtigt gelassen habe, dass nach langem Vorlauf im Planungsverfahren unvermittelt eine Planänderung stattgefunden habe, ist schon zweifelhaft, ob dieser Vortrag, selbst wenn er in der Sache zuträfe, überhaupt geeignet ist, eine Gehörsverletzung zu begründen. Wird bestimmter Vortrag in einer gerichtlichen Entscheidung nicht erwähnt, lässt dies nämlich nur unter besonderen Umständen den Rückschluss auf die Nichtberücksichtigung entscheidungserheblichen Vorbringens zu (vgl. BVerfGE 96, 205 <216 f.>). Das hier in Frage stehende, für die Geltendmachung einer Gehörsverletzung eher unspezifische Vorbringen der Beschwerdeführer ist zudem eindeutig und sinnvoll in die Rüge einer Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG eingebunden, die sich gegen die Verneinung des Berufungszulassungsgrunds der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils sowie der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache richtet. Es gibt insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführer damit lediglich eine Versäumung der Anhörungsrüge umgehen wollten. Sie müssen sich daher nicht entgegenhalten lassen, dass die Erhebung einer Anhörungsrüge nahe gelegen hätte und zu erwarten gewesen wäre, dass ein vernünftiger Verfahrensbeteiligter eine Anhörungsrüge erhoben hätte.

33

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht wird der verfassungsrechtlichen Verbürgung effektiven Rechtsschutzes nicht gerecht.

34

a) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet keinen Anspruch auf die Errichtung eines bestimmten Instanzenzuges (vgl. BVerfGE 104, 220 <231>; 125, 104 <136>; stRspr). Hat der Gesetzgeber jedoch mehrere Instanzen geschaffen, darf der Zugang zu ihnen nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 104, 220 <232>; 125, 104 <137>; stRspr). Das Gleiche gilt, wenn das Prozessrecht - wie hier die §§ 124, 124a VwGO - den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Aus diesem Grunde dürfen die Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe nicht derart erschwert werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können und die Möglichkeit, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, für den Rechtsmittelführer leerläuft. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, sondern in entsprechender Weise für die Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO selbst (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist eine Auslegung und Anwendung des § 124 Abs. 2 VwGO danach dann, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2009, S. 3642).

35

b) Das Oberverwaltungsgericht hat durch seine Handhabung des Zulassungsgrundes nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO den Zugang zur Berufungsinstanz in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verengt und dadurch das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt.

36

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind immer schon dann begründet, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfGE 125, 104 <140>). Dies ist den Beschwerdeführern gelungen. Sie haben aufgezeigt, dass das Verwaltungsgericht in einem für ihr Grundeigentum und damit für die Entscheidung wesentlichen Punkt von falschen Annahmen über die Festsetzungen im Planfeststellungsbeschluss ausgegangen ist. Das Oberverwaltungsgericht hat mit einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Begründung gleichwohl die Berufung nicht zugelassen.

37

Das Urteil des Verwaltungsgerichts geht von der Annahme aus, das im Eigentum der Beschwerdeführer stehende Flurstück Y werde durch die mit dem Planfeststellungsbeschluss zugelassene Maßnahme nicht auf Dauer beeinträchtigt; vielmehr werde lediglich während der Bauzeit ein Streifen dieses Flurstücks in Anspruch genommen.

38

Die Beschwerdeführer haben in der Begründung ihres Zulassungsantrags geltend gemacht, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass bereits im Änderungsantrag vom 7. Juli 2008 ausdrücklich von der Notwendigkeit der dauerhaften Inanspruchnahme von 3.100 qm des Flurstücks Y die Rede sei. Dementsprechend sei auch die Festsetzung im Planfeststellungsbeschluss erfolgt. Der Planfeststellungsbeschluss enthalte keine gerechte Abwägung ihrer Belange.

39

Das Oberverwaltungsgericht hat erkannt, dass das Verwaltungsgericht "offensichtlich irrig" von einer nur vorübergehenden Inanspruchnahme des Flurstücks Y nur für die Dauer der Bauzeit im Umfang eines Arbeitsstreifens ausgegangen ist. Dennoch hat es sich nicht dazu veranlasst gesehen, die Berufung aufgrund einer unzutreffenden Annahme der tatsächlichen Betroffenheit der Beschwerdeführer zuzulassen. Es hat vielmehr im Berufungszulassungsverfahren eine eigene Prüfung der fachplanerischen Abwägungsentscheidung vorgenommen und dabei das Urteil des Verwaltungsgerichts im Ergebnis für richtig befunden. Damit hat es in verfassungswidriger Weise Teile der dem Berufungsverfahren vorbehaltenen Sachprüfung in das Berufungszulassungsverfahren vorverlagert.

40

Zwar begegnet es keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Berufungsgericht bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils auf ernstliche Zweifel an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auf andere rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte abstellt als das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils und wenn es - soweit rechtliches Gehör gewährt ist - die Zulassung der Berufung deshalb ablehnt, weil sich das Urteil aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist. Es widerspricht jedoch sowohl dem Sinn und Zweck des dem Berufungsverfahren vorgeschalteten Zulassungsverfahrens als auch der Systematik der in § 124 Abs. 2 VwGO geregelten Zulassungsgründe und kann den Zugang zur Berufung in sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise einschränken, wenn das Berufungsgericht auf andere entscheidungstragende Gründe abstellt als das Verwaltungsgericht, die nicht ohne Weiteres auf der Hand liegen und deren Heranziehung deshalb über den mit Blick auf den eingeschränkten Zweck des Zulassungsverfahrens von ihm vernünftigerweise zu leistenden Prüfungsumfang hinausgeht (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 542 <543>).

41

Das Oberverwaltungsgericht hat die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Kontrolle der fachplanerischen Abwägungsentscheidung in einem für die Beschwerdeführer entscheidenden Punkt durch eine eigene Kontrolle ersetzt. Ob das Deichbauvorhaben die Eigentumsrechte der Beschwerdeführer gemessen an den damit verfolgten Zielen und den in Frage kommenden Vorhabenalternativen - hier insbesondere der von den Beschwerdeführern statt des Deichneubaus verlangten Ertüchtigung der Hochwasserschutzwand - unverhältnismäßig beeinträchtigt, hängt unter anderem maßgeblich von der mit den festgestellten Maßnahmen einhergehenden Eigentumsbelastung für die Beschwerdeführer ab. Dass es insofern für die Abwägungsentscheidung von erheblichem Gewicht ist, ob das Flurstück Y nur vorübergehend während der Bauzeit als Arbeitsstreifen oder dauerhaft in dem doch beträchtlichen Umfang von 3.100 qm in Anspruch genommen wird, liegt auf der Hand. Es war dem Oberverwaltungsgericht bei Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes verwehrt, im Berufungszulassungsverfahren, das insbesondere mangels eines förmlichen Beweisaufnahmeverfahrens den Beteiligten von vornherein weniger Einwirkungsmöglichkeiten auf die Tatsachenfeststellung einräumt als das Hauptsacheverfahren, diese Frage der Abgewogenheit des Planfeststellungsbeschlusses abweichend vom Verwaltungsgericht in der Sache zu entscheiden.

42

Da das Oberverwaltungsgericht die Zulassung der Berufung nicht ohne Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ablehnen konnte, beruht die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts auf diesem Verfassungsverstoß. Ob die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts darüber hinaus auch Art. 14 Abs. 1 GG verletzt, kann dahinstehen.

II.

43

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts und den Planfeststellungsbeschluss des beklagten Landesbetriebs wendet, bedarf es keiner Entscheidung. Durch die Aufhebung der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ist der Rechtsweg vor den Fachgerichten wieder eröffnet und dadurch eine erneute fachgerichtliche Aufarbeitung des Ausgangsfalls möglich (vgl. BVerfGE 129, 1 <37>).

C.

44

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

45

Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung

1.
von Bundesrecht oder
2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
beruht.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 376 588,94 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Klägerin betreibt seit September 2006 die Arcus Klinik Pforzheim, die mit 30 Betten der Fachrichtungen Unfallchirurgie und Orthopädie in den Krankenhausplan des beklagten Landes aufgenommen ist. Im Dezember 2006 beantragte die Klägerin die Einbeziehung der Klinik in die Investitionsförderung nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und dem Landeskrankenhausgesetz (LKHG). Hinsichtlich der Pauschalförderung für die Wiederbeschaffung kurzfristiger Anlagegüter und den sog. kleinen Bauaufwand (§ 15 und § 16 LKHG) machte sie geltend, dass ihr wegen des hohen Leistungs- und Ausstattungsniveaus des Krankenhauses eine über die Regelförderung hinausgehende Ausnahmepauschalförderung zustehe. Mit Bescheid vom 21. September 2009 setzte das Regierungspräsidium Karlsruhe die Pauschalförderung für die Arcus Klinik für die Jahre 2006 bis einschließlich 2009 auf insgesamt 199 725,78 € fest. Mit der dagegen erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst die Bewilligung einer höheren Regel-Pauschalförderung verfolgt. Nachdem der Beklagte mitgeteilt hatte, dass durch den Bescheid vom 21. September 2009 inzident die begehrte Aufstockung der Jahrespauschale wegen eines wesentlich abweichenden Bedarfs (§ 16 Abs. 2 LKHG) abgelehnt worden sei, hat die Klägerin die Klage entsprechend erweitert. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat sie beantragt, den Beklagten zu verpflichten, ihr für die Zeit vom 25. September 2006 bis 31. Dezember 2009 eine Pauschalförderung in Höhe von jährlich 1 437 368 € zu bewilligen, hilfsweise die für die Jahre 2006 bis 2009 bewilligten Grund- und Fallmengenpauschalen um im einzelnen bezifferte Beträge zu erhöhen, und den Bescheid vom 21. September 2009 aufzuheben, soweit er dem Begehren entgegensteht. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, dass der Beklagte mittlerweile Erstausstattungskosten in Höhe von 4 499 103 € als förderfähig anerkannt habe; bei Annahme einer Nutzungsdauer der kurzfristigen Anlagegüter von 10 Jahren errechne sich ein jährlicher Wiederbeschaffungsbedarf von 449 910 €; hinzukomme ein Förderbedarf für kleine bauliche Maßnahmen von jährlich 60 000 €. Ausgehend davon hat die Klägerin den Hauptantrag dahingehend geändert, den Beklagten zu verpflichten, ab dem 25. September 2006 eine Pauschalförderung nach § 16 Abs. 2 LKHG von jährlich 509 910 € abzüglich des bereits bewilligten Betrages von 199 725,78 € zu gewähren. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 19. Dezember 2012 das Verfahren abgetrennt, soweit die Klägerin Pauschalförderung nach § 16 Abs. 2 LKHG über den 31. Dezember 2009 hinaus begehrt. Des Weiteren hat er das Verfahren eingestellt und das erstinstanzliche Urteil für wirkungslos erklärt, soweit die Klage hinsichtlich des Hauptantrages zurückgenommen wurde. Im Übrigen hat er das erstinstanzliche Urteil teilweise geändert und den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des angefochtenen Bescheides verpflichtet, über die gewährte Pauschalförderung hinaus insgesamt weitere 89 391,28 € zu bewilligen. Die weitergehende Berufung der Klägerin hat er zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es unter anderem: Der Berufungsantrag beschränke sich nicht auf den Zeitraum bis 31. Dezember 2009 und gehe damit über den erstinstanzlichen Streitgegenstand hinaus. Die Abtrennung des Verfahrens sei angezeigt gewesen, weil für die Jahre 2010, 2011 und 2012 weitere Klagen der Klägerin wegen Pauschalförderung nach § 15 und § 16 LKHG beim Verwaltungsgericht anhängig seien. Der mit dem Hauptantrag verfolgte Anspruch auf eine besondere Festsetzung der Pauschalförderung nach § 16 Abs. 2 LKHG sei unbegründet. Es widerspreche dem Wesen der Pauschalierung, den Förderbedarf am konkreten Anschaffungs- und Wiederbeschaffungswert der Erstausstattung auszurichten. Unabhängig davon lägen auch die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Erhöhung der Regelförderung nicht vor. Es sei weder von der Klägerin hinreichend dargetan noch sonst ersichtlich, dass ein abweichender Pauschalbetrag im Sinne des § 16 Abs. 2 LKHG zum Erhalt der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses notwendig sei.

2

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil bleibt ohne Erfolg. Weder weist die Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung auf (1.), noch liegt einer der gerügten Verfahrensmängel vor (2.).

3

1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

4

a) Mit der Frage,

„ob die in § 9 Abs. 3 KHG verankerte Investitionsförderung durch feste jährliche Pauschalbeträge, mit denen das Krankenhaus frei wirtschaften kann, und das Grundprinzip des KHG eines 'eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhauses' (§ 1 KHG) es zulassen, eine die Regelpauschalförderung übersteigende Ausnahmepauschalförderung davon abhängig zu machen, dass sonst die Leistungsfähigkeit des Krankenhauses konkret gefährdet wäre",

zeigt die Klägerin keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung auf § 16 Abs. 2 des Landeskrankenhausgesetzes Baden-Württemberg gestützt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Klägerin die begehrte Ausnahmepauschalförderung hiernach nicht zusteht. Die Anwendung des § 16 Abs. 2 LKHG betrifft irrevisibles Landesrecht, dessen Nachprüfung dem Revisionsgericht entzogen ist (§ 137 Abs. 1 VwGO). Die von der Beschwerde gerügte Nichtbeachtung revisiblen Rechts bei der Anwendung der Landesnorm durch das Berufungsgericht kann die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO allenfalls dann rechtfertigen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - revisiblen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (stRspr; z.B. Beschlüsse vom 9. Juni 2008 - BVerwG 3 B 56.08 - juris Rn. 2 und vom 20. September 1995 - BVerwG 6 B 11.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 6 , jeweils m.w.N.). Das legt die Beschwerde nicht dar.

5

Nach der Zielvorgabe des § 9 Abs. 5 KHG sind die Fördermittel so zu bemessen, dass sie die förderungsfähigen und unter Beachtung betriebswirtschaftlicher Grundsätze notwendigen Investitionskosten decken. Das gilt unabhängig vom Förderweg, also auch für die Förderung der Wiederbeschaffung kurzfristiger Anlagegüter sowie kleiner baulicher Maßnahmen durch jährliche Pauschalbeträge im Sinne von § 9 Abs. 3 KHG. Nach der Rechtsprechung des Senats bedeutet das nicht, dass jegliche Investitionskosten vollständig aus öffentlichen Mitteln gedeckt werden müssen. § 9 Abs. 5 KHG verlangt nur, Träger von Plankrankenhäusern in die Lage zu versetzen, eine vollständige Deckung ihrer notwendigen Investitionskosten herbeizuführen. Wie dieses Ziel erreicht wird, obliegt nach § 9 Abs. 5 KHG („nach Maßgabe... des Landesrechts") und § 11 Satz 1 KHG der landesrechtlichen Ausgestaltung (Urteil vom 30. August 2012 - BVerwG 3 C 17.11 - BVerwGE 144, 109 = Buchholz 451.74 § 9 KHG Nr. 10, jeweils Rn. 22, 28). Geklärt ist in Bezug auf den durch § 9 Abs. 5 KHG vorgegebenen Kostendeckungsumfang auch, dass die Fördermittel so bemessen sein müssen, dass die Leistungsfähigkeit des Krankenhauses (vgl. dazu Beschluss vom 12. Februar 2007 - BVerwG 3 B 77.06 - juris Rn. 5; Urteile vom 26. August 1993 - BVerwG 3 C 70.90 - Buchholz 451.74 § 1 KHG Nr. 9 S. 5 = juris Rn. 16 m.w.N. und vom 14. November 1985 - BVerwG 3 C 41.84 - Buchholz 451.74 § 8 KHG Nr. 8 S. 83 = juris Rn. 63) nicht in Frage gestellt wird. Der Landesgesetzgeber ist gehalten, die Pauschalen nach § 9 Abs. 3 KHG so auskömmlich festzulegen, dass es nicht zu einer die Leistungsfähigkeit schädigenden Unterfinanzierung notwendiger Investitionen kommt. Gegebenenfalls ist eine im Einzelfall gleichwohl eintretende Gefährdung mithilfe zusätzlicher Fördermittel abzufangen (Urteil vom 30. August 2012 a.a.O. Rn. 30, 42). Von diesen Maßgaben ist auch das Berufungsgericht ausgegangen (Urteilsabdruck S. 13 f.). Weitergehender allgemeiner Klärungsbedarf in Bezug auf § 9 Abs. 3 und Abs. 5 KHG ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen. Ob die jährlichen Pauschalbeträge ausreichend im Sinne des § 9 Abs. 5 KHG sind, beurteilt sich unter Berücksichtigung aller dafür maßgeblichen Umstände des Einzelfalls. Dabei liegt auf der Hand, dass es für die Feststellung einer Gefährdung der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses konkreter, belastbarer Anhaltspunkte bedarf. Es ist daher aus Sicht des Bundesrechts nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht für das Vorliegen eines abweichenden Bedarfs im Sinne von § 16 Abs. 2 LKHG darauf abgestellt hat, ob die Leistungsfähigkeit des Krankenhauses der Klägerin ohne eine erhöhte Pauschalförderung konkret gefährdet wäre.

6

b) Die weitere von der Klägerin als klärungsbedürftig angesehene Frage,

ob es mit Bundesrecht, insbesondere §§ 1, 4, 9 Abs. 3 und 5 KHG, vereinbar ist, eine Ausnahmepauschalförderung von einer wirtschaftlichen Notlage des Krankenhausträgers abhängig zu machen, durch die die Leistungsfähigkeit des Krankenhauses konkret gefährdet wäre,

rechtfertigt ebenfalls keine Revisionszulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Auch insoweit beschränkt sich das Beschwerdevorbringen auf die Rüge, das Berufungsgericht habe bei der Anwendung des Landesrechts Bundesrecht verletzt, ohne gleichzeitig herauszuarbeiten, dass die angeführten bundesrechtlichen Normen ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen.

7

Abgesehen davon erfasst die Fragestellung die Ausführungen des Berufungsgerichts nur unvollständig. Nach dessen Rechtsauffassung verlangt die Gewährung einer abweichenden Förderpauschale nach § 16 Abs. 2 LKHG, dass die Beschränkung auf die Regel-Pauschalförderung nach § 15 Abs. 1 LKHG i.V.m. der Pauschalförderverordnung zu einer Gefährdung der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses führt. Diese Voraussetzung hat der Verwaltungsgerichtshof verneint, weil die Klägerin nicht belegt habe, dass zum Erhalt der Leistungsfähigkeit ihres Krankenhauses eine wesentlich erhöhte Pauschale erforderlich sei. Sie habe in keiner Weise plausibel gemacht, dass die bewilligte Regelförderung ihrer Höhe nach die Leistungsfähigkeit notwendigerweise beeinträchtigen oder sogar zu einer wirtschaftlichen Notlage führen würde. Das Berufungsgericht geht erkennbar davon aus, dass die allgemeine Förderpauschale nach § 15 Abs. 1 LKHG i.V.m. der Pauschalförderverordnung regelmäßig eine auskömmliche Finanzierung im Sinne des § 9 Abs. 5 KHG sicherstellt. Dementsprechend kommt § 16 Abs. 2 LKHG in der Auslegung durch das Berufungsgericht nur in Ausnahmefällen zur Anwendung, wenn nämlich besondere Umstände vorliegen, die abweichend vom Regelfall eine die Leistungsfähigkeit des Krankenhauses beeinträchtigende Unterfinanzierung notwendiger Investitionen erwarten lassen. Der Frage, unter welchen Voraussetzungen solche besonderen Umstände anzunehmen sind, musste der Verwaltungsgerichtshof nicht abschließend nachgehen, weil er im Fall der Klägerin schon im Ansatz keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Leistungsfähigkeit gesehen hat. Ein grundsätzlicher, über den Einzelfall hinausgehender Klärungsbedarf ergibt sich hieraus nicht.

8

c) Aus denselben Gründen fehlt es an den Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, soweit die Klägerin eine Unvereinbarkeit des angegriffenen Urteils mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG rügt und eine verfassungskonforme Auslegung des § 16 Abs. 2 LKHG anmahnt (S. 22 ff. der Beschwerdeschrift).

9

d) Auch die weiteren Fragen,

„ob die notwendige Höhe einer Jahrespauschale von dem jeweiligen konkreten Jahresinvestitionsaufwand abhängig gemacht werden kann" und

„ob nicht aus dem Wesen der Pauschalförderung des § 9 Abs. 3 KHG abzuleiten ist, dass bei einer beantragten Ausnahmepauschalförderung der künftige Förderbedarf für die Wiederbeschaffung kurzfristiger Anlagegüter aus dem notwendigen und bisher einzelgeförderten Anlagengüterbestand pauschal abzuleiten ist",

führen nicht auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Klägerin meint, das Wesen der Pauschalförderung schließe es aus, im Rahmen einer beantragten Ausnahmepauschalförderung jährlich darzulegen und zu prüfen, ob die in dem Jahr vorgesehene Wiederbeschaffung kurzfristiger Anlagegüter notwendig sei und ob Beschaffungen wegen unzureichender Regelförderung unterbleiben müssten. Daraus leitet sie ab, dass das Berufungsgericht ihre Pauschalmethode zur Bemessung des jährlichen Wiederbeschaffungsbedarfs nicht hätte ablehnen dürfen. Damit zeigt die Beschwerde aber schon deshalb keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf, weil das Berufungsgericht die Unbegründetheit des Klageanspruchs nicht allein darauf gestützt hat, dass die Berechnungsmethode der Klägerin in Widerspruch zum Wesen der Pauschalförderung stehe, sondern zusätzlich selbstständig tragend („unabhängig davon" - S. 16 unten des Urteilsabdrucks) darauf abstellt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für eine erhöhte Pauschalförderung nach § 16 Abs. 2 LKHG nicht erfüllt sind. Bei einer solchen Mehrfachbegründung kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder der Begründungen ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr; vgl. Beschluss vom 27. Januar 2014 - BVerwG 3 B 24.13 - ZOV 2014, 56 = juris Rn. 3 m.w.N.). Gegen die Erwägungen des Berufungsgerichts zum Fehlen der Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 LKHG hat die Klägerin jedoch, wie gezeigt, keine durchgreifende Zulassungsrüge erhoben. Soweit sie beanstandet, der Verwaltungsgerichtshof habe in diesem Zusammenhang den Nachweis konkreter Beschaffungen verlangt, die wegen einer zu geringen Regelpauschalförderung unterbleiben müssten, lässt sich das dem Berufungsurteil so nicht entnehmen (vgl. Urteilsabdruck S. 17 ff.).

10

2. Es liegt auch kein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

11

a) Ohne Erfolg beanstandet die Klägerin, die Voraussetzungen des § 93 Satz 2 VwGO für eine Verfahrenstrennung hätten nicht vorgelegen. Entscheidungen über die Trennung (oder Verbindung) von Verfahren sind nach § 146 Abs. 2 VwGO mit der Folge unanfechtbar, dass sie nicht der Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegen (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO; vgl. Beschlüsse vom 31. Januar 2011 - BVerwG 8 B 32.10 - juris Rn. 19 und vom 6. Dezember 2007 - BVerwG 9 B 53.07 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 43 Rn. 4 m.w.N.). Die Rüge der unrichtigen Anwendung des § 93 Satz 2 VwGO kann allenfalls dann einen Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO begründen, wenn sie einen Mangel betrifft, der als Folge der beanstandeten Abtrennung dem angefochtenen Urteil selbst anhaftet (stRspr; Beschluss vom 31. Januar 2011 a.a.O. m.w.N.). Die Klägerin macht geltend, das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass das mit dem Hauptantrag verfolgte Begehren mehrere Ansprüche umfasse; es handele sich vielmehr um einen einheitlichen Anspruch, der sich lediglich auf einzelne Jahrespauschalen verteile. Damit zeigt sie keinen Mangel auf, der dem Berufungsurteil selbst anhaftet. Richtig ist zwar, dass die Anordnung der Verfahrenstrennung unzulässig wäre, wenn sich das auf die Pauschalförderung nach § 16 Abs. 2 LKHG gerichtete Klagebegehren als einheitlicher Streitgegenstand erwiese (vgl. Urteil vom 17. Februar 1972 - BVerwG 8 C 84.70 - BVerwGE 39, 319 <321 ff.>). So liegt der Fall hier aber nicht. Die Annahme des Berufungsgerichts, bei der für den Zeitraum vom 25. September 2006 bis 31. Dezember 2009 begehrten Pauschalförderung und der ab dem 1. Januar 2010 beanspruchten Förderung handele es sich um verschiedene Ansprüche im Sinne des § 93 Satz 2 VwGO, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen, dass der im Berufungsverfahren gestellte Klageantrag über den erstinstanzlichen Streitgegenstand hinausgeht. Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 3. Mai 2010 (Bl. 171 f. der Gerichtsakte) ergibt sich, dass der auf die erhöhte Pauschalförderung nach § 16 Abs. 2 LKHG bezogene Hauptantrag auf den Zeitraum vom 25. September 2006 bis 31. Dezember 2009 beschränkt war. Dass das Protokoll insoweit unrichtig wäre, hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Danach stellt sich die im Berufungsverfahren vorgenommene zeitliche Ausdehnung des Anspruchs über den 31. Dezember 2009 hinaus als Klageänderung (§ 91 VwGO) dar, weil die Klägerin ein weiteres, zusätzliches Begehren in die Klage einbezogen hat. Ihr Einwand, die zeitlich unbegrenzt begehrte Ausnahmepauschalförderung sei rechtlich als einheitlicher Anspruch zu behandeln, greift nicht durch. Dem angefochtenen Urteil liegt erkennbar die Rechtsauffassung zugrunde, dass sich die Gewährung der Pauschalförderung nach § 15 und § 16 LKHG in Jahrespauschalen vollzieht. Der Förderbedarf ist jährlich zu berechnen und zu bewilligen (vgl. § 15 Abs. 1 und Abs. 5 LKHG). Die Auslegung des Landesrechts durch den Verwaltungsgerichtshof ist für den Senat bindend (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO).

12

b) Ohne Erfolg bleibt daher auch die Rüge eines Verstoßes gegen § 88 VwGO. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Umfang des Klagebegehrens weder verkannt noch einen Teil des Begehrens verfahrensfehlerhaft unbeschieden gelassen. Nach der - wie gezeigt - zulässigen Verfahrenstrennung war im verbleibenden Verfahren allein über den Anspruch auf Pauschalförderung nach § 16 Abs. 2 LKHG in Höhe von jährlich 509 910 € für die Jahre 2006 bis 2009 zu entscheiden. Dieses Klagebegehren hat das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil geprüft und vollständig beschieden. Zu Unrecht meint die Klägerin, einen auf die Jahre 2006 bis 2009 beschränkten Klageantrag habe sie nicht gestellt. Der Antrag ist im Klageanspruch auf zeitlich unbefristete jährliche Förderung ab dem 25. September 2006 mitenthalten.

13

c) § 91 VwGO ist ebenfalls nicht verletzt. In der Verfahrenstrennung liegt nicht, wie die Beschwerde sinngemäß vorträgt, ein widersprüchliches Verhalten, weil die Klageänderung im Nachhinein als nicht sachdienlich behandelt worden wäre. Die Zulässigkeit der Klageänderung ist hier unabhängig von ihrer Sachdienlichkeit bereits dadurch gegeben, dass der Beklagte sich auf den erweiterten Klageantrag eingelassen hat (§ 91 Abs. 1 Alt. 1 i.V.m. Abs. 2 VwGO; vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 20. November 2013 - 9 S 2474/12 - S. 6 des Beschlussabdrucks).

14

d) Ein Verfahrensfehler, der dem angefochtenen Urteil anhaftet, ergibt sich auch nicht daraus, dass die Abtrennung des Verfahrens nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung angeordnet worden ist. § 101 Abs. 1 VwGO ist nicht verletzt, weil das Berufungsgericht über den verbliebenen Streitgegenstand aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5. Dezember 2012 entschieden hat. Das anstelle einer Verkündung zugestellte Urteil (§ 116 Abs. 2 VwGO) ist auch rechtzeitig innerhalb der Zwei-Wochen-Frist erlassen worden. Der Urteilstenor einschließlich der Anordnung der Verfahrenstrennung ist am 19. Dezember 2012 der Geschäftsstelle übermittelt worden (Bl. 283 der Gerichtsakte). Soweit die Beschwerde das Prinzip der Mündlichkeit verletzt sieht, weil der Trennungsbeschluss erst nach der mündlichen Verhandlung und aufgrund nachträglich gewonnener Erkenntnis über die weiteren beim Verwaltungsgericht Karlsruhe anhängigen Verfahren ergangen sei, richtet sich die Rüge unmittelbar gegen die Trennungsentscheidung. Damit kann die Zulassung der Revision jedoch, wie bereits dargelegt, nicht begründet werden. Aus denselben Gründen bleibt die Rüge eines Verstoßes gegen § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO ohne Erfolg. Abgesehen davon können Entscheidungen über eine Verbindung oder Trennung von Verfahren ohne mündliche Verhandlung getroffen werden (§ 101 Abs. 3 VwGO).

15

e) Schließlich zeigt die Klägerin keine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) auf, auf der das angefochtene Urteil beruhen kann. Mit der Gehörsrüge wendet sich die Beschwerde ebenfalls unmittelbar gegen die nicht der Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegende Verfahrenstrennung. Soweit sie als Folge der Trennung eine zusätzliche Kostenbelastung beanstandet, betrifft das das abgetrennte Verfahren und nicht das hier angegriffene Berufungsurteil.

16

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG (3 x 509 910 € + 96/360 x 509 910 € - [199 725,78 + 89 391,28 €]).

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 11. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf die Grundsatz- (1.) und die Verfahrensrüge (2.) gestützte Beschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg.

2

1. Seine Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) stützt der Kläger auf zwei Vorbringen, die beide unbegründet sind a) und b).

3

a) Für grundsätzlich klärungsbedürftig in einem Revisionsverfahren hält der Kläger die Frage, ob die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs zutreffe, dass schon das Ansprechen von Personen auf eine mögliche Schwangerschaft oder Schwangerschaftskonfliktsituation im Nahbereich einer anerkannten Konfliktberatungsstelle eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der angesprochenen Person(en) und damit eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstelle.

4

Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer revisionsgerichtlich bislang nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann (Beschluss vom 17. August 2009 - BVerwG 6 B 10.09 - juris Rn. 2). Zielt die Rüge des Beschwerdeführers - wie hier - auf die Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht, vermag dies die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur dann zu begründen, wenn die Auslegung einer - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Die bezeichneten bundesrechtlichen Maßgaben, deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit im Hinblick auf die einschlägigen landesrechtlichen Normen sowie die Entscheidungserheblichkeit ihrer Klärung in dem anhängigen Verfahren sind in der Beschwerdebegründung anzugeben. Es muss hierbei dargelegt werden, dass und inwiefern die jeweils angeführten bundesrechtlichen Maßgaben Rechtsfragen aufwerfen, die sich nicht auf Grund der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten lassen (Beschluss vom 17. August 2009 a.a.O. Rn. 7).

5

Diesen Maßgaben wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie begnügt sich, neben allgemeiner, im Stile einer Berufungsbegründung vorgetragener Kritik an der vorinstanzlichen Entscheidung zur Begründung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Kern mit der Aussage, es gehe "um die Abgrenzung und Abwägung der Sphären des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu anderen Grundrechten (...), nämlich den Rechten auf Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit und allgemeine Handlungsfreiheit und das vom Kläger geschützte Lebensrecht des Kindes, das sich selbst nicht artikulieren kann" (S. 5 Beschwerdebegründung). Mit diesen Ausführungen unterschreitet die Beschwerde die durch § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gestellten Anforderungen, weil sie lediglich den allgemeinen rechtlichen Rahmen beschreiben, innerhalb dessen das durch die Streitsache aufgeworfene Rechtsproblem anzusiedeln ist, nicht aber konkret verdeutlichen, welche seiner Aspekte Fragen hervorrufen, die auf Basis der vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung - hier insbesondere zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht und zum Grundrecht auf Meinungsfreiheit - nicht zu beantworten sind. Auch der Hinweis des Beschwerdeführers, die vom Verwaltungsgerichtshof entschiedene Fallkonstellation sei bisher nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung gewesen, genügt nicht den Maßgaben, die § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO mit den Worten stellt, in der Begründung müsse "die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt" werden (vgl. Eyermann-Kraft, 13. Aufl. 2010, § 133 Rn. 26); andernfalls müsste jeder denkbaren Fallkonstellation, die bislang nicht unmittelbar Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung gewesen ist, rechtsgrundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugesprochen werden.

6

Für den Senat ist der Sache nach auch nicht erkennbar, dass die vorliegende Rechtsprechung - insbesondere des Bundesverfassungsgerichts - zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und zur Reichweite der Meinungsfreiheit lückenhaft in dem Sinne wäre, dass von ihr ausgehend eine Lösung des vorliegenden Falls nicht möglich wäre, ohne hiermit zugleich einen abstrakten Rechtssatz auf einer fallübergreifenden Ebene zu bilden, dessen Bildung bzw. Überprüfung im Interesse der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung einer revisionsgerichtlichen Klärung zugeführt werden sollte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf eine in den Grundzügen vergleichbare Konstellation in seinem Beschluss vom 8. Juni 2010 - 1 BvR 1745/06 - ausgeführt hat, vor dem Hintergrund, dass Art. 5 Abs. 1 GG nicht Tätigkeiten schütze, mit denen anderen eine Meinung aufgedrängt werden solle, erscheine es nicht ausgeschlossen, auf den Gesichtspunkt, dass Patientinnen sich auf dem Weg in eine Arztpraxis durch Protestaktionen gleichsam einem Spießroutenlauf ausgesetzt sehen könnten, ein verfassungsrechtlich tragfähiges Verbot von bestimmten Formen von Protestaktionen zu stützen (juris Rn. 23). Hiermit ist aufgezeigt, dass die grundrechtliche Beurteilung von Konfliktfällen der vorliegenden Art im Wesentlichen davon abhängt, inwieweit auf der einen Seite eine dem Schutz ungeborenen Lebens verpflichtete Gehsteigaktion über eine bloße Meinungskundgabe hinausgeht und letztlich darauf zielt, Adressaten eine Meinung aufzudrängen, und inwiefern auf der anderen Seite die Adressaten eine solche Aktion als einen persönlichen Übergriff verstehen dürfen, der das Aufsuchen einer Arztpraxis oder - wie hier - einer Beratungsstelle einem Spießroutenlauf gleichen lässt. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist tatrichterlich anhand der jeweils maßgeblichen - von Fall zu Fall unterschiedlichen - Einzelumstände zu klären und entzieht sich weiter generalisierender Festlegungen auf einer fallübergreifenden Ebene. Sollte der Verwaltungsgerichtshof in der Anwendung der vorgenannten Maßgaben zu einer rechtlich falschen Würdigung gelangt sein, würde dies der Sache noch keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO verleihen.

7

b) Der Kläger hält außerdem die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob eine Persönlichkeitsrechtsverletzung in der Öffentlichkeit durch Ansprechen auf einen Schwangerschaftskonflikt ein polizeiliches Eingreifen auch ohne einen dahin geäußerten Wunsch dieser Person(en) rechtfertige.

8

Die Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, denn sie ist nur anhand einer Auslegung des Polizeirechts des Landes Baden-Württemberg zu beantworten, das nicht Gegenstand eines solchen Verfahrens sein könnte (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat den vom Kläger gerügten Rechtsstandpunkt entscheidungstragend auch auf die Anwendung von § 1 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. PolG BW gestützt. Auf die Frage, ob die zusätzlich herangezogene Erwägung des Verwaltungsgerichtshofs, das öffentliche Interesse an einem polizeilichen Einschreiten sei auch im Lichte grundrechtlicher Schutzpflichten des Staats zu bejahen, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aufwirft, kommt es demnach nicht an.

9

2. Seine Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) stützt der Kläger auf vier Vorbringen a) bis d), die sämtlich unbegründet sind.

10

a) Eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO) und seines rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 GG) in dem Berufungsurteil sieht der Kläger darin, dass die von ihm benannten Zeuginnen und Zeugen durch den Verwaltungsgerichtshof nicht vernommen worden seien. Das Gericht hätte durch die Vernehmung dieser Personen erfahren, dass der Kläger die Gehsteigberaterinnen für ihre Tätigkeit schule und sie unter anderem darin unterweise, in welcher Weise sie den Kontakt mit Personen, die möglicherweise ein Schwangerschaftskonflikt beschäftige, aufnehmen könnten. Das Gericht hätte dadurch erfahren können, dass die Mitglieder des Klägers angewiesen seien, ihre Tätigkeit unauffällig auszuüben und insbesondere höflich und freundlich den von ihnen angesprochenen Personen gegenüberzutreten.

11

Die Rüge ist unbegründet. Sie benennt die Vernehmung von Zeuginnen und Zeugen für einen hypothetischen Sachverhalt, der nicht streitgegenständlich ist. Das Berufungsgericht hat den Sachverhalt zu Grunde gelegt und darüber auch Beweis erhoben, auf dem die Verbotsverfügung beruht. Darin wird von einer bestimmten Vorgehensweise von Mitarbeiterinnen des Klägers ausgegangen, und dieses hat die Gefahrenabwehr der Beklagten ausgelöst. Daneben ist es unerheblich, ob der Kläger auch in der Lage wäre, stattdessen ein Konzept anzuwenden, mit dem er nicht gegen die öffentliche Sicherheit i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG BW verstoßen würde. Nur dafür jedoch sind von ihm die Zeuginnen und Zeugen benannt worden. Ihre unterbliebene Vernehmung verletzt weder die Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO) noch den klägerischen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 GG).

12

b) Der Kläger sieht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 GG) außerdem dadurch verletzt, dass die Beratung des Urteils durch das Berufungsgericht trotz einer vorangegangenen umfangreichen Beweisaufnahme nur wenige Minuten gedauert haben könne. Hätte es sich dafür mehr Zeit gelassen, wäre es zu dem Ergebnis gekommen, dass es die in der Verhandlung vom Kläger verlangte Gegenüberstellung von Zeugen hätte nachholen müssen.

13

Die Rüge ist unbegründet, weil sie einen unzutreffenden Sachverhalt bei der Urteilsfindung unterstellt. Sie geht davon aus, die mündliche Verhandlung des Berufungsgerichts am 11. Oktober 2012 habe ausweislich des Terminsprotokolls bis 19.30 Uhr gedauert. Kurze Zeit nach Beendigung des Termins habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers beobachtet, wie die beiden beisitzenden Richter das Gerichtsgebäude in Richtung Hauptbahnhof verlassen hätten. Der Vorsitzende des erkennenden Senats habe zuvor erklärt "hier" zu bleiben, was eine anschließende gemeinsame Beratung des Gremiums ausgeschlossen habe. Hinzu komme, dass das 23 Seiten umfassende Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2012 erst am 15. Oktober 2012 geschrieben worden sei und somit nicht am 11. Oktober 2012 für eine Senatsberatung zur Verfügung gestanden haben könne.

14

Die geschilderten Umstände begründen nicht die Unterstellung, dass die Urteilsberatung nur kurze Zeit gedauert haben könne. Das Urteil ist nämlich nicht am 11. Oktober 2012 verkündet, sondern ausweislich der Akten den Beteiligten mit gerichtlicher Verfügung vom 22. Oktober 2012 zugestellt worden. Ausweislich der Empfangsbekenntnisse haben die Beteiligten es jeweils am 26. Oktober 2012 erhalten. Dieser zeitliche Ablauf widerlegt den notwendigen Ausgangspunkt der Rüge, dass dem Gericht nur sehr kurze Zeit für seine Urteilsberatung zur Verfügung gestanden habe. Für die Behauptung des Klägers, das Urteil sei bereits am 11. Oktober 2012 abschließend beraten worden, ergibt sich in der Gerichtsakte kein Beleg. Dass auf dem Vorblatt mit Leitsatz (GA II 337) das Urteil auf den letzten Tag der mündlichen Verhandlung datiert ist, entspricht üblicher Praxis, besagt aber noch nichts über den Abschluss der Beratung.

15

c) Der Kläger rügt weiter einen Verstoß gegen § 65 VwGO durch die Beiladung des pro familia, Ortsverband Freiburg e.V. und eine damit verbundene Verletzung des klägerischen Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 GG). Das erstinstanzliche Gericht habe die Beiladung mit Beschluss vom 6. Juli 2011 unternommen. Voraussetzung für die Beiladung sei aber, dass die rechtlichen Interessen des anderen durch die Entscheidung berührt würden. Das habe das Verwaltungsgericht nicht einmal festgestellt, sondern nur erklärt, die Interessen des Beigeladenen könnten berührt werden, also nicht festgestellt, dass die Interessen des Beigeladenen tatsächlich berührt würden. Gegen die unanfechtbare Entscheidung des Verwaltungsgerichts habe der Kläger mit Schriftsatz vom 30. November 2011 remonstriert und beantragt, die Beiladung wieder aufzuheben. In der Berufungsinstanz habe er erneut beantragt, die Beiladung aufzuheben. Der Verwaltungsgerichtshof habe dies mit begründetem Beschluss vom 8. August 2012 ebenfalls ausdrücklich abgelehnt.

16

Die Rüge ist unbegründet. Die erfolgte Beiladung ist unanfechtbar (§ 65 Abs. 4 Satz 2 VwGO) und daher grundsätzlich der Beurteilung durch das Revisionsgericht entzogen (§ 173 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO). Eine Verfahrensrüge, die im Zusammenhang mit einer unanfechtbaren Vorentscheidung erhoben wird, ist deshalb nur dann zulässig, wenn sie sich nicht unmittelbar gegen die revisionsgerichtlich nicht nachprüfbare Vorentscheidung als solche wendet, sondern einen Mangel betrifft, der als Folge der beanstandeten Vorentscheidung weiterwirkend der angefochtenen Sachentscheidung anhaftet; andernfalls würde der gesetzlich angeordnete Beschwerdeausschluss umgangen und damit die aus prozessökonomischen Gründen vorgesehene Bindungswirkung des § 557 Abs. 2 ZPO missachtet werden können (Beschluss vom 22. Dezember 1997 - BVerwG 8 B 255.97 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 16 S. 12). Einen weiterwirkenden Mangel des angefochtenen Urteils in diesem Sinne zeigt der Kläger in seiner Beschwerdebegründung nicht auf. Er moniert mit dem Umstand, der Beigeladene habe Zeugen befragen können, eine typische prozessuale Begleiterscheinung der Beiladung und wendet sich hiermit lediglich gegen eine ihr unmittelbar anhaftende Konsequenz, deren Rüge ihm nach der Wertung des Gesetzgebers durch den Ausschluss der Anfechtbarkeit der Beiladungsentscheidung aber versagt sein soll. Unabhängig davon kann der Vortrag des Klägers, ohne die prozessualen Beiträge des Beigeladenen wäre der Beklagte nicht in der Lage gewesen, Tatsachen beizubringen, die seine Verfügung stützen, auch deshalb nicht auf einen Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen, weil er den Wertungen des verwaltungsprozessualen Amtsermittlungsprinzips (§ 86 Abs. 1 VwGO) und der darin verbundenen Absage an den zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz zuwiderläuft. Ist die gerichtliche Sachverhaltsermittlung nicht von der Tatsachenbeibringung der Prozessbeteiligten abhängig (§ 86 Abs. 2 Satz 1 VwGO) und auf eine umfassende Erforschung des Streitstoffs von Amts wegen gerichtet, kann die Möglichkeit, dass die Sachverhaltsermittlung einen geringeren Umfang angenommen hätte, wenn ein Beteiligter nicht am Verfahren beteiligt worden wäre, prinzipiell keinen Anlass für rechtliche Beanstandungen bilden. Einen Anspruch Beteiligter auf ein teilweises Unterbleiben der Sachverhaltsermittlung im Prozess vermittelt das Gesetz in keinem Fall.

17

d) Der Kläger rügt außerdem, er habe mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2012 den Antrag gestellt, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Als Begründung habe er angegeben, dass im Termin vom 11. Oktober 2012 mit wenigen Unterbrechungen von jeweils wenigen Minuten eine mehr als neunstündige Beweisaufnahme durchgeführt und zehn Zeugen ausführlich vernommen worden seien. Es sei ein umfangreiches Protokoll diktiert worden, in das die Zeugenaussagen im Wortlaut aufgenommen worden seien. Dem Kläger müsse Gelegenheit gegeben werden, die Beweisaufnahme anhand des Protokolls auszuwerten, zu würdigen und hierzu Stellung zu nehmen. Dies gelte insbesondere bezüglich neu erörterter angeblicher Vorgänge, die vom Beklagten nicht vorgetragen worden seien. Der Kläger sei bisher nur auf die handschriftlichen Notizen seines Prozessbevollmächtigten angewiesen gewesen. Damit sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör nicht gewahrt worden (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 GG). Diese Rüge ist unbegründet, und zwar hinsichtlich des ausdrücklich geltend gemachten Gehörsverstoßes aa), als auch hinsichtlich der unterbliebenen Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bb).

18

aa) Das Verwaltungsgericht hat den Beteiligten entsprechend § 108 Abs. 2 VwGO Gelegenheit gegeben, zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2012. Weder dem Protokoll noch dem Beschwerdevorbringen ist zu entnehmen, inwiefern von dieser Gelegenheit Gebrauch gemacht wurde. Das Gericht ist in einem solchen Fall nicht verpflichtet, von sich aus eine Erörterung des Beweisergebnisses zu beginnen. Eine solche Erörterung wäre nur erforderlich gewesen, wenn dies zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung angezeigt gewesen wäre. Ohne einen solchen Anlass ist das Gericht nicht verpflichtet, zur Wahrung des rechtlichen Gehörs seine Einschätzung des Beweisergebnisses den Beteiligten vorab mitzuteilen. In der Regel bleiben die Beweiswürdigung, das daraus folgende Beweisergebnis und die hieraus zu ziehenden Schlussfolgerungen der Schlussberatung vorbehalten und entziehen sich deshalb einer vorherigen Erörterung mit den Beteiligten (Beschluss vom 5. Februar 1999 - BVerwG 9 B 797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4). Auch § 279 Abs. 3 ZPO verlangt nur eine Erörterung des Beweisergebnisses, soweit dies bereits möglich ist. Ein anderes Vorgehen war hier nicht geboten. Der Verwaltungsgerichtshof hätte die Beteiligten allenfalls darauf hinweisen können, dass es wesentlich auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen ankommt. Das musste sich den Beteiligten aber auch ohne einen ausdrücklichen Hinweis aufdrängen (Beschluss vom 16. Juni 2003 - BVerwG 7 B 106.02 - Buchholz 303 § 279 ZPO Nr. 1 Rn. 27 ff.).

19

bb) Das Berufungsgericht war nicht verpflichtet, zur Wahrung des rechtlichen Gehörs die mündliche Verhandlung gemäß § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO wiederzueröffnen. Ob es die mündliche Verhandlung wiedereröffnen will, steht grundsätzlich im Ermessen des Tatsachengerichts. Eine Pflicht zur Wiedereröffnung besteht ausnahmsweise dann, wenn nur auf diese Weise das erforderliche rechtliche Gehör gewahrt werden kann. Es kann offen bleiben, ob zur weiteren Konkretisierung des Ermessens auf § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zurückzugreifen ist. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anzuordnen, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler, insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, feststellt. Der Beschwerdebegründung lässt sich keiner dieser Gründe für eine Pflicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung entnehmen. Der Verwaltungsgerichtshof hat seine Hinweispflichten nach Abschluss der Beweisaufnahme nicht verletzt. Seine Beweiswürdigung konnte die Beteiligten nicht überraschen. Der Kläger hatte auch ohne ausdrücklichen Hinweis des Gerichts Anlass, zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht dafür da, den Beteiligten Gelegenheit zu geben, in der mündlichen Verhandlung Versäumtes nachzuholen (Beschluss vom 16. Juni 2003 - BVerwG 7 B 106.02 - Buchholz 303 § 279 ZPO Nr. 1 Rn. 29 ff.). Der Umstand, dass die Beweisaufnahme am 11. Oktober 2012 über neun Stunden gedauert hat, führte nicht dazu, dass sich bei der Entscheidung des Gerichts über den Wiedereröffnungsantrag sein Ermessen auf Null reduziert hätte. Dass es dem Kläger nicht hinreichend möglich gewesen sein sollte, bereits am 11. Oktober 2012 zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen, ist nicht ersichtlich.

20

cc) Auch das am Ende der Beschwerdebegründung angefügte Vorbringen, das Urteil sei widersprüchlich, führt nicht auf einen Verfahrensfehler. Aus der Länge der gerichtlichen Beweisaufnahme darf nicht auf eine Unzulänglichkeit der behördlichen Sachverhaltsermittlung geschlossen werden. Unterlässt ein Gericht einen solchen Schluss, verstößt es deshalb nicht gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 VwGO.

21

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2 GKG.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. Februar 2013 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 648,06 € festgesetzt.

Gründe

1

1. Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt. Soweit sich die Vorinstanz mit der Frage beschäftigt hat, gehört zu der erforderlichen Durchdringung des Prozessstoffes die Erörterung sämtlicher Gesichtspunkte, die im Einzelfall für die Zulassung der Revision rechtlich Bedeutung haben (vgl. Beschluss vom 22. August 2013 - BVerwG 5 B 33.13 - juris Rn. 2 m.w.N.). Ist die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung in der Rechtsprechung eines anderen obersten Bundesgerichts geklärt, gebietet die Begründungspflicht des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, dass sich die Beschwerde mit dieser (bekannten) Rechtsprechung substantiiert auseinandersetzt. Daran gemessen kommt die Zulassung der Revision nicht in Betracht.

3

a) Die von der Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage,

"ob sich der Arbeitgeber bei der Bewerbung eines Behinderten nach dem Grad der Behinderung erkundigen muss oder nicht, wenn der Bewerber die Behinderung zuvor offenbart hatte" (vgl. Beschwerdebegründung S. 3),

4

verhilft der Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg, weil sich der Kläger nicht mit der zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung bekannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu der als rechtsgrundsätzlich angesehenen Frage auseinandersetzt. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 13. Oktober 2011 (- 8 AZR 608/10 - EzA § 15 AGG Nr. 16) entschieden, dass ein Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, sich nach einer Schwerbehinderteneigenschaft zu erkundigen, wenn ein Bewerber - wie im vorliegenden Fall - im Bewerbungsschreiben zwar seine Behinderung offenbart, aber seine Schwerbehinderteneigenschaft nicht anzeigt. Demzufolge kann der Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch (vgl. § 82 Satz 2 SGB IX) eine Indizwirkung im Sinne des § 22 AGG nicht mit der Begründung beigemessen werden, der Arbeitgeber habe es versäumt, den Bewerber nach dem Grad der Behinderung zu fragen. Die Pflicht des Arbeitgebers, den betreffenden Bewerber zu fragen, ob er im Sinne des Gesetzes schwerbehindert sei, sei von einem etwa bestehenden Recht des Arbeitgebers, sich nach einer Schwerbehinderteneigenschaft zu erkundigen, zu unterscheiden. Eine Fragepflicht bestehe schon deshalb nicht, weil der Arbeitgeber nicht berechtigt sei, sich tätigkeitsneutral nach dem Bestehen einer Schwerbehinderteneigenschaft zu erkundigen, wenn er hiermit keine positive Fördermaßnahme verbinden wolle. Mit einer Frage zur Schwerbehinderteneigenschaft könne der Arbeitgeber Indiztatsachen schaffen, die ihn bei einer Entscheidung gegen den schwerbehinderten Bewerber in einem späteren möglichen Prozess in die Darlegungslast nach § 22 AGG bringen könnten. Eine Pflicht zur Erkundigung zielte auf ein verbotenes Differenzierungsmerkmal nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX i.V.m. § 1 AGG und stellte eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung dar (Urteil vom 13. Oktober 2011 a.a.O. Rn. 43).

5

Die Beschwerdebegründung erwähnt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Oktober 2011 (a.a.O.) nicht. Auch in der Sache setzt sie sich nicht substantiiert mit den Erwägungen in jener Entscheidung auseinander.

6

Dass der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zugelassen hat, weil der Frage, ob sich der Arbeitgeber im Hinblick auf § 1 AGG bei der Bewerbung eines Behinderten nach dem Grad der Behinderung erkundigen müsse, grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zukomme, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zwingt nicht zur Zulassung der Revision. Dies ergibt sich ohne weiteres schon daraus, dass auch nach der Berufungszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht die grundsätzliche Bedeutung in dem aufgezeigten Sinne darzulegen ist und die Prüfung des Bundesverwaltungsgerichts sich auf diese Darlegung beschränkt (vgl. Beschluss vom 21. April 1999 - BVerwG 1 B 26.99 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 18).

7

b) Die weitere für grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage,

"ob die Ordnungsfunktion des Bewerbungsverfahrens höher zu bewerten ist als die Schutzfunktion des Bewerbers aufgrund seiner Schwerbehinderung, wenn er diese im Bewerbungsverfahren verspätet offenbart" (vgl. Beschwerdebegründung S. 11),

8

rechtfertigt die Zulassung der Revision schon mangels Erfüllung der Darlegungsanforderungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht.

9

Die aufgeworfene Frage bezieht sich auf die vom Verwaltungsgerichtshof seinem Urteil zugrunde gelegten Grundsätze zur Berücksichtigung einer nach Ablauf der Bewerbungsfrist angezeigten Schwerbehinderung. Der Verwaltungsgerichtshof hat insoweit ausgeführt, die Ausschreibung und das Setzen einer Bewerbungsfrist im öffentlichen Dienst seien kein Selbstzweck. Als Hilfsmittel der Personalgewinnung strukturierten sie das Stellenbesetzungsverfahren und sollten zu einer möglichst raschen Besetzung der ausgeschriebenen Stellen beitragen. Bewerbungsfristen seien daher keine Ausschlussfristen, die den Verfall von Ansprüchen bewirkten. Ihnen komme vielmehr eine Ordnungsfunktion zu. Der Bewerberkreis solle zum Stichtag abschließend feststehen, damit der öffentliche Arbeitgeber unter Beachtung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretung und in Wahrung des Prinzips der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG seine Auswahl treffen könne. Der öffentliche Arbeitgeber sei deshalb berechtigt, nachträgliche Bewerbungen zurückzuweisen, wenn das Bewerbungsverfahren schon weit fortgeschritten oder die Auswahlentscheidung (intern) getroffen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 18. November 2008 - 9 AZR 643/07 - juris Rn. 30 f.) seien diese Grundsätze auch auf die nachträgliche Offenlegung einer (Schwer-) Behinderung anzuwenden. Ob ein seine Schwerbehinderung verspätet offenbarender Bewerber in ein noch laufendes Stellenbesetzungsverfahren einzubeziehen sei, richte sich deshalb nach den Umständen des Einzelfalls.

10

Mit diesen Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofs setzt sich die Beschwerde nicht im Einzelnen und substantiiert auseinander. Sie beschränkt sich vielmehr darauf festzustellen, dass die aufgeworfene Frage nicht geklärt und eine über diesen Fall hinausgreifende, im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsfortbildung klärungsfähige und klärungsbedürftige konkretisierte Rechtsfrage sei. Damit lässt sich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht darlegen.

11

2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

12

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

13

4. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Klägerin.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 450 400 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Die Klägerin wendet sich gegen die in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. April 2013 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts erfolgte Nichtzulassung der Revision.

2

Das Verfahren betrifft das 9 008 qm große, nach Aktenlage unbebaute Flurstück ... der Flur ... im Gemeindegebiet der Klägerin, die dessen Eigentümerin und Verfügungsberechtigte ist. Das Grundstück gehörte zum historischen Gutsgelände ... der verstorbenen Brüder Albert und Max S., zu deren Rechtsnachfolgern die Beigeladenen gehören. Nach deren Tod schlossen ihre Erben am 13. Oktober 1933 mit dem Kaufmann G., einem NSDAP-Mitglied, einen notariell beurkundeten Parzellierungsvertrag. Dieser hatte u.a. zum Gegenstand, bis zum 31. Dezember 1938 die Flächen des Gutes - mit Ausnahme des Gutshofs selbst und der Villen "So." und "M." - aufzuteilen und die entstandenen Parzellen an Neusiedler zu verkaufen.

3

Der im Auftrag der Erben der Brüder S. im Dezember 1933 erstellte Teilsiedlungsplan für die Flächen des Gutes ...  wurde im Mai 1934 vom Regierungspräsidenten genehmigt. In dem im Anschluss daran mit der Klägerin (Stadt T.) vereinbarten Aufschließungsvertrag vom 16. Mai 1934 verpflichteten sich die Erben der Brüder S. nach dem Wortlaut des Vertragstextes u.a., 25% der Gesamtfläche für öffentliche Zwecke (Straßen, Plätze, Spiel- und Erholungsflächen sowie Grünanlagen) "unentgeltlich, schulden-, lasten- und kostenfrei" an die Stadt T. auf jederzeitiges Verlangen aufzulassen. In der Folgezeit wurden diejenigen Flurstücke, die nach dem Aufschließungsvertrag "unentgeltlich" an die Stadt T. übertragen werden sollten, nach erfolgter Auflassung im Grundbuch auf ein anderes Liegenschaftsblatt mit der Stadt T. als Eigentümerin umgeschrieben.

4

Mit Bescheid vom 29. März 1996, der alle zu diesem Zeitpunkt noch nicht beschiedenen Flächen des ehemaligen Gutes .   (einschließlich des streitgegenständlichen Grundstücks) betraf, lehnte die damals zuständige Behörde zunächst eine Rückübertragung an die (damaligen) Rechtsnachfolger der Erben der Brüder S. mit der Begründung ab, die an sich für einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust streitende gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 REAO sei nach Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO widerlegt.

5

Nachdem das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 26. November 2003 - BVerwG 8 C 10.03 - (Teltow-Seehof III) (BVerwGE 119, 232 = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 23) in einem Verfahren, das nach dem 15. September 1935 an Neusiedler verkaufte Bauparzellen betraf, einen verfolgungsbedingten Zwangsverkauf angenommen hatte, schlossen die Anmelder von Restitutionsansprüchen mit dem Beklagten (Bundesamt) unter dem 28. Juni 2005 vor dem Verwaltungsgericht Potsdam einen gerichtlichen Vergleich. Darin wurde die mit dem früheren Bescheid vom 29. März 1996 erfolgte Ablehnung der Rückübertragung aufgehoben; zugleich wurden die damit wieder unbeschiedenen Restitutionsansprüche flurstücksbezogen auf Rechtsnachfolger der Erben der Brüder S. aufgeteilt.

6

Mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 31. Mai 2006 übertrug sodann das Bundesamt u.a. das streitgegenständliche Grundstück auf die Beigeladenen. Dagegen hat die Klägerin (Stadt T.) am 5. Juli 2006 Klage erhoben.

7

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen, der Klägerin am 4. Oktober 2013 zugestellten Urteil vom 18. April 2013 - VG 1 K 1400/06 - die Klage abgewiesen. In der Begründung wird ausgeführt, dass die Erben der Brüder S. zu dem Kreis der Verfolgten des Naziregimes gehörten und dass mit der unentgeltlichen Abtretung der streitgegenständlichen Fläche durch die erst nach dem 14. September 1935 vollzogene Abtretung an die Klägerin eine ungerechtfertigte Entziehung im Sinne von § 1 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG zu sehen sei. Die sich aus § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 REAO ergebende gesetzliche Vermutung der Verfolgungsbedingtheit der Entziehung sei nicht widerlegt. Diese Schlussfolgerung hat das Verwaltungsgericht auf eine Hauptbegründung sowie daneben selbstständig tragend auf eine Hilfsbegründung gestützt. In der Hauptbegründung ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, "es sei schon nicht bewiesen, dass die Erben S. einen angemessenen Kaufpreis erhalten haben" (UA S. 10, erster Absatz). Deshalb sei die gesetzliche Vermutung nach § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 REAO gemäß Art. 3 Abs. 2 REAO nicht widerlegt. Mit seiner subsidiären Hilfsbegründung hat das Verwaltungsgericht anschließend zum Ausdruck gebracht, auch dann, wenn die Erben S. einen angemessenen Kaufpreis für das entzogene Grundstück erhalten hätten ("Selbst wenn dies in einer Gesamtschau dennoch angemessen gewesen wäre .", UA S. 11, ab zweitem Absatz), sei eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung gemäß Art. 3 Abs. 3 REAO dahingehend nicht gelungen, "dass das konkrete, zum Vermögensverlust führende Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne Herrschaft der Nationalsozialisten geschlossen worden wäre" (UA S. 11, ebd.).

8

Mit ihrer Beschwerde macht die Klägerin - ebenso wie im Beschwerdeverfahren BVerwG 8 B 1.14 (VG 1 K 1396/06) - alle drei Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO geltend.

9

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

10

Die Beigeladenen halten die Beschwerde für unbegründet und beantragen ebenfalls ihre Zurückweisung.

II

11

Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.

12

Die Revision wäre nur dann zuzulassen, wenn die Klägerin sowohl hinsichtlich der Hauptbegründung als auch hinsichtlich der Hilfsbegründung des angegriffenen Urteils einen Zulassungsgrund dargetan hätte. Das ist jedoch nicht der Fall.

13

1. Die mit der Beschwerde gerügten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sind nicht ersichtlich.

14

a) Soweit die Klägerin in der Beschwerdebegründung geltend macht, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Prüfung der von ihm in der Hauptbegründung als streitentscheidend angesehenen fehlenden Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung entscheidungserhebliches Vorbringen entgegen Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO nicht zur Kenntnis genommen und nicht in Erwägung gezogen sowie unter Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht hinreichend gewürdigt, ist dies nicht nachvollziehbar und trifft nicht zu.

15

Die Klägerin rügt, das Verwaltungsgericht habe "auch bei der besonderen vorliegenden Konstellation der Modifikation des ursprünglichen Aufschließungsvertrages durch einen späteren Flächenaustausch" lediglich isoliert die "Angemessenheit der Leistung der S. Erben (Übertragung der streitgegenständlichen Flächen auf die Stadtgemeinde T.) zur Gegenleistung (Freigabe von Flächen zur Bebauung, die dafür ursprünglich nicht vorgesehen waren)" geprüft und "die Widerlegung der Verfolgungsvermutung daher nach seiner eigenen, hier im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren insoweit zur Bewertung der Verfahrensrüge maßgeblichen Rechtsauffassung von der Frage abhängig gemacht, inwieweit der im Vollzug des Aufschließungsvertrages vorgenommene Flächenaustausch eine Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung aufweist" (S. 17 der Beschwerdebegründung). Die Prüfung der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung erschöpfe sich in der Feststellung des Verwaltungsgerichts, es liege auf der Hand, "dass dies allenfalls dann angemessen gewesen wäre, wenn die nunmehr ermöglichte Verwertung neuer Flächen zumindest ebenso werthaltig gewesen ist, wie diejenige bezüglich der aus der Bebaubarkeit ausgeschiedenen Flächen.". Das sei "aber schon deshalb nicht der Fall, weil hier eine nicht zu vernachlässigende Flächendifferenz von ca. 9 000 m2" vorliege; immerhin mache "dies etwa die Hälfte der ursprünglich zur Bebauung vorgesehenen Fläche aus, wenn man die beiden betroffenen Baublöcke zusammenrechnet.". Dies stellt nach Auffassung der Klägerin eine "Verletzung allgemeiner Beweisgrundsätze" (ebd., S. 18) dar.

16

Die Verfahrensrüge der Klägerin beruht auf der unzutreffenden Annahme, auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die mit den im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 1998 - BVerwG 8 C 14.09 - (Teltow-Seehof I) (BVerwGE 108, 157 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 167) entwickelten Maßstäben im Ausgangspunkt übereinstimme, ergebe sich, dass hinsichtlich des im Wege eines Flächentausches an die Klägerin seinerzeit abgetretenen streitgegenständlichen Grundstücks die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung gemäß Art. 3 Abs. 2 REAO nur durch eine Gesamtbetrachtung des Aufschließungsvertrages vom 16. Mai 1934 hätte ermittelt werden können, nicht hingegen durch eine isolierte Betrachtung nur des Flächentausches.

17

Damit verkennt die Klägerin, dass das Verwaltungsgericht nach seiner insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung eine Gesamtbetrachtung des Aufschließungsvertrages in dessen durch den so genannten Flächentausch geänderten Fassung gerade für nicht entscheidungserheblich gehalten hat. Dementsprechend hat es im angegriffenen Urteil ausgeführt, die "streitgegenständliche Fläche gehörte zwar nicht zu den Flächen, die ursprünglich Gegenstand des Aufschließungsvertrages war. Sie wurden aber tatsächlich genauso behandelt, so dass in der Sache kein Unterschied besteht. Der Austausch der Flächen bezüglich Bebaubarkeit sowie die anschließende Übereignung an die Stadtgemeinde T. stellt sich damit ebenso als Veräußerungsgeschäft dar, das sich nach Art. 3 Abs. 1 REAO bemisst." (UA S. 9, vorletzter Absatz). Damit hat das Verwaltungsgericht zum Ausdruck gebracht, dass es den Flächenaustausch als solchen als das maßgebliche Veräußerungsgeschäft angesehen hat. Es kam für das Tatsachengericht nicht darauf an, ob nach diesem Flächentausch das Gesamtgefüge des Aufschließungsvertrages noch einen angemessenen Kaufpreis im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO vorsah, sondern ob für den Flächentausch selbst ein angemessener Kaufpreis oder eine angemessene Gegenleistung erbracht wurde. Schon deshalb geht der von der Klägerin in der Beschwerdebegründung erhobene Vorwurf der verfahrensfehlerhaften Nichtberücksichtigung des auf die Prüfung der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung im Rahmen des Gesamtgefüges des Aufschließungsvertrages bezogenen Vorbringens ins Leere. Einer weiteren Sachverhaltsaufklärung dazu, ob das Gesamtverhältnis des Aufschließungsvertrages in der geänderten Form noch angemessen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO gewesen wäre, bedurfte es nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht.

18

Soweit die Klägerin rügt, auch zu dem für das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil im Rahmen der Angemessenheitsprüfung maßgeblichen Aspekt der Werthaltigkeit der ursprünglichen Flächen im Verhältnis zu den Austauschflächen sei schriftsätzliches Vorbringen, das entscheidungserheblich gewesen sei, "in keiner Form gewürdigt worden", ergibt sich daraus ebenfalls kein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör oder auf Beachtung des Überzeugungsgrundsatzes. Entscheidend war nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts allein, ob die zum Kreis der Verfolgten des Naziregimes gehörenden Erben der Brüder S. für das im Rahmen des Flächentausches entzogene Grundstück eine im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO angemessene Gegenleistung erhalten haben oder nicht. Die Klägerin kann dabei nicht beanspruchen, dass das Verwaltungsgericht auf alle Einzelheiten ihres Vortrags eingegangen ist. Insbesondere ist das Gericht nach seiner insoweit allein maßgeblichen Rechtsauffassung nicht gehalten gewesen, zu prüfen, aus welchen Gründen der Flächentausch erfolgte.

19

Soweit das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil auf für die Beurteilung der Werthaltigkeit der bei dem Flächentausch in Rede stehenden Grundstücke relevantes Vorbringen der Klägerin nicht im gebotenen Maße eingegangen ist, ergibt sich daraus jedenfalls kein entscheidungserheblicher Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör und Beachtung des Überzeugungsgrundsatzes. Denn das Verwaltungsgericht hat hilfsweise unterstellt, dass die Erben seinerzeit für die entzogene Fläche - wie von der Klägerin behauptet - einen angemessenen Kaufpreis bzw. eine angemessene Gegenleistung erhalten haben. Für diesen Fall ist es dann in seiner Hilfsbegründung jedoch zum Ergebnis gelangt, dass die gesetzliche Vermutung (Art. 3 Abs. 1 REAO) gemäß Art. 3 Abs. 3 REAO, die für nach dem 14. September 1935 wirksam gewordenen Veräußerungen maßgeblich sei, nicht widerlegt worden sei (vgl. dazu nachfolgend Unterabschnitt b).

20

b) In seiner Hilfsbegründung ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die den Rechtsvorgängern der Beigeladenen im Rahmen des Flächentausches entzogene streitgegenständliche Fläche nicht zu den Flächen gehörte, die ursprünglich Gegenstand des Aufschließungsvertrages vom 16. Mai 1934 waren, dass es sich jedoch "um eine Weiterung aus dem Aufschließungsvorgang handelt(e)" (UA S. 11, vorletzter Absatz). Das wird mit der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen. Eine notarielle Beurkundung über den Flächentausch hat das Verwaltungsgericht nicht festgestellt. Es hat jedoch angenommen, dass das zum Vermögensverlust führende Rechtsgeschäft über den Flächentausch nach dem 14. September 1935 wirksam geworden ist, so dass "nichts anderes gelten" könne, "als wenn die Flächen zu diesem Zeitpunkt verkauft worden wären." (UA S. 11, unten). Für diese Auffassung spricht immerhin, dass ein nicht beurkundetes und damit gemäß § 125 BGB formnichtiges Verpflichtungsgeschäft über ein Grundstück gemäß § 313 Satz 2 BGB in der damals geltenden Fassung durch Auflassung und Eintragung des Eigentumsübergangs wirksam wurde. Ausgehend von dieser für die Hilfsbegründung des angefochtenen Urteils maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts kam es nicht darauf an, ob die S. Erben bereits im Juli 1935 - also vor dem Stichtag 15. September 1935 - dem Flächentausch zugestimmt hatten, wie die Beschwerde geltend macht. Das Verwaltungsgericht hat somit kein entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin übergangen. Weshalb die Annahme, der Aufschließungsvertrag stelle nicht das maßgebliche Kausalgeschäft für den Flächentausch bzw. die Auflassung dar, gegen Denkgesetze verstoßen soll, legt die Beschwerde nicht nachvollziehbar dar. Somit war eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung des Art. 3 Abs. 1 REAO anhand der - für in der Zeit vom 15. September 1935 bis zum 8. Mai 1945 erfolgte Veräußerungen maßgeblichen - Regelung des Art. 3 Abs. 3 a) REAO zu prüfen. Es war zu untersuchen, ob das Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre. Gegen die im angegriffenen Urteil insoweit erfolgte Verneinung dieser Voraussetzung des Art. 3 Abs. 3 a) REAO durch das Verwaltungsgericht sind wirksame Verfahrensrügen mit der Beschwerde nicht vorgebracht worden.

21

2. Die von der Klägerin erhobenen Divergenzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) greifen ebenfalls nicht durch.

22

Die Zulassung der Revision kommt in Betracht, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die Divergenzrüge setzt die Darlegung voraus, dass dem angefochtenen Urteil ein entscheidungstragender Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz der in der Beschwerde angegebenen höchstrichterlichen Entscheidung abweicht (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom 1. September 1997 - BVerwG 8 B 144.97 - Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50). Keine Divergenz in dem Sinne liegt dagegen vor, wenn das Verwaltungsgericht einen Rechtssatz aus der angeführten höchstrichterlichen Rechtsprechung vermeintlich unzutreffend angewendet hat.

23

Vorliegend zeigt die Beschwerde keinen Rechtssatzwiderspruch in dem beschriebenen Sinne auf, sondern bemängelt letztlich lediglich eine vermeintlich falsche Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht.

24

a) Soweit die Klägerin hinsichtlich des angegriffenen Urteils des Verwaltungsgerichts eine Abweichung von dem vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 16. Dezember 1998 - BVerwG 8 C 14.98 - (Teltow-Seehof I) (a.a.O.) zu § 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 3 REAO sinngemäß aufgestellten Rechtssatz rügt

"Liegt der Zwangsverkauf i.S.d. § 1 Abs. 6 VermG in einem Aufschließungsvertrag, der der zuständigen Kommune eine Abtretung von 25% der Grundstücksfläche für Gemeinbedarfszwecke gewährt und dem parzellierungswilligen jüdischen Eigentümer sowohl die Parzellierungsgenehmigung als auch die Aufhebung und Befreiung vom Bauverbot und eine damit einhergehende Vermarktbarkeit seiner Fläche für Bauzwecke verschafft, so ist im Wege einer Gesamtbetrachtung des erzielten wirtschaftlichen Ergebnisses zu prüfen, ob die Abtretung der Grundstücksfläche an die Kommune für Gemeinbedarfszwecke einerseits und die durch die Befreiung von Bauverbot und Erteilung der Parzellierungsgenehmigung dem jüdischen Eigentümer vermittelte Werterhöhung andererseits in einem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen. Die Verfolgungsvermutung lässt sich dadurch widerlegen, dass die Angemessenheit dieses Verhältnisses bewiesen wird." (S. 40 der Beschwerdebegründung),

liegt keine Divergenz im dargelegten Sinne vor.

25

Zwar hat das Verwaltungsgericht seinem angegriffenen Urteil den von der Klägerin sinngemäß formulierten tragenden Rechtssatz zu § 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 REAO zugrunde gelegt,

"Gibt es Modifikationen eines ursprünglich abgeschlossenen Aufschließungsvertrages durch entsprechenden Flächenaustausch, so ist nur noch darauf abzustellen, ob dieser Flächenaustausch zulasten des jüdischen Eigentümers diesem eine geringerwertige bebaubare Fläche zuspricht, als das nach dem ursprünglichen Aufschließungsvertrag der Fall war. Es ist jedoch keine Gesamtbetrachtung der Angemessenheit des Aufschließungsvertrages unter Berücksichtigung der Austauschmodifikationen anzustellen." (S. 41 der Beschwerdebegründung).

26

Diese Rechtssätze widersprechen jedoch einander nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 16. Dezember 1998 angesichts des damals zugrunde liegenden Sachverhalts nur mit dem Abschluss eines Aufschließungsvertrages und einer darauf beruhenden Veräußerung eines Grundstücks befasst. Dagegen enthält das Urteil keine Ausführungen dazu, welches das maßgebliche Rechtsgeschäft bei der anschließend erfolgten Änderung eines solchen Aufschließungsvertrages ist und ob bei der Prüfung der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung auch dann noch auf den Aufschließungsvertrag in seiner Gesamtheit oder isoliert auf das Rechtsgeschäft abzustellen ist, mit dem dieser geändert wird und neue Verpflichtungen begründet werden. Im Übrigen ist der von der Beschwerde genannte Rechtssatz des Verwaltungsgerichts mit Blick auf die Hilfsbegründung des angegriffenen Urteils nicht entscheidungstragend.

27

b) Auch die weitere hinsichtlich der Bestimmung des maßgeblichen Rechtsgeschäfts von der Klägerin geltend gemachte Divergenz zwischen dem vom Bundesverwaltungsgericht zu § 1 Abs. 6 VermG u.a. im Urteil vom 16. Dezember 1998 - (Teltow-Seehof I) (a.a.O.) - (unter Rückgriff auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. Juli 1960 - IV ZR 25/60 - MDR 1960, 1002) sinngemäß aufgestellten Rechtssatz

"Ein Vermögensverlust i.S.d. § 1 Abs. 6 VermG bzw. eine Veräußerung i.S.d. Art. 3 REAO, auf den § 1 Abs. 6 VermG letztlich Bezug nimmt, liegt nicht erst bei der dinglichen Eigentumsübertragung, sondern bereits beim Abschluss des Kausalgeschäfts vor, mit dem sich der Veräußerer in bindender Weise wirtschaftlich des Vermögensgegenstandes entäußert hatte und das den Erwerbern letztlich den durchsetzbaren Anspruch auf Übereignung des Vermögenswertes verschafft." (S. 51 der Beschwerdebegründung)

und einem vom Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil aufgestellten abstrakten Rechtssatz zu derselben Vorschrift ist nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hat nicht den ihm in der Beschwerde (S. 53 der Beschwerdebegründung) unterstellten Rechtssatz

"Selbst wenn die verbindliche Abänderung eines Kausalgeschäfts, das der späteren Verfügung über Vermögen des jüdischen Eigentümers zugrunde lag, noch vor dem Stichtag am 14./15.09.1935 lag, ist für die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Vermögensverlust i.S.d. § 1 Abs. 6 VermG und des Rückerstattungsrechts gefolgte (offenbar gemeint: erfolgte), nicht auf den Zeitpunkt der endgültigen Verbindlichkeit des modifizierten Kausalgeschäfts, sondern auf dessen dinglichen Vollzug, konkret die Auflassung abzustellen."

aufgestellt.

28

In der Beschwerdebegründung wird auch keine genaue Fundstelle eines solchen vom Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil vermeintlich formulierten Satzes angegeben. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr auf Seite 9 seines Urteils im dritten Absatz den auch von der Klägerin in der Beschwerdebegründung in Bezug genommenen Rechtssatz aus dem Teltow-Seehof I-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 1998 herangezogen, wonach das sowohl für die gesetzliche Vermutung (Art. 3 Abs. 1 REAO) als auch für ihre Widerlegung nach Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO maßgebliche Rechtsgeschäft nicht das Verfügungsgeschäft, sondern das zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft ist. In der Hauptbegründung des angegriffenen Urteils wird dementsprechend dann ausgeführt, dass die streitgegenständliche Fläche zwar nicht zu den Flächen gehörte, die ursprünglich Gegenstand des Aufschließungsvertrages waren; sie sei "aber tatsächlich genauso behandelt (worden), so dass in der Sache kein Unterschied besteht." Der "Austausch der Flächen bezüglich der Bebaubarkeit sowie die anschließende Übereignung an die Stadtgemeinde T." stelle "sich damit ebenso als Veräußerungsgeschäft dar, das sich nach Art. 3 Abs. 1 REAO bemisst." Grund dafür war offenkundig, dass das Verwaltungsgericht kein wirksames oder auch nur förmliches Rechtsgeschäft festzustellen vermochte, mit dem der Flächentausch förmlich vereinbart worden wäre. Es hat deshalb den faktisch durchgeführten Flächentausch im Rahmen des Art. 3 REAO so behandelt, als wäre er rechtsgeschäftlich zustande gekommen. Da das Verwaltungsgericht hinsichtlich des Zeitpunktes dieses Rechtsgeschäfts keine tatrichterliche Feststellungen treffen konnte und dieser Zeitpunkt nach den hier maßgeblichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts letztlich unaufgeklärt geblieben ist, hat es den Zeitpunkt der am 13. Juli 1939 erfolgten Auflassung des Grundstücks an die Klägerin als Wirksamkeitszeitpunkt des Verpflichtungsgeschäfts angesehen. Die damit erfolgte zeitliche Gleichsetzung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft bedeutet jedoch nicht, dass das Verwaltungsgericht Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft als solche miteinander gleichgesetzt hätte. Das Verwaltungsgericht hat lediglich, mangels anderer Anhaltspunkte, für den Zeitpunkt des maßgeblichen Verpflichtungsgeschäfts den Zeitpunkt des Verfügungsgeschäfts herangezogen und ist damit nicht von dem von der Klägerin bezeichneten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen. Ob es sich dabei um eine fehlerhafte Anwendung dieses Rechtssatzes handelt, kann hier offenbleiben, da eine solche keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO begründen könnte.

29

3. Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.

30

Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom 19. August 1997- BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26). Der Beschwerdeführer muss darlegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), dass gerade eine Regelung des revisiblen Rechts in dem angestrebten Revisionsverfahren eine entscheidungserhebliche klärungsbedürftige rechtsgrundsätzliche Frage aufwirft (Beschlüsse vom 9. März 1984 - BVerwG 7 B 238.81 - Buchholz 401.84, Benutzungsgebühren Nr. 49 und vom 15. Juni 2009 - BVerwG 6 B 12.09 -). Das leistet die Beschwerdebegründung nicht.

31

a) Bei den ersten drei in der Beschwerde (S. 46 f. der Beschwerdebegründung) aufgeworfenen Rechtsfragen

"Nach welchen Kriterien ist die Frage der Angemessenheit der Gegenleistung bei einem 'Zwangsverkauf' im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG oder einem, einem solchen 'Zwangsverkauf' gleichstehenden Rechtsgeschäft zu bewerten, wenn nach Abschluss des Kausalgeschäfts Abänderungen im Bereich der Leistungen und/oder Gegenleistungen dieses Kausalgeschäfts vorgenommen werden?

Ist danach im Rahmen einer Gesamtschau zu prüfen, ob der modifizierte Vertrag noch eine Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung im Ergebnis erkennen lässt oder ist isoliert nur die Frage zu untersuchen, ob die abgeänderten Konditionen im Vergleich zu den ursprünglichen Konditionen des Kausalgeschäfts eine Schlechterstellung des jüdischen Veräußerers erkennen lässt (offenbar gemeint: lassen)?

Falls Letzteres zugrunde zu legen ist, gilt dies nicht nur in dem Fall, in dem im ursprünglichen Kausalgeschäft bereits ein einklagbarer Rechtsanspruch des jüdischen Veräußerers auf eine bestimmte Gegenleistung festgelegt wurde und dieser später zu seinem Nachteil reduziert wird oder gilt das auch in solchen Fällen, in denen sich aus dem Kausalgeschäft deswegen noch kein endgültig einklagbarer Rechtsanspruch ergibt, weil dieses unter dem Vorbehalt der Beibringung bestimmter weiterer Leistungen des jüdischen Veräußerers z.B. von Zustimmungserklärung und/oder dem Vorbehalt weiterer Genehmigungen, die zum Vollzug des Kausalgeschäfts erforderlich sind, steht und so gesehen sich mit der Modifikation der Gegenleistung, bedingt durch die Nichterfüllung bestimmter zusätzlicher Leistungen des jüdischen Erben bzw. die Nichterteilung von Genehmigungen nur ein wirtschaftliches Risiko des Ausgangsvertrages realisiert?"

ist ein grundsätzlicher Klärungsbedarf in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht ersichtlich.

32

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits geklärt, dass bei der Prüfung, ob für einen Vermögensverlust ein angemessener Kaufpreis im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO geleistet wurde, das konkrete zum Vermögensverlust führende Rechtsgeschäft maßgeblich ist; an ihm sind die Widerlegungstatbestände des Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO zu messen (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 16. Dezember 1998 , a.a.O., S. 157 und vom 24. Februar 1999 - BVerwG 8 C 15.98 - BVerwGE 108, 303 <304> = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 1).

33

Ob bei einer Änderung eines Aufschließungsvertrages, die ihrerseits ein schädigendes Ereignis im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG darstellt, die Frage des angemessenen Kaufpreises im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO isoliert nur anhand der Änderung oder stattdessen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des geänderten Vertrages zu bewerten ist, hängt davon ab, ob die Änderung selbst einen diskriminierenden Zwangsverkauf im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG bewirkt hat, so dass eine isolierte Betrachtung geboten ist, oder ob die Änderung aus sich heraus wertneutral ist.

34

Bei der rechtsgeschäftlichen Änderung eines Vertrages, durch die ein Verfolgter im Sinne des Art. 3 Abs. 1 REAO verpflichtet wird, einen konkreten Vermögensgegenstand aufzugeben, zu dessen Aufgabe er durch den vorher unveränderten Vertrag noch nicht verpflichtet war, liegt deshalb auf der Hand und bedarf keiner weiteren Klärung in einem Revisionsverfahren, dass nicht der ursprüngliche Vertrag, sondern die Änderung desselben zum Vermögensverlust führt und demzufolge das maßgebliche Rechtsgeschäft ist.

35

Werden nach Abschluss des (ersten) ursprünglichen Kausalgeschäfts, das im Sinne von Art. 3 Abs. 2 REAO ein angemessenes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung der Vertragsparteien vorsah, rechtsgeschäftliche Abänderungen im Bereich der Leistungen und/oder Gegenleistungen dieses Kausalgeschäfts vorgenommen, so ist die Angemessenheit (Art. 3 Abs. 2 REAO) im Hinblick auf das dafür maßgebliche Rechtsgeschäft zu prüfen; dies ist das Kausalgeschäft in der durch die rechtsgeschäftlichen Änderungen bewirkten Fassung. Ein weitergehender entscheidungserheblicher Klärungsbedarf wird mit der Beschwerde im Hinblick auf das angestrebte Revisionsverfahren nicht dargetan. Im Übrigen sind die aufgeworfenen Fragen mit Blick auf die Nebenbegründung des angegriffenen Urteils auch nicht entscheidungserheblich.

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b) Auch hinsichtlich der weiteren mit der Beschwerde (S. 58 der Beschwerdebegründung) aufgeworfenen Rechtsfrage

"Kommt es zu einer nachträglichen Abänderung des Vertragsgegenstandes eines Verpflichtungsgeschäfts, das einen Schädigungstatbestand i.S.d. § 1 Abs. 6 VermG darstellen kann und wird diese Abänderung der Konditionen des Verpflichtungsgeschäfts von allen an diesem Geschäft Beteiligten noch vor dem Stichtag am 14./15.09.1935 als verbindlich akzeptiert, kommt es aber erst nach diesem Datum zum dinglichen Vollzug dieses so modifizierten Verpflichtungsgeschäfts, ist dann für die Frage, in welchem Umfang i.S.d. Art. 3 REAO die Verfolgungsvermutung zu widerlegen ist, insbesondere für die Anwendung des Art. 3 Abs. 3 a) REAO auf den Zeitpunkt des dinglichen Vollzugs oder den Zeitpunkt der endgültigen und verbindlichen Einigung über die Modifikationen der Vertragskonditionen abzustellen?"

sind die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erfüllt. Wie bereits oben dargelegt, geht diese Frage von Voraussetzungen aus, die im Widerspruch zu den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Urteil stehen. Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgegangen, dass für die Prüfung der Angemessenheit eines Kaufpreises im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO nicht auf das den Vermögensverlust konkret herbeiführende Verfügungsgeschäft, sondern auf das der Verfügung zugrunde liegende schuldrechtliche Kausalgeschäft abzustellen ist (UA S. 9). Es hat insoweit festgestellt, dass die streitgegenständliche Fläche zwar nicht zu den Flächen gehörte, die ursprünglich Gegenstand des Aufschließungsvertrages waren. Sie sei aber "tatsächlich so behandelt" worden, "so dass in der Sache kein Unterschied" bestehe und demzufolge "der Austausch der Flächen bezüglich der Bebaubarkeit sowie die anschließende Übereignung an die Stadtgemeinde T." sich "ebenso als Veräußerungsgeschäft" darstelle, "das sich nach Art. 3 Abs. 1 REAO bemisst." Da es eine notarielle Beurkundung über den Flächentausch nicht feststellen konnte und da gemäß § 125 BGB ein formnichtiges Verpflichtungsgeschäft über ein Grundstück gemäß § 313 Satz 2 BGB in der damals geltenden Fassung durch Auflassung und Eintragung des Eigentumsübergangs wirksam wurde, hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass das zum Vermögensverlust führende Rechtsgeschäft über den Flächentausch jedenfalls nach dem 14. September 1935 wirksam geworden ist, so dass "nichts anderes gelten" könne, "als wenn die Flächen zu diesem Zeitpunkt verkauft worden wären." (UA S. 11, unten). Das Verwaltungsgericht hat entgegen der von der Klägerin in der aufgeworfenen Rechtsfrage enthaltenen Behauptung keineswegs eine dahingehende Feststellung getroffen, dass eine "Abänderung der Konditionen des Verpflichtungsgeschäfts von allen an diesem Geschäft Beteiligten noch vor dem Stichtag am 14./15.09.1935 als verbindlich akzeptiert" worden sei.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Bei Zugrundelegung eines Grundstückswertes von 50 €/qm ergibt sich daraus für die Fläche von 9 008 qm der festgesetzte Streitwertbetrag von 450 400 €.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.