Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 15. Dez. 2015 - L 15 VS 19/09

bei uns veröffentlicht am15.12.2015
nachgehend
Bundessozialgericht, B 9 V 25/16 B, 11.05.2016

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 8. Dezember 2009 wird zurückgewiesen. Die Klage auf Versorgung ab Erkrankung des Ehemanns der Klägerin wird abgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob der Klägerin Hinterbliebenenversorgung wegen des Tods ihres Ehemanns und Versorgung während dessen Krebserkrankung vor seinem Versterben zusteht.

Der 1939 geborene Ehemann der Klägerin R. A. (im Folgenden: G.) war vom 05.01.1960 bis 04.01.1965 Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr.

Nach der Grundausbildung war G. zunächst als Flugzeugmechanikerhelfer und anschließend bis zum Dienstzeitende als Flugzeugmechaniker, Flugzeugmechaniker (Düsen) und zuletzt Flugzeugmechanikermeister tätig. Er arbeitete überwiegend am Flugzeugtyp F-86 Sabre (im Folgenden: F-86), aber auch am Flugzeugtyp RF-84 F (im Folgenden: RF-84).

Im Jahre 1987 erkrankte G. an einem Rektumkarzinom, an dem er am 17.08.1991 verstarb.

Am 13.08.2001 beantragte die Klägerin bei der Versorgungsverwaltung (im Folgenden: ZBFS) die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung. Die Krebserkrankung und damit den Tod ihres Ehemanns führe sie - so die Klägerin - auf eine überhöhte Strahlenbelastung (Radar-, Röntgenstrahlung aus Bordradar und Inkorporation von Leuchtschriftpartikeln aus der Instrumentenbelegung) während der Dienstzeit zurück.

Das ZBFS lehnte den Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung mit Bescheid vom 14.04.2003 ab. Es stützte sich dabei auf die im Weg der Amtshilfe von der Beklagten durchgeführten Ermittlungen, die - so das ZBFS - ergeben hätten, dass G. während seiner Dienstzeit nicht an Geräten eingesetzt gewesen sei, von denen eine Röntgenstrahlung ausgegangen und in denen auch keine radioaktive Leuchtfarbe verwendet worden sei.

Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 21.04.2003 Widerspruch ein. Den Widerspruch begründete sie damit, dass G. als Flugzeugmechaniker auch mit radioaktivem Thorium in Verbindung gekommen sei. Das Flugzeug F-86 habe über ein Feuerleitradar mit erheblicher Röntgenstrahlung verfügt. Die Ausführungen zum Gefährdungspotenzial radioaktiver Leuchtschriften an den Bordinstrumenten würden völlig fehlgehen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der schädigenden Röntgenstrahlung könne nicht ausgeschlossen werden. G. sei zudem als Unterstützungspersonal der Radartechniker eingesetzt und demzufolge Strahlen ausgesetzt gewesen. Ein Strahlenschutz habe damals bei der Bundeswehr nicht bestanden.

Die im Weg der Amtshilfe eingebundene Schwerpunktgruppe Radar der Beklagten wies in ihrer Stellungnahme vom 21.11.2003 darauf hin, dass G. während seiner Dienstzeit nicht als Radarmechaniker/-techniker oder entsprechendes Hilfspersonal eingesetzt gewesen sei. Somit habe er keine der im Bericht der Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der NVA (Radarkommission) vom 02.07.2003 (im Folgenden: Bericht der Radarkommission) vorgegebenen qualifizierenden Tätigkeiten ausgeübt. Es könne somit nicht von einer Exposition des G. mit ionisierender Strahlung aufgrund wehrdienstlicher Einflüsse ausgegangen werden. Die geltend gemachte Gesundheitsstörung eines metastasierenden Rektumkarzinoms sei nicht Folge einer Wehrdienstbeschädigung.

Der in der Folge von der Beklagten angehörte Bund zur Unterstützung Radargeschädigter e.V. teilte mit Schreiben vom 15.02.2004 mit, dass G. als Flugzeugmechaniker und nicht als Radartechniker tätig gewesen sei und hinsichtlich Unterstützungstätigkeiten wegen seines Tods nicht mehr befragt werden könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2005 wies das ZBFS den Widerspruch zurück.

Am 01.06.2005 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) München erhoben. Die Klage hat sie damit begründet, dass G. nach seinen Ausführungen ihr gegenüber an Radargeräten als Hilfspersonal gearbeitet habe. Beim Flugzeugtyp F-86 sei das Feuerleitradar AN/APG-30 verwendet worden. Bei Tätigkeiten bis 1975 habe so gut wie kein Strahlenschutz bestanden und es gebe keine Messwerte. In derartigen Fällen empfehle der Bericht der Radarkommission grundsätzlich eine Anerkennung bei einer Tätigkeit als Radartechniker oder als Radarbediener, wenn bestimmte Voraussetzungen vorlägen. G. habe in der Nähe des Radars bzw. als Hilfspersonal am Radar gearbeitet und sei zudem in Kontakt mit radioaktivem Thorium gekommen. Auch sei er Schwingungen im Niedrigfrequenzbereich infolge Bremsens durch die Triebwerke bei Düsenflugzeugen ausgesetzt gewesen.

Mit Beschluss vom 29.01.2007 ist die jetzige Beklagte beigeladen worden.

Die Beklagte hat sich mit Schreiben vom 09.02.2007 dahingehend geäußert, dass G. nicht als Radarmechaniker oder -techniker oder entsprechendes Hilfspersonal eingesetzt gewesen sei und damit keine qualifizierende Tätigkeit im Sinn des Berichts der Radarkommission ausgeübt habe. Nur Lungenkrebs und Sarkome der Knochen und des an die Knochen grenzenden Bindegewebes würden nach den Kriterien des Berichts der Radarkommission bei Inkorporation von Radionukliden aus Leuchtfarben zur Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung führen. Das Rektumkarzinom des G. gehöre nicht zu den vorgenannten qualifizierten Erkrankungen. Schwingungen im Niedrigfrequenzbereich beim Bremsen des Luftfahrzeugs sei G. nicht ausgesetzt gewesen, da er im Wartungsbereich in der Halle eingesetzt gewesen sei, die Flugzeuge aber außerhalb der Halle abgebremst worden seien.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 06.04.2008 vorgetragen, dass die Düsen der von G. gewarteten Flugzeuge das Element Thorium enthalten hätten, das - so die Annahme der Klägerin - durch bloßen Handkontakt in den Verdauungstrakt gelangt sei.

Die Beklagte hat sich mit Schreiben vom 04.09.2008 zur Tätigkeit des G. geäußert: G. sei vom 22.03.1960 bis zum 04.01.1965 als Flugzeugmechanikerhelfer, Flugzeugmechaniker, Flugzeugmechaniker (Düsen) und Flugzeugmechanikermeister beschäftigt gewesen. Er sei für die Wartung und Reparatur von Flugzeugen der Typen RF-84 und F-86 zuständig gewesen. Ab Frühjahr 1962 hätten für G. Tätigkeiten an Triebwerkskomponenten zum Aufgabenbereich gehört. Aufgrund der geringen Reichweite der Röntgenstrahlung von wenigen Dezimetern könne man einer Strahlung nur direkt an der geöffneten Senderbaugruppe eines im Betrieb befindlichen Radargeräts ausgesetzt gewesen sein. Dies treffe bei Radarmechanikern grundsätzlich zu, nicht aber bei Flugzeugmechanikern. Praktisch sei aber eine Röntgenstörstrahlenexposition auch bei der F-86 selbst für Radarmechaniker nicht möglich gewesen, da der stärkste Störstrahler in den dort eingebauten Radargeräten eine Betriebsspannung von lediglich 6 kV gehabt habe. Bei einer solchen Betriebsspannung seien Werte der Ortsdosisleistung oberhalb des natürlichen Untergrunds auch im Abstand von wenigen Zentimetern von den Störstrahlern ausschließbar, wie sich aus dem Teilbericht der Radargruppe ergebe. Ra-226-haltige Leuchtfarbe sei im Cockpit der F-86 vorgekommen. Die dadurch bedingte Ortsdosisleistung im Bereich der Gonaden betrage im Abstand von 50 cm vor den Cockpit-Armaturen 4,5 Mikrosievert pro Stunde. Im Rahmen eines Dialogverfahrens zwischen Vertretern des Bundes zur Unterstützung Radargeschädigter e.V. und dem Sonderbeauftragten Radar seien für Luftfahrzeugmechaniker 400 Stunden pro Jahr im Cockpit festgelegt worden. Untersuchungen zum Vorkommen thoriumhaltiger Legierungen in Bauteilen der Triebwerke, an denen G. gearbeitet habe, lägen nicht vor. Die Verwendung von Thorium zur Verbesserung der Werkstoffeigenschaften sei jedoch in der Luftfahrtindustrie gängige Praxis, so dass es nicht abwegig sei, eine solche auch in den Triebwerken, an den G. gearbeitet habe, zu unterstellen. Bei der Abschätzung der Exposition für G. sei zu berücksichtigen, dass die aufwändigen Wartungs- und Reparaturarbeiten von zivilen Firmen erledigt worden seien und daher nicht unterstellt werden könne, dass G. in einem nennenswerten Umfang Teile aus den Triebwerken ein- oder auszubauen gehabt habe, so dass er mit den thoriumhaltigen Teilen außerhalb des Triebwerks nicht in Kontakt gekommen sei. Als Anlage hat die Beklagte den Teilbericht Flugzeugradar AN/APG-30 und AN/APG-501 (Sabre Mk 5/6) der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 07.04.2003 vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass das im Radarsender eingebaute Magnetron mit maximal 6 kV betrieben worden ist und die Betriebsspannung des Thyratrons aus technischen Gründen nicht darüber gelegen hat. Eine Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung sei daher - so der Teilbericht - auszuschließen.

Am 30.12.2008 hat der vom SG beauftragte Arbeitsmediziner Dr. D. sein 53-seitiges Gutachten vorgelegt. Darin ist er zu dem Ergebnis gekommen, dass das Rektumkarzinom des G. weder eine Berufskrankheit im Sinn der Nr. 2402 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) (BK Nr. 2402) darstelle noch die Voraussetzungen einer Kannversorgung vorlägen. Auch bei Unterstellung der von der Klägerin behaupteten Schädigungstatbestände sei mit hoher Wahrscheinlichkeit kein ursächlicher Zusammenhang gegeben. Diese Einschätzung hat er in seiner beim SG am 09.03.2009 eingegangenen ergänzenden Stellungnahme nochmals bestätigt.

Die Klägerin hat die Feststellungen des Sachverständigen mit Schreiben vom 03.03.2009 angezweifelt und darauf hingewiesen, dass ihrer Meinung nach Thorium über die Hände in den Mund und damit in den Körper gelangt sei (z. B. durch Nahrungsaufnahme). Weiter hat sie im Schreiben vom 26.03.2009 die Ansicht vertreten, es bestehe laut Bericht der Radarkommission grundsätzlich ein Zusammenhang zwischen Rektumkarzinomen und Radarstrahlungen bzw. einer Ra 226-Ingestion.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 08.04.2009 darauf hingewiesen, dass sich im Flugzeug F-86 (auch) das Gerät APX-6 befunden habe. Dieses Gerät sei kein Radargerät, sondern ein Freund-Feind-Kenngerät, das im Unterschied gegenüber Radargeräten eine viel geringere Signalintensität habe.

Der Sachverständige hat sich in einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 13.04.2009 zum Vorbringen der Klägerin mit Blick auf Thorium und Infraschall geäußert und bekräftigt, dass er keinen Zusammenhang mit dem Rektumkarzinom des G. sehe.

Mit Schreiben vom 19.08.2009 hat die Klägerin Auszüge aus der sogenannten Thorotrast-Studie ins Verfahren eingeführt.

Der gerichtliche Sachverständige Dr. D. hat sich in einer weiteren Stellungnahme vom 10.10.2009 zur Thorotrast-Studie geäußert und erläutert, dass ein dort vorgenommener Vergleich für die Erkrankung Rektumkarzinom kein signifikantes Ergebnis ergeben habe, was der herrschenden medizinischen Lehrmeinung entspreche.

Die Klägerin hat die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen mit Schreiben vom 19.11.2009 als nicht verwertbar und widersprüchlich bezeichnet. Werde Thorium inkorporiert, komme - so die Klägerin - dessen biologische Wirkung am unheilvollsten zur Geltung. Zudem sei G. auch wegen der Bremsen in Kontakt mit Asbest gekommen. Es seien hier Wechselwirkungen zwischen krebserzeugenden Noxen entstanden.

Mit Gerichtsbescheid vom 08.12.2009 ist die Klage abgewiesen worden. Das SG hat sich dabei auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. D. gestützt. Selbst wenn die Angaben der Klägerin zugrunde gelegt würden, lasse sich ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung des G. und dem Rektumkarzinom nicht herstellen.

Am 20.12.2009 hat die Klägerin zu Protokoll des Bayer. Landessozialgerichts (LSG) Berufung eingelegt.

Die Berufung hat sie mit Schreiben vom 11.01.2010 wie folgt begründet: Das SG habe seine Entscheidung nahezu ausschließlich auf die Behauptungen des Dr. D. gestützt, der von falschen Prämissen ausgegangen sei. Dr. D. sei als Sachverständiger für G. nicht geeignet. Die Thorotrast-Studie sei dem Sachverständigen nicht bekannt gewesen. Das SG hätte die Dienstvorschrift der Bundeswehr zum Umgang mit radioaktiven Stoffen unter Berücksichtigung der Strahlenschutzverordnung berücksichtigen müssen. Fehlende Messwerte durch die Beklagte und fehlende persönliche Schutzausrüstung seien nicht berücksichtigt worden. Zu berücksichtigen seien auch die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen krebserzeugenden Noxen.

Im Auftrag des Senats hat der Dr. C. am 24.04.2011 ein Gutachten erstellt. Wie bereits der Vorgutachter ist er zu der Einschätzung gekommen, dass das Rektumkarzinom, an dem G. gestorben sei, nicht auf eine berufliche Belastung des G. zurückzuführen sei.

Die Klägerin hat anschließend mit Schreiben vom 23.06.2011 beantragt, den Internisten und Gastroenterologen Dr. G. gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu hören. Weiter hat sie darauf hingewiesen, dass G. anschließend an die Bundeswehr als Vertreter am Aufbau einer Firma beteiligt gewesen sei und dies eine extrem gute Gesundheit vorausgesetzt habe. G. habe immer besonders gut auf seine Gesundheit geachtet, sehr vernünftig gelebt und stets eine gute Fitness gehabt. Er sei sehr beliebt und zuverlässig gewesen. Weder ein Elternteil von ihm noch eines seiner vier Geschwister sei jemals an einem Rektumkarzinom erkrankt. Weiter hat sie sich mit Schreiben vom 30.06.2011 erneut kritisch zum Gutachten des Dr. C. geäußert und dem Sachverständigen schwere Fehler vorgeworfen.

Mit Schreiben vom 07.01.2012 hat die Klägerin ausgeführt, dass G. verschiedenen Strahlungsquellen ausgesetzt gewesen sei, nämlich Thorium 232 (Düse), Cäsium 137 (Triebwerkskomponenten) und Radium 226 (Leuchtziffern, Cockpit). Sie hat darauf hingewiesen, dass bei zu Bruch gegangenen Röhren, die in den Radargeräten gewesen seien, Kontaminationsgefahr bestanden habe. Beim Umgang mit offenen radioaktiven Stoffen, wie im Fall des G., sei immer mit Kontaminationen zu rechnen.

Die Beklagte hat sich mit Schreiben vom 09.02.2012 zur Asbestproblematik geäußert. Eine Krebserkrankung durch den Kontakt mit Asbest sei nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft in Form folgender Erkrankungen möglich: Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs, bösartige Erkrankung des Rippen- oder Bauchfells.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 28.02.2012 Auszüge aus der Bundestags-Drucksache 9/360 (Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Vorschlag einer Zweiten Richtlinie des Rates zum Schutz der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch Agenzien bei der Arbeit: Asbest) vorgelegt, in der u. a. ausgeführt ist, dass einige Studien ein verstärktes Auftreten u. a. von Rektumkarzinomen bei beruflich exponierten Arbeiten ergeben hätten.

Im Erörterungstermin vom 06.03.2012 hat die Klägerin die Ansicht vertreten, dass die Gefährdung des G. deshalb so hoch gewesen sei, weil er vielen verschiedenen Noxen ohne Schutzmaßnahmen ausgesetzt gewesen sei. Aus ihrer Sicht sei das vorliegende Gutachten völlig unverwertbar; der Sachverständige habe praktisch alles verdreht.

Mit Schreiben vom 22.03.2012 hat die Klägerin dem Gutachter Dr. C. fehlende Objektivität und Neutralität, Unkenntnis auf dem Gebiet des Strahlenschutzes und diverse andere Verstöße vorgehalten.

Am 24.05.2012 ist der von der Klägerin gemäß § 109 SGG benannte Sachverständige Dr. G. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden. Mit Schreiben vom 20.06.2012 hat die Klägerin dann aber mitgeteilt, dass sie die Erstellung des Gutachtens des Dr. G. nicht in Anspruch nehme.

Auf Nachfrage des Senats zu einer Berufskrankheitenreife im Sinn von § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) eines Rektumkarzinoms infolge einer Belastung durch Asbest bzw. einer kumulativen Belastung von ionisierender Strahlung und Asbest hat das Bundesministerium und Soziales mit Schreiben vom 31.08.2013 mitgeteilt, dass es dazu derzeit keine Überlegungen im ärztlichen Sachverständigenbeirat gebe.

Anschließend hat der Senat versucht, bei den bereits bisher mit der Angelegenheit befassten Sachverständigen Dr. D. und Dr. C. eine ergänzende Stellungnahme insbesondere zum Gesichtspunkt der Asbestbelastung zu erhalten. Beide Sachverständige haben den Auftrag unerledigt zurückgegeben, ebenso der anschließend beauftragte Sachverständige Prof. Dr. B..

Mit gerichtlichem Schreiben vom 19.01.2015 sind die Beteiligten über den kraft Gesetzes eingetretenen Beklagtenwechsel - an die Stelle des Trägers der Versorgungsverwaltung ist die bisherige Beigeladene getreten - informiert worden.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 22.07.2015 Auszüge aus dem Internet übersandt, aus denen sich ergibt, dass Rektumkarzinome regelmäßig (90%) nach dem 50. Lebensjahr auftreten und dass die Strahlenempfindlichkeit des Rektums niedrig ist (Merkblatt zur BK Nr. 2402).

Im Auftrag des Senats hat der Internist und Arbeitsmediziner Prof. Dr. E. am 22.09.2015 ein Gutachten erstellt. Er ist darin zu der Einschätzung gekommen, dass ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition des G. und dem Rektumkarzinom nicht bestehe und zwar weder im Sinn der hinreichenden Wahrscheinlichkeit noch im Sinn der Kannversorgung.

Das Gutachten ist der Klägerin mit Schreiben des Senats vom 30.09.2015 und dem Hinweis auf die fehlenden Erfolgsaussichten infolge der übereinstimmenden Gutachten übersandt worden.

Die Klägerin hat sich dazu mit Schreiben vom 29.10.2015 dahingehend geäußert, dass eine Verwertbarkeit des Gutachtens von Prof. Dr. E. für sie nicht erkennbar sei.

Während des Berufungsverfahrens von der Klägerin gestellte Befangenheitsanträge (gegen Gutachter und Berichterstatter des Senats) sind erfolglos geblieben.

In der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2015 hat die Klägerin erklärt, dass eine Schädigung des G. durch Röntgenstrahlen und Infraschall nicht länger geltend gemacht werde. Weiterhin geltend gemacht werde eine Schädigung durch ionisierende Strahlen im Cockpit, Radium 226, Thorium 232 und Cäsium 137. Die beiden letzten Stoffe seien in der Düse gewesen. Weiter werde eine Schädigung durch Asbest und durch die Kombination der von der Klägerin weiterhin als schädigend bezeichneten Stoffe geltend gemacht.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 08.12.2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des ZBFS vom 14.04.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.05.2005 zu verpflichten, ihr ab Erkrankung ihres Ehemanns Versorgung und in der Folge wegen des Ablebens ihres Ehemanns Hinterbliebenenversorgung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten, des ZBFS und des SG München beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Soweit die Klägerin beantragt, ihr unter Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheids und des angegriffenen Bescheids Hinterbliebenenversorgung zuzusprechen, ist die Berufung zulässig, aber unbegründet. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2015 beantragt hat, ihr Versorgung während der Lebzeiten des G. zu gewähren, liegt darin eine durch Klageänderung eingeführte Klage, die als unzulässig abzuweisen ist.

1. Richtige Beklagte

Wegen des zum 01.01.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zur Übertragung der Zuständigkeiten der Länder im Bereich der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung nach dem Dritten Teil des Soldatenversorgungsgesetzes auf den Bund vom 15.07.2013 (BGBl. I 2013 Nr. 38 S. 2416 ff.) ist ein Beklagtenwechsel kraft Gesetzes eingetreten. Dies bedeutet, dass der bisherige Beklagte (Freistaat Bayern als Träger der Versorgungsverwaltung) aus dem Verfahren ausgeschieden und an seine Stelle die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesministerin der Verteidigung, ins Verfahren eingetreten ist.

2. Zum Antrag der Klägerin auf Gewährung von Versorgung während Lebzeiten des G.

Die geänderte Klage ist unzulässig.

Mit dem erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2015 gestellten Antrag der Klägerin, ihr auch eine Versorgung für die Zeit der Erkrankung des G. bis zu seinem Tod zu gewähren, hat die Klägerin eine Klageänderung im Sinn des § 99 SGG vorgenommen und beim LSG als erstinstanzliches Gericht die Klage auf Versorgung während Lebzeiten des G. erhoben.

Unabhängig von der (vorliegend fehlenden) Zulässigkeit der Klageänderung müssen für eine geänderte Klage auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sein; dies hat der Senat von Amts wegen zu prüfen (ständige Rspr., vgl. z. B. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R, Urteile vom 31.7.2002, Az.: B 4 RA 113/00 R, und vom 23.04.2015, Az.: B 5 RE 23/14 R)

Die geänderte Klage ist vorliegend unzulässig, weil es an einer Verwaltungsentscheidung über die Gewährung von Versorgung an die Klägerin vor dem Versterben des G. bislang fehlt.

3. Zum Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung

Der Klägerin steht keine Hinterbliebenenversorgung zu, da nicht nachgewiesen ist, dass ihr Ehemann G. an der Folge einer Wehrdienstbeschädigung gestorben ist.

3.1. Voraussetzungen von Hinterbliebenenrente - Allgemeines

Voraussetzung für eine Hinterbliebenenrente gemäß § 80 SVG i. V. m. § 38 BVG ist ein rechtlich wesentlicher Kausalzusammenhang zwischen Wehrdienstbeschädigung und Tod.

Eine Wehrdienstbeschädigung ist gemäß § 81 Abs. 1 SVG eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.

Entsprechend der vorgenannten Bestimmung setzt die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. BSG, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (= „Wehrdienstbeschädigung“) (2. Glied) geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen (= „Folge einer Wehrdienstbeschädigung“) (3. Glied) bedingt. Dabei ist eine trennscharfe Differenzierung zwischen dem 2. und dem 3. Glied oftmals praktisch nicht möglich und daher verzichtbar; auch im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung wird dies so praktiziert (vgl. Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11).

Die drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Dies bedeutet, dass kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R). Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität. Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle, versorgungsrechtlich geschützte Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 128, Rdnr. 3 c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66).

Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie nach der versorgungsrechtlichen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 08.08.1974, Az.: 10 RV 209/73) rechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs „annähernd gleichwertig“ sind. Während die ständige unfallversicherungsrechtliche Rechtsprechung (vgl. z. B. BSG, Urteile vom 09.05.2006, Az.: B 2 U 1/05 R, und vom 30.01.2007, Az.: B 2 U 8/06 R) demgegenüber den Begriff der „annähernden Gleichwertigkeit“ für nicht geeignet zur Abgrenzung hält, da er einen objektiven Maßstab vermissen lasse und missverständlich sei, und eine versicherte Ursache dann als rechtlich wesentlich ansieht, wenn nicht eine alternative unversicherte Ursache von überragender Bedeutung ist, hat der für das soziale Entschädigungsrecht zuständige 9. Senat des BSG in seinem Urteil vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 6/13 R zur annähernden Gleichwertigkeit Folgendes ausgeführt:

„Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Haben also neben einer Verfolgungsmaßnahme mehrere weitere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen, ist die Verfolgungsmaßnahme versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge der Verfolgungsmaßnahme zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Verfolgungsmaßnahme in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen.“

Von einer annähernden Gleichwertigkeit einer versorgungsrechtlich geschützten Ursache kann daher nur dann ausgegangen werden, wenn ihre Bedeutung gleich viel oder mehr Gewicht als die andere(n) Ursachen hat.

Die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinn als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, ist im jeweiligen Einzelfall aus der Auffassung des praktischen Lebens abzuleiten (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2001, Az.: B 9 V 5/00 R).

Die Kausalitätsbeurteilung hat grundsätzlich auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Gesundheitsschäden auf der Basis der herrschenden medizinischem Lehrmeinung zu erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, Az.: B 2 U 1/05 R).

Für unfallunabhängige Gesundheitsstörungen, in denen wesensmäßig die Nachweisführung eines Zusammenhangs aufgrund eines konkreten Anlassereignisses erheblich erschwert ist, bestimmt sich der versorgungsrechtlich geschützte Bereich nach dem SVG nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Dieses unterliegt dem Listenprinzip mit der Öffnungsklausel des § 9 Abs. 2 SGB VII, wobei hierdurch nur ein Vorgriff auf eine Änderung der BKV möglich ist (ständige Rspr., vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18.06.2013, Az.: B 2 U 3/12 R).

Bei der Beurteilung unfallunabhängiger Gesundheitsstörungen von Soldaten ist aber zu berücksichtigen, dass die Belastungen im Wehrdienst nicht selten solche sind, die in zivilen Berufen nicht auftreten. Daher wäre es zu kurz gegriffen, sich uneingeschränkt an den unfallversicherungsrechtlichen Vorgaben und Erkenntnissen zu Berufskrankheiten oder berufskrankheitenreifen Erkrankungen zu orientieren. Vielmehr ist der Rechtsgedanke des § 9 Abs. 2 SGB VII dahingehend aufzugreifen, dass von einer „Berufskrankheitenreife“ im soldatenversorgungsrechtlichen Sinn auch dann auszugehen ist, wenn die Krankheit zwar nicht in der Liste der BKV aufgenommen ist, der Dienstherr (= Bundeswehr) aber wegen einer erkannten Gefährdung der Soldaten handeln müsste, wenn es eine explizite Regelung wie die BKV auch für soldatenspezifische Erkrankungen gäbe. Davon ist dann auszugehen, wenn eine Situation gegeben ist, in der bekannt geworden ist, dass bestimmte Einwirkungen, denen Soldaten im Dienst in höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, zur Entwicklung bestimmter Krankheiten beitragen können, für die medizinstatistisch nachgewiesen ist, dass die Zahl der Erkrankungen von Soldaten signifikant höher als in der Allgemeinbevölkerung ist (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Wenn das BSG dies im Urteil vom 11.10.1994, Az.: 9 BV 55/94, dahingehend formuliert hat, dass dafür „besondere außerordentliche Belastungen, die typischerweise nur unter den Bedingungen des Krieges auftreten“, erforderlich wären, ist diese Formulierung missverständlich. Denn eine gesetzliche Grundlage für diese Orientierung am „Krieg“ geben die Regelungen des SVG nicht her; vielmehr wird dort (§ 81 Abs.1 SVG) ausdrücklich auf „die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse“ abgestellt, womit eine Abgrenzung von auch im zivilen Leben vorkommenden Belastungen hergestellt wird. Wehrdiensteigentümliche Verhältnisse sind daher solche, die der Eigenart des militärischen Dienstes entsprechen und im Allgemeinen mit dem Dienst eng verbunden sind. Damit werden all die nicht weiter bestimmbaren Einflüsse des Wehrdienstes erfasst, die aus der besonderen Rechtsnatur des Wehrdienstverhältnisses und der daraus resultierenden Beschränkung der persönlichen Freiheit des Soldaten resultieren (vgl. Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11; Lilienfeld, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl. 2012, § 81 SVG, Rdnr. 29). Eine kriegsähnliche Belastung zu verlangen, würde zu weit gehen; ausreichend aber auch erforderlich ist eine Belastung, wie sie im zivilen Leben so nicht oder nicht in vergleichbarem Maß vorkommt. Bei der Abgrenzung zwischen wehrdiensteigentümlichen und zivilen Verhältnissen ist von den normalen Umständen und Verhaltensweisen sowie den durchschnittlichen Gefährdungen im Zivilleben auszugehen (vgl. Sailer, in: Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl. 1992, § 81 SVG, Rdnr. 27; Urteile des Senats vom 02.07.2013, Az.: L 15 VS 9/10, und vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11).

Bei der Bestimmung der Krankheiten, bei denen von einer Berufskrankheitenreife im oben aufgezeigten soldatenversorgungsrechtlichen Sinn ausgegangen werden kann, stellt der Bericht der Radarkommission vom 02.07.2003 eine wichtige Grundlage dar. Denn darin ist, was maligne Erkrankungen und Katarakte angeht, der zu der Frage der Verursachung derartiger Erkrankungen zusammengefasste Stand der medizinischen Wissenschaft zu dem (zum Zeitpunkt der Anfertigung) aktuellen Zeitpunkt dargestellt (vgl. z. B. S. II, VI des Berichts der Radarkommission).

Kann eine Aussage zu einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang nur deshalb nicht getroffen werden, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt die sogenannte Kannversorgung gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG in Betracht. Von Ungewissheit ist dann auszugehen, wenn es keine einheitliche herrschende, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, Az.: B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, Az.: 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06). In einem solchen Fall liegt eine Schädigungsfolge dann vor, wenn bei Zugrundelegung der wenigstens einen wissenschaftlichen Lehrmeinung nach deren Kriterien die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs nachgewiesen ist (vgl. Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, Az.: 9/9a RV 41/92).

Zusammengefasst bedeutet dies, dass ein unfallunabhängiger Gesundheitsschaden unter folgenden Gesichtspunkten als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden kann (vgl. auch Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11):

* Alternative 1: Die Gesundheitsstörung ist in der BKV als Berufskrankheit anerkannt.

* Alternative 2: Wenn die vorgenannte Voraussetzung nicht erfüllt ist: Es besteht eine sogenannte Berufskrankheitenreife im Sinn des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung.

* Alternative 3: Wenn die vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind: Es besteht eine Berufskrankheitenreife im oben aufgezeigten soldatenversorgungsrechtlichen Sinn.

* Alternative 4 (Kannversorgung): Wenn die vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind: Es besteht über die Ursache des Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit, es gibt aber wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung, die die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs positiv vertritt.

Die Anerkennung des Tods als Folge einer Wehrdienstbeschädigung schließlich setzt voraus, dass die Folge einer Wehrdienstbeschädigung, gegebenenfalls über mittelbare Schädigungsfolgen (4. Glied der oben begonnenen Kausalkette), über das Todesleiden (letztes Glied) zum Tod geführt hat (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92). Zum Beweismaßstab hinsichtlich des Vorliegens der etwaigen mittelbaren Schädigungsfolgen, des Todesleidens und des Tods einerseits und des kausalen Zusammenhangs andererseits wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

3.2. Zu der hier im Raum stehenden Erkrankung eines Rektumkarzinoms

Das Rektumkarzinom des G. hat zwar ohne Zweifel zum Tod des G. geführt; es ist aber nicht der Nachweis erbracht, dass es Folge einer Wehrdienstbeschädigung ist.

Bei dieser Einschätzung stützt sich der Senat auf die gerichtlichen Gutachter, die alle zum selben Ergebnis gekommen sind. Die allesamt sehr erfahrenen Sachverständigen haben die ihnen übersandten Akten äußerst sorgfältig ausgewertet und alle relevanten Gesichtspunkte berücksichtigt. Sie haben ihre Gutachten überzeugend, eingehend und nachvollziehbar begründet. Irgendwelche Anhaltspunkte, an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen der Sachverständigen zu zweifeln, bestehen für den Senat nicht.

3.2.1. Keine Berufskrankheit bzw. Wie-Berufskrankheit im Sinn des BKV

Das Rektumkarzinom des G. war keine Berufskrankheit in diesem Sinn. Eine Berufskrankheit im Sinn der BK Nr. 2402 (Erkrankungen durch ionisierende Strahlen) liegt nicht vor.

Berufskrankheitentatbestände infolge einer Asbestbelastung (unter der Überschrift Nr. 4 Anlage 1 zur BKV) kommen nicht zur Anwendung, da die dort genannten Erkrankungen kein Rektumkarzinom, sondern nur Erkrankungen der Atemwege und der Lungen, des Rippenfells und des Bauchfells umfassen.

Die Voraussetzungen für eine Wie-Berufskrankheit liegen ebenfalls nicht vor, wie sich aus den Ausführungen des Bundesministeriums und Soziales im Schreiben vom 31.08.2013 ergibt. Danach gibt es derzeit keine Überlegungen im ärztlichen Sachverständigenbeirat dazu, ob der Frage der Anerkennung eines Rektumkarzinoms als Berufskrankheit infolge einer Belastung durch Asbest bzw. einer kumulativen Belastung von ionisierender Strahlung und Asbest näher zu treten sei.

3.2.2. Keine Berufskrankheit bzw. Wie-Berufskrankheit im Sinn des Soldatenrechts

Es gibt auch nichts, was darauf hindeuten würde, dass nach dem herrschenden Stand der medizinischen Meinung von einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen den Belastungen, denen G. durch seine dienstliche Tätigkeit ausgesetzt gewesen ist, und dem Auftreten des Rektumkarzinoms ausgegangen werden könnte.

Eine Anerkennung scheitert aus folgenden Gründen:

Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse zu den Arbeitsbedingungen des G. kann bereits nicht davon ausgegangen werden, dass eine relevante Strahlenexposition bestanden hat.

Eine Strahlenbelastung infolge Radarstrahlen ist bei G. nicht in einem erheblichen Umfang, wie er zur Auslösung eines Rektumkarzinoms erforderlich wäre, nachgewiesen. Der Kläger ist nicht in einer im Sinn des Berichts der Radarkommission qualifizierenden beruflichen Position tätig gewesen. Selbst wenn er nicht nur vorübergehend Hilfsarbeiten für Radarmechaniker oder Radartechniker ausgeübt hätte, sondern in gleicher Weise wie diese tätig gewesen wäre, könnte von einer potentiell krankheitsauslösenden beruflichen Tätigkeit nicht ausgegangen werden. Denn die auftretende Belastung durch Radarstrahlung wäre nicht geeignet, ein Rektumkarzinom zu verursachen. Der Flugzeugtyp F-86, an dem G. ganz überwiegend gearbeitet hat, hat mit dem Feuerleitradar vom Typ AN/APG-30 über ein Gerät mit Radarstrahlung verfügt, wie dies die Klägerin vorgetragen und auch die Beklagte durch die Vorlage von Unterlagen zu diesem Gerät bestätigt hat. Das Gerät AN/APG-30 hat mit einer maximalen Betriebsspannung von 6 kV gearbeitet. Dafür, dass ein derartiger Störstrahler geeignet wäre, ein Rektumkarzinom zu verursachen, gibt es keinerlei Hinweise. Ausweislich des Berichts der Radarkommission (vgl. dort S. 136) kommt eine Verursachung eines Rektumkarzinoms erst ab einer maximalen Betriebsspannung des Radargeräts von mindestens 15 kV in Betracht; anderenfalls kann nicht von einer für die Verursachung eines Rektumkarzinoms ausreichenden Eindringtiefe der Radarstrahlung ausgegangen werden, wie dies auch die Sachverständigen bestätigt haben. Die für die Verursachung eines Rektumkarzinoms erforderliche maximale Betriebsspannung des Radargeräts von mindestens 15 kV war bei G. bei Weitem nicht erreicht. Deshalb und zudem aufgrund der Dienstzeit von (nur) fünf Jahren kann, wie dies der Sachverständige Dr. D. überzeugend erläutert hat, nicht von einer potentiell krankheitsverursachenden Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung ausgegangen werden.

Die von Leuchtfarben ausgehende Strahlenbelastung war ebenfalls zu niedrig, wie sachverständigenseits festgestellt worden ist. Zudem kann, wie dem Bericht der Radarkommission zu entnehmen ist, bei einem Kontakt mit radioaktiven, da radiumhaltigen Leuchtfarben nicht von einem kausalen Zusammenhang mit einem Rektumkarzinom ausgegangen werden. Als qualifizierende Erkrankungen hat der Radarbericht ausschließlich Knochenkarzinome und unter bestimmten Voraussetzungen Lungenkrebs bezeichnet (vgl. S. 137 f. des Berichts der Radarkommission).

Von einer relevanten radioaktiven Belastung durch Thorium kann nicht ausgegangen werden. Thorium wäre allenfalls dann potentiell gefährlich gewesen, wenn eine Inkorporation in erheblichem Umfang erfolgt wäre. Eine Inkorporation ist aber bereits als solche nicht im Vollbeweis nachgewiesen, geschweige denn in einem erheblichen Umfang. Thorium war nur als Legierung in Triebwerksbestandteilen enthalten, bei denen zwar ein Berühren durch G. stattgefunden hat. Daraus folgt aber keine Inkorporation. Die Behauptung der Klägerin, G. hätte über die Hände und von dort über den Mund den radioaktiven Stoff Thorium in seinem Körper aufgenommen, ist nicht nachvollziehbar. Voraussetzung dafür wäre zum einen gewesen, dass G. erheblichen Kontakt mit Stäuben dieses Stoffs gehabt hätte. Davon kann aber nicht ausgegangen werden, da materialbearbeitende Tätigkeiten an thoriumhaltigen Triebwerksbestandteilen nicht zu seiner dienstlichen Tätigkeit gehört haben. Denn materialbearbeitende und mit einer Entstehung von möglicherweise thoriumhaltigem Staub verbundene Tätigkeiten an Triebwerksbestandteilen wurden nicht von Bundeswehrsoldaten wie G. ausgeführt, sondern waren an zivile Firmen vergeben. Zum anderen hätte G. diese Stäube dann über den Mund in den Körper aufnehmen müssen, was ebenfalls nicht nachvollziehbar ist. Schließlich ist das Karzinom des G. am Rektum und damit an einem Körperteil aufgetreten, der vergleichsweise unempfindlich gegenüber Strahlenbelastung ist. Dass Karzinome des Rektums nicht als Folge einer Inkorporation von Thorium zu betrachten sind, ergibt sich auch aus der von der Klägerin selbst angeführten Thorotrast-Studie. Wie sich aus den Unterlagen dieser Studie entnehmen lässt, haben sich damals keinerlei Erkenntnisse hinsichtlich eines relevant erhöhten Risikos eines Rektumkarzinoms bei der Thorotrast-Gruppe ergeben. Vielmehr war das Risiko einer derartigen Erkrankung nicht relevant erhöht gegenüber der Vergleichsgruppe aus der Allgemeinbevölkerung (vgl. Becker u. a., Epidemiologische Auswertung der Mortalität in der Thorotrast-exponierten Gruppe und der Kontrollgruppe im Vergleich zur Mortalität in der Allgemeinbevölkerung, 2006, Anhang, Tabelle 7).

Weiter lässt sich vorliegend auch kein Zusammenhang zwischen der Asbestbelastung und dem Rektumkarzinom herstellen. Sofern in der medizinischen Wissenschaft über ein statistisch geringfügig erhöhtes Auftreten von Rektumkarzinomen bei Asbestbelastung berichtet worden ist, liegen dieser Erkenntnis Fälle mit einer weitaus höheren Asbestbelastung als bei G. zugrunde. Zudem waren in diesen Fällen bereits deutliche Auswirkungen von Asbest an anderen Körperteilen (Asbestdose bzw. Asbestplaques) nachgewiesen, was in der Person des G. nicht der Fall war und die Nichtvergleichbarkeit der der Erhebung zugrunde liegenden Fälle mit dem des G. deutlich macht. Die diesbezüglichen, vom Sachverständigen Prof. Dr. E. überzeugend angestellten Überlegungen werden auch nicht durch die von der Klägerin bruchstückhaft vorgelegten Auszüge aus der Bundestags-Drucksache 9/360 (Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Vorschlag einer Zweiten Richtlinie des Rates zum Schutz der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch Agenzien bei der Arbeit: Asbest) in Frage gestellt. Ganz abgesehen davon, dass fraglich ist, ob diese vom 16.04.1981 datierende Drucksache überhaupt noch aktuell ist, steht sie auch nicht in Widerspruch zu den Feststellungen des Sachverständigen und den von diesem angeführten wissenschaftlichen Erkenntnissen, wonach bei besonders hoher Asbestbelastung ein statistisch geringfügig erhöhtes Auftreten von Rektumkarzinomen beobachtet worden ist - dann aber mit erkennbaren Asbestauswirkungen in anderen Körperteilen, wie sie bei G. nicht nachgewiesen sind.

Auch eine potentielle Exposition gegenüber Infraschall beim Abbremsen der Flugzeuge - ob diese überhaupt bei G. vorgelegen hat, kann dahingestellt bleiben - ist nicht geeignet, ein Rektumkarzinom zu verursachen. Keiner der Gutachter hat hier einen Zusammenhang sehen können. In der medizinischen Wissenschaft wird, wie dies die Sachverständigen übereinstimmend erläutert haben, ein Zusammenhang zwischen Infraschall und einem Rektumkarzinom nicht in Erwägung gezogen.

Schließlich handelt es sich bei der Annahme der Klägerin von Wechselwirkungen zwischen verschiedenen krebserzeugenden Noxen um eine bloße Spekulation, die in der medizinischen Wissenschaft keine Stütze findet, wie dies der Sachverständige Prof. Dr. E. erläutert hat. Eine Krankheitsursache im Sinn der hinreichenden Wahrscheinlichkeit lässt sich mit einer solchen Spekulation nicht begründen.

Der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang auch nicht unter dem Gesichtspunkt in Betracht kommt, dass bei G. ein Adenom-Karzinom, also eine bösartige Krebserkrankung vorgelegen hat, die sich in der Regel aus einem gutartigen Adenom der Rektum- oder Dickdarmschleimhaut entwickelt. Denn es gibt keinerlei medizinische Erkenntnisse, dass es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer beruflichen Belastung, wie sie G. ausgesetzt gewesen ist, und der Entwicklung eines gutartigen Adenoms im Bereich des Rektums gäbe. Dies hat der Sachverständige Prof. Dr. E. überzeugend dargestellt. Der typischen Sequenz der Entwicklung eines sporadisch auftretenden Karzinoms aus einem gutartigen Adenom liegen teils bis in Details aufgeklärte molekulare, epigenetische und chromosale Aberrationen zugrunde, bei denen anlagebedingte und exogene, vor allem durch den westlichen Lebensstil bedingte Faktoren zusammenwirken. Allein die Vielzahl der Störungsmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen erklärt für sich allein schon die Häufigkeit des spontanen Auftretens colorektaler Karzinome, so dass eine Strahlenätiologie als Ursache höchst unwahrscheinlich ist. Ein gutartiges Adenom der Rektum- oder Dickdarmschleimhaut kommt somit nicht als sogenannte Umwegserkrankung (vgl. BSG, Urteil vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06 R; Urteile des Senats vom 06.11.2012, Az.: L 15 VS 13/08 ZVW, und vom 21.04.2015, Az.: L 15 VH 1/12) in Betracht.

3.2.3. Keine Kannversorgung

Wie die Sachverständigen, zuletzt Prof. Dr. E., überzeugend erläutert haben, besteht für das Erkrankungsbild eines Rektumkarzinoms in der medizinischen Wissenschaft keine Ungewissheit über die (allgemeine) Ursache dieser Erkrankung. Das Rechtsinstitut der Kannversorgung kommt schon aus diesem Grund nicht in Betracht.

Dass es insofern auch keine einzige wissenschaftliche Lehrmeinung gibt, die die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Rektumkarzinom und einer beruflichen Belastung, wie sie G. ausgesetzt war, vertritt, auch nicht in dem von der Klägerin vermuteten Sinn einer Wechselwirkung zwischen verschiedenen krebserzeugenden Noxen - darauf hat insbesondere, aber nicht nur der Sachverständige Prof. Dr. E. hingewiesen -, hat daher keine weitere entscheidende Bedeutung mehr.

3.3. Zum Vorbringen der Klägerin im Übrigen

Wenn die Klägerin meint, aus dem von ihr angeführten Urteil des SG Aachen vom 29.09.2008 Rückschlüsse auf einen Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung des G. und dem Rektumkarzinom ziehen zu können, irrt sie. Der dort zugrunde gelegene Fall und der des G. sind nicht ansatzweise vergleichbar, sondern unterscheiden sich ganz maßgeblich. Beispielhaft weist der Senat nur darauf hin, dass im dort entschiedenen Fall die Radargeräte am Flugzeugtyp F-104 eine Betriebsspannung von 25 kV (im Fall des G: nur maximal 6 kV) gehabt haben, die Strahlenbelastung 22 Jahre (im Fall des G: nur rund 5 Jahre) gedauert hat und der Tumor am Kiefer (im Fall des G: am vergleichsweise strahlenunempfindlichen Rektum) lokalisiert gewesen ist.

Die Thorotrast-Studie ist schon wegen der zugrunde liegenden Belastung nicht als aussagekräftig für die Beurteilung des Fall des G. anzusehen. Der Belastung durch die intravenöse Aufnahme des massiv belastenden thoriumhaltigen Röntgenkontrastmittels Thorotrast ist der Kontakt des G. zu möglicherweise thoriumhaltigen Triebwerksbestandteilen nicht vergleichbar, wobei zu beachten ist, dass weitergehende Triebwerksarbeiten mit einer möglichen Staubbelastung infolge einer Materialbearbeitung ohnehin nicht durch G. vorgenommen worden sind. Denn derartige Arbeiten waren an zivile Firmen vergeben und wurden daher von Flugzeugmechanikern und Flugzeugmechaniker(meister)n (Düse) nicht ausgeführt, wie die Beklagte überzeugend dargestellt hat. Zudem belegt die Studie gerade nicht die Behauptung der Klägerin, dass eine Belastung mit Thorotrast zu einem erhöhten Auftreten von Rektumkarzinomen geführt habe. Vielmehr belegt die Studie gerade, dass Rektumkarzinome bei den Thorotrast-Patienten nicht häufiger aufgetreten sind als bei der Vergleichsgruppe aus der Allgemeinbevölkerung (vgl. oben Ziff. 3.2.2.).

Sofern die Klägerin vorträgt, dass die Dienstvorschrift der Bundeswehr zum Umgang mit radioaktiven Stoffen unter Beachtung der Strahlenschutzverordnung und die Tatsache, dass die Beklagte über keine Messwerte verfüge und persönliche Schutzausrüstungen gefehlt hätten, berücksichtigt werden müssten, irrt sie. Ganz abgesehen davon, dass die Strahlenschutzverordnung erst im Jahr 1976 und damit nach dem Dienstende des G. erlassen worden ist, könnte allein mit der Missachtung von rechtlichen Vorgaben zum Arbeitsschutz kein rechtlich wesentlicher Kausalzusammenhang für das Auftreten einer Gesundheitsstörung begründet werden. Denn der Zusammenhang wird durch tatsächliche Umstände, nicht durch die bloße Verletzung rechtlicher Vorgaben bestimmt; eine irgendwie geartete Fiktionswirkung gibt es insofern nicht. Im Übrigen sind sowohl die Beklagte als auch das SG davon ausgegangen, dass konkrete Messwerte nicht vorliegen und Schutzmaßnahmen zur Dienstzeit des G. allenfalls in unzureichendem Umfang getroffen worden sind (vgl. auch den Bericht der Radarkommission, S. III f. und S. 130 f., wonach in der sogenannten Phase 1 bis 1975 nur vereinzelte Messungen der Röntgen(stör)strahlung dokumentiert sind, in der Phase 2 ab 1975 bis 1985 Strahlenschutzmaßnahmen etabliert worden sind und erst in der sich anschließenden Phase 3 von adäquaten Strahlenschutzmaßnahmen ausgegangen werden kann, sowie S. IV f. und S. 132, wonach erst spätestens ab 1980 Arbeiten an Leuchtfarben mit Schutzausrüstungen erfolgt sind).

Ohne Bedeutung für die Entscheidung ist, dass keine konkrete Ursache für das Rektumkarzinom des G. festgestellt worden ist. Denn die Klägerin hätte nur dann Erfolg haben können, wenn eine versorgungsrechtlich geschützte Ursache als die rechtlich wesentliche Ursache für die Entstehung des Karzinoms nachgewiesen wäre. Dies ist nicht der Fall. Nicht ausreichend ist hingegen, wenn andere, keinen Versorgungsschutz vermittelnden Ursachen nur nicht ausgeschlossen werden können oder nur die bloße Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen Erkrankung und dienstlicher Tätigkeit besteht.

Die Klägerin hat daher mit ihrer Berufung keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.

(2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben.

(3) Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrunds

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Ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, erhält nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit in diesem Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. Entsprechend erhalten eine Zivilperson, die eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, und die Hinterbliebenen eines Beschädigten auf Antrag Versorgung. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt. Satz 3 gilt entsprechend, wenn ein Partner in der Zeit zwischen dem 1. November 1994 und dem 23. Juni 2006 an den Schädigungsfolgen verstorben ist.

(1) Ist ein Beschädigter an den Folgen einer Schädigung gestorben, so haben die Witwe, der hinterbliebene Lebenspartner, die Waisen und die Verwandten der aufsteigenden Linie Anspruch auf Hinterbliebenenrente. Der Tod gilt stets dann als Folge einer Schädigung, wenn ein Beschädigter an einem Leiden stirbt, das als Folge einer Schädigung rechtsverbindlich anerkannt und für das ihm im Zeitpunkt des Todes Rente zuerkannt war.

(2) Die Witwe oder der hinterbliebene Lebenspartner haben keinen Anspruch, wenn die Ehe oder die Lebenspartnerschaft erst nach der Schädigung geschlossen worden ist und nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat oder der Begründung der Lebenspartnerschaft war, der Witwe oder dem hinterbliebenen Lebenspartner eine Versorgung zu verschaffen.

(3) Ein hinterbliebener Lebenspartner hat keinen Anspruch auf Versorgung, wenn eine Witwe, die im Zeitpunkt des Todes mit dem Beschädigten verheiratet war, Anspruch auf eine Witwenversorgung hat.

(1) Wehrdienstbeschädigung ist eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.

(2) Eine Wehrdienstbeschädigung ist auch eine gesundheitliche Schädigung, die herbeigeführt worden ist durch

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b)
bei der Durchführung einer der unter Buchstabe a aufgeführten Maßnahmen erleidet,
3.
gesundheitsschädigende Verhältnisse, denen der Soldat am Ort seines dienstlich angeordneten Aufenthalts im Ausland besonders ausgesetzt war.

(3) Zum Wehrdienst im Sinne dieser Vorschrift gehören auch

1.
die Teilnahme an einer dienstlichen Veranstaltung im Sinne des § 81 Absatz 2 des Soldatengesetzes,
2.
die mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Dienstreisen und die dienstliche Tätigkeit am Bestimmungsort,
3.
die Teilnahme eines Soldaten an dienstlichen Veranstaltungen,
4.
Nebentätigkeiten im öffentlichen Dienst oder in dem ihm gleichstehenden Dienst, zu deren Übernahme der Soldat gemäß § 20 Absatz 7 des Soldatengesetzes in Verbindung mit § 98 des Bundesbeamtengesetzes verpflichtet ist, oder Tätigkeiten, deren Wahrnehmung von ihm im Zusammenhang mit den Dienstgeschäften erwartet wird, sofern der Soldat hierbei nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert ist (§ 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch).

(4) Als Wehrdienst gilt auch

1.
das Erscheinen zur Feststellung der Wehrdienstfähigkeit, zu einer Eignungsuntersuchung und Eignungsfeststellung oder im Rahmen der Wehrüberwachung auf Anordnung einer zuständigen Dienststelle,
2.
das Zurücklegen des mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle.
Der Zusammenhang mit dem Wehrdienst gilt als nicht unterbrochen, wenn der Soldat
1.
von dem unmittelbaren Wege zwischen der Wohnung und der Dienststelle in vertretbarem Umfang abweicht,
a)
um ein eigenes Kind, für das ihm dem Grunde nach Kindergeld zusteht, wegen seiner eigenen Berufstätigkeit oder der Berufstätigkeit seines Ehegatten in fremde Obhut zu geben oder aus fremder Obhut abzuholen oder
b)
weil er mit anderen berufstätigen oder in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg zu und von der Dienststelle benutzt, oder
2.
in seiner Wohnung Dienst leistet und Wege zurücklegt, um ein Kind im Sinne des Satzes 2 Nummer 1 Buchstabe a in fremde Obhut zu geben oder aus fremder Obhut abzuholen.
Hat der Soldat wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung vom Dienstort oder wegen der Kasernierungspflicht am Dienstort oder in dessen Nähe eine Unterkunft, so gelten Satz 1 Nummer 2 und Satz 2 auch für den Weg zu und von der Familienwohnung.

(5) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(6) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums der Verteidigung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(7) Für die Feststellung einer gesundheitlichen Schädigung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung nach Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2623) in der jeweils geltenden Fassung sind auch den Versicherungsschutz nach § 2, § 3 oder § 6 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch begründende Tätigkeiten zu berücksichtigen, wenn sie ihrer Art nach geeignet waren, die Krankheit zu verursachen, und die schädigende Einwirkung überwiegend durch dienstliche Verrichtungen nach Absatz 1 verursacht worden ist.

(8) Eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte gesundheitliche Schädigung gilt nicht als Wehrdienstbeschädigung.

Tenor

I.

Der Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2011 und der Bescheid vom 17. April 2003 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 19. März 2008 werden aufgehoben.

II.

Die Beklagte wird verurteilt, das Nierenkarzinom und den aus der operativen Behandlung resultierenden Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmteils infolge eines Nierenkarzinoms sowie das Schilddrüsenadenom und die Schilddrüsenüberfunktion als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen.

III.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig sind die nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) festzustellenden Schädigungsfolgen.

Der im Jahr 1951 geborene Kläger war bis zum März 2004 Berufssoldat bei der Bundeswehr.

Von 1971 bis 1987 arbeitete der Kläger zunächst als Radarmechaniker, zuletzt als Radarmechanikermeister am Flugzeug F-104 G (sog. Starfighter), das mit dem Vorwärtssichtradar NASARR ausgestattet war. Mit WDB-Blatt vom 05.11.2002 machte er eine Struma Grad II bis III und ein Nierenzellkarzinom als Schädigungsfolgen geltend. Die Erkrankungen waren im Jahr 1988 (teilweise Entfernung der Schilddrüse bei Adenom) bzw. 1995 operativ behandelt worden. Im Zusammenhang mit der Nephrektomie im November 1995 kam es zu einer im Januar 1996 diagnostizierten Darmperforation und zum Verlust der Milz.

Der Beklagte zog den Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR bei. Darin wurden Expositionswerte gegenüber ionisierender Strahlung im Bereich von Kopf und Oberkörper, Unterarmen und Händen aufgeführt.

Die Wehrbereichsverwaltung - öffentlichrechtliche Aufsicht für Arbeitssicherheit und technischen Umweltschutz - Bereich Bayern - äußerte sich mit Schreiben vom 25.02.2003 zu der beim Kläger stattgehabten Exposition wie folgt:

Die Emission der Röntgenstörstrahlung am Vorwärtssichtradar NASARR erfolge an der Mikrowellenauskopplung des Magnetrons in senkrechter Richtung nach oben in einem räumlich eng begrenzten Strahlenbündel, was durch Röntgenfilmbelichtungen festgestellt worden sei. Wegen der gleichen Anbauweise des NASARR in Radartestbänke finde sich diese nach oben gerichtete Abstrahlcharakteristik auch dort. Zusätzlich zu der Röntgenstörstrahlung habe noch eine Exposition gegenüber ionisierender Strahlung durch radioaktive Leuchtfarbe im Cockpit bestanden. Bei der Berechnung der Ersatzdosis sei unter Zuhilfenahme des Teilbereichs der Arbeitsgruppe strikt nach Aktenlage vorgegangen worden, da infolge der vorgegebenen Bearbeitungszeit ein Befragen des Betroffenen nicht möglich gewesen sei. Damit ergebe sich eine effektive Gesamtdosis für alle Berufsjahre (01.04.1971 bis 31.03.1987) von 5,9 mSv. Der Grenzwert für die allgemeine Bevölkerung sei damit nicht überschritten. Für nichtionisierende Strahlung lägen bislang keine wissenschaftlich allgemein anerkannten Erkenntnisse darüber vor, dass sie Krebserkrankungen auslösen könnten.

Das Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr führte in seiner versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 28.03.2003 aus, dass die ermittelte Gesamtdosis von 5,9 mSv zu gering sei, um in eine versorgungsmedizinische Diskussion über die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs oder über eine Kannversorgung einzutreten. Bei der Schilddrüsenerkrankung sei eine Strahlenverursachung nach dem derzeitigen Kenntnisstand von vornherein nicht anzunehmen.

Mit Bescheid vom 07.04.2003 lehnte es die Beklagte ab, den Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmanteils durch operative Entfernung aufgrund Nierenkarzinom und einen Schilddrüsenteilverlust durch operative Entfernung aufgrund Schilddrüsenerkrankung als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn des § 81 SVG anzuerkennen. Der Kläger sei zwar als Luftfahrzeugfeuerleitradarmechniker/-meister an dem Flugzeugradar NASARR Röntgenstrahlung und radioaktiver Leuchtfarbe ausgesetzt gewesen. Die Gesamtdosis von 5,9 mSv reiche aber für eine gesundheitliche Schädigung nicht aus, da eine den Grenzwert von 1 mSv pro Jahr übersteigende Lebenszeitdosis nicht erreicht werde. Ein ursächlicher Zusammenhang mit Strahlenbelastungen sei daher auszuschließen.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 05.05.2003 Beschwerde ein. Er bat, den Bescheid nach Vorlage des Ergebnisses der Radarkommission noch einmal zu prüfen und ggf. zu korrigieren.

Am 18.09.2003 äußerte sich Dr. J. vom Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr im Rahmen einer Überprüfung gemäß den Kriterien der Radarkommission - der Bericht war am 02.07.2003 vorgelegt worden - in einer ergänzenden versorgungsmedizinischen gutachtlichen Stellungnahme wie folgt: Der Kläger sei von 1971 bis 1987 an Radargeräten der Bundeswehr tätig gewesen. Es sei in Abänderung früherer Ausführungen nunmehr als glaubhaft zu unterstellen, dass er einer Belastung relevanten Ausmaßes durch ionisierende Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Diese sei grundsätzlich als kanzerogen anzusehen. In Abänderung der Stellungnahme vom 28.03.2003 werde daher vorgeschlagen, den Nierentumor als Schädigungsfolge anzuerkennen. Bei einem Schilddrüsenadenom sei gemäß den derzeitigen medizinischwissenschaftlichen Erkenntnissen eine Strahlenverursachung von vornherein nicht anzunehmen.

In einem ersten Entwurf des Beschwerdebescheids vom November 2003 wurde eine Anerkennung von Schädigungsfolgen entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. J. vom 18.09.2003 vorgeschlagen. Diesem Entwurf wurde jedoch durch die Wehrbereichsverwaltung Süd die Zustimmung versagt, weil nach dem Bericht der Radarkommission (dort S. 46) nur eine Teilkörperexposition des Oberkörpers in Betracht komme, nicht jedoch der Nieren.

Dazu befragt, ob bei einer Körpergröße des Klägers von 1,85 m und einer unterstellten Bestrahlung des Oberkörpers auch eine Bestrahlung des Beckenbereichs damit auch der Nieren in Betracht komme, hat die Strahlenmessstelle Nord der Bundeswehr, Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar (Dr. S.), mit Schreiben vom 04.09.2006 in einem Satz mitgeteilt, dass Einbauort der Störstrahler und Austrittsrichtung der Röntgenstörstrahlung am NASARR so seien, dass auch für einen körperlich größeren Techniker der Bereich des Beckens nicht gegenüber Röntgenstörstrahlung exponiert werden könne.

Mit Beschwerdebescheid vom 19.03.2008 wurde die Beschwerde des Klägers gegen den Bescheid vom 17.04.2003 zurückgewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der vom Kläger geltend gemachten Krebserkrankung und der Schilddrüsenerkrankung sei nicht wahrscheinlich. Zwar gehöre die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit zu den qualifizierenden Tätigkeiten im Sinn des Berichts der Radarkommission und es liege auch eine der qualifizierenden Erkrankungen aufgrund ionisierender Strahlung vor (maligne Tumore). Die Radarkommission habe jedoch in ihrem Bericht als weiteres Kriterium festgestellt, dass eine Anerkennung ausgeschlossen werden könne, falls die Bundeswehr nachweise, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten könnten, die das erkrankte Organ nicht betroffen hätten.

Dagegen hat der Kläger am 09.04.2008 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben. Die Klage ist wie folgt begründet worden: Im Rahmen seiner wehrdienstlichen Tätigkeit sei der Kläger einer ionisierenden Strahlung ausgesetzt gewesen, die als Röntgenstörstrahlung und/oder radioaktive Strahlung durch Leuchtfarben auftreten könne. Im vorliegenden Fall sei sowohl eine Röntgenstörstrahlung als auch eine radioaktive Strahlung aus Leuchtfarben zu berücksichtigen. Daneben sei der Kläger auch nichtionisierender Strahlung ausgesetzt gewesen. Die Bevollmächtigten haben auf den Bericht der Radarkommission vom 02.07.2003 hingewiesen. Die Beklagte könne gerade nicht nachweisen, dass nur Teilkörperexpositionen aufgetreten seien, die das erkrankte Organ nicht betroffen hätten. Damit sei eine Anerkennung als Wehrdienstbeschädigung auszusprechen. Die Radarkommission habe in ihrem Bericht vom 02.07.2003 gerade nicht bestätigt, dass vom NASARR ausschließlich an einer eng begrenzten Stelle Röntgenstörstrahlung ausgetreten sei. Die Beklagte habe vielmehr Messungen durchgeführt und dabei festgestellt, dass sich aufgrund der Vielzahl der Arbeiten, die am NASARR zu verrichten gewesen seien, gerade nicht ausschließen lasse, dass sich ein bestimmter Körperteil in der Röntgenstörstrahlung bewege. Dieses ergebe sich aus Messungen des Herrn G., der lange selbst am NASARR gearbeitet habe. Eine qualifizierende Erkrankung liege vor. Der Bericht der Radarkommission sei ein antizipiertes Sachverständigengutachten, welches bei Vorliegen der Kriterien für die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung eine Verpflichtung der Beklagten begründe, die Erkrankung des Klägers als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen. Einzige Öffnungsklausel für die Beklagte sei, wenn die Beklagte nachweise, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten könnten, die das erkrankte Organ nicht betreffen würden. Die Beklagte habe somit einen Entlastungsbeweis zu führen. Genau dieser Entlastungsbeweis sei der Beklagten nicht gelungen. Der Zusammenhang zwischen ionisierender Strahlung und der Krankheit des Klägers sei medizinisch anerkannt. Es sei eine WDB-Anerkennung zumindest im Sinn einer Kannversorgung auszusprechen.

Im Schreiben vom 26.11.2008 hat die Beklagte in Erwiderung zur Klagebegründung darauf hingewiesen, dass eine nichtionisierende Strahlung höchstens zu einer Trübung der Augenlinse führen könne. Durch radiumhaltige Leuchtfarbe könnten nur Knochenkrebs oder Lungenkrebs verursacht werden. Die Röntgenstörstrahlung des Radargeräts NASARR trete nur nach oben aus. Dies ergebe sich aus dem Bericht der Radarkommission, Seite 46, zudem aus der Stellungnahme des Dr. S.. Mit Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Prof. Dr. G., den der Kläger vorgeschlagen hatte, sei sie nicht einverstanden.

Mit Beschluss vom 28.11.2008 ist die Beiladung des Trägers der Versorgungsverwaltung erfolgt.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schreiben vom 06.02.2009 darauf hingewiesen, dass es falsch sei, dass die Röntgenstörstrahlung vom Radargerät NASARR nur nach oben austreten könne. Die bisherigen Feststellungen der Beklagten, auch des

Dr. S., seien falsch. Die Radarkommission habe auf Basis dieser Angaben den Bericht verfasst. Die Beklagte habe zwischenzeitlich Messungen mit Hilfe von Herrn G. durchführen lassen. Diese Messungen seien erst im Jahr 2008 durchgeführt worden und hätten ergeben, dass sich aufgrund der Vielzahl der Arbeiten, die am NASARR zu verrichten gewesen seien, gerade nicht ausschließen lasse, dass sich ein bestimmter Körperteil in der Röntgenstörstrahlung bewege.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 23.02.2009 mitgeteilt, dass sie aller Voraussicht nach einem Gutachten, das Herr Prof. Dr. G. erstellen würde, nicht folgen werde. Im Übrigen hat sie auf eine neue Stellungnahme des Dr. S. vom 19.02.2009 verwiesen, wonach weitere Messungen zur Emission von Röntgenstörstrahlung im Jahr 2008 nicht mehr stattgefunden hätten; es sei lediglich eine Diskussion verschiedener Arbeitsschritte erfolgt, ohne dass das Radargerät bei diesem Termin in Betrieb genommen worden wäre.

Mit Schreiben vom 16.06.2009 hat die Beklagte die Kopie einer - teilweise abgedeckten, also nicht lesbaren - Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung West - Strahlen - vom 09.06.2009 vorgelegt, wonach die Belastung durch radioaktive Leuchtfarbe ausgesprochen gering gewesen sei. Dem von den Bevollmächtigten des Klägers in den Raum gestellten Sachverständigen Prof. Dr. G. ist in dieser Stellungnahme vorgeworfen worden, dass er in einem anderen Verfahren „seine Kompetenzen als medizinischer Sachverständiger bei Weitem überschritten“ habe. Im Übrigen ist die Argumentation der Bevollmächtigten des Klägers teilweise als „unsinnig“ bezeichnet worden. Die teilweise Abdeckung der übersandten Stellungnahme hat die Beklagte damit begründet, dass darin eine Auseinandersetzung mit möglichen politischen Folgen von Fehlern enthalten sei.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 11.01.2010 einen Aktenvermerk vom 22.12.2009 übermittelt, dem u. a. zu entnehmen ist, dass eine Konfliktlösung bei Begutachtung durch Prof. Dr. G. nicht zu erwarten sei. In einem weiteren Aktenvermerk vom 16.06.2010. hat sich die Beklagte mit den Körperhaltungen bei der beruflichen Tätigkeit des Klägers auseinander gesetzt. Weiter hat sie sich dahingehend geäußert, dass der Gesundheitsschaden im „Unterleib“ vorliege. Schließlich hat sie sich erneut umfassend zu der aus ihrer Sicht fehlenden Kompetenz und Neutralität des Prof. Dr. G. geäußert.

Am 09.06.2011 hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Prof. Dr. G. ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage erstellt. Der Sachverständige hat darin Folgendes ausgeführt:

Beim Kläger sei im Oktober 1988 die Operation einer vergrößerten Schilddrüse durchgeführt worden; dabei habe sich ein sogenannter ausgebrannter kalter Knoten gefunden. Am 02.12.1995 sei eine Operation zur Entfernung der linken Niere wegen eines Tumors durchgeführt worden. Postoperativ seien Komplikationen entstanden, die in einem Bauchhöhlenabszess kumuliert hätten. Bei der deswegen erforderlichen Nachoperation am 08.01.1996 seien die Milz, der querliegende Schenkel des Dickdarms und der absteigende Schenkel des Dickdarms entfernt und ein künstlicher Darmausgang gelegt worden. Am 23.02.1996 sei der künstliche Darmausgang verschlossen worden. Aktuell habe der Kläger mitgeteilt, dass bei einer Kontrolluntersuchung im Bundeswehrkrankenhaus U. in der Schilddrüse ein sogenannter heißer Knoten entdeckt worden sei. Heiße Knoten in der Schilddrüse seien verdächtig auf ein Schilddrüsenkarzinom.

Zur Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung hat der Sachverständige Folgendes erläutert: Die Schwerpunktgruppe Radar habe am 16.06.2010 ausgeführt, dass zwar der Oberkörper gegenüber der Störstrahlung am NASARR exponiert gewesen sei, nicht jedoch der Bereich des Beckens, auch nicht bei einem körperlich größeren Techniker. Weiter sei von der Schwerpunktgruppe Radar ausgeführt worden, dass die „Nieren-Becken-Region“ nicht exponiert habe werden können. Der Begriff „Nieren-Becken-Region“ sei - so der Sachverständige - in der Medizin unbekannt. Es sei zu vermuten, dass die Lage der Nieren von der Schwerpunktgruppe Radar irgendwo im Bereich des menschlichen Beckens angenommen worden sei. Als Oberkörper des Menschen werde in der Medizin derjenige Teil des Körpers bezeichnet, der nach unten durch die Rippenbögen der 11. und 12. Rippe begrenzt werde. Bei der ärztlichen Untersuchung am stehenden Patienten sei es unmöglich, den oberen Nierenpol oder gar die Nebennieren zu tasten, weil lediglich der untere Teil der Niere nach unten die Rippenbögen überrage. Ganz zweifellos sei deshalb die Region des Körpers, in dem sich der obere Pol der Niere befinde, dem Oberkörper zuzurechnen. Die Lungenflügel würden nach unten zum Bauchraum durch das Zwerchfell abgegrenzt, das sich ähnlich einer Kuppel an die Unterseite der Lungenflügel anschmiege. Von unten würden in diese Kuppel die Bauchorgane hinein ragen, auf der rechten Seite die obere Hälfte der Niere hinten, auf der linken Seite hinten die oberen Teile der Niere und Milz. Die linke Niere des Menschen liege in der Regel höher als die rechte. Da der Tumor am oberen Pol der linken Niere entstanden sei, bestehe auch kein Zweifel, dass dieser Teil der linken Niere als Teil des Oberkörpers zu betrachten sei, obgleich er anatomisch zur Bauchhöhle gehöre. Bei der Beurteilung einer möglichen Strahlenexposition komme es nicht auf die Zugehörigkeit zur Brusthöhle oder zur Bauchhöhle an, sondern darauf, ob durch die Lokalisation des oberen Nierenpols eine Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung aus einen NASARR möglich gewesen sei oder nicht. Wenn bei den vom Kläger durchgeführten Tätigkeiten eine Exposition des Oberkörpers stattgefunden habe, wie von der Schwerpunktgruppe Radar offenkundig angenommen werde, dann sei der obere Pol der linken Niere des Klägers mit Sicherheit durch Röntgenstörstrahlung betroffen worden. Eine Diskussion einer möglichen Exposition gegenüber radioaktiver Leuchtfarbe sei nicht erforderlich, weil nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft kein Zusammenhang zu der Entwicklung eines Nierenzellkarzinoms angenommen werden könne. Der Kläger sei während der sogenannten Phase I (zwischen 1971 und 1975) in qualifizierender Tätigkeit an Radargeräten beschäftigt gewesen. Er sei damit einem höheren Risiko für Krebserkrankungen als die allgemeine Bevölkerung ausgesetzt gewesen. Wie ausgeführt, sei seine Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung als kausaler Risikofaktor für die Entstehung des bei ihm 1995 entdeckten Nierenzellkarzinoms zu betrachten. Das Nierenzellkarzinom sei hinreichend wahrscheinlich durch die Tätigkeit als Radarmechaniker verursacht.

Auch der Schilddrüsenbefund des Klägers sei der früheren Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung zuzuordnen. Es gebe eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, die als Folge der Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen das Auftreten von gutartigen Schilddrüsentumoren (sog. Adenome) gefunden hätten. Auf entsprechende Untersuchungen hat der Sachverständige hingewiesen. Da der Hals des Klägers zweifelsfrei der Röntgenstörstrahlung ausgesetzt gewesen sei, sei auch die Schilddrüsenerkrankung der Exposition zuzuordnen. Möglichen Einwänden, dass die Radarkommission sich nicht zu gutartigen Tumoren als Folge der Exposition gegenüber ionisierenden Strahlungen geäußert hätte, sei entgegen zu halten, dass sich die Radarkommission wegen des extremen Zeitdrucks vor allem den Krebserkrankungen gewidmet habe.

Als Schädigungsfolgen seien anzuerkennen: Nierenzellkarzinom, postoperative schwere Infektion der Bauchhöhle, Entfernung großer Teile des Dickdarms und der Milz, Schilddrüsenüberfunktion, heißer Knoten der Schilddrüse.

Die Beklagte hat sich zu diesem Gutachten mit einer (nichtärztlichen) Stellungnahme vom 01.09.2011 wie folgt geäußert: Die Ausführungen des Prof. Dr. G. zur Exposition des Oberkörpers seien nicht nachvollziehbar. Wenn auf Seite 46 des Berichts der Radarkommission „Kopf und Teile des Oberkörpers“ als vom direkt nach oben gerichteten Strahlenbündel erreichbar genannt würden, so seien damit ganz sicher nicht die untersten Teile des Oberkörpers gemeint. Somit sei die Nierenregion nicht als ein diesem Strahlenbündel exponierter Körperteil anzusehen, selbst wenn man sie noch zum Oberkörper zähle. Damit sei das Ausschlusskriterium „Teilkörperexposition, die das erkrankte Organ nicht betraf“ erfüllt. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen stochastischen Strahlenwirkungen und dem Auftreten des Schilddrüsenadenoms sei nicht gegeben. Zwar sei eine Anerkennung nach den Kann-Bestimmungen in Betracht zu ziehen, wenn zumindest eine qualifizierte Möglichkeit des ursächlichen Zusammenhangs bestehe. Hinsichtlich gutartiger Geschwülste heiße es jedoch in den Anhaltspunkten, dass diese im Allgemeinen nicht durch äußere Einwirkungen verursacht würden. Ausnahmen bezüglich der Schilddrüsenadenome würden in den Anhaltspunkten nicht genannt. Somit sei deren Ätiologie nicht ungeklärt und die Kann-Bestimmungen fänden keine Anwendung. Auch das Recht der Berufskrankheiten sehe die Anerkennung eines Schilddrüsenadenoms nicht vor. Der Bericht der Radarkommission sehe bezüglich nicht maligner Erkrankungen lediglich für Augenlinsentrübungen (Katarakte) eine Anerkennung wegen der Einwirkung ionisierender Strahlung vor. Die gutachterliche Bewertung des Prof. Dr. G. zum Schilddrüsenadenom beruhe nicht auf den Entscheidungsempfehlungen im Bericht der Radarkommission und sei auch nicht mit sonstigen im sozialen Entschädigungsrecht maßgeblichen antizipierten Gutachten (Anhaltspunkte, Berufskrankheiten-Verordnung) in Einklang zu bringen. Die vom Sachverständigen zitierten Studien an Überlebenden der Atombombenangriffe in Japan hätten für das vorliegende Verfahren überhaupt keine Bewandtnis. Die Studien seien schon lange vor der Radarkommission veröffentlich worden. Dem Gutachten würden jegliche Hinweise auf eine relevante Risikoerhöhung im vorliegenden Einzelfall fehlen. Bezüglich des heißen Knotens der Schilddrüse handle es sich nicht um eine Schilddrüsenvergrößerung durch das gutartige Adenom (kalter Knoten). Außer dem telefonischen Hinweis des Klägers gebe es überhaupt keinen Beweis für das Vorliegen weiterer Schilddrüsenveränderungen. Bereits im Beschwerdeverfahren sei geprüft worden, inwieweit eine auf einer Erhöhung stehende und sich dabei noch vorbeugende Person durch das Strahlenbündel des NASARR getroffen werden könne. Diese Prüfung habe ergeben, dass aufgrund biomechanischer Aspekte bei einer Vorbeugung von Kopf und Oberkörper der Bauchbereich daran gehindert sei, sich nennenswert in die gleiche Richtung zu bewegen. Somit bestehe bei dem Einbauort des Magnetrons und der Austrittseinrichtung seiner Störstrahlung selbst bei einem 1,85 m großen Techniker für den Thoraxbereich keine Expositionsmöglichkeit.

Einer weiteren (nichtärztlichen) Stellungnahme des Dr. S. vom 26.08.2011 ist die Ansicht zu entnehmen, dass selbst dann, wenn eine Bestrahlung des Beckenbereichs stattgefunden hätte, die Exposition der Nieren durch die Abschwächung der Strahlung durch das übrige Körpergewebe weitgehend reduziert gewesen wäre.

Ein heißer Knoten wurde - so auf Nachfrage des SG das Bundeswehrkrankenhaus U. - bei einer Untersuchung im Jahr 2011 nicht dokumentiert.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.10.2011 ist die Klage abgewiesen worden. Ein Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und Nierenzellkarzinom lasse sich nicht herstellen, da nach den Ergebnissen der Strahlenmessstelle der Bundeswehr der Kläger nur hinsichtlich des oberen Teils des Oberkörpers der Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Ein Gesundheitsschaden im Bereich der Nieren könne daher durch Strahlung nicht verursacht werden. Auch die gutartige Schilddrüsenerkrankung sei nicht als Folge einer Wehrdienstbeschädigung festzustellen.

Dagegen haben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 15.11.2011 Berufung eingelegt. Sie haben in ihrer Berufungsbegründung vom 08.03.2012 beanstandet, dass sich das SG im Wesentlichen auf die Ausführungen der Beklagten gestützt habe, ohne sich in ausreichender Weise mit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G. vom 09.06.2011 auseinander zu setzen. Im Übrigen seien die Ausführungen der Beklagten falsch. Auch der Versorgungsarzt Dr. J. sei in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003 davon ausgegangen, dass der Kläger einer Belastung relevanten Ausmaßes durch ionisierende Strahlung ausgesetzt gewesen sei und dadurch der Verlust der linken Niere, der Milz sowie eines Teils des Dickdarms nach der operativen Behandlung eines bösartigen Nierentumors als Wehrdienstbeschädigungsfolge anzuerkennen sei. Es sei auch schlichtweg falsch, wenn die Beklagte behaupte, die Nieren lägen nicht im Bereich des Oberkörpers, sondern im Becken. Die Bevollmächtigten haben dies mit Hinweis auf medizinische Literatur belegt. Damit sei die Behauptung der Beklagten, die Nieren des Klägers seien nicht von der ionisierenden Strahlung betroffen gewesen, nicht haltbar, weil sie anatomisch falsch sei. Prof. Dr. G. habe zudem darauf hingewiesen, dass der Tumor am oberen Pol der linken Niere entstanden sei, die sich im Oberkörper befinde und somit auch von der Röntgenstörstrahlung getroffen worden sei. Dies habe die Beklagte völlig unsubstantiiert bestritten. Bekannt sei, dass die Strahlung des Feuerleitradars des Starfighters F-104 sehr gefährlich gewesen sei. Es sei nicht möglich und auch nicht beweisbar, zentimetergenau die Abstrahlungscharakteristik der Strahlung zu definieren, wie dies der Beklagte behaupte. Die Röntgenstörstrahlung würde vom Entstehungsort ausstrahlen und sei kein streng gebündelter kontrollierter Laserstrahl. Außerdem habe der Beklagte verschwiegen, dass auch seitlich am Magnetron Röntgenstörstrahlung austrete, wie sich aus Seite 5, Tabelle II des Teilberichts NASARR vom 24.02.2002 ergebe. Am 18.07.1979 sei an einer Testbank in L. eine Messung durchgeführt worden, die die Abstrahlcharakteristik der Röntgenstrahlung am Krümmer des Magnetrons dargestellt habe. In diesem Bericht sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass diese Feststellungen nur für das untersuchte Gerät und das eingebaute Magnetron gelten würden, es aber bekannt sei, dass in NASARR verschiedene Magnetrons verwendet worden seien, die sich hinsichtlich der Störstrahlung erheblich unterscheiden würden. Eine Messung an einsatzklaren Luftfahrzeugen habe der Beklagte nie vorgenommen. Auch eine Messung am Starfighter, an dem der Kläger gearbeitet habe, könne der Beklagte nicht vorlegen. Aufgrund des Berichts vom 18.07.1979 sei jedoch eindeutig klar, dass einzelne Messergebnisse nicht verallgemeinert werden könnten, weil die Strahlung bei jedem Gerät anders gewesen sei. Das SG habe auch jede eigene Feststellung zu der Frage, wo sich die Niere befinde und ob diese beim Kläger von ionisierender Strahlung getroffen worden sei, unterlassen. Nach den eigenen Feststellungen der Beklagten wäre die Erkrankung des Klägers als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen; die einzige Ausrede des Beklagten sei, dass sich die Niere nicht im Oberkörper befinde. Diese Behauptung sei durch das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. G. eindeutig widerlegt. Das SG habe nicht erläutert, warum es dem eingeholten Gutachten nicht gefolgt sei. Bezüglich der Schilddrüsenerkrankung habe das SG eine Anerkennung abgelehnt mit Hinweis auf den Bericht der Radarkommission, wonach nur maligne Tumore als Wehrdienstbeschädigung in Frage kämen, die Schilddrüsenerkrankung des Klägers aber gutartig sei. Der Bericht der Radarkommission werde von der Beklagten lediglich so ausgelegt, als ob nur die darin genannten Erkrankungen von ionisierender oder nicht ionisierender Strahlung hervorgerufen werden könnten und alle weiteren Erkrankungen nicht. Dies sei so nicht richtig und auch nicht Gegenstand der Fragestellung an die Sachverständigenkommission gewesen. Die Ausführungen der Beklagten seien insofern unzutreffend und grob irreführend. Im Übrigen haben die Bevollmächtigten auf einen Vergleichsfall hingewiesen, bei dem ein Hodentumor anerkannt worden sei, obwohl der Betroffene ebenfalls am NASARR gearbeitet habe. Auch bei einem weiteren, namentlich genannten Bundeswehrsoldaten, der ebenfalls am NASARR gearbeitet habe, sei die selbe Erkrankung wie beim Kläger, nämlich der Verlust der rechten Niere nach einem Tumor, anerkannt worden. Der Rechtsstreit berühre Fragen, die in der sozialgerichtlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung noch ungeklärt seien (insbesondere die Frage, ob auch gutartige Tumorerkrankungen als Wehrdienstbeschädigung geeignet sein könnten). Die entsprechenden Bescheide aus den Vergleichsfällen haben die Bevollmächtigten beigelegt.

Zu den Arbeitsbedingungen am Luftfahrzeug haben sich die Bevollmächtigten des Klägers auf Nachfrage des Gerichts mit Schreiben vom 03.06.2013 detailliert geäußert und dargelegt, warum der Oberkörper einer Röntgenstörstrahlung ausgesetzt gewesen sei. Zudem haben sie noch auf weitere Strahlungsquellen hingewiesen, denen der Kläger bei der Arbeit ausgesetzt gewesen sei. So seien z. B. Oszilloskope das wichtigste Messgerät bei der Fehlersuche, Reparatur und Systemabgleichung von Radaranlagen gewesen und hätten eine Strahlenbelastung in Oberschenkelhöhe nach sich gezogen. Von der Gefährlichkeit der Strahlenbelastung habe das Radarpersonal keine Kenntnis gehabt.

Die Beklagte hat sich trotz wiederholter gerichtlicher Erinnerung, unter anderem unmittelbar an den Präsidenten des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr, zum klägerischen Schreiben vom 15.11.2011 erst nach über zwei Jahren mit Schreiben vom 13.03.2014 geäußert. Grund für die erhebliche Verzögerung dürfte nach dem Vortrag der Beklagten gewesen sein, dass die für die Bearbeitung derartiger Fälle gebildete „Schwerpunktgruppe Radar“ offenbar nur mit einem einzigen Fachmann besetzt gewesen war, wobei dieser von der Bundeswehrverwaltung zudem zwischenzeitlich mit einer Projektgruppe zu Organisationsfragen beauftragt worden war (Schreiben der Beklagten vom 20.01.2014).

Im Schreiben vom 13.03.2014 hat die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und auf die aus ihrer Sicht zutreffenden Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung hingewiesen. Zudem ist eine Stellungnahme der Strahlenmessstelle der Bundeswehr (Dr. S.) vom 21.02.2014 vorgelegt worden, in der dieser Folgendes ausgeführt hat: Dass Röntgenstrahlung oder Röntgenstörstrahlung nicht streng und definierbar gebündelt würden bzw. so auftreten könnten, sei ein Irrtum des Klägers. Ohne diese Möglichkeit gäbe es keine Computertomographie mit der heute erreichten Bildqualität. Die Radarkommission sei auf Seite 46 ihres Berichts davon ausgegangen, dass sich Kopf und Teile des Oberkörpers direkt im nach oben gerichteten Strahlenbündel befänden. Die Radarkommission gehe also nicht von einer Exposition des gesamten Oberkörpers aus. Eine Emission des Magnetrons auch in seitlicher Richtung sei nicht bewiesen. Ein Argument für eine Exposition der Nieren ergebe sich daher nicht. Die klägerseitige Behauptung, das Magnetron habe auch zur Seite abgestrahlt, sei nicht bewiesen. Aus der fehlenden Angabe der Emissionsrichtung in einem Messprotokoll ergebe sich nicht zwangsläufig die Emissionsrichtung zur Seite. Die Notwendigkeit, die Kontrolle der Bewegung der Antenne in unmittelbarer Nähe dazu ausführen zu müssen, erschließe sich nicht. An der Antenne befinde sich jedenfalls der Hinweis „HANDS OFF“. Es sei auch nicht ersichtlich, wieso diese Prüfung mit eingeschaltetem Magnetron erfolgen habe müssen. Wenn der Kläger angegeben habe, sich bei der Kontrolle der Dichtheit des Hohlleitersystems über den Radarsender gebeugt zu haben und dass sich dabei Arme und Körper über dem Magnetron befunden hätten, erschließe sich nicht, dass das Magnetron in Betrieb sein habe müssen. Aus den auch klägerseitig als bekannt vorgetragenen Warnungen sei eher zu schließen, dass das Magnetron noch gar nicht erst in Betrieb gewesen sei. Den vom Kläger vorgelegten Fotos sei insgesamt kein Beleg dafür zu entnehmen, dass die Nieren in das senkrecht nach oben austretende Röntgenstörstrahlungsbündel geraten könnten. Sofern im Bericht der Radarkommission die Exposition des Oberkörpers angesprochen sei, spiegle dies die Großzügigkeit der Erfassung der Arbeitsplatz- und Expositionsverhältnisse wider. Im Übrigen sei festzustellen, dass die Energie der Röntgenstrahlung des Magnetrons nicht ausreiche, an den Nieren eine Dosis zu erzielen.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben sich dazu mit Schreiben vom 26.06.2014 geäußert. U. a. haben sie darauf hingewiesen, dass sich der angesprochene Warnhinweis „HANDS OFF“ darauf bezogen habe, dass die Antenne nicht als Abstützung benutzt werde. Sie haben weiter darauf aufmerksam gemacht, dass im Verfahren eines namentlich benannten weiteren Soldaten Knochenkrebs (im Oberschenkel) als verursacht durch die Tätigkeit am NASARR betrachtet worden sei Zum Messbericht vom 07.05.1974 haben sie darauf aufmerksam gemacht, dass der verantwortliche Betriebsschutz der betroffenen Bundeswehr eine dringend erforderliche Nachmessung im Bereich des Magnetrons angemahnt habe. Entscheidend sei, wie die Arbeiten real ausgeführt worden seien und nicht, was technisch sinnvoller gewesen sei. Sie haben sich auch zur Lage der Nieren im Bereich des Oberkörpers geäußert.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 07.07.2014 ist der Beklagten die Abgabe eines Anerkenntnisses nahe gelegt worden. Auf Unstimmigkeiten in der Argumentation des Beklagten ist hingewiesen worden.

Mit Schreiben vom 21.07.2014 hat die Beklagte mitgeteilt, dass sie nicht bereit sei, ein Anerkenntnis abzugeben. Mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - der Senat hatte eine solche im Schreiben vom 07.07.2014 überhaupt nicht in den Raum gestellt - bestehe aber Einverständnis. Dazu haben auch die weiteren Beteiligten mit Schreiben vom 29.07.2014 bzw. 01.08.2014 ihr Einverständnis erklärt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 19.10.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 17.04.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.03.2008 festzustellen, dass das Nierenzellkarzinom und die Struma diffusa mit autonomem Adenom Folge einer Wehrdienstbeschädigung sind.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten, des Beigeladenen und des SG Augsburg beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Gründe

Der Senat hat gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, da die Beteiligten - die Beklagte (ungefragt) mit Schreiben vom 21.07.2014, der Kläger mit Schreiben vom 29.07.2014, der Beigeladene mit Schreiben vom 01.08.2014 - dazu ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Berufung ist zulässig und auch begründet.

Der Gerichtsbescheid des SG Augsburg, mit dem die Entscheidung der Beklagten, die Anerkennung von Schädigungsfolgen abzulehnen, bestätigt worden ist, ist ebenso wie der angegriffene Bescheid aufzuheben. Beim Kläger sind der Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmteils nach Nierenkarzinom sowie der Schilddrüsenteilverlust durch operative Entfernung aufgrund einer Schilddrüsenerkrankung im Sinne eines Adenoms und die Schilddrüsenüberfunktion als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen.

Bei seiner Entscheidung stützt sich der Senat auf das vom SG eingeholte Gutachten des Prof. Dr. G. vom 09.06.2011, der, was das Nierenkarzinom angeht, zu der selben Einschätzung gekommen ist wie der Versorgungsarzt der Beklagten Dr. J. in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003. Das Gutachten ist für den Senat überzeugend; er macht es sich zu eigen. Die sachverständige und die versorgungsärztliche Einschätzung zur Nierenerkrankung stehen auch in Einklang mit den Vorgaben des Berichts der Radarkommission. Auch was die Schilddrüsenerkrankung angeht, schließt sich der Senat der überzeugend begründeten Einschätzung des Prof. Dr. G. an.

Der Sachverständige Prof. Dr. G. hat nachvollziehbar erläutert, dass das Nierenzellkarzinom hinreichend wahrscheinlich auf die Strahlenexposition des Klägers als Radarmechaniker/-meister zurückzuführen ist und die Schilddrüsenerkrankung (Adenom) zumindest im Sinn einer Kannversorgung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen ist. Die sich aus der Behandlung dieser Erkrankungen ergebenden weiteren Gesundheitsschäden stellen mittelbare Folgen der Wehrdienstbeschädigung dar.

Wenn sich die Beklagte diesen sachverständigen bzw. versorgungsärztlichen Erkenntnissen verschließt und dies damit begründet, dass die berufliche Belastung des Klägers mit radioaktiver Strahlung nicht dazu geeignet sei, die vorliegenden Erkrankungen zu verursachen, kann dies nicht überzeugen.

1. Voraussetzungen für die Anerkennung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung - Allgemeines

Eine Wehrdienstbeschädigung ist gemäß § 81 Abs. 1 SVG eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.

Entsprechend den vorgenannten Bestimmungen setzt die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (= „Wehrdienstbeschädigung“) (2. Glied) geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen (= „Folge einer Wehrdienstbeschädigung“) (3. Glied) bedingt. Dabei ist eine trennscharfe Differenzierung zwischen dem 2. und dem 3. Glied oftmals praktisch nicht möglich und daher verzichtbar; auch im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung wird dies so praktiziert.

Die zwei bzw. drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Dies bedeutet, dass kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R). Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG). Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66). Haben mehrere Ursachen zu einem Schaden beigetragen, ist eine vom Schutzbereich des SVG umfasste Ursache dann rechtlich wesentlich, wenn nicht die andere(n), nicht dem Schutzbereich des SVG unterfallende(n) Ursache(n) eine überragende Bedeutung hat (haben) (vgl. Urteil des Senats vom 19.07.2011, Az.: L 15 VS 7/10 - m. w. N. zur Rechtsprechung des BSG) und die vom Schutzbereich des SVG umfasste Ursache nicht völlig in den Hintergrund drängt (drängen) (vgl. Urteil des Senats vom 02.07.2013, Az.: L 15 VS 9/10).

Für unfallunabhängige Gesundheitsstörungen, in denen wesensmäßig die Nachweisführung eines Zusammenhangs aufgrund eines konkreten Anlassereignisses erheblich erschwert ist, bestimmt sich der versorgungsrechtlich geschützte Bereich nach dem SVG nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Dieses unterliegt dem Listenprinzip mit der Öffnungsklausel des § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), wobei hierdurch nur ein Vorgriff auf eine Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) möglich ist (ständige Rspr., vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18.06.2013, Az.: B 2 U 3/12 R).

Bei der Beurteilung unfallunabhängiger Gesundheitsstörungen von Soldaten ist aber zu berücksichtigen, dass die Belastungen im Wehrdienst nicht selten solche sind, die in zivilen Berufen nicht auftreten. Daher wäre es zu kurz gegriffen, sich uneingeschränkt an den unfallversicherungsrechtlichen Vorgaben und Erkenntnissen zu Berufskrankheiten oder berufskrankheitenreifen Erkrankungen zu orientieren. Vielmehr ist der Rechtsgedanke des § 9 Abs. 2 SGB VII dahingehend aufzugreifen, dass von einer „Berufskrankheitenreife“ im soldatenversorgungsrechtlichen Sinn auch dann auszugehen ist, wenn die Krankheit zwar nicht in der Liste der BKV aufgenommen ist, der Dienstherr (= Bundeswehr) aber wegen einer erkannten Gefährdung der Soldaten handeln müsste, wenn es eine explizite Regelung wie die BKV auch für soldatenspezifische Erkrankungen gäbe. Davon ist dann auszugehen, wenn eine Situation gegeben ist, in der bekannt geworden ist, dass bestimmte Einwirkungen, denen Soldaten im Dienst in höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, zur Entwicklung bestimmter Krankheiten beitragen können, für die medizinstatistisch nachgewiesen ist, dass die Zahl der Erkrankungen von Soldaten signifikant höher als in der Allgemeinbevölkerung ist (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Wenn das BSG dies im Urteil vom 11.10.1994, Az.: 9 BV 55/94, dahingehend formuliert hat, dass dafür „besondere außerordentliche Belastungen, die typischerweise nur unter den Bedingungen des Krieges auftreten“, erforderlich wären, ist diese Formulierung missverständlich. Denn eine gesetzliche Grundlage für diese Orientierung am Krieg geben die Regelungen des SVG nicht her; vielmehr wird dort (§ 81 Abs.1 SVG) ausdrücklich auf „die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse“ abgestellt, womit eine Abgrenzung von auch im zivilen Leben vorkommenden Belastungen hergestellt wird. Wehrdiensteigentümliche Verhältnisse sind daher solche, die der Eigenart des militärischen Dienstes entsprechen und im Allgemeinen mit dem Dienst eng verbunden sind. Damit werden all die nicht weiter bestimmbaren Einflüsse des Wehrdienstes erfasst, die aus der besonderen Rechtsnatur des Wehrdienstverhältnisses und der daraus resultierenden Beschränkung der persönlichen Freiheit des Soldaten resultieren (vgl. Lilienfeld, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl. 2012, § 81 SVG, Rdnr. 29). Eine kriegsähnliche Belastung zu verlangen, würde zu weit gehen; ausreichend aber auch erforderlich ist eine Belastung, wie sie im zivilen Leben so nicht oder nicht in vergleichbarem Maß vorkommt. Bei der Abgrenzung zwischen wehrdiensteigentümlichen und zivilen Verhältnissen ist von den normalen Umständen und Verhaltensweisen sowie den durchschnittlichen Gefährdungen im Zivilleben auszugehen (vgl. Sailer, in: Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl. 1992, § 81 SVG, Rdnr. 27; Urteil des Senats vom 02.07.2013, Az.: L 15 VS 9/10).

Zu berücksichtigen als weitere Abweichung vom Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist zudem, dass im Versorgungsrecht der rechtlich wesentliche Kausalzusammenhang zwischen einer Gesundheitsstörung und einem dienstlichen Unfall oder wehrdiensteigentümlichen Belastungen nicht nur mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit hergestellt werden kann, sondern auch die Möglichkeit einer Kannversorgung gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG besteht. Es handelt sich dabei um Fälle, bei denen die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs nur deshalb nicht hergestellt werden kann, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Von Ungewissheit ist auszugehen, wenn es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, Az.: B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, Az.: 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, Az.: 9/9a RV 41/92).

Zusammengefasst bedeutet dies, dass ein unfallunabhängiger Gesundheitsschaden unter folgenden Gesichtspunkten als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden kann:

- Alternative 1: Die Gesundheitsstörung ist in der BKV als Berufskrankheit anerkannt.

- Alternative 2: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht eine sogenannte Berufskrankheitenreife im Sinn des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung.

- Alternative 3: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht eine Berufskrankheitenreife im oben aufgezeigten soldatenversorgungsrechtlichen Sinn.

- Alternative 4: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht über die Ursache des Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit, es gibt aber wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung, die die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs positiv vertritt.

2. Zu den hier im Raum stehenden Erkrankungen:

2.1. Nierenzellkarzinom mit Folgeerkrankungen

Das durchgemachte Nierenzellkarzinom mit den sich daraus ergebenden Folgeschäden (Verlust der linken Niere, Verlust der Milz und eines Teils des Dickdarms) ist als Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn der o. g. Alternative 1 anzuerkennen.

2.1.1. Potentiell schädigender Vorgang

Der Kläger war im Rahmen seines Wehrdienstes ionisierender Strahlung (Röntgenstörstrahlung) in einem Umfang ausgesetzt, der potentiell kanzerogene Wirkung hat.

Der Kläger arbeitete von 1971 bis 1987 zunächst als Radarmechaniker, dann als Radarmechanikermeister am Flugzeug F-104 G, das mit dem Vorwärtssichtradar NASARR ausgestattet war.

Bei dieser Tätigkeit war der Kläger in so erheblichem Umfang ionisierender Strahlung ausgesetzt, dass eine für die Verursachung einer Krebserkrankung als ausreichend anzusehende Strahlenbelastung im Sinn der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV vorgelegen hat. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus den Ausführungen des Berichts der vom Bundesministerium der Verteidigung auf Ersuchen des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags einberufenen Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der NVA (Radarkommission) vom 02.07.2003. Die strahlenbelastende Tätigkeit des Klägers fällt im Umfang von fast vier Jahren in den von der Radarkommission als Phase I (bis Ende 1975) bezeichneten Zeitraum, in dem „eine belastbare Dosisrekonstruktion aufgrund von Messdaten praktisch unmöglich ist“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23) und in der auch weitgehend keine Strahlenschutzmaßnahmen getroffen worden sind. Daran hat sich (ab 1976) eine Zeit angeschlossen, „in der die Zahl der Messungen deutlich anstieg und in der erste Strahlenschutzmaßnahmen durchgeführt wurden“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23), so dass ab dieser Zeit eine prinzipielle Dosisabschätzung möglich ist, sofern eine ausreichende Zahl von Messungen vorliegt, was aber vorliegend, d. h. betreffend das NASARR, nicht der Fall zu sein scheint, wenn die Angaben der Beklagten zugrunde gelegt werden, wonach nur eine einzige Messung durchgeführt worden sein soll. Dabei hat die Radarkommission aber auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in dieser zweiten Phase nach wie vor alte Systeme, d. h. ohne Strahlenschutz, weiter eingesetzt worden sind und dieser Zustand teilweise weit bis in die 80er Jahre hinein angehalten hat, was insbesondere auch für das NASARR gilt, an dem der Kläger eingesetzt war (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23). So gibt es offenbar nur ein einziges Messprotokoll zum NASARR aus dem Jahr 1974 (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 22). Die Radarkommission hat zudem darauf hingewiesen, dass gerade dann, wenn nur wenige Messwerte vorliegen, „eine Unterschätzung nicht auszuschließen ist“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 24).

Ausgehend von diesen Ausführungen im Bericht der Radarkommission, der als antizipiertes Sachverständigengutachten betrachtet werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 02.10.2008, Az.: B 9 VS 3/08 B - m. w. N.) ist eine potentiell schädigende Strahlenbelastung im Vollbeweis nachgewiesen.

Dies hat letztlich auch die Beklagte zugestanden, wenn sie ab der Überprüfung nach Vorlage des Berichts der Radarkommission im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ihre Ablehnung nicht mehr auf eine angeblich nicht ausreichende Strahlenbelastung gestützt hat, wie sie dies noch im Verwaltungsverfahren getan hat. Der Senat sieht daher auch keinen Anlass, sich mit der völlig unplausiblen Berechnung der Beklagten im Verwaltungsverfahren auseinanderzusetzen, in dem diese eine effektive Gesamtdosis von 5,9 mSv „berechnet“ hat und zu der Einschätzung gekommen ist, dass die Strahlenbelastung des Klägers nicht den für die allgemeine Bevölkerung geltenden Grenzwert übersteige. Denn für diese pseudogenaue Berechnung fehlen, wie dies der Bericht der Radarkommission überdeutlich klar gemacht hat, jegliche zuverlässigen Messwerte. Die von der Beklagten zulasten des Klägers eingebrachte Messung steht in eklatantem Widerspruch zu den Ausführungen der Radarkommission.

Keiner weiteren Erörterung bedarf die Frage weiterer potentieller Strahlenbelastungen des Klägers durch radioaktive Leuchtfarben oder die Verwendung von Oszilloskopen, die ebenfalls Röntgenstörstrahlung aussenden. Denn diese weiteren Belastungsfaktoren sind angesichts der durch die Arbeit am

NASARR nachgewiesenen Belastung durch Röntgenstörstrahlung nicht mehr entscheidungserheblich. Der Senat braucht sich daher auch nicht damit zu befassen, ob die Beklagte ordnungsgemäß ihrer Mitwirkungspflicht durch die Vorlage nur ihr bekannter Daten und Messwerte nachgekommen ist, was vom Kläger nicht unfundiert in Zweifel gezogen worden ist und auch angesichts des Prozessverhaltens der Beklagten (z. B. Vorlage der teilweise geschwärzten Stellungnahme vom 09.06.2009, Verschweigen von Messdaten, die sich aus dem in den Beklagtenakten enthaltenen Messprotokoll ergeben - Strahlung des Magnetrons auch zur Seite) fraglich erscheint, oder ob die Beklagte gezielt und ausgewählt nur solche Fakten dem Gericht angegeben hat, die sie dem Begehren des Klägers entgegen halten kann.

2.1.2.

Kausalität zwischen Belastung durch ionisierende Strahlung und Nierenzellkarzinom

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. G., der auch Mitglied der Radarkommission war, hat die vorliegenden Unterlagen sorgfältig ausgewertet und ist in seinem Gutachten vom 09.06.2011 mit nachvollziehbarer und überzeugender Begründung zu der Einschätzung gekommen, dass das Nierenzellkarzinom hinreichend wahrscheinlich auf die wehrdienstbedingte Strahlenbelastung des Klägers zurückzuführen ist. Dabei hat er sich u. a. auch mit möglichen Alternativursachen befasst und diese ausgeschlossen. Die aus der Behandlung des Karzinoms resultierenden weiteren Gesundheitsschäden (Entfernung eines Teils des Dickdarms und der Milz) stehen als mittelbare Folgeschäden ebenfalls in einen hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang mit der wehrdienstbedingten Strahlenbelastung.

Diese Beurteilung des Sachverständigen macht sich der Senat zu eigen. Sie steht in Übereinstimmung mit den Festlegungen im Bericht der Radarkommission und den Vorgaben im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 (vgl. Bek. des BMA vom 13.05.1991, BArbBl. 7-8/1991, S. 72 ff.) bzw. der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV (vgl. Bek. des BMAS vom 24.10.2011, Az.: IVa 4-45222-2402, GMBl. 2011, Nr. 49 - 51, S. 983 - 993).

Angesichts der klaren sachverständigen Ausführungen verzichtet der Senat auf weitere Ausführungen zum Gutachten und verweist auf die dortigen Erläuterungen. Die sachverständige Einschätzung wird im Übrigen auch vom versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten (Stellungnahme des Dr. J. vom 18.09.2003) geteilt und hat auch Eingang in den ersten Entwurf eines Beschwerdebescheids vom November 2003 gefunden, dem aus hier nicht nachvollziehbaren Gründen von der Wehrbereichsverwaltung Süd die Zustimmung versagt worden ist.

Sofern die Beklagte Einwendungen gegen dieses Gutachten erhebt, kann sich der Senat dem nicht anschließen:

- Wenn die Beklagte bereits vor Erteilung des Gutachtensauftrags

o dem Gericht mit Schreiben vom 26.11.2008 mitgeteilt hat, dass sie mit der Einholung eines Gutachtens bei Prof. Dr. G. „nicht einverstanden“ sei, da er „sehr spezielle Ansichten“ vertrete,

o zudem mit Schreiben vom 23.02.2009 das Gericht darüber informiert hat, dass die Bundeswehr „diesem Gutachten nicht folgen“ werde, und

o schließlich mit Schreiben der „Schwerpunktgruppe Radar“ vom 16.06.2010 diesem Sachverständigen pauschal jegliche fachliche Eignung abgesprochen hat,

sind diese Einwände nicht ansatzweise nachvollziehbar und nicht auf Fakten gestützt, sondern beruhen ausschließlich auf sachfremden Unterstellungen, Mutmaßungen und subjektiven Meinungsäußerungen von Vertretern der Beklagten, wie sie in einem gerichtlichen Verfahren keinen Raum haben können. Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass der Sachverständige Mitglied der Radarkommission war. Ihm angesichts dieser Berufung fehlende Sachkenntnis zu unterstellen, überrascht und würde auch die Kompetenz der Beklagten in Gestalt des Bundesministeriums der Verteidigung, das die Radarkommission eingesetzt hat, massiv in Frage stellen. Der Senat kann sich die unsachliche Vorabkritik der Beklagten am Sachverständigen daher nur so erklären, dass, soweit dem Senat bekannt ist, dieser im Zusammenhang mit der Erstellung des Berichts der Radarkommission bemängelt hat, dass die Bundeswehr nur unzureichend Materialien zur Verfügung gestellt habe. Allein aus dieser Kritik, die der Senat im Übrigen aufgrund der in diesem Verfahren gemachten Erfahrungen - so musste er auf eine am 15.03.2012 erbetene Stellungnahme zwei Jahre warten, wobei die Stellungnahme erst nach Einschaltung des Präsidenten des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr abgegeben worden ist und nicht einmal ganze sechs Seiten umfasst hat - nicht für fernliegend hält und die im Übrigen auch dem Bericht der Radarkommission selbst zu entnehmen ist (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 25: „Die von der Kommission erbetenen Informationen ... konnten von der Bundeswehr nicht geliefert werden.“), eine fehlende Sachkunde des Sachverständigen abzuleiten, ist mehr als fernliegend. Im Übrigen hat sich der von der Beklagten vorweg erhobene Vorwurf auch nicht nach Vorlage des Gutachtens bestätigt. Dafür, aus dem in diesem Verfahren erstellten Gutachten auf eine fehlende Sachkunde oder gar eine Parteilichkeit des Sachverständigen zu schließen, gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt. Die Vorwürfe und Vorhaltungen der Beklagten entbehren insofern jeglicher sachlicher Grundlage und können nur auf rein subjektiven Gründen beruhen. Ob und wenn ja welche weiteren Gründe für die objektiv nicht haltbare Ablehnung des Sachverständigen durch die Beklagte bestehen, hat die Beklagte nicht offengelegt, so dass nur unsachliche und damit nicht äußerungsfähige Gründe vermutet werden können. Bezeichnend ist jedenfalls, dass sich die Beklagte gehütet hat, den Sachverständigen formal wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, was sich aufgrund ihres Vortrags aufgedrängt hätte. Letztlich können die nicht offengelegten wahren Gründe der Beklagten mangels Entscheidungsrelevanz dahingestellt bleiben.

- Der Vortrag der Beklagten dahingehend, dass die Entstehung eines Nierentumors durch den Bericht der Radarkommission ausgeschlossen sei, findet in diesem Bericht keine Stütze; im Übrigen ist die Behauptung eines (generellen) Ausschlusses eines Ursachenzusammenhangs auch nachweislich falsch. An keiner Stelle in diesem Bericht ist ausgeführt, dass ein Nierenzellkarzinom nicht durch ionisierende Strahlung verursacht sein könnte. Vielmehr ist sowohl im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 1991 als auch in der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 die Niere ausdrücklich unter den strahlenempfindlichen Organen in Hinsicht auf die Verursachung maligner Erkrankungen aufgelistet.

- Sofern die Beklagte argumentiert, das Nierenzellkarzinom könne schon deshalb nicht durch die wehrdienstliche Tätigkeit des Klägers verursacht sein, weil sich die Nieren nicht in dem nach dem Bericht der Radarkommission strahlungsexponierten Körperbereich befunden hätten, ist dies falsch. Es liegt der Eindruck sehr nahe, dass die Beklagte die einschlägigen Vorgaben des Berichts der Radarkommission falsch darstellt, um berechtigte Ansprüche des Klägers abzuwehren.

Nach dem Bericht der Radarkommission ist bei der Tätigkeit am NASARR davon auszugehen, dass sich „Kopf und Teile des Oberkörpers direkt im nach oben gerichteten Strahlenbündel befanden“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 46). Diese Formulierungen können aber nicht - wie dies die Beklagte möchte - dahingehend interpretiert werden, dass bei der Arbeit am NASARR nur eine Exposition in den obersten Teilen des Oberkörpers vorgelegen haben kann. Ein derartiger Ausschluss lässt sich weder dem Bericht der Radarkommission entnehmen noch findet er eine Stütze im (detaillierteren) Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR. Im Übrigen verkennt die Beklagte auch, dass der Radarbericht die Formulierung „Teile des Oberkörpers“ nur in Zusammenhang mit einer ganz bestimmten Tätigkeit am NASARR verwendet, nämlich bei den „langwierigen Einstellarbeiten des Sender-Magnetrons“ (vgl. S. 46 des Berichts).

- Wenn die Beklagte durch den Leiter der Strahlenmessstelle Dr. S. in der Stellungnahme vom 21.02.2014 vorträgt, die Strahlung am NASARR sei einzig und allein nach oben gerichtet gewesen und es habe sich um ein eng umgrenztes Strahlenbündel gehandelt, was durch Röntgenfilme dokumentiert sei, ist auch diese Behauptung nachweislich falsch und verschweigt Erkenntnisse, wie sie die Beklagte selbst gewonnen, dokumentiert und vorgelegt hat.

Aus den Messwerten, wie sie im Teilbericht NASARR (dort Tabelle 2 auf S. 5) dokumentiert sind, ergibt sich zweifelsfrei eine nicht unerhebliche, vom Magnetron des NASARR zur Seite gerichtete Strahlung. Es mag zwar durchaus richtig sein, dass das Magnetron (gezielt) nach oben strahlt und dieses Strahlenbündel vergleichsweise punktgenau ist. Daneben kann aber nicht, wie dies durch die Beklagte erfolgt, verdrängt werden, dass auch zur Seite eine Strahlenbelastung erfolgt.

Auch der Bericht der Radarkommission widerlegt die Behauptung der Beklagten einer ausschließlich nach oben erfolgenden eng umgrenzten Strahlung. So wird dort (vgl. S. 59 des Berichts) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Arbeit auf der Testbank durch Reflexionen an metallischen Flächen (z. B. Fenster- und Türrahmen) erhebliche Strahlenbelastungen und Grenzwertüberschreitungen um 100% auftreten können, ohne dass dafür Fehler an den Radargeräten vorliegen hätten müssen. Gerade in Reparaturhallen ist nach dem Bericht der Radarkommission (vgl. S. 61 des Berichts) wegen der erhöhten Reflexion von einem hohen Risiko einer Überexposition auszugehen. Neben der seitlich aus dem Magnetron austretenden Strahlung gab es daher auch infolge Reflexionen erhebliche Strahlenbelastungen außerhalb des eng nach oben gerichteten Strahlenbündels des Magnetrons.

Wenn dazu der Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. mit Schreiben vom 21.02.2014 behauptet, dass die Annahme des Klägers, das Magnetron habe auch zur Seite gestrahlt, nicht bewiesen sei, kann dies in Anbetracht der vorgenannten Ausführungen sowohl im Bericht der Radarkommission als auch im Teilbericht NASARR nur als wahrheitswidriger Vortrag bezeichnet werden. Ob und inwieweit angesichts eines derartigen Verhaltens auch weitere Angaben der Beklagten nicht nur in diesem gerichtlichen Verfahren genauerer Nachprüfung bedürfen, sei an dieser Stelle mangels Entscheidungserheblichkeit dahingestellt.

Ebenso sieht es der Senat als irreführend und nachweislich falsch an, wenn durch den Leiter der Strahlenmessstelle vorgetragen wird, es sei ein Irrtum des Klägers, wenn dieser meine, dass die Röntgenstrahlung oder Röntgenstörstrahlung des NASARR nicht streng und definierbar gebündelt würde, und dies mit dem Hinweis darauf begründet wird, dass es ohne diese strenge Bündelung keine Computertomographie mit der heute erreichten Bildqualität gebe. Vom heutigen (!) Stand der Computertomographie auf die Belastung eines militärisch vor über 40 Jahren genutzten Geräts zu schließen, ist fernab jeglicher Nachvollziehbarkeit. Dies gilt umso mehr, als der erste kommerzielle Computertomograph zur klinischen Anwendung erst im Jahr 1972, also zu einer Zeit, als der Kläger schon als Radarmechaniker arbeitete, in Betrieb genommen worden ist (vgl. Jach, Einsatz der Dosismodulation in der Mehrschicht-Computertomographie der Kopf-/Halsregion, Diss. 2008, S. 13) und die damaligen Geräte im Vergleich zu heutigen Geräten eine nur sehr eingeschränkte Funktionalität hatten. Im Übrigen suggeriert der Vortrag des Dr. S., dass neben dieser gezielten Strahlung keine andere Strahlung vorhanden gewesen wäre. Dies ist aber - wie bereits erläutert - nachweislich nicht richtig.

- Fast grotesk mutet das Argument des Leiters der Strahlenmessstelle Dr. S. an, wenn er mit dem an der Antenne angebrachten Hinweis „HANDS OFF“ suggerieren will, dass damit die Gefährlichkeit des Geräts durch ionisierende Strahlung zum Ausdruck gebracht würde und daher die Arbeiten mit entsprechend großem Abstand zum Gerät durchgeführt worden wären. Der Hinweis „HANDS OFF“ kann sich nämlich nicht auf eine Strahlenexposition beziehen, sondern nur darauf, dass die Antenne aus mechanischen Gründen nicht zu berühren sei. Dies ergibt sich zwingend aus dem Inhalt des Warnhinweises, der ein Berühren verhindern will. Das Berühren der Antenne an sich ist aber völlig ungefährlich, solange der Kontakt nicht in dem Austrittsort der nach dem Vortrag des Dr. S. enggebündelten Strahlung erfolgt. Wenn schon ein Hinweis auf radioaktive Strahlung erfolgen hätte sollen, hätte dieser ganz anders lauten müssen; „HANDS OFF“ wäre in diesem Fall ein völlig untauglicher Hinweis gewesen. Im Übrigen - auch das ist dem Bericht der Radarkommission zu entnehmen - ist offenbar erst in der von der Radarkommission als zweite Phase ab 1976 bezeichneten Zeit dem bis dahin völlig vernachlässigten Strahlenschutz auch durch entsprechende Arbeitsanweisungen Rechnung getragen worden (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 9, 23, 130). Dies beweist, dass mit „HANDS OFF“ zumindest in der ersten Phase, in der der Kläger auch tätig war, keinesfalls vor Röntgenstörstrahlung gewarnt wurde. Im Übrigen hat die Bundeswehr zwar auch schon bis Mitte der 70er Jahre Strahlenwarnzeichen - die nicht mit dem Hinweis „HANDS OFF“ verwechselt werden dürfen - verwendet, wobei sich diese Warnzeichen nicht auf Röntgenstrahlung bezogen haben (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 9). Die Behauptungen des Dr. S. stehen zu diesen Ausführungen im Bericht der Radarkommission in einem konträren und sachlich nicht ansatzweise erklärbaren Widerspruch.

- Wenn der Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. die Strahlenexposition des Klägers dadurch als kleiner erscheinen lassen will, dass er es als nicht ersichtlich bezeichnet, warum bestimmte Arbeitsschritte mit eingeschaltetem Magnetron erfolgen hätten müssen, mag diese Fragestellung aus heutiger Sicht berechtigt sein. Zu der Zeit, in der der Kläger als Radarmechaniker tätig war (ab 1971), spielte der Strahlenschutz in der täglichen Praxis der Bundeswehr aber keine (wesentliche) Rolle (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 130). Auch die Radarkommission hat in diesem Zusammenhang bei der Ermittlung der Exposition bei Arbeiten am NASARR deshalb empfohlen, „vorrangig Angaben der Antragsteller zu ihren individuellen Tätigkeiten ... zugrunde zu legen“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 47). Der Senat folgt daher auch den Angaben des Klägers im Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 03.06.2013, in dem er sich dezidiert zu den Arbeitsbedingungen geäußert hat; irgendeinen Grund, den Angaben des Klägers nicht zu folgen, kann der Senat nicht erkennen, da die Angaben des Klägers in sich schlüssig und angesichts der zur Zeit der belastenden Tätigkeit vorliegenden Erkenntnisse zur Gefährlichkeit und dem damals auch von Seiten des Arbeitgebers Bundeswehr fehlenden Problembewusstseins zum Thema Röntgenstörstrahlung plausibel sind und nicht ansatzweise ein Hinweis darauf erkennbar ist, dass sich der Kläger durch falsche Angaben einen versorgungsrechtlichen Vorteil verschaffen möchte. Wenn die Beklagte suggerieren will, dass der Kläger die Arbeiten nicht bei eingeschaltetem Radarsender durchgeführt habe, steht dies im Übrigen auch im Widerspruch zu den Ausführungen im Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR (dort vgl. S. 9). Danach ist es für den Senat nachgewiesen, dass, um eine beste Einsatzfähigkeit des NASARR zu erhalten, die meiste Zeit mit hoher Sendeleistung gearbeitet worden ist, zumal von der Gefährlichkeit des Magnetrons damals nichts bekannt gewesen war.

- Das medizinische Argument, das die Beklagte durch einen Nichtmediziner vorgetragen hat, nämlich dass ein Nierentumor nicht strahlungsbedingt entstanden sein könne, weil die Niere nicht Teil des Oberkörpers sei, ist durch die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen und durch medizinische Standardwerke widerlegt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Nierentumor an der höher gelegenen linken Niere und dort am oberen Pol entstanden ist, also an der absolut betrachtet obersten, also kopfnächsten Stelle der Nieren.

Dass die Beklagte von der anatomisch unrichtigen Annahme ausgeht, dass die Nieren im Beckenbereich gelegen seien, entnimmt der Senat auch der Stellungnahme des Dr. S. vom 04.09.2006. Dieser hat im Rahmen der Frage, ob der Nierentumor des Klägers strahlenbedingt sein könne, darauf hingewiesen, dass auch bei einem körperlich größeren Techniker der Bereich des Beckens nicht gegenüber Röntgenstörstrahlung exponiert werden könne.

- Aber selbst dann, wenn dem Beklagten bezüglich seiner falschen Argumentation zur Niere gefolgt würde und damit davon auszugehen wäre, dass die Niere in einem grenzwertig strahlenexponierten Körperbereich liegen würde, würde dies nach den expliziten Feststellungen im Bericht der Radarkommission (vgl. dort S. 47) einer Anerkennung nicht entgegen stehen, da die Kommission der Auffassung ist, „dass für alle Tätigkeiten, für die eine Exposition aller Körperpartien geometrisch betrachtet nicht sicher auszuschließen ist, die Annahme, dass das erkrankte Organ einer Strahlenexposition ausgesetzt war, die durch die maximale Ortsdosisleistung bestimmt wird, die einzig mögliche Grundlage einer Dosisabschätzung darstellt.“ Da eine Nierenexposition - auch nach der Argumentation der Beklagten - nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist die maximale Ortsdosisleistung als Strahlungsbelastung zugrunde zu legen. Wenn dies die Beklagte dadurch in Abrede stellen will, dass sie den Bericht der Radarkommission insofern nicht zur Kenntnis nehmen will, wirkt dies zumindest befremdlich und legt - zum wiederholten Mal - den Eindruck nahe, dass der Tatsachenvortrag der Beklagten sehr selektiv und daran orientiert erfolgt, was ihr bei der Abwehr von Ansprüchen nützlich sein könnte.

- Wenn die Beklagte zum Ende des Berufungsverfahrens die Anerkennung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung dadurch abzuwehren versucht, dass sie durch den Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. mit Schreiben vom 21.02.2014, dessen Anfertigung rund zwei Jahre gedauert hat, vortragen lässt, dass die Energie der Röntgenstrahlung nicht ausreiche, an den Nieren eine Dosis zu erzielen, ist auf Folgendes hinzuweisen: Zunächst verwundert es, dass ein Nichtmediziner der Bundeswehr meint, über so große Fachkunde auf medizinischem Gebiet zu verfügen, dass er diese medizinische Frage zu beantworten vermag. Der ärztliche Sachverständige Prof. Dr. G., dessen medizinische Sachkunde für den Senat außer Zweifel steht, hat dies ganz anders eingeschätzt; diese ärztlichsachverständige Einschätzung macht sich der Senat zu eigen. Auch der Versorgungsarzt der Beklagten Dr. J. hat in einer vermeintlich nicht ausreichenden Eindringtiefe in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003 kein Problem gesehen. Insofern ist die (gewissermaßen fachfremde) Äußerung des Dr. S. ein erneuter Beleg für eine mit großen Vorbehalten zu sehende Vorgehensweise der Beklagten. Dass die Behauptung des Dr. S. auf der Basis medizinischer Erkenntnisse nicht nachvollziehbar ist, ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass die Nieren sowohl im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 1991 als auch in der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 ausdrücklich unter den strahlenempfindlichen Organen in Hinsicht auf die Verursachung maligner Erkrankungen aufgelistet wird.

- Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies noch Entscheidungsrelevanz hätte, weist der Senat darauf hin, dass es in vergleichbaren Fällen von Radarmechanikern am Flugzeug F-104 - von der Beklagten unwidersprochen - zu Anerkennung eines Nierentumors, eines Hodentumors und auch von Knochenkrebs am Oberschenkel gekommen ist. Würde der jetzigen Argumentation der Beklagten gefolgt, hätte es zu solchen Anerkennungen nie kommen können.

2.2. Schilddrüsenadenom mit daraus resultierender Teilentfernung der Schilddrüse und Schilddrüsenüberfunktion

Das Schilddrüsenadenom mit daraus resultierender Teilentfernung der Schilddrüse und die Schilddrüsenüberfunktion sind als Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn der o. g. Alternative 4 (vgl. oben Ziff. 1 a.E.) anzuerkennen.

2.2.1. Potentiell schädigender Vorgang

Die ionisierende Strahlung (Röntgenstörstrahlung), der der Kläger im Rahmen seines Wehrdienstes als Radarmechaniker/-meister ausgesetzt war (vgl. dazu oben Ziff. 2.1.1.), hat auch potentiell schädigende Wirkung auf die Schilddrüse in dem Sinn, dass dadurch die Bildung gutartiger Schilddrüsentumore (Adenome) verursacht werden kann, wie die im Gutachten des Prof. Dr. G. vom 09.06.2011 angeführten Studien zeigen.

2.2.2. Kausalität zwischen Belastung durch ionisierende Strahlung und Adenom der Schilddrüse

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. G. hat die vorliegenden Unterlagen sorgfältig ausgewertet und ist in seinem Gutachten vom 09.06.2011 mit nachvollziehbarer und überzeugender Begründung zu der Einschätzung gekommen, dass das Adenom sowie die Schilddrüsenüberfunktion zwar nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, aber doch im Sinn der Kannversorgung gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG auf die wehrdienstbedingte Strahlenbelastung des Klägers zurückzuführen sind. Der aus der Behandlung des Adenoms resultierende weitere Gesundheitsschaden (Teilentfernung der Schilddrüse) steht als mittelbarer Folgeschaden in einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang mit der Adenomoperation und damit mit der wehrdienstbedingten Strahlenbelastung.

Diese Beurteilung des Sachverständigen macht sich der Senat zu eigen. Sie steht in Einklang mit den rechtlichmedizinischen Voraussetzungen der Kannversorgung.

Es ist unstrittig, dass bezüglich der Entstehung gutartiger Tumore der Drüsen, hier des Schilddrüsenadenoms, in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit in dem Sinn besteht, dass es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern allenfalls verschiedene ärztliche Lehrmeinungen zur Entstehungsursache gibt. Dies ist auch dem Gutachten des Prof. Dr. G. zu entnehmen, wenn dieser potentielle Ursachen sowie zwei Studien benennt, die ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko des Auftretens von gutartigen Schilddrüsentumoren aufzeigen. Eine einheitliche Lehrmeinung hat sich bis heute nicht entwickelt. Aufgrund dieser Studien und den dort entwickelten Kriterien ist nach den Ausführungen des Sachverständigen davon auszugehen, dass das Adenom des Klägers infolge der Strahlenbelastung entstanden ist. Dies bedeutet, dass nach zumindest einer, den Studien zugrunde liegenden Lehrmeinung, die noch nicht als einheitliche Lehrmeinung anerkannt ist, das Adenom des Klägers und die Schilddrüsenüberfunktion hinreichend wahrscheinlich auf die wehrdienstliche Strahlenbelastung zurückzuführen sind. Die Voraussetzungen der Kannversorgung sind damit gegeben.

Bedenken, der Einschätzung des Sachverständigen zu folgen, hat der Senat nicht:

- Der Bewertung des Sachverständigen steht nicht entgegen, dass der Bericht der Radarkommission eine Anerkennung von gutartigen Tumoren nicht explizit vorsieht. Wenn die Beklagte suggeriert, dass durch die Nichterwähnung gutartiger Tumore im Bericht der Radarkommission belegt sei, dass eine Anerkennung derartiger Erkrankungen überhaupt nicht, auch nicht im Weg der Kannversorgung, in Betracht gezogen werden dürfe, ist diese Argumentation falsch und verschleiert den Grund, warum im Bericht der Radarkommission gutartige Tumore nicht thematisiert worden sind. Es ist allgemein bekannt, dass sich die Radarkommission angesichts des großen Zeitdrucks allein auf bösartige Tumore und Katarakte beschränkt hat, ohne damit irgendeine Aussage zur Kausalität anderer Erkrankungen zu treffen.

- Die Tatsache, dass in den früher geltenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in der letzten Fassung vom Jahr 2008 zu gutartigen Geschwülsten (vgl. AHP 2008 Nr. 142.5) darauf hingewiesen wird, dass diese „im allgemeinen nicht durch äußere Einwirkungen verursacht“ werden, steht der Anerkennung des Adenoms im Rahmen der Kannversorgung nicht entgegen. Ganz abgesehen davon, dass die AHP mangels Gesetzeskraft einen derartigen Ausschluss überhaupt nicht konstituieren hätten können, sind sie durch die jetzt geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen abgelöst worden, die überhaupt keine Auflistung von im Weg der Kannversorgung anerkennungsfähiger oder auszuschließender Erkrankungen enthalten. Zudem belegt gerade die Formulierung „im allgemeinen“ in den AHP, dass ein allumfassender Ausschluss einer Anerkennungsfähigkeit gerade nicht gegeben ist. Wenn die Beklagte in diesem Zusammenhang weiter mit Stellungnahme vom 01.09.2011 argumentiert, dass „Ausnahmen bzgl. der Schilddrüsenadenome ... in den AHP nicht genannt“ würden, daher deren Ätiologie nicht ungeklärt sei und daher die Kannversorgung keine Anwendung finde, gibt es für diese Begründung in den AHP nicht ansatzweise eine Stütze; vielmehr verfälscht diese Argumentation die Vorgaben der AHP eklatant. Die Beklagte verschweigt völlig, dass in den AHP für gutartige Geschwülste überhaupt keine Ausnahmen explizit aufgezeigt sind. Aus der fehlenden positiven Erwähnung eines Schilddrüsenadenoms kann daher nicht der Rückschluss gezogen werden, dass mit der Nichterwähnung ein Ausschluss verbunden wäre, wenn die AHP auf der anderen Seite auf die Möglichkeit hinweisen, dass eine Kannversorgung nur im Allgemeinen nicht in Betracht kommt, was aber gerade die Möglichkeit einer Anerkennung im - zugegebenermaßen eher seltenen - Einzelfall beinhaltet. Zudem darf auch nicht übersehen werden, dass die Formulierung in AHP 2008 Nr. 142.5 sämtliche „äußeren Einwirkungen“ umfasst, also neben der durch ionisierende Strahlung auch die zahlreichen anderen Möglichkeiten wie z. B. mechanischer Art. Dass es insofern „im allgemeinen“, d. h. zumindest in der deutlich überwiegenden Zahl der Fälle, nicht zu einer Anerkennung kommen dürfte, ist naheliegend, kann aber nicht dahingehend interpretiert werden, dass es bei Strahlenbelastung zu keiner Anerkennung als Schädigungsfolge im Rahmen der Kannversorgung kommen könne. Außerdem wird in der wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „auch benigne Tumore“ als strahlenbedingte Spätschäden in Betracht kommen. Dieser aktuellen, zumindest schon drei Jahre lang bundesministeriell „abgesegneten“ Erkenntnis verschließt sich die Beklagte.

- Der Sachverständige hat seine Annahme eines Zusammenhangs im Sinn der Kannversorgung durch die Angabe von Studien belegt, die ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für die Entstehung gutartiger Schilddrüsentumore durch ionisierende Strahlung belegen, und darauf hingewiesen, dass der Halsbereich des Klägers ohne jeden Zweifel - dies bestreitet selbst die Beklagte nicht - einer entsprechenden Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen ist. Diese wissenschaftlich fundierte und überzeugende Argumentation des Sachverständigen, die sich der Senat zu Eigen macht, erschüttern die dagegen mit Schreiben der Beklagten vom 01.09.2011 vorgebrachten Behauptungen nicht ansatzweise. Wenn dem Gutachter entgegen gehalten wird, dass er seine Beurteilung nicht „auf der Grundlage der von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese“ abgegeben, sondern sich nur auf zwei „vereinzelte Studien“ gestützt habe, in denen „Hinweise auf mögliche Zusammenhänge gegeben“ seien, und damit „methodische Fehler“ konstruiert werden sollen, gehen diese Vorwürfe als unzutreffend ins Leere. Die Beklagte verkennt völlig, dass es für die Heranziehung der Kannversorgung zwingende Grundvoraussetzung ist, dass sich eine herrschende wissenschaftliche Lehrmeinung noch nicht herausgebildet hat; denn anderenfalls dürfte die Zusammenhangsbeurteilung ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhangs erfolgen. Dem Sachverständigen, der aufgezeigt hat, dass es bezüglich der Entstehung gutartiger Tumore (noch) keine herrschende medizinische Lehrmeinung gibt, methodische Fehler zu unterstellen, kann daher nur mit einer elementaren Unkenntnis der Voraussetzungen der Kannversorgung oder einer gezielt irreführenden Argumentation, die der Senat der Beklagten nicht unterstellen möchte, begründet werden. Dass die Beklagte der vom Gesetzgeber eröffneten Kannversorgung grundsätzlich ablehnend gegenüber steht, möchte der Senat der Beklagten ebenfalls nicht unterstellen. Sollte dies gleichwohl der Fall sein, könnte der Interessenlage der Beklagten nur der Gesetzgeber durch die Abschaffung der Kannversorgung Rechnung tragen, nicht aber die Judikative im Rahmen der Anwendung geltender Gesetze.

Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies noch von weiterer Entscheidungsrelevanz wäre, weist der Senat darauf hin, dass auch im Internet für jedermann zugänglich Veröffentlichungen zu finden sind, die sich mit der bislang medizinisch nicht abschließend geklärten Frage der Verursachung gutartiger Tumore befassen und dabei auch auf die Studienlagen Bezug nehmen (vgl. z. B. die Hinweise von Schmitz-Feuerhake, Die Induktion gutartiger Tumore durch ionisierende Strahlung - ein vernachlässigtes Kapitel von Strahlenrisikobetrachtungen, in: Strahlentelex, Nr. 548-549, 05.11.2009), wobei es der Senat dahingestellt lässt, von welcher wissenschaftlichen Qualität die genannte Veröffentlichung ist.

Der Zustimmungsvorbehalt des § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG steht einer gerichtlichen Anerkennung auch ohne konkrete oder allgemeine Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nicht entgegen. Denn bei der Zustimmung handelt es sich lediglich um einen verwaltungsinternen Vorgaben, den das Gericht bei seiner Entscheidung zu prüfen oder zu ersetzen hat (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1969, Az.: 8 RV 469/67; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.11.2001, Az.: L 10 VS 44/98).

3. Der Vollständigkeit halber: Keine Verurteilung wegen eines heißen Knotens

Der Kläger verfolgt die Anerkennung eines heißen Knotens der Schilddrüse als Folge einer Wehrdienstbeschädigung nicht mehr weiter. Der Senat weist daher lediglich der Vollständigkeit halber auf Folgendes hin:

Eine Verurteilung der Beklagten wegen eines heißen Knotens der Schilddrüse käme schon deshalb nicht in Betracht; weil eine derartige Erkrankung lediglich in Form einer Verdachtsdiagnose in den Raum gestellt worden ist, nicht aber in dem für eine Anerkennung erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen ist. Dass insofern (derzeit noch) keine Zuständigkeit der Beklagten bestünde, da sich eine solche Erkrankung keinesfalls während der Dienstzeit manifestiert hätte (vgl. Urteil des Senats vom 26.01.2012, Az.: L 15 VS 10/08; BSG, Urteil vom 29.04.2010, Az.: B 9 VS 2/09 R), ist von keiner weiteren rechtlichen Bedeutung. Die Frage, ob der Beigeladene verurteilt werden könnte, würde sich daher ebenfalls nicht stellen.

4. Keine Feststellungen zum Grad der Schädigung

Feststellungen zum Grad der Schädigung hat der Senat nicht zu treffen, da sich der Antrag des rechtskundig vertretenen Klägers ausdrücklich auf die Anerkennung der Schädigungsfolgen beschränkt.

5. Keine weiteren Ermittlungen erforderlich

Weitere Ermittlungen, insbesondere eine Inaugenscheinnahme eines Luftfahrzeugs F-104 G waren nicht angezeigt. Mit dem Bericht der Radarkommission, den vorliegenden Angaben zur Tätigkeit des Klägers und dem eingeholten Gutachten ist eine umfassende Entscheidungsgrundlage zur Bewertung der Strahlenexposition des Klägers und der gesundheitlichen Auswirkungen gegeben.

Nicht für die Entscheidung relevant ist es daher, dass der Senat große Zweifel daran hat, dass die Durchführung von Messungen an einem Luftfahrzeug F-104 G, was beklagtenseits in der Stellungnahme des Dr. S. vom 21.02.2014 in den Raum gestellt worden ist, überhaupt gerichtsverwertbare Erkenntnisse bringen könnte. Soweit öffentlich zugänglichen Quellen zu entnehmen ist, wurde das Luftfahrzeug F-104 G bei der Bundeswehr am 22.05.1991 ausgemustert. Wenn in Ausbildungseinrichtungen oder Museen noch Exemplare dieses Flugzeugs vorhanden sind, dürften sich diese allesamt in einem demilitarisierten Zustand befinden. Dies würde bedeuten, dass vor der Durchführung von Messungen die im Rahmen der Demilitarisierung entfernten Bauteile, insbesondere auch das Magnetron, wieder in das Flugzeug einzubauen wären. Dass die anschließend angefertigte Konfiguration dem Zustand des Flugzeugstyps entsprechen würde, an dem der Kläger in den 1970er und 1980er Jahren tätig war, hält der Senat für sehr ungewiss. Denn es ist bekannt, dass es beispielsweise beim Magnetron, von dem der wesentliche Teil der (potentiell) schädigenden Strahlung ausgegangen ist, verschiedene Ausführungen mit sicherlich auch nicht immer identischen Strahlungsverhältnissen gegeben hat (vgl. S. 46 des Radarberichts). Da weder aus den Akten ersichtlich ist, an welchen Ausführungen des Magnetrons der Kläger gearbeitet hat, noch klar ist, ob die damaligen Ausführungen überhaupt noch verfügbar sind, zudem auch zu klären wäre, ob die heute noch vorhandenen Ausführungen des Magnetrons im Weg der frühestens ab Mitte der 1970er Jahr begonnenen Strahlenschutzmaßnahmen umgearbeitet worden sind, kann sich der Senat nur schwer vorstellen, dass sich die den Kläger betreffende Strahlenbelastung realitätsnah reproduzieren lassen würde. In diesem Zusammenhang muss der Senat auch darauf hinweisen, dass er jedenfalls wegen des Vorgehens des Beklagten, hier insbesondere in Form der Person des Leiters der Strahlenmessstelle der Bundeswehr, im vorliegenden Fall nicht unerhebliche Bedenken haben würde, sich auf alle Angaben des Beklagten bedenkenlos zu verlassen. Dazu würde insbesondere die Frage gehören, ob das für eine potentielle Messung von der Beklagten zur Verfügung gestellte Luftfahrzeug tatsächlich der Ausführung entsprechen würde, an dem der Kläger gearbeitet hat, auch wenn dies von Seiten der Strahlenmessstelle so behauptet würde.

Diese Bedenken begründen sich wie folgt:

Die Beklagte hat beispielsweise mit Schreiben vom 26.11.2008 an das SG Folgendes ausgeführt:

„... bleibe ich bei der schon bisher von der Wehrbereichsverwaltung Süd vertretenen Auffassung, dass von diesem Radargerät die Strahlung nur nach oben austreten konnte. ... Außerdem ergibt sich das aus der Stellungnahme des Herrn Dr. S., Leiter der Arbeitsgruppe Radar/Strahlenmessstelle der Bundeswehr ... vom 4. September 2006, in der Beschwerdeakte, Blatt 25.“

Ähnlich hat auch der Leiter der Strahlenmessstelle Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 21.02.2014 im Berufungsverfahren argumentiert, wenn er sich zum Einwand des Klägers, es habe auch eine Strahlung zur Seite gegeben, geäußert hat:

„Der Umkehrschluss, dass damit eine Emission des Magnetrons auch in seitlicher Richtung bewiesen wäre, gilt damit aber nicht. Die Radarkommission ... kam bei der Emissionsrichtung zum Ergebnis, dass die Emission der Röntgenstörstrahlung nach oben erfolgte.“

Der Senat kann, wie bereits oben erläutert, aufgrund des Akteninhalts nur davon ausgehen, dass diese Auskünfte falsch oder so verfälscht gegeben worden sind, dass entscheidende Gesichtspunkte von Seiten der Mitarbeiter der Beklagten verschwiegen worden sind. Dabei bezieht sich der Senat einerseits auf Unterlagen in den Verwaltungsakten der Beklagten, andererseits auf den Bericht der Radarkommission. So wird in der Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 25.02.2003 zwar auf die senkrecht nach oben austretende Röntgenstörstrahlung hingewiesen, gleichwohl ist bei den dokumentierten Messwerten auf S. 2 dieser Stellungnahme auch eine Röntgenstörstrahlung zur Seite (in einem Abstand von 5 cm zum Gerät - Anmerkung: einziger Messabstand) aufgeführt, wobei diese Strahlung der Höhe nach nicht vernachlässigbar ist, beträgt sie doch fast ein Drittel der Abstrahlung nach oben in derselben Entfernung und sogar das Neunfache im Vergleich zu der Abstrahlung nach oben in einer Entfernung von 30 cm. Entsprechendes ergibt sich auch aus dem Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR (vgl. dort S. 5, Tabelle 2). Schließlich wird im Radarbericht der Bundesregierung zum Radargerät NASARR darauf hingewiesen, dass bei den Wartungs- und Reparaturarbeitsplätzen durch Leckagen und auch durch Reflexionen der über die Antenne abgestrahlten Mikrowellen an metallischen Flächen erhebliche Grenzwertüberschreitungen auftreten können (vgl. S. 46 des Berichts); dies hat die Kommission durch eigene Messungen überprüft. Sowohl aus den eigenen Messungen der Beklagten als auch dem Bericht der Radarkommission ergibt sich damit die wiederholte Unrichtigkeit des Vortrags der Beklagten. Ausgehend von der nicht ganz fernliegenden Annahme, dass dies wider besseres Wissen erfolgt ist, wären Zweifel an der Richtigkeit der technisch zutreffenden Ausgangsbasis (rekonstruiertes Flugzeug für die Messungen) für weitere durchzuführende Messungen nicht völlig auszuschließen. Weitergehende Überlegungen und Ausführungen erübrigen sich jedoch, da es auf derartige Messungen im vorliegenden Verfahren überhaupt nicht mehr ankommt.

Mangels Entscheidungserheblichkeit muss sich der Senat auch nicht mit der Frage auseinander setzen, ob es tatsächlich nur eine einzige Messung zum NASARR gibt oder ob noch weitere Untersuchungen vorliegen, die von der Beklagten nur aus nicht näher nachvollziehbaren Gründen nicht vorgelegt werden, was im Rahmen der Beweislast zu würdigen wäre.

Zum Abschluss weist der Senat darauf hin, dass er sich sehr wohl des Gewichts und der Bedeutung der am prozessualen Vorgehen der Beklagten geübten Kritik bewusst ist, für das er gute Gründe gehabt hat. Er steht aber mit einer derartigen objektiven gerichtlichen Kritik nicht allein, wie sie beispielsweise auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein in seinem Beschluss vom 13.09.2012, Az.: 3 LB 21/11 - den das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 10.04.2014, Az.: 2 B 36/13, bestätigt hat - wie folgt zum Ausdruck gebracht hat:

„Hierüber hat die Beklagte jahrelang keine konsequente Überprüfung durchgeführt, den Kläger nicht informiert und auch der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Ermittlung erschwert.“

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG). Insbesondere sind keine Fragen grundsätzlicher Art zu klären. Vielmehr basiert die Entscheidung allein auf einer Einzelfallbeurteilung, die mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung des konkreten Falls zu treffen war.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Feststellung von Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtenversorgung.

2

Der 1941 geborene Kläger war von November 1963 bis April 1968 als Zugschaffner und Zugfertigsteller bei der Deutschen Reichsbahn am Bahnhof G. beschäftigt. In den Jahren 1966 bis 1968 wurde er nach den Feststellungen des LSG durch Mitarbeiter der Staatssicherheit bedroht und unter Druck gesetzt und als inoffizieller Mitarbeiter geworben. Im April 1968 löste der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit dem Bahnhof G. Danach war er als Reinigungsmüller bei den M., anschließend als Koch und Küchenleiter zunächst im R.-Heim und nach dortigen Verwerfungen ab 1976 im N. Krankenhaus in G. tätig.

3

Seit 1976 befand sich der Kläger nach seinen Angaben in nervenärztlicher Behandlung. In den Sozialversicherungsausweisen sind seit dieser Zeit Psychosen, Neurosen und paranoide Zustände dokumentiert. Seit 1980 bezog der Kläger eine Invalidenrente, seit 1992 als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Ab dem 1.1.1991 erkannte das Land Brandenburg - Landesversorgungsamt - bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von 80 wegen psychovegetativer Störungen an und stellte das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" fest (Bescheide vom 11.7.1995 und 7.9.1995). Das Ministerium des Innern des Landes Brandenburg hat nach dem Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz - VwRehaG) später festgestellt, dass der Kläger durch Mitarbeiter der Staatssicherheit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar waren; diese Maßnahmen wurden nach § 1 Abs 1 und 5 VwRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt. Des Weiteren wurde festgestellt, dass der Kläger Verfolgter iS des § 1 Abs 1 Nr 3 Berufliches Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) ist. Als berufliche Verfolgungszeit wurde der Zeitraum von 1968 bis 1990 angegeben (Bescheid vom 23.11.1999). Den Antrag des Klägers auf "Entschädigung aufgrund staatlicher Willkür aus der DDR-Zeit" nach dem VwRehaG lehnte das beklagte Land hingegen ua nach Einholung eines nervenärztlichen Kausalitätsgutachtens bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie und Sozialmediziner Dr. T. vom 29.5.2000 ab, nachdem dieser aufgrund einer ambulanten Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen war, dass die bei dem Kläger vorliegende schwere Zwangsneurose nicht ursächlich auf Verfolgungsmaßnahmen in den Jahren 1966 bis 1968 zurückgeführt werden könne (Bescheid vom 22.6.2000). Das Widerspruchsverfahren wurde auf Wunsch des Klägers vorläufig eingestellt (Schreiben vom 25.8.2000). Im Februar 2005 beantragte der Kläger erfolglos die Überprüfung seiner Versorgungsleistungen nach dem VwRehaG (Bescheid vom 1.7.2005; Widerspruchsbescheid vom 28.9.2005).

4

Das SG hat im anschließenden Klageverfahren auf Antrag des Klägers ein Gutachten bei dem Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten Tr. eingeholt. Dieser hat nach ambulanten Untersuchungen des Klägers eine gemischte Angst-Zwangsstörung diagnostiziert, die chronifiziert und mit Wahrscheinlichkeit durch Verfolgungsmaßnahmen der Mitarbeiter der Staatssicherheit in der - vom Sachverständigen angenommenen - Verfolgungszeit von 1968 bis 1990 hervorgerufen worden sei. Der Grad der schädigungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 70 vH. Das SG hat weiter Beweis erhoben ua durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. G. Dieser ist nach ambulanter Untersuchung zur Einschätzung gelangt, bei dem Kläger liege ua eine chronifizierte schwere Zwangsstörung mit Begleitphänomenen vor. Die Zwangsstörung weise entstehungsmäßig neben neurologisch relevanten Belastungsfaktoren insbesondere psychosoziale Belastungsfaktoren auf, nämlich Belastungen in Kindheit und Jugend (ua Vergewaltigung der Mutter im Krieg, Verachtung durch den Vater, Schläge durch den Bruder), die von April 1966 bis Juni 1968 erlittenen Verfolgungsmaßnahmen (ua mit der Drohung von Verfehlungen am Arbeitsplatz und Unterstellung von Straftaten) und die Vorkommnisse bei seinem späteren Arbeitgeber im R. Heim (ua Vorwurf der Gefährdung einer ordnungsgemäßen Essensversorgung der Heimbewohner). Diese psychosozial relevanten Belastungsfaktoren, die wesentlich für die Entstehung und Aufrechterhaltung der schweren Zwangsstörung des Klägers seien, seien von ihrer Bedeutung her etwa gleichwertig. Eine etwaig genauere und prozentuale Aussage sei nicht möglich. Wollte man die Kausalität bejahen, läge bei dem Kläger seit Oktober 1998 ein schädigungsbedingter Grad einer MdE von 70 vH vor. Das SG hat die Klage hierauf abgewiesen. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stehe nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass die von dem Kläger geltend gemachte Angst- und Zwangsstörung Folge der rechtsstaatswidrigen Verfolgungsmaßnahmen der Mitarbeiter der Staatssicherheit der ehemaligen DDR sei (Urteil vom 13.1.2009).

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf Feststellung einer Schädigungsfolge und Versorgungsleistungen, auch wenn ein schädigendes Ereignis iS von § 1 VwRehaG für die Zeit von März 1966 bis Juni 1968 vorliege. Die im Kern von allen Gutachtern gestellte Diagnose einer chronifizierten schweren Zwangsstörung sei nicht wesentlich ursächlich auf das schädigende Ereignis zurückzuführen. Das in Bezug auf den richtigen Verfolgungszeitraum allein nachvollziehbare Gutachten des Sachverständigen Dr. G.
komme zu dem Ergebnis, dass die Zwangsstörung des Klägers im Wesentlichen auf drei gleichwertigen Ursachen beruhe. Nach der Rechtsprechung des 9. Senats des BSG bedeute dies, dass die streitigen Verfolgungsmaßnahmen innerhalb des Ursachenkomplexes mit ca einem Drittel eine untergeordnete Rolle einnehmen. Die Rechtsprechung des 2. Senats des BSG, nach der auch eine rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache rechtlich wesentlich sein könne, komme im Versorgungsrecht nicht zum Tragen (Urteil vom 22.11.2012).

6

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung der Kausalitätsnorm der (Theorie der) wesentlichen Bedingung und der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Das Berufungsgericht habe gegen Denkgesetze verstoßen, indem es aus drei nebeneinander bestehenden Einzelursachen geschlossen habe, dass keine dieser Ursachen wesentlich sein könne. Das LSG habe zudem Beweisanträge übergangen und das Fragerecht aus § 116 S 2 SGG verletzt.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Januar 2009 sowie die Bescheide des Beklagten vom 22. Juni 2000 sowie vom 1. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei dem Kläger nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz eine Angst- und Zwangsstörung als Schädigungsfolge anzuerkennen und dem Kläger ab dem 1. Oktober 1998 eine Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit/einem Grad der Schädigungsfolgen von 70 vH zu gewähren,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

8

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Die Klage ist zwar zulässig (dazu 1.) Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Schädigungsfolgen und Gewährung von Beschädigtenversorgung (dazu 2.). Insbesondere ist das LSG bei der Prüfung des Anspruchs von einem zutreffenden rechtlichen Prüfmaßstab der Kausalität ausgegangen (dazu 3.).

10

1. Statthafte Klage ist die zutreffend vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (§ 16 Abs 2 VwRehaG) erhobene kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 5 SGG; vgl BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 31). Gegenstand des Rechtsstreits ist die Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide vom 22.6.2000, 1.7.2005 und 28.9.2005, die Anerkennung von Schädigungsfolgen sowie die Gewährung einer Beschädigtenversorgung. Zu Recht ist das LSG deshalb auch nicht von einem auf Rücknahme des Bescheides vom 22.6.2000 gerichteten Überprüfungsbegehren iS des § 44 SGB X ausgegangen, auch wenn der Bescheid vom 1.7.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.9.2005 diese Rechtsgrundlage benennt. Wenn Unanfechtbarkeit noch nicht eingetreten ist, wird das Verfahren nach § 44 SGB X im Regelfall nicht benötigt(BSG SozR 4-4300 § 330 Nr 2 Juris RdNr 17; BVerwGE 115, 302; hierzu Merten in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juni 2014, K § 44 RdNr 51). So verhält es sich hier. Denn in der Sache war der Widerspruchsbescheid vom 28.9.2005 auf den noch ausstehenden Abschluss des Verfahrens über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.6.2000 gerichtet (vgl § 78 SGG).

11

2. Die Voraussetzungen der für den geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung einer Schädigungsfolge sowie auf Gewährung einer Versorgung allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 3 VwRehaG liegen nicht vollständig vor. Nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer Maßnahme nach § 1 VwRehaG eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des BVG oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, erhält (§ 3 Abs 1 S 2 VwRehaG). Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges (§ 3 Abs 5 S 1 RehaG).

12

a) Der Anspruch nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG ist eine von mehreren Folgemaßnahmen im Rahmen der SED-Unrechtsbereinigung. Das VwRehaG ist zum 1.7.1994 zusammen mit dem BerRehaG als Art 1 und 2 des Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 23.6.1994 (BGBl I 1311) mit dem Ziel eingeführt worden, neben der strafrechtlichen Rehabilitierung durch das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG), welches bereits Gegenstand des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 29.10.1992 (BGBl I 1814) war, eine Rehabilitierung durch Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen zu ermöglichen. Dementsprechend ist eine hoheitliche Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle zur Regelung eines Einzelfalls in dem in Art 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 8.5.1945 bis zum 2.10.1990 (Verwaltungsentscheidung), die zu einer gesundheitlichen Schädigung (§ 3), einem Eingriff in Vermögenswerte (§ 7) oder einer beruflichen Benachteiligung (§ 8) geführt hat, auf Antrag aufzuheben, soweit sie mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar ist und ihre Folgen noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken (§ 1 Abs 1 S 1 VwRehaG). Für eine hoheitliche Maßnahme, die nicht auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend. An die Stelle der Aufhebung der Maßnahme tritt die Feststellung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit (§ 1 Abs 5 S 1 und 2 VwRehaG). Die Aufhebung oder die Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit einer Maßnahme nach § 1 begründet Ansprüche nach Maßgabe dieses Gesetzes(§ 2 Abs 1 VwRehaG). Die Rehabilitierungsentscheidung ist danach von der Entscheidung über die - hier streitgegenständlichen - Folgeansprüche zu unterscheiden. Die Entscheidung über die Rehabilitierung obliegt der Rehabilitierungsbehörde (§ 12 VwRehaG), diejenige über den Ausgleich fortwirkender Folgen (vgl § 2 Abs 1 VwRehaG) je nach der Art des Primärschadens - wie hier bei Gesundheitsschädigung - der Versorgungsverwaltung (§ 12 Abs 4 VwRehaG), der nach dem Vermögensgesetz zuständigen Behörde bei Eingriffen in Vermögenswerte (§ 7 VwRehaG iVm dem Vermögensgesetz) und verschiedenen Sozialleistungsträgern bei beruflicher Benachteiligung (§ 8 VwRehaG iVm § 1 Abs 1 Nr 3 BerRehaG).

13

b) Der Anspruch nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG ist nicht wegen konkurrierender Sozialleistungen ausgeschlossen. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)kann davon ausgegangen werden, dass anderweitige Versorgungsleistungen, die den Anspruch nach § 3 Abs 1 S 2 VwRehaG ausschließen, nicht bezogen werden.

14

c) Der Kläger ist Betroffener iS von § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG. Er gehört zu dem nach § 1 VwRehaG berechtigten Personenkreis. Der Kläger war durch Mitarbeiter der Staatssicherheit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar waren. Diese Maßnahmen wurden nach § 1 Abs 1 und 5 VwRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt. Die entsprechenden Feststellungen der Rehabilitierungsbehörde im Bescheid vom 23.11.1999 sind für die nachgeschalteten Fachbehörden bindend (§ 12 Abs 1 S 3 VwRehaG; zur fehlenden Verbindlichkeit von Tatsachenfeststellungen der Behörden der ehemaligen DDR vgl BVerfG Beschluss vom 24.9.2014 - 2 BvR 2782/10). Dies betrifft zum einen die genaue Bezeichnung der hoheitlichen Maßnahme, die den Anknüpfungspunkt für mögliche Folgeansprüche bildet. Und es betrifft zum anderen die Qualifizierung dieser Maßnahme als rechtsstaatswidrig. Jedenfalls bei Eingriffen in das Rechtsgut Gesundheit hat die Rehabilitierungsbehörde sich jedoch im Übrigen auf eine bloße Schlüssigkeitsprüfung zu beschränken. Die gilt insoweit - anders als beim Rechtsgut Beruf - auch für die Bestimmung der Verfolgungszeit (BVerwGE 119, 102 Juris RdNr 10 ff). Nach dem beschriebenen zweistufigen Prüfsystem entfaltet der Rehabilitierungsbescheid deshalb lediglich eine auf die Verfügungssätze beschränkte Tatbestandswirkung (hierzu allgemein Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, vor § 39 RdNr 4 ff). Hiervon hat sich das LSG in der Sache leiten lassen und die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale im Übrigen einer eigenständigen Prüfung unterzogen. Nach den bindenden - mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen - Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) steht danach fest, dass sich die Dauer der Verfolgungszeit im Hinblick auf das Rechtsgut Gesundheit entgegen den berufsbezogenen Ausführungen im Rehabilitierungsbescheid auf die Zeit von März 1966 bis Juni 1968 beschränkte.

15

d) Der Kläger leidet auch an einer gesundheitlichen Störung. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch die Tatsacheninstanzen besteht kein Zweifel, dass der Kläger an einer chronifizierten schweren Zwangsstörung leidet, auch wenn das LSG insoweit von einer exakten Klassifizierung nach ICD 10 abgesehen hat (ggf F42; zur Notwendigkeit einer solchen Feststellung im Unfallversicherungsrecht vgl BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17). Das LSG hat auch keine klare Differenzierung nach Primär- und Folgeschaden getroffen, sondern insoweit einheitlich auf den Beginn der nervenärztlichen Behandlung des Klägers im Jahr 1976 abgestellt. Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht entscheidend an, da es jedenfalls am nötigen Zurechnungszusammenhang fehlt (dazu sogleich unter 3.).

16

3. Der Anspruch des Klägers scheitert daran, dass sich der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis der Verfolgung und der gesundheitlichen Erstschädigung (haftungsbegründende Kausalität) bzw den daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen (haftungsausfüllende Kausalität; § 3 Abs 5 S 1 VwRehaG) nicht herstellen lässt. Das LSG hat die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität über den Bedingungszusammenhang im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne hinaus zutreffend an der Theorie der wesentlichen Bedingung orientiert und frei von Rechtsfehlern verneint. Wie sonst im sozialen Entschädigungsrecht (vgl zB parallel § 1 Abs 1 StrRehaG, § 4 Abs 1 S 1 HHG, § 1 Abs 1 S 1 OEG) gilt trotz des Verweises auf das BVG nur wegen der Folgen der Schädigung (§ 3 Abs 1 S 1 VwRehaG) gleichwohl die Kausalnorm der wesentlichen Bedingung (BT-Drucks 12/4994 S 32 zu § 3; vgl Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, VwRehaG, §§ 1 bis 18 RdNr 9; allgemein BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9).

17

a) Bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs hat das LSG der versorgungsrechtlich relevanten Teilursache der Verfolgungsmaßnahmen mit etwa einem Drittel rechtsfehlerfrei eine untergeordnete und für den Ursachenzusammenhang unwesentliche Bedeutung beigemessen, in dem es die Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung in der spezifisch versorgungsrechtlichen Ausprägung zugrunde gelegt hat wie sie im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA - AN 1912, 930) in ständiger Rechtsprechung seit BSGE 1, 72 und BSGE 1, 150 durch den 9. Senat vertreten wird (zuletzt BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1.10.1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1.1.2009 durch die Anlage zu § 2 VersMedV vom 10.12.2008 inhaltgleich ersetzt worden ist (Teil C Nr 1 b der Anl zu § 2 VersMedV; vgl BR-Drucks 767/1/08 S 3, 4).

18

Danach gilt als Ursache im Rechtssinn nicht jede Bedingung, gleichgültig mit welcher Intensität sie zum Erfolg beigetragen hat und in welchem Zusammenhang sie dazu steht. Als Ursachen sind vielmehr nur diejenigen Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Das ist der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges als annähernd gleichwertig anzusehen sind. Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Haben also neben einer Verfolgungsmaßnahme mehrere weitere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen, ist die Verfolgungsmaßnahme versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge der Verfolgungsmaßnahme zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Verfolgungsmaßnahme in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen (vgl zB BSG SozR Nr 23 zu § 30 BVG Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 20.7.2005 - B 9a V 1/05 R RdNr 38). Im Einzelnen bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen (vgl in diesem Zusammenhang insbesondere BSGE 16, 216, 218 = SozR Nr 58 zu § 1 BVG). Im Einzelfall muss die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (BSGE 1, 72 = SozR BVG § 1 Nr 1; BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9 Juris RdNr 32).

19

b) Das LSG hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Anschluss an das Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. G. unangegriffen und verbindlich festgestellt, dass - ohne abgrenzbare Vorschäden oder Verschlimmerungsanteile - für die Entstehung wie Aufrechterhaltung der Zwangsstörung des Klägers im Wesentlichen drei Ursachen gleichermaßen in Betracht kommen: Belastungen in Kindheit und Jugend, die streitgegenständlichen Verfolgungsmaßnahmen zwischen 1966 und 1968 und die Vorkommnisse im R.-Heim. Durchgreifende Verfahrensrügen hat der Kläger hiergegen nicht erhoben. Die Rüge der unterlassenen Aufklärung (§ 103 SGG) geht fehl. Der beantragten weiteren Beweiserhebung durch Befragung des Sachverständigen Dr. G. zu den Kausalfaktoren aus der Zeit vor der Verfolgung musste das LSG nicht nachkommen, nachdem der Sachverständige die Frage nach dem Ursachenanteil von Kindheit und Jugend bereits eindeutig beantwortet hat. Insbesondere besagen die Ursachen nichts über den Zeitpunkt der Entstehung der streitbefangenen Erkrankung und steht deshalb die Aussage des Gutachters Dr. T. zur Fixierung von Neurosen an unbewusste Konfliktsituationen der Kindheit in keinem noch aufzulösenden Widerspruch zur Aussage des Gutachters Dr. G., dass die Zwangsstörung des Klägers mangels entsprechender Symptomatik vor der Verfolgungszeit nicht bestanden habe (Revisionsbegründung S 18). Objektiv sachdienliche Fragen, deren Beantwortung das LSG entgegen § 116 S 2 SGG unterbunden haben könnte, macht die Revision nicht geltend(vgl BSG Beschluss vom 27.11.2007 - B 5a/5 R 60/07 B - SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7 ff im Anschluss an BVerfG NJW 1998, 2273). Hiervon ausgehend hat das LSG frei von Rechtsfehlern im Wege wertender Betrachtung nach der Formel der "annähernden Gleichwertigkeit" eine untergeordnete Bedeutung des schädigenden Ereignisses für die geltend gemachten Schädigungsfolgen angenommen. Die schädigungsunabhängigen Faktoren einer belasteten Kindheit und Jugend sowie die Arbeitssituation im R.-Heim haben danach auch in rechtlicher Hinsicht den überwiegenden Anteil am Eintritt und der Aufrechterhaltung der jetzt festgestellten Angststörung oder anders formuliert letztlich rechtlich überragende Bedeutung. Ein von der Revision behaupteter logisch ungültiger Schluss liegt nicht vor (vgl im Übrigen AHP Nr 70, wonach Erkrankungen mit neurotischen Anteilen - wie hier sachverständigerseits angenommen und vom LSG unangegriffen festgestellt - nur dann mit schädigenden Ereignissen in ursächlichem Zusammenhang stehen, wenn diese in früher Kindheit über längere Zeit und in erheblichem Umfang wirksam waren; zur fortdauernden Gültigkeit der AHP als antizipierte Sachverständigengutachten, auch wenn die Kausalitätsbeurteilungen zu einzelnen Krankheitsbildern in der VersMedV nicht mehr enthalten sind, BR-Drucks 767/1/08 S 4; Rundschreiben des BMAS vom 15.12.2008 - IVc 3-48021 - 6).

20

c) Die Revision verweist allerdings mit Recht darauf, dass der im Unfallversicherungsrecht zuständige 2. Senat des BSG für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache "wesentlich" nicht gleichsetzt mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann danach für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15). Diese Rechtsprechung, die ihren Ausgangspunkt ebenfalls in der Rechtsprechung des RVA (AN 1912, 930) und den frühen Entscheidungen des BSG in BSGE 1, 72 und BSGE 1, 150 nimmt, schließt die Wesentlichkeit einer von drei ungefähr gleichwertigen Teilursachen nicht bereits deshalb aus, weil die allein maßgebliche Teilursache nur zu einem Drittel Berücksichtigung finden kann (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO im Anschluss an BSGE 13, 175 = SozR Nr 32 zu § 542 RVO). In die Bewertung einfließen muss vielmehr auch, ob den verbleibenden sozialrechtlich nicht maßgeblichen Teilursachen überragende Bedeutung zukommt. Erst wenn angenommen werden kann, dass diesen eine überragende Bedeutung beizumessen ist, folgt daraus, dass die nicht annähernd gleichwertige sozialrechtlich relevante Teilursache unwesentlich ist. Es werden insoweit wohl etwas niedrigere Anforderungen an die Stärke der Mitwirkung angelegt (vgl Krasney in Becker/ Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, Bd 1, Stand Oktober 2013, § 8 RdNr 314; vgl auch Knickrehm, SGb 2010, 381, 384). Der erkennende Senat lässt offen, ob diese etwas andere Ausrichtung im Ansatz bei der nötigen Abwägung im Einzelfall die von der Revision gewünschten Ergebnisse ergäbe. Selbst wenn die behaupteten Unterschiede bestünden, sähe sich der Senat weder veranlasst, mit Blick auf eine etwaig besondere Ausrichtung der Theorie der wesentlichen Bedingung im Unfallversicherungsrecht seine langjährige Rechtsprechung zur "annähernden Gleichwertigkeit" im sozialen Entschädigungsrecht aufzugeben (dazu d) noch bestünde Anlass zu einer Anfrage bei dem mit Unfallversicherungsrecht befassten 2. Senat des BSG (dazu e).

21

d) Der 9. Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Theorie der wesentlichen Bedingung unter Beibehaltung des Merkmals der "annähernden Gleichwertigkeit" fest. Die Rechtsprechung des 2. Senats mag Besonderheiten der gesetzlichen Unfallversicherung Rechnung tragen, die im sozialen Entschädigungsrecht grundsätzlich nicht von Bedeutung sind. In Betracht kommt insoweit insbesondere der Gesichtspunkt, dass im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung seit jeher eine Ersetzung der zivilrechtlichen Haftung durch die Ansprüche der Unfallversicherung stattfindet (vgl §§ 104 f SGB VII; ferner die Vorläufervorschrift in § 636 Abs 1 RVO; vgl auch schon § 95 des UVG vom 6.7.1884, RGBl 69; §§ 898 f RVO vom 19.7.1911, RGBl 509; grundlegend Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, 1969, S 51 ff). Diese Regelung gehört zum Kernbestand der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl BSG Urteil vom 26.6.2007 - B 2 U 17/06 R - BSGE 98, 285 = SozR 4-2700 § 105 Nr 2, RdNr 16)und legt damit auch wesentliche Umfangmerkmale des Schadensausgleichs fest (BSGE 73, 1 = SozR 3-2200 § 571 Nr 2 Juris RdNr 17). Strukturen dieser Art kennzeichnen das soziale Entschädigungsrecht nicht. Im sozialen Entschädigungsrecht, wo in der Regel die Folgen einer einmaligen schädigenden Einwirkung zu beurteilen sind, hat sich die Bestimmung der Wesentlichkeit nach der "annähernden Gleichwertigkeit" bewährt. Dies gilt unabhängig davon, dass in Einzelfällen auch im sozialen Entschädigungsrecht auf Wertungen etwa der gesetzlichen Unfallversicherung zurückgegriffen wird (vgl im Bereich des SVG bei der Bestimmung unfallunabhängiger Krankheiten BSG Beschluss vom 11.10.1994 - 9 BV 55/94 - HVBG-INFO 1995, 970; hierzu Keller, SGb 2007, 248, 249).

22

e) Eine Abweichung iS des § 41 Abs 2 SGG als Voraussetzung einer Anfrage beim 2. Senat bzw Vorlage an den Großen Senat kommt nur dann in Betracht, wenn es sich um die unterschiedliche Beantwortung derselben Rechtsfrage handelt, auf der die frühere Entscheidung eines anderen Senats beruht, wenn also eine Identität der Rechtsfrage in der zu entscheidenden Sache und der früheren Entscheidung des anderen Senats besteht (vgl BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2 Juris RdNr 29, 30 mwN). Insoweit entfiele die Vorlage auch nicht für den Fall der vorangehenden Missachtung der Vorlagepflicht durch einen anderen Senat (Roos in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 41 RdNr 14 mwN). Die genannte Entscheidung des 2. Senats (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15)ist auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 8 Abs 1 SGB VII) ergangen, während hier die Auslegung des § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG Gegenstand der Entscheidung ist. Soweit der erkennende Senat in der Entscheidung vom 11.10.1994 (BSGE 75, 180, 182 mwN = SozR 3-3200 § 81 Nr 12) ausgeführt hat, die Grundentscheidungen des sozialen Unfallversicherungsrechts seien auch im Entschädigungsrecht zu beachten, würde damit die Rechtsfrage gleichwohl nicht zu einer solchen auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern beträfe weiterhin die Auslegung von Normen des sozialen Entschädigungsrechts, für die lediglich bestimmte Grundentscheidungen des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung herangezogen werden (vgl BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2 Juris RdNr 29, 30 mwN). Der Senat nimmt die Abgrenzung nach Wertungen vor, die sich von den Wertungen des SGB VII unterscheiden. Diese Unterscheidung ist durch das Gesetz und seine unterschiedliche Aufgabenstellung angelegt. Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn sich der erkennende wie auch Senate anderer Rechtsgebiete für die Ursachenbewertung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung im Ansatz maßgeblich auf die Rechtsprechung des 2. Senats beziehen (vgl BSG SozR 4-3200 § 81 Nr 5 RdNr 21 mwN; BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 15 RdNr 25; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 17 RdNr 21, 22).

23

f) Das LSG brauchte deshalb den weiteren Beweisanträgen des Klägers zur bisher noch offengelassenen Brückensymptomatik (Revisionsbegründung S 19, 20; vgl zu Fällen einer möglichen Entbehrlichkeit der Brückensymptomatik BSG Beschluss vom 16.2.2012 - B 9 V 17/11 B - Juris RdNr 10) nicht nachgehen, da es auf die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht mehr ankam (BSG Beschluss vom 31.1.2008 - B 13 R 53/07 B). Auch im Falle der Existenz der behaupteten Brückensymptome würde sich an der Zurechnung nach Maßgabe der aufgezeigten Theorie der wesentlichen Bedingung nichts ändern. Einen hinreichend klaren Beweisantrag zu einem Primärschaden vor 1976 hat der Kläger im Übrigen nicht gestellt.

24

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. November 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Halswirbelsäulen- und Schultererkrankung als Wie-Berufskrankheit (BK) streitig.

2

Der 1930 geborene Kläger leidet an Halswirbelsäulen- und Schulterbeschwerden. Er war im Anschluss an sein abgeschlossenes Musikstudium von August 1949 bis März 1995 im Beitrittsgebiet als Geiger in verschiedenen Orchestern tätig.

3

Auf ärztliche Anzeige vom 19.12.2002 wegen des Verdachts einer BK veranlasste die Beklagte eine ärztliche Begutachtung. Prof. Dr. S., TÜV Mensch und Arbeit GmbH, B., führte in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 18.11.2003 aus, an einer Belastung und Beanspruchung durch den Beruf sei nicht zu zweifeln. Allerdings seien erhebliche Bewegungseinschränkungen nicht festzustellen.

4

Die Beklagte lehnte es ab, eine Wie-BK anzuerkennen, weil nach derzeitigem medizinischen Erkenntnisstand nicht gesichert sei, dass die ausgeübte berufliche Tätigkeit generell geeignet wäre, die geltend gemachte Halswirbelsäulenerkrankung zu verursachen (Bescheid vom 1.6.2006; Widerspruchsbescheid vom 22.9.2006). Hiergegen hat der Kläger Klage zum SG Neuruppin erhoben, das eine weitere Begutachtung veranlasst hat. Prof. Dr. A., Institut für Musikphysiologie und Musiker-Medizin, H., hat in seinem Gutachten vom 3.5.2010 dargelegt, für eine berufsbedingte Wirbelsäulen- und Schultergelenkserkrankung spreche die Lebensarbeitszeit an der Geige in Zwangshaltung aufgrund der "Schulter-Kinn-Zange" und die in epidemiologischen Studien festgestellte Häufigkeit der Beschwerden bei Geigern. Eine Kausalität lasse sich nicht belegen, da bislang neue medizinische Erkenntnisse nicht existierten.

5

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.9.2010). Das LSG Berlin-Brandenburg hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung seines Urteils vom 3.11.2011 hat es ausgeführt, auf das Recht der ehemaligen DDR komme es nicht an, da die Erkrankung des Klägers erst nach dem 31.12.1993 der Beklagten bekannt geworden sei. Die Voraussetzungen des § 551 Abs 2 RVO und des § 9 Abs 2 SGB VII für die Feststellung einer Wie-BK seien nicht erfüllt. Zwar seien Streicher wegen der nur in dieser Berufsgruppe auftretenden "Schulter-Kinn-Zange" besonderen Einwirkungen in höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt. Es fehle aber an der generellen Geeignetheit dieser Einwirkung für die Verursachung von Halswirbelsäulenbeschwerden. Die erforderliche sog "Gruppentypik" setze in der Regel anhand statistisch relevanter Zahlen den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine lange zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder voraus, um mit Sicherheit eine andere Krankheitsursache ausschließen zu können. Entsprechende epidemiologische Erkenntnisse seien aufgrund der geringen Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Streicher aber nicht vorhanden. Auch sonstige, die generelle Geeignetheit belegende Erkenntnisse seien nicht ersichtlich. Die von Prof. Dr. A. hervorgehobene Plausibilität genüge ebenso wenig wie der von mit Musikererkrankungen vertrauten Ärzten publizierte Ursachenzusammenhang. Gerade vor dem Hintergrund, dass in der Bundesrepublik Deutschland nur etwa 4100 Streicher betroffen seien und es sich bei der Halswirbelsäulenerkrankung um eine sog Volkskrankheit handele, könne der Nachweis des gruppenspezifischen Risikos nicht schon mit der Einschätzung einzelner mit Musikererkrankungen befasster Fachärzte geführt werden. Die besonderen Beweisprobleme im Falle kleinerer Berufsgruppen seien der Entscheidung des Gesetzgebers für das verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Listensystem geschuldet. Dieser sei dem im Zusammenhang mit dem Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz (UVEG) unterbreiteten Vorschlag, die Feststellung einer Wie-BK unter erleichterten Voraussetzungen zu ermöglichen, gerade nicht gefolgt.

6

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 9 Abs 2 SGB VII sowie die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Das Fehlen neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse stehe der Anerkennung der Wie-BK nicht entgegen, weil sich der Verordnungsgeber mit den besonderen Einwirkungen von hohen Streichern noch gar nicht befasst habe und eine Auseinandersetzung damit auch nicht geplant sei. Abgesehen davon könne nach der Rechtsprechung des BSG zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse ausnahmsweise auf eine statistisch nachgewiesene Gruppentypik verzichtet werden. Bei der Beweiswürdigung habe das LSG wegen der hohen Latenzzeit zwischen der Einwirkung durch das Violinspiel und dem Entstehen der Erkrankung zu hohe Anforderungen an die Beweisführung gestellt und zahlreiche, das Begehren stützende Umstände nicht berücksichtigt. Prof. Dr. A. gehe von einer berufsbedingten Erkrankung aus. Auch nach den Veröffentlichungen der Beklagten zählten die Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäulenerkrankungen zu den typischen Berufserkrankungen hoher Streicher. Dass sich gleichwohl der Ärztliche Sachverständigenbeirat beim BMAS mit der streitgegenständlichen Thematik weder bislang beschäftigt habe noch in Zukunft auseinandersetzen werde, dürfe nicht zu Lasten der Streicher gehen. Ansonsten wäre ein bestimmter Berufsstand trotz besonderer Einwirkungen von der Anerkennung einer BK auf Dauer ausgeschlossen. Schließlich sei bei hohen Streichern in der ehemaligen DDR, in Frankreich und in Tschechien eine BK anerkannt worden.

7

Der Kläger beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. November 2011 und des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. September 2010 sowie die Ablehnung einer Wie-Berufskrankheit im Bescheid der Beklagten vom 1. Juni 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Halswirbelsäulen- und Schultergelenkserkrankung als Wie-Berufskrankheit anzuerkennen.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Entgegen der Auffassung des LSG lasse sich die Erkrankung des Klägers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf seine Tätigkeit als Geiger zurückführen. Im Übrigen halte sie die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Es fehle an neuen medizinischen Erkenntnissen, dass die "Schulter-Kinn-Zange" generell geeignet wäre, eine Halswirbelsäulenerkrankung hervorzurufen. Auch den vom Kläger vorgelegten Unterlagen sei ein entsprechender Zusammenhang nicht zu entnehmen. Gerade bei in der gesamten Bevölkerung auftretenden Erkrankungen dürften die Anforderungen an den Nachweis der gruppentypischen Gefährdung nicht verringert werden. Etwaige Anerkennungen in der ehemaligen DDR, in Frankreich und Tschechien beruhten auf unterschiedlichen, vom Recht der gesetzlichen Unfallversicherung abweichenden Regelungen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

11

Der Kläger hat in zulässiger Weise Revision eingelegt. Bei seinem Prozessbevollmächtigten handelt es sich um eine selbständige Vereinigung von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder, die nach § 73 Abs 4 Satz 2 iVm Abs 2 Satz 2 Nr 5 SGG zur Vertretung vor dem BSG zugelassen ist.

12

Die Revision ist allerdings unbegründet. Das LSG hat die Berufung gegen das die zulässig kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG; zur Klageart vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 BKV, RdNr 11 mwN; BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 12 mwN) abweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die Ablehnung der Anerkennung einer Wie-BK im Bescheid der Beklagten vom 1.6.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.9.2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

13

Es kann offenbleiben, seit wann die Halswirbelsäulen- und Schultergelenkserkrankung des Klägers besteht und ob sich der geltend gemachte Anspruch noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder den am 1.1.1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des SGB VII richtet (Art 36 UVEG, § 212 SGB VII). Denn die Regelungen über die Anerkennung einer Wie-BK sind im SGB VII gegenüber der RVO im Wesentlichen inhaltlich unverändert geblieben.

14

Nach § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO)haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO)erfüllt sind (sog Öffnungsklausel für Wie-BKen). Die Feststellung einer Wie-BK nach dieser Vorschrift ist ua vom Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig (zuletzt BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 33/11 R - mwN, auch zu den weiteren Voraussetzungen einer Wie-BK - SozR 4-2700 § 9 Nr 21 RdNr 17). Diese allgemeinen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn bestimmte Personengruppen infolge einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII(§§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO) in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Krankheit hervorrufen. Die insoweit in früheren Entscheidungen des Senats verwendeten Begriffe der Gruppentypik, generellen Geeignetheit und gruppentypischen oder -spezifischen Risikoerhöhung dienten allein der Erläuterung oder Umschreibung der aufgezeigten Voraussetzungen, ohne dass damit andere Anforderungen an die Anerkennung einer Wie-BK gestellt werden sollten (BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 13/09 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 18 RdNr 15 mwN).

15

Der Kläger war aufgrund seiner versicherten Tätigkeit als Beschäftigter nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII(§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) und seiner Zugehörigkeit zur Berufsgruppe der Streicher besonderen Einwirkungen durch die "Schulter-Kinn-Zange" in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt. Als Einwirkung kommt jedes auf den Menschen einwirkende Geschehen in Betracht (BSG aaO RdNr 19). Der Kläger leidet auch an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Halswirbelsäule sowie einer Schultergelenkserkrankung, die jeweils als BK iS des § 9 Abs 1 SGB VII(§ 551 Abs 1 RVO) zugrunde gelegt werden könnte. Allerdings fehlt es am generellen Ursachenzusammenhang zwischen diesen Erkrankungen und der besonderen Einwirkung.

16

Ob eine Krankheit innerhalb einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, erfordert in der Regel den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Erst dann lässt sich anhand von gesicherten "Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" iS des § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 iVm § 551 Abs 1 Satz 2 RVO) nachvollziehen, dass die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt. Solche Erkenntnisse setzen regelmäßig voraus, dass die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf dem jeweils in Betracht kommenden Fachgebiet über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es ist nicht erforderlich, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner widerspiegeln. Andererseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger grundsätzlich nicht aus (BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 20/01 R - Juris RdNr 22; bereits BSG vom 23.3.1999 - B 2 U 12/98 R - BSGE 84, 30, 35 mwN = SozR 3-2200 § 551 Nr 12).

17

Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO) sind BKen grundsätzlich nur solche Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII(§§ 539, 540, 543 bis 545 RVO)begründenden Tätigkeit erleiden. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber das "Listensystem" als Grundprinzip des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung festgelegt. Mit der Einführung der Wie-BK in § 551 Abs 2 RVO durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30.4.1963 (BGBl I 241) wurde eine Ausnahme vom Listenprinzip nur für den Fall zugelassen, dass der Verordnungsgeber wegen der regelmäßig notwendigen mehrjährigen Intervalle zwischen den Anpassungen der BKV an die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht rechtzeitig tätig wird (BSG vom 25.8.1994 - 2 RU 42/93 - BSGE 75, 51, 54 = SozR 3-2200 § 551 Nr 6 S 14). Sinn des § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO) ist es, ausnahmsweise vom Listensystem abweichen zu können, um solche durch die Arbeit verursachten Krankheiten wie eine BK zu entschädigen, die nur deshalb nicht in die Liste der BKen aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Liste noch nicht vorhanden waren oder vom Verordnungsgeber nicht hinreichend berücksichtigt wurden (vgl BSG vom 4.8.1981 - 5a/5 RKnU 1/80 - SozR 2200 § 551 Nr 18 S 27). Die Anerkennung einer Wie-BK knüpft damit an dieselben materiellen Voraussetzungen an, die der Verordnungsgeber auch nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 3 RVO) für die Aufnahme einer Erkrankung in die Liste zu beachten hat.

18

Die damit zur Anerkennung einer Wie-BK notwendigen gesicherten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft liegen nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen, die er zur Klärung der generellen Tatsache (vgl hierzu BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 15)des Zusammenhangs zwischen "Schulter-Kinn-Zange" und bandscheibenbedingter Halswirbelsäulenerkrankung oder einer Schultergelenkserkrankung heranziehen und auswerten durfte, nicht vor. Hinsichtlich eines solchen Zusammenhangs fehlt es an epidemiologischen Studien und statistisch relevanten Zahlen, die wegen der geringen Anzahl von Berufsgeigern auch nicht zu erwarten bzw unmöglich sind. Auch wenn eine besondere Gefährdung der Streicher durch die mit der "Schulter-Kinn-Zange" einhergehende Fehlhaltung zu beobachten ist, lässt sich ein Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und morphologischer Veränderung der Wirbelsäule oder Schulter mangels statistisch gesicherter Erkenntnisse nicht herstellen. Prof. Dr. A. geht in seinem Gutachten vom 3.5.2010 zwar von einer berufsbedingten Wirbelsäulen- und Schultergelenkserkrankung aus, weil darauf sowohl die Lebensarbeitszeit an der Geige als auch die Häufigkeit des Auftretens der Beschwerden bei Geigern schließen ließen, weist aber darauf hin, dass es an die Kausalität belegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen fehle. Auch nach dem im vom Senat ebenfalls durch Urteil vom 18.6.2013 entschiedenen Parallelverfahren B 2 U 6/12 R vorliegenden Gutachten von Prof. Dr. D. vom 8.1.2003 lässt sich die sog Gruppentypik in Bezug auf bandscheibenbedingte Halswirbelsäulenerkrankungen anhand neuer gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht feststellen. Schließlich ist das im Jahr 2001 durchgeführte 3. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin zu dem Ergebnis gelangt, dass die publizierten Daten zur Epidemiologie funktioneller und struktureller Erkrankungen der Wirbelsäule bei Musikern in sowohl quantitativer als auch qualitativer Hinsicht sehr dürftig seien (Seidel/Lange, Institut für Musikpädagogik und Musiktheorie, Die Wirbelsäule des Musikers, 2001). Eine Vielzahl fachkundiger Mediziner, die eine Verursachung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Halswirbelsäulen oder Schultergelenkserkrankungen durch die "Schulter-Kinn-Zange" für hinreichend wahrscheinlich halten, existiert damit nicht. Für die Annahme gesicherter Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft iS des § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 iVm § 551 Abs 1 Satz 2 RVO) genügt es nicht, dass einzelne Mediziner die Verursachung von Halswirbelsäulen- und Schulterbeschwerden durch eine Fehlbelastung infolge der "Schulter-Kinn-Zange" für plausibel oder wahrscheinlich halten. Es reicht nicht aus, dass überhaupt medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem jeweils relevanten Problemfeld existieren, vielmehr muss sich eine sog herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachgebiet gebildet haben (BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 16/01 R - Juris RdNr 19).

19

Allerdings hat der Senat zu sog Seltenheitsfällen entschieden, dass die den generellen Ursachenzusammenhang zwischen besonderer Einwirkung und Erkrankung belegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ausschließlich anhand von Methoden der Epidemiologie und statistischer Belege nachgewiesen werden müssen. Fehlt es an einer im Allgemeinen notwendigen langfristigen zeitlichen Überwachung von Krankheitsbildern, da aufgrund der Seltenheit einer Erkrankung medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse durch statistisch abgesicherte Zahlen nicht erbracht werden können, kommt nach dieser Rechtsprechung ausnahmsweise auch ein Rückgriff auf Einzelfallstudien, auf Erkenntnisse aus anderen Staaten und auf frühere Anerkennungen entsprechender Erkrankungen, auch in der ehemaligen DDR, in Betracht (BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 20/01 R - Juris RdNr 22 mwN; BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 252 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 S 21). Es kann offenbleiben, ob eine solche Vorgehensweise unter Zugrundelegung eines geringeren wissenschaftlichen Standards überhaupt mit den gesetzlichen Voraussetzungen des § 9 Abs 2 SGB VII(iVm § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) für die Anerkennung einer Wie-BK vereinbar ist. Ihre Zulässigkeit unterstellt, kann ferner dahingestellt bleiben, ob sie auch dann in Betracht kommt, wenn - wie hier - gar kein Seltenheitsfall gegeben, sondern stattdessen eine Berufsgruppe betroffen ist, bei der wegen ihrer geringen Größe epidemiologische Studien nicht zu erwarten sind. Denn selbst bei Zugrundlegung eines geringeren wissenschaftlichen Standards reichen die über die bereits beschriebenen Unterlagen hinausgehenden aktenkundigen Erkenntnisse nicht aus, einen Zusammenhang zwischen der "Schulter-Kinn-Zange" von Berufsgeigern und bandscheibenbedingten Halswirbelsäulenerkrankungen oder Schultergelenkserkrankungen als hinreichend wissenschaftlich belegt zu betrachten.

20

Dr. D. nimmt in seinem Aufsatz "Abnutzungsschäden durch Geigen- und Bratschenspiel" (Das Orchester 6/96, 13) auf eine eigene Studie über 17 professionelle Streicher Bezug und weist darauf hin, dass zur Klärung der Frage der Anerkennung von Wirbelsäulenschäden als BK noch weitere wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt werden sollten. Die sog Weimarer Studie zu klinisch relevanten Belastungsfaktoren und Belastungskomplexen bei Musikstudenten und Berufsmusikern (Seidel/Höpfner/Lange, Musikphysiologie und Musikermedizin 1999, 6. Jg, Nr 4, 115) beruht lediglich auf der Auswertung eines von 100 Musikstudenten und 88 Orchestermusikern jeweils ausgefüllten standardisierten und validierten Fragebogens. Im Forschungsantrag "CMD/CCD bei Streichern" der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Musikermedizin des Klinikums der Friedrich-Schiller-Universität Jena, des Klinikums Weimar und der Hochschule für Musik Weimar vom 20.5.2001 wird ausgeführt, dass es an Datenmaterial zur Bewertung funktioneller Störungen des Bewegungssystems bei Streichern als BK fehle. Aus diesen Publikationen lässt sich folglich auch ein ggf geringeren Anforderungen an wissenschaftliche Erkenntnisse genügender genereller Zusammenhang zwischen der "Schulter-Kinn-Zange" und einer bandscheibenbedingten Halswirbelsäulenerkrankung oder Schultergelenkserkrankung nicht ableiten. Soweit die Revision zudem auf Anerkennungen einer BK in Frankreich, Tschechien und der ehemaligen DDR hinweist, ist nicht ersichtlich, dass diese auf hinreichenden medizinischen Erkenntnissen beruhten und nicht nur das Ergebnis von Einzelfallprüfungen sind, ohne wissenschaftlich fundierte Aussagen über die generelle Geeignetheit der hier zu beurteilenden Einwirkung zu berücksichtigen. Zudem existiert in Frankreich entgegen der Revision keine spezifisch auf Musiker, sondern eine generell auf Zwangshaltungen bezogene BK. Ob weiterhin auch die jeweilige Ausgestaltung des Berufskrankheitenrechts in Frankreich, Tschechien und der ehemaligen DDR einer Berücksichtigung der behaupteten Anerkennungen entgegensteht, kann daher offenbleiben (vgl zur Ausgestaltung des BK-Rechts in anderen Ländern Kranig, DGUV-Forum 2012, 30; ders, Berufskrankheiten im internationalen Vergleich, 2002, 337).

21

Auch Billigkeitserwägungen führen zu keinem anderen Ergebnis. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats enthält § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO) keine allgemeine "Härteklausel", nach der jede durch eine versicherte Tätigkeit verursachte Krankheit als Wie-BK anzuerkennen wäre (vgl zuletzt BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 33/11 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 21 RdNr 17).

22

Dass die Anerkennung einer Wie-BK an das Vorliegen wissenschaftlich gesicherter Kausalbeziehungen anknüpft, ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

23

Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor. Danach sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Dieses Grundrecht ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen (stRspr; vgl BVerfG vom 28.4.1999 - 1 BvR 1926/96, 1 BvR 485/97 - BVerfGE 100, 104 = SozR 3-2600 § 307b Nr 6). § 9 Abs 2 SGB VII(§ 551 Abs 2 RVO) ist zwar dann mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht mehr vereinbar, wenn einer Personengruppe der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung allein deshalb versagt wird, weil der Verordnungsgeber vorliegende wissenschaftliche Erkenntnisse noch nicht geprüft und gewürdigt hat (BVerfG vom 22.10.1981 - 1 BvR 1369/79 - BVerfGE 58, 369, 375 f = SozR 2200 § 551 Nr 19 S 32 f). Denn die Vorschrift schließt solche Lücken, die sich daraus ergeben, dass neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von beruflicher Exposition und Erkrankung vorliegen, bevor die BKV eine entsprechende Anpassung erfährt (BVerfG vom 9.10.2000 - 1 BvR 791/95 - SozR 3-2200 § 551 Nr 15 S 76). An medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen zu evtl gesundheitsschädigenden Folgen einer "Schulter-Kinn-Zange" fehlt es vorliegend aber gerade. Dass sich der Verordnungsgeber mit den besonderen Einwirkungen von hohen Streichern noch gar nicht befasst hat und eine Auseinandersetzung damit ggf auch nicht geplant ist, befreit daher aus Gründen der Gleichbehandlung nicht vom Erfordernis der die generelle Geeignetheit einer besonderen Einwirkung für die Verursachung einer bestimmten Erkrankung belegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse.

24

Eine verfassungswidrige Benachteiligung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Berufsgruppe der Streicher sehr klein ist und sich möglicherweise eine wissenschaftlich gesicherte Kausalbeziehung zwischen beruflicher Einwirkung und Erkrankung anhand epidemiologischer Studien schon rein tatsächlich nicht feststellen lässt, weil die für epidemiologische Studien erforderlichen Fallzahlen nicht erreicht werden können. § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO)beschränkt BKen begrifflich auf Krankheiten, die in der Berufskrankheitenliste als Anlage zur BKV aufgeführt sind. Die Ermächtigung der Bundesregierung zur Aufnahme von BKen in diese Anlage macht § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII(§ 551 Abs 1 Satz 3 RVO)davon abhängig, dass die Krankheiten nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit ausgesetzt sind. In diesen Regelungen kommt das die gesetzliche Unfallversicherung prägende Listenprinzip zum Ausdruck, das nach § 9 Abs 2 SGB VII nur unter der Voraussetzung durchbrochen wird, dass neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorliegen. Diese vom Gesetzgeber gewollte Systementscheidung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG vom 8.6.2012 - 1 BvR 2853/10 - NZS 2012, 901; BVerfG vom 14.7.1993 - 1 BvR 1127/90 - SozR 3-2200 § 551 Nr 5 S 10). Mit ihr im Einzelfall verbundene Härten sind hinzunehmen. Sie halten sich im Rahmen einer zulässigen Typisierung, weil nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen ist und dadurch bedingte Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl BVerfG vom 28.4.1999 - 1 BvL 22/95, 1 BvL 34/95 - BVerfGE 100, 59, 90 = SozR 3-8570 § 6 Nr 3 S 28 mwN).

25

In seiner Stellungnahme zum Entwurf des UVEG hat der Bundesrat 1995 zwar vorgeschlagen, eine neue Regelung in § 9 Abs 2a SGB VII einzufügen, die die Anerkennung einer Wie-BK zur Vermeidung von Härtefällen auch für den Fall vorsah, dass 1. vergleichbare Arbeitsplätze mit entsprechenden Arbeitsbedingungen nicht oder nur in einer geringen Zahl vorhanden sind und deshalb Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft darüber nicht vorliegen können, dass bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind und 2. nach medizinischen Erkenntnissen mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass die Krankheit durch die besonderen Bedingungen des Arbeitsplatzes verursacht ist (BT-Drucks 13/2333 S 5 zu Nr 9). Dem ist der Gesetzgeber des UVEG aber mit der Begründung nicht gefolgt, bei einer solchen Regelung bestehe ua die Gefahr, dass die vorgeschlagene Bestimmung, bei der epidemiologische Erkenntnisse wegen der Singularität der Arbeitsbedingungen nicht gewonnen werden könnten, eine Antragsflut auslöse, die von den Unfallversicherungsträgern nicht bewältigt werden könnte (BT-Drucks 13/2333 S 19 zu Nr 9). Diese Erwägungen des Gesetzgebers sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil sie sich im Rahmen seines legislatorischen Gestaltungsspielraums bewegen. Der Gesetzgeber darf sich bei der Einführung typisierender Regelungen an den ansonsten mit Einzelfallregelungen verbundenen Erfordernissen der Verwaltung orientieren. Die Entlastung der Unfallversicherungsträger und folglich auch der Sozialgerichtsbarkeit von umfangreichen und zeitaufwendigen Einzelfallprüfungen ist ein sachlicher, zur Typisierung berechtigender Grund (vgl BVerfG vom 8.2.1983 - 1 BvL 28/79 - BVerfGE 63, 119, 128 = SozR 2200 § 1255 Nr 17 S 37 und vom 16.12.1958 - 1 BvL 3/57, 1 BvL 4/57 und 1 BvL 8/58 - BVerfGE 9, 20, 31 ff = SozR Nr 42 zu Art 3 GG). Damit sind zugleich einer richterlichen Rechtsfortbildung verfassungsrechtliche Grenzen aufgezeigt, weil diese bewusste Entscheidung des Gesetzgebers nicht durch richterliche Wertungen ersetzt werden darf.

26

Die das hier gefundene Ergebnis tragenden und den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen (§ 163 SGG) sind nicht mit zulässig erhobenen Verfahrensrügen angegriffen worden.

27

Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.

28

Die Rüge des Klägers, die Entscheidung des LSG beruhe auf einer fehlerhaften Beweiswürdigung, ist nicht ordnungsgemäß erhoben. Er hätte darlegen müssen, dass das Berufungsgericht die Grenzen seiner ihm durch § 128 Abs 1 Satz 1 SGG eingeräumten Befugnis verletzt hat, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Es hätte insoweit aufgezeigt werden müssen, dass es gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen oder das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend berücksichtigt hat (BSG vom 31.5.2005 - B 2 U 12/04 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 2 RdNr 9). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht.

29

Der Kläger hat nicht behauptet, das LSG habe einen bestehenden Erfahrungssatz nicht berücksichtigt oder einen tatsächlich nicht existierenden Erfahrungssatz herangezogen (vgl hierzu BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 581 Nr 8 S 37 mwN). Auch ein sog Denkgesetz, gegen das das LSG verstoßen haben könnte, ist nicht aufgezeigt worden. Dass es zu einer bestimmten, aus seiner Sicht erheblichen Frage aus den gesamten rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten nur eine Folgerung hätte ziehen können, jede andere nicht folgerichtig "denkbar" ist und das Gericht die allein in Betracht kommende nicht gesehen hat (vgl BSG vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 13 mwN), legt die Revision nicht dar.

30

Aus dem Vortrag des Klägers geht auch nicht hervor, dass das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht hinreichend berücksichtigt worden wäre. Soweit er geltend macht, in der ehemaligen DDR, in Frankreich sowie in Tschechien ausgesprochene Anerkennungen von BKen seien bei der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt worden, wird übersehen, dass sich das LSG auf Seite 14 seiner Entscheidung damit auseinandergesetzt hat, dass die Problematik der Geiger in der ehemaligen DDR "einer anderen Lösung zugeführt worden sei". Im Übrigen hat die Revision nicht aufgezeigt, ob und wenn ja inwieweit den behaupteten Anerkennungen generelle medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde liegen. Der Kläger setzt im Kern nur seine Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG. Allein damit ist aber eine Verletzung der Grenzen des Rechts auf freie Beweiswürdigung nicht formgerecht gerügt (BSG vom 23.8.2007 - B 4 RS 3/06 R - SozR 4-8570 § 1 Nr 16 RdNr 31).

31

Schließlich scheidet ein Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Wie-BK nach übergangsrechtlichen Regelungen aus. Für die Übernahme einer vor dem 1.1.1992 im Beitrittsgebiet eingetretenen Erkrankung als BK nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist nach §§ 212 und 215 Abs 1 Satz 1 SGB VII die Vorschrift des § 1150 Abs 2 RVO in der am 31.12.1996 geltenden Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes vom 25.7.1991 (BGBl I 1606, 1688) weiter anzuwenden. Gemäß § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO gelten solche Krankheiten, die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht BKen der Sozialversicherung waren, als BKen iS des Dritten Buches der RVO. Das gilt nach § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO allerdings nicht für Krankheiten, die einem ab 1.1.1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung - wie hier - erst nach dem 31.12.1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären. Dies bedeutet, dass Krankheiten, von denen ein ab 1.1.1991 für das Beitrittsgebiet zuständiger Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31.12.1993 Kenntnis erlangt, nur dann BKen darstellen, wenn die Voraussetzungen nach den §§ 548 ff RVO erfüllt sind(BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 16). Das ist aus den dargelegten Gründen nicht der Fall.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Wehrdienstbeschädigung ist eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.

(2) Eine Wehrdienstbeschädigung ist auch eine gesundheitliche Schädigung, die herbeigeführt worden ist durch

1.
einen Angriff auf den Soldaten
a)
wegen seines pflichtgemäßen dienstlichen Verhaltens,
b)
wegen seiner Zugehörigkeit zur Bundeswehr oder
c)
bei Kriegshandlungen, Aufruhr oder Unruhen, denen er am Ort seines dienstlich angeordneten Aufenthalts im Ausland besonders ausgesetzt war,
2.
einen Unfall, den der Beschädigte
a)
auf einem Hin- oder Rückweg erleidet, der notwendig ist, um eine Maßnahme der Heilbehandlung, eine Badekur, Versehrtenleibesübungen als Gruppenbehandlung oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 26 des Bundesversorgungsgesetzes durchzuführen oder um auf Verlangen einer zuständigen Behörde oder eines Gerichts wegen der Beschädigtenversorgung persönlich zu erscheinen,
b)
bei der Durchführung einer der unter Buchstabe a aufgeführten Maßnahmen erleidet,
3.
gesundheitsschädigende Verhältnisse, denen der Soldat am Ort seines dienstlich angeordneten Aufenthalts im Ausland besonders ausgesetzt war.

(3) Zum Wehrdienst im Sinne dieser Vorschrift gehören auch

1.
die Teilnahme an einer dienstlichen Veranstaltung im Sinne des § 81 Absatz 2 des Soldatengesetzes,
2.
die mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Dienstreisen und die dienstliche Tätigkeit am Bestimmungsort,
3.
die Teilnahme eines Soldaten an dienstlichen Veranstaltungen,
4.
Nebentätigkeiten im öffentlichen Dienst oder in dem ihm gleichstehenden Dienst, zu deren Übernahme der Soldat gemäß § 20 Absatz 7 des Soldatengesetzes in Verbindung mit § 98 des Bundesbeamtengesetzes verpflichtet ist, oder Tätigkeiten, deren Wahrnehmung von ihm im Zusammenhang mit den Dienstgeschäften erwartet wird, sofern der Soldat hierbei nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert ist (§ 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch).

(4) Als Wehrdienst gilt auch

1.
das Erscheinen zur Feststellung der Wehrdienstfähigkeit, zu einer Eignungsuntersuchung und Eignungsfeststellung oder im Rahmen der Wehrüberwachung auf Anordnung einer zuständigen Dienststelle,
2.
das Zurücklegen des mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle.
Der Zusammenhang mit dem Wehrdienst gilt als nicht unterbrochen, wenn der Soldat
1.
von dem unmittelbaren Wege zwischen der Wohnung und der Dienststelle in vertretbarem Umfang abweicht,
a)
um ein eigenes Kind, für das ihm dem Grunde nach Kindergeld zusteht, wegen seiner eigenen Berufstätigkeit oder der Berufstätigkeit seines Ehegatten in fremde Obhut zu geben oder aus fremder Obhut abzuholen oder
b)
weil er mit anderen berufstätigen oder in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg zu und von der Dienststelle benutzt, oder
2.
in seiner Wohnung Dienst leistet und Wege zurücklegt, um ein Kind im Sinne des Satzes 2 Nummer 1 Buchstabe a in fremde Obhut zu geben oder aus fremder Obhut abzuholen.
Hat der Soldat wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung vom Dienstort oder wegen der Kasernierungspflicht am Dienstort oder in dessen Nähe eine Unterkunft, so gelten Satz 1 Nummer 2 und Satz 2 auch für den Weg zu und von der Familienwohnung.

(5) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(6) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums der Verteidigung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(7) Für die Feststellung einer gesundheitlichen Schädigung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung nach Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2623) in der jeweils geltenden Fassung sind auch den Versicherungsschutz nach § 2, § 3 oder § 6 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch begründende Tätigkeiten zu berücksichtigen, wenn sie ihrer Art nach geeignet waren, die Krankheit zu verursachen, und die schädigende Einwirkung überwiegend durch dienstliche Verrichtungen nach Absatz 1 verursacht worden ist.

(8) Eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte gesundheitliche Schädigung gilt nicht als Wehrdienstbeschädigung.

Tenor

I.

Der Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2011 und der Bescheid vom 17. April 2003 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 19. März 2008 werden aufgehoben.

II.

Die Beklagte wird verurteilt, das Nierenkarzinom und den aus der operativen Behandlung resultierenden Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmteils infolge eines Nierenkarzinoms sowie das Schilddrüsenadenom und die Schilddrüsenüberfunktion als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen.

III.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig sind die nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) festzustellenden Schädigungsfolgen.

Der im Jahr 1951 geborene Kläger war bis zum März 2004 Berufssoldat bei der Bundeswehr.

Von 1971 bis 1987 arbeitete der Kläger zunächst als Radarmechaniker, zuletzt als Radarmechanikermeister am Flugzeug F-104 G (sog. Starfighter), das mit dem Vorwärtssichtradar NASARR ausgestattet war. Mit WDB-Blatt vom 05.11.2002 machte er eine Struma Grad II bis III und ein Nierenzellkarzinom als Schädigungsfolgen geltend. Die Erkrankungen waren im Jahr 1988 (teilweise Entfernung der Schilddrüse bei Adenom) bzw. 1995 operativ behandelt worden. Im Zusammenhang mit der Nephrektomie im November 1995 kam es zu einer im Januar 1996 diagnostizierten Darmperforation und zum Verlust der Milz.

Der Beklagte zog den Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR bei. Darin wurden Expositionswerte gegenüber ionisierender Strahlung im Bereich von Kopf und Oberkörper, Unterarmen und Händen aufgeführt.

Die Wehrbereichsverwaltung - öffentlichrechtliche Aufsicht für Arbeitssicherheit und technischen Umweltschutz - Bereich Bayern - äußerte sich mit Schreiben vom 25.02.2003 zu der beim Kläger stattgehabten Exposition wie folgt:

Die Emission der Röntgenstörstrahlung am Vorwärtssichtradar NASARR erfolge an der Mikrowellenauskopplung des Magnetrons in senkrechter Richtung nach oben in einem räumlich eng begrenzten Strahlenbündel, was durch Röntgenfilmbelichtungen festgestellt worden sei. Wegen der gleichen Anbauweise des NASARR in Radartestbänke finde sich diese nach oben gerichtete Abstrahlcharakteristik auch dort. Zusätzlich zu der Röntgenstörstrahlung habe noch eine Exposition gegenüber ionisierender Strahlung durch radioaktive Leuchtfarbe im Cockpit bestanden. Bei der Berechnung der Ersatzdosis sei unter Zuhilfenahme des Teilbereichs der Arbeitsgruppe strikt nach Aktenlage vorgegangen worden, da infolge der vorgegebenen Bearbeitungszeit ein Befragen des Betroffenen nicht möglich gewesen sei. Damit ergebe sich eine effektive Gesamtdosis für alle Berufsjahre (01.04.1971 bis 31.03.1987) von 5,9 mSv. Der Grenzwert für die allgemeine Bevölkerung sei damit nicht überschritten. Für nichtionisierende Strahlung lägen bislang keine wissenschaftlich allgemein anerkannten Erkenntnisse darüber vor, dass sie Krebserkrankungen auslösen könnten.

Das Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr führte in seiner versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 28.03.2003 aus, dass die ermittelte Gesamtdosis von 5,9 mSv zu gering sei, um in eine versorgungsmedizinische Diskussion über die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs oder über eine Kannversorgung einzutreten. Bei der Schilddrüsenerkrankung sei eine Strahlenverursachung nach dem derzeitigen Kenntnisstand von vornherein nicht anzunehmen.

Mit Bescheid vom 07.04.2003 lehnte es die Beklagte ab, den Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmanteils durch operative Entfernung aufgrund Nierenkarzinom und einen Schilddrüsenteilverlust durch operative Entfernung aufgrund Schilddrüsenerkrankung als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn des § 81 SVG anzuerkennen. Der Kläger sei zwar als Luftfahrzeugfeuerleitradarmechniker/-meister an dem Flugzeugradar NASARR Röntgenstrahlung und radioaktiver Leuchtfarbe ausgesetzt gewesen. Die Gesamtdosis von 5,9 mSv reiche aber für eine gesundheitliche Schädigung nicht aus, da eine den Grenzwert von 1 mSv pro Jahr übersteigende Lebenszeitdosis nicht erreicht werde. Ein ursächlicher Zusammenhang mit Strahlenbelastungen sei daher auszuschließen.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 05.05.2003 Beschwerde ein. Er bat, den Bescheid nach Vorlage des Ergebnisses der Radarkommission noch einmal zu prüfen und ggf. zu korrigieren.

Am 18.09.2003 äußerte sich Dr. J. vom Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr im Rahmen einer Überprüfung gemäß den Kriterien der Radarkommission - der Bericht war am 02.07.2003 vorgelegt worden - in einer ergänzenden versorgungsmedizinischen gutachtlichen Stellungnahme wie folgt: Der Kläger sei von 1971 bis 1987 an Radargeräten der Bundeswehr tätig gewesen. Es sei in Abänderung früherer Ausführungen nunmehr als glaubhaft zu unterstellen, dass er einer Belastung relevanten Ausmaßes durch ionisierende Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Diese sei grundsätzlich als kanzerogen anzusehen. In Abänderung der Stellungnahme vom 28.03.2003 werde daher vorgeschlagen, den Nierentumor als Schädigungsfolge anzuerkennen. Bei einem Schilddrüsenadenom sei gemäß den derzeitigen medizinischwissenschaftlichen Erkenntnissen eine Strahlenverursachung von vornherein nicht anzunehmen.

In einem ersten Entwurf des Beschwerdebescheids vom November 2003 wurde eine Anerkennung von Schädigungsfolgen entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. J. vom 18.09.2003 vorgeschlagen. Diesem Entwurf wurde jedoch durch die Wehrbereichsverwaltung Süd die Zustimmung versagt, weil nach dem Bericht der Radarkommission (dort S. 46) nur eine Teilkörperexposition des Oberkörpers in Betracht komme, nicht jedoch der Nieren.

Dazu befragt, ob bei einer Körpergröße des Klägers von 1,85 m und einer unterstellten Bestrahlung des Oberkörpers auch eine Bestrahlung des Beckenbereichs damit auch der Nieren in Betracht komme, hat die Strahlenmessstelle Nord der Bundeswehr, Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar (Dr. S.), mit Schreiben vom 04.09.2006 in einem Satz mitgeteilt, dass Einbauort der Störstrahler und Austrittsrichtung der Röntgenstörstrahlung am NASARR so seien, dass auch für einen körperlich größeren Techniker der Bereich des Beckens nicht gegenüber Röntgenstörstrahlung exponiert werden könne.

Mit Beschwerdebescheid vom 19.03.2008 wurde die Beschwerde des Klägers gegen den Bescheid vom 17.04.2003 zurückgewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der vom Kläger geltend gemachten Krebserkrankung und der Schilddrüsenerkrankung sei nicht wahrscheinlich. Zwar gehöre die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit zu den qualifizierenden Tätigkeiten im Sinn des Berichts der Radarkommission und es liege auch eine der qualifizierenden Erkrankungen aufgrund ionisierender Strahlung vor (maligne Tumore). Die Radarkommission habe jedoch in ihrem Bericht als weiteres Kriterium festgestellt, dass eine Anerkennung ausgeschlossen werden könne, falls die Bundeswehr nachweise, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten könnten, die das erkrankte Organ nicht betroffen hätten.

Dagegen hat der Kläger am 09.04.2008 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben. Die Klage ist wie folgt begründet worden: Im Rahmen seiner wehrdienstlichen Tätigkeit sei der Kläger einer ionisierenden Strahlung ausgesetzt gewesen, die als Röntgenstörstrahlung und/oder radioaktive Strahlung durch Leuchtfarben auftreten könne. Im vorliegenden Fall sei sowohl eine Röntgenstörstrahlung als auch eine radioaktive Strahlung aus Leuchtfarben zu berücksichtigen. Daneben sei der Kläger auch nichtionisierender Strahlung ausgesetzt gewesen. Die Bevollmächtigten haben auf den Bericht der Radarkommission vom 02.07.2003 hingewiesen. Die Beklagte könne gerade nicht nachweisen, dass nur Teilkörperexpositionen aufgetreten seien, die das erkrankte Organ nicht betroffen hätten. Damit sei eine Anerkennung als Wehrdienstbeschädigung auszusprechen. Die Radarkommission habe in ihrem Bericht vom 02.07.2003 gerade nicht bestätigt, dass vom NASARR ausschließlich an einer eng begrenzten Stelle Röntgenstörstrahlung ausgetreten sei. Die Beklagte habe vielmehr Messungen durchgeführt und dabei festgestellt, dass sich aufgrund der Vielzahl der Arbeiten, die am NASARR zu verrichten gewesen seien, gerade nicht ausschließen lasse, dass sich ein bestimmter Körperteil in der Röntgenstörstrahlung bewege. Dieses ergebe sich aus Messungen des Herrn G., der lange selbst am NASARR gearbeitet habe. Eine qualifizierende Erkrankung liege vor. Der Bericht der Radarkommission sei ein antizipiertes Sachverständigengutachten, welches bei Vorliegen der Kriterien für die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung eine Verpflichtung der Beklagten begründe, die Erkrankung des Klägers als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen. Einzige Öffnungsklausel für die Beklagte sei, wenn die Beklagte nachweise, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten könnten, die das erkrankte Organ nicht betreffen würden. Die Beklagte habe somit einen Entlastungsbeweis zu führen. Genau dieser Entlastungsbeweis sei der Beklagten nicht gelungen. Der Zusammenhang zwischen ionisierender Strahlung und der Krankheit des Klägers sei medizinisch anerkannt. Es sei eine WDB-Anerkennung zumindest im Sinn einer Kannversorgung auszusprechen.

Im Schreiben vom 26.11.2008 hat die Beklagte in Erwiderung zur Klagebegründung darauf hingewiesen, dass eine nichtionisierende Strahlung höchstens zu einer Trübung der Augenlinse führen könne. Durch radiumhaltige Leuchtfarbe könnten nur Knochenkrebs oder Lungenkrebs verursacht werden. Die Röntgenstörstrahlung des Radargeräts NASARR trete nur nach oben aus. Dies ergebe sich aus dem Bericht der Radarkommission, Seite 46, zudem aus der Stellungnahme des Dr. S.. Mit Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Prof. Dr. G., den der Kläger vorgeschlagen hatte, sei sie nicht einverstanden.

Mit Beschluss vom 28.11.2008 ist die Beiladung des Trägers der Versorgungsverwaltung erfolgt.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schreiben vom 06.02.2009 darauf hingewiesen, dass es falsch sei, dass die Röntgenstörstrahlung vom Radargerät NASARR nur nach oben austreten könne. Die bisherigen Feststellungen der Beklagten, auch des

Dr. S., seien falsch. Die Radarkommission habe auf Basis dieser Angaben den Bericht verfasst. Die Beklagte habe zwischenzeitlich Messungen mit Hilfe von Herrn G. durchführen lassen. Diese Messungen seien erst im Jahr 2008 durchgeführt worden und hätten ergeben, dass sich aufgrund der Vielzahl der Arbeiten, die am NASARR zu verrichten gewesen seien, gerade nicht ausschließen lasse, dass sich ein bestimmter Körperteil in der Röntgenstörstrahlung bewege.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 23.02.2009 mitgeteilt, dass sie aller Voraussicht nach einem Gutachten, das Herr Prof. Dr. G. erstellen würde, nicht folgen werde. Im Übrigen hat sie auf eine neue Stellungnahme des Dr. S. vom 19.02.2009 verwiesen, wonach weitere Messungen zur Emission von Röntgenstörstrahlung im Jahr 2008 nicht mehr stattgefunden hätten; es sei lediglich eine Diskussion verschiedener Arbeitsschritte erfolgt, ohne dass das Radargerät bei diesem Termin in Betrieb genommen worden wäre.

Mit Schreiben vom 16.06.2009 hat die Beklagte die Kopie einer - teilweise abgedeckten, also nicht lesbaren - Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung West - Strahlen - vom 09.06.2009 vorgelegt, wonach die Belastung durch radioaktive Leuchtfarbe ausgesprochen gering gewesen sei. Dem von den Bevollmächtigten des Klägers in den Raum gestellten Sachverständigen Prof. Dr. G. ist in dieser Stellungnahme vorgeworfen worden, dass er in einem anderen Verfahren „seine Kompetenzen als medizinischer Sachverständiger bei Weitem überschritten“ habe. Im Übrigen ist die Argumentation der Bevollmächtigten des Klägers teilweise als „unsinnig“ bezeichnet worden. Die teilweise Abdeckung der übersandten Stellungnahme hat die Beklagte damit begründet, dass darin eine Auseinandersetzung mit möglichen politischen Folgen von Fehlern enthalten sei.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 11.01.2010 einen Aktenvermerk vom 22.12.2009 übermittelt, dem u. a. zu entnehmen ist, dass eine Konfliktlösung bei Begutachtung durch Prof. Dr. G. nicht zu erwarten sei. In einem weiteren Aktenvermerk vom 16.06.2010. hat sich die Beklagte mit den Körperhaltungen bei der beruflichen Tätigkeit des Klägers auseinander gesetzt. Weiter hat sie sich dahingehend geäußert, dass der Gesundheitsschaden im „Unterleib“ vorliege. Schließlich hat sie sich erneut umfassend zu der aus ihrer Sicht fehlenden Kompetenz und Neutralität des Prof. Dr. G. geäußert.

Am 09.06.2011 hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Prof. Dr. G. ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage erstellt. Der Sachverständige hat darin Folgendes ausgeführt:

Beim Kläger sei im Oktober 1988 die Operation einer vergrößerten Schilddrüse durchgeführt worden; dabei habe sich ein sogenannter ausgebrannter kalter Knoten gefunden. Am 02.12.1995 sei eine Operation zur Entfernung der linken Niere wegen eines Tumors durchgeführt worden. Postoperativ seien Komplikationen entstanden, die in einem Bauchhöhlenabszess kumuliert hätten. Bei der deswegen erforderlichen Nachoperation am 08.01.1996 seien die Milz, der querliegende Schenkel des Dickdarms und der absteigende Schenkel des Dickdarms entfernt und ein künstlicher Darmausgang gelegt worden. Am 23.02.1996 sei der künstliche Darmausgang verschlossen worden. Aktuell habe der Kläger mitgeteilt, dass bei einer Kontrolluntersuchung im Bundeswehrkrankenhaus U. in der Schilddrüse ein sogenannter heißer Knoten entdeckt worden sei. Heiße Knoten in der Schilddrüse seien verdächtig auf ein Schilddrüsenkarzinom.

Zur Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung hat der Sachverständige Folgendes erläutert: Die Schwerpunktgruppe Radar habe am 16.06.2010 ausgeführt, dass zwar der Oberkörper gegenüber der Störstrahlung am NASARR exponiert gewesen sei, nicht jedoch der Bereich des Beckens, auch nicht bei einem körperlich größeren Techniker. Weiter sei von der Schwerpunktgruppe Radar ausgeführt worden, dass die „Nieren-Becken-Region“ nicht exponiert habe werden können. Der Begriff „Nieren-Becken-Region“ sei - so der Sachverständige - in der Medizin unbekannt. Es sei zu vermuten, dass die Lage der Nieren von der Schwerpunktgruppe Radar irgendwo im Bereich des menschlichen Beckens angenommen worden sei. Als Oberkörper des Menschen werde in der Medizin derjenige Teil des Körpers bezeichnet, der nach unten durch die Rippenbögen der 11. und 12. Rippe begrenzt werde. Bei der ärztlichen Untersuchung am stehenden Patienten sei es unmöglich, den oberen Nierenpol oder gar die Nebennieren zu tasten, weil lediglich der untere Teil der Niere nach unten die Rippenbögen überrage. Ganz zweifellos sei deshalb die Region des Körpers, in dem sich der obere Pol der Niere befinde, dem Oberkörper zuzurechnen. Die Lungenflügel würden nach unten zum Bauchraum durch das Zwerchfell abgegrenzt, das sich ähnlich einer Kuppel an die Unterseite der Lungenflügel anschmiege. Von unten würden in diese Kuppel die Bauchorgane hinein ragen, auf der rechten Seite die obere Hälfte der Niere hinten, auf der linken Seite hinten die oberen Teile der Niere und Milz. Die linke Niere des Menschen liege in der Regel höher als die rechte. Da der Tumor am oberen Pol der linken Niere entstanden sei, bestehe auch kein Zweifel, dass dieser Teil der linken Niere als Teil des Oberkörpers zu betrachten sei, obgleich er anatomisch zur Bauchhöhle gehöre. Bei der Beurteilung einer möglichen Strahlenexposition komme es nicht auf die Zugehörigkeit zur Brusthöhle oder zur Bauchhöhle an, sondern darauf, ob durch die Lokalisation des oberen Nierenpols eine Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung aus einen NASARR möglich gewesen sei oder nicht. Wenn bei den vom Kläger durchgeführten Tätigkeiten eine Exposition des Oberkörpers stattgefunden habe, wie von der Schwerpunktgruppe Radar offenkundig angenommen werde, dann sei der obere Pol der linken Niere des Klägers mit Sicherheit durch Röntgenstörstrahlung betroffen worden. Eine Diskussion einer möglichen Exposition gegenüber radioaktiver Leuchtfarbe sei nicht erforderlich, weil nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft kein Zusammenhang zu der Entwicklung eines Nierenzellkarzinoms angenommen werden könne. Der Kläger sei während der sogenannten Phase I (zwischen 1971 und 1975) in qualifizierender Tätigkeit an Radargeräten beschäftigt gewesen. Er sei damit einem höheren Risiko für Krebserkrankungen als die allgemeine Bevölkerung ausgesetzt gewesen. Wie ausgeführt, sei seine Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung als kausaler Risikofaktor für die Entstehung des bei ihm 1995 entdeckten Nierenzellkarzinoms zu betrachten. Das Nierenzellkarzinom sei hinreichend wahrscheinlich durch die Tätigkeit als Radarmechaniker verursacht.

Auch der Schilddrüsenbefund des Klägers sei der früheren Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung zuzuordnen. Es gebe eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, die als Folge der Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen das Auftreten von gutartigen Schilddrüsentumoren (sog. Adenome) gefunden hätten. Auf entsprechende Untersuchungen hat der Sachverständige hingewiesen. Da der Hals des Klägers zweifelsfrei der Röntgenstörstrahlung ausgesetzt gewesen sei, sei auch die Schilddrüsenerkrankung der Exposition zuzuordnen. Möglichen Einwänden, dass die Radarkommission sich nicht zu gutartigen Tumoren als Folge der Exposition gegenüber ionisierenden Strahlungen geäußert hätte, sei entgegen zu halten, dass sich die Radarkommission wegen des extremen Zeitdrucks vor allem den Krebserkrankungen gewidmet habe.

Als Schädigungsfolgen seien anzuerkennen: Nierenzellkarzinom, postoperative schwere Infektion der Bauchhöhle, Entfernung großer Teile des Dickdarms und der Milz, Schilddrüsenüberfunktion, heißer Knoten der Schilddrüse.

Die Beklagte hat sich zu diesem Gutachten mit einer (nichtärztlichen) Stellungnahme vom 01.09.2011 wie folgt geäußert: Die Ausführungen des Prof. Dr. G. zur Exposition des Oberkörpers seien nicht nachvollziehbar. Wenn auf Seite 46 des Berichts der Radarkommission „Kopf und Teile des Oberkörpers“ als vom direkt nach oben gerichteten Strahlenbündel erreichbar genannt würden, so seien damit ganz sicher nicht die untersten Teile des Oberkörpers gemeint. Somit sei die Nierenregion nicht als ein diesem Strahlenbündel exponierter Körperteil anzusehen, selbst wenn man sie noch zum Oberkörper zähle. Damit sei das Ausschlusskriterium „Teilkörperexposition, die das erkrankte Organ nicht betraf“ erfüllt. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen stochastischen Strahlenwirkungen und dem Auftreten des Schilddrüsenadenoms sei nicht gegeben. Zwar sei eine Anerkennung nach den Kann-Bestimmungen in Betracht zu ziehen, wenn zumindest eine qualifizierte Möglichkeit des ursächlichen Zusammenhangs bestehe. Hinsichtlich gutartiger Geschwülste heiße es jedoch in den Anhaltspunkten, dass diese im Allgemeinen nicht durch äußere Einwirkungen verursacht würden. Ausnahmen bezüglich der Schilddrüsenadenome würden in den Anhaltspunkten nicht genannt. Somit sei deren Ätiologie nicht ungeklärt und die Kann-Bestimmungen fänden keine Anwendung. Auch das Recht der Berufskrankheiten sehe die Anerkennung eines Schilddrüsenadenoms nicht vor. Der Bericht der Radarkommission sehe bezüglich nicht maligner Erkrankungen lediglich für Augenlinsentrübungen (Katarakte) eine Anerkennung wegen der Einwirkung ionisierender Strahlung vor. Die gutachterliche Bewertung des Prof. Dr. G. zum Schilddrüsenadenom beruhe nicht auf den Entscheidungsempfehlungen im Bericht der Radarkommission und sei auch nicht mit sonstigen im sozialen Entschädigungsrecht maßgeblichen antizipierten Gutachten (Anhaltspunkte, Berufskrankheiten-Verordnung) in Einklang zu bringen. Die vom Sachverständigen zitierten Studien an Überlebenden der Atombombenangriffe in Japan hätten für das vorliegende Verfahren überhaupt keine Bewandtnis. Die Studien seien schon lange vor der Radarkommission veröffentlich worden. Dem Gutachten würden jegliche Hinweise auf eine relevante Risikoerhöhung im vorliegenden Einzelfall fehlen. Bezüglich des heißen Knotens der Schilddrüse handle es sich nicht um eine Schilddrüsenvergrößerung durch das gutartige Adenom (kalter Knoten). Außer dem telefonischen Hinweis des Klägers gebe es überhaupt keinen Beweis für das Vorliegen weiterer Schilddrüsenveränderungen. Bereits im Beschwerdeverfahren sei geprüft worden, inwieweit eine auf einer Erhöhung stehende und sich dabei noch vorbeugende Person durch das Strahlenbündel des NASARR getroffen werden könne. Diese Prüfung habe ergeben, dass aufgrund biomechanischer Aspekte bei einer Vorbeugung von Kopf und Oberkörper der Bauchbereich daran gehindert sei, sich nennenswert in die gleiche Richtung zu bewegen. Somit bestehe bei dem Einbauort des Magnetrons und der Austrittseinrichtung seiner Störstrahlung selbst bei einem 1,85 m großen Techniker für den Thoraxbereich keine Expositionsmöglichkeit.

Einer weiteren (nichtärztlichen) Stellungnahme des Dr. S. vom 26.08.2011 ist die Ansicht zu entnehmen, dass selbst dann, wenn eine Bestrahlung des Beckenbereichs stattgefunden hätte, die Exposition der Nieren durch die Abschwächung der Strahlung durch das übrige Körpergewebe weitgehend reduziert gewesen wäre.

Ein heißer Knoten wurde - so auf Nachfrage des SG das Bundeswehrkrankenhaus U. - bei einer Untersuchung im Jahr 2011 nicht dokumentiert.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.10.2011 ist die Klage abgewiesen worden. Ein Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und Nierenzellkarzinom lasse sich nicht herstellen, da nach den Ergebnissen der Strahlenmessstelle der Bundeswehr der Kläger nur hinsichtlich des oberen Teils des Oberkörpers der Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Ein Gesundheitsschaden im Bereich der Nieren könne daher durch Strahlung nicht verursacht werden. Auch die gutartige Schilddrüsenerkrankung sei nicht als Folge einer Wehrdienstbeschädigung festzustellen.

Dagegen haben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 15.11.2011 Berufung eingelegt. Sie haben in ihrer Berufungsbegründung vom 08.03.2012 beanstandet, dass sich das SG im Wesentlichen auf die Ausführungen der Beklagten gestützt habe, ohne sich in ausreichender Weise mit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G. vom 09.06.2011 auseinander zu setzen. Im Übrigen seien die Ausführungen der Beklagten falsch. Auch der Versorgungsarzt Dr. J. sei in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003 davon ausgegangen, dass der Kläger einer Belastung relevanten Ausmaßes durch ionisierende Strahlung ausgesetzt gewesen sei und dadurch der Verlust der linken Niere, der Milz sowie eines Teils des Dickdarms nach der operativen Behandlung eines bösartigen Nierentumors als Wehrdienstbeschädigungsfolge anzuerkennen sei. Es sei auch schlichtweg falsch, wenn die Beklagte behaupte, die Nieren lägen nicht im Bereich des Oberkörpers, sondern im Becken. Die Bevollmächtigten haben dies mit Hinweis auf medizinische Literatur belegt. Damit sei die Behauptung der Beklagten, die Nieren des Klägers seien nicht von der ionisierenden Strahlung betroffen gewesen, nicht haltbar, weil sie anatomisch falsch sei. Prof. Dr. G. habe zudem darauf hingewiesen, dass der Tumor am oberen Pol der linken Niere entstanden sei, die sich im Oberkörper befinde und somit auch von der Röntgenstörstrahlung getroffen worden sei. Dies habe die Beklagte völlig unsubstantiiert bestritten. Bekannt sei, dass die Strahlung des Feuerleitradars des Starfighters F-104 sehr gefährlich gewesen sei. Es sei nicht möglich und auch nicht beweisbar, zentimetergenau die Abstrahlungscharakteristik der Strahlung zu definieren, wie dies der Beklagte behaupte. Die Röntgenstörstrahlung würde vom Entstehungsort ausstrahlen und sei kein streng gebündelter kontrollierter Laserstrahl. Außerdem habe der Beklagte verschwiegen, dass auch seitlich am Magnetron Röntgenstörstrahlung austrete, wie sich aus Seite 5, Tabelle II des Teilberichts NASARR vom 24.02.2002 ergebe. Am 18.07.1979 sei an einer Testbank in L. eine Messung durchgeführt worden, die die Abstrahlcharakteristik der Röntgenstrahlung am Krümmer des Magnetrons dargestellt habe. In diesem Bericht sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass diese Feststellungen nur für das untersuchte Gerät und das eingebaute Magnetron gelten würden, es aber bekannt sei, dass in NASARR verschiedene Magnetrons verwendet worden seien, die sich hinsichtlich der Störstrahlung erheblich unterscheiden würden. Eine Messung an einsatzklaren Luftfahrzeugen habe der Beklagte nie vorgenommen. Auch eine Messung am Starfighter, an dem der Kläger gearbeitet habe, könne der Beklagte nicht vorlegen. Aufgrund des Berichts vom 18.07.1979 sei jedoch eindeutig klar, dass einzelne Messergebnisse nicht verallgemeinert werden könnten, weil die Strahlung bei jedem Gerät anders gewesen sei. Das SG habe auch jede eigene Feststellung zu der Frage, wo sich die Niere befinde und ob diese beim Kläger von ionisierender Strahlung getroffen worden sei, unterlassen. Nach den eigenen Feststellungen der Beklagten wäre die Erkrankung des Klägers als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen; die einzige Ausrede des Beklagten sei, dass sich die Niere nicht im Oberkörper befinde. Diese Behauptung sei durch das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. G. eindeutig widerlegt. Das SG habe nicht erläutert, warum es dem eingeholten Gutachten nicht gefolgt sei. Bezüglich der Schilddrüsenerkrankung habe das SG eine Anerkennung abgelehnt mit Hinweis auf den Bericht der Radarkommission, wonach nur maligne Tumore als Wehrdienstbeschädigung in Frage kämen, die Schilddrüsenerkrankung des Klägers aber gutartig sei. Der Bericht der Radarkommission werde von der Beklagten lediglich so ausgelegt, als ob nur die darin genannten Erkrankungen von ionisierender oder nicht ionisierender Strahlung hervorgerufen werden könnten und alle weiteren Erkrankungen nicht. Dies sei so nicht richtig und auch nicht Gegenstand der Fragestellung an die Sachverständigenkommission gewesen. Die Ausführungen der Beklagten seien insofern unzutreffend und grob irreführend. Im Übrigen haben die Bevollmächtigten auf einen Vergleichsfall hingewiesen, bei dem ein Hodentumor anerkannt worden sei, obwohl der Betroffene ebenfalls am NASARR gearbeitet habe. Auch bei einem weiteren, namentlich genannten Bundeswehrsoldaten, der ebenfalls am NASARR gearbeitet habe, sei die selbe Erkrankung wie beim Kläger, nämlich der Verlust der rechten Niere nach einem Tumor, anerkannt worden. Der Rechtsstreit berühre Fragen, die in der sozialgerichtlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung noch ungeklärt seien (insbesondere die Frage, ob auch gutartige Tumorerkrankungen als Wehrdienstbeschädigung geeignet sein könnten). Die entsprechenden Bescheide aus den Vergleichsfällen haben die Bevollmächtigten beigelegt.

Zu den Arbeitsbedingungen am Luftfahrzeug haben sich die Bevollmächtigten des Klägers auf Nachfrage des Gerichts mit Schreiben vom 03.06.2013 detailliert geäußert und dargelegt, warum der Oberkörper einer Röntgenstörstrahlung ausgesetzt gewesen sei. Zudem haben sie noch auf weitere Strahlungsquellen hingewiesen, denen der Kläger bei der Arbeit ausgesetzt gewesen sei. So seien z. B. Oszilloskope das wichtigste Messgerät bei der Fehlersuche, Reparatur und Systemabgleichung von Radaranlagen gewesen und hätten eine Strahlenbelastung in Oberschenkelhöhe nach sich gezogen. Von der Gefährlichkeit der Strahlenbelastung habe das Radarpersonal keine Kenntnis gehabt.

Die Beklagte hat sich trotz wiederholter gerichtlicher Erinnerung, unter anderem unmittelbar an den Präsidenten des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr, zum klägerischen Schreiben vom 15.11.2011 erst nach über zwei Jahren mit Schreiben vom 13.03.2014 geäußert. Grund für die erhebliche Verzögerung dürfte nach dem Vortrag der Beklagten gewesen sein, dass die für die Bearbeitung derartiger Fälle gebildete „Schwerpunktgruppe Radar“ offenbar nur mit einem einzigen Fachmann besetzt gewesen war, wobei dieser von der Bundeswehrverwaltung zudem zwischenzeitlich mit einer Projektgruppe zu Organisationsfragen beauftragt worden war (Schreiben der Beklagten vom 20.01.2014).

Im Schreiben vom 13.03.2014 hat die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und auf die aus ihrer Sicht zutreffenden Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung hingewiesen. Zudem ist eine Stellungnahme der Strahlenmessstelle der Bundeswehr (Dr. S.) vom 21.02.2014 vorgelegt worden, in der dieser Folgendes ausgeführt hat: Dass Röntgenstrahlung oder Röntgenstörstrahlung nicht streng und definierbar gebündelt würden bzw. so auftreten könnten, sei ein Irrtum des Klägers. Ohne diese Möglichkeit gäbe es keine Computertomographie mit der heute erreichten Bildqualität. Die Radarkommission sei auf Seite 46 ihres Berichts davon ausgegangen, dass sich Kopf und Teile des Oberkörpers direkt im nach oben gerichteten Strahlenbündel befänden. Die Radarkommission gehe also nicht von einer Exposition des gesamten Oberkörpers aus. Eine Emission des Magnetrons auch in seitlicher Richtung sei nicht bewiesen. Ein Argument für eine Exposition der Nieren ergebe sich daher nicht. Die klägerseitige Behauptung, das Magnetron habe auch zur Seite abgestrahlt, sei nicht bewiesen. Aus der fehlenden Angabe der Emissionsrichtung in einem Messprotokoll ergebe sich nicht zwangsläufig die Emissionsrichtung zur Seite. Die Notwendigkeit, die Kontrolle der Bewegung der Antenne in unmittelbarer Nähe dazu ausführen zu müssen, erschließe sich nicht. An der Antenne befinde sich jedenfalls der Hinweis „HANDS OFF“. Es sei auch nicht ersichtlich, wieso diese Prüfung mit eingeschaltetem Magnetron erfolgen habe müssen. Wenn der Kläger angegeben habe, sich bei der Kontrolle der Dichtheit des Hohlleitersystems über den Radarsender gebeugt zu haben und dass sich dabei Arme und Körper über dem Magnetron befunden hätten, erschließe sich nicht, dass das Magnetron in Betrieb sein habe müssen. Aus den auch klägerseitig als bekannt vorgetragenen Warnungen sei eher zu schließen, dass das Magnetron noch gar nicht erst in Betrieb gewesen sei. Den vom Kläger vorgelegten Fotos sei insgesamt kein Beleg dafür zu entnehmen, dass die Nieren in das senkrecht nach oben austretende Röntgenstörstrahlungsbündel geraten könnten. Sofern im Bericht der Radarkommission die Exposition des Oberkörpers angesprochen sei, spiegle dies die Großzügigkeit der Erfassung der Arbeitsplatz- und Expositionsverhältnisse wider. Im Übrigen sei festzustellen, dass die Energie der Röntgenstrahlung des Magnetrons nicht ausreiche, an den Nieren eine Dosis zu erzielen.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben sich dazu mit Schreiben vom 26.06.2014 geäußert. U. a. haben sie darauf hingewiesen, dass sich der angesprochene Warnhinweis „HANDS OFF“ darauf bezogen habe, dass die Antenne nicht als Abstützung benutzt werde. Sie haben weiter darauf aufmerksam gemacht, dass im Verfahren eines namentlich benannten weiteren Soldaten Knochenkrebs (im Oberschenkel) als verursacht durch die Tätigkeit am NASARR betrachtet worden sei Zum Messbericht vom 07.05.1974 haben sie darauf aufmerksam gemacht, dass der verantwortliche Betriebsschutz der betroffenen Bundeswehr eine dringend erforderliche Nachmessung im Bereich des Magnetrons angemahnt habe. Entscheidend sei, wie die Arbeiten real ausgeführt worden seien und nicht, was technisch sinnvoller gewesen sei. Sie haben sich auch zur Lage der Nieren im Bereich des Oberkörpers geäußert.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 07.07.2014 ist der Beklagten die Abgabe eines Anerkenntnisses nahe gelegt worden. Auf Unstimmigkeiten in der Argumentation des Beklagten ist hingewiesen worden.

Mit Schreiben vom 21.07.2014 hat die Beklagte mitgeteilt, dass sie nicht bereit sei, ein Anerkenntnis abzugeben. Mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - der Senat hatte eine solche im Schreiben vom 07.07.2014 überhaupt nicht in den Raum gestellt - bestehe aber Einverständnis. Dazu haben auch die weiteren Beteiligten mit Schreiben vom 29.07.2014 bzw. 01.08.2014 ihr Einverständnis erklärt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 19.10.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 17.04.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.03.2008 festzustellen, dass das Nierenzellkarzinom und die Struma diffusa mit autonomem Adenom Folge einer Wehrdienstbeschädigung sind.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten, des Beigeladenen und des SG Augsburg beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Gründe

Der Senat hat gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, da die Beteiligten - die Beklagte (ungefragt) mit Schreiben vom 21.07.2014, der Kläger mit Schreiben vom 29.07.2014, der Beigeladene mit Schreiben vom 01.08.2014 - dazu ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Berufung ist zulässig und auch begründet.

Der Gerichtsbescheid des SG Augsburg, mit dem die Entscheidung der Beklagten, die Anerkennung von Schädigungsfolgen abzulehnen, bestätigt worden ist, ist ebenso wie der angegriffene Bescheid aufzuheben. Beim Kläger sind der Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmteils nach Nierenkarzinom sowie der Schilddrüsenteilverlust durch operative Entfernung aufgrund einer Schilddrüsenerkrankung im Sinne eines Adenoms und die Schilddrüsenüberfunktion als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen.

Bei seiner Entscheidung stützt sich der Senat auf das vom SG eingeholte Gutachten des Prof. Dr. G. vom 09.06.2011, der, was das Nierenkarzinom angeht, zu der selben Einschätzung gekommen ist wie der Versorgungsarzt der Beklagten Dr. J. in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003. Das Gutachten ist für den Senat überzeugend; er macht es sich zu eigen. Die sachverständige und die versorgungsärztliche Einschätzung zur Nierenerkrankung stehen auch in Einklang mit den Vorgaben des Berichts der Radarkommission. Auch was die Schilddrüsenerkrankung angeht, schließt sich der Senat der überzeugend begründeten Einschätzung des Prof. Dr. G. an.

Der Sachverständige Prof. Dr. G. hat nachvollziehbar erläutert, dass das Nierenzellkarzinom hinreichend wahrscheinlich auf die Strahlenexposition des Klägers als Radarmechaniker/-meister zurückzuführen ist und die Schilddrüsenerkrankung (Adenom) zumindest im Sinn einer Kannversorgung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen ist. Die sich aus der Behandlung dieser Erkrankungen ergebenden weiteren Gesundheitsschäden stellen mittelbare Folgen der Wehrdienstbeschädigung dar.

Wenn sich die Beklagte diesen sachverständigen bzw. versorgungsärztlichen Erkenntnissen verschließt und dies damit begründet, dass die berufliche Belastung des Klägers mit radioaktiver Strahlung nicht dazu geeignet sei, die vorliegenden Erkrankungen zu verursachen, kann dies nicht überzeugen.

1. Voraussetzungen für die Anerkennung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung - Allgemeines

Eine Wehrdienstbeschädigung ist gemäß § 81 Abs. 1 SVG eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.

Entsprechend den vorgenannten Bestimmungen setzt die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (= „Wehrdienstbeschädigung“) (2. Glied) geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen (= „Folge einer Wehrdienstbeschädigung“) (3. Glied) bedingt. Dabei ist eine trennscharfe Differenzierung zwischen dem 2. und dem 3. Glied oftmals praktisch nicht möglich und daher verzichtbar; auch im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung wird dies so praktiziert.

Die zwei bzw. drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Dies bedeutet, dass kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R). Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG). Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66). Haben mehrere Ursachen zu einem Schaden beigetragen, ist eine vom Schutzbereich des SVG umfasste Ursache dann rechtlich wesentlich, wenn nicht die andere(n), nicht dem Schutzbereich des SVG unterfallende(n) Ursache(n) eine überragende Bedeutung hat (haben) (vgl. Urteil des Senats vom 19.07.2011, Az.: L 15 VS 7/10 - m. w. N. zur Rechtsprechung des BSG) und die vom Schutzbereich des SVG umfasste Ursache nicht völlig in den Hintergrund drängt (drängen) (vgl. Urteil des Senats vom 02.07.2013, Az.: L 15 VS 9/10).

Für unfallunabhängige Gesundheitsstörungen, in denen wesensmäßig die Nachweisführung eines Zusammenhangs aufgrund eines konkreten Anlassereignisses erheblich erschwert ist, bestimmt sich der versorgungsrechtlich geschützte Bereich nach dem SVG nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Dieses unterliegt dem Listenprinzip mit der Öffnungsklausel des § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), wobei hierdurch nur ein Vorgriff auf eine Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) möglich ist (ständige Rspr., vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18.06.2013, Az.: B 2 U 3/12 R).

Bei der Beurteilung unfallunabhängiger Gesundheitsstörungen von Soldaten ist aber zu berücksichtigen, dass die Belastungen im Wehrdienst nicht selten solche sind, die in zivilen Berufen nicht auftreten. Daher wäre es zu kurz gegriffen, sich uneingeschränkt an den unfallversicherungsrechtlichen Vorgaben und Erkenntnissen zu Berufskrankheiten oder berufskrankheitenreifen Erkrankungen zu orientieren. Vielmehr ist der Rechtsgedanke des § 9 Abs. 2 SGB VII dahingehend aufzugreifen, dass von einer „Berufskrankheitenreife“ im soldatenversorgungsrechtlichen Sinn auch dann auszugehen ist, wenn die Krankheit zwar nicht in der Liste der BKV aufgenommen ist, der Dienstherr (= Bundeswehr) aber wegen einer erkannten Gefährdung der Soldaten handeln müsste, wenn es eine explizite Regelung wie die BKV auch für soldatenspezifische Erkrankungen gäbe. Davon ist dann auszugehen, wenn eine Situation gegeben ist, in der bekannt geworden ist, dass bestimmte Einwirkungen, denen Soldaten im Dienst in höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, zur Entwicklung bestimmter Krankheiten beitragen können, für die medizinstatistisch nachgewiesen ist, dass die Zahl der Erkrankungen von Soldaten signifikant höher als in der Allgemeinbevölkerung ist (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Wenn das BSG dies im Urteil vom 11.10.1994, Az.: 9 BV 55/94, dahingehend formuliert hat, dass dafür „besondere außerordentliche Belastungen, die typischerweise nur unter den Bedingungen des Krieges auftreten“, erforderlich wären, ist diese Formulierung missverständlich. Denn eine gesetzliche Grundlage für diese Orientierung am Krieg geben die Regelungen des SVG nicht her; vielmehr wird dort (§ 81 Abs.1 SVG) ausdrücklich auf „die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse“ abgestellt, womit eine Abgrenzung von auch im zivilen Leben vorkommenden Belastungen hergestellt wird. Wehrdiensteigentümliche Verhältnisse sind daher solche, die der Eigenart des militärischen Dienstes entsprechen und im Allgemeinen mit dem Dienst eng verbunden sind. Damit werden all die nicht weiter bestimmbaren Einflüsse des Wehrdienstes erfasst, die aus der besonderen Rechtsnatur des Wehrdienstverhältnisses und der daraus resultierenden Beschränkung der persönlichen Freiheit des Soldaten resultieren (vgl. Lilienfeld, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl. 2012, § 81 SVG, Rdnr. 29). Eine kriegsähnliche Belastung zu verlangen, würde zu weit gehen; ausreichend aber auch erforderlich ist eine Belastung, wie sie im zivilen Leben so nicht oder nicht in vergleichbarem Maß vorkommt. Bei der Abgrenzung zwischen wehrdiensteigentümlichen und zivilen Verhältnissen ist von den normalen Umständen und Verhaltensweisen sowie den durchschnittlichen Gefährdungen im Zivilleben auszugehen (vgl. Sailer, in: Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl. 1992, § 81 SVG, Rdnr. 27; Urteil des Senats vom 02.07.2013, Az.: L 15 VS 9/10).

Zu berücksichtigen als weitere Abweichung vom Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist zudem, dass im Versorgungsrecht der rechtlich wesentliche Kausalzusammenhang zwischen einer Gesundheitsstörung und einem dienstlichen Unfall oder wehrdiensteigentümlichen Belastungen nicht nur mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit hergestellt werden kann, sondern auch die Möglichkeit einer Kannversorgung gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG besteht. Es handelt sich dabei um Fälle, bei denen die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs nur deshalb nicht hergestellt werden kann, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Von Ungewissheit ist auszugehen, wenn es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, Az.: B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, Az.: 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, Az.: 9/9a RV 41/92).

Zusammengefasst bedeutet dies, dass ein unfallunabhängiger Gesundheitsschaden unter folgenden Gesichtspunkten als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden kann:

- Alternative 1: Die Gesundheitsstörung ist in der BKV als Berufskrankheit anerkannt.

- Alternative 2: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht eine sogenannte Berufskrankheitenreife im Sinn des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung.

- Alternative 3: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht eine Berufskrankheitenreife im oben aufgezeigten soldatenversorgungsrechtlichen Sinn.

- Alternative 4: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht über die Ursache des Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit, es gibt aber wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung, die die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs positiv vertritt.

2. Zu den hier im Raum stehenden Erkrankungen:

2.1. Nierenzellkarzinom mit Folgeerkrankungen

Das durchgemachte Nierenzellkarzinom mit den sich daraus ergebenden Folgeschäden (Verlust der linken Niere, Verlust der Milz und eines Teils des Dickdarms) ist als Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn der o. g. Alternative 1 anzuerkennen.

2.1.1. Potentiell schädigender Vorgang

Der Kläger war im Rahmen seines Wehrdienstes ionisierender Strahlung (Röntgenstörstrahlung) in einem Umfang ausgesetzt, der potentiell kanzerogene Wirkung hat.

Der Kläger arbeitete von 1971 bis 1987 zunächst als Radarmechaniker, dann als Radarmechanikermeister am Flugzeug F-104 G, das mit dem Vorwärtssichtradar NASARR ausgestattet war.

Bei dieser Tätigkeit war der Kläger in so erheblichem Umfang ionisierender Strahlung ausgesetzt, dass eine für die Verursachung einer Krebserkrankung als ausreichend anzusehende Strahlenbelastung im Sinn der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV vorgelegen hat. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus den Ausführungen des Berichts der vom Bundesministerium der Verteidigung auf Ersuchen des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags einberufenen Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der NVA (Radarkommission) vom 02.07.2003. Die strahlenbelastende Tätigkeit des Klägers fällt im Umfang von fast vier Jahren in den von der Radarkommission als Phase I (bis Ende 1975) bezeichneten Zeitraum, in dem „eine belastbare Dosisrekonstruktion aufgrund von Messdaten praktisch unmöglich ist“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23) und in der auch weitgehend keine Strahlenschutzmaßnahmen getroffen worden sind. Daran hat sich (ab 1976) eine Zeit angeschlossen, „in der die Zahl der Messungen deutlich anstieg und in der erste Strahlenschutzmaßnahmen durchgeführt wurden“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23), so dass ab dieser Zeit eine prinzipielle Dosisabschätzung möglich ist, sofern eine ausreichende Zahl von Messungen vorliegt, was aber vorliegend, d. h. betreffend das NASARR, nicht der Fall zu sein scheint, wenn die Angaben der Beklagten zugrunde gelegt werden, wonach nur eine einzige Messung durchgeführt worden sein soll. Dabei hat die Radarkommission aber auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in dieser zweiten Phase nach wie vor alte Systeme, d. h. ohne Strahlenschutz, weiter eingesetzt worden sind und dieser Zustand teilweise weit bis in die 80er Jahre hinein angehalten hat, was insbesondere auch für das NASARR gilt, an dem der Kläger eingesetzt war (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23). So gibt es offenbar nur ein einziges Messprotokoll zum NASARR aus dem Jahr 1974 (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 22). Die Radarkommission hat zudem darauf hingewiesen, dass gerade dann, wenn nur wenige Messwerte vorliegen, „eine Unterschätzung nicht auszuschließen ist“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 24).

Ausgehend von diesen Ausführungen im Bericht der Radarkommission, der als antizipiertes Sachverständigengutachten betrachtet werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 02.10.2008, Az.: B 9 VS 3/08 B - m. w. N.) ist eine potentiell schädigende Strahlenbelastung im Vollbeweis nachgewiesen.

Dies hat letztlich auch die Beklagte zugestanden, wenn sie ab der Überprüfung nach Vorlage des Berichts der Radarkommission im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ihre Ablehnung nicht mehr auf eine angeblich nicht ausreichende Strahlenbelastung gestützt hat, wie sie dies noch im Verwaltungsverfahren getan hat. Der Senat sieht daher auch keinen Anlass, sich mit der völlig unplausiblen Berechnung der Beklagten im Verwaltungsverfahren auseinanderzusetzen, in dem diese eine effektive Gesamtdosis von 5,9 mSv „berechnet“ hat und zu der Einschätzung gekommen ist, dass die Strahlenbelastung des Klägers nicht den für die allgemeine Bevölkerung geltenden Grenzwert übersteige. Denn für diese pseudogenaue Berechnung fehlen, wie dies der Bericht der Radarkommission überdeutlich klar gemacht hat, jegliche zuverlässigen Messwerte. Die von der Beklagten zulasten des Klägers eingebrachte Messung steht in eklatantem Widerspruch zu den Ausführungen der Radarkommission.

Keiner weiteren Erörterung bedarf die Frage weiterer potentieller Strahlenbelastungen des Klägers durch radioaktive Leuchtfarben oder die Verwendung von Oszilloskopen, die ebenfalls Röntgenstörstrahlung aussenden. Denn diese weiteren Belastungsfaktoren sind angesichts der durch die Arbeit am

NASARR nachgewiesenen Belastung durch Röntgenstörstrahlung nicht mehr entscheidungserheblich. Der Senat braucht sich daher auch nicht damit zu befassen, ob die Beklagte ordnungsgemäß ihrer Mitwirkungspflicht durch die Vorlage nur ihr bekannter Daten und Messwerte nachgekommen ist, was vom Kläger nicht unfundiert in Zweifel gezogen worden ist und auch angesichts des Prozessverhaltens der Beklagten (z. B. Vorlage der teilweise geschwärzten Stellungnahme vom 09.06.2009, Verschweigen von Messdaten, die sich aus dem in den Beklagtenakten enthaltenen Messprotokoll ergeben - Strahlung des Magnetrons auch zur Seite) fraglich erscheint, oder ob die Beklagte gezielt und ausgewählt nur solche Fakten dem Gericht angegeben hat, die sie dem Begehren des Klägers entgegen halten kann.

2.1.2.

Kausalität zwischen Belastung durch ionisierende Strahlung und Nierenzellkarzinom

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. G., der auch Mitglied der Radarkommission war, hat die vorliegenden Unterlagen sorgfältig ausgewertet und ist in seinem Gutachten vom 09.06.2011 mit nachvollziehbarer und überzeugender Begründung zu der Einschätzung gekommen, dass das Nierenzellkarzinom hinreichend wahrscheinlich auf die wehrdienstbedingte Strahlenbelastung des Klägers zurückzuführen ist. Dabei hat er sich u. a. auch mit möglichen Alternativursachen befasst und diese ausgeschlossen. Die aus der Behandlung des Karzinoms resultierenden weiteren Gesundheitsschäden (Entfernung eines Teils des Dickdarms und der Milz) stehen als mittelbare Folgeschäden ebenfalls in einen hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang mit der wehrdienstbedingten Strahlenbelastung.

Diese Beurteilung des Sachverständigen macht sich der Senat zu eigen. Sie steht in Übereinstimmung mit den Festlegungen im Bericht der Radarkommission und den Vorgaben im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 (vgl. Bek. des BMA vom 13.05.1991, BArbBl. 7-8/1991, S. 72 ff.) bzw. der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV (vgl. Bek. des BMAS vom 24.10.2011, Az.: IVa 4-45222-2402, GMBl. 2011, Nr. 49 - 51, S. 983 - 993).

Angesichts der klaren sachverständigen Ausführungen verzichtet der Senat auf weitere Ausführungen zum Gutachten und verweist auf die dortigen Erläuterungen. Die sachverständige Einschätzung wird im Übrigen auch vom versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten (Stellungnahme des Dr. J. vom 18.09.2003) geteilt und hat auch Eingang in den ersten Entwurf eines Beschwerdebescheids vom November 2003 gefunden, dem aus hier nicht nachvollziehbaren Gründen von der Wehrbereichsverwaltung Süd die Zustimmung versagt worden ist.

Sofern die Beklagte Einwendungen gegen dieses Gutachten erhebt, kann sich der Senat dem nicht anschließen:

- Wenn die Beklagte bereits vor Erteilung des Gutachtensauftrags

o dem Gericht mit Schreiben vom 26.11.2008 mitgeteilt hat, dass sie mit der Einholung eines Gutachtens bei Prof. Dr. G. „nicht einverstanden“ sei, da er „sehr spezielle Ansichten“ vertrete,

o zudem mit Schreiben vom 23.02.2009 das Gericht darüber informiert hat, dass die Bundeswehr „diesem Gutachten nicht folgen“ werde, und

o schließlich mit Schreiben der „Schwerpunktgruppe Radar“ vom 16.06.2010 diesem Sachverständigen pauschal jegliche fachliche Eignung abgesprochen hat,

sind diese Einwände nicht ansatzweise nachvollziehbar und nicht auf Fakten gestützt, sondern beruhen ausschließlich auf sachfremden Unterstellungen, Mutmaßungen und subjektiven Meinungsäußerungen von Vertretern der Beklagten, wie sie in einem gerichtlichen Verfahren keinen Raum haben können. Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass der Sachverständige Mitglied der Radarkommission war. Ihm angesichts dieser Berufung fehlende Sachkenntnis zu unterstellen, überrascht und würde auch die Kompetenz der Beklagten in Gestalt des Bundesministeriums der Verteidigung, das die Radarkommission eingesetzt hat, massiv in Frage stellen. Der Senat kann sich die unsachliche Vorabkritik der Beklagten am Sachverständigen daher nur so erklären, dass, soweit dem Senat bekannt ist, dieser im Zusammenhang mit der Erstellung des Berichts der Radarkommission bemängelt hat, dass die Bundeswehr nur unzureichend Materialien zur Verfügung gestellt habe. Allein aus dieser Kritik, die der Senat im Übrigen aufgrund der in diesem Verfahren gemachten Erfahrungen - so musste er auf eine am 15.03.2012 erbetene Stellungnahme zwei Jahre warten, wobei die Stellungnahme erst nach Einschaltung des Präsidenten des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr abgegeben worden ist und nicht einmal ganze sechs Seiten umfasst hat - nicht für fernliegend hält und die im Übrigen auch dem Bericht der Radarkommission selbst zu entnehmen ist (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 25: „Die von der Kommission erbetenen Informationen ... konnten von der Bundeswehr nicht geliefert werden.“), eine fehlende Sachkunde des Sachverständigen abzuleiten, ist mehr als fernliegend. Im Übrigen hat sich der von der Beklagten vorweg erhobene Vorwurf auch nicht nach Vorlage des Gutachtens bestätigt. Dafür, aus dem in diesem Verfahren erstellten Gutachten auf eine fehlende Sachkunde oder gar eine Parteilichkeit des Sachverständigen zu schließen, gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt. Die Vorwürfe und Vorhaltungen der Beklagten entbehren insofern jeglicher sachlicher Grundlage und können nur auf rein subjektiven Gründen beruhen. Ob und wenn ja welche weiteren Gründe für die objektiv nicht haltbare Ablehnung des Sachverständigen durch die Beklagte bestehen, hat die Beklagte nicht offengelegt, so dass nur unsachliche und damit nicht äußerungsfähige Gründe vermutet werden können. Bezeichnend ist jedenfalls, dass sich die Beklagte gehütet hat, den Sachverständigen formal wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, was sich aufgrund ihres Vortrags aufgedrängt hätte. Letztlich können die nicht offengelegten wahren Gründe der Beklagten mangels Entscheidungsrelevanz dahingestellt bleiben.

- Der Vortrag der Beklagten dahingehend, dass die Entstehung eines Nierentumors durch den Bericht der Radarkommission ausgeschlossen sei, findet in diesem Bericht keine Stütze; im Übrigen ist die Behauptung eines (generellen) Ausschlusses eines Ursachenzusammenhangs auch nachweislich falsch. An keiner Stelle in diesem Bericht ist ausgeführt, dass ein Nierenzellkarzinom nicht durch ionisierende Strahlung verursacht sein könnte. Vielmehr ist sowohl im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 1991 als auch in der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 die Niere ausdrücklich unter den strahlenempfindlichen Organen in Hinsicht auf die Verursachung maligner Erkrankungen aufgelistet.

- Sofern die Beklagte argumentiert, das Nierenzellkarzinom könne schon deshalb nicht durch die wehrdienstliche Tätigkeit des Klägers verursacht sein, weil sich die Nieren nicht in dem nach dem Bericht der Radarkommission strahlungsexponierten Körperbereich befunden hätten, ist dies falsch. Es liegt der Eindruck sehr nahe, dass die Beklagte die einschlägigen Vorgaben des Berichts der Radarkommission falsch darstellt, um berechtigte Ansprüche des Klägers abzuwehren.

Nach dem Bericht der Radarkommission ist bei der Tätigkeit am NASARR davon auszugehen, dass sich „Kopf und Teile des Oberkörpers direkt im nach oben gerichteten Strahlenbündel befanden“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 46). Diese Formulierungen können aber nicht - wie dies die Beklagte möchte - dahingehend interpretiert werden, dass bei der Arbeit am NASARR nur eine Exposition in den obersten Teilen des Oberkörpers vorgelegen haben kann. Ein derartiger Ausschluss lässt sich weder dem Bericht der Radarkommission entnehmen noch findet er eine Stütze im (detaillierteren) Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR. Im Übrigen verkennt die Beklagte auch, dass der Radarbericht die Formulierung „Teile des Oberkörpers“ nur in Zusammenhang mit einer ganz bestimmten Tätigkeit am NASARR verwendet, nämlich bei den „langwierigen Einstellarbeiten des Sender-Magnetrons“ (vgl. S. 46 des Berichts).

- Wenn die Beklagte durch den Leiter der Strahlenmessstelle Dr. S. in der Stellungnahme vom 21.02.2014 vorträgt, die Strahlung am NASARR sei einzig und allein nach oben gerichtet gewesen und es habe sich um ein eng umgrenztes Strahlenbündel gehandelt, was durch Röntgenfilme dokumentiert sei, ist auch diese Behauptung nachweislich falsch und verschweigt Erkenntnisse, wie sie die Beklagte selbst gewonnen, dokumentiert und vorgelegt hat.

Aus den Messwerten, wie sie im Teilbericht NASARR (dort Tabelle 2 auf S. 5) dokumentiert sind, ergibt sich zweifelsfrei eine nicht unerhebliche, vom Magnetron des NASARR zur Seite gerichtete Strahlung. Es mag zwar durchaus richtig sein, dass das Magnetron (gezielt) nach oben strahlt und dieses Strahlenbündel vergleichsweise punktgenau ist. Daneben kann aber nicht, wie dies durch die Beklagte erfolgt, verdrängt werden, dass auch zur Seite eine Strahlenbelastung erfolgt.

Auch der Bericht der Radarkommission widerlegt die Behauptung der Beklagten einer ausschließlich nach oben erfolgenden eng umgrenzten Strahlung. So wird dort (vgl. S. 59 des Berichts) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Arbeit auf der Testbank durch Reflexionen an metallischen Flächen (z. B. Fenster- und Türrahmen) erhebliche Strahlenbelastungen und Grenzwertüberschreitungen um 100% auftreten können, ohne dass dafür Fehler an den Radargeräten vorliegen hätten müssen. Gerade in Reparaturhallen ist nach dem Bericht der Radarkommission (vgl. S. 61 des Berichts) wegen der erhöhten Reflexion von einem hohen Risiko einer Überexposition auszugehen. Neben der seitlich aus dem Magnetron austretenden Strahlung gab es daher auch infolge Reflexionen erhebliche Strahlenbelastungen außerhalb des eng nach oben gerichteten Strahlenbündels des Magnetrons.

Wenn dazu der Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. mit Schreiben vom 21.02.2014 behauptet, dass die Annahme des Klägers, das Magnetron habe auch zur Seite gestrahlt, nicht bewiesen sei, kann dies in Anbetracht der vorgenannten Ausführungen sowohl im Bericht der Radarkommission als auch im Teilbericht NASARR nur als wahrheitswidriger Vortrag bezeichnet werden. Ob und inwieweit angesichts eines derartigen Verhaltens auch weitere Angaben der Beklagten nicht nur in diesem gerichtlichen Verfahren genauerer Nachprüfung bedürfen, sei an dieser Stelle mangels Entscheidungserheblichkeit dahingestellt.

Ebenso sieht es der Senat als irreführend und nachweislich falsch an, wenn durch den Leiter der Strahlenmessstelle vorgetragen wird, es sei ein Irrtum des Klägers, wenn dieser meine, dass die Röntgenstrahlung oder Röntgenstörstrahlung des NASARR nicht streng und definierbar gebündelt würde, und dies mit dem Hinweis darauf begründet wird, dass es ohne diese strenge Bündelung keine Computertomographie mit der heute erreichten Bildqualität gebe. Vom heutigen (!) Stand der Computertomographie auf die Belastung eines militärisch vor über 40 Jahren genutzten Geräts zu schließen, ist fernab jeglicher Nachvollziehbarkeit. Dies gilt umso mehr, als der erste kommerzielle Computertomograph zur klinischen Anwendung erst im Jahr 1972, also zu einer Zeit, als der Kläger schon als Radarmechaniker arbeitete, in Betrieb genommen worden ist (vgl. Jach, Einsatz der Dosismodulation in der Mehrschicht-Computertomographie der Kopf-/Halsregion, Diss. 2008, S. 13) und die damaligen Geräte im Vergleich zu heutigen Geräten eine nur sehr eingeschränkte Funktionalität hatten. Im Übrigen suggeriert der Vortrag des Dr. S., dass neben dieser gezielten Strahlung keine andere Strahlung vorhanden gewesen wäre. Dies ist aber - wie bereits erläutert - nachweislich nicht richtig.

- Fast grotesk mutet das Argument des Leiters der Strahlenmessstelle Dr. S. an, wenn er mit dem an der Antenne angebrachten Hinweis „HANDS OFF“ suggerieren will, dass damit die Gefährlichkeit des Geräts durch ionisierende Strahlung zum Ausdruck gebracht würde und daher die Arbeiten mit entsprechend großem Abstand zum Gerät durchgeführt worden wären. Der Hinweis „HANDS OFF“ kann sich nämlich nicht auf eine Strahlenexposition beziehen, sondern nur darauf, dass die Antenne aus mechanischen Gründen nicht zu berühren sei. Dies ergibt sich zwingend aus dem Inhalt des Warnhinweises, der ein Berühren verhindern will. Das Berühren der Antenne an sich ist aber völlig ungefährlich, solange der Kontakt nicht in dem Austrittsort der nach dem Vortrag des Dr. S. enggebündelten Strahlung erfolgt. Wenn schon ein Hinweis auf radioaktive Strahlung erfolgen hätte sollen, hätte dieser ganz anders lauten müssen; „HANDS OFF“ wäre in diesem Fall ein völlig untauglicher Hinweis gewesen. Im Übrigen - auch das ist dem Bericht der Radarkommission zu entnehmen - ist offenbar erst in der von der Radarkommission als zweite Phase ab 1976 bezeichneten Zeit dem bis dahin völlig vernachlässigten Strahlenschutz auch durch entsprechende Arbeitsanweisungen Rechnung getragen worden (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 9, 23, 130). Dies beweist, dass mit „HANDS OFF“ zumindest in der ersten Phase, in der der Kläger auch tätig war, keinesfalls vor Röntgenstörstrahlung gewarnt wurde. Im Übrigen hat die Bundeswehr zwar auch schon bis Mitte der 70er Jahre Strahlenwarnzeichen - die nicht mit dem Hinweis „HANDS OFF“ verwechselt werden dürfen - verwendet, wobei sich diese Warnzeichen nicht auf Röntgenstrahlung bezogen haben (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 9). Die Behauptungen des Dr. S. stehen zu diesen Ausführungen im Bericht der Radarkommission in einem konträren und sachlich nicht ansatzweise erklärbaren Widerspruch.

- Wenn der Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. die Strahlenexposition des Klägers dadurch als kleiner erscheinen lassen will, dass er es als nicht ersichtlich bezeichnet, warum bestimmte Arbeitsschritte mit eingeschaltetem Magnetron erfolgen hätten müssen, mag diese Fragestellung aus heutiger Sicht berechtigt sein. Zu der Zeit, in der der Kläger als Radarmechaniker tätig war (ab 1971), spielte der Strahlenschutz in der täglichen Praxis der Bundeswehr aber keine (wesentliche) Rolle (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 130). Auch die Radarkommission hat in diesem Zusammenhang bei der Ermittlung der Exposition bei Arbeiten am NASARR deshalb empfohlen, „vorrangig Angaben der Antragsteller zu ihren individuellen Tätigkeiten ... zugrunde zu legen“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 47). Der Senat folgt daher auch den Angaben des Klägers im Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 03.06.2013, in dem er sich dezidiert zu den Arbeitsbedingungen geäußert hat; irgendeinen Grund, den Angaben des Klägers nicht zu folgen, kann der Senat nicht erkennen, da die Angaben des Klägers in sich schlüssig und angesichts der zur Zeit der belastenden Tätigkeit vorliegenden Erkenntnisse zur Gefährlichkeit und dem damals auch von Seiten des Arbeitgebers Bundeswehr fehlenden Problembewusstseins zum Thema Röntgenstörstrahlung plausibel sind und nicht ansatzweise ein Hinweis darauf erkennbar ist, dass sich der Kläger durch falsche Angaben einen versorgungsrechtlichen Vorteil verschaffen möchte. Wenn die Beklagte suggerieren will, dass der Kläger die Arbeiten nicht bei eingeschaltetem Radarsender durchgeführt habe, steht dies im Übrigen auch im Widerspruch zu den Ausführungen im Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR (dort vgl. S. 9). Danach ist es für den Senat nachgewiesen, dass, um eine beste Einsatzfähigkeit des NASARR zu erhalten, die meiste Zeit mit hoher Sendeleistung gearbeitet worden ist, zumal von der Gefährlichkeit des Magnetrons damals nichts bekannt gewesen war.

- Das medizinische Argument, das die Beklagte durch einen Nichtmediziner vorgetragen hat, nämlich dass ein Nierentumor nicht strahlungsbedingt entstanden sein könne, weil die Niere nicht Teil des Oberkörpers sei, ist durch die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen und durch medizinische Standardwerke widerlegt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Nierentumor an der höher gelegenen linken Niere und dort am oberen Pol entstanden ist, also an der absolut betrachtet obersten, also kopfnächsten Stelle der Nieren.

Dass die Beklagte von der anatomisch unrichtigen Annahme ausgeht, dass die Nieren im Beckenbereich gelegen seien, entnimmt der Senat auch der Stellungnahme des Dr. S. vom 04.09.2006. Dieser hat im Rahmen der Frage, ob der Nierentumor des Klägers strahlenbedingt sein könne, darauf hingewiesen, dass auch bei einem körperlich größeren Techniker der Bereich des Beckens nicht gegenüber Röntgenstörstrahlung exponiert werden könne.

- Aber selbst dann, wenn dem Beklagten bezüglich seiner falschen Argumentation zur Niere gefolgt würde und damit davon auszugehen wäre, dass die Niere in einem grenzwertig strahlenexponierten Körperbereich liegen würde, würde dies nach den expliziten Feststellungen im Bericht der Radarkommission (vgl. dort S. 47) einer Anerkennung nicht entgegen stehen, da die Kommission der Auffassung ist, „dass für alle Tätigkeiten, für die eine Exposition aller Körperpartien geometrisch betrachtet nicht sicher auszuschließen ist, die Annahme, dass das erkrankte Organ einer Strahlenexposition ausgesetzt war, die durch die maximale Ortsdosisleistung bestimmt wird, die einzig mögliche Grundlage einer Dosisabschätzung darstellt.“ Da eine Nierenexposition - auch nach der Argumentation der Beklagten - nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist die maximale Ortsdosisleistung als Strahlungsbelastung zugrunde zu legen. Wenn dies die Beklagte dadurch in Abrede stellen will, dass sie den Bericht der Radarkommission insofern nicht zur Kenntnis nehmen will, wirkt dies zumindest befremdlich und legt - zum wiederholten Mal - den Eindruck nahe, dass der Tatsachenvortrag der Beklagten sehr selektiv und daran orientiert erfolgt, was ihr bei der Abwehr von Ansprüchen nützlich sein könnte.

- Wenn die Beklagte zum Ende des Berufungsverfahrens die Anerkennung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung dadurch abzuwehren versucht, dass sie durch den Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. mit Schreiben vom 21.02.2014, dessen Anfertigung rund zwei Jahre gedauert hat, vortragen lässt, dass die Energie der Röntgenstrahlung nicht ausreiche, an den Nieren eine Dosis zu erzielen, ist auf Folgendes hinzuweisen: Zunächst verwundert es, dass ein Nichtmediziner der Bundeswehr meint, über so große Fachkunde auf medizinischem Gebiet zu verfügen, dass er diese medizinische Frage zu beantworten vermag. Der ärztliche Sachverständige Prof. Dr. G., dessen medizinische Sachkunde für den Senat außer Zweifel steht, hat dies ganz anders eingeschätzt; diese ärztlichsachverständige Einschätzung macht sich der Senat zu eigen. Auch der Versorgungsarzt der Beklagten Dr. J. hat in einer vermeintlich nicht ausreichenden Eindringtiefe in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003 kein Problem gesehen. Insofern ist die (gewissermaßen fachfremde) Äußerung des Dr. S. ein erneuter Beleg für eine mit großen Vorbehalten zu sehende Vorgehensweise der Beklagten. Dass die Behauptung des Dr. S. auf der Basis medizinischer Erkenntnisse nicht nachvollziehbar ist, ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass die Nieren sowohl im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 1991 als auch in der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 ausdrücklich unter den strahlenempfindlichen Organen in Hinsicht auf die Verursachung maligner Erkrankungen aufgelistet wird.

- Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies noch Entscheidungsrelevanz hätte, weist der Senat darauf hin, dass es in vergleichbaren Fällen von Radarmechanikern am Flugzeug F-104 - von der Beklagten unwidersprochen - zu Anerkennung eines Nierentumors, eines Hodentumors und auch von Knochenkrebs am Oberschenkel gekommen ist. Würde der jetzigen Argumentation der Beklagten gefolgt, hätte es zu solchen Anerkennungen nie kommen können.

2.2. Schilddrüsenadenom mit daraus resultierender Teilentfernung der Schilddrüse und Schilddrüsenüberfunktion

Das Schilddrüsenadenom mit daraus resultierender Teilentfernung der Schilddrüse und die Schilddrüsenüberfunktion sind als Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn der o. g. Alternative 4 (vgl. oben Ziff. 1 a.E.) anzuerkennen.

2.2.1. Potentiell schädigender Vorgang

Die ionisierende Strahlung (Röntgenstörstrahlung), der der Kläger im Rahmen seines Wehrdienstes als Radarmechaniker/-meister ausgesetzt war (vgl. dazu oben Ziff. 2.1.1.), hat auch potentiell schädigende Wirkung auf die Schilddrüse in dem Sinn, dass dadurch die Bildung gutartiger Schilddrüsentumore (Adenome) verursacht werden kann, wie die im Gutachten des Prof. Dr. G. vom 09.06.2011 angeführten Studien zeigen.

2.2.2. Kausalität zwischen Belastung durch ionisierende Strahlung und Adenom der Schilddrüse

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. G. hat die vorliegenden Unterlagen sorgfältig ausgewertet und ist in seinem Gutachten vom 09.06.2011 mit nachvollziehbarer und überzeugender Begründung zu der Einschätzung gekommen, dass das Adenom sowie die Schilddrüsenüberfunktion zwar nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, aber doch im Sinn der Kannversorgung gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG auf die wehrdienstbedingte Strahlenbelastung des Klägers zurückzuführen sind. Der aus der Behandlung des Adenoms resultierende weitere Gesundheitsschaden (Teilentfernung der Schilddrüse) steht als mittelbarer Folgeschaden in einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang mit der Adenomoperation und damit mit der wehrdienstbedingten Strahlenbelastung.

Diese Beurteilung des Sachverständigen macht sich der Senat zu eigen. Sie steht in Einklang mit den rechtlichmedizinischen Voraussetzungen der Kannversorgung.

Es ist unstrittig, dass bezüglich der Entstehung gutartiger Tumore der Drüsen, hier des Schilddrüsenadenoms, in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit in dem Sinn besteht, dass es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern allenfalls verschiedene ärztliche Lehrmeinungen zur Entstehungsursache gibt. Dies ist auch dem Gutachten des Prof. Dr. G. zu entnehmen, wenn dieser potentielle Ursachen sowie zwei Studien benennt, die ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko des Auftretens von gutartigen Schilddrüsentumoren aufzeigen. Eine einheitliche Lehrmeinung hat sich bis heute nicht entwickelt. Aufgrund dieser Studien und den dort entwickelten Kriterien ist nach den Ausführungen des Sachverständigen davon auszugehen, dass das Adenom des Klägers infolge der Strahlenbelastung entstanden ist. Dies bedeutet, dass nach zumindest einer, den Studien zugrunde liegenden Lehrmeinung, die noch nicht als einheitliche Lehrmeinung anerkannt ist, das Adenom des Klägers und die Schilddrüsenüberfunktion hinreichend wahrscheinlich auf die wehrdienstliche Strahlenbelastung zurückzuführen sind. Die Voraussetzungen der Kannversorgung sind damit gegeben.

Bedenken, der Einschätzung des Sachverständigen zu folgen, hat der Senat nicht:

- Der Bewertung des Sachverständigen steht nicht entgegen, dass der Bericht der Radarkommission eine Anerkennung von gutartigen Tumoren nicht explizit vorsieht. Wenn die Beklagte suggeriert, dass durch die Nichterwähnung gutartiger Tumore im Bericht der Radarkommission belegt sei, dass eine Anerkennung derartiger Erkrankungen überhaupt nicht, auch nicht im Weg der Kannversorgung, in Betracht gezogen werden dürfe, ist diese Argumentation falsch und verschleiert den Grund, warum im Bericht der Radarkommission gutartige Tumore nicht thematisiert worden sind. Es ist allgemein bekannt, dass sich die Radarkommission angesichts des großen Zeitdrucks allein auf bösartige Tumore und Katarakte beschränkt hat, ohne damit irgendeine Aussage zur Kausalität anderer Erkrankungen zu treffen.

- Die Tatsache, dass in den früher geltenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in der letzten Fassung vom Jahr 2008 zu gutartigen Geschwülsten (vgl. AHP 2008 Nr. 142.5) darauf hingewiesen wird, dass diese „im allgemeinen nicht durch äußere Einwirkungen verursacht“ werden, steht der Anerkennung des Adenoms im Rahmen der Kannversorgung nicht entgegen. Ganz abgesehen davon, dass die AHP mangels Gesetzeskraft einen derartigen Ausschluss überhaupt nicht konstituieren hätten können, sind sie durch die jetzt geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen abgelöst worden, die überhaupt keine Auflistung von im Weg der Kannversorgung anerkennungsfähiger oder auszuschließender Erkrankungen enthalten. Zudem belegt gerade die Formulierung „im allgemeinen“ in den AHP, dass ein allumfassender Ausschluss einer Anerkennungsfähigkeit gerade nicht gegeben ist. Wenn die Beklagte in diesem Zusammenhang weiter mit Stellungnahme vom 01.09.2011 argumentiert, dass „Ausnahmen bzgl. der Schilddrüsenadenome ... in den AHP nicht genannt“ würden, daher deren Ätiologie nicht ungeklärt sei und daher die Kannversorgung keine Anwendung finde, gibt es für diese Begründung in den AHP nicht ansatzweise eine Stütze; vielmehr verfälscht diese Argumentation die Vorgaben der AHP eklatant. Die Beklagte verschweigt völlig, dass in den AHP für gutartige Geschwülste überhaupt keine Ausnahmen explizit aufgezeigt sind. Aus der fehlenden positiven Erwähnung eines Schilddrüsenadenoms kann daher nicht der Rückschluss gezogen werden, dass mit der Nichterwähnung ein Ausschluss verbunden wäre, wenn die AHP auf der anderen Seite auf die Möglichkeit hinweisen, dass eine Kannversorgung nur im Allgemeinen nicht in Betracht kommt, was aber gerade die Möglichkeit einer Anerkennung im - zugegebenermaßen eher seltenen - Einzelfall beinhaltet. Zudem darf auch nicht übersehen werden, dass die Formulierung in AHP 2008 Nr. 142.5 sämtliche „äußeren Einwirkungen“ umfasst, also neben der durch ionisierende Strahlung auch die zahlreichen anderen Möglichkeiten wie z. B. mechanischer Art. Dass es insofern „im allgemeinen“, d. h. zumindest in der deutlich überwiegenden Zahl der Fälle, nicht zu einer Anerkennung kommen dürfte, ist naheliegend, kann aber nicht dahingehend interpretiert werden, dass es bei Strahlenbelastung zu keiner Anerkennung als Schädigungsfolge im Rahmen der Kannversorgung kommen könne. Außerdem wird in der wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „auch benigne Tumore“ als strahlenbedingte Spätschäden in Betracht kommen. Dieser aktuellen, zumindest schon drei Jahre lang bundesministeriell „abgesegneten“ Erkenntnis verschließt sich die Beklagte.

- Der Sachverständige hat seine Annahme eines Zusammenhangs im Sinn der Kannversorgung durch die Angabe von Studien belegt, die ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für die Entstehung gutartiger Schilddrüsentumore durch ionisierende Strahlung belegen, und darauf hingewiesen, dass der Halsbereich des Klägers ohne jeden Zweifel - dies bestreitet selbst die Beklagte nicht - einer entsprechenden Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen ist. Diese wissenschaftlich fundierte und überzeugende Argumentation des Sachverständigen, die sich der Senat zu Eigen macht, erschüttern die dagegen mit Schreiben der Beklagten vom 01.09.2011 vorgebrachten Behauptungen nicht ansatzweise. Wenn dem Gutachter entgegen gehalten wird, dass er seine Beurteilung nicht „auf der Grundlage der von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese“ abgegeben, sondern sich nur auf zwei „vereinzelte Studien“ gestützt habe, in denen „Hinweise auf mögliche Zusammenhänge gegeben“ seien, und damit „methodische Fehler“ konstruiert werden sollen, gehen diese Vorwürfe als unzutreffend ins Leere. Die Beklagte verkennt völlig, dass es für die Heranziehung der Kannversorgung zwingende Grundvoraussetzung ist, dass sich eine herrschende wissenschaftliche Lehrmeinung noch nicht herausgebildet hat; denn anderenfalls dürfte die Zusammenhangsbeurteilung ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhangs erfolgen. Dem Sachverständigen, der aufgezeigt hat, dass es bezüglich der Entstehung gutartiger Tumore (noch) keine herrschende medizinische Lehrmeinung gibt, methodische Fehler zu unterstellen, kann daher nur mit einer elementaren Unkenntnis der Voraussetzungen der Kannversorgung oder einer gezielt irreführenden Argumentation, die der Senat der Beklagten nicht unterstellen möchte, begründet werden. Dass die Beklagte der vom Gesetzgeber eröffneten Kannversorgung grundsätzlich ablehnend gegenüber steht, möchte der Senat der Beklagten ebenfalls nicht unterstellen. Sollte dies gleichwohl der Fall sein, könnte der Interessenlage der Beklagten nur der Gesetzgeber durch die Abschaffung der Kannversorgung Rechnung tragen, nicht aber die Judikative im Rahmen der Anwendung geltender Gesetze.

Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies noch von weiterer Entscheidungsrelevanz wäre, weist der Senat darauf hin, dass auch im Internet für jedermann zugänglich Veröffentlichungen zu finden sind, die sich mit der bislang medizinisch nicht abschließend geklärten Frage der Verursachung gutartiger Tumore befassen und dabei auch auf die Studienlagen Bezug nehmen (vgl. z. B. die Hinweise von Schmitz-Feuerhake, Die Induktion gutartiger Tumore durch ionisierende Strahlung - ein vernachlässigtes Kapitel von Strahlenrisikobetrachtungen, in: Strahlentelex, Nr. 548-549, 05.11.2009), wobei es der Senat dahingestellt lässt, von welcher wissenschaftlichen Qualität die genannte Veröffentlichung ist.

Der Zustimmungsvorbehalt des § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG steht einer gerichtlichen Anerkennung auch ohne konkrete oder allgemeine Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nicht entgegen. Denn bei der Zustimmung handelt es sich lediglich um einen verwaltungsinternen Vorgaben, den das Gericht bei seiner Entscheidung zu prüfen oder zu ersetzen hat (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1969, Az.: 8 RV 469/67; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.11.2001, Az.: L 10 VS 44/98).

3. Der Vollständigkeit halber: Keine Verurteilung wegen eines heißen Knotens

Der Kläger verfolgt die Anerkennung eines heißen Knotens der Schilddrüse als Folge einer Wehrdienstbeschädigung nicht mehr weiter. Der Senat weist daher lediglich der Vollständigkeit halber auf Folgendes hin:

Eine Verurteilung der Beklagten wegen eines heißen Knotens der Schilddrüse käme schon deshalb nicht in Betracht; weil eine derartige Erkrankung lediglich in Form einer Verdachtsdiagnose in den Raum gestellt worden ist, nicht aber in dem für eine Anerkennung erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen ist. Dass insofern (derzeit noch) keine Zuständigkeit der Beklagten bestünde, da sich eine solche Erkrankung keinesfalls während der Dienstzeit manifestiert hätte (vgl. Urteil des Senats vom 26.01.2012, Az.: L 15 VS 10/08; BSG, Urteil vom 29.04.2010, Az.: B 9 VS 2/09 R), ist von keiner weiteren rechtlichen Bedeutung. Die Frage, ob der Beigeladene verurteilt werden könnte, würde sich daher ebenfalls nicht stellen.

4. Keine Feststellungen zum Grad der Schädigung

Feststellungen zum Grad der Schädigung hat der Senat nicht zu treffen, da sich der Antrag des rechtskundig vertretenen Klägers ausdrücklich auf die Anerkennung der Schädigungsfolgen beschränkt.

5. Keine weiteren Ermittlungen erforderlich

Weitere Ermittlungen, insbesondere eine Inaugenscheinnahme eines Luftfahrzeugs F-104 G waren nicht angezeigt. Mit dem Bericht der Radarkommission, den vorliegenden Angaben zur Tätigkeit des Klägers und dem eingeholten Gutachten ist eine umfassende Entscheidungsgrundlage zur Bewertung der Strahlenexposition des Klägers und der gesundheitlichen Auswirkungen gegeben.

Nicht für die Entscheidung relevant ist es daher, dass der Senat große Zweifel daran hat, dass die Durchführung von Messungen an einem Luftfahrzeug F-104 G, was beklagtenseits in der Stellungnahme des Dr. S. vom 21.02.2014 in den Raum gestellt worden ist, überhaupt gerichtsverwertbare Erkenntnisse bringen könnte. Soweit öffentlich zugänglichen Quellen zu entnehmen ist, wurde das Luftfahrzeug F-104 G bei der Bundeswehr am 22.05.1991 ausgemustert. Wenn in Ausbildungseinrichtungen oder Museen noch Exemplare dieses Flugzeugs vorhanden sind, dürften sich diese allesamt in einem demilitarisierten Zustand befinden. Dies würde bedeuten, dass vor der Durchführung von Messungen die im Rahmen der Demilitarisierung entfernten Bauteile, insbesondere auch das Magnetron, wieder in das Flugzeug einzubauen wären. Dass die anschließend angefertigte Konfiguration dem Zustand des Flugzeugstyps entsprechen würde, an dem der Kläger in den 1970er und 1980er Jahren tätig war, hält der Senat für sehr ungewiss. Denn es ist bekannt, dass es beispielsweise beim Magnetron, von dem der wesentliche Teil der (potentiell) schädigenden Strahlung ausgegangen ist, verschiedene Ausführungen mit sicherlich auch nicht immer identischen Strahlungsverhältnissen gegeben hat (vgl. S. 46 des Radarberichts). Da weder aus den Akten ersichtlich ist, an welchen Ausführungen des Magnetrons der Kläger gearbeitet hat, noch klar ist, ob die damaligen Ausführungen überhaupt noch verfügbar sind, zudem auch zu klären wäre, ob die heute noch vorhandenen Ausführungen des Magnetrons im Weg der frühestens ab Mitte der 1970er Jahr begonnenen Strahlenschutzmaßnahmen umgearbeitet worden sind, kann sich der Senat nur schwer vorstellen, dass sich die den Kläger betreffende Strahlenbelastung realitätsnah reproduzieren lassen würde. In diesem Zusammenhang muss der Senat auch darauf hinweisen, dass er jedenfalls wegen des Vorgehens des Beklagten, hier insbesondere in Form der Person des Leiters der Strahlenmessstelle der Bundeswehr, im vorliegenden Fall nicht unerhebliche Bedenken haben würde, sich auf alle Angaben des Beklagten bedenkenlos zu verlassen. Dazu würde insbesondere die Frage gehören, ob das für eine potentielle Messung von der Beklagten zur Verfügung gestellte Luftfahrzeug tatsächlich der Ausführung entsprechen würde, an dem der Kläger gearbeitet hat, auch wenn dies von Seiten der Strahlenmessstelle so behauptet würde.

Diese Bedenken begründen sich wie folgt:

Die Beklagte hat beispielsweise mit Schreiben vom 26.11.2008 an das SG Folgendes ausgeführt:

„... bleibe ich bei der schon bisher von der Wehrbereichsverwaltung Süd vertretenen Auffassung, dass von diesem Radargerät die Strahlung nur nach oben austreten konnte. ... Außerdem ergibt sich das aus der Stellungnahme des Herrn Dr. S., Leiter der Arbeitsgruppe Radar/Strahlenmessstelle der Bundeswehr ... vom 4. September 2006, in der Beschwerdeakte, Blatt 25.“

Ähnlich hat auch der Leiter der Strahlenmessstelle Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 21.02.2014 im Berufungsverfahren argumentiert, wenn er sich zum Einwand des Klägers, es habe auch eine Strahlung zur Seite gegeben, geäußert hat:

„Der Umkehrschluss, dass damit eine Emission des Magnetrons auch in seitlicher Richtung bewiesen wäre, gilt damit aber nicht. Die Radarkommission ... kam bei der Emissionsrichtung zum Ergebnis, dass die Emission der Röntgenstörstrahlung nach oben erfolgte.“

Der Senat kann, wie bereits oben erläutert, aufgrund des Akteninhalts nur davon ausgehen, dass diese Auskünfte falsch oder so verfälscht gegeben worden sind, dass entscheidende Gesichtspunkte von Seiten der Mitarbeiter der Beklagten verschwiegen worden sind. Dabei bezieht sich der Senat einerseits auf Unterlagen in den Verwaltungsakten der Beklagten, andererseits auf den Bericht der Radarkommission. So wird in der Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 25.02.2003 zwar auf die senkrecht nach oben austretende Röntgenstörstrahlung hingewiesen, gleichwohl ist bei den dokumentierten Messwerten auf S. 2 dieser Stellungnahme auch eine Röntgenstörstrahlung zur Seite (in einem Abstand von 5 cm zum Gerät - Anmerkung: einziger Messabstand) aufgeführt, wobei diese Strahlung der Höhe nach nicht vernachlässigbar ist, beträgt sie doch fast ein Drittel der Abstrahlung nach oben in derselben Entfernung und sogar das Neunfache im Vergleich zu der Abstrahlung nach oben in einer Entfernung von 30 cm. Entsprechendes ergibt sich auch aus dem Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR (vgl. dort S. 5, Tabelle 2). Schließlich wird im Radarbericht der Bundesregierung zum Radargerät NASARR darauf hingewiesen, dass bei den Wartungs- und Reparaturarbeitsplätzen durch Leckagen und auch durch Reflexionen der über die Antenne abgestrahlten Mikrowellen an metallischen Flächen erhebliche Grenzwertüberschreitungen auftreten können (vgl. S. 46 des Berichts); dies hat die Kommission durch eigene Messungen überprüft. Sowohl aus den eigenen Messungen der Beklagten als auch dem Bericht der Radarkommission ergibt sich damit die wiederholte Unrichtigkeit des Vortrags der Beklagten. Ausgehend von der nicht ganz fernliegenden Annahme, dass dies wider besseres Wissen erfolgt ist, wären Zweifel an der Richtigkeit der technisch zutreffenden Ausgangsbasis (rekonstruiertes Flugzeug für die Messungen) für weitere durchzuführende Messungen nicht völlig auszuschließen. Weitergehende Überlegungen und Ausführungen erübrigen sich jedoch, da es auf derartige Messungen im vorliegenden Verfahren überhaupt nicht mehr ankommt.

Mangels Entscheidungserheblichkeit muss sich der Senat auch nicht mit der Frage auseinander setzen, ob es tatsächlich nur eine einzige Messung zum NASARR gibt oder ob noch weitere Untersuchungen vorliegen, die von der Beklagten nur aus nicht näher nachvollziehbaren Gründen nicht vorgelegt werden, was im Rahmen der Beweislast zu würdigen wäre.

Zum Abschluss weist der Senat darauf hin, dass er sich sehr wohl des Gewichts und der Bedeutung der am prozessualen Vorgehen der Beklagten geübten Kritik bewusst ist, für das er gute Gründe gehabt hat. Er steht aber mit einer derartigen objektiven gerichtlichen Kritik nicht allein, wie sie beispielsweise auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein in seinem Beschluss vom 13.09.2012, Az.: 3 LB 21/11 - den das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 10.04.2014, Az.: 2 B 36/13, bestätigt hat - wie folgt zum Ausdruck gebracht hat:

„Hierüber hat die Beklagte jahrelang keine konsequente Überprüfung durchgeführt, den Kläger nicht informiert und auch der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Ermittlung erschwert.“

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG). Insbesondere sind keine Fragen grundsätzlicher Art zu klären. Vielmehr basiert die Entscheidung allein auf einer Einzelfallbeurteilung, die mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung des konkreten Falls zu treffen war.

(1) Wehrdienstbeschädigung ist eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.

(2) Eine Wehrdienstbeschädigung ist auch eine gesundheitliche Schädigung, die herbeigeführt worden ist durch

1.
einen Angriff auf den Soldaten
a)
wegen seines pflichtgemäßen dienstlichen Verhaltens,
b)
wegen seiner Zugehörigkeit zur Bundeswehr oder
c)
bei Kriegshandlungen, Aufruhr oder Unruhen, denen er am Ort seines dienstlich angeordneten Aufenthalts im Ausland besonders ausgesetzt war,
2.
einen Unfall, den der Beschädigte
a)
auf einem Hin- oder Rückweg erleidet, der notwendig ist, um eine Maßnahme der Heilbehandlung, eine Badekur, Versehrtenleibesübungen als Gruppenbehandlung oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 26 des Bundesversorgungsgesetzes durchzuführen oder um auf Verlangen einer zuständigen Behörde oder eines Gerichts wegen der Beschädigtenversorgung persönlich zu erscheinen,
b)
bei der Durchführung einer der unter Buchstabe a aufgeführten Maßnahmen erleidet,
3.
gesundheitsschädigende Verhältnisse, denen der Soldat am Ort seines dienstlich angeordneten Aufenthalts im Ausland besonders ausgesetzt war.

(3) Zum Wehrdienst im Sinne dieser Vorschrift gehören auch

1.
die Teilnahme an einer dienstlichen Veranstaltung im Sinne des § 81 Absatz 2 des Soldatengesetzes,
2.
die mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Dienstreisen und die dienstliche Tätigkeit am Bestimmungsort,
3.
die Teilnahme eines Soldaten an dienstlichen Veranstaltungen,
4.
Nebentätigkeiten im öffentlichen Dienst oder in dem ihm gleichstehenden Dienst, zu deren Übernahme der Soldat gemäß § 20 Absatz 7 des Soldatengesetzes in Verbindung mit § 98 des Bundesbeamtengesetzes verpflichtet ist, oder Tätigkeiten, deren Wahrnehmung von ihm im Zusammenhang mit den Dienstgeschäften erwartet wird, sofern der Soldat hierbei nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert ist (§ 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch).

(4) Als Wehrdienst gilt auch

1.
das Erscheinen zur Feststellung der Wehrdienstfähigkeit, zu einer Eignungsuntersuchung und Eignungsfeststellung oder im Rahmen der Wehrüberwachung auf Anordnung einer zuständigen Dienststelle,
2.
das Zurücklegen des mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle.
Der Zusammenhang mit dem Wehrdienst gilt als nicht unterbrochen, wenn der Soldat
1.
von dem unmittelbaren Wege zwischen der Wohnung und der Dienststelle in vertretbarem Umfang abweicht,
a)
um ein eigenes Kind, für das ihm dem Grunde nach Kindergeld zusteht, wegen seiner eigenen Berufstätigkeit oder der Berufstätigkeit seines Ehegatten in fremde Obhut zu geben oder aus fremder Obhut abzuholen oder
b)
weil er mit anderen berufstätigen oder in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg zu und von der Dienststelle benutzt, oder
2.
in seiner Wohnung Dienst leistet und Wege zurücklegt, um ein Kind im Sinne des Satzes 2 Nummer 1 Buchstabe a in fremde Obhut zu geben oder aus fremder Obhut abzuholen.
Hat der Soldat wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung vom Dienstort oder wegen der Kasernierungspflicht am Dienstort oder in dessen Nähe eine Unterkunft, so gelten Satz 1 Nummer 2 und Satz 2 auch für den Weg zu und von der Familienwohnung.

(5) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(6) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums der Verteidigung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(7) Für die Feststellung einer gesundheitlichen Schädigung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung nach Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2623) in der jeweils geltenden Fassung sind auch den Versicherungsschutz nach § 2, § 3 oder § 6 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch begründende Tätigkeiten zu berücksichtigen, wenn sie ihrer Art nach geeignet waren, die Krankheit zu verursachen, und die schädigende Einwirkung überwiegend durch dienstliche Verrichtungen nach Absatz 1 verursacht worden ist.

(8) Eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte gesundheitliche Schädigung gilt nicht als Wehrdienstbeschädigung.

Tenor

I.

Der Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2011 und der Bescheid vom 17. April 2003 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 19. März 2008 werden aufgehoben.

II.

Die Beklagte wird verurteilt, das Nierenkarzinom und den aus der operativen Behandlung resultierenden Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmteils infolge eines Nierenkarzinoms sowie das Schilddrüsenadenom und die Schilddrüsenüberfunktion als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen.

III.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig sind die nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) festzustellenden Schädigungsfolgen.

Der im Jahr 1951 geborene Kläger war bis zum März 2004 Berufssoldat bei der Bundeswehr.

Von 1971 bis 1987 arbeitete der Kläger zunächst als Radarmechaniker, zuletzt als Radarmechanikermeister am Flugzeug F-104 G (sog. Starfighter), das mit dem Vorwärtssichtradar NASARR ausgestattet war. Mit WDB-Blatt vom 05.11.2002 machte er eine Struma Grad II bis III und ein Nierenzellkarzinom als Schädigungsfolgen geltend. Die Erkrankungen waren im Jahr 1988 (teilweise Entfernung der Schilddrüse bei Adenom) bzw. 1995 operativ behandelt worden. Im Zusammenhang mit der Nephrektomie im November 1995 kam es zu einer im Januar 1996 diagnostizierten Darmperforation und zum Verlust der Milz.

Der Beklagte zog den Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR bei. Darin wurden Expositionswerte gegenüber ionisierender Strahlung im Bereich von Kopf und Oberkörper, Unterarmen und Händen aufgeführt.

Die Wehrbereichsverwaltung - öffentlichrechtliche Aufsicht für Arbeitssicherheit und technischen Umweltschutz - Bereich Bayern - äußerte sich mit Schreiben vom 25.02.2003 zu der beim Kläger stattgehabten Exposition wie folgt:

Die Emission der Röntgenstörstrahlung am Vorwärtssichtradar NASARR erfolge an der Mikrowellenauskopplung des Magnetrons in senkrechter Richtung nach oben in einem räumlich eng begrenzten Strahlenbündel, was durch Röntgenfilmbelichtungen festgestellt worden sei. Wegen der gleichen Anbauweise des NASARR in Radartestbänke finde sich diese nach oben gerichtete Abstrahlcharakteristik auch dort. Zusätzlich zu der Röntgenstörstrahlung habe noch eine Exposition gegenüber ionisierender Strahlung durch radioaktive Leuchtfarbe im Cockpit bestanden. Bei der Berechnung der Ersatzdosis sei unter Zuhilfenahme des Teilbereichs der Arbeitsgruppe strikt nach Aktenlage vorgegangen worden, da infolge der vorgegebenen Bearbeitungszeit ein Befragen des Betroffenen nicht möglich gewesen sei. Damit ergebe sich eine effektive Gesamtdosis für alle Berufsjahre (01.04.1971 bis 31.03.1987) von 5,9 mSv. Der Grenzwert für die allgemeine Bevölkerung sei damit nicht überschritten. Für nichtionisierende Strahlung lägen bislang keine wissenschaftlich allgemein anerkannten Erkenntnisse darüber vor, dass sie Krebserkrankungen auslösen könnten.

Das Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr führte in seiner versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 28.03.2003 aus, dass die ermittelte Gesamtdosis von 5,9 mSv zu gering sei, um in eine versorgungsmedizinische Diskussion über die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs oder über eine Kannversorgung einzutreten. Bei der Schilddrüsenerkrankung sei eine Strahlenverursachung nach dem derzeitigen Kenntnisstand von vornherein nicht anzunehmen.

Mit Bescheid vom 07.04.2003 lehnte es die Beklagte ab, den Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmanteils durch operative Entfernung aufgrund Nierenkarzinom und einen Schilddrüsenteilverlust durch operative Entfernung aufgrund Schilddrüsenerkrankung als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn des § 81 SVG anzuerkennen. Der Kläger sei zwar als Luftfahrzeugfeuerleitradarmechniker/-meister an dem Flugzeugradar NASARR Röntgenstrahlung und radioaktiver Leuchtfarbe ausgesetzt gewesen. Die Gesamtdosis von 5,9 mSv reiche aber für eine gesundheitliche Schädigung nicht aus, da eine den Grenzwert von 1 mSv pro Jahr übersteigende Lebenszeitdosis nicht erreicht werde. Ein ursächlicher Zusammenhang mit Strahlenbelastungen sei daher auszuschließen.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 05.05.2003 Beschwerde ein. Er bat, den Bescheid nach Vorlage des Ergebnisses der Radarkommission noch einmal zu prüfen und ggf. zu korrigieren.

Am 18.09.2003 äußerte sich Dr. J. vom Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr im Rahmen einer Überprüfung gemäß den Kriterien der Radarkommission - der Bericht war am 02.07.2003 vorgelegt worden - in einer ergänzenden versorgungsmedizinischen gutachtlichen Stellungnahme wie folgt: Der Kläger sei von 1971 bis 1987 an Radargeräten der Bundeswehr tätig gewesen. Es sei in Abänderung früherer Ausführungen nunmehr als glaubhaft zu unterstellen, dass er einer Belastung relevanten Ausmaßes durch ionisierende Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Diese sei grundsätzlich als kanzerogen anzusehen. In Abänderung der Stellungnahme vom 28.03.2003 werde daher vorgeschlagen, den Nierentumor als Schädigungsfolge anzuerkennen. Bei einem Schilddrüsenadenom sei gemäß den derzeitigen medizinischwissenschaftlichen Erkenntnissen eine Strahlenverursachung von vornherein nicht anzunehmen.

In einem ersten Entwurf des Beschwerdebescheids vom November 2003 wurde eine Anerkennung von Schädigungsfolgen entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. J. vom 18.09.2003 vorgeschlagen. Diesem Entwurf wurde jedoch durch die Wehrbereichsverwaltung Süd die Zustimmung versagt, weil nach dem Bericht der Radarkommission (dort S. 46) nur eine Teilkörperexposition des Oberkörpers in Betracht komme, nicht jedoch der Nieren.

Dazu befragt, ob bei einer Körpergröße des Klägers von 1,85 m und einer unterstellten Bestrahlung des Oberkörpers auch eine Bestrahlung des Beckenbereichs damit auch der Nieren in Betracht komme, hat die Strahlenmessstelle Nord der Bundeswehr, Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar (Dr. S.), mit Schreiben vom 04.09.2006 in einem Satz mitgeteilt, dass Einbauort der Störstrahler und Austrittsrichtung der Röntgenstörstrahlung am NASARR so seien, dass auch für einen körperlich größeren Techniker der Bereich des Beckens nicht gegenüber Röntgenstörstrahlung exponiert werden könne.

Mit Beschwerdebescheid vom 19.03.2008 wurde die Beschwerde des Klägers gegen den Bescheid vom 17.04.2003 zurückgewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der vom Kläger geltend gemachten Krebserkrankung und der Schilddrüsenerkrankung sei nicht wahrscheinlich. Zwar gehöre die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit zu den qualifizierenden Tätigkeiten im Sinn des Berichts der Radarkommission und es liege auch eine der qualifizierenden Erkrankungen aufgrund ionisierender Strahlung vor (maligne Tumore). Die Radarkommission habe jedoch in ihrem Bericht als weiteres Kriterium festgestellt, dass eine Anerkennung ausgeschlossen werden könne, falls die Bundeswehr nachweise, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten könnten, die das erkrankte Organ nicht betroffen hätten.

Dagegen hat der Kläger am 09.04.2008 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben. Die Klage ist wie folgt begründet worden: Im Rahmen seiner wehrdienstlichen Tätigkeit sei der Kläger einer ionisierenden Strahlung ausgesetzt gewesen, die als Röntgenstörstrahlung und/oder radioaktive Strahlung durch Leuchtfarben auftreten könne. Im vorliegenden Fall sei sowohl eine Röntgenstörstrahlung als auch eine radioaktive Strahlung aus Leuchtfarben zu berücksichtigen. Daneben sei der Kläger auch nichtionisierender Strahlung ausgesetzt gewesen. Die Bevollmächtigten haben auf den Bericht der Radarkommission vom 02.07.2003 hingewiesen. Die Beklagte könne gerade nicht nachweisen, dass nur Teilkörperexpositionen aufgetreten seien, die das erkrankte Organ nicht betroffen hätten. Damit sei eine Anerkennung als Wehrdienstbeschädigung auszusprechen. Die Radarkommission habe in ihrem Bericht vom 02.07.2003 gerade nicht bestätigt, dass vom NASARR ausschließlich an einer eng begrenzten Stelle Röntgenstörstrahlung ausgetreten sei. Die Beklagte habe vielmehr Messungen durchgeführt und dabei festgestellt, dass sich aufgrund der Vielzahl der Arbeiten, die am NASARR zu verrichten gewesen seien, gerade nicht ausschließen lasse, dass sich ein bestimmter Körperteil in der Röntgenstörstrahlung bewege. Dieses ergebe sich aus Messungen des Herrn G., der lange selbst am NASARR gearbeitet habe. Eine qualifizierende Erkrankung liege vor. Der Bericht der Radarkommission sei ein antizipiertes Sachverständigengutachten, welches bei Vorliegen der Kriterien für die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung eine Verpflichtung der Beklagten begründe, die Erkrankung des Klägers als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen. Einzige Öffnungsklausel für die Beklagte sei, wenn die Beklagte nachweise, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten könnten, die das erkrankte Organ nicht betreffen würden. Die Beklagte habe somit einen Entlastungsbeweis zu führen. Genau dieser Entlastungsbeweis sei der Beklagten nicht gelungen. Der Zusammenhang zwischen ionisierender Strahlung und der Krankheit des Klägers sei medizinisch anerkannt. Es sei eine WDB-Anerkennung zumindest im Sinn einer Kannversorgung auszusprechen.

Im Schreiben vom 26.11.2008 hat die Beklagte in Erwiderung zur Klagebegründung darauf hingewiesen, dass eine nichtionisierende Strahlung höchstens zu einer Trübung der Augenlinse führen könne. Durch radiumhaltige Leuchtfarbe könnten nur Knochenkrebs oder Lungenkrebs verursacht werden. Die Röntgenstörstrahlung des Radargeräts NASARR trete nur nach oben aus. Dies ergebe sich aus dem Bericht der Radarkommission, Seite 46, zudem aus der Stellungnahme des Dr. S.. Mit Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Prof. Dr. G., den der Kläger vorgeschlagen hatte, sei sie nicht einverstanden.

Mit Beschluss vom 28.11.2008 ist die Beiladung des Trägers der Versorgungsverwaltung erfolgt.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schreiben vom 06.02.2009 darauf hingewiesen, dass es falsch sei, dass die Röntgenstörstrahlung vom Radargerät NASARR nur nach oben austreten könne. Die bisherigen Feststellungen der Beklagten, auch des

Dr. S., seien falsch. Die Radarkommission habe auf Basis dieser Angaben den Bericht verfasst. Die Beklagte habe zwischenzeitlich Messungen mit Hilfe von Herrn G. durchführen lassen. Diese Messungen seien erst im Jahr 2008 durchgeführt worden und hätten ergeben, dass sich aufgrund der Vielzahl der Arbeiten, die am NASARR zu verrichten gewesen seien, gerade nicht ausschließen lasse, dass sich ein bestimmter Körperteil in der Röntgenstörstrahlung bewege.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 23.02.2009 mitgeteilt, dass sie aller Voraussicht nach einem Gutachten, das Herr Prof. Dr. G. erstellen würde, nicht folgen werde. Im Übrigen hat sie auf eine neue Stellungnahme des Dr. S. vom 19.02.2009 verwiesen, wonach weitere Messungen zur Emission von Röntgenstörstrahlung im Jahr 2008 nicht mehr stattgefunden hätten; es sei lediglich eine Diskussion verschiedener Arbeitsschritte erfolgt, ohne dass das Radargerät bei diesem Termin in Betrieb genommen worden wäre.

Mit Schreiben vom 16.06.2009 hat die Beklagte die Kopie einer - teilweise abgedeckten, also nicht lesbaren - Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung West - Strahlen - vom 09.06.2009 vorgelegt, wonach die Belastung durch radioaktive Leuchtfarbe ausgesprochen gering gewesen sei. Dem von den Bevollmächtigten des Klägers in den Raum gestellten Sachverständigen Prof. Dr. G. ist in dieser Stellungnahme vorgeworfen worden, dass er in einem anderen Verfahren „seine Kompetenzen als medizinischer Sachverständiger bei Weitem überschritten“ habe. Im Übrigen ist die Argumentation der Bevollmächtigten des Klägers teilweise als „unsinnig“ bezeichnet worden. Die teilweise Abdeckung der übersandten Stellungnahme hat die Beklagte damit begründet, dass darin eine Auseinandersetzung mit möglichen politischen Folgen von Fehlern enthalten sei.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 11.01.2010 einen Aktenvermerk vom 22.12.2009 übermittelt, dem u. a. zu entnehmen ist, dass eine Konfliktlösung bei Begutachtung durch Prof. Dr. G. nicht zu erwarten sei. In einem weiteren Aktenvermerk vom 16.06.2010. hat sich die Beklagte mit den Körperhaltungen bei der beruflichen Tätigkeit des Klägers auseinander gesetzt. Weiter hat sie sich dahingehend geäußert, dass der Gesundheitsschaden im „Unterleib“ vorliege. Schließlich hat sie sich erneut umfassend zu der aus ihrer Sicht fehlenden Kompetenz und Neutralität des Prof. Dr. G. geäußert.

Am 09.06.2011 hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Prof. Dr. G. ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage erstellt. Der Sachverständige hat darin Folgendes ausgeführt:

Beim Kläger sei im Oktober 1988 die Operation einer vergrößerten Schilddrüse durchgeführt worden; dabei habe sich ein sogenannter ausgebrannter kalter Knoten gefunden. Am 02.12.1995 sei eine Operation zur Entfernung der linken Niere wegen eines Tumors durchgeführt worden. Postoperativ seien Komplikationen entstanden, die in einem Bauchhöhlenabszess kumuliert hätten. Bei der deswegen erforderlichen Nachoperation am 08.01.1996 seien die Milz, der querliegende Schenkel des Dickdarms und der absteigende Schenkel des Dickdarms entfernt und ein künstlicher Darmausgang gelegt worden. Am 23.02.1996 sei der künstliche Darmausgang verschlossen worden. Aktuell habe der Kläger mitgeteilt, dass bei einer Kontrolluntersuchung im Bundeswehrkrankenhaus U. in der Schilddrüse ein sogenannter heißer Knoten entdeckt worden sei. Heiße Knoten in der Schilddrüse seien verdächtig auf ein Schilddrüsenkarzinom.

Zur Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung hat der Sachverständige Folgendes erläutert: Die Schwerpunktgruppe Radar habe am 16.06.2010 ausgeführt, dass zwar der Oberkörper gegenüber der Störstrahlung am NASARR exponiert gewesen sei, nicht jedoch der Bereich des Beckens, auch nicht bei einem körperlich größeren Techniker. Weiter sei von der Schwerpunktgruppe Radar ausgeführt worden, dass die „Nieren-Becken-Region“ nicht exponiert habe werden können. Der Begriff „Nieren-Becken-Region“ sei - so der Sachverständige - in der Medizin unbekannt. Es sei zu vermuten, dass die Lage der Nieren von der Schwerpunktgruppe Radar irgendwo im Bereich des menschlichen Beckens angenommen worden sei. Als Oberkörper des Menschen werde in der Medizin derjenige Teil des Körpers bezeichnet, der nach unten durch die Rippenbögen der 11. und 12. Rippe begrenzt werde. Bei der ärztlichen Untersuchung am stehenden Patienten sei es unmöglich, den oberen Nierenpol oder gar die Nebennieren zu tasten, weil lediglich der untere Teil der Niere nach unten die Rippenbögen überrage. Ganz zweifellos sei deshalb die Region des Körpers, in dem sich der obere Pol der Niere befinde, dem Oberkörper zuzurechnen. Die Lungenflügel würden nach unten zum Bauchraum durch das Zwerchfell abgegrenzt, das sich ähnlich einer Kuppel an die Unterseite der Lungenflügel anschmiege. Von unten würden in diese Kuppel die Bauchorgane hinein ragen, auf der rechten Seite die obere Hälfte der Niere hinten, auf der linken Seite hinten die oberen Teile der Niere und Milz. Die linke Niere des Menschen liege in der Regel höher als die rechte. Da der Tumor am oberen Pol der linken Niere entstanden sei, bestehe auch kein Zweifel, dass dieser Teil der linken Niere als Teil des Oberkörpers zu betrachten sei, obgleich er anatomisch zur Bauchhöhle gehöre. Bei der Beurteilung einer möglichen Strahlenexposition komme es nicht auf die Zugehörigkeit zur Brusthöhle oder zur Bauchhöhle an, sondern darauf, ob durch die Lokalisation des oberen Nierenpols eine Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung aus einen NASARR möglich gewesen sei oder nicht. Wenn bei den vom Kläger durchgeführten Tätigkeiten eine Exposition des Oberkörpers stattgefunden habe, wie von der Schwerpunktgruppe Radar offenkundig angenommen werde, dann sei der obere Pol der linken Niere des Klägers mit Sicherheit durch Röntgenstörstrahlung betroffen worden. Eine Diskussion einer möglichen Exposition gegenüber radioaktiver Leuchtfarbe sei nicht erforderlich, weil nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft kein Zusammenhang zu der Entwicklung eines Nierenzellkarzinoms angenommen werden könne. Der Kläger sei während der sogenannten Phase I (zwischen 1971 und 1975) in qualifizierender Tätigkeit an Radargeräten beschäftigt gewesen. Er sei damit einem höheren Risiko für Krebserkrankungen als die allgemeine Bevölkerung ausgesetzt gewesen. Wie ausgeführt, sei seine Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung als kausaler Risikofaktor für die Entstehung des bei ihm 1995 entdeckten Nierenzellkarzinoms zu betrachten. Das Nierenzellkarzinom sei hinreichend wahrscheinlich durch die Tätigkeit als Radarmechaniker verursacht.

Auch der Schilddrüsenbefund des Klägers sei der früheren Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung zuzuordnen. Es gebe eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, die als Folge der Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen das Auftreten von gutartigen Schilddrüsentumoren (sog. Adenome) gefunden hätten. Auf entsprechende Untersuchungen hat der Sachverständige hingewiesen. Da der Hals des Klägers zweifelsfrei der Röntgenstörstrahlung ausgesetzt gewesen sei, sei auch die Schilddrüsenerkrankung der Exposition zuzuordnen. Möglichen Einwänden, dass die Radarkommission sich nicht zu gutartigen Tumoren als Folge der Exposition gegenüber ionisierenden Strahlungen geäußert hätte, sei entgegen zu halten, dass sich die Radarkommission wegen des extremen Zeitdrucks vor allem den Krebserkrankungen gewidmet habe.

Als Schädigungsfolgen seien anzuerkennen: Nierenzellkarzinom, postoperative schwere Infektion der Bauchhöhle, Entfernung großer Teile des Dickdarms und der Milz, Schilddrüsenüberfunktion, heißer Knoten der Schilddrüse.

Die Beklagte hat sich zu diesem Gutachten mit einer (nichtärztlichen) Stellungnahme vom 01.09.2011 wie folgt geäußert: Die Ausführungen des Prof. Dr. G. zur Exposition des Oberkörpers seien nicht nachvollziehbar. Wenn auf Seite 46 des Berichts der Radarkommission „Kopf und Teile des Oberkörpers“ als vom direkt nach oben gerichteten Strahlenbündel erreichbar genannt würden, so seien damit ganz sicher nicht die untersten Teile des Oberkörpers gemeint. Somit sei die Nierenregion nicht als ein diesem Strahlenbündel exponierter Körperteil anzusehen, selbst wenn man sie noch zum Oberkörper zähle. Damit sei das Ausschlusskriterium „Teilkörperexposition, die das erkrankte Organ nicht betraf“ erfüllt. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen stochastischen Strahlenwirkungen und dem Auftreten des Schilddrüsenadenoms sei nicht gegeben. Zwar sei eine Anerkennung nach den Kann-Bestimmungen in Betracht zu ziehen, wenn zumindest eine qualifizierte Möglichkeit des ursächlichen Zusammenhangs bestehe. Hinsichtlich gutartiger Geschwülste heiße es jedoch in den Anhaltspunkten, dass diese im Allgemeinen nicht durch äußere Einwirkungen verursacht würden. Ausnahmen bezüglich der Schilddrüsenadenome würden in den Anhaltspunkten nicht genannt. Somit sei deren Ätiologie nicht ungeklärt und die Kann-Bestimmungen fänden keine Anwendung. Auch das Recht der Berufskrankheiten sehe die Anerkennung eines Schilddrüsenadenoms nicht vor. Der Bericht der Radarkommission sehe bezüglich nicht maligner Erkrankungen lediglich für Augenlinsentrübungen (Katarakte) eine Anerkennung wegen der Einwirkung ionisierender Strahlung vor. Die gutachterliche Bewertung des Prof. Dr. G. zum Schilddrüsenadenom beruhe nicht auf den Entscheidungsempfehlungen im Bericht der Radarkommission und sei auch nicht mit sonstigen im sozialen Entschädigungsrecht maßgeblichen antizipierten Gutachten (Anhaltspunkte, Berufskrankheiten-Verordnung) in Einklang zu bringen. Die vom Sachverständigen zitierten Studien an Überlebenden der Atombombenangriffe in Japan hätten für das vorliegende Verfahren überhaupt keine Bewandtnis. Die Studien seien schon lange vor der Radarkommission veröffentlich worden. Dem Gutachten würden jegliche Hinweise auf eine relevante Risikoerhöhung im vorliegenden Einzelfall fehlen. Bezüglich des heißen Knotens der Schilddrüse handle es sich nicht um eine Schilddrüsenvergrößerung durch das gutartige Adenom (kalter Knoten). Außer dem telefonischen Hinweis des Klägers gebe es überhaupt keinen Beweis für das Vorliegen weiterer Schilddrüsenveränderungen. Bereits im Beschwerdeverfahren sei geprüft worden, inwieweit eine auf einer Erhöhung stehende und sich dabei noch vorbeugende Person durch das Strahlenbündel des NASARR getroffen werden könne. Diese Prüfung habe ergeben, dass aufgrund biomechanischer Aspekte bei einer Vorbeugung von Kopf und Oberkörper der Bauchbereich daran gehindert sei, sich nennenswert in die gleiche Richtung zu bewegen. Somit bestehe bei dem Einbauort des Magnetrons und der Austrittseinrichtung seiner Störstrahlung selbst bei einem 1,85 m großen Techniker für den Thoraxbereich keine Expositionsmöglichkeit.

Einer weiteren (nichtärztlichen) Stellungnahme des Dr. S. vom 26.08.2011 ist die Ansicht zu entnehmen, dass selbst dann, wenn eine Bestrahlung des Beckenbereichs stattgefunden hätte, die Exposition der Nieren durch die Abschwächung der Strahlung durch das übrige Körpergewebe weitgehend reduziert gewesen wäre.

Ein heißer Knoten wurde - so auf Nachfrage des SG das Bundeswehrkrankenhaus U. - bei einer Untersuchung im Jahr 2011 nicht dokumentiert.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.10.2011 ist die Klage abgewiesen worden. Ein Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und Nierenzellkarzinom lasse sich nicht herstellen, da nach den Ergebnissen der Strahlenmessstelle der Bundeswehr der Kläger nur hinsichtlich des oberen Teils des Oberkörpers der Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Ein Gesundheitsschaden im Bereich der Nieren könne daher durch Strahlung nicht verursacht werden. Auch die gutartige Schilddrüsenerkrankung sei nicht als Folge einer Wehrdienstbeschädigung festzustellen.

Dagegen haben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 15.11.2011 Berufung eingelegt. Sie haben in ihrer Berufungsbegründung vom 08.03.2012 beanstandet, dass sich das SG im Wesentlichen auf die Ausführungen der Beklagten gestützt habe, ohne sich in ausreichender Weise mit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G. vom 09.06.2011 auseinander zu setzen. Im Übrigen seien die Ausführungen der Beklagten falsch. Auch der Versorgungsarzt Dr. J. sei in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003 davon ausgegangen, dass der Kläger einer Belastung relevanten Ausmaßes durch ionisierende Strahlung ausgesetzt gewesen sei und dadurch der Verlust der linken Niere, der Milz sowie eines Teils des Dickdarms nach der operativen Behandlung eines bösartigen Nierentumors als Wehrdienstbeschädigungsfolge anzuerkennen sei. Es sei auch schlichtweg falsch, wenn die Beklagte behaupte, die Nieren lägen nicht im Bereich des Oberkörpers, sondern im Becken. Die Bevollmächtigten haben dies mit Hinweis auf medizinische Literatur belegt. Damit sei die Behauptung der Beklagten, die Nieren des Klägers seien nicht von der ionisierenden Strahlung betroffen gewesen, nicht haltbar, weil sie anatomisch falsch sei. Prof. Dr. G. habe zudem darauf hingewiesen, dass der Tumor am oberen Pol der linken Niere entstanden sei, die sich im Oberkörper befinde und somit auch von der Röntgenstörstrahlung getroffen worden sei. Dies habe die Beklagte völlig unsubstantiiert bestritten. Bekannt sei, dass die Strahlung des Feuerleitradars des Starfighters F-104 sehr gefährlich gewesen sei. Es sei nicht möglich und auch nicht beweisbar, zentimetergenau die Abstrahlungscharakteristik der Strahlung zu definieren, wie dies der Beklagte behaupte. Die Röntgenstörstrahlung würde vom Entstehungsort ausstrahlen und sei kein streng gebündelter kontrollierter Laserstrahl. Außerdem habe der Beklagte verschwiegen, dass auch seitlich am Magnetron Röntgenstörstrahlung austrete, wie sich aus Seite 5, Tabelle II des Teilberichts NASARR vom 24.02.2002 ergebe. Am 18.07.1979 sei an einer Testbank in L. eine Messung durchgeführt worden, die die Abstrahlcharakteristik der Röntgenstrahlung am Krümmer des Magnetrons dargestellt habe. In diesem Bericht sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass diese Feststellungen nur für das untersuchte Gerät und das eingebaute Magnetron gelten würden, es aber bekannt sei, dass in NASARR verschiedene Magnetrons verwendet worden seien, die sich hinsichtlich der Störstrahlung erheblich unterscheiden würden. Eine Messung an einsatzklaren Luftfahrzeugen habe der Beklagte nie vorgenommen. Auch eine Messung am Starfighter, an dem der Kläger gearbeitet habe, könne der Beklagte nicht vorlegen. Aufgrund des Berichts vom 18.07.1979 sei jedoch eindeutig klar, dass einzelne Messergebnisse nicht verallgemeinert werden könnten, weil die Strahlung bei jedem Gerät anders gewesen sei. Das SG habe auch jede eigene Feststellung zu der Frage, wo sich die Niere befinde und ob diese beim Kläger von ionisierender Strahlung getroffen worden sei, unterlassen. Nach den eigenen Feststellungen der Beklagten wäre die Erkrankung des Klägers als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen; die einzige Ausrede des Beklagten sei, dass sich die Niere nicht im Oberkörper befinde. Diese Behauptung sei durch das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. G. eindeutig widerlegt. Das SG habe nicht erläutert, warum es dem eingeholten Gutachten nicht gefolgt sei. Bezüglich der Schilddrüsenerkrankung habe das SG eine Anerkennung abgelehnt mit Hinweis auf den Bericht der Radarkommission, wonach nur maligne Tumore als Wehrdienstbeschädigung in Frage kämen, die Schilddrüsenerkrankung des Klägers aber gutartig sei. Der Bericht der Radarkommission werde von der Beklagten lediglich so ausgelegt, als ob nur die darin genannten Erkrankungen von ionisierender oder nicht ionisierender Strahlung hervorgerufen werden könnten und alle weiteren Erkrankungen nicht. Dies sei so nicht richtig und auch nicht Gegenstand der Fragestellung an die Sachverständigenkommission gewesen. Die Ausführungen der Beklagten seien insofern unzutreffend und grob irreführend. Im Übrigen haben die Bevollmächtigten auf einen Vergleichsfall hingewiesen, bei dem ein Hodentumor anerkannt worden sei, obwohl der Betroffene ebenfalls am NASARR gearbeitet habe. Auch bei einem weiteren, namentlich genannten Bundeswehrsoldaten, der ebenfalls am NASARR gearbeitet habe, sei die selbe Erkrankung wie beim Kläger, nämlich der Verlust der rechten Niere nach einem Tumor, anerkannt worden. Der Rechtsstreit berühre Fragen, die in der sozialgerichtlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung noch ungeklärt seien (insbesondere die Frage, ob auch gutartige Tumorerkrankungen als Wehrdienstbeschädigung geeignet sein könnten). Die entsprechenden Bescheide aus den Vergleichsfällen haben die Bevollmächtigten beigelegt.

Zu den Arbeitsbedingungen am Luftfahrzeug haben sich die Bevollmächtigten des Klägers auf Nachfrage des Gerichts mit Schreiben vom 03.06.2013 detailliert geäußert und dargelegt, warum der Oberkörper einer Röntgenstörstrahlung ausgesetzt gewesen sei. Zudem haben sie noch auf weitere Strahlungsquellen hingewiesen, denen der Kläger bei der Arbeit ausgesetzt gewesen sei. So seien z. B. Oszilloskope das wichtigste Messgerät bei der Fehlersuche, Reparatur und Systemabgleichung von Radaranlagen gewesen und hätten eine Strahlenbelastung in Oberschenkelhöhe nach sich gezogen. Von der Gefährlichkeit der Strahlenbelastung habe das Radarpersonal keine Kenntnis gehabt.

Die Beklagte hat sich trotz wiederholter gerichtlicher Erinnerung, unter anderem unmittelbar an den Präsidenten des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr, zum klägerischen Schreiben vom 15.11.2011 erst nach über zwei Jahren mit Schreiben vom 13.03.2014 geäußert. Grund für die erhebliche Verzögerung dürfte nach dem Vortrag der Beklagten gewesen sein, dass die für die Bearbeitung derartiger Fälle gebildete „Schwerpunktgruppe Radar“ offenbar nur mit einem einzigen Fachmann besetzt gewesen war, wobei dieser von der Bundeswehrverwaltung zudem zwischenzeitlich mit einer Projektgruppe zu Organisationsfragen beauftragt worden war (Schreiben der Beklagten vom 20.01.2014).

Im Schreiben vom 13.03.2014 hat die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und auf die aus ihrer Sicht zutreffenden Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung hingewiesen. Zudem ist eine Stellungnahme der Strahlenmessstelle der Bundeswehr (Dr. S.) vom 21.02.2014 vorgelegt worden, in der dieser Folgendes ausgeführt hat: Dass Röntgenstrahlung oder Röntgenstörstrahlung nicht streng und definierbar gebündelt würden bzw. so auftreten könnten, sei ein Irrtum des Klägers. Ohne diese Möglichkeit gäbe es keine Computertomographie mit der heute erreichten Bildqualität. Die Radarkommission sei auf Seite 46 ihres Berichts davon ausgegangen, dass sich Kopf und Teile des Oberkörpers direkt im nach oben gerichteten Strahlenbündel befänden. Die Radarkommission gehe also nicht von einer Exposition des gesamten Oberkörpers aus. Eine Emission des Magnetrons auch in seitlicher Richtung sei nicht bewiesen. Ein Argument für eine Exposition der Nieren ergebe sich daher nicht. Die klägerseitige Behauptung, das Magnetron habe auch zur Seite abgestrahlt, sei nicht bewiesen. Aus der fehlenden Angabe der Emissionsrichtung in einem Messprotokoll ergebe sich nicht zwangsläufig die Emissionsrichtung zur Seite. Die Notwendigkeit, die Kontrolle der Bewegung der Antenne in unmittelbarer Nähe dazu ausführen zu müssen, erschließe sich nicht. An der Antenne befinde sich jedenfalls der Hinweis „HANDS OFF“. Es sei auch nicht ersichtlich, wieso diese Prüfung mit eingeschaltetem Magnetron erfolgen habe müssen. Wenn der Kläger angegeben habe, sich bei der Kontrolle der Dichtheit des Hohlleitersystems über den Radarsender gebeugt zu haben und dass sich dabei Arme und Körper über dem Magnetron befunden hätten, erschließe sich nicht, dass das Magnetron in Betrieb sein habe müssen. Aus den auch klägerseitig als bekannt vorgetragenen Warnungen sei eher zu schließen, dass das Magnetron noch gar nicht erst in Betrieb gewesen sei. Den vom Kläger vorgelegten Fotos sei insgesamt kein Beleg dafür zu entnehmen, dass die Nieren in das senkrecht nach oben austretende Röntgenstörstrahlungsbündel geraten könnten. Sofern im Bericht der Radarkommission die Exposition des Oberkörpers angesprochen sei, spiegle dies die Großzügigkeit der Erfassung der Arbeitsplatz- und Expositionsverhältnisse wider. Im Übrigen sei festzustellen, dass die Energie der Röntgenstrahlung des Magnetrons nicht ausreiche, an den Nieren eine Dosis zu erzielen.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben sich dazu mit Schreiben vom 26.06.2014 geäußert. U. a. haben sie darauf hingewiesen, dass sich der angesprochene Warnhinweis „HANDS OFF“ darauf bezogen habe, dass die Antenne nicht als Abstützung benutzt werde. Sie haben weiter darauf aufmerksam gemacht, dass im Verfahren eines namentlich benannten weiteren Soldaten Knochenkrebs (im Oberschenkel) als verursacht durch die Tätigkeit am NASARR betrachtet worden sei Zum Messbericht vom 07.05.1974 haben sie darauf aufmerksam gemacht, dass der verantwortliche Betriebsschutz der betroffenen Bundeswehr eine dringend erforderliche Nachmessung im Bereich des Magnetrons angemahnt habe. Entscheidend sei, wie die Arbeiten real ausgeführt worden seien und nicht, was technisch sinnvoller gewesen sei. Sie haben sich auch zur Lage der Nieren im Bereich des Oberkörpers geäußert.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 07.07.2014 ist der Beklagten die Abgabe eines Anerkenntnisses nahe gelegt worden. Auf Unstimmigkeiten in der Argumentation des Beklagten ist hingewiesen worden.

Mit Schreiben vom 21.07.2014 hat die Beklagte mitgeteilt, dass sie nicht bereit sei, ein Anerkenntnis abzugeben. Mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - der Senat hatte eine solche im Schreiben vom 07.07.2014 überhaupt nicht in den Raum gestellt - bestehe aber Einverständnis. Dazu haben auch die weiteren Beteiligten mit Schreiben vom 29.07.2014 bzw. 01.08.2014 ihr Einverständnis erklärt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 19.10.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 17.04.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.03.2008 festzustellen, dass das Nierenzellkarzinom und die Struma diffusa mit autonomem Adenom Folge einer Wehrdienstbeschädigung sind.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten, des Beigeladenen und des SG Augsburg beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Gründe

Der Senat hat gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, da die Beteiligten - die Beklagte (ungefragt) mit Schreiben vom 21.07.2014, der Kläger mit Schreiben vom 29.07.2014, der Beigeladene mit Schreiben vom 01.08.2014 - dazu ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Berufung ist zulässig und auch begründet.

Der Gerichtsbescheid des SG Augsburg, mit dem die Entscheidung der Beklagten, die Anerkennung von Schädigungsfolgen abzulehnen, bestätigt worden ist, ist ebenso wie der angegriffene Bescheid aufzuheben. Beim Kläger sind der Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmteils nach Nierenkarzinom sowie der Schilddrüsenteilverlust durch operative Entfernung aufgrund einer Schilddrüsenerkrankung im Sinne eines Adenoms und die Schilddrüsenüberfunktion als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen.

Bei seiner Entscheidung stützt sich der Senat auf das vom SG eingeholte Gutachten des Prof. Dr. G. vom 09.06.2011, der, was das Nierenkarzinom angeht, zu der selben Einschätzung gekommen ist wie der Versorgungsarzt der Beklagten Dr. J. in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003. Das Gutachten ist für den Senat überzeugend; er macht es sich zu eigen. Die sachverständige und die versorgungsärztliche Einschätzung zur Nierenerkrankung stehen auch in Einklang mit den Vorgaben des Berichts der Radarkommission. Auch was die Schilddrüsenerkrankung angeht, schließt sich der Senat der überzeugend begründeten Einschätzung des Prof. Dr. G. an.

Der Sachverständige Prof. Dr. G. hat nachvollziehbar erläutert, dass das Nierenzellkarzinom hinreichend wahrscheinlich auf die Strahlenexposition des Klägers als Radarmechaniker/-meister zurückzuführen ist und die Schilddrüsenerkrankung (Adenom) zumindest im Sinn einer Kannversorgung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen ist. Die sich aus der Behandlung dieser Erkrankungen ergebenden weiteren Gesundheitsschäden stellen mittelbare Folgen der Wehrdienstbeschädigung dar.

Wenn sich die Beklagte diesen sachverständigen bzw. versorgungsärztlichen Erkenntnissen verschließt und dies damit begründet, dass die berufliche Belastung des Klägers mit radioaktiver Strahlung nicht dazu geeignet sei, die vorliegenden Erkrankungen zu verursachen, kann dies nicht überzeugen.

1. Voraussetzungen für die Anerkennung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung - Allgemeines

Eine Wehrdienstbeschädigung ist gemäß § 81 Abs. 1 SVG eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.

Entsprechend den vorgenannten Bestimmungen setzt die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (= „Wehrdienstbeschädigung“) (2. Glied) geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen (= „Folge einer Wehrdienstbeschädigung“) (3. Glied) bedingt. Dabei ist eine trennscharfe Differenzierung zwischen dem 2. und dem 3. Glied oftmals praktisch nicht möglich und daher verzichtbar; auch im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung wird dies so praktiziert.

Die zwei bzw. drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Dies bedeutet, dass kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R). Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG). Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66). Haben mehrere Ursachen zu einem Schaden beigetragen, ist eine vom Schutzbereich des SVG umfasste Ursache dann rechtlich wesentlich, wenn nicht die andere(n), nicht dem Schutzbereich des SVG unterfallende(n) Ursache(n) eine überragende Bedeutung hat (haben) (vgl. Urteil des Senats vom 19.07.2011, Az.: L 15 VS 7/10 - m. w. N. zur Rechtsprechung des BSG) und die vom Schutzbereich des SVG umfasste Ursache nicht völlig in den Hintergrund drängt (drängen) (vgl. Urteil des Senats vom 02.07.2013, Az.: L 15 VS 9/10).

Für unfallunabhängige Gesundheitsstörungen, in denen wesensmäßig die Nachweisführung eines Zusammenhangs aufgrund eines konkreten Anlassereignisses erheblich erschwert ist, bestimmt sich der versorgungsrechtlich geschützte Bereich nach dem SVG nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Dieses unterliegt dem Listenprinzip mit der Öffnungsklausel des § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), wobei hierdurch nur ein Vorgriff auf eine Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) möglich ist (ständige Rspr., vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18.06.2013, Az.: B 2 U 3/12 R).

Bei der Beurteilung unfallunabhängiger Gesundheitsstörungen von Soldaten ist aber zu berücksichtigen, dass die Belastungen im Wehrdienst nicht selten solche sind, die in zivilen Berufen nicht auftreten. Daher wäre es zu kurz gegriffen, sich uneingeschränkt an den unfallversicherungsrechtlichen Vorgaben und Erkenntnissen zu Berufskrankheiten oder berufskrankheitenreifen Erkrankungen zu orientieren. Vielmehr ist der Rechtsgedanke des § 9 Abs. 2 SGB VII dahingehend aufzugreifen, dass von einer „Berufskrankheitenreife“ im soldatenversorgungsrechtlichen Sinn auch dann auszugehen ist, wenn die Krankheit zwar nicht in der Liste der BKV aufgenommen ist, der Dienstherr (= Bundeswehr) aber wegen einer erkannten Gefährdung der Soldaten handeln müsste, wenn es eine explizite Regelung wie die BKV auch für soldatenspezifische Erkrankungen gäbe. Davon ist dann auszugehen, wenn eine Situation gegeben ist, in der bekannt geworden ist, dass bestimmte Einwirkungen, denen Soldaten im Dienst in höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, zur Entwicklung bestimmter Krankheiten beitragen können, für die medizinstatistisch nachgewiesen ist, dass die Zahl der Erkrankungen von Soldaten signifikant höher als in der Allgemeinbevölkerung ist (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Wenn das BSG dies im Urteil vom 11.10.1994, Az.: 9 BV 55/94, dahingehend formuliert hat, dass dafür „besondere außerordentliche Belastungen, die typischerweise nur unter den Bedingungen des Krieges auftreten“, erforderlich wären, ist diese Formulierung missverständlich. Denn eine gesetzliche Grundlage für diese Orientierung am Krieg geben die Regelungen des SVG nicht her; vielmehr wird dort (§ 81 Abs.1 SVG) ausdrücklich auf „die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse“ abgestellt, womit eine Abgrenzung von auch im zivilen Leben vorkommenden Belastungen hergestellt wird. Wehrdiensteigentümliche Verhältnisse sind daher solche, die der Eigenart des militärischen Dienstes entsprechen und im Allgemeinen mit dem Dienst eng verbunden sind. Damit werden all die nicht weiter bestimmbaren Einflüsse des Wehrdienstes erfasst, die aus der besonderen Rechtsnatur des Wehrdienstverhältnisses und der daraus resultierenden Beschränkung der persönlichen Freiheit des Soldaten resultieren (vgl. Lilienfeld, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl. 2012, § 81 SVG, Rdnr. 29). Eine kriegsähnliche Belastung zu verlangen, würde zu weit gehen; ausreichend aber auch erforderlich ist eine Belastung, wie sie im zivilen Leben so nicht oder nicht in vergleichbarem Maß vorkommt. Bei der Abgrenzung zwischen wehrdiensteigentümlichen und zivilen Verhältnissen ist von den normalen Umständen und Verhaltensweisen sowie den durchschnittlichen Gefährdungen im Zivilleben auszugehen (vgl. Sailer, in: Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl. 1992, § 81 SVG, Rdnr. 27; Urteil des Senats vom 02.07.2013, Az.: L 15 VS 9/10).

Zu berücksichtigen als weitere Abweichung vom Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist zudem, dass im Versorgungsrecht der rechtlich wesentliche Kausalzusammenhang zwischen einer Gesundheitsstörung und einem dienstlichen Unfall oder wehrdiensteigentümlichen Belastungen nicht nur mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit hergestellt werden kann, sondern auch die Möglichkeit einer Kannversorgung gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG besteht. Es handelt sich dabei um Fälle, bei denen die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs nur deshalb nicht hergestellt werden kann, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Von Ungewissheit ist auszugehen, wenn es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, Az.: B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, Az.: 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, Az.: 9/9a RV 41/92).

Zusammengefasst bedeutet dies, dass ein unfallunabhängiger Gesundheitsschaden unter folgenden Gesichtspunkten als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden kann:

- Alternative 1: Die Gesundheitsstörung ist in der BKV als Berufskrankheit anerkannt.

- Alternative 2: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht eine sogenannte Berufskrankheitenreife im Sinn des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung.

- Alternative 3: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht eine Berufskrankheitenreife im oben aufgezeigten soldatenversorgungsrechtlichen Sinn.

- Alternative 4: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht über die Ursache des Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit, es gibt aber wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung, die die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs positiv vertritt.

2. Zu den hier im Raum stehenden Erkrankungen:

2.1. Nierenzellkarzinom mit Folgeerkrankungen

Das durchgemachte Nierenzellkarzinom mit den sich daraus ergebenden Folgeschäden (Verlust der linken Niere, Verlust der Milz und eines Teils des Dickdarms) ist als Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn der o. g. Alternative 1 anzuerkennen.

2.1.1. Potentiell schädigender Vorgang

Der Kläger war im Rahmen seines Wehrdienstes ionisierender Strahlung (Röntgenstörstrahlung) in einem Umfang ausgesetzt, der potentiell kanzerogene Wirkung hat.

Der Kläger arbeitete von 1971 bis 1987 zunächst als Radarmechaniker, dann als Radarmechanikermeister am Flugzeug F-104 G, das mit dem Vorwärtssichtradar NASARR ausgestattet war.

Bei dieser Tätigkeit war der Kläger in so erheblichem Umfang ionisierender Strahlung ausgesetzt, dass eine für die Verursachung einer Krebserkrankung als ausreichend anzusehende Strahlenbelastung im Sinn der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV vorgelegen hat. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus den Ausführungen des Berichts der vom Bundesministerium der Verteidigung auf Ersuchen des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags einberufenen Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der NVA (Radarkommission) vom 02.07.2003. Die strahlenbelastende Tätigkeit des Klägers fällt im Umfang von fast vier Jahren in den von der Radarkommission als Phase I (bis Ende 1975) bezeichneten Zeitraum, in dem „eine belastbare Dosisrekonstruktion aufgrund von Messdaten praktisch unmöglich ist“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23) und in der auch weitgehend keine Strahlenschutzmaßnahmen getroffen worden sind. Daran hat sich (ab 1976) eine Zeit angeschlossen, „in der die Zahl der Messungen deutlich anstieg und in der erste Strahlenschutzmaßnahmen durchgeführt wurden“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23), so dass ab dieser Zeit eine prinzipielle Dosisabschätzung möglich ist, sofern eine ausreichende Zahl von Messungen vorliegt, was aber vorliegend, d. h. betreffend das NASARR, nicht der Fall zu sein scheint, wenn die Angaben der Beklagten zugrunde gelegt werden, wonach nur eine einzige Messung durchgeführt worden sein soll. Dabei hat die Radarkommission aber auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in dieser zweiten Phase nach wie vor alte Systeme, d. h. ohne Strahlenschutz, weiter eingesetzt worden sind und dieser Zustand teilweise weit bis in die 80er Jahre hinein angehalten hat, was insbesondere auch für das NASARR gilt, an dem der Kläger eingesetzt war (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23). So gibt es offenbar nur ein einziges Messprotokoll zum NASARR aus dem Jahr 1974 (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 22). Die Radarkommission hat zudem darauf hingewiesen, dass gerade dann, wenn nur wenige Messwerte vorliegen, „eine Unterschätzung nicht auszuschließen ist“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 24).

Ausgehend von diesen Ausführungen im Bericht der Radarkommission, der als antizipiertes Sachverständigengutachten betrachtet werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 02.10.2008, Az.: B 9 VS 3/08 B - m. w. N.) ist eine potentiell schädigende Strahlenbelastung im Vollbeweis nachgewiesen.

Dies hat letztlich auch die Beklagte zugestanden, wenn sie ab der Überprüfung nach Vorlage des Berichts der Radarkommission im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ihre Ablehnung nicht mehr auf eine angeblich nicht ausreichende Strahlenbelastung gestützt hat, wie sie dies noch im Verwaltungsverfahren getan hat. Der Senat sieht daher auch keinen Anlass, sich mit der völlig unplausiblen Berechnung der Beklagten im Verwaltungsverfahren auseinanderzusetzen, in dem diese eine effektive Gesamtdosis von 5,9 mSv „berechnet“ hat und zu der Einschätzung gekommen ist, dass die Strahlenbelastung des Klägers nicht den für die allgemeine Bevölkerung geltenden Grenzwert übersteige. Denn für diese pseudogenaue Berechnung fehlen, wie dies der Bericht der Radarkommission überdeutlich klar gemacht hat, jegliche zuverlässigen Messwerte. Die von der Beklagten zulasten des Klägers eingebrachte Messung steht in eklatantem Widerspruch zu den Ausführungen der Radarkommission.

Keiner weiteren Erörterung bedarf die Frage weiterer potentieller Strahlenbelastungen des Klägers durch radioaktive Leuchtfarben oder die Verwendung von Oszilloskopen, die ebenfalls Röntgenstörstrahlung aussenden. Denn diese weiteren Belastungsfaktoren sind angesichts der durch die Arbeit am

NASARR nachgewiesenen Belastung durch Röntgenstörstrahlung nicht mehr entscheidungserheblich. Der Senat braucht sich daher auch nicht damit zu befassen, ob die Beklagte ordnungsgemäß ihrer Mitwirkungspflicht durch die Vorlage nur ihr bekannter Daten und Messwerte nachgekommen ist, was vom Kläger nicht unfundiert in Zweifel gezogen worden ist und auch angesichts des Prozessverhaltens der Beklagten (z. B. Vorlage der teilweise geschwärzten Stellungnahme vom 09.06.2009, Verschweigen von Messdaten, die sich aus dem in den Beklagtenakten enthaltenen Messprotokoll ergeben - Strahlung des Magnetrons auch zur Seite) fraglich erscheint, oder ob die Beklagte gezielt und ausgewählt nur solche Fakten dem Gericht angegeben hat, die sie dem Begehren des Klägers entgegen halten kann.

2.1.2.

Kausalität zwischen Belastung durch ionisierende Strahlung und Nierenzellkarzinom

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. G., der auch Mitglied der Radarkommission war, hat die vorliegenden Unterlagen sorgfältig ausgewertet und ist in seinem Gutachten vom 09.06.2011 mit nachvollziehbarer und überzeugender Begründung zu der Einschätzung gekommen, dass das Nierenzellkarzinom hinreichend wahrscheinlich auf die wehrdienstbedingte Strahlenbelastung des Klägers zurückzuführen ist. Dabei hat er sich u. a. auch mit möglichen Alternativursachen befasst und diese ausgeschlossen. Die aus der Behandlung des Karzinoms resultierenden weiteren Gesundheitsschäden (Entfernung eines Teils des Dickdarms und der Milz) stehen als mittelbare Folgeschäden ebenfalls in einen hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang mit der wehrdienstbedingten Strahlenbelastung.

Diese Beurteilung des Sachverständigen macht sich der Senat zu eigen. Sie steht in Übereinstimmung mit den Festlegungen im Bericht der Radarkommission und den Vorgaben im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 (vgl. Bek. des BMA vom 13.05.1991, BArbBl. 7-8/1991, S. 72 ff.) bzw. der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV (vgl. Bek. des BMAS vom 24.10.2011, Az.: IVa 4-45222-2402, GMBl. 2011, Nr. 49 - 51, S. 983 - 993).

Angesichts der klaren sachverständigen Ausführungen verzichtet der Senat auf weitere Ausführungen zum Gutachten und verweist auf die dortigen Erläuterungen. Die sachverständige Einschätzung wird im Übrigen auch vom versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten (Stellungnahme des Dr. J. vom 18.09.2003) geteilt und hat auch Eingang in den ersten Entwurf eines Beschwerdebescheids vom November 2003 gefunden, dem aus hier nicht nachvollziehbaren Gründen von der Wehrbereichsverwaltung Süd die Zustimmung versagt worden ist.

Sofern die Beklagte Einwendungen gegen dieses Gutachten erhebt, kann sich der Senat dem nicht anschließen:

- Wenn die Beklagte bereits vor Erteilung des Gutachtensauftrags

o dem Gericht mit Schreiben vom 26.11.2008 mitgeteilt hat, dass sie mit der Einholung eines Gutachtens bei Prof. Dr. G. „nicht einverstanden“ sei, da er „sehr spezielle Ansichten“ vertrete,

o zudem mit Schreiben vom 23.02.2009 das Gericht darüber informiert hat, dass die Bundeswehr „diesem Gutachten nicht folgen“ werde, und

o schließlich mit Schreiben der „Schwerpunktgruppe Radar“ vom 16.06.2010 diesem Sachverständigen pauschal jegliche fachliche Eignung abgesprochen hat,

sind diese Einwände nicht ansatzweise nachvollziehbar und nicht auf Fakten gestützt, sondern beruhen ausschließlich auf sachfremden Unterstellungen, Mutmaßungen und subjektiven Meinungsäußerungen von Vertretern der Beklagten, wie sie in einem gerichtlichen Verfahren keinen Raum haben können. Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass der Sachverständige Mitglied der Radarkommission war. Ihm angesichts dieser Berufung fehlende Sachkenntnis zu unterstellen, überrascht und würde auch die Kompetenz der Beklagten in Gestalt des Bundesministeriums der Verteidigung, das die Radarkommission eingesetzt hat, massiv in Frage stellen. Der Senat kann sich die unsachliche Vorabkritik der Beklagten am Sachverständigen daher nur so erklären, dass, soweit dem Senat bekannt ist, dieser im Zusammenhang mit der Erstellung des Berichts der Radarkommission bemängelt hat, dass die Bundeswehr nur unzureichend Materialien zur Verfügung gestellt habe. Allein aus dieser Kritik, die der Senat im Übrigen aufgrund der in diesem Verfahren gemachten Erfahrungen - so musste er auf eine am 15.03.2012 erbetene Stellungnahme zwei Jahre warten, wobei die Stellungnahme erst nach Einschaltung des Präsidenten des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr abgegeben worden ist und nicht einmal ganze sechs Seiten umfasst hat - nicht für fernliegend hält und die im Übrigen auch dem Bericht der Radarkommission selbst zu entnehmen ist (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 25: „Die von der Kommission erbetenen Informationen ... konnten von der Bundeswehr nicht geliefert werden.“), eine fehlende Sachkunde des Sachverständigen abzuleiten, ist mehr als fernliegend. Im Übrigen hat sich der von der Beklagten vorweg erhobene Vorwurf auch nicht nach Vorlage des Gutachtens bestätigt. Dafür, aus dem in diesem Verfahren erstellten Gutachten auf eine fehlende Sachkunde oder gar eine Parteilichkeit des Sachverständigen zu schließen, gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt. Die Vorwürfe und Vorhaltungen der Beklagten entbehren insofern jeglicher sachlicher Grundlage und können nur auf rein subjektiven Gründen beruhen. Ob und wenn ja welche weiteren Gründe für die objektiv nicht haltbare Ablehnung des Sachverständigen durch die Beklagte bestehen, hat die Beklagte nicht offengelegt, so dass nur unsachliche und damit nicht äußerungsfähige Gründe vermutet werden können. Bezeichnend ist jedenfalls, dass sich die Beklagte gehütet hat, den Sachverständigen formal wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, was sich aufgrund ihres Vortrags aufgedrängt hätte. Letztlich können die nicht offengelegten wahren Gründe der Beklagten mangels Entscheidungsrelevanz dahingestellt bleiben.

- Der Vortrag der Beklagten dahingehend, dass die Entstehung eines Nierentumors durch den Bericht der Radarkommission ausgeschlossen sei, findet in diesem Bericht keine Stütze; im Übrigen ist die Behauptung eines (generellen) Ausschlusses eines Ursachenzusammenhangs auch nachweislich falsch. An keiner Stelle in diesem Bericht ist ausgeführt, dass ein Nierenzellkarzinom nicht durch ionisierende Strahlung verursacht sein könnte. Vielmehr ist sowohl im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 1991 als auch in der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 die Niere ausdrücklich unter den strahlenempfindlichen Organen in Hinsicht auf die Verursachung maligner Erkrankungen aufgelistet.

- Sofern die Beklagte argumentiert, das Nierenzellkarzinom könne schon deshalb nicht durch die wehrdienstliche Tätigkeit des Klägers verursacht sein, weil sich die Nieren nicht in dem nach dem Bericht der Radarkommission strahlungsexponierten Körperbereich befunden hätten, ist dies falsch. Es liegt der Eindruck sehr nahe, dass die Beklagte die einschlägigen Vorgaben des Berichts der Radarkommission falsch darstellt, um berechtigte Ansprüche des Klägers abzuwehren.

Nach dem Bericht der Radarkommission ist bei der Tätigkeit am NASARR davon auszugehen, dass sich „Kopf und Teile des Oberkörpers direkt im nach oben gerichteten Strahlenbündel befanden“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 46). Diese Formulierungen können aber nicht - wie dies die Beklagte möchte - dahingehend interpretiert werden, dass bei der Arbeit am NASARR nur eine Exposition in den obersten Teilen des Oberkörpers vorgelegen haben kann. Ein derartiger Ausschluss lässt sich weder dem Bericht der Radarkommission entnehmen noch findet er eine Stütze im (detaillierteren) Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR. Im Übrigen verkennt die Beklagte auch, dass der Radarbericht die Formulierung „Teile des Oberkörpers“ nur in Zusammenhang mit einer ganz bestimmten Tätigkeit am NASARR verwendet, nämlich bei den „langwierigen Einstellarbeiten des Sender-Magnetrons“ (vgl. S. 46 des Berichts).

- Wenn die Beklagte durch den Leiter der Strahlenmessstelle Dr. S. in der Stellungnahme vom 21.02.2014 vorträgt, die Strahlung am NASARR sei einzig und allein nach oben gerichtet gewesen und es habe sich um ein eng umgrenztes Strahlenbündel gehandelt, was durch Röntgenfilme dokumentiert sei, ist auch diese Behauptung nachweislich falsch und verschweigt Erkenntnisse, wie sie die Beklagte selbst gewonnen, dokumentiert und vorgelegt hat.

Aus den Messwerten, wie sie im Teilbericht NASARR (dort Tabelle 2 auf S. 5) dokumentiert sind, ergibt sich zweifelsfrei eine nicht unerhebliche, vom Magnetron des NASARR zur Seite gerichtete Strahlung. Es mag zwar durchaus richtig sein, dass das Magnetron (gezielt) nach oben strahlt und dieses Strahlenbündel vergleichsweise punktgenau ist. Daneben kann aber nicht, wie dies durch die Beklagte erfolgt, verdrängt werden, dass auch zur Seite eine Strahlenbelastung erfolgt.

Auch der Bericht der Radarkommission widerlegt die Behauptung der Beklagten einer ausschließlich nach oben erfolgenden eng umgrenzten Strahlung. So wird dort (vgl. S. 59 des Berichts) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Arbeit auf der Testbank durch Reflexionen an metallischen Flächen (z. B. Fenster- und Türrahmen) erhebliche Strahlenbelastungen und Grenzwertüberschreitungen um 100% auftreten können, ohne dass dafür Fehler an den Radargeräten vorliegen hätten müssen. Gerade in Reparaturhallen ist nach dem Bericht der Radarkommission (vgl. S. 61 des Berichts) wegen der erhöhten Reflexion von einem hohen Risiko einer Überexposition auszugehen. Neben der seitlich aus dem Magnetron austretenden Strahlung gab es daher auch infolge Reflexionen erhebliche Strahlenbelastungen außerhalb des eng nach oben gerichteten Strahlenbündels des Magnetrons.

Wenn dazu der Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. mit Schreiben vom 21.02.2014 behauptet, dass die Annahme des Klägers, das Magnetron habe auch zur Seite gestrahlt, nicht bewiesen sei, kann dies in Anbetracht der vorgenannten Ausführungen sowohl im Bericht der Radarkommission als auch im Teilbericht NASARR nur als wahrheitswidriger Vortrag bezeichnet werden. Ob und inwieweit angesichts eines derartigen Verhaltens auch weitere Angaben der Beklagten nicht nur in diesem gerichtlichen Verfahren genauerer Nachprüfung bedürfen, sei an dieser Stelle mangels Entscheidungserheblichkeit dahingestellt.

Ebenso sieht es der Senat als irreführend und nachweislich falsch an, wenn durch den Leiter der Strahlenmessstelle vorgetragen wird, es sei ein Irrtum des Klägers, wenn dieser meine, dass die Röntgenstrahlung oder Röntgenstörstrahlung des NASARR nicht streng und definierbar gebündelt würde, und dies mit dem Hinweis darauf begründet wird, dass es ohne diese strenge Bündelung keine Computertomographie mit der heute erreichten Bildqualität gebe. Vom heutigen (!) Stand der Computertomographie auf die Belastung eines militärisch vor über 40 Jahren genutzten Geräts zu schließen, ist fernab jeglicher Nachvollziehbarkeit. Dies gilt umso mehr, als der erste kommerzielle Computertomograph zur klinischen Anwendung erst im Jahr 1972, also zu einer Zeit, als der Kläger schon als Radarmechaniker arbeitete, in Betrieb genommen worden ist (vgl. Jach, Einsatz der Dosismodulation in der Mehrschicht-Computertomographie der Kopf-/Halsregion, Diss. 2008, S. 13) und die damaligen Geräte im Vergleich zu heutigen Geräten eine nur sehr eingeschränkte Funktionalität hatten. Im Übrigen suggeriert der Vortrag des Dr. S., dass neben dieser gezielten Strahlung keine andere Strahlung vorhanden gewesen wäre. Dies ist aber - wie bereits erläutert - nachweislich nicht richtig.

- Fast grotesk mutet das Argument des Leiters der Strahlenmessstelle Dr. S. an, wenn er mit dem an der Antenne angebrachten Hinweis „HANDS OFF“ suggerieren will, dass damit die Gefährlichkeit des Geräts durch ionisierende Strahlung zum Ausdruck gebracht würde und daher die Arbeiten mit entsprechend großem Abstand zum Gerät durchgeführt worden wären. Der Hinweis „HANDS OFF“ kann sich nämlich nicht auf eine Strahlenexposition beziehen, sondern nur darauf, dass die Antenne aus mechanischen Gründen nicht zu berühren sei. Dies ergibt sich zwingend aus dem Inhalt des Warnhinweises, der ein Berühren verhindern will. Das Berühren der Antenne an sich ist aber völlig ungefährlich, solange der Kontakt nicht in dem Austrittsort der nach dem Vortrag des Dr. S. enggebündelten Strahlung erfolgt. Wenn schon ein Hinweis auf radioaktive Strahlung erfolgen hätte sollen, hätte dieser ganz anders lauten müssen; „HANDS OFF“ wäre in diesem Fall ein völlig untauglicher Hinweis gewesen. Im Übrigen - auch das ist dem Bericht der Radarkommission zu entnehmen - ist offenbar erst in der von der Radarkommission als zweite Phase ab 1976 bezeichneten Zeit dem bis dahin völlig vernachlässigten Strahlenschutz auch durch entsprechende Arbeitsanweisungen Rechnung getragen worden (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 9, 23, 130). Dies beweist, dass mit „HANDS OFF“ zumindest in der ersten Phase, in der der Kläger auch tätig war, keinesfalls vor Röntgenstörstrahlung gewarnt wurde. Im Übrigen hat die Bundeswehr zwar auch schon bis Mitte der 70er Jahre Strahlenwarnzeichen - die nicht mit dem Hinweis „HANDS OFF“ verwechselt werden dürfen - verwendet, wobei sich diese Warnzeichen nicht auf Röntgenstrahlung bezogen haben (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 9). Die Behauptungen des Dr. S. stehen zu diesen Ausführungen im Bericht der Radarkommission in einem konträren und sachlich nicht ansatzweise erklärbaren Widerspruch.

- Wenn der Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. die Strahlenexposition des Klägers dadurch als kleiner erscheinen lassen will, dass er es als nicht ersichtlich bezeichnet, warum bestimmte Arbeitsschritte mit eingeschaltetem Magnetron erfolgen hätten müssen, mag diese Fragestellung aus heutiger Sicht berechtigt sein. Zu der Zeit, in der der Kläger als Radarmechaniker tätig war (ab 1971), spielte der Strahlenschutz in der täglichen Praxis der Bundeswehr aber keine (wesentliche) Rolle (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 130). Auch die Radarkommission hat in diesem Zusammenhang bei der Ermittlung der Exposition bei Arbeiten am NASARR deshalb empfohlen, „vorrangig Angaben der Antragsteller zu ihren individuellen Tätigkeiten ... zugrunde zu legen“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 47). Der Senat folgt daher auch den Angaben des Klägers im Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 03.06.2013, in dem er sich dezidiert zu den Arbeitsbedingungen geäußert hat; irgendeinen Grund, den Angaben des Klägers nicht zu folgen, kann der Senat nicht erkennen, da die Angaben des Klägers in sich schlüssig und angesichts der zur Zeit der belastenden Tätigkeit vorliegenden Erkenntnisse zur Gefährlichkeit und dem damals auch von Seiten des Arbeitgebers Bundeswehr fehlenden Problembewusstseins zum Thema Röntgenstörstrahlung plausibel sind und nicht ansatzweise ein Hinweis darauf erkennbar ist, dass sich der Kläger durch falsche Angaben einen versorgungsrechtlichen Vorteil verschaffen möchte. Wenn die Beklagte suggerieren will, dass der Kläger die Arbeiten nicht bei eingeschaltetem Radarsender durchgeführt habe, steht dies im Übrigen auch im Widerspruch zu den Ausführungen im Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR (dort vgl. S. 9). Danach ist es für den Senat nachgewiesen, dass, um eine beste Einsatzfähigkeit des NASARR zu erhalten, die meiste Zeit mit hoher Sendeleistung gearbeitet worden ist, zumal von der Gefährlichkeit des Magnetrons damals nichts bekannt gewesen war.

- Das medizinische Argument, das die Beklagte durch einen Nichtmediziner vorgetragen hat, nämlich dass ein Nierentumor nicht strahlungsbedingt entstanden sein könne, weil die Niere nicht Teil des Oberkörpers sei, ist durch die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen und durch medizinische Standardwerke widerlegt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Nierentumor an der höher gelegenen linken Niere und dort am oberen Pol entstanden ist, also an der absolut betrachtet obersten, also kopfnächsten Stelle der Nieren.

Dass die Beklagte von der anatomisch unrichtigen Annahme ausgeht, dass die Nieren im Beckenbereich gelegen seien, entnimmt der Senat auch der Stellungnahme des Dr. S. vom 04.09.2006. Dieser hat im Rahmen der Frage, ob der Nierentumor des Klägers strahlenbedingt sein könne, darauf hingewiesen, dass auch bei einem körperlich größeren Techniker der Bereich des Beckens nicht gegenüber Röntgenstörstrahlung exponiert werden könne.

- Aber selbst dann, wenn dem Beklagten bezüglich seiner falschen Argumentation zur Niere gefolgt würde und damit davon auszugehen wäre, dass die Niere in einem grenzwertig strahlenexponierten Körperbereich liegen würde, würde dies nach den expliziten Feststellungen im Bericht der Radarkommission (vgl. dort S. 47) einer Anerkennung nicht entgegen stehen, da die Kommission der Auffassung ist, „dass für alle Tätigkeiten, für die eine Exposition aller Körperpartien geometrisch betrachtet nicht sicher auszuschließen ist, die Annahme, dass das erkrankte Organ einer Strahlenexposition ausgesetzt war, die durch die maximale Ortsdosisleistung bestimmt wird, die einzig mögliche Grundlage einer Dosisabschätzung darstellt.“ Da eine Nierenexposition - auch nach der Argumentation der Beklagten - nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist die maximale Ortsdosisleistung als Strahlungsbelastung zugrunde zu legen. Wenn dies die Beklagte dadurch in Abrede stellen will, dass sie den Bericht der Radarkommission insofern nicht zur Kenntnis nehmen will, wirkt dies zumindest befremdlich und legt - zum wiederholten Mal - den Eindruck nahe, dass der Tatsachenvortrag der Beklagten sehr selektiv und daran orientiert erfolgt, was ihr bei der Abwehr von Ansprüchen nützlich sein könnte.

- Wenn die Beklagte zum Ende des Berufungsverfahrens die Anerkennung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung dadurch abzuwehren versucht, dass sie durch den Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. mit Schreiben vom 21.02.2014, dessen Anfertigung rund zwei Jahre gedauert hat, vortragen lässt, dass die Energie der Röntgenstrahlung nicht ausreiche, an den Nieren eine Dosis zu erzielen, ist auf Folgendes hinzuweisen: Zunächst verwundert es, dass ein Nichtmediziner der Bundeswehr meint, über so große Fachkunde auf medizinischem Gebiet zu verfügen, dass er diese medizinische Frage zu beantworten vermag. Der ärztliche Sachverständige Prof. Dr. G., dessen medizinische Sachkunde für den Senat außer Zweifel steht, hat dies ganz anders eingeschätzt; diese ärztlichsachverständige Einschätzung macht sich der Senat zu eigen. Auch der Versorgungsarzt der Beklagten Dr. J. hat in einer vermeintlich nicht ausreichenden Eindringtiefe in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003 kein Problem gesehen. Insofern ist die (gewissermaßen fachfremde) Äußerung des Dr. S. ein erneuter Beleg für eine mit großen Vorbehalten zu sehende Vorgehensweise der Beklagten. Dass die Behauptung des Dr. S. auf der Basis medizinischer Erkenntnisse nicht nachvollziehbar ist, ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass die Nieren sowohl im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 1991 als auch in der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 ausdrücklich unter den strahlenempfindlichen Organen in Hinsicht auf die Verursachung maligner Erkrankungen aufgelistet wird.

- Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies noch Entscheidungsrelevanz hätte, weist der Senat darauf hin, dass es in vergleichbaren Fällen von Radarmechanikern am Flugzeug F-104 - von der Beklagten unwidersprochen - zu Anerkennung eines Nierentumors, eines Hodentumors und auch von Knochenkrebs am Oberschenkel gekommen ist. Würde der jetzigen Argumentation der Beklagten gefolgt, hätte es zu solchen Anerkennungen nie kommen können.

2.2. Schilddrüsenadenom mit daraus resultierender Teilentfernung der Schilddrüse und Schilddrüsenüberfunktion

Das Schilddrüsenadenom mit daraus resultierender Teilentfernung der Schilddrüse und die Schilddrüsenüberfunktion sind als Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn der o. g. Alternative 4 (vgl. oben Ziff. 1 a.E.) anzuerkennen.

2.2.1. Potentiell schädigender Vorgang

Die ionisierende Strahlung (Röntgenstörstrahlung), der der Kläger im Rahmen seines Wehrdienstes als Radarmechaniker/-meister ausgesetzt war (vgl. dazu oben Ziff. 2.1.1.), hat auch potentiell schädigende Wirkung auf die Schilddrüse in dem Sinn, dass dadurch die Bildung gutartiger Schilddrüsentumore (Adenome) verursacht werden kann, wie die im Gutachten des Prof. Dr. G. vom 09.06.2011 angeführten Studien zeigen.

2.2.2. Kausalität zwischen Belastung durch ionisierende Strahlung und Adenom der Schilddrüse

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. G. hat die vorliegenden Unterlagen sorgfältig ausgewertet und ist in seinem Gutachten vom 09.06.2011 mit nachvollziehbarer und überzeugender Begründung zu der Einschätzung gekommen, dass das Adenom sowie die Schilddrüsenüberfunktion zwar nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, aber doch im Sinn der Kannversorgung gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG auf die wehrdienstbedingte Strahlenbelastung des Klägers zurückzuführen sind. Der aus der Behandlung des Adenoms resultierende weitere Gesundheitsschaden (Teilentfernung der Schilddrüse) steht als mittelbarer Folgeschaden in einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang mit der Adenomoperation und damit mit der wehrdienstbedingten Strahlenbelastung.

Diese Beurteilung des Sachverständigen macht sich der Senat zu eigen. Sie steht in Einklang mit den rechtlichmedizinischen Voraussetzungen der Kannversorgung.

Es ist unstrittig, dass bezüglich der Entstehung gutartiger Tumore der Drüsen, hier des Schilddrüsenadenoms, in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit in dem Sinn besteht, dass es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern allenfalls verschiedene ärztliche Lehrmeinungen zur Entstehungsursache gibt. Dies ist auch dem Gutachten des Prof. Dr. G. zu entnehmen, wenn dieser potentielle Ursachen sowie zwei Studien benennt, die ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko des Auftretens von gutartigen Schilddrüsentumoren aufzeigen. Eine einheitliche Lehrmeinung hat sich bis heute nicht entwickelt. Aufgrund dieser Studien und den dort entwickelten Kriterien ist nach den Ausführungen des Sachverständigen davon auszugehen, dass das Adenom des Klägers infolge der Strahlenbelastung entstanden ist. Dies bedeutet, dass nach zumindest einer, den Studien zugrunde liegenden Lehrmeinung, die noch nicht als einheitliche Lehrmeinung anerkannt ist, das Adenom des Klägers und die Schilddrüsenüberfunktion hinreichend wahrscheinlich auf die wehrdienstliche Strahlenbelastung zurückzuführen sind. Die Voraussetzungen der Kannversorgung sind damit gegeben.

Bedenken, der Einschätzung des Sachverständigen zu folgen, hat der Senat nicht:

- Der Bewertung des Sachverständigen steht nicht entgegen, dass der Bericht der Radarkommission eine Anerkennung von gutartigen Tumoren nicht explizit vorsieht. Wenn die Beklagte suggeriert, dass durch die Nichterwähnung gutartiger Tumore im Bericht der Radarkommission belegt sei, dass eine Anerkennung derartiger Erkrankungen überhaupt nicht, auch nicht im Weg der Kannversorgung, in Betracht gezogen werden dürfe, ist diese Argumentation falsch und verschleiert den Grund, warum im Bericht der Radarkommission gutartige Tumore nicht thematisiert worden sind. Es ist allgemein bekannt, dass sich die Radarkommission angesichts des großen Zeitdrucks allein auf bösartige Tumore und Katarakte beschränkt hat, ohne damit irgendeine Aussage zur Kausalität anderer Erkrankungen zu treffen.

- Die Tatsache, dass in den früher geltenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in der letzten Fassung vom Jahr 2008 zu gutartigen Geschwülsten (vgl. AHP 2008 Nr. 142.5) darauf hingewiesen wird, dass diese „im allgemeinen nicht durch äußere Einwirkungen verursacht“ werden, steht der Anerkennung des Adenoms im Rahmen der Kannversorgung nicht entgegen. Ganz abgesehen davon, dass die AHP mangels Gesetzeskraft einen derartigen Ausschluss überhaupt nicht konstituieren hätten können, sind sie durch die jetzt geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen abgelöst worden, die überhaupt keine Auflistung von im Weg der Kannversorgung anerkennungsfähiger oder auszuschließender Erkrankungen enthalten. Zudem belegt gerade die Formulierung „im allgemeinen“ in den AHP, dass ein allumfassender Ausschluss einer Anerkennungsfähigkeit gerade nicht gegeben ist. Wenn die Beklagte in diesem Zusammenhang weiter mit Stellungnahme vom 01.09.2011 argumentiert, dass „Ausnahmen bzgl. der Schilddrüsenadenome ... in den AHP nicht genannt“ würden, daher deren Ätiologie nicht ungeklärt sei und daher die Kannversorgung keine Anwendung finde, gibt es für diese Begründung in den AHP nicht ansatzweise eine Stütze; vielmehr verfälscht diese Argumentation die Vorgaben der AHP eklatant. Die Beklagte verschweigt völlig, dass in den AHP für gutartige Geschwülste überhaupt keine Ausnahmen explizit aufgezeigt sind. Aus der fehlenden positiven Erwähnung eines Schilddrüsenadenoms kann daher nicht der Rückschluss gezogen werden, dass mit der Nichterwähnung ein Ausschluss verbunden wäre, wenn die AHP auf der anderen Seite auf die Möglichkeit hinweisen, dass eine Kannversorgung nur im Allgemeinen nicht in Betracht kommt, was aber gerade die Möglichkeit einer Anerkennung im - zugegebenermaßen eher seltenen - Einzelfall beinhaltet. Zudem darf auch nicht übersehen werden, dass die Formulierung in AHP 2008 Nr. 142.5 sämtliche „äußeren Einwirkungen“ umfasst, also neben der durch ionisierende Strahlung auch die zahlreichen anderen Möglichkeiten wie z. B. mechanischer Art. Dass es insofern „im allgemeinen“, d. h. zumindest in der deutlich überwiegenden Zahl der Fälle, nicht zu einer Anerkennung kommen dürfte, ist naheliegend, kann aber nicht dahingehend interpretiert werden, dass es bei Strahlenbelastung zu keiner Anerkennung als Schädigungsfolge im Rahmen der Kannversorgung kommen könne. Außerdem wird in der wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „auch benigne Tumore“ als strahlenbedingte Spätschäden in Betracht kommen. Dieser aktuellen, zumindest schon drei Jahre lang bundesministeriell „abgesegneten“ Erkenntnis verschließt sich die Beklagte.

- Der Sachverständige hat seine Annahme eines Zusammenhangs im Sinn der Kannversorgung durch die Angabe von Studien belegt, die ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für die Entstehung gutartiger Schilddrüsentumore durch ionisierende Strahlung belegen, und darauf hingewiesen, dass der Halsbereich des Klägers ohne jeden Zweifel - dies bestreitet selbst die Beklagte nicht - einer entsprechenden Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen ist. Diese wissenschaftlich fundierte und überzeugende Argumentation des Sachverständigen, die sich der Senat zu Eigen macht, erschüttern die dagegen mit Schreiben der Beklagten vom 01.09.2011 vorgebrachten Behauptungen nicht ansatzweise. Wenn dem Gutachter entgegen gehalten wird, dass er seine Beurteilung nicht „auf der Grundlage der von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese“ abgegeben, sondern sich nur auf zwei „vereinzelte Studien“ gestützt habe, in denen „Hinweise auf mögliche Zusammenhänge gegeben“ seien, und damit „methodische Fehler“ konstruiert werden sollen, gehen diese Vorwürfe als unzutreffend ins Leere. Die Beklagte verkennt völlig, dass es für die Heranziehung der Kannversorgung zwingende Grundvoraussetzung ist, dass sich eine herrschende wissenschaftliche Lehrmeinung noch nicht herausgebildet hat; denn anderenfalls dürfte die Zusammenhangsbeurteilung ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhangs erfolgen. Dem Sachverständigen, der aufgezeigt hat, dass es bezüglich der Entstehung gutartiger Tumore (noch) keine herrschende medizinische Lehrmeinung gibt, methodische Fehler zu unterstellen, kann daher nur mit einer elementaren Unkenntnis der Voraussetzungen der Kannversorgung oder einer gezielt irreführenden Argumentation, die der Senat der Beklagten nicht unterstellen möchte, begründet werden. Dass die Beklagte der vom Gesetzgeber eröffneten Kannversorgung grundsätzlich ablehnend gegenüber steht, möchte der Senat der Beklagten ebenfalls nicht unterstellen. Sollte dies gleichwohl der Fall sein, könnte der Interessenlage der Beklagten nur der Gesetzgeber durch die Abschaffung der Kannversorgung Rechnung tragen, nicht aber die Judikative im Rahmen der Anwendung geltender Gesetze.

Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies noch von weiterer Entscheidungsrelevanz wäre, weist der Senat darauf hin, dass auch im Internet für jedermann zugänglich Veröffentlichungen zu finden sind, die sich mit der bislang medizinisch nicht abschließend geklärten Frage der Verursachung gutartiger Tumore befassen und dabei auch auf die Studienlagen Bezug nehmen (vgl. z. B. die Hinweise von Schmitz-Feuerhake, Die Induktion gutartiger Tumore durch ionisierende Strahlung - ein vernachlässigtes Kapitel von Strahlenrisikobetrachtungen, in: Strahlentelex, Nr. 548-549, 05.11.2009), wobei es der Senat dahingestellt lässt, von welcher wissenschaftlichen Qualität die genannte Veröffentlichung ist.

Der Zustimmungsvorbehalt des § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG steht einer gerichtlichen Anerkennung auch ohne konkrete oder allgemeine Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nicht entgegen. Denn bei der Zustimmung handelt es sich lediglich um einen verwaltungsinternen Vorgaben, den das Gericht bei seiner Entscheidung zu prüfen oder zu ersetzen hat (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1969, Az.: 8 RV 469/67; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.11.2001, Az.: L 10 VS 44/98).

3. Der Vollständigkeit halber: Keine Verurteilung wegen eines heißen Knotens

Der Kläger verfolgt die Anerkennung eines heißen Knotens der Schilddrüse als Folge einer Wehrdienstbeschädigung nicht mehr weiter. Der Senat weist daher lediglich der Vollständigkeit halber auf Folgendes hin:

Eine Verurteilung der Beklagten wegen eines heißen Knotens der Schilddrüse käme schon deshalb nicht in Betracht; weil eine derartige Erkrankung lediglich in Form einer Verdachtsdiagnose in den Raum gestellt worden ist, nicht aber in dem für eine Anerkennung erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen ist. Dass insofern (derzeit noch) keine Zuständigkeit der Beklagten bestünde, da sich eine solche Erkrankung keinesfalls während der Dienstzeit manifestiert hätte (vgl. Urteil des Senats vom 26.01.2012, Az.: L 15 VS 10/08; BSG, Urteil vom 29.04.2010, Az.: B 9 VS 2/09 R), ist von keiner weiteren rechtlichen Bedeutung. Die Frage, ob der Beigeladene verurteilt werden könnte, würde sich daher ebenfalls nicht stellen.

4. Keine Feststellungen zum Grad der Schädigung

Feststellungen zum Grad der Schädigung hat der Senat nicht zu treffen, da sich der Antrag des rechtskundig vertretenen Klägers ausdrücklich auf die Anerkennung der Schädigungsfolgen beschränkt.

5. Keine weiteren Ermittlungen erforderlich

Weitere Ermittlungen, insbesondere eine Inaugenscheinnahme eines Luftfahrzeugs F-104 G waren nicht angezeigt. Mit dem Bericht der Radarkommission, den vorliegenden Angaben zur Tätigkeit des Klägers und dem eingeholten Gutachten ist eine umfassende Entscheidungsgrundlage zur Bewertung der Strahlenexposition des Klägers und der gesundheitlichen Auswirkungen gegeben.

Nicht für die Entscheidung relevant ist es daher, dass der Senat große Zweifel daran hat, dass die Durchführung von Messungen an einem Luftfahrzeug F-104 G, was beklagtenseits in der Stellungnahme des Dr. S. vom 21.02.2014 in den Raum gestellt worden ist, überhaupt gerichtsverwertbare Erkenntnisse bringen könnte. Soweit öffentlich zugänglichen Quellen zu entnehmen ist, wurde das Luftfahrzeug F-104 G bei der Bundeswehr am 22.05.1991 ausgemustert. Wenn in Ausbildungseinrichtungen oder Museen noch Exemplare dieses Flugzeugs vorhanden sind, dürften sich diese allesamt in einem demilitarisierten Zustand befinden. Dies würde bedeuten, dass vor der Durchführung von Messungen die im Rahmen der Demilitarisierung entfernten Bauteile, insbesondere auch das Magnetron, wieder in das Flugzeug einzubauen wären. Dass die anschließend angefertigte Konfiguration dem Zustand des Flugzeugstyps entsprechen würde, an dem der Kläger in den 1970er und 1980er Jahren tätig war, hält der Senat für sehr ungewiss. Denn es ist bekannt, dass es beispielsweise beim Magnetron, von dem der wesentliche Teil der (potentiell) schädigenden Strahlung ausgegangen ist, verschiedene Ausführungen mit sicherlich auch nicht immer identischen Strahlungsverhältnissen gegeben hat (vgl. S. 46 des Radarberichts). Da weder aus den Akten ersichtlich ist, an welchen Ausführungen des Magnetrons der Kläger gearbeitet hat, noch klar ist, ob die damaligen Ausführungen überhaupt noch verfügbar sind, zudem auch zu klären wäre, ob die heute noch vorhandenen Ausführungen des Magnetrons im Weg der frühestens ab Mitte der 1970er Jahr begonnenen Strahlenschutzmaßnahmen umgearbeitet worden sind, kann sich der Senat nur schwer vorstellen, dass sich die den Kläger betreffende Strahlenbelastung realitätsnah reproduzieren lassen würde. In diesem Zusammenhang muss der Senat auch darauf hinweisen, dass er jedenfalls wegen des Vorgehens des Beklagten, hier insbesondere in Form der Person des Leiters der Strahlenmessstelle der Bundeswehr, im vorliegenden Fall nicht unerhebliche Bedenken haben würde, sich auf alle Angaben des Beklagten bedenkenlos zu verlassen. Dazu würde insbesondere die Frage gehören, ob das für eine potentielle Messung von der Beklagten zur Verfügung gestellte Luftfahrzeug tatsächlich der Ausführung entsprechen würde, an dem der Kläger gearbeitet hat, auch wenn dies von Seiten der Strahlenmessstelle so behauptet würde.

Diese Bedenken begründen sich wie folgt:

Die Beklagte hat beispielsweise mit Schreiben vom 26.11.2008 an das SG Folgendes ausgeführt:

„... bleibe ich bei der schon bisher von der Wehrbereichsverwaltung Süd vertretenen Auffassung, dass von diesem Radargerät die Strahlung nur nach oben austreten konnte. ... Außerdem ergibt sich das aus der Stellungnahme des Herrn Dr. S., Leiter der Arbeitsgruppe Radar/Strahlenmessstelle der Bundeswehr ... vom 4. September 2006, in der Beschwerdeakte, Blatt 25.“

Ähnlich hat auch der Leiter der Strahlenmessstelle Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 21.02.2014 im Berufungsverfahren argumentiert, wenn er sich zum Einwand des Klägers, es habe auch eine Strahlung zur Seite gegeben, geäußert hat:

„Der Umkehrschluss, dass damit eine Emission des Magnetrons auch in seitlicher Richtung bewiesen wäre, gilt damit aber nicht. Die Radarkommission ... kam bei der Emissionsrichtung zum Ergebnis, dass die Emission der Röntgenstörstrahlung nach oben erfolgte.“

Der Senat kann, wie bereits oben erläutert, aufgrund des Akteninhalts nur davon ausgehen, dass diese Auskünfte falsch oder so verfälscht gegeben worden sind, dass entscheidende Gesichtspunkte von Seiten der Mitarbeiter der Beklagten verschwiegen worden sind. Dabei bezieht sich der Senat einerseits auf Unterlagen in den Verwaltungsakten der Beklagten, andererseits auf den Bericht der Radarkommission. So wird in der Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 25.02.2003 zwar auf die senkrecht nach oben austretende Röntgenstörstrahlung hingewiesen, gleichwohl ist bei den dokumentierten Messwerten auf S. 2 dieser Stellungnahme auch eine Röntgenstörstrahlung zur Seite (in einem Abstand von 5 cm zum Gerät - Anmerkung: einziger Messabstand) aufgeführt, wobei diese Strahlung der Höhe nach nicht vernachlässigbar ist, beträgt sie doch fast ein Drittel der Abstrahlung nach oben in derselben Entfernung und sogar das Neunfache im Vergleich zu der Abstrahlung nach oben in einer Entfernung von 30 cm. Entsprechendes ergibt sich auch aus dem Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR (vgl. dort S. 5, Tabelle 2). Schließlich wird im Radarbericht der Bundesregierung zum Radargerät NASARR darauf hingewiesen, dass bei den Wartungs- und Reparaturarbeitsplätzen durch Leckagen und auch durch Reflexionen der über die Antenne abgestrahlten Mikrowellen an metallischen Flächen erhebliche Grenzwertüberschreitungen auftreten können (vgl. S. 46 des Berichts); dies hat die Kommission durch eigene Messungen überprüft. Sowohl aus den eigenen Messungen der Beklagten als auch dem Bericht der Radarkommission ergibt sich damit die wiederholte Unrichtigkeit des Vortrags der Beklagten. Ausgehend von der nicht ganz fernliegenden Annahme, dass dies wider besseres Wissen erfolgt ist, wären Zweifel an der Richtigkeit der technisch zutreffenden Ausgangsbasis (rekonstruiertes Flugzeug für die Messungen) für weitere durchzuführende Messungen nicht völlig auszuschließen. Weitergehende Überlegungen und Ausführungen erübrigen sich jedoch, da es auf derartige Messungen im vorliegenden Verfahren überhaupt nicht mehr ankommt.

Mangels Entscheidungserheblichkeit muss sich der Senat auch nicht mit der Frage auseinander setzen, ob es tatsächlich nur eine einzige Messung zum NASARR gibt oder ob noch weitere Untersuchungen vorliegen, die von der Beklagten nur aus nicht näher nachvollziehbaren Gründen nicht vorgelegt werden, was im Rahmen der Beweislast zu würdigen wäre.

Zum Abschluss weist der Senat darauf hin, dass er sich sehr wohl des Gewichts und der Bedeutung der am prozessualen Vorgehen der Beklagten geübten Kritik bewusst ist, für das er gute Gründe gehabt hat. Er steht aber mit einer derartigen objektiven gerichtlichen Kritik nicht allein, wie sie beispielsweise auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein in seinem Beschluss vom 13.09.2012, Az.: 3 LB 21/11 - den das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 10.04.2014, Az.: 2 B 36/13, bestätigt hat - wie folgt zum Ausdruck gebracht hat:

„Hierüber hat die Beklagte jahrelang keine konsequente Überprüfung durchgeführt, den Kläger nicht informiert und auch der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Ermittlung erschwert.“

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG). Insbesondere sind keine Fragen grundsätzlicher Art zu klären. Vielmehr basiert die Entscheidung allein auf einer Einzelfallbeurteilung, die mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung des konkreten Falls zu treffen war.

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 20. August 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d :

Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob eine beim Kläger vorliegende Nierenerkrankung (Glomerulonephritis) und ein daraus resultierender Bluthochdruck als Schädigungsfolge nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) anzuerkennen sind.

Der Kläger ist im Jahr 1955 geboren und lebte bis 1979 in der ehemaligen DDR. Er wurde wegen zweier Versuche der illegalen Ausreise aus DDR strafrechtlich verurteilt.

Wegen des ersten Ausreiseversuchs im Jahr 1971 wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, wegen des zweiten Fluchtversuchs im Jahr 1973 mit Urteil des Bezirksgerichts G. vom 05.11.1973 wegen Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Er befand sich vom 29.07.1973 bis zum 17.10.1974 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft in der Jugendstrafanstalt I.. Dort war er in der Montage zunächst von Handwasserpumpen und anschließend von Wechselsprechanlagen für Büros eingesetzt, nachdem bei der ersten Tätigkeit gesundheitliche Probleme aufgetreten waren.

Im März 1975 ging beim Kläger ein Nierenstein ab, im Frühjahr 1977 wurde durch eine Nierenbiopsie eine Glomerulonephritis diagnostiziert; die einschlägigen medizinischen Untersuchungen und Behandlungen erfolgten zu einem Großteil in der Universitätsklinik J..

Am 29.04.1982 beantragte der Kläger eine Versorgung nach dem Häftlingshilfegesetz und dabei die Anerkennung einer chronischen Nierenbeckenentzündung als Schädigungsfolge. Zur Begründung gab er an, dass er nach einem Jahr Haft sehr starke Schmerzen in der rechten Hüfte gehabt habe und nur mangelhaft ärztlich versorgt worden sei. Die Ursache für die Erkrankung sehe er in der Unterkühlung und der schlechten Ernährung. Die Internistin Dr. W. berichtete dem damals zuständigen Versorgungsamt Ravensburg am 25.08.1982, dass ihr der Kläger seit Juni 1979 bekannt sei. Er befinde sich seit 1976 in ständiger ärztlicher Betreuung. 1975 sei ein Nierenstein festgestellt worden. Er leide unter einer chronischen glomerulären Nierenerkrankung. Die Erkrankung sei nicht aktiviert. Der Kläger sei leistungsfähig und beschwerdefrei. Die Blutdruckwerte - so Dr. W. - hätten stets im Normbereich gelegen. Der Urologe Dr. L. gab in seinem Arztbrief vom 02.11.1979 an, dass die Nieren beidseits in Form und Lage regelrecht seien. Im Schreiben des Landambulatoriums R. vom 27.08.1979 wurde berichtet, dass sich der Kläger seit drei Jahren in ständiger ärztlicher ambulanter Behandlung befinde. Beim Kläger liege eine durch eine Nierenbiopsie gesicherte mesangioproliverative Glomerulonephritis im Sinn einerTyp IgA-Nephropathie vor. Der Blutdruck habe im Durchschnitt 150/90 betragen. Zur Frage der Schädigungsfolgen erstellte Dr. B. am 22.12.1982 ein Gutachten nach Aktenlage sowie - nach Untersuchung des Klägers - am 27.01.1983 einen Nachtrag. Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der mesangioproliverativen Glomerulonephritis und den Haftbedingungen in der DDR sah der Sachverständige nicht. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 21.02.1983 wurde der Antrag des Klägers auf Versorgung nach dem Häftlingshilfegesetz abgelehnt.

Die gegen den Kläger in der DDR ergangenen strafgerichtlichen Urteile wurden mit Beschlüssen des Bezirksgerichts G. vom 12.03.1992 und 15.04.1992 aufgehoben und der Kläger rehabilitiert. Es wurde jeweils festgestellt, dass dem Kläger dem Grunde nach Ansprüche nach Maßgabe des Rehabilitierungsgesetzes zustünden.

Am 10.06.2008 beantragte der Kläger (beim damals zuständigen Versorgungsamt in Bayern) eine Versorgung nach dem StrRehaG. Er gab an, während der Haft einen Nierenstein mit der Folge einer chronischen Nierenbeckenentzündung gehabt zu haben und seitdem unter Bluthochdruck zu leiden. Während der Haft in I. habe er eine Tätigkeit ausüben müssen, bei der Gussteile abgeschliffen worden seien. Er habe sich wegen Hautausschlags im Februar 1974 in Behandlung begeben müssen. Im April habe er erstmals eine Nierenkolik erlitten. Die Koliken seien immer öfter aufgetreten und nach der Haftentlassung sei ein Nierenstein festgestellt worden, der nach einem halben Jahr durch Medikamente abgegangen sei.

Medizinische Unterlagen über die Behandlung in der Universitätsklinik J. waren wegen Ablauf der 30-jährigen Aufbewahrungsfrist (so die Auskunft der Uniklinik im sozialgerichtlichen Verfahren) nicht mehr ausfindig zu machen, insbesondere auch nicht der Bericht über die Nierenbiopsie von 1977. Später stellte sich heraus, dass Prof. Dr. F., der den Kläger bereits 1977 in der Universitätsklinik J. behandelt hatte, im Jahr 1990 dem Kläger den schriftlichen Befund seiner Nierenbiopsie ausgehändigt und dieser dann den Bericht seinem Hausarzt gebracht hatte (vgl. Ausführungen im Gutachten des Prof. Dr. D. vom 11.03.2012). Nach Aufgabe der Praxis ist dieser Befund heute nicht mehr auffindbar. Die Jugendstrafanstalt I. legte die vorhandenen Unterlagen über die dortige Unterbringung des Klägers mit Schreiben vom Juni 2008 vor. Darunter befanden sich auch die medizinischen Behandlungsunterlagen aus der Krankenanstalt in der Jugendstrafanstalt.

Im Verfahren nach dem StrRehaG hat der Kläger auch ein vom ihm verfasstes und an die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge gerichtetes Schreiben vom 24.03.1993 vorgelegt, in dem er Angaben zu seinen Lebensbedingungen von 1971 bis 1979 und seinem Gesundheitszustand von 1973 bis 1993 gemacht hatte. U. a. Folgendes ist daraus zu entnehmen:

* Im Spätherbst 1973 habe er - so der Kläger in diesem Schreiben - in der Jugendstrafanstalt I. vor allem im Gesicht und am Kopf Hautausschlag bekommen, der immer schlimmer geworden sei. Er habe zu dieser Zeit in der Wasserpumpenabteilung arbeiten müssen. Dabei sei durch Schleifarbeiten sehr viel Eisenstaub und Öl angefallen, was sein Körper nicht vertragen habe. Mehrmals habe er wochenlang auf der Krankenstation im Gefängnis gelegen, bis er in eine andere Abteilung verlegt worden sei. Dort habe er dann Wechselsprechanlagen für Büros montiert, das Krankheitsbild habe sich zusehends gebessert.

* Im Frühsommer 1974 habe er eines Nachts so heftige Schmerzen in der linken Hüfte bekommen, dass er weder stehen, sitzen noch liegen habe können. Er sei wieder für eine Woche auf die Krankenstation gekommen; ihm seien dort Eisbeutel auf den Bauch gelegt worden. Dies habe sich einige Male wiederholt. Man habe gedacht, er sei ein Simulant, und ihn nicht behandeln wollen. Als er vor Schmerzen wütend geworden sei, habe man ihn in eine schmale Einzelzelle gebracht. Dort habe er über einen Tag lang weder zu essen noch zu trinken bekommen. Die Schmerzen hätten sich bis zur Haftentlassung regelmäßig alle 2 - 3 Wochen wiederholt.

* Einige Tage nach der Haftentlassung habe er wieder einen derartigen Schmerzanfall bekommen, der sich kurze Zeit später wiederholt habe. Daraufhin sei er in der Universitätsklinik J. untersucht worden, wo ein Nierenstein festgestellt worden sei. Es sei weiter in medizinischer Behandlung gewesen; die medizinischen Werte hätten sich verbessert und stabilisiert, seien aber nicht mehr normal geworden. Er habe sehr oft an Schwäche und an Müdigkeit gelitten, dazu habe er sehr häufig eine Angina gehabt, wahrscheinlich bedingt durch seine Arbeit. Im Sommer 1976 seien die Mandeln entfernt worden, aber auch das habe den Gesundheitszustand nicht verbessert.

Der versorgungsärztliche Dienst wies in seiner Stellungnahme nach Aktenlage vom 24.02.2009 darauf hin, dass eine chronische Nierenbeckenentzündung nie vorgelegen habe, sondern eine derzeit nicht aktive IgA-Nephritis, die durch eine Biopsie gesichert sei. Bereits im Gutachten im Rahmen des Häftlingshilfegesetzes sei die Anerkennung der IgA-Nephritis als Schädigungsfolge nicht empfohlen worden. Während der Haft seien keine Erkrankungen aufgetreten, die gehäuft mit dem Erkrankungsbeginn einer IgA-Nephritis vergesellschaftet seien. Das Nierensteinleiden sei ausgeheilt. Dem Gutachten vom Dezember 1982 könne auch heute noch voll gefolgt werden. Da es keine als Schädigungsfolge anzuerkennende Nierenerkrankung gebe, könne auch keine Kausalkette konstruiert werden, in der der Bluthochdruck auf die Haftbedingungen zurückgeführt werden könnte.

Mit Bescheid vom 12.03.2009 lehnte das Versorgungsamt den Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem StrRehaG ab.

Dagegen legten die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 14.04.2009 Widerspruch ein und begründeten diesen wie folgt: Ein Krankenblatt aus der Haftzeit des Antragstellers vom 02.08.1974 zeige in der Fieberkurve zumindest eine erhöhte Temperatur. Im Krankheitsverlauf werde von heftigen Schmerzen im rechten Mittelbauch berichtet sowie von Erbrechen. Dies lasse den Verdacht eines fiebrigen Magen-Darm-Infekts durchaus zu. Man bedenke darüber hinaus auch die zusätzlichen psychologischen Belastungen während der Inhaftierung. Der Antragsteller leide seit seiner Haftzeit ständig an Nierenschmerzen. Dies würden auch die zeitlich nachfolgenden Befundberichte belegen. Damit seien die notwendigen Symptome für eine entschädigungspflichtige Erkrankung aufgezeigt.

Der versorgungsärztliche Dienst äußerte sich zu diesem Vorbringen mit Schreiben vom 06.05.2009 und 25.05.2009 wie folgt: Den vorliegenden Krankenblattunterlagen sei eine vorübergehende Behandlung wegen abdomineller Beschwerden im rechten Mittelbauch sowie wegen einer Dermatitis zu entnehmen. Soweit den Fieberkurven zu entnehmen sei, habe sich am 09.02.1974 eine Temperatur von 37,3°C und am 12.02.1974 von 37,2°C gefunden bei ansonsten dokumentierten Temperaturwerten von unter 37°C. Eine infektiöse fieberhafte Erkrankung sei somit aus den Unterlagen nicht ableitbar. An der bisherigen Beurteilung sei festzuhalten; die Haftbedingungen könnten nicht für die etwa zweieinhalb Jahre nach der Haftentlastung diagnostizierte IgA-Nephritis verantwortlich gemacht werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2009 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 17.06.2009, das sich mit dem Widerspruchsbescheid überschnitten hatte, legten die Bevollmächtigten des Klägers eine Kopie der Heilbehandlungsseiten aus dem Sozialversicherungsausweis des Klägers vor, woraus sich - so die Bevollmächtigten - ergebe, dass der Kläger unmittelbar nach seiner Haftentlassung im Januar 1975 mehrfach einen Facharzt für Innere Krankheiten wegen seines Nierenleidens aufsuchen habe müssen.

Mit Schreiben vom 30.07.2009 haben die Bevollmächtigten des Klägers Klage zum Sozialgericht (SG) Bayreuth erhoben. Sie haben die Klage damit begründet, dass der Kläger zu Unrecht inhaftiert gewesen sei und sich im Zeitraum der letzten Inhaftierung aufgrund schlechter Unterbringung und mangelnder ärztlicher Versorgung sowie anhaltender Nierenkoliken ein Nierensteinleiden, eine chronische Nierenbeckenentzündung und einen Bluthochdruck zugezogen habe. Unmittelbar nach der Haftentlassung sei beim Kläger ein Nierenstein festgestellt worden. 1977 sei dann eine IgA-Nephritis diagnostiziert worden. Die Blutdruckwerte des Klägers seien immer noch überhöht.

Unter dem Datum vom 25.03.2011 hat der Internist und Sozialmediziner Dr. T. sein im Auftrag des SG angefertigtes Gutachten vorgelegt. Er ist darin zu dem Ergebnis gekommen, dass die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen in keinem wahrscheinlichen Zusammenhang mit dem Haftaufenthalt des Klägers stünden. Auch die medizinischen Voraussetzungen für eine Kannversorgung lägen nicht vor.

Bei der Begutachtung - so der Sachverständige - habe der Kläger angegeben, während der Haft an einer Ölakne im Rahmen der Tätigkeit in der metallverarbeitenden Werkstätte erkrankt zu sein. Während der Haft sei die Ernährung einseitig gewesen (Margarine und Marmelade, einfaches Brot, nur sonntags Semmeln), 1975 sei spontan ein Nierenstein abgegangen. 1977 habe er einen schwarzen Urin bemerkt (Farbe wie Kaffee).

Zu der beim Kläger vorliegenden mesangioproliverativen Glomerulonephritis hat der Sachverständige Folgendes erläutert: Diese Erkrankung sei die häufigste Glomerulopathie bei jüngeren Menschen. Die Verursachung der IgA-Glomerulonephritis sei nicht endgültig aufgeklärt. Häufig würden die ersten Erscheinungen nach einem respiratorischen Infekt auftreten. Insgesamt bestehe bezüglich der Genese dieser Erkrankung in der medizinischen Wissenschaft weiterhin eine gewisse Unsicherheit. Dies habe dazu geführt, dass für diese Erkrankung nach den Anhaltspunkten das Institut der Kannversorgung in Anspruch genommen werde. Voraussetzung für die Annahme einer Kannversorgung sei eine enge zeitliche Verbindung mit körperlichen Belastungen und Witterungseinflüssen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet seien, die Resistenz erheblich herabzusetzen. Diese Voraussetzungen könnten beim Kläger nicht bejaht werden, da keine besonders beeinträchtigenden körperlichen Belastungen und Witterungseinflüsse vorgelegen hätten. Auch fehle der enge zeitliche Zusammenhang mit den Extrembelastungen. Nach den eigenen Angaben des Klägers sei die IgA-Glomerulonephritis 1977 durch eine Nierenbiopsie festgestellt worden. Für ein Bestehen bereits bei Haftentlassung ergebe sich aus den Aktenunterlagen kein Beweis. Die Angabe eines kaffeefarbenen Urins im Jahr 1977 könne auf den Beginn der Erkrankung zu diesem Zeitpunkt hinweisen.

Der Einschätzung des Sachverständigen haben sich die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 27.05.2011 nicht angeschlossen. Es sei davon auszugehen, dass die Kausalität der Erkrankung dadurch nachgewiesen werden könne, dass sich der Kläger bereits im Januar 1975, also lediglich zweieinhalb Monate nach Haftentlassung, in entsprechender Behandlung wegen einer chronischen Nierenbeckenentzündung (im Universitätsklinikum J.) befunden habe.

Der gerichtliche Sachverständige Dr. T. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 01.07.2011 darauf hingewiesen, dass eine Nierenbeckenentzündung in keinerlei Zusammenhang mit einer Glomerulonephritis stehe; es handle sich dabei um zwei völlig verschiedene Krankheitsbilder.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Internist und Nephrologe Prof. Dr. D. unter dem Datum vom 11.03.2012 ein Gutachten und am 17.04.2012 ein ergänzendes Schreiben erstellt. Er ist dabei zu der Einschätzung gekommen, dass die Voraussetzungen der Kannversorgung bei der Nierenerkrankung des Klägers erfüllt seien. Bei der Begutachtung - so der Sachverständige - habe der Kläger angegeben, dass im Rahmen der Haft blutiger Urin aufgetreten sei, der wie Coca-Cola oder Malzkaffee ausgesehen habe. Seine Annahme eines Zusammenhangs der Glomerulonephritis mit der Haft hat der Sachverständige wie folgt begründet: Der Kläger sei während der Haft an einer Nierenentzündung erkrankt, die übersehen worden sei. Dass hier eine Entzündung abgelaufen sei, sei durch die subfebrilen bis febrilen Temperaturen dokumentiert. Auch der Gewichtsverlust von 3 kg durch Nulldiät, keine Flüssigkeitszufuhr und Unterbringung bzw. Isolierung zeitweise in einer Einzelzelle würden dies belegen. IgA-Nierenentzündungen hätten, wie sich aus der Literatur ergebe, ein erhöhtes Risiko für umweltbedingte Faktoren wie Exposition zu Kohlenwasserstoffen, wie sie bestimmt in Schmierölen und den in der Haftanstalt verwendeten Substanzen vorhanden gewesen seien. Die Unterbringung auf der Krankenstation der Haftanstalt sei primär wegen einer durch Ölprodukte ausgelösten Hautentzündung mit Haarverlust erfolgt. Sie sei aber auch einhergegangen mit einer Schädigung innerer Organe, die von den behandelnden Ärzten übersehen worden sei. Dass die Histologie der Nierenbiopsie nicht mehr auffindbar sei, könne dem Kläger nicht vorgeworfen werden. Es sei nachgewiesen, dass die mesangioproliverative Glomerulonephritis bereits während des Haftaufenthalts begonnen habe.

Der versorgungsärztliche Dienst hat sich dieser Einschätzung nicht angeschlossen (Stellungnahme vom 08.05.2012). Er hat darauf hingewiesen, dass der Kläger bei der Begutachtung durch Prof. Dr. D. erstmals angegeben habe, dass er bereits während des Gefängnisaufenthalts Blut im Urin bemerkt habe. In den vom Gutachter genannten medizinischen Veröffentlichungen - so der versorgungsärztliche Dienst - werde keine mit der des Klägers vergleichbare Situation beschrieben. In diesen Artikeln seien Personengruppen untersucht worden, bei denen das Vorliegen einer glomerulären Nierenerkrankung durch eine Biopsie gesichert gewesen sei. Bei diesen Personen sei dann im weiteren Verlauf die Verschlechterung ihrer Nierenleistung in den nächsten Jahren in Bezug gesetzt worden zum Ausmaß der Exposition mit chemischen Substanzen wie Lösungsmitteln. Hierbei habe es sich um Personen gehandelt, die von Berufs wegen jahrelang mit entsprechenden Substanzen zu tun gehabt hätten. Eine Übertragung auf den Kläger, der nur wenige Monate Eisenstaub und Öl ausgesetzt gewesen sei, sei nicht gerechtfertigt. In der Gesamtschau könne der Einschätzung des Gutachters nicht zugestimmt werden. Der geschilderte Verlauf und insbesondere die vom Kläger geschilderte Schmerzsymptomatik während der Haft, die sich nach der Haft in gleicher Weise fortgesetzt habe, die schließlich zur Diagnose eines Nierensteins rechts geführt habe und nach Entfernung dieses Nierensteins ein Abklingen dieser Beschwerden zur Folge gehabt habe, stelle ein gewichtiges Kriterium gegen eine chronische Glomerulonephritis, aber für einen Nierenstein als Ursache dieser Beschwerden dar.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.08.2012 ist die Klage abgewiesen worden; das Gericht hat sich dabei dem Gutachten des Prof. Dr. D. nicht angeschlossen, sondern ist dem Sachverständigen Dr. T. gefolgt.

Mit Schreiben vom 17.09.2012 haben die Bevollmächtigten des Klägers Berufung eingelegt. Sie haben sich dabei auf das Gutachten des Prof. Dr. D. gestützt. Soweit das SG gerügt habe, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Haft und festgestellter Erkrankung nicht bestehe, habe sich der Gutachter mit dieser Frage sehr wohl auseinandergesetzt. Es wäre erforderlich gewesen, dass das SG den Sachverständigen noch einmal nachbefrage. Der Kläger lasse zudem ausführen, dass der bei ihm festgestellte Bluthochdruck seit der Haftentlassung durchgehend bestehe und damit ein eindeutiges Zeichen dafür darstelle, dass der Kläger sich die Erkrankung während der Haftzeit zugezogen habe.

Nach einem Erörterungstermin am 23.01.2014 und umfassender Erläuterung der medizinisch-rechtlichen Problematik und der rechtlichen Fachbegriffe hat sich Prof. Dr. D. in einer ergänzenden Stellungnahme vom 15.07.2014 wie folgt geäußert: Die mesangioproliverative Glomerulonephritis vom IgA-Typ entstehe durch Autoimmunprozesse, wobei grippale Infekte, insbesondere im HNO-Bereich, aber auch in den Lungen als Hauptauslöser bei dieser Konstellation aufgefasst würden. Die Entzündungsherde könnten aber auch in anderen Regionen des Körpers liegen. Aber auch andere Ursachen, wie Lösungsmittel, könnten eine ungünstige Auswirkung „auf die Progression (Verschlechterung bzw. Fortschreiten) der IgA-Nephritis“ haben. Auch eine vermehrte Kalziumausscheidung im Urin mit Nierensteinbildung könne gleichzeitig oder zeitverschoben auftreten und die Diagnose der IgA-Nephritis verschleiern oder erschweren. Zudem sei ein bislang nicht berücksichtigtes zweites Krankheitsgeschehen zu beachten, das mit einer IgA-Nephritis assoziiert sei, und zwar eine Purpura-Schönlein-Henoch. Dies sei eine systemische, auch immunologische Erkrankung mit renaler intermittierender Variante, die neben der Purpura (Hautausschlag mit punktuellen kleinen Einblutungen) auch mit gastrointestinalen Beschwerden wie Bauchbeschwerden und auch Gelenkbeschwerden einhergehe. Diese Symptome habe der Kläger bis auf die Gelenkbeschwerden aufgewiesen. Eine Nierenbeteiligung bei Purpura-Schönlein-Henoch trete bei Erwachsenen in 50 - 80% der Fälle auf, eine arterielle, in diesem Fall renale Hypertonie in 22%. Zum Nachteil des Klägers sei auch eine schlechte Dokumentation auf der Krankenstation ohne Durchführung einer Urinuntersuchung zu finden. Nicht im Widerspruch zur Annahme eines Zusammenhangs stehe die Tatsache, dass der Kläger nach Entlassung aus der Haft einen kalziumhaltigen Nierenstein ausgeschieden habe. Für ihn, den Sachverständigen, bestehe kein Zweifel an der Erstdiagnose einer mesangialen Glomerulonephritis vom IgA-Typ für die Haftzeit; es liege ein Vollbeweis vor. Dies schließe er aus der klinischen Symptomatik und der Vorgeschichte. Beim Kläger hätten subfebrile bis febrile Temperaturen um 37°C vorgelegen. Diese könnten ein „bedingter“ Hinweis auf eine Glomerulonephritis sein, die ohne größere Fieberschübe einhergehen könne. Der Kläger habe sich in einem schlechten Allgemein-und Ernährungszustand befunden, er habe zu wenig getrunken. Es sei wahrscheinlich ausgetrocknet gewesen und habe an Gewicht verloren, obwohl er wahrscheinlich Ödeme im Rahmen des Eiweißverlusts über die Nieren gehabt habe. Befragt zum medizinischen Kenntnisstand bezüglich der Entstehung einer Glumerolonephritis hat der Sachverständige ausgeführt, dass es sich bei den Probanden der von ihm angeführten Studien um Arbeiter gehandelt habe, die lange mit diesen Solventien gearbeitet hätten. Zum Glück für den Kläger habe dessen Exposition nur kurz (Wochen) gedauert.

Der versorgungsärztliche Dienst hat der Einschätzung des Prof. Dr. D. widersprochen und die Erkrankung an einer Purpura-Schönlein-Henoch während der Haft als unwahrscheinlich bezeichnet. Auch sei der Kläger nur wenige Wochen gegenüber Lösungsmitteln exponiert gewesen. Aus den in der Krankenakte enthaltenen Temperaturmessungen könne nicht auf ein febriles oder subfebriles Krankheitsgeschehen geschlossen werden. Die Annahme einer Austrocknung des Klägers sei eine Spekulation.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben dem mit Schreiben vom 14.10.2014 entgegengehalten, dass der Versorgungsarzt die Augen vor gegebenen Tatsachen verschließe. Selbstverständlich lasse sich bei jeder Erkrankung auch irgendwo eine Alternativursache finden. Maßgebend sei jedoch der Grad der Wahrscheinlichkeit.

Über den nach Umzug des Klägers kraft Gesetzes eingetretenen Beklagtenwechsel sind die Beteiligten mit gerichtlichem Schreiben vom 04.02.2015 informiert worden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Bayreuth vom 20.08.2012 aufzuheben, den Bescheid vom 12.03.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, als Folge der Inhaftierung vom 06.01.1971 bis 01.02.1971 und vom 20.07.1973 bis 19.10.1974 die Glomerulonephritis und den Bluthochdruck als Schädigungsfolgen festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Verwaltungsakten zu den Verfahren nach dem Häftlingshilfegesetz und dem StrRehaG sowie die Akten des SG Bayreuth beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Wegen des Wohnortwechsels des Klägers ist in diesem Verfahren, das keine reine Anfechtungsklage beinhaltet, ein Beklagtenwechsel kraft Gesetzes eingetretenen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 05.07.2007, Az.: B 9/9a SB 2/07 R), so dass das Land der richtige Beklagte ist.

Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen (Nierenleiden in Form einer mesangioproliverativen Glomerulonephritis, medikamentös gut eingestellter Bluthochdruck) sind nicht als Schädigungsfolgen anzuerkennen, da ein Zusammenhang mit der Haft nicht nachgewiesen ist.

1. Voraussetzungen einer Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge - Allgemeines

Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer für rechtsstaatswidrig erklärten und daher aufgehobenen Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 08.05.1945 bis zum 02.10.1990 von einer Freiheitsentziehung betroffen gewesen ist und infolge dessen eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes.

Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen schädigendem Tatbestand und Gesundheitsstörung. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt eine Anerkennung im Rahmen der sogenannten Kannversorgung gemäß § 21 Abs. 5 Satz 2 StrRehaG in Betracht.

Die Anerkennung von Schädigungsfolgen setzt - wie auch sonst im Versorgungsrecht - eine zumindest dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. BSG, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Ein mit der Freiheitsentziehung zusammenhängender schädigender Vorgang (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (2. Glied) geführt haben, die wiederum, ggf. über eine sog. Umwegskrankheit (mögliches 3. Glied) (vgl. BSG, Urteil vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06 R; Urteil des Senats vom 06.11.2012, Az.: L 15 VS 13/08 ZVW), die geltend gemachten Schädigungsfolgen (3. oder 4. Glied) bedingt. Auch wenn nach Ansicht des Senats eine trennscharfe Differenzierung zwischen dem 2. und dem 3. Glied oftmals praktisch nicht möglich und daher verzichtbar sein sollte (vgl. Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11), wie dies auch im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung praktiziert wird, scheint die versorgungsrechtliche Rechtsprechung des BSG „grundsätzlich“ auf der exakten Differenzierung zu bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06).

Die einzelnen Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92). Die bloße Wahrscheinlichkeit und erst recht nur die Möglichkeit genügen nicht.

Demgegenüber reicht es für den ursächlichen Zusammenhang der Glieder aus, wenn dieser jeweils mit (hinreichender) Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 6/13 R). Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66).

Lässt sich der rechtlich wesentliche Kausalzusammenhang zwischen der Freiheitsentziehung und einer Gesundheitsstörung nur deshalb nicht herstellen, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt gemäß § 21 Abs. 5 Satz 2 StrRehaG die sogenannte Kannversorgung in Betracht. Von Ungewissheit ist dann auszugehen, wenn es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, Az.: B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die bloße Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, Az.: 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, Az.: 9/9a RV 41/92).

Es muss daher für eine Versorgung im Sinn der Kannversorgung wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs positiv vertritt. Eine Kannversorgung ist daher dann zu bejahen, wenn nach dieser einen Lehrmeinung der Kausalzusammenhang im konkreten Fall positiv festzustellen ist, also nach den von dieser Meinung aufgestellten Kriterien von einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang auszugehen ist (vgl. Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11).

In den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008 (AHP 2008) ist unter den Krankheiten, für die eine Kannversorgung nach Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Betracht zu ziehen ist - eine fehlende Zustimmung wäre im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung als lediglich verwaltungsinterner Vorgang ersetzbar (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1969, Az.: 8 RV 469/67; Landessozialgericht - LSG - Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.11.2001, Az.: L 10 VS 44/98; offengelassen: BSG, Urteil vom 16.03.1994, Az.: 9 RV 11/93) -, auch die chronische Glomerulonephritis genannt (vgl. AHP 2008 Nr. 39, Abs. 7 i. V. m. Nr. 111). In den AHP 2008, Nr. 111, ist dazu Folgendes ausgeführt:

„Die chronische Glomerulonephritis kann sich an eine akute Glomerulonephritis anschließen; die Kausalitätsbeurteilung richtet sich dann nach derjenigen des akuten Stadiums.

Bei der Mehrzahl der chronischen Glomerulonephritiden kann jedoch weder auf ein akutes Vorstadium noch auf eine vorangegangene Infektion geschlossen werden. Die Ätiologie dieser chronischen Glomerulonephritiden ist in der medizinischen Wissenschaft noch nicht ausreichend geklärt; Autoimmunvorgänge spielen eine Rolle. Dementsprechend ist eine Kannversorgung in Betracht zu ziehen, wenn ein Krankheitsbeginn in enger zeitlicher Verbindung mit körperlichen Belastungen und Witterungseinflüssen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet waren, die Resistenz erheblich herabzusetzen, angenommen werden kann.“

Von einem engen zeitlichen Zusammenhang kann gesprochen werden, wenn die Erkrankung spätestens innerhalb von sechs Monaten ab Ende der potenziell schädigenden Umstände aufgetreten ist (vgl. Pressevorbericht Nr. 9 des BSG vom 27.01.2000; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.11.2001, Az.: L 10 VS 44/98).

2. Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolge im zu entscheidenden Fall

Zwar liegt eine einen Versorgungsanspruch eröffnende Freiheitsentziehung im Sinn des § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG vor. Es lässt sich aber ein Zusammenhang der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen (mesangioproliverative Glomerulonephritis, Bluthochdruck) damit nicht herstellen.

2.1. Freiheitsentziehung

Der Kläger hat infolge des für rechtsstaatswidrig erklärten und daher aufgehobenen Urteils des Bezirksgerichts G. vom 05.11.1973 eine Freiheitsentziehung vom 20.07.1973 bis zum 19.10.1974 im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erlitten. Das Vorliegen einer Maßnahme nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG ist mit Beschluss des Bezirksgerichts G. vom 15.04.1992 verbindlich festgestellt worden.

2.2. Schädigungsfolgen

Ein Zusammenhang zwischen Freiheitsentziehung und den vom Kläger als Schädigungsfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen lässt sich nicht herstellen.

2.2.1. Geltend gemachte Gesundheitsstörungen

Als potentiell berücksichtigungsfähige Gesundheitsstörungen kommen in Betracht die mesangioproliverative Glomerulonephritis und ein daraus resultierender Bluthochdruck.

Keine Anerkennung finden kann die vom Kläger in der Vergangenheit angegebene Nierenbeckenentzündung, da eine derartige Erkrankung nie vorgelegen hat - der Kläger hat diesen Begriff wohl irrtümlich verwendet, weil er davon ausgegangen ist, dass eine mesangioproliverative Glomerulonephritis als Nierenkörperchenentzündung gleichzusetzen sei mit einer Nierenbeckenentzündung; der Kläger hat diesen ursprünglichen Antrag im Berufungsverfahren auch nicht weiter verfolgt.

Nicht anerkennungsfähig - darauf weist der Senat nur der Vollständigkeit halber hin - wäre auch ein Nierensteinleiden oder eine Neigung zu Nierensteinen, weil eine derartige Gesundheitsstörung seit vielen Jahren nicht mehr aufgetreten ist und das im zeitlichen Zusammenhang mit der Haft erlittene Nierensteinleiden vollständig und folgenlos verheilt ist.

2.2.2. Kein Zusammenhang im Sinn der Wahrscheinlichkeit des § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG

Keiner der mit der Erkrankung des Klägers befassten Ärzte und Sachverständigen, auch nicht der vom Kläger gemäß § 109 SGG benannte Gutachter, haben einen Zusammenhang zwischen der Nierenerkrankung des Klägers und den Haftbedingungen im Sinn der Wahrscheinlichkeit gesehen. Weitere Ausführungen des Senats erübrigen sich daher, zumal auch von Seiten des Klägers keine abweichende Auffassung vorgebracht worden ist.

2.2.3. Kein Zusammenhang im Sinn der Kannversorgung gemäß § 21 Abs. 5 Satz 2 StrRehaG

Im vorliegenden Fall scheitert eine Anerkennung der mesangioproliverativen Glomerulonephritis (und eines vermutlich daraus resultierenden Bluthochdrucks) als Schädigungsfolge schon daran, dass ein mit der Haft zusammenhängender potentiell schädigender Vorgang nicht nachgewiesen ist. Im Übrigen würde einer Anerkennung auch der dafür geforderte enge zeitliche Zusammenhang zwischen belastenden Umständen und Erkrankungsbeginn fehlen.

2.2.3.1. Potenziell schädigender Vorgang

Unter dem Aspekt potentiell schädigender Vorgänge während der Haft ist zu denken an schlechte Lebensbedingungen im weiteren Sinn verbunden mit schlechter Ernährung, haftbedingte infektiöse Erkrankungen und ein Kontakt mit Lösungsmitteln bzw. Ölen im Rahmen der Tätigkeit in der Wasserpumpenabteilung.

Unter allen Gesichtspunkten ist ein potentiell schädigender Vorgang nicht im Vollbeweis nachgewiesen

2.2.3.1.1.

Schlechte Lebensbedingungen

Derartige potentiell schadensverursachende Lebensbedingungen in der Haftanstalt sind nicht im Vollbeweis nachgewiesen; dies hat auch der gerichtliche Sachverständige Dr. T. erläutert, dessen Einschätzung sich der Senat zu eigen macht.

Wie den Anhaltspunkten 2008 (vgl. dort Nr. 111, Abs. 2) zu entnehmen ist, wird von der medizinischen Wissenschaft die Entstehung einer Glomerulonephritis vor allem postinfektiös insbesondere nach Atemwegserkrankungen (z. B. nach Angina, Scharlach, Grippe) oder parainfektiös herdförmig bzw. diffus z. B. im Verlauf eitrige Erkrankungen angenommen. Auch schwere körperliche Belastungen, u. U. in Verbindung mit Kälte- und Nässeeinflüssen, die nach Art und Dauer die Resistenz gegenüber Infekten erheblich herabzusetzen vermögen, können bei der Krankheitsmanifestation eine mitursächliche Bedeutung haben.

Es mag zwar durchaus so sein, dass die Ernährung während der Haftzeit des Klägers nicht hochwertig und ausgewogen, sondern eher wenig qualitätsvoll gewesen ist. Weitergehende, insbesondere erhebliche körperliche Belastungen, die die Art und Dauer der Resistenz gegenüber Infekten erheblich herabsetzen hätten können, sind aber vom Kläger nicht behauptet worden, geschweige denn im Vollbeweis nachgewiesen.

Eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr infolge der Haftbedingungen ist nicht nachgewiesen und auch so nicht vom Kläger vorgetragen worden. Fest steht - auch aufgrund der eigenen Angaben des Klägers -, dass er nur an einem einzigen Tag während der Haft nichts zum Trinken erhalten hat. Dies ist zweifellos, auch nach dem Vortrag des Prof. Dr. D., nicht dazu geeignet, die Resistenz gegenüber Infekten erheblich herabzusetzen. Dass über diesen Tag hinaus dem Kläger vorübergehend eine Nulldiät verordnet war, hat in diesem Zusammenhang keine Bedeutung, da eine derartige Diät einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr nicht entgegensteht. Wenn Prof. Dr. D. eine Austrocknung des Klägers vermutet, handelt es sich dabei lediglich um eine Spekulation, der keinerlei greifbare Fakten zugrunde liegen. Weder hat der Kläger dies behauptet noch lässt sich den Unterlagen irgendetwas entnehmen, was auf eine Austrocknung hindeuten könnte. Auch lässt sich eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr nicht mit der Entwicklung des Körpergewichts des Klägers begründen. Sofern Prof. Dr. D. hier zunächst von einer Gewichtsabnahme von 3 kg ausgegangen ist, hat er dies später selbst korrigieren müssen. Tatsächlich belegen die medizinischen Unterlagen aus der Haftzeit nämlich eine Gewichtszu-, nicht -abnahme von 3 kg. Die Gewichtsentwicklung steht auch einer erheblichen Beeinträchtigung durch unzureichende Nahrungszufuhr entgegen.

2.2.3.1.2. Kontakt mit Lösungsmitteln und Ölen

Der Kläger hat während seiner Haftzeit über mehrere Wochen in der Wasserpumpenabteilung der Haftanstalt gearbeitet. Dort ist er unstrittig mit Lösungsmitteln und Ölen in Kontakt gekommen.

Dieser Kontakt stellt im Fall des Klägers aber wegen zu geringer zeitlicher Ausprägung keine potentiell schadensverursachende Tätigkeit dar.

Der Senat geht zusammen mit dem Gutachter Prof. Dr. D. davon aus, dass die Verursachung einer Glomerulonephritis nicht nur aus den in den AHP aufgeführten Gründen im Sinn der Kannversorgung möglich ist, sondern auch infolge eines Kontakts mit Lösungsmitteln und Ölen.

Wie sich den Studien, die sowohl der Sachverständige Prof. Dr. D. als auch anschließend der Beklagte zitiert haben, entnehmen lässt, ist nach allen diesen Studien ein langjähriger Kontakt mit Lösungsmitteln erforderlich, um einen Zusammenhang mit einer Glomerulonephritis in Betracht ziehen zu können:

* Porro u. a. haben in einer Veröffentlichung aus dem Oktober 1992 einen Zusammenhang zwischen einer langjährigen beruflichen Exposition mit Lösungsmitteldämpfen und der Entwicklung einer chronischen Glomerulonephritis gesehen, wobei sie zu der Einschätzung gekommen sind, dass vermutlich viele weitere Faktoren zusammenkommen müssten.

* In der Studie von Stengel u. a. vom Oktober 1994 ist ein Zusammenhang zwischen einem ausgeprägten lebenslangen Lösungsmittelkontakt und der Entwicklung einer chronischen Glomerulonephritis mit Niereninsuffizienz gesehen worden.

* Jacob u. a. sind in einer Studie vom Januar 2007 zu dem Ergebnis gekommen, dass Lösungsmittel bei der Progression einer chronischen Nierenerkrankung eine wichtige Rolle spielen.

* In einer weiteren Veröffentlichung ebenfalls von Jacob u. a. im Juni 2007 ist ausgeführt, dass vor allem bestimmte Lösungsmittel das Fortschreiten einer Glomerulonephritis bis hin zur Dialysepflichtigkeit begünstigen würden.

Diese Einschätzung zum erforderlichen langen Expositionszeitraum entspricht auch der unfallversicherungsrechtlichen Rechtsprechung. So hat das LSG Niedersachsen-Bremen im Urteil vom 16.01. 2003, Az.: L 6 U 28/01, Folgendes ausgeführt:

„Nach der von allen Ärzten referierten Entwicklung hat sich der medizinisch-wissenschaftliche Kenntnisstand über die Verursachung von Glomerulonephritiden durch Lösungsmittel seit den 70er Jahren verdichtet. - Prof. Dr. D. hat im nephrologischen Gutachten vom 10. Februar 1992 im Einzelnen den Kenntnisgewinn seit einer Untersuchung von BEIRNE/BRENNAN (1972) dargestellt und auf die Zusammenfassung durch NELSON (1990) hingewiesen. - Daran hat Prof. Dr. Dr. N. im Gutachten vom 24. Mai 1993 angeknüpft und im Einzelnen dargelegt, dass diese Übersichtsarbeit für die Beurteilung der Erkrankung des Versicherten deshalb von besonderer Bedeutung ist, weil sie Einzelberichte über Zusammenhänge membranöser Glomerulonephritiden mit Lösungsmitteln darstellt. Die Einzelfallmitteilungen konzentrieren sich auf Fälle mit langjähriger Exposition gegenüber höherer Konzentration gemischter organischer Lösungsmittel, von der der Senat, wie dargelegt, auch im vorliegenden Fall ausgeht. Von besonderer Bedeutung ist auch die Aussage der Autoren dieser Studie, dass „chronische Glomerulonephritiden als lösungsmittelbedingte Krankheiten einzustufen sind“ (nephrologisches Gutachten des Prof. Dr. C., S. 12). - Der Sachverständige Prof. Dr. C. hat insbesondere auf die von HUBER (2000) durchgeführte Fall-Kontroll-Studie hingewiesen, die ein signifikant erhöhtes Risiko für die Erkrankung an Glomerulonephritis bei chronischem Kontakt mit Lösungsmitteln belegt. Dabei korreliert das relative Risiko zu Dauer und Dosis der Lösungsmittelexposition. Bei einer über 30jährigen Exposition, wie sie bei dem Versicherten vorlag, wird ein relatives Risiko deutlich über den Faktor 2 auf 10 berechnet (S. 19 f. des nephrologischen Gutachtens vom 4. Mai 2000). Auch die Fall-Kontroll-Studie von STENGEL (1996) beschreibt ein relatives Risiko einer eingeschränkten Nierenfunktion bei chronischer Lösungsmittelexposition in Abhängigkeit von der Expositionsdauer deutlich über dem Faktor 2 (3,5 bis 7,7 - S. 11 des nephrologischen Gutachtens vom 4. Mai 2000; vgl. auch das arbeitsmedizinische Gutachten des Dr. O., S. 34). Nephropathien als Folgen einer Lösungsmittelexposition sind auch von MUTTI (1996) beobachtet worden (ebd.). - Insgesamt überzeugt den Senat die Schlussfolgerung, dass eine sehr hohe berufliche Lösungsmittelexposition über eine lange Zeit zu einem erheblich höheren Risiko führt, an einer membranösen Glomerulonephritis zu erkranken. Davon geht mittlerweile wohl auch die Beklagte aus (S. 2 oben des Schriftsatzes vom 11. Oktober 2002). Allerdings trifft - wie oben bereits ausgeführt - ihr neuer Vortrag nicht zu, die berufliche Belastung des Versicherten sei nicht sehr hoch („nur geringfügige Überschreitungen der Grenzwerte“) und damit innerhalb eines Bereiches gewesen, dessen Bedeutung für die Entstehung von Glomerulonephritiden gering ist (S. 3 der ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme des Prof. Dr. Dr. N. an das LSG Nordrhein-Westfalen vom 23. März 1998; vgl. auch die - von dem Institut des Prof. Dr. M. mit erstellte - Heidelberger Malerstudie der Arbeitsgemeinschaft der Bau-BGen, Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. Sonderheft 23, 1997, 7.4.4).“

Entsprechendes zur Belastungsdauer ist auch dem Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 28.08.2001, Az.: L 2 U 367/99, zu entnehmen:

Von besonderer Bedeutung ist insoweit, dass sich durch die Untersuchung von Huber et al eine überzeugende Dosis-Wirkungs-Beziehung ableiten lässt. Diese Untersuchung ergab, dass nach 30 Expositionsjahren das geschätzte Risiko auf das Zehnfache des Ausgangswertes stieg. Die Arbeit von Brautbahr et al untersucht die Literaturdaten der letzten Jahre im Hinblick auf Lösungsmittel und chronische Nierenerkrankungen. Die Mehrheit der Einzelfallbeschreibungen, Fallstudien und epidemiologischen Studien zeigt Brautbahr et al zufolge einen Zusammenhang zwischen Langzeitlösemittelexposition und chronischer Glomerulonephritis. Die Studien belegen eine zeitliche Korrelation, eine Dosis-Wirkungs-Korrelation, eine biologische Plausibilität, eine Konsistenz sowie eine statistische Assoziation.“

An einem derartigen, lang andauernden Kontakt fehlt es im Fall des Klägers ohne jeden Zweifel, so dass potentiell erkrankungsauslösende Arbeitsbedingungen nicht im Vollbeweis nachgewiesen sind.

Eine belastende Tätigkeit in dem vom Kläger ausgeübten vergleichsweise kurzen zeitlichen Umfang von einigen Wochen, allenfalls ganz wenigen Monaten, stellt bereits keine potentiell schadensverursachende Tätigkeit dar.

Sofern Prof. Dr. D. davon ausgegangen ist, dass der Kontakt des Klägers während der Haft mit Lösungsmitteln eine geeignete Belastung zur Krankheitsauslösung gewesen sei, kann sich der Senat dem nicht anschließen. Denn diese Belastung hat keinesfalls lange angedauert, sondern war nur von ganz vorübergehender Art, nämlich bis zur Erkrankung des Klägers an den Hauterscheinungen und zur Einweisung in die Krankenabteilung, und hat sich auf einen Zeit von Wochen, allenfalls ganz wenigen Monaten beschränkt. Anschließend hat der Kläger Tätigkeiten in einer anderen Abteilung der Strafvollzugsanstalt ausgeübt, die mit derartigen Belastungen nicht mehr verbunden waren. Dies hat der Kläger selbst so angegeben. Im Übrigen muss dieser Gesichtspunkt auch dem Sachverständigen selbst bewusst gewesen sein, weil er explizit darauf hingewiesen hat, dass der Kläger glücklicherweise nur kurze Zeit unter entsprechenden Belastungen gearbeitet habe (S. 3 oben der Stellungnahme vom 15.07.2014 - Unterstreichungen durch den Sachverständigen: „Herr A. hatte hier insofern Glück, dass er nur wenige Wochen zu diesen Lösungsmitteln exponiert war.“). Insofern sind die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. D. in sich eklatant widersprüchlich, weil der Sachverständige einerseits darauf hingewiesen hat, dass nach den von ihm zitierten Studien ein langjähriger Kontakt mit Lösungsmitteln und Ölen erforderlich sei, und andererseits, ohne dies weiter zu hinterfragen, von einer im Fall des Klägers erkrankungsauslösenden Tätigkeit ausgeht, obwohl ihm der nur wenige Wochen andauernde Kontakt zu Lösungsmitteln bewusst ist.

Ob, wie der Beklagte unter Bezugnahme auf die Studienlage und zunächst auch der Sachverständige Prof. Dr. D. erläutert haben, langjähriger Kontakt mit Lösungsmitteln nur zu einer Beeinflussung einer Glomerulonephritis im Sinne einer Progression, also zu einer Verschlimmerung einer bereits vorliegenden Erkrankung, führen kann, nicht aber zur einer Verursachung im Sinne der Entstehung, kann letztlich dahingestellt bleiben. Jedenfalls die vom Sachverständigen angeführten und vom Beklagten vorgelegten Studien sprechen dafür, dass sich aus diesen Studien keine Kausalität im Sinn der Entstehung einer Glomerulonephritis ableiten lässt, sondern nur eine Beeinflussung des Fortschreitens einer bereits vorliegenden Erkrankung, also eine Kausalität im Sinn einer Verschlimmerung. Damit korrespondiert auch der Hinweis des Sachverständigen Prof. Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme, dass er nicht differenzieren könne zwischen einer Kausalität im Sinn der Entstehung einerseits und der Verschlimmerung andererseits. Da beim Kläger eine bereits vor der Haftzeit vorliegende Glomerulonephritis nicht nachgewiesen ist und nicht einmal behauptet wird, scheidet auch insofern eine Kausalität zwischen Belastung mit Lösungsmitteln und Ölen in der Haft und Erkrankung beim Kläger aus.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass eine Belastung, die einen potentiellen Auslöser für die beim Kläger vorliegende Erkrankung darstellen könnte, nicht nur nicht im Vollbeweis nachgewiesen, sondern weitgehend widerlegt ist.

2.2.3.1.3. Haftbedingter Infekt

Atemwegserkrankungen wie z. B. Angina, Scharlach oder Grippe, nach denen an eine postinfektiöse Entstehung einer Glomerulonephritis zu denken wäre, sind für die Haftzeit des Klägers nicht im Vollbeweis nachgewiesen.

Im Gefolge vorgenannter Erkrankungen wird von der medizinischen Wissenschaft die Entstehung einer Glomerulonephritis diskutiert. Um einen Zusammenhang im Sinn der Kannversorgung bejahen zu können, müssten derartige Erkrankungen während der Haftzeit im Vollbeweis nachgewiesen sein; zudem müsste ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der Haft und den Erkrankungen belegt sein, um eine Versorgung in Betracht zu ziehen.

Derartige Erkrankungen insbesondere der Atemwege während der Haftzeit des Klägers sind nicht nachgewiesen. Dabei stützt sich der Senat auf die vorliegenden Krankenunterlagen und auch die Feststellungen der Sachverständigen. Irgendwelche fundierten Hinweise auf eine solche Erkrankung enthalten die medizinischen Unterlagen aus der Haftzeit nicht. Es ist lediglich eine kurzzeitig über wenige Tage geringfügig erhöhte Körpertemperatur dokumentiert, mit der der Vollbeweis einer derartigen Erkrankung nicht zu führen ist.

2.2.3.1.4. Purpura-Schönlein-Henoch

Mit der vom Sachverständigen Prof. Dr. D. erstmals in seiner zuletzt angefertigten Stellungnahme von 15.07.2014 eingebrachten Hypothese, der Kläger sei während der Haft an einer Purpura-Schönlein-Henoch erkrankt, die bei Erwachsenen in 50 - 80% der Fälle mit einer Nierenbeteiligung einhergehe und mit einer IgA-Nephritis assoziiert sei, können potentiell eine Glumerolonephritis auslösende Bedingungen in Form einer Purpura-Schönlein-Henoch während der Haft nicht bewiesen werden.

Der Senat kann es dahingestellt lassen, ob der für eine Versorgung im Rahmen der Kausalitätskette erforderliche Zusammenhang zwischen der Haft und der Purpura-Schönlein-Henoch (im Sinn der Wahrscheinlichkeit bzw. der Kannversorgung) überhaupt in Betracht zu ziehen ist. Denn jedenfalls ist die Purpura-Schönlein-Henoch nicht in Vollbeweis nachgewiesen, der im Rahmen der Kausalitätskette auch für die (Umweg-)Erkrankung erforderlich ist. Sofern Prof. Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme für das LSG davon ausgeht, dass diese Erkrankung vorgelegen habe, weil bis auf die Gelenkbeschwerden alle Symptome der Purpura-Schönlein-Henoch vorgelegen hätten, beruht dies auf Spekulationen, nicht aber auf Tatsachen. Wie auch der versorgungsärztliche Dienst in seiner Stellungnahme vom 11.09.2014 nachvollziehbar erläutert hat, ist die Vermutung des Sachverständigen zum Vorliegen dieser Erkrankung vielmehr höchst zweifelhaft. Die in den Behandlungsunterlagen aus der Haftzeit enthaltenen Angaben zu einer Dermatitis bzw. wässrigen Ekzemen an Gesicht, Fingern, Kopf und Rücken entsprechen einer Purpura-Schönlein-Henoch eher nicht; neben dem Leitsymptom der für eine Purpura-Schönlein-Henoch typischen Hautveränderungen fehlen im Übrigen, was auch der Sachverständige zugestanden hat, die typischen Gelenkbeschwerden. Ein entscheidendes Argument gegen die Annahme des Sachverständigen bezüglich dieser Erkrankung ist auch die Tatsache, dass ein Haarausfall, wie ihn der Kläger beschrieben hat, bei dieser Erkrankung nicht bekannt ist. Es bestehen daher erheblich Zweifel daran, dass der Kläger während der Haft an einer Purpura-Schönlein-Henoch erkrankt ist. Vielmehr spricht vieles dafür, dass damals eine Dermatitis oder Ölakne vorgelegen hat. Der Vollbeweis einer Purpura-Schönlein-Henoch ist jedenfalls nicht geführt.

Eine Anerkennung der beim Kläger vorliegenden Glomerulonephritis als Schädigungsfolge scheitert daher schon daran, dass der Kläger während der Haft keinen Bedingungen ausgesetzt war, bei deren Vorliegen eine Anerkennung der Glomerulonephritis im Sinn der Kannversorgung in Betracht gezogen werden könnte. Eine Anerkennung des Bluthochdrucks wiederum scheitert daran, dass diese Gesundheitsstörung die Folge der Beeinträchtigung der Nieren infolge der Glomerulonephritis ist, die aber nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden kann.

Lediglich der Vollständigkeit halber wird noch darauf hingewiesen, dass auch der zeitliche Abstand zwischen Haftende und nachgewiesenem Auftreten der Glomerulonephritis von rund zweieinhalb Jahren gegen die Annahme eines Zusammenhangs im Sinn der Kannversorgung spricht.

Eine Anerkennung als Schädigungsfolge würde nach den Vorgaben der Anhaltspunkte und den übereinstimmenden sachverständigen Ausführungen voraussetzen, dass die Glomerulonephritis in engem zeitlichem Zusammenhang mit den potentiell belastenden Umständen in der Haft, also spätestens sechs Monate nach Ende der potenziell krankheitsauslösenden Belastung, aufgetreten ist (vgl. oben Ziff. 1). Vom Auftreten der Krankheit kann erst dann ausgegangen werden, wenn sie im Vollbeweis nachgewiesen ist.

Im vorliegenden Fall ist der Nachweis im Sinn des Vollbeweises erst für das Jahr 1977 geführt, allein die nicht auszuschließende Möglichkeit eines Auftretens innerhalb des Zeitraums von sechs Monaten ab Beendigung der Tätigkeit in der Wasserpumpenabteilung reicht nicht.

Sofern Prof. Dr. D. davon ausgeht, dass die Glomerulonephritis bereits während der Haft vorgelegen habe, ist dies für den Senat nach Abwägung aller Umstände nicht im Vollbeweis nachgewiesen; vielmehr verbleiben ganz erhebliche Zweifel. Diese Zweifel stützen sich auf folgende Umstände:

* Unzweifelhaft im Sinn des Vollbeweises nachgewiesen ist die Glomerulonephritis erstmals durch die Nierenbiopsie im Jahr 1977. Diese liegt mit rund zweieinhalb Jahren deutlich mehr als sechs Monate von der Haftzeit entfernt.

* Sofern der Sachverständige Prof. Dr. D. seine Annahme einer bereits während der Haftzeit entstandenen Glomerulonephritis u. a. darauf stützt, dass beim Kläger bereits während der Haftzeit ein verfärbter Urin als Hinweis auf diese Erkrankung aufgetreten sei, geht er von falschen Tatsachen aus. Denn ein bereits während der Haftzeit verfärbter Urin ist nicht im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen. Der Kläger hat erstmals beim Sachverständigen Prof. Dr. D. - zu einem Zeitpunkt, als ihm die Wichtigkeit des Zeitpunkts des erstmaligen Auftretens von verfärbtem Urin bekannt gewesen sein muss - angegeben, dass die Verfärbung bereits während der Haftzeit aufgetreten sei. Damit hat er sich in eklatanten Widerspruch zu seinen früheren Angaben gesetzt. So hat er noch bei der Begutachtung durch Dr. T. ausdrücklich angegeben, dass der blutige Urin erstmals im Jahr 1977 - und damit in einem deutlichen zeitlichen Abstand zur Haftzeit - aufgetreten sei. Dies dürfte auch den Angaben entsprechen, die der Kläger im Rahmen der Begutachtung im Jahr 1983 gegenüber Dr. .B. gemacht hat; die Ausführungen im Gutachten vom 27.01.1983 können nur so verstanden werden, dass erstmals im Januar 1977 der Urin schwärzlich verfärbt gewesen sei und darin auch der Anlass für die 1977 durchgeführte Nierenbiopsie gelegen habe, was dem Senat naheliegend und plausibel erscheint. Ob die vom Kläger später bei der Begutachtung durch Prof. Dr. D. gemachten Angaben zielgerichtet gegenüber seinen früheren Aussagen abgewandelt worden sind oder die Änderung der mangelnden Erinnerung geschuldet ist, kann letztlich dahingestellt bleiben. Denn der Nachweis, dass die zuletzt gemachten Angaben die richtigen wären, ist für den Senat angesichts der abweichenden Angaben des Klägers im zeitlichen Ablauf nicht geführt; vielmehr spricht alles dafür, dass die zuerst bei Dr. T. gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen.

* Wenn der Sachverständige Prof. Dr. D. argumentiert, dass eine IgA-Nephritis zunächst auch als sogenannte idiopathische (unklare) Hyperkalziurie auftreten könne und es kein Widerspruch sei, dass der Kläger zunächst im Rahmen einer akut aufgetretenen IgA-Nephritis mit entsprechender Symptomatik (dunkler Urin) und erstmals Grenzwerthypertonie, mit Perioden von febrilen Temperaturen und stark subjektiver Symptomatik (Bauchschmerzen, Abgeschlagenheit, Müdigkeit) erkrankt sei und es ihm nicht zum Nachteil des gereichen dürfte, dass auf der Krankenstation in der Haftanstalt eine schlechte Dokumentation erfolgt sei, ändert dies an der Beurteilung nichts. Denn auch wenn die Dokumentation während der Haft schlecht gewesen sein sollte - tatsächlich dürften schon die medizinischen Maßnahmen in der Haft von nur geringer Intensität gewesen sein, so dass letztlich keine Dokumentations-, sondern Untersuchungsmängel vorliegen -, lässt sich damit allenfalls nicht die Möglichkeit ausschließen, dass die Glomerulonephritis bereits während der Haftzeit vorgelegen hat. Es lässt sich damit aber nicht der positive Nachweis im Sinn des Vollbeweises führen, dass diese Erkrankung bereits während der Haft vorgelegen hat.

* Sofern Prof. Dr. D. den von ihn angenommenen Erkrankungsbeginn der Glomerulonephritis bereits während der Haft damit begründen will, dass die Erkrankung der inneren Organe (insbesondere Niere) während der Haftzeit übersehen worden sei, so ist dies nicht zur Nachweisführung geeignet. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine Spekulation des Sachverständigen, die allenfalls die Möglichkeit eines Erkrankungsbeginns bereits während der Haftzeit aufzeigt. Eine derartige Möglichkeit reicht aber nicht aus, um den Erkrankungsbeginn im Sinn des Vollbeweises auf die Haftzeit zu terminieren.

* Ein Erkrankungsbeginn der Glomerulonephritis während der Haft kann auch nicht durch die unstrittig bereits während der Haft aufgetretenen Beschwerden im Bauch-/Nierenbereich begründet werden. Denn die vom Kläger angegebenen kolikartigen Schmerzen, die sich - auch nach der Haft - wiederholt haben (in 2 -3-wöchigem Abstand), sind mit größter Wahrscheinlichkeit durch den Nierensteinen zu erklären, der dann im März 1975 abgegangen ist. Dafür spricht deutlich, dass nach den eigenen Angaben des Klägers diese Schmerzen nach dem Abgang des Nierensteins über rund zwei Jahre bis zur Nierenbiopsie nicht mehr aufgetreten sind. Dass diese offenbar heftigen Schmerzen durch eine Glomerulonephritis begründet gewesen wären, ist daher wegen ihres Endes durch den Nierensteinabgang unwahrscheinlich, zumal - nach den Ausführungen des Prof. Dr. D. - eine Glomerulonephritis oft auch am Anfang ohne größere Symptome und Schmerzen vorliegen kann.

* Auch der Hinweis des Prof. Dr. D. darauf, dass beim Kläger erstmals in der Haft ein erhöhter Blutdruck dokumentiert sei und dies einen Hinweis auf eine Glomerulonephritis darstelle, kann den Vollbeweis eines Erkrankungsbeginns bereits während der Haft nicht ermöglichen. Ganz abgesehen davon, dass lediglich eine einzige Blutdruckmessung mit leicht erhöhtem Blutdruck vorliegt, ist ein erhöhter Blutdruck kein zwingender Hinweis auf eine Glomerulonephritis. Zudem ist auch nicht nachgewiesen, dass ab diesem Zeitpunkt der Blutdruck durchgehend erhöht gewesen wäre. So liegen dazu widersprüchliche Arztberichte vor. So hat beispielsweise die Internistin Dr. W. im Arztbrief vom 25.08.1982 darauf hingewiesen, dass die Blutdruckwerte des Klägers stets im Normbereich gelegen hätten. Ob diese Angabe oder vielmehr die aus dem Landambulatorium R. vom 27.08.1979, wonach der Kläger seit drei Jahren behandelt worden sei und sich dabei im Durchschnitt ein erhöhter Blutdruck gezeigt habe, zutrifft, lässt sich nicht mehr aufklären. Jedenfalls verbleiben Zweifel daran, dass die Blutdruckwerte des Klägers bereits unmittelbar nach der Haftentlassung und dies durchgehend zu hoch gewesen sind, was dem Vollbeweis eines erhöhten Blutdrucks durchgehend ab der Haft entgegensteht.

* Die Annahme des Prof. Dr. D., der Kläger habe aufgrund der schlechten Haftbedingungen während der Haftzeit an Gewicht verloren, was er offenbar als Hinweis auf das erstmalige Auftreten der Glomerulonephritis sieht, steht in Widerspruch zu den vorliegenden Tatsachen. So hat der Kläger während der Haftzeit nicht abgenommen, sondern insgesamt 3 kg zugenommen. Dass zwischenzeitlich (erhebliche) Gewichtsschwankungen vorgelegen hätten, ist weder belegt noch vom Kläger behauptet worden. Insofern ist der Sachverständige offensichtlich von falschen Tatsachen ausgegangen.

* Sofern Prof. Dr. D. in seinem Gutachten darauf hingewiesen hat, dass sich bei Untersuchungen nach Abgang des Nierensteins im März 1975 ergeben habe, dass die rechte Niere kleiner als die linke sei, kann dies nicht als Zeichen für einen Erkrankungsbeginn der Glomerulonephritis während der Haft gedeutet werden. Einen derartigen Schluss hat auch Prof. Dr. D. nicht gezogen, sondern diese Feststellung zur Größe der rechten Niere nur ohne Wertung im Gutachten angeführt. Aber selbst wenn, was hier von keiner Seite geäußert worden ist, ein solcher Größenunterschied auf einen Erkrankungsbeginn während der Haft hindeuten könnte, würde sich im Fall des Klägers ein derartiger Schluss verbieten. Denn dass tatsächlich ein Größenunterschied der Nieren vorgelegen hat, ist nicht nachgewiesen, sondern vielmehr durch den Arztbrief des Urologen Dr. L. vom 02.11.1979 wiederlegt. Diesem Brief ist zu entnehmen, dass die Nieren beidseits in Form und Lage regelrecht gewesen sind. Im Übrigen ist für den Senat auch nicht ersichtlich, wie der Sachverständige Prof. Dr. D. überhaupt zu der Annahme gekommen ist, dass sich bei einer Nachuntersuchung nach Abgang des Nierensteins ein Größenunterschied der Nieren gezeigt habe. Denn Behandlungsunterlagen aus der Universitätsklinik J. sind nicht mehr vorhanden. Insofern kann sich der Senat nur vorstellen, dass der Sachverständige unreflektiert und ungeprüft eine Angabe des Klägers aus dessen Erinnerung heraus übernommen und dies als Tatsache unterstellt hat. Ein derartiges Vorgehen missachtet jedoch die Beweisvorgaben im sozialgerichtlichen Verfahren.

* Wenn Prof. Dr. D. in seinem Gutachten davon ausgeht, dass der Kläger seit 1974 im Landambulatorium R. in Behandlung gewesen sei und dort aufgefallen sei, dass der Urin nicht in Ordnung gewesen und Blut ausgeschieden worden sei, entspricht dies nicht den vorhandenen Unterlagen. Vielmehr sind keinerlei Urinuntersuchungen zeitnah nach der Haftentlassung belegt. Nach den zunächst erfolgten Angaben des Klägers, die der Senat für glaubhaft hält, ist vielmehr von einem verfärbten Urin erstmals im Jahre 1977 auszugehen. Auch sind zeitnah nach der Haft Behandlungen wegen Nierenbeschwerden nur im Zusammenhang mit dem Nierenstein belegt, wie die nach dem ICD 8 (Ost) verschlüsselten Eintragungen im Sozialversicherungsausweis des Klägers belegen.

* Es mag zwar zutreffen, dass die beim Kläger vorliegende und im Vollbeweis nachgewiesene Nierensteinerkrankung während der Haftzeit die Diagnose einer Glomerulonephritis grundsätzlich erschweren kann. Daraus kann aber nicht - zugunsten des Klägers - eine Beweiserleichterung oder gar Beweislastumkehr für den Nachweis der Glomerulonephritis abgeleitet werden. Dies stünde im Widerspruch zu den allgemeinen Beweisvorgaben im Sozialrecht.

* Auch der Hinweis des Klägers auf die Heilbehandlungsseiten in seinem Sozialversicherungsausweis belegt kein zeitnahes Auftreten der Glomerulonephritis nach der Haft. Es ist zwar richtig, dass der Kläger nach seiner Haftentlassung im Januar 1975 internistisch und urologisch behandelt worden ist. Bei Entschlüsselung der nach der ICD 8 (Ost) eingetragenen Diagnosen zeigt sich aber, dass die Behandlungen wegen eines Nieren- und Uretersteins erfolgt sind, der dann im Frühjahr 1975 auch abgegangen ist. Eine Glomerulonephritis ist durch diese Behandlungen nicht belegt.

* Falsch ist auch die zwischenzeitlich erfolgte Angabe des Klägers, er habe durchgehend seit der Haft unter Beschwerden im Nierenbereich gelitten. Er selbst hat zuvor angegeben, dass nach Abgang des Nierensteins im Frühjahr 1975 die massiven Nierenbeschwerden nicht mehr aufgetreten seien; durchgehende Beschwerden sind auch nicht in den Behandlungsunterlagen dokumentiert.

Für eine Beweiserleichterung gemäß § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) ist kein Raum. Da diese Regelung für die hier vorliegende Nachweisschwierigkeit, die aus möglicherweise unzureichenden medizinischen Untersuchungen resultiert, nicht aber aus einer unvollständigen oder verloren gegangenen Dokumentation, ohnehin keine Hilfestellung gibt, kann es dahingestellt bleiben, ob es sich der Kläger im Rahmen des § 15 KOVVfG entgegen halten lassen müsste, dass er mit seiner Antragstellung so lange gewartet hat, bis die Behandlungsunterlagen aus der Universitätsklinik J. mit dem Biopsiebericht bereits vernichtet waren. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 13.12.1994, Az.: 9/9a RV 9/92) stünde bei einer späten Antragstellung ein Verschulden im Raum, wenn kein Grund bestanden hat, den Antrag schon in einer Zeit zu stellen, als noch bessere Beweismöglichkeiten bestanden haben (vgl. Urteil des Senats vom 31.01.2013, Az.: L 15 VK 9/11). Von einem solchen Verschulden auszugehen, läge hier nahe. Ab den Beschlüssen des Bezirksgerichts G. vom 12.03.1992 und 15.04.1992, mit denen die gegen den Kläger in der DDR ergangenen strafgerichtlichen Urteile aufgehoben worden waren und der Kläger rehabilitiert worden war, hätte er den hier streitgegenständlichen Antrag auf Versorgung nach dem StrRehaG stellen können. Dies war ihm auch bekannt, da in den Beschlüssen des Bezirksgerichts G. auf die Möglichkeit der Geltendmachung derartiger Ansprüche hingewiesen worden war. Auch die gesundheitliche Schädigung und eine potentielle Verursachung durch die Haft waren dem Kläger seit langem bekannt, wie dies auch im Verfahren nach dem Häftlingshilfegesetz aus den 80er Jahren zum Ausdruck kommt.

Nicht Aufgabe des Senats ist es, dem Kläger die wahrscheinliche Ursache für die bei ihm vorliegende Glomerulonephritis zu liefern, da dies über den Prüf- und Entscheidungsauftrag des Gerichts hinausgehen würde. Die allein entscheidungserhebliche Frage, mit der sich der Senat zu befassen hat, ist, ob die haftbedingten Belastungen die Glomerulonephritis wahrscheinlich verursacht haben Ganz abgesehen und abseits der Entscheidungsrelevanz ist dem Senat aber gleichwohl aufgefallen, dass der Kläger nach der Entlassung aus der Haft wiederholt an Anginen erkrankt war und dies auf die damaligen ungünstigen Arbeitsbedingungen nach der Haft zurückgeführt hat. Letztlich haben die wiederholten Erkrankungen dann auch zur operativen Entfernung der Mandeln geführt. Da in der medizinischen Wissenschaft die Entstehung einer Glomerulonephritis auch postinfektiös insbesondere nach Atemwegserkrankungen, z. B. nach einer Angina, gesehen wird (vgl. oben Ziff. 2.2.3.1.1.), könnte hierin durchaus die - haftfremde - Ursache für die Erkrankung an der Glomerulonephritis liegen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die beim Kläger vorliegende Nierenerkrankung samt dem daraus resultierenden Bluthochdruck nicht als Schädigungsfolge nach dem StrRehaG anerkannt werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.