Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 8. Juni 2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Versorgung nach dem Impfschadensrecht gemäß §§ 60 ff. Infektionsschutzgesetz (IfSG).

Am 03.11.2009 wurde der im Jahr 1965 geborene Kläger bei den Ärzten Dres. E. gegen den Influenza A Virus (H1N1 - Schweinegrippevirus) mit dem Impfstoff Pandemrix (Lot A81CA062A) geimpft.

In der Nacht zum 10.11.2009 erlitt der Kläger einen Hirninfarkt. Anschließend wurde er im H. in A-Stadt bis zum 10.12.2009 intensivmedizinisch behandelt, wobei am 12.11.2009 eine Dekompressionskraniektomie durchgeführt wurde. Als Diagnosen wurden u.a. ein Hirninfarkt und eine „Dissektion bzw. thrombembolischer Verschluss der distalen interkraniellen Arteria carotis li.“ sowie eine benigne essentielle Hypertonie mit Angabe einer hypertensiven Krise genannt. Es wurden diverse, auch bildgebende Untersuchungsverfahren durchgeführt. Bei einer CT-Angiographie der hirnversorgenden Arterien vom 10.11.2009 ist folgender Befund festgehalten: „Hochgradig stenosierende, wohl embolische KM-Aussparungen in der linken A. carotis … Keine weiteren Gefäßstenosen oder Verschlüsse.“

Anschließend befand sich der Kläger bis zum 07.04.2010 und anschließend bis 09.06.2010 in stationärer neurologischer Rehabilitationsbehandlung bzw. stationärer Anschlussheilbehandlung. Eine Dopplersonographie vom 20.02.2010 hatte dabei eine unauffällige Gefäßwandmorphologie ergeben.

Derzeit ist wegen der aus dem Hirninfarkt resultierenden Halbseitenlähmung ein Grad der Behinderung von 70 festgestellt.

Mit Schreiben vom 22.02.2012 beantragte der Kläger Versorgung nach dem IfSG; den Hirninfarkt führe er auf die Impfung vom 03.11.2009 zurück.

Nach Beiziehung umfangreicher medizinischer Unterlagen erstellte am 11.07.2012 der Dr. K. eine versorgungsärztliche Stellungnahme. Darin kam er zu der Einschätzung, dass es sich bei dem Hirninfarkt mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit um eine rein zufällige, zeitlich relativ nahe beieinanderliegende Koinzidenz einer Impfung mit einer schicksalshaften Erkrankung handle. Carotisdissektionen seien nicht als Nebenwirkung einer Pandemrix-Impfung beschrieben. Eine Anerkennung nach dem IfSG könne nicht empfohlen werden.

Diese Einschätzung bestätigte der und Psychiater Dr. K. in einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 02.10.2012. Ein Hirninfarkt werde als Nebenwirkung des Influenza-Impfstoffs nicht beschrieben. In sehr seltenen Fällen werde eine Vaskulitis angegeben. Die Entzündungswerte des Klägers seien jedoch erst am 15.11.2009, also fünf Tage nach dem Hirninfarkt angestiegen. Als Ursache dafür seien Erreger nachgewiesen worden und mit antibiotischer Therapie erfolgreich behandelt worden. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Dissektion der Arteria carotis mit dem nachfolgenden Hirninfarkt einerseits und der eine Woche zuvor durchgeführten Impfung andererseits sei als unwahrscheinlich anzusehen.

Mit Bescheid vom 23.10.2012 lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung ab.

Mit Schreiben vom 07.11.2012 legte der Kläger Widerspruch ein. Es werde verkannt, dass der Hirninfarkt eine unübliche Impfreaktion sei. Bei der Impfung sei er vollkommen gesund gewesen. Ob ein Hirninfarkt als Nebenwirkung des Impfstoffes beschrieben werde, sei für die Kausalitätsfrage unbedeutend. In der Datenbank des P.-E.-Instituts zu Verdachtsfällen von Impfkomplikationen seien 16 Fälle von Hirninfarkt im zeitlichen Zusammenhang mit Impfungen verzeichnet. Somit sei diese Impfreaktion bekannt. Der Beklagte gehe von einer schädigungsunabhängigen Erkrankung aus. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast trage der Leistungsträger die Beweislast für diejenigen Tatsachen, aus denen er die Ablehnung des kausalen Zusammenhangs ableite.

Nachdem der Kläger Akteneinsicht genommen hatte, ergänzte er seinen Widerspruch mit Schreiben vom 08.01.2013. Auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Hirninfarkt wies er hin. Über das Risiko der Impfung sei er weder mündlich noch schriftlich aufgeklärt worden; die Impfung sei daher nicht rechtskonform erfolgt. Mangels Kenntnis des Impfrisikos sei jedenfalls die Aufklärung nicht wirksam. Auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wies er hin. Er forderte den Beklagten auf, ihm mitzuteilen, aufgrund welcher medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse die Wahrscheinlichkeit des kausalen Zusammenhangs abgelehnt werde.

Der und Psychiater Dr. K. äußerte sich zum Vorbringen des Klägers in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.02.2013. Er wies darauf hin, dass im Epidemiologischen Bulletin Nr. 25/2007 als Komplikationen der Grippeschutzimpfung allergische Sofortreaktionen und sehr selten eine Vaskulitis berichtet worden seien. Im vorliegenden Fall seien aber keine derartigen Reaktionen aufgetreten. Vielmehr handle es sich um einen Hirninfarkt bei Dissektion bzw. einen thromboembolischen Verschluss der Arteria carotis, die als Komplikationen nach einer Grippeschutzimpfung nicht genannt würden. Zudem sei der Gefäßverschluss nicht unmittelbar nach der Impfung, sondern erst eine Woche später aufgetreten; Fieber habe sich erst danach entwickelt. Im Übrigen werde in der Datenbank des P.-E.-Instituts zu den Verdachtsfällen darauf hingewiesen, dass dies nicht ohne weiteres bedeute, dass ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Arzneimittel existiere. Bisher sei keine Bewertung des P.-E.-Instituts oder des Robert-Koch-Instituts bekannt, die von einer kausalen Verursachung eines Schlaganfalls durch die Grippeschutzimpfung ausgehe.

Darauf gestützt wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2013 den Widerspruch zurück.

Mit Schriftsatz vom 11.03.2013 haben die Bevollmächtigten des Klägers Klage zum Sozialgericht (SG) Bayreuth erhoben.

Zur Klagebegründung haben sie Folgendes vorgetragen: Die Behauptung des Beklagten, dass ein Hirninfarkt als Nebenwirkung des Impfstoffes Pandemrix nicht beschrieben und somit als unwahrscheinlich anzusehen sei, sei falsch. Mangels Erfassungssystems und wegen unzureichender Impfstoffprüfung vor der Impfempfehlung gebe es schon keine hinreichenden Studien. Zudem sei die Wesentlichkeit einer Bedingung nach der Wirkung der besonderen Umstände auf die Einzelpersönlichkeit zu beurteilen. Die Kausalität einer Erkrankung könne schon aus diesem Grund nicht von der Anzahl einer bestimmten Zahl von impfbedingten Erkrankungsfällen abhängig sein. Zudem weise die Liste des P.-E.-Instituts 16 Meldungen „Hirninfarkt“ nach Impfungen aus auf, davon allein vier Fälle aufgrund der Pandemrix-Impfung. Dies sei eine auffallende, statistisch signifikante Zahl. Auch würden in der Fachinformation von Pandemrix als sehr seltene Nebenwirkungen neurologische Erkrankungen erwähnt. Die Risiken des staatlich empfohlenen Schweinegrippe-Impfstoffes seien nicht hinreichend gegen den Nutzen abgewogen worden. Regierungsbeamte und Bundeswehrsoldaten seien daher auch mit einem anderen Impfstoff ohne Adjuvantien geimpft worden. Wegen der unzureichenden Testung der Impfstoffe habe sich der Hersteller durch die Regierung von der Haftung freistellen lassen. Auch nach der Impfstoffzulassung seien keine umfassende wissenschaftliche Erfassung und Bewertung der Verdachtsfälle erfolgt. Von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei vorgesehen, dass eine Nutzen-Lasten-Analyse Voraussetzung für die Impfempfehlung sei. Diese sei hier grobfehlerhaft und unzureichend durchgeführt worden. Sofern der Beklagte bemängele, dass die Erkrankung nicht unmittelbar nach der Impfung, sondern erst eine Woche später aufgetreten sei, sei diese Aussage geradezu skandalös, da medizinisch seit Jahrzehnten von einer Inkubationszeit von mehreren Wochen ausgegangen werde. Dies ergebe sich auch aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen, wonach ein plausibler zeitlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Auftreten der neurologischen Symptomatik anzunehmen sei, wenn sich die Symptomatik in einem Zeitraum von innerhalb einer Stunde bis zu einem Monat nach der Impfung manifestiert habe. Eine Impfreaktion nach sieben Tage stehe absolut noch im zeitlichen Zusammenhang mit der zuvor erfolgten Impfung. Wegen des zeitlichen Zusammenhangs und fehlender andere Ursachen für den beim Kläger eingetretenen Hirninfarkt sei vorliegend die Wahrscheinlichkeit der Ursächlichkeit der Impfung für den Infarkt gegeben.

Nach der Beiziehung medizinischer Unterlagen erstellte der Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie Prof. Dr. J. am 14.08.2014 im Auftrag des SG ein Gutachten. Darin führte er Folgendes aus:

Der Kläger habe einen Schlaganfall durch den Verschluss eines Blutgefäßes im Gehirn (Arteria cerebri media) erlitten. Ein solcher Hirninfarkt führe zum Absterben eines mehr oder weniger großen Bereichs des Gehirns. Ursache dafür sei im vorliegenden Fall die Dissektion der Arteria carotis interna, einer der Hauptschlagadern des Gehirns gewesen. Bei diesem seltenen Krankheitsbild komme es durch Einrisse in der inneren Wandschicht der Arterie zu einer Blutung in die Gefäßwand, die zu einem Bluterguss innerhalb der Wand, zu einer Vorwölbung in das Gefäßlumen und damit zu einer Einengung des Gefäßes führe. Dieses Ereignis könne zunächst klinisch stumm bleiben oder sich durch einseitige Gesichts- oder Halsschmerzen oder Augenstörungen bemerkbar machen. Nach einer Latenzzeit von Minuten bis Wochen würden aber Zeichen einer Mangeldurchblutung des Gehirns auftreten. Durch Thrombosierung, also der Bildung von Blutgerinnseln, komme ist zur weiteren Einengung oder sogar zum Verschluss des Gefäßes und letztlich zum Hirninfarkt, der sich klinisch als Schlaganfall äußere. Eine Dissektion einer Halsarterie könne durch schwere Schädel-, Hals- oder Thoraxverletzungen hervorgerufen werden, die Ursachen für die Entstehung einer sogenannten spontanen, also nicht durch schwere Traumen verursachten Dissektion der Arteria carotis - wie im vorliegenden Fall - seien unklar. Man nehme strukturelle Defekte der arteriellen Wand an, für die genetische Faktoren eine Rolle zu spielen scheinen würden. Auslösende Faktoren könnten Bagatelltraumen durch heftiges Schnäuzen, Husten, Erbrechen oder sportliche Betätigung sein, aber auch Infekte und erhöhter Blutdruck. Eine Dissektion trete eher bei jüngeren Menschen auf, der Häufigkeitsgipfel liege bei 46 Jahren. Zudem sei eine saisonale Abhängigkeit mit einer Zunahme der Fälle im Herbst und Winter zu beobachten.

Der beim Kläger verwendete Impfstoff habe nur Bestandteile eines einzigen Influenzastammes sowie das erstmals in einem zugelassenen Impfstoff benutzte Adjuvans AS03 enthalten. Dieser Wirkverstärker, der in der Öffentlichkeit vielfach kritisiert worden sei, sei aber keineswegs so neu gewesen, wie dies behauptet werde. Bereits ein früher im Rahmen einer Studie mit 12.000 Teilnehmern erprobte Impfstoff habe dieses Adjuvans enthalten, ein seit 1997 zugelassener Grippeimpfstoff enthalte ein sehr ähnliches Adjuvans. Die Verträglichkeit von Pandemrix sei gut, allerdings seien vor allem lokalen Reaktionen (Rötung, Schwellung, Schmerz an der Injektionsstelle) häufiger und stärker ausgeprägt als bei dem normalen saisonalen Impfstoff beschrieben worden. Vorübergehend könne es zu Allgemeinsymptomen wie bei einer Erkältung kommen, wobei diese Beschwerden in der Regel innerhalb von ein bis zwei Tagen wieder folgenlos abklängen. Spezifisch nach Pandemrix seien gelegentlich vorübergehende Sensibilitätsstörungen beobachtet worden. Weitere, durch die Impfung nachgewiesenermaßen oder höchstwahrscheinlich hervorgerufene Komplikationen seien den bisher genannten gegenüber extrem selten. Nur in Einzelfällen seien nach Pandemrix anaphylaktische und allergische Reaktionen aufgetreten, allerdings häufiger als bei den nicht adjuvantierten saisonalen Vakzinen. Die nach der saisonalen Impfung beobachteten Fälle von Guillain-Barre-Syndrom, die sehr selten, aber statistisch gesichert seien, seien nach der Impfung mit Pandemrix auf knapp das Doppelte angestiegen. Sehr wahrscheinlich werde durch die Impfung auch die Rate an Fällen von Narkolepsie bei geimpften Kindern deutlich erhöht, wobei die genaue Klärung dieses Zusammenhangs noch ausstehe.

Auf die gerichtliche Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen der Impfung mit Pandemrix und Schlaganfällen, Hirninfarkten oder Dissektion von Halsarterien hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass gerade im Fall der Massenimpfung gegen die Influenza der Jahre 2009/2010, bei der allein in Europa mit Pandemrix bereits über 30 Mio. Menschen geimpft worden seien, zeitliche Zusammenhänge zwischen Impfung und Erkrankung auftreten würden, die häufig als kausale Assoziation fehlgedeutet würden, worauf auch schon eine Gruppe von Experten in einer bemerkenswerten Publikation hingewiesen habe. In der medizinischen Literatur gebe es einige Einzelfallberichte zu Schlaganfällen nach Impfungen, aber bislang keinen Beleg für einen gesicherten Zusammenhang zwischen einer Impfung und dem Auftreten eines Schlaganfalls. In einer Studie, in der an 19.063 Personen mit einem Schlaganfall nach einem möglichen Zusammenhang mit Infektionen und Impfungen gesucht worden sei, habe sich kein Hinweis auf eine möglicherweise kausale Rolle von Influenza- und anderen Impfungen gefunden, wohl aber ein Zusammenhang mit akuten Atemwegs- und Harnwegsinfekten. Eine ausgedehnte Literatursuche zu Impfungen, speziell gegen Influenza, und Dissektionen der Arteria carotis interna habe kein positives Ergebnis gebracht. Zwar sei der Impfstoff Pandemrix nur in einer Saison zum Einsatz gekommen. Die aufgezeigten Fälle von extrem seltenen impfinduzierten Nebenwirkungen nach einer Impfung mit Pandemrix würden aber zeigen, dass in den Ländern, in denen Pandemrix zum Einsatz gekommen sei, Folgereaktionen sehr sorgfältig dokumentiert und analysiert worden seien. Wenn unter diesen Umständen bei insgesamt 30,5 Mio. in Europa mit Pandemrix geimpften Menschen Schlaganfälle oder Hirninfarkte nicht registriert worden seien, könne man davon ausgehen, dass nichts auf einen Zusammenhang hinweise.

Zu der Frage, ob sich ein Zusammenhang zwischen Impfung und einer arteriellen Dissektion pathophysiologisch erklären lasse, hat der Sachverständige Folgendes ausgeführt: Die Genese einer spontanen Dissektion der Arteria carotis interna sei unklar. Die meisten Autoren nähmen eine angeborene Wandschwäche der Arterien an. Verschiedene Faktoren könnten in diesem Fall die Entstehung einer Dissektion auslösen. Häufig würden Bagatelltraumen genannt, aber auch Infekte und erhöhter Blutdruck. Ursache der Dissektion sei eine Blutung in die Arterienwand, wobei den die Gefäßwand versorgenden Blutgefäßen eine besondere Bedeutung zuzukommen scheine. Entzündliche Prozesse, etwa im Rahmen von Infekten, könnten möglicherweise durch die Freisetzung von Zytokinen eine Schädigung dieser Gefäße bewirken, die dann zur Blutung führe. Auf ähnliche Weise könnte eine Impfung mit Pandemrix, die durch das Adjuvans AS03 eine starke Zytokinausschüttung induzieren könne, einen derartigen Prozess begünstigen und damit eine Dissektion triggern. Eine Impfung komme also sicher nicht als Ursache einer Dissektion infrage, könnte aber unter Umständen einen auslösenden Faktor darstellen. Experimentelle oder epidemiologische Belege für diese Hypothese gebe es derzeit allerdings nicht.

Nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft dürfte die beim Kläger aufgetretene spontane Dissektion der Arteria carotis interna und der dadurch bedingte Hirninfarkt auf dem Boden einer vorbestehenden, wahrscheinlich genetisch bedingten Wandschwäche der Arterie durch ein auslösendes Ereignis verursacht worden sein. Auslösende Ereignisse würden in der Regel als normale, wenn auch etwas heftigere Bewegungen des Halses wie eine stärkere Überstreckung des Kopfes beim Trinken, beim Haarewaschen oder bei Yogaübungen, oder Drucksteigerungen im Halsbereich, wie sie bei heftigem Schnäuzen, Husten oder Erbrechen auftreten könnten, beschrieben, also Vorkommnisse, die sich im normalen Leben immer wieder ereignen würden und denen in der Regel auch keine besondere Beachtung geschenkt werde. Daneben würden auch vorausgegangene Infekte als mögliche Trigger einer Dissektion angeführt, Impfungen würden in der Literatur hingegen niemals erwähnt. Auf dem Boden des heutigen medizinischen Wissensstandes sei der Fall des Klägers in gewisser Weise typisch. Er habe mit 44 Jahren zum Zeitpunkt des Geschehens genau das Alter, in dem die meisten der spontanen Dissektionen vorkämen, und das Ereignis habe im Spätherbst stattgefunden, in dem sich derartige Vorkommnisse häufen würden. Dass in der Krankengeschichte kein auslösendes Ereignis vermerkt sei, sei nicht ungewöhnlich, da es sich in den allermeisten Fällen um Vorkommnisse durchaus noch im Bereich des Normalen handle.

Aufgrund theoretischer Überlegungen könnte als auslösendes Ereignis die Impfung mit Pandemrix diskutiert werden. Wenn man allerdings eine derartige Möglichkeit überhaupt in Erwägung ziehe, müsse man davon ausgehen, dass es sich um ein extrem seltenes Ereignis handle, nicht zuletzt deshalb, weil Hinweise auf ein solches Geschehen in der medizinischen Literatur vollständig fehlen würden.

Die Beweisfragen des SG hat der Sachverständige wie folgt beantwortet: Die beim Kläger vorliegende Gesundheitsstörung sei als Zustand nach Schlaganfall mit Sprachstörung und Halbseitenlähmung als Folge einer Dissektion (Anmerkung des Senats: Der Sachverständige schreibt hier von einer „Dissoziation“, wobei sich um einen offensichtlichen Schreibfehler handelt.) der Arteria carotis interna zu bezeichnen. Bei der Dissektion der Arteria carotis interna handle es sich sehr wahrscheinlich nicht um eine Impfkomplikation, die Möglichkeit könne aber nicht ausgeschlossen werden. Eine Kausalität zwischen der Impfung mit dem Impfstoff Pandemrix und einer Dissektion der Arteria carotis interna (im Sinne eines auslösenden Faktors) sei wissenschaftlich nicht belegt, aber theoretisch in Einzelfällen denkbar. Der Schlaganfall sei unmittelbare Folge einer Dissektion der Arteria carotis interna.

Der Beklagte hat sich zum Gutachten mit einer versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 28.08.2014 wie folgt geäußert: Für einen kausalen Zusammenhang der Dissektion mit der Impfung reiche nach der Kausalitätsbeurteilung eine Möglichkeit nicht aus; hierfür werde eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gefordert. Bei 30 Mio. Impfungen und den vom Sachverständigen angeführten Studien habe sich kein Hinweis auf das Auftreten von Dissektionen durch eine Impfung mit Pandemrix ergeben. Dies spreche mit Wahrscheinlichkeit gegen einen ursächlichen Zusammenhang. Aufgrund der theoretischen Überlegungen zur vermehrten Zytokinausschüttung durch das Adjuvans AS03 werde noch eine ergänzende Stellungnahme vorgeschlagen.

Anschließend hat das SG den Internisten Dr. W. mit einer ergänzenden sachverständigen Bewertung beauftragt. Dieser hat in seiner Stellungnahme vom 23.10.2014 darauf hingewiesen, dass eine Ausschüttung von Zytokinen, wie es auch das Adjuvans AS03 verursache, bezogen auf die Gefäße eine im weitesten Sinne als Schädigung zu interpretierende Veränderung auslösen könne. Denn Zytokine seien kleine Proteine, die zuständig für das Wachstum und die Differenzierung von Zellen seien. Sie würden also auch die Immunantwort steuern. Wenn nicht von einer traumatischen Dissektion auszugehen sei, liege selbstverständlich bei der Gefäßschädigung dieser Art immer ein zytokingesteuerter Prozess vor. Inwieweit tatsächlich die isoliert von dem Adjuvans ausgehende Zytokinausschüttung ursächlich für die folgende Dissektion gewesen sei, sei nicht sicher zu klären. In Anbetracht der Abwägung bekannter kardiovaskulärer Risikofaktoren und genetischer Faktoren, die natürlich auch eine Schwäche der arteriellen Wand vordergründig bestimmen würden, sei aber festzustellen, dass eben andere Gründe bei der Entstehung deutlich führend gewesen seien. Zudem sei zu betonen, dass ein zytokinvermittelter Prozess auch durch eine Infektion ganz anderer Ursache angestoßen sein könnte. In Abwägung der einzelnen Parameter sei die überwiegende Wahrscheinlichkeit anderer Risikofaktoren mit Sicherheit entscheidend für den Hirninfarkt gewesen.

Zu den sachverständigen Beurteilungen haben sich die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 22.12.2014 wie folgt geäußert: Sofern der Sachverständige ausgeführt habe, dass bislang kein Beleg für einen gesicherten Zusammenhang zwischen Impfung und Auftreten eines Schlaganfalls vorhanden sei, sei darauf hinzuweisen, dass ein gesicherter Zusammenhang nicht erforderlich sei, da die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs ausreiche. Wenn der Sachverständige ausgeführt habe, dass bei 30,5 Mio. geimpfter Menschen Schlaganfälle oder Hirninfarkte nicht registriert worden seien und daher davon auszugehen sei, dass nichts auf einen Zusammenhang hinweise, sei anzumerken, dass es nicht darauf ankomme, wie Menschen im Durchschnitt reagieren würden, sondern wie gerade der zu beurteilende Mensch reagiert habe. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Kläger bei der Impfung vollkommen gesund gewesen sei und die schwerwiegenden Symptome sieben Tage nach der Impfung aufgetreten seien, also in einem durchaus anerkannten Zeitrahmen für Erkrankungen. Allein schon der zeitliche Zusammenhang zwischen der Impfung eines komplett gesunden Menschen und dem Auftreten der schwerwiegenden Erkrankung sei ein gewichtiges Indiz für die Verursachung des Schadens durch die Impfung im Sinne der vom Gesetzgeber geforderten Wahrscheinlichkeit. Sofern der Sachverständige ausgeführt habe, dass sich ein Impfschaden niemals mit „überwiegender“ Wahrscheinlichkeit nachweisen lassen werde, sei auszuführen, dass es nicht auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit ankomme, sondern auf die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs. Der Gutachter sei aufgefordert gewesen, Alternativursachen darzulegen. Der Sachverständige habe dazu aber nur allgemeine und nicht auf den Einzelfall bezogene Ausführungen gemacht. Im Fall des Klägers seien keinerlei negative genetische Anlagen vorhanden, die ein erhöhtes Schlaganfallrisiko begründen könnten. Der Kläger sei auch Nichtraucher und habe kein sonstiges erhöhtes Infarktrisiko. Das Vorgehen des Gutachters überzeuge nicht. Er selbst habe ausgeführt, dass das im Impfstoff enthaltene Adjuvans durchaus ein auslösender Faktor für die Dissektion sein könne. Es könne nicht sein, dass bei Nichtvorliegen jeglicher genetischer Ursachen und bei Nichtvorliegen sonstiger Risikofaktoren der Gutachter gleichwohl eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dieser Faktoren annehme. Schon aufgrund der fehlenden, vom Gutachter selbst genannten anderweitigen Risikofaktoren im Falle des Klägers sei gerade eine Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs gegeben. Dies gelte umso mehr, als es sich um einen neuen, im Wesentlichen ungetesteten Impfstoff gehandelt habe. Gerade weil der Impfstoff zuvor nie angewendet worden sei, müsse es bei der Wahrscheinlichkeitsbeurteilung mitentscheidend auf die Frage ankommen, ob es genetische Risikofaktoren gegeben habe. Dies gelte besonders auch vor dem Aspekt, dass für die Zivilbevölkerung ein anderer, deutlich belastenderer Impfstoff eingesetzt worden sei als für die Regierung, Beamte und Bundeswehrsoldaten, die einen Impfstoff ohne Adjuvantien erhalten hätten. Zudem sei der Sachverständige Prof. Dr. J. als langjähriges Mitglied der ständigen Impfkommission ein großer Befürworter von Impfungen, was seine Neutralität infrage stellen könnte (, wobei dieser Befangenheitsantrag vom SG mit Beschluss vom 13.03.2015 als unzulässig abgelehnt worden ist). Sofern der Sachverständige Dr. W. andere Gründe für die Entstehung der Erkrankung für deutlich führend gehalten habe, ohne dies jedoch auch nur ansatzweise zu erläutern, sei dies nicht nachvollziehbar. Es sei nicht ersichtlich, woher der Sachverständige seine entsprechende Erkenntnis nehme. Beim Kläger lägen keine kardiovaskulären Risikofaktoren und genetischen Faktoren vor, die die Schwäche der arteriellen Wand hätten bestimmen können. Es werde beantragt, Dr. W. ergänzend zu befragen, welche anderen Gründe dies im Fall des Klägers sein könnten. Auch insoweit gelte wieder, dass schon der enge zeitliche Zusammenhang und das Fehlen jeglicher Risikofaktoren beim Kläger eine Wahrscheinlichkeit durch die vorgenommene Impfung belege. Dr. W. habe ausgeführt, dass das verwendete Adjuvans einen Gefäßschaden nach sich ziehen könne. Damit sei unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls bereits die Wahrscheinlichkeit für den Impfschaden nachgewiesen, zumal es keine anderen auslösenden Faktoren gebe.

Der Beklagte hat sich anschließend mit einer nervenärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 26.01.2015 dahingehend geäußert, dass, auch wenn im aktuellen Schreiben der Bevollmächtigten des Klägers mit dem Fehlen von Risikofaktoren argumentiert werde und der Kläger auf einige Fälle von Hirninfarkten in der Datenbank des P.-E.-Instituts hingewiesen habe, das spontane Auftreten von Gefäßrupturen um ein Vielfaches höher liege als die Meldungen von Ereignissen nach der Impfung. Ein vermehrtes Auftreten von Hirninfarkten nach der Impfung werde nicht berichtet. Gefäßdissektionen seien deshalb nicht in die Literatur über unerwünschte Nebenwirkungen eingegangen, die bei der Kausalitätsbeurteilung zu berücksichtigen seien. Auch habe sich im vorliegenden Fall in den ersten sieben Tagen bis zum Hirninfarkt auch keine Impfreaktion gezeigt, die für eine allergische Reaktion oder eine andere Unverträglichkeit gesprochen hätte.

Nach mit gerichtlichem Schreiben vom 30.03.2015 erfolgter Anhörung zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 08.06.2015 die Klage abgewiesen und dies damit begründet, dass weder eine Impfkomplikation noch die notwendige Kausalität dahingehend festgestellt werden könne, dass der Hirninfarkt neben anderen Mitursachen zumindest mit annähernd gleichwertiger Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die Impfung zurückzuführen sei.

Gegen den ihnen am 12.06.2015 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Bevollmächtigten des Klägers am 10.07.2015 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt.

Begründet worden ist die Berufung mit Schriftsatz vom 30.09.2015. Zu Unrecht - so die Bevollmächtigten - gehe das SG davon aus, dass die Impfung mit Pandemrix am 03.11.2009 zu keinem Impfschaden geführt habe, weil es zu keiner Impfkomplikation gekommen sei und der Hirninfarkt nicht mit annähernd gleichwertiger Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die Impfung zurückzuführen sei. Zwar sei es richtig, dass die erstinstanzlichen Gutachter eine Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne verneint hätten. Die erstellten Gutachten seien aber nicht ausreichend gewesen bzw. hätten nicht zur Ablehnung des klägerischen Anspruchs herangezogen werden dürfen. Der Gutachter Prof. Dr. J. habe in keiner Weise konkrete Alternativursachen gerade für die Person des Klägers dargestellt, sondern nur allgemeine Ausführungen gemacht. Beim Kläger gebe es keine genetischen Ursachen. Soweit das SG - völlig überraschend - auf angebliche gesundheitliche Vorerkrankungen des Klägers hingewiesen habe, sei auszuführen, dass diese entweder nicht bestünden oder aber jedenfalls nicht als wahrscheinlichere Ursache für den Hirninfarkt als die Impfung angesehen werden könnten. Soweit dem Kläger (vom SG) unterstellt werde, er habe Ernährungsprobleme und es sei eine unsachgemäße Ernährung diagnostiziert worden, sei dies dem Kläger neu. Beides sei nicht der Fall. Es werde beantragt, eine gutachterliche Stellungnahme dazu einzuholen, dass die vom SG angeführten angeblichen gesundheitlichen Probleme beim Kläger, die er nicht kenne, mit größerer Wahrscheinlichkeit kausal für den Schlaganfall des Klägers gewesen seien als die Impfung. Der Kläger habe auch vor dem Schlaganfall keinen Infekt gehabt. Wahrscheinlicher Auslöser für den Schlaganfall sei das im Impfstoff enthaltene Adjuvans gewesen. Das SG habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, weil es den Sachverständigen Dr. W. nicht zu den angeblich deutlich führenden Gründen für die Dissektion befragt habe. Einem Zeitungsartikel sei zu entnehmen, dass das im September 2009 in der EU zugelassene Pandemrix aufgrund der vielfältigen Probleme jetzt nicht mehr eingesetzt werde, was ebenfalls für die notwendige Wahrscheinlichkeit der Kausalität spreche. Soweit das SG ausgeführt habe, dass es der Auffassung des Versorgungsarztes Dr. K. folge, dass für das spontane Auftreten von Gefäßrupturen eine um Vielfaches höhere Wahrscheinlichkeit bestehe als bei Meldungen von Ereignissen nach der Impfung, sei dies ein Zirkelschluss. Es gehe doch gerade um die Frage, ob im Falle des Klägers und nicht etwa allgemein im Rahmen einer Durchschnittsbetrachtung die Wahrscheinlichkeit des Schlaganfalls infolge der Impfung höher sei als die Wahrscheinlichkeit eines Schlaganfalls aus anderen Gründen. Gerade der zeitliche Zusammenhang zwischen Impfung und Schlaganfall spreche für eine höhere Wahrscheinlichkeit durch die Impfung. Es werde eine erneute gutachtliche Stellungnahme beantragt; ein Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bleibe vorbehalten. Der Kläger bestreite, dass irgendeine Vorschädigung vorhanden gewesen sei; Ärzte hätten nie auf Derartiges hingewiesen (Schriftsatz vom 30.09.2015).

Der Beklagte hat mit einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.11.2015 ausgeführt, dass hinsichtlich des Vorwurfs, dass in keiner Weise konkrete Alternativursachen dargestellt worden seien, aus kardiologischer Sicht anzumerken sei, dass sich in den Unterlagen keine Abklärung der kardialen Situation als mögliche Emboliequelle finde, obwohl neben einer Dissektion auch ein thromboembolischer Verschluss als Ursache des Hirninfarkts diskutiert worden sei. Zu diskutieren sei an sich die Möglichkeit einer Thromboembolie bei offenem Foramen ovale oder auch bei intermittierendem Vorhofflimmern. Im Bericht vom 25.02.2010 sei auch die Angabe einer hypertensiven Krise erwähnt.

Auf Nachfrage des Senats haben die Bevollmächtigten des Klägers mitgeteilt, dass er sich bei keinem Arzt wegen kardiologischer Themen in Behandlung befunden habe.

Nach Beiziehung medizinischer Unterlagen hat im Auftrag des Senats PD Dr. C. am 27.12.2016 ein neurologisches Gutachten erstellt. Er hat darin Folgendes ausgeführt:

Die jetzt noch vorliegenden klinischen Funktionsausfälle und Störungen seien im Vollbeweis als Folge des am 10.11.2009 eingetretenen Hirninfarkts zu sehen. Als Auslöser für den Infarkt würden im Arztbrief der Neurologischen Klinik A-Stadt eine Dissektion bzw. ein thromboembolischer Verschluss der distalen intrakraniellen Arteria carotis links beschrieben. Aus dem schriftlichen Befund einer MR-Angiographie vom 11.11.2009 gehe nicht hervor, dass die MRtypischen Veränderungen einer Dissektion (Nachweis eines Wandhämatoms) zur Darstellung gebracht worden seien. Zusammenfassend könne aus den vorliegenden Daten nur der Schluss gezogen werden, dass es zu einem distalen Verschluss der Arteria carotis interna gekommen sei, deren Ursache möglicherweise eine distalen Dissektion, möglicherweise aber auch ein Embolus gewesen sei, der einer anderen Emboliequelle entstammt habe. Ob eine Abklärung einer möglichen kardialen Emboliequelle, wie sie im Entlassungsbericht des Klinikums A-Stadt empfohlen worden sei, durchgeführt worden sei, sei aus den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich.

Zur Diskussion der vom Senat gestellten Frage nach der Primärschädigung als unübliche Impfreaktion sei zunächst festzustellen, dass sich weder anamnestisch noch in den Aktenlagen dokumentiert unmittelbare Reaktionen auf die Impfung vom 03.11.2009 feststellen lassen würden. Im Zuge einer Kausalitätsermittlung in Bezug auf eine Primärschädigung müssten somit zwei Szenarien gegenübergestellt werden. Entweder habe eine Dissektion vorgelegen, die sich nicht klar aus den Unterlagen ergebe, retrospektiv aber auf andere Art eindeutig nachgewiesen werden könne, oder es sei von einer Embolie auszugehen, die nicht auf eine Dissektion zurückgeführt werden könne.

Zum Szenario einer Dissektion hat der Sachverständige Folgendes erläutert: Ein großes arterielles Gefäß habe einen dreiseitigen Aufbau. Komme es zu einem Einriss der inneren Schicht, dringe Blut zwischen die lockere Verbindung zwischen muskulärer Schicht und Intima und führe zu einer Einengung des Lumens, das für den Restblutfluss zur Verfügung stehe. Dennoch seien es nur selten hämodynamische Ursachen, die zu einer Ischämie führen würden, weil der gedrosselte Blutfluss durch den sogenannten Circulus vitiosus an der Schädelbasis über collateral verlaufende Arterien ausgeglichen werde. Der Einriss führe vielmehr zur Freisetzung von thromboseinduzierenden Substanzen, welche zur lokalen Koagulation und zur Thrombozytenadhäsion und somit zur Bildung von lokalen Blutgerinnseln führen würden. Von diesen Gerinseln könnten sich Fragmente (Embolien) lösen, die mit dem Blutstrom mitgerissen würden und die klinische Symptomatik verursachen würden.

Ein Einriss der Gefäßwand der Arteria carotis gehe häufig mit einer lokalen Schmerzhaftigkeit einher und es komme zu einer einseitig verengten Pupille mit leichtem Hängen des Lids. Beides sei beim Kläger nicht beschrieben worden. Bei einer Studie mit Untersuchung von insgesamt 50 Patienten mit Carotis- und Vertebralisdissektionen seien lediglich drei Patienten asymptomatisch gewesen.

Dissektionen würden in einer Häufigkeit von etwa 3,5 pro 100.000 Einwohner auftreten und würden somit etwa 2,5% aller Schlaganfälle ausmachen. Bei 70% der Fälle liege das Erkrankungsalter zwischen dem 35. und dem 50. Lebensjahr.

Bezüglich der Ursache für Dissektionen werde zwischen spontanen und symptomatischen Dissektionen unterschieden. Risikofaktoren seien eine angeborene Bindegewebsschwäche oder bestimmte sehr seltene Erkrankungen. Zeichen einer Bindegewebsschwäche im Sinne einer fibromuskulären Dysplasie seien beim Kläger nicht beschrieben worden. Traumata oder Manipulationen seien in etwa 40% der Fälle bei den Patienten eruierbar. Subsumiert würden darunter sportliche Aktivitäten mit plötzlicher Kopfdrehung, Autounfälle mit Halswirbelsäulendistorsionstraumata, Stürze auf den Kopf, aber auch Überkopfarbeiten mit nach hinten geneigtem Kopf über Stunden. Ein solches Trauma oder eine chiropraktische Behandlung des Klägers sei in einem Bereich von einigen Wochen vor dem Ereignis nicht dokumentiert und werde auch jetzt anamnestisch nicht angegeben.

Es gebe auch andere vaskuläre Risikofaktoren, z.B. sei bei 40% der Patienten eine Hypercholesterinämie, ein Hypertonus oder ein Nikotinabusus feststellbar. Beim Kläger sei vor dem Ereignis keiner der aufgeführten Risikofaktoren bekannt, im Entlassungsbericht der Klinik A-Stadt sei ein Cholesterinwert nicht erwähnt. Zusammengefasst würden sich daher beim Kläger retrospektiv keine Faktoren erkennen lassen, die auf ein erhöhtes Risiko einer spontanen Dissektion hindeuten würden.

Zum Szenario, dass der Schlaganfall auf einer Embolie andere Ätiologie beruhe, hat der Sachverständige Folgendes erläutert: Bei einem Schlaganfall handele es sich um ein Ereignis, bei dem ein Hirngefäß plötzlich durch ein Blutgerinnsel verschlossen werde. Embolien seien in aller Regel Teil eines wandständigen Thrombus, dessen Entstehungsort entweder im Herz oder in den großen Gefäßen liege. Ein Sonderfall sei der einer Beinvenenthrombose. Die häufigste Ursache kardialer Embolien sei die absolute Arrhythmie mit Vorhofflimmern. Seltenere Ursachen seien Veränderungen der Herzklappen. Die im Entlassungsbericht des Klinikums A-Stadt empfohlene Echokardiographie sei nach den vorliegenden Dokumenten nicht durchgeführt worden, so dass hierzu keine Aussage gemacht werden könne. Andere Emboliequellen seien die Aorta und die Carotiden. Letzteres könne aber aufgrund des Ultraschallbefundes der Rehaklinik Staffelstein weitgehend ausgeschlossen werden, da sich hier eine völlig normale Gefäßmorphologie gezeigt habe. Gehe man von einem embolischen Verschluss der distalen Arteria carotis interna aus, wäre ein großer Embolus kardiogenen Ursprungs am wahrscheinlichsten.

Eine neuerliche Literaturrecherche habe keine Berichte über das gehäufte Auftreten von Schlaganfällen (und auch einer Dissektion der Arteria carotis) nach einer Impfung mit Pandemrix ergeben. Zwischenzeitlich sei lediglich über ein gehäuftes Auftreten von Narkolepsie nach Pandemrix-Impfungen berichtet worden. Hieraus ergebe sich zwar, dass ein deutlich erhöhtes Risiko für das Auftreten eines cerebro-vaskulären Ereignisses nicht erkennbar sei, wobei methodische Probleme einer exakten Beurteilung im Wege stünden. Genauere Vergleichsstudien (Case-Control-Studien) lägen für Pandemrix in Bezug auf einen Schlaganfall nicht vor. Sofern Prof. Dr. J. ausgeführt habe, dass eine mögliche Ursache einer spontanen Dissektion ein entzündlicher Prozess der Gefäßwand sein könne, sei darauf hinzuweisen, dass es einige wenige Publikationen gebe, die eine primärentzündliche Ursache einer spontanen Arteria carotis-Dissektion postulieren würden, was aber bisher nicht als allgemein akzeptierter Mechanismus anerkannt sei.

Zur Frage der Primärschädigung hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass sich der genaue Mechanismus des Schlaganfalls nicht feststellen lasse. Als Alternativmöglichkeiten stünden entweder eine spontane Dissektion der Arteria carotis oder eine Embolie anderer Ursache, die nicht auf eine Dissektion zurückzuführen sei, im Raum. Da sich hieraus möglicherweise unterschiedliche Aspekte zur Kausalität im Sinne einer Kannversorgung ergeben könnten, könne die Frage der Primärschädigung im Vollbeweis nicht ausreichend beantwortet werden. Es werde empfohlen, ein neuroradiologisches Gutachten zur Frage nach der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Dissektion der Arteria carotis einzuholen. Ein wahrscheinlicher Kausalzusammenhang zwischen Impfung und Primärschaden bestehe aber für beide Alternativen nicht. Diese Einschätzung eines fehlenden Kausalzusammenhangs sei deshalb nicht gegeben, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit bestehe. Auf die Frage, ob die gute Möglichkeit bestehe, dass die vorliegende Gesundheitsstörung die Folge der Impfung vom 03.11.2009 sei, hat der Sachverständige ausgeführt, dass er für beide Möglichkeiten „prinzipiell“ eine solche gute Möglichkeit sehe.

Der Beklagte hat sich zu dem Gutachten mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 13.02.2017 dahingehend geäußert, dass der Sachverständige erneut bestätigt habe, dass die genaue Ursache des abgelaufenen Hirninfarkts nicht sicher geklärt sei. Auch eine Aktualisierung der Bildgebung würde hier wahrscheinlich keine neuen Aspekte mehr liefern. Interessanter wäre eher eine Nachbefundung der damals erzeugten Bilder. Wegen der Lokalisation des Gefäßprozesses sei es aber nicht unwahrscheinlich, dass sich auch bei Nachbefundung der Ultraschallbilder keine Informationen zur Morphologie des betroffenen Gefäßabschnitts finden lassen würden, da dieser sonographisch naturgemäß kaum zugänglich sei. Zudem sei die Frage, ob eine Dissektion oder ein kardiologisch-embolisches Hirninfarktmechanismus eine Rolle gespielt habe, für die Kausalitätsbewertung von nachgeordneter Bedeutung. Denn wie auch dem Gutachten des PD Dr. C. zu entnehmen sei, bestehe für keinen der beiden Mechanismen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des kausalen Zusammenhangs mit der Impfung. Auch für die Anerkennung im Sinne der Kannversorgung ergebe sich aus versorgungsärztlicher Sicht keine Grundlage.

Der gerichtliche Gutachter PD Dr. C. hat sich dazu ergänzend in einer Stellungnahme vom 04.04.2017 wie folgt geäußert:

Es sei zwar zutreffend, dass es keine ausreichenden epidemiologischen Daten gebe, die ein erhöhtes Risiko einer Dissektion oder einer kardialen Embolie nach Impfung mit Pandemrix belegen würden. In gleicher Weise gebe es aber keinerlei Daten, die eine Alternativursache wahrscheinlicher machen würden. Insofern bestehe aufgrund der aktuellen Datenlage statistisch eine gleiche Wahrscheinlichkeit für eine Verursachung durch die Impfung bzw. Nichtverursachung durch die Impfung, was einen Zusammenhang natürlich nicht begründen würde. Konkret komme beim Kläger nach den aktuellen Informationen ein Alternativauslöser nicht in Betracht. Der Einschätzung des Versorgungsarztes, dass es keine gute Möglichkeit eines Zusammenhangs gebe, widerspreche er. Es gebe bestimmte Risikofaktoren für das Auftreten einer Dissektion. Eine gesicherte einheitliche Lehrmeinung über den Pathomechanismus gebe es hingegen nicht. Sofern der Versorgungsarzt (mit Blick auf die Kannversorgung) darauf hinweise, dass ein ursächlicher Einfluss der im Einzelfall vorliegenden Umstände in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen werden müsse, möchte er nochmals auf das Gutachten des Prof. Dr. J. eingehen. Dieser habe ausgeführt, dass eine mögliche Ursache einer spontanen Dissektion ein entzündlicher Prozess der Gefäßwand sein könne und es vorstellbar sei, dass infolge einer Impfung mit Pandemrix durch die starke Freisetzung von Zytokinen ein entzündlicher Prozess begünstigt worden sei, ohne dass es dazu experimentelle oder epidemiologische Daten gebe. Dies bedeute, dass der ursächliche Einfluss zumindest als Hypothese in Erwägung gezogen werden könne. Diese Einschätzung werde durch die in seinem Gutachten erwähnten dokumentierten Angaben zu berichteten wahrscheinlichen bzw. möglichen Impfkomplikationen bestätigt, nämlich akut entzündliche Reaktionen bzw. ein erhöhtes Auftreten von Narkolepsie. Auch eine immunologische Reaktion könne zugrunde liegen. Bei dem zeitlichen Abstand zwischen der Impfung am 03.11.2009 und dem Schlaganfall am 08.bzw. 09.11.2009 handele es sich um den üblichen Zeitraum von allgemeinen Impfkomplikationen, insbesondere von entzündlichen Begleitreaktionen. Zusammenfassend sei er der Ansicht, dass zumindest eine Nachbeurteilung des damaligen Bildmaterials eine Klärung der Pathophysiologie herbeiführen könnte und die Chance bieten würde, eventuell doch vorhandene und bislang nicht bekannte Faktoren aufzudecken, die einen Zusammenhang dann als unwahrscheinlich erscheinen lassen würden.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 01.08.2017 wurde der Sachverständige um ergänzende Stellungnahme u.a. zur Kannversorgung gebeten.

Am 30.10.2017 nahm der Sachverständige zu den ergänzenden Beweisfragen vom 01.08.2017 wie folgt Stellung:

1. Zu der Frage, ob es beim Kläger im Vollbeweis zu einer Dissektion gekommen sei:

Seiner Einschätzung nach sei es nicht zu einer Dissektion gekommen, die nach den Kriterien des Vollbeweises als gesichert angesehen werden könne. Im Vollbeweis gesichert sei beim Kläger ein Hirninfarkt sowie ein sich aus der Diagnostik der Neurologischen Klinik A-Stadt ergebender Verschluss der distalen intrakraniellen Arteria carotis links; die CT-Angiographie am 10.11.2009 habe eine „hochgradig stenosierende, wohl embolische Kontrastmittelaussparung in der linken A. carotis interna im distalen zervikalen Abschnitt und dem Canalis caroticus“ gezeigt. Befunde, die die positiven Kriterien einer Dissektion (Nachweis eines Wandhämatoms, trichterförmige Lumeneinengung, klinische Korrelate wie lokale Schmerzen oder ein Horner-Syndrom) erfüllen würden, lägen nicht vor. Auch könnten die im weiteren Verlauf erhobenen Befunde die Diagnose einer Dissektion nicht bestätigen. Eine im Rahmen der Reha-Behandlung im Klinikum S. durchgeführte Dopplersonographie am 25.02.2010 habe eine unauffällige Gefäßwandmorphologie und unauffällige Strömungsprofile gezeigt. Auch aus der Literatur ergebe sich ein differenziertes Bild. Bei einer - vom Gutachter näher genannten - Untersuchung an 249 Patienten mit einer Dissektion der carotis hätten 124 einen kompletten Verschluss gezeigt, von denen sich nach einer Nachbeobachtungszeit von bis zwölf Monaten gerade etwa 45% komplett zurückgebildet hätten, während in 55% noch leichte bis schwere Stenosen nachweisbar gewesen seien. Die Rekanalisation habe in einem Zeitraum von sechs Monaten stattgefunden, in 50% der Fälle sei sie allerdings nach drei Monaten erkennbar gewesen. Hieraus ergebe sich, dass eine Dissektion zwar möglich sei, nicht jedoch in solcher Weise als gesichert angesehen werden könne, dass z.B. eine kardiale Embolie nicht auch in gleicher Weise vorstellbar sei.

2. Zu der Frage, ob über die allgemeine Ursache des Entstehungsgrundes einer Dissektion in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit bestehe:

Der Großteil der Dissektionen trete spontan bzw. sporadisch auf und eine Ursache sei nicht klar erkennbar, d.h. die Frage einer wissenschaftlichen Ungewissheit sei zu bejahen.

3. Zu der Frage, ob es wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung gebe, die -theoretisch - die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen einer Dissektion und der hier erfolgten Impfung mit Pandemrix vertrete:

Ein epidemiologisch erhöhtes Risiko einer Dissektion nach einer Impfung mit Pandemrix sei nicht belegt, was u.a. mit methodischen Problemen zusammenhängen könne. Begebe man sich auf das Feld theoretischer Überlegungen, so sei es mittlerweile als gesichert anzusehen, dass es nach Impfung mit Pandemrix zu einer erhöhten Inzidenz der Erkrankung Narkolepsie gekommen sei. Ursache sei ein Untergang von Zellen im Gehirn, die ein bestimmtes wachheitsförderndes Hormon bilden würden. Es sei bekannt, dass diese Zelldegeneration immunologisch, d.h. entzündlich bedingt sei. An derartigen immunologischen Prozessen seien Zytokine beteiligt, die letztlich auch die positive Wirkung einer Impfung, nämlich die Ausschaltung von immunpathologischen Agentien bedingen würden. Eine Entgleisung einer solchen immunologische Reaktion bzw. ein erhöhtes Auftreten von Zytokinen könne z.B. Einfluss auf die kardiale Funktion nehmen bzw. am Auftreten von kardialen und auch Gefäßerkrankungen beteiligt seien. Somit ergeben sich durchaus theoretisch gut begründbare mögliche pathophysiologische Zusammenhänge zwischen dem Schlaganfall und der Impfung beim Kläger.

Der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten hat zu dieser ergänzenden Stellungnahme am 27.12.2017 u.a. darauf hingewiesen, dass eine Gefäßdissektion der Arteria carotis als Primärschaden nicht belegt sei. Auch sei vom Sachverständigen bestätigt worden, dass sich in der wissenschaftlichen Literatur keine Arbeiten finden würden, die Hinweise auf ein erhöhtes Risiko einer Gefäßdissektion nach einer Impfung zeigen würden. Der Vergleich mit der Krankheit Narkolepsie könne in der Diskussion des vorliegenden Falls keinen Beitrag leisten. Es handle sich um ein vollständig anderes Krankheitsbild mit einem anderen Pathomechanismus. Hinweise darauf, dass eine Gefäßdissektion in relevantem Zusammenhang mit Autoimmunprozessen stehe, seien aktuell nicht bekannt. Aus einem rein zeitlichen Zusammenhang und der bloßen theoretischen Möglichkeit, dass eine durch eine Impfung induzierte Ausschüttung von Zytokinen einen Einfluss auf die Herz-Gefäß- oder Kreislauffunktion haben könnte, ergebe sich keine Grundlage für die Anerkennung der Gesundheitsstörung als Impfschaden.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schreiben vom 26.01.2018 ihre Ansicht geäußert, dass mehr für als gegen eine Kausalität der Impfung für den Schlaganfall spreche. Der Gutachter habe gut begründbare pathophysiologische Zusammenhänge zwischen Schlaganfall und Impfung bestätigt und auch der zeitliche Zusammenhang sei gegeben. Zudem habe der Gutachter ausgeführt, dass nach den aktuellen Informationen kein Alternativauslöser beim Kläger in Betracht komme. Weiter haben sie auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 21.06.2017 hingewiesen, welches sich mit einem französischen Fall eines Impfschadens im Bereich der Produkthaftung befasst habe. Auch in dem dort entschiedenen Fall habe es eine zeitliche Nähe zwischen der Verabreichung des Impfstoffes und dem Auftreten der Erkrankung gegeben, aufgrund derer es das Gericht als ausreichend angesehen habe, dass nur gewisse Umstände auf den Impfstoff als Schadensursache hingedeutet hätten.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid vom 08.06.2015 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheids vom 23.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2013 den Hirninfarkt des Klägers mit den daraus resultierenden gesundheitlichen Einschränkungen als Impfschaden infolge der Impfung vom 03.11.2009 anzuerkennen und ihm Versorgung zu leisten.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen worden sind die Akten des SG sowie die Verwaltungsakte des Beklagten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), aber nicht begründet.

Der Beklagte hat es zu Recht, wie es auch das SG bestätigt hat, abgelehnt, beim Kläger einen Impfschaden anzuerkennen und Versorgung zuzusprechen. Der angegriffene Bescheid vom 23.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2013 ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG liegen nicht vor, weil es vorliegend schon am Nachweis einer Impfkomplikation (Primärschaden) fehlt. Aber selbst dann, wenn der nicht im dafür erforderlichen Vollbeweis nachgewiesene potentielle Primärschaden als nachgewiesen betrachtet würde, würde es an der Kausalität zwischen der Impfung und der Primärschaden fehlen.

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

  • 1.von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,

  • 2.auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde,

  • 3.gesetzlich vorgeschrieben war oder

  • 4.auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), soweit das IfSG nichts Abweichendes bestimmt.

Der Impfschaden wird in § 2 Nr. 11 IfSG definiert als die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung, wobei ein Impfschaden auch vorliegt, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde.

Die Anerkennung als Impfschaden setzt eine (mindestens) dreigliedrige Kausalkette voraus (ständige Rspr., vgl. zum gleichgelagerten Recht der Soldatenversorgung: BSG, Urteile vom 25.03.2004, B 9 VS 1/02 R, und vom 16.12.2014, B 9 V 3/13 R): Ein schädigender Vorgang in Form einer „Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe“, die die genannten Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllen muss (1. Glied), muss zu einer „gesundheitlichen Schädigung“ (2. Glied), also einem Primärschaden (d.h. einer Impfkomplikation) geführt haben, die wiederum den „Impfschaden“, d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also den Folgeschaden (3. Glied) bedingt. Zwischen Primärschaden und Folgeschaden können, abhängig von der jeweiligen Fallkonstellation noch weitere Zwischenstufen von Gesundheitsschäden liegen. Anstelle einer dreigliedrigen Kausalkette kann daher im Einzelfall auch eine mehr als dreigliedrige Kette der Beurteilung des Versorgungsanspruchs zugrunde zu legen sein, wobei dann alle Stufen und die dazwischen liegende Kausalität im jeweils erforderlichen Beweismaßstab nachgewiesen sein müssen (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, 9/9a RV 1/92 - zum Gesichtspunkt des Todesleidens).

Neben einer „Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe“, die die genannten Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllen muss (1. Glied), müssen die „gesundheitliche Schädigung“ (2. Glied) als Primärschädigung, d.h. die Impfkomplikation, und der „Impfschaden“ (3. Glied), d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also der Folgeschaden, vorliegen. Diese drei, ggf. auch mehr (vgl. oben vorstehender Absatz) Glieder der Kausalkette müssen - auch im Impfschadensrecht - im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (ständige Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteile vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R, und vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R; Hessisches LSG, Urteil vom 26.06.2014, L 1 VE 12/09; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.07.2016, L 13 VJ 19/15). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, 9/9a RV 1/92).

Dass die gesundheitliche Schädigung als Primärschädigung, d.h. die Impfkomplikation, neben der Impfung und dem Impfschaden, d.h. der dauerhaften gesundheitlichen Schädigung, im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein muss und eine irgendwie geartete Beweiserleichterung beim Primärschaden, wie es der 15. Senat des Bayer. LSG im Urteil vom 31.07.2012, L 15 VJ 9/09, mit der Beurteilung „des Zusammenhangs zwischen Impfung und manifestiertem Gesundheitsschaden in einer einzigen gedanklichen Etappe“ anhand von „Mosaiksteinen“, die den Nachweis des Primärschadens im Vollbeweis als „realitätsfremd“ und damit verzichtbar erscheinen lassen sollen, getan hat, damit nicht vereinbar ist, hat der erkennende Senat in seinem rechtskräftigen (vgl. BSG, Beschluss vom 29.11.2017, B 9 V 48/17 B) Urteil vom 25.07.2017, L 20 VJ 1/17, bereits deutlich zum Ausdruck gebracht. Eine andere Sichtweise steht - wie der Senat in der genannten Entscheidung bereits ausgeführt hat - nicht in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben und der klaren obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. auch Bayer. LSG, Urteile vom 31.07.2012, L 15 VJ 9/09, und vom 06.12.2017, L 20 VJ 3/05). Dies hat im Übrigen das BSG erneut mit Beschluss vom 29.01.2018, B 9 V 39/17 B, bestätigt und dort ausgeführt:

„Aber auch insoweit hat sich die Beschwerde weder mit den tatbestandlichen Voraussetzungen noch mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG auseinandergesetzt, nach der der Nachweis einer Primärschädigung im Vollbeweis geführt werden muss und deshalb Ermittlungen zur Kausalität auf der Grundlage des abgesenkten Beweismaßstabs der Wahrscheinlichkeit für einen Nachweis „nicht erkennbar zutage getretener Primärschädigungen“ nicht ausreichen.“

Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache nach den allgemeinen Regeln der Beweislast zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs auf ihr Vorliegen stützt, also des Antragstellers.

Demgegenüber gilt für den (mindestens) zweifachen ursächlichen Zusammenhang der (mindestens) drei Glieder der Kausalkette nach § 61 Satz 1 IfSG ein gegenüber dem Vollbeweis abgeschwächter Beweismaßstab - nämlich der der Wahrscheinlichkeit im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. auch § 1 Abs. 3 BVG; siehe auch BSG, Urteile vom 13.12.2000, B 9 VS 1/00 R, vom 29.04.2010, B 9 VS 2/09 R, und vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R; Bayer. LSG, Urteil vom 31.07.2012, L 15 VJ 9/09). Der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität. Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle, versorgungsrechtlich geschützte Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, 10 RV 15/77), also mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang spricht (vgl. BSG, Urteile vom 19.08.1981, 9 RVi 5/80, vom 26.06.1985, 9a RVi 3/83, vom 19.03.1986, 9a RVi 2/84, vom 27.08.1998, B 9 VJ 2/97 R, und vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als „überwiegende“ (vgl. z.B. BSG, Beschluss vom 14.10.2015, B 9 V 43/15 B) oder „hinreichende“ (vgl. z.B. BSG, Beschluss vom 18.02.2009, B 9 VJ 7/08 B) Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei dieser Zusatz nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 26.11.1968, 9 RV 610/66, und vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R).

Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie nach der versorgungsrechtlichen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 08.08.1974, 10 RV 209/73) rechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs „annähernd gleichwertig“ sind. Während die ständige unfallversicherungsrechtliche Rechtsprechung (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, und vom 30.01.2007, B 2 U 8/06 R) demgegenüber den Begriff der „annähernden Gleichwertigkeit“ für nicht geeignet zur Abgrenzung hält, da er einen objektiven Maßstab vermissen lasse und missverständlich sei, und eine versicherte Ursache dann als rechtlich wesentlich ansieht, wenn nicht eine alternative unversicherte Ursache von überragender Bedeutung ist, hat der für das soziale Entschädigungsrecht zuständige 9. Senat des BSG in seinem Urteil vom 16.12.2014, B 9 V 6/13 R, zur annähernden Gleichwertigkeit Folgendes ausgeführt:

„Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Haben also neben einer Verfolgungsmaßnahme mehrere weitere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen, ist die Verfolgungsmaßnahme versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge der Verfolgungsmaßnahme zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Verfolgungsmaßnahme in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen.“

Von einer annähernden Gleichwertigkeit einer versorgungs- und damit auch impfschadensrechtlich geschützten Ursache kann daher - im Gegensatz zu der für den Betroffenen günstigeren unfallversicherungsrechtlichen Rechtsprechung - nur dann ausgegangen werden, wenn ihre Bedeutung gleich viel oder mehr Gewicht hat als die der andere(n) Ursache(n) (zusammen).

Die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinn als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, ist im jeweiligen Einzelfall aus der Auffassung des praktischen Lebens abzuleiten (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2001, B 9 V 5/00 R).

Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Gesundheitsschäden zu erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R).

Kann eine Aussage zu einem (hinreichend) wahrscheinlichen Zusammenhang nur deshalb nicht getroffen werden, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt die sogenannte Kannversorgung gemäß § 61 Satz 2 IfSG in Betracht. Von Ungewissheit ist dann auszugehen, wenn es keine einheitliche, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die bloße Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, B 9/9a VS 5/06). In einem solchen Fall liegt eine Schädigungsfolge dann vor, wenn bei Zugrundelegung der wenigstens einen wissenschaftlichen Lehrmeinung nach deren Kriterien die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs nachgewiesen ist (vgl. Bayer. LSG, Urteile vom 19.11.2014, L 15 VS 19/11, vom 21.04.2015, L 15 VH 1/12, vom 15.12.2015, L 15 VS 19/09, vom 26.01.2016, L 15 VK 1/12, und vom 25.07.2017, L 20 VJ 1/17). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, 9/9a RV 41/92).

Lässt sich der Zusammenhang nicht (hinreichend) wahrscheinlich machen und auch nicht über das Institut der Kannversorgung herstellen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache nach den allgemeinen Beweislastgrundsätzen zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf das Vorliegen des Zusammenhangs stützen möchte, also des Antragstellers (ständige Rspr., vgl. beispielhaft BSG, Urteil vom 03.02.1999, B 9 V 33/97 R, und Beschluss vom 05.04.2018, B 5 RS 19/17 B).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend schon eine Impfkomplikation (gesundheitliche Schädigung/Primärschaden, 2. Glied der oben aufgezeigten Kausalkette) nicht nachgewiesen. Es fehlt aber auch an der Kausalität zwischen der durchgeführten Impfung und der potentiellen, nicht im Vollbeweis nachgewiesenen Primärschädigung im Sinne einer Impfkomplikation.

1. Feststellungen

Der Senat stellt zunächst fest, dass der Kläger am 03.11.2009 eine Impfung gegen den Influenza A Virus (H1N1 - Schweinegrippevirus) mit dem Impfstoff Pandemrix (Lot A81CA062A) erhalten hat. Dieser Impfstoff enthielt das Adjuvans AS03. Bei dieser Impfung hat es sich um eine zum damaligen Zeitpunkt öffentlich empfohlene Schutzimpfung gehandelt (vgl. Bekanntmachung des Bayer. Staatsministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz vom 18.04.2007, 33a-G8360.82-206/1-3 - Allgemeines Ministerialblatt 2007, S. 224).

Weiter ist festzustellen, dass der Kläger in der Nacht vom 09. auf den 10.11.2009 einen Hirninfarkt erlitten hat, aus dem bis heute massive neurologische Schäden resultieren.

Der Hirninfarkt ist auf einen distalen Verschluss der Arteria carotis interna und damit auf eine reduzierte Versorgung des Gehirns zurückzuführen, wobei der Verschluss nach den Feststellungen des Sachverständigen PD Dr. C., dessen überzeugende Feststellungen sich der Senat zu eigen macht und der die alternativen Geschehnisse detailliert und allgemeinverständlich dargestellt hat, und den ärztlichen Berichten über die umfangreiche Behandlung des Klägers entweder auf einer distalen Dissektion oder einem thromboembolischen Verschluss der genannten Arterie, der aus einer nicht mit der Dissektion in Zusammenhang stehenden, z.B. kardialen Emboliequelle herrührt, beruht. Sofern der erstinstanzliche Gutachter Prof. Dr. J. im Rahmen seiner Diskussion nur auf eine Dissektion eingeht und in der Beantwortung der Beweisfragen eine „Dissoziation“ (Anmerkung des Senats: Dabei handelt sich um einen offensichtlichen Schreibfehler; gemeint ist offenkundig eine Dissektion.) der Arteria carotis interna zugrunde legt, ist damit für den Senat nicht belegt, dass nicht auch eine Embolie mit anderem Hintergrund als mögliche Ursache für den Hirninfarkt infrage kommt. Denn der Sachverständige Prof. Dr. J. hat selbst auf S. 1 und 3 seines Gutachtens festgehalten, dass als Diagnosen der erstbehandelnden Klinik nicht nur eine Dissektion, sondern alternativ auch ein thromboembolischer Verschluss der Arterie genannt worden sind. Warum er dann gleichwohl in der Folge von einer Dissektion und nicht auch der alternativen Möglichkeit einer Embolie mit anderem Hintergrund ausgegangen ist, hat er nicht ansatzweise begründet und ist für den Senat auch nicht nachvollziehbar.

Die für den Nachweis eines Impfschadens erforderliche Kausalkette stellt sich daher vorliegend wie folgt dar: Impfung - Verschluss der Arteria carotis interna entweder in Form einer distalen Dissektion oder eines thromboembolischen Verschlusses anderer Ursache - Hirninfarkt - Dauerschaden.

2. Kein Primärschaden

Eine zeitnah nach der Impfung aufgetretene gesundheitliche Schädigung, die möglicherweise durch die Impfung mit Pandemrix bedingt sein könnte, d.h. eine potentielle Impfkomplikation als Primärschaden, ist nicht in dem dafür notwendigen Vollbeweis nachgewiesen.

Als Primärschaden zu diskutieren sind eine Dissektion der genannten Arteria carotis oder ein thromboembolischer Verschluss dieser Arterie, wobei die Thrombose nicht auf eine Dissektion der genannten Arterie zurückzuführen ist. Andere atypische Impfreaktionen sind nicht dokumentiert und auch vom Kläger nicht vorgetragen worden.

Eine im Raum stehende, aber nicht zweifelsfrei, d.h. nicht im Vollbeweis nachgewiesene Dissektion der Arteria carotis, bei der zumindest die theoretische Möglichkeit eines Zusammenhangs mit der Impfung besteht (dazu siehe unten Ziff. 3), ist nicht im Vollbeweis nachgewiesen (vgl. unten Ziff. 2.1.). Ein alternativ im Raum stehender, aber ebenfalls nicht zweifelsfrei, d.h. nicht im Vollbeweis nachgewiesener thromboembolischer Verschluss der Arteria carotis, wobei die Thrombose nicht auf eine Dissektion der genannten Arterie zurückzuführen ist, kommt als Primärschaden nicht in Betracht, da er in keinem Zusammenhang mit der Impfung zu sehen ist (vgl. unten Ziff. 2.2.). Dies ist übereinstimmende Einschätzung aller Gutachter und Versorgungsärzte, die sich insofern mit der Zusammenhangsfrage befasst haben. Eine Wahlfeststellung unter Zugrundelegung der beiden vorgenannten Alternativen kommt nicht in Betracht, weil nicht bei beiden Alternativen ein Zusammenhang mit der Impfung denkbar ist (vgl. unten Ziff. 2.3.).

2.1. Eine Dissektion der Arteria carotis, bei der die gerichtlichen Sachverständigen zumindest die Möglichkeit eines Zusammenhangs mit der Impfung diskutieren und die daher als Primärschädigung nicht bereits von vornherein auszuschließen ist, da die Frage der Kausalität zumindest einer näheren Prüfung bedarf, ist nicht in dem dafür erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen. Dabei stützt sich der Senat auf die vorliegenden ärztlichen Berichte, das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten und die versorgungsärztlichen Ausführungen. Alle Ärzte sind übereinstimmend zu der Einschätzung gekommen, dass nicht zweifelsfrei feststeht, dass beim Kläger eine Dissektion der Arteria carotis erfolgt ist und nicht ein thromboembolischer Verschluss auf anderer Grundlage, z.B. kardiogener Ursache, vorgelegen hat. Dies hat sowohl der im Berufungsverfahren gehörte Sachverständige ausführlich erläutert als auch die Versorgungsärzte des Beklagten so festgestellt. Warum der Sachverständige Prof. Dr. J. im Rahmen der Diskussion des Zusammenhangs von einer Dissektion ausgegangen ist, obwohl er selbst zuvor darauf hingewiesen hat, dass als alternative Diagnose zu einer Dissektion auch ein thromboembolischer Verschluss der Arterie im Raum steht, ist dies den Senat nicht nachvollziehbar (vgl. oben Ziff. 1.).

Sofern in Klinik- oder Arztberichten die Diagnose eine Dissektion der Arteria carotis genannt ist, ohne diese Diagnose als Verdachtsdiagnose zu bezeichnen, ändert dies an der Beurteilung nichts. Denn diese Diagnose ist ersichtlich nicht in Form einer sicheren Diagnose, sondern als Verdachtsdiagnose verwendet worden. So wurde beispielsweise im Bericht der Sozialstiftung A-Stadt vom 09.12.2009 die Diagnose „Dissektion der Arteria carotis“ genannt. Dass dies nur eine Verdachtsdiagnose gewesen sein kann, ergibt sich schon daraus, dass unter den Diagnosen auch ein „Hirninfarkt durch nicht näher bezeichneten Verschluss oder Stenose zerebraler Arterien“ genannt worden ist. Zudem wurde im ausführlicheren Bericht der Sozialstiftung A-Stadt vom 25.02.2010 die Diagnose explizit als „Dissektion bzw. thrombembolischer Verschluss der distalen intrakraniellen Arteria carotis li.“ bezeichnet, was belegt, dass zwei verschiedene Diagnosen in Betracht gezogen worden sind, und zusammenfassend darauf hingewiesen, dass noch der sonographische Ausschluss einer kardialen Emboliequelle erfolgen solle, was wiederum belegt, dass es sich bei der Diagnose einer Dissektion nur um eine Verdachtsdiagnose gehandelt haben kann. Auch aus den aufgelisteten bildgebenden Befunden ist zu entnehmen, dass „wohl“ von einem embolischen Verschluss auszugehen ist (CT-Angiographie vom 10.11.2009). Schließlich bedingen es auch die Kodiervorgaben der Diagnosen, dass Diagnosen genannt werden, ohne zu kennzeichnen, ob dies Verdachtsdiagnosen sind oder nicht. So heißt es in den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) seit jeher in D008b:

„Verdachtsdiagnosen im Sinne dieser Kodierrichtlinie sind Diagnosen, die am Ende eines stationären Aufenthaltes weder sicher bestätigt noch sicher ausgeschlossen sind. Verdachtsdiagnosen werden unterschiedlich kodiert, abhängig davon, ob der Patient nach Hause entlassen oder in ein anderes Krankenhaus verlegt wurde

… Wenn eine Behandlung eingeleitet wurde und die Untersuchungsergebnisse nicht eindeutig waren, ist die Verdachtsdiagnose zu kodieren.“

Zu einer weiteren Aufklärung, insbesondere einer erneuten Befundung der zeitnah nach dem Hirninfarkt durchgeführten bildgebenden Verfahren, aber auch zu einer aktuellen Durchführung entsprechender Verfahren, sieht sich der Senat nicht veranlasst.

Zwar hat der vom Senat beauftragte Sachverständige zunächst eine Neubefundung der zeitnah nach dem Hirninfarkt durchgeführten bildgebenden Verfahren angeregt. Es bestehen aber insofern für den Senat schon erhebliche Zweifel, ob sich daraus überhaupt weitergehende Erkenntnisse ergeben könnten. Diese Zweifel stützt der Senat zum einen auf die Hinweise in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.02.2017, wonach der für die Beurteilung relevante Bereich bei bildgebenden Verfahren vermutlich nicht ausreichend genau abgebildet sein dürfte, um daraus detailliertere Bewertungen treffen zu können. Zum anderen, und dies ist der für den Senat entscheidende Gesichtspunkt, hat der gerichtliche Sachverständige PD Dr. C. zuletzt in seiner Stellungnahme vom 30.10.2017 eine derartige Nachbefundung nicht mehr für nötig erachtet. Vielmehr hat er aufgrund einer Würdigung der vorliegenden Befunde darauf hingewiesen, dass keine Befunde vorliegen, die die positiven Kriterien einer Dissektion (Nachweis eines Wandhämatoms, trichterförmige Lumeneinengung, klinische Korrelate wie lokale Schmerzen oder ein Horner-Syndrom) erfüllen. Gegen eine Dissektion spricht, dass für die Zeit vor dem Hirninfarkt keine typischen Beschwerden dokumentiert und auch später nicht vom Kläger beschrieben worden sind, wie sie regelmäßig in Form einer lokalen Schmerzhaftigkeit oder einer einseitig verengten Pupille mit leicht hängendem Augenlid zu erwarten sind, worauf der Sachverständige PD Dr. C. schon in seinem Gutachten vom 27.12.2016 hingewiesen hat (Nach der vom Sachverständigen angeführten Studie mit 50 Patienten seien lediglich drei Patienten asymptomatisch gewesen.). Zudem, auch darauf hat der Sachverständige hingewiesen, haben die im weiteren Verlauf erhobenen Befunde die Verdachtsdiagnose einer Dissektion nicht bestätigt. So hat eine im Rahmen der Reha-Behandlung im Klinikum S. durchgeführte Dopplersonographie am 25.02.2010 eine unauffällige Gefäßwandmorphologie und unauffällige Strömungsprofile gezeigt. Dass bei einer Nachbeurteilung des damaligen Bildmaterials keine weitergehenden positiven Erkenntnisse für die Feststellung einer Dissektion zu erwarten sind, ist auch der Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen PD Dr. C. vom 04.04.2017 zu entnehmen, wenn dieser dort darauf hinweist, dass „eine Nachbeurteilung … die Chance [bietet], evtl. doch vorhandene und bislang nicht bekannte Faktoren aufzudecken, die einen Zusammenhang dann als unwahrscheinlich erscheinen lassen würden.“ Der Gutachter sieht also in einer Nachbefundung nur die Chance, eine Dissektion (und damit die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs) definitiv ausschließen zu können. Die Frage, ob ein Impfschaden zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann, ist aber für die impfschadensrechtliche Bewertung ohne Bedeutung. Entscheidungserheblich ist allein die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen Impfung und Gesundheitsschaden hinreichend wahrscheinlich nachgewiesen werden kann. Die Beantwortung dieser - allein entscheidungserheblichen - Frage ist aber nicht davon abhängig, dass der Zusammenhang nachgewiesenermaßen unwahrscheinlich ist oder sich positiv eine andere Ursache feststellen lässt. Mit einer Nachbefundung der durchgeführten bildgebenden Verfahren wäre daher für das Verfahren kein rechtlich maßgeblicher Erkenntnisgewinn verbunden, sondern allenfalls eine im Sinne des Betroffenen wünschenswerte weitergehende Aufklärung bei ihm vorliegender impfunabhängiger Risikoquellen verbunden. Eine solche Aufklärung hat aber nicht in einem impfschadensrechtlichen Gerichtsverfahren stattzufinden.

Jedenfalls ist eine Neubefundung der zeitnah nach dem Hirninfarkt durchgeführten bildgebenden Verfahren auch deshalb nicht angezeigt, da selbst dann, wenn sich damit eine Dissektion zweifelsfrei nachweisen lassen würde, sich ein Impfschaden beim Kläger nicht nachweisen lassen würde. Denn der rechtlich wesentliche Kausalzusammenhang zwischen Impfung und Dissektion würde sich auch dann nicht herstellen lassen (siehe dazu unten Ziff. 3).

Von einer jetzt neu anzufertigenden Bildgebung würden sich für den maßgeblichen Zeitpunkt des Hirninfarkts im Jahre 2009 keine Rückschlüsse mehr ziehen lassen, da damals vorliegende morphologische Veränderungen heute mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr erkennbar sind. So haben sich auch bei einer im Rahmen der Reha-Behandlung im Klinikum S. durchgeführten Dopplersonographie am 25.02.2010 eine unauffällige Gefäßwandmorphologie und unauffällige Strömungsprofile gezeigt. Im Übrigen hat der Sachverständige PD Dr. C. eine derartige Bildgebung auch nur unter dem - rechtlich unmaßgeblichen - Gesichtspunkt als hilfreich erachtet, dass damit die Unwahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs positiv nachgewiesen werden könnte (vgl. oben, vorletzter Absatz). Im Übrigen gilt das Gleiche wie bei einer Neubefundung des alten Bildmaterials (vgl. vorstehender Absatz) - auch bei Nachweis einer Dissektion lässt sich ein Impfschaden nicht nachweisen (siehe dazu unten Ziff. 3).

2.2. Ein - nicht im Vollbeweis nachgewiesener - thromboembolischer Verschluss, der seine Ursache nicht in der Dissektion der Arteria carotis hat, wäre nach einheitlicher Ansicht der Sachverständigen nicht im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Impfung zu sehen und kann daher schon wegen fehlender Kausalität keine Primärschädigung darstellen.

Sofern der Gutachter PD Dr. C. im Rahmen seines Gutachtens vom 27.12.2016 im Rahmen der Beantwortung der Beweisfragen noch äußerst missverständlich auch für die Variante eines thromboembolischen Verschlusses „prinzipiell“ die gute Möglichkeiten eines Zusammenhangs mit der Impfung formuliert hat, hat er diese Annahme in seinen weiteren Ausführungen nicht mehr wiederholt, sondern eine solche Möglichkeit nicht mehr angenommen. Letzteres steht auch in Einklang mit seinen gesamten sachverständigen Ausführungen, in denen er an keiner einzigen Stelle eine medizinische Lehrmeinung benannt hat, die einen solchen Zusammenhang kennt. Raum für eine Kannversorgung ist daher insofern nicht eröffnet.

2.3. Keine Wahlfeststellung

Ein Rückgriff auf das Institut der Wahlfeststellung scheitert daran, dass nicht beide in Betracht kommenden Tatbestandsvarianten zur Bejahung der Frage, ob ein Primärschaden vorliegt, führen.

Das Institut der Wahlfeststellung ist auch im Sozialrecht anerkannt (vgl. z.B. die Urteile des BSG zu den Rechtsbereichen des Versorgungsrechts vom 30.08.1960, 8 RV 245/58, und 05.05.1993, 9/9a RV 1/92, sowie der gesetzlichen Unfallversicherung vom 24.01.1992, 2 RU 32/91). Dabei kann der im Rahmen der Wahlfeststellung geltend gemachte Anspruch nur dann zugesprochen werden, wenn jede der in Betracht kommenden Tatbestandsvarianten zur gleichen Leistung führen muss (vgl. BSG, Urteil vom 26.03.1986, 2 RU 10/85). Dies bedeutet wiederum, dass eine Wahlfeststellung bereits dann ausgeschlossen ist, wenn nur eine der der Wahlfeststellung zugrunde zu legenden Tatbestandsalternativen einer Leistung entgegenstehen würde.

Im vorliegenden Fall kann aber - wenn überhaupt - eine Primärschädigung nur für die Tatbestandsvariante in Betracht gezogen werden, dass eine Dissektion der Arteria carotis vorgelegen hat, nicht aber für die Tatbestandsalternative eines thromboembolischen Verschlusses, der seine Ursache nicht in der Dissektion der Arteria carotis findet (vgl. oben Ziff. 2.2.).

3. Auch bei Annahme einer Dissektion keine Kausalität zwischen Impfung und Primärschaden

Aber auch soweit man entgegen den obigen Feststellungen und Ausführungen davon ausgehen würde, dass eine Dissektion der Arteria carotis im Vollbeweis nachgewiesen wäre, würde es insoweit an der Kausalität zwischen der Impfung und der unterstellten Impfkomplikation (Primärschaden) in Form einer Dissektion der Arteria carotis fehlen.

3.1. Kein Zusammenhang im Sinne der hinreichenden Wahrscheinlichkeit

Ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der beim Kläger durchgeführten Impfung und einer Dissektion der Arteria carotis lässt sich nicht feststellen; das ist unter allen Sachverständigen und Versorgungsärzten unstreitig. Der Senat sieht insofern von weiteren Ausführungen ab und verweist auf die ausführlich begründeten Gutachten, gutachtlichen Stellungnahmen und versorgungsärztlichen Äußerungen.

3.2. Kein Zusammenhang im Sinne der Kannversorgung

Die Herstellung eines Zusammenhangs im Sinne der Kannversorgung scheitert schon daran, dass zwar in der medizinischen Wissenschaft über die Ursache einer (spontanen) Dissektion Ungewissheit besteht, es aber schon keine verschiedenen ärztlichen Lehrmeinungen mit abschließenden Erklärungen zur Ursächlichkeit bei einer Dissektion gibt. Jedenfalls existiert keine einzelne ärztlich-wissenschaftliche Lehrmeinung, nach deren Kriterien die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einer Impfung mit Pandemrix (und einer damit verbundenen erhöhten Zytokinausschüttung) und einer Dissektion der Arteria carotis gegeben wäre. Dabei stützt sich der Senat auf die Feststellungen aller im Verfahren gehörten Sachverständigen und Versorgungsärzte.

Von verschiedenen, untereinander differierenden ärztlichen Lehrmeinungen zur Ursächlichkeit einer Dissektion kann nicht ausgegangen werden. Vielmehr lässt sich - den Hinweisen der Sachverständigen und Versorgungsärzte folgend - nur für einen Teil der stattgehabten Dissektionen eine medizinische Erklärung finden, ohne dass sich daraus bereits eine herrschende medizinische Meinung herausgebildet hätte. Der andere Teil der Dissektionen hingegen ist in seiner Ursächlichkeit offenbar völlig ungeklärt, so dass auch insofern nicht von einzelnen wissenschaftlichen Lehrmeinungen ausgegangen werden kann, die sich noch nicht zur herrschenden Meinung verdichtet haben.

Jedenfalls gibt es keine einzige wissenschaftliche Lehrmeinung, die einen Zusammenhang zwischen einer Impfung mit Pandemrix und einer Dissektion der Arteria carotis unter bestimmten Voraussetzungen annehmen würde.

So hat der Sachverständige Prof. Dr. J. in seinem Gutachten vom 14.08.2014 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine ausgedehnte Literatursuche zu Impfungen, speziell gegen Influenza und Dissektionen der Arteria carotis interna, kein positives Ergebnis gebracht habe, es für die Hypothese einer zytokinverursachten Dissektion weder experimentelle noch epidemiologische Belege gebe und Impfungen als mögliche Trigger einer Dissektion in der Literatur niemals erwähnt worden seien.

Dies hat auch der Gutachter PD Dr. C. bestätigt und in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04.04.2017 festgehalten, dass es keine ausreichenden epidemiologischen Daten gebe, die ein erhöhtes Risiko einer Dissektion nach Impfung mit Pandemrix belegen würden. Dass infolge einer Impfung mit Pandemrix durch die starke Freisetzung von Zytokinen ein entzündlicher Prozess mit der potentiellen Folge einer Dissektion begünstigt werden könnte, sei eine (bloße) Hypothese, für die es keine experimentellen oder epidemiologischen Daten gebe. Ergänzt hat dies der Gutachter PD Dr. C. nach ausdrücklicher Befragung durch das Gericht und exakter Erläuterung der Voraussetzungen der Kannversorgung in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30.10.2017 und nochmals erläutert, dass kein epidemiologisch erhöhtes Risiko einer Dissektion nach einer Impfung mit Pandemrix belegt sei. Für die Frage eines Zusammenhangs zwischen einer Impfung mit Pandemrix und einer Dissektion der Arteria carotis hat der Sachverständige keine einzige medizinische Lehrmeinung aufgezeigt, die von einem Zusammenhang im Sinne der Kannversorgung ausgehen würde. Der Sachverständige hat - wie auch zuvor Prof. Dr. J. vor der Einholung des ergänzenden internistischen Gutachtens - lediglich ein theoretisches Gedankenmodell aufgezeigt, das einen Zusammenhang zwischen Impfung und Dissektion erklären könnte. Ein derartiges Gedankenmodell ist jedoch auch für die Kannversorgung unbehelflich, da damit nur die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen Impfung und Primärschädigung aufgezeigt wird, was aber für die Kannversorgung nicht ausreicht. Denn damit würde, ohne dass die Beurteilung bei fehlender herrschender medizinischer Meinung auf zumindest eine wissenschaftlich anerkannte Lehrmeinung gestützt werden könnte, der Anwendungsbereich der Kannversorgung dahingehend erweitert, dass schon die bloße - und nicht nur, um mit den Worten des BSG zu sprechen, „gute“ - Möglichkeit eines Zusammenhangs als ausreichend erachtet würde. Dies würde den vom Gesetzgeber gesetzten Rahmen für die Zusammenhangsbeurteilung überschreiten.

Sofern der Sachverständige PD Dr. C. im Gutachten vom 27.12.2016 noch - anders als später im Rahmen der ergänzenden Stellungnahme - die „gute Möglichkeit“ eines Zusammenhangs bejaht hat, ist dies offensichtlich unter Verkennung der rechtlichen Voraussetzungen des zugegebenermaßen missverständlichen Begriffs der „guten Möglichkeit“ erfolgt. Dies ergibt sich auch daraus, dass er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30.10.2017, nachdem nunmehr die rechtlichen Voraussetzungen der Kannversorgung verständlicher mit Gutachtensauftrag vom 01.08.2017 erläutert worden waren, keine medizinische Lehrmeinung benannt hat, auf die die Kannversorgung gestützt werden könnte, sondern nur von einem theoretisch gut begründbaren möglichen Zusammenhang gesprochen hat.

Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat ergänzend darauf hin, dass auch im Wege der Wahlfeststellung ein Zusammenhang zwischen Impfung und den zwei als Primärschaden bei weitester Betrachtung infrage kommenden Gesundheitsstörungen einer Dissektion der Arteria carotis einerseits und eines thromboembolischen, am ehesten auf kardiogener Ursache beruhenden Verschlusses andererseits nicht möglich wäre. Sofern der Sachverständige PD Dr. C. in seinem Gutachten vom 27.12.2016 noch für beide Möglichkeiten „prinzipiell eine solche „gute Möglichkeit“" gesehen hat, hat er diese offensichtlich mit Blick auf die Begrifflichkeiten irrige Annahme später nicht mehr aufrechterhalten (vgl. auch oben Ziff. 2.2.). Im Übrigen geht auch aus dem Gutachten vom 27.12.2016 selbst hervor, dass der Sachverständige für die Tatbestandsalternative eines thromboembolischen Verschlusses (vermutlich kardialer Ursache) keine „gute Möglichkeit“ eines Zusammenhangs gesehen hat. Denn anders wäre es nicht zu erklären, dass der Sachverständige zu den beiden Alternativmöglichkeiten „sich hieraus [ergebende] möglicherweise unterschiedliche Aspekte zur Kausalität (im Sinne einer „Kannversorgung“)" gesehen hat. Der Sachverständige ist also offensichtlich davon ausgegangen, dass die Kausalität im Sinne der Kannversorgung unterschiedlich zu bewerten ist, je nachdem, ob von einer Dissektion, für die er zu diesem Zeitpunkt noch die Möglichkeit der Kannversorgung gesehen hat, oder einem thromboembolischen Verschluss auszugehen ist.

Zu den vom Kläger erhobenen Einwänden, soweit sie nicht bereits oben abgehandelt sind, weist der Senat abschließend auf Folgendes hin:

Der Kläger hat zur Widerspruchsbegründung darauf hingewiesen, dass in der Datenbank des P.-E.-Instituts zu Verdachtsfällen von Impfkomplikationen 16 Fälle von Hirninfarkt im zeitlichen Zusammenhang mit Impfungen verzeichnet seien und damit ein Hirninfarkt als Impfreaktion bekannt sei. Dabei verkennt der Kläger den Charakter von Meldungen als Verdachtsfall an das P.-E.-Institut. Eine derartige Meldung bedeutet lediglich, dass aus Sicht des behandelnden Arztes ein potentieller Zusammenhang mit einer Impfung nicht auszuschließen ist und er daher seiner Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IfSG („Namentlich ist zu melden: … 3. der Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung“) nachkommen will. Nicht belegt ist aber mit einer derartigen Meldung, dass sich ein impfschadensrechtlicher Zusammenhang auch nach dem aktuellen Kenntnisstand der Medizin herstellen lässt. Der Senat verweist insofern auch auf den Internetauftritt des P.-E.-Instituts, in dem auf Folgendes hingewiesen wird:

„Impfstoffe sind, wie alle anderen wirksamen Arzneimittel auch, nicht völlig frei von Nebenwirkungen. Die Anforderungen an die Sicherheit von Impfstoffen sind höher als etwa an Arzneimittel zur Behandlung schwer erkrankter Personen. Denn es sind in der Regel gesunde Kinder, Jugendliche und Erwachsene, welche geimpft werden. In äußerst seltenen Fällen können Impfstoffe zu Gesundheitsstörungen und Erkrankungen führen. Ein zeitlicher Zusammenhang von Impfung und einer Erkrankung begründet einen Verdacht, ist aber noch kein Beweis dafür, dass eine Impfung die Krankheit verursacht hat.

Für Verdachtsfälle von Impfreaktionen, die über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehen, besteht nach Infektionsschutzgesetz eine Verpflichtung für den impfenden Arzt, dies an das zuständige Gesundheitsamt zu melden. Von dort erhält das P.-E.-Institut die Daten in anonymisierter Form. Die Experten des Referats Arzneimittelsicherheit prüfen jede Meldung und beurteilen aufgrund der gemeldeten und ggf. recherchierten Informationen, ob ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung als gesichert, wahrscheinlich, möglich, unwahrscheinlich oder auch wegen fehlender Daten nicht zu beurteilen ist. Ziel dieser Bewertungen ist es, mögliche Risikosignale bei einem Impfstoff frühzeitig zu erkennen um Maßnahmen zur Risikominimierung ergreifen zu können. Sehr seltene, aber vielleicht schwerwiegende Nebenwirkungen können auch in großen klinischen Prüfungen nicht entdeckt werden, sondern erst dann, wenn sehr viele Menschen den betreffenden Impfstoff erhalten haben. Daher ist die Beobachtung, Meldung und Bewertung von Verdachtsfällen auf Impfkomplikationen äußerst wichtig.“

(https://www...de/DE/arzneimittel/impfstoff-impfstoffe-fuer-den-menschen/informationen-zu-impfstoffen-impfungen-impfen.html - Stand 11.07.2018)

Im Rahmen der Widerspruchsbegründung hat der Kläger beanstandet, dass er über das Risiko der Impfung weder mündlich noch schriftlich aufgeklärt worden und daher die Impfung nicht rechtskonform erfolgt sei. Jedenfalls hätte er auf das Impfrisiko hingewiesen werden müssen, so dass schon deshalb die Aufklärung nicht wirksam sei. Dies ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Dabei verkennt der Kläger, dass sich die versorgungsrechtliche Beurteilung, ob ein Impfschaden vorliegt, nicht nach zivilrechtlichen Grundsätzen und den im Zivilrecht geltenden Beweislastregeln beurteilt, sondern nach den im Sozialrecht geltenden Vorgaben. Dabei ist es für die Beurteilung, ob ein Impfschaden vorliegt, ohne rechtliche Bedeutung, ob der Geimpfte - im zivilrechtlichen und ggf. strafrechtlichen Sinne - ordnungsgemäß aufgeklärt worden ist oder nicht.

Im Rahmen der Klagebegründung haben die Bevollmächtigten des Klägers ihre Ansicht geäußert, dass von der Rechtsprechung des BSG vorgesehen sei, dass eine Nutzen-Lasten-Analyse Voraussetzung für die Impfempfehlung und diese grobfehlerhaft und unzureichend durchgeführt worden sei. Diese Ansicht findet jedoch in der Rechtsprechung des BSG keine Stütze. Ob und wie es zu der öffentlichen Impfempfehlung gekommen ist, ist für die Beurteilung nach dem IfSG ohne rechtliche Bedeutung.

Der Senat weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass die Beiziehung von arzneimittelrechtlichen Zulassungsunterlagen, in denen auch eine Nutzen-Lasten-Analyse des Impfstoffs enthalten sein dürfte, im impfschadensrechtlichen Verfahren grundsätzlich nicht erforderlich ist. Denn eine Impfschadensversorgung nach § 60 IfSG setzt nur eine nach den dort genannten Voraussetzungen durchgeführte Impfung mit einem in der Regel zugelassenen (siehe dazu auch BSG, Urteile vom 02.10.2008, B 9/9a VJ 1/07 R, und vom 20.07.2005, B 9a/9 VJ 2/04 R) Impfstoff voraus. Warum die Zulassung erfolgt ist bzw. welche Nutzen-Lasten-Analyse dem zu Grunde lag, ist insoweit nicht von Relevanz bzw. deshalb im Falle eines Impfschadens ja gerade eine Versorgung nach dem IfSG zu leisten (vgl. auch BSG, Urteil vom 20.07.2005, B 9a/9 VJ 2/04 R), weil dem Einzelnen insoweit ein Sonderopfer abverlangt wird. Eine Nutzen-Lasten-Analyse ist daher allein Teil des strengen Zulassungsverfahrens für Impfstoffe, nicht aber maßgebend für die Frage der Kausalität im konkreten Einzelfall (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.04.2015, L 6 VJ 1460/13, Bayer. LSG, Urteil vom 18.05.2017, L 20 VJ 5/11).

Sofern es die Bevollmächtigten des Klägers dem Beklagten als „geradezu skandalös“ vorhalten, dass dieser einem Zusammenhang entgegenhalte, dass die Erkrankung nicht unmittelbar nach der Impfung, sondern erst eine Woche später aufgetreten sei, weil - so die Bevollmächtigten - medizinisch seit Jahrzehnten von einer Inkubationszeit von bis zu mehreren Wochen ausgegangen werde, ist dieser Vorwurf nicht haltbar. Es verbietet sich, pauschal, undifferenziert und unabhängig von der Impfung und einer potentiellen Primärschädigung von einer Inkubationszeit von bis zu mehreren Wochen auszugehen. Im Übrigen verkennen die Bevollmächtigten bei ihrem Hinweis auf (nicht näher genannte) wissenschaftliche Veröffentlichungen, wonach ein plausibler zeitlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Auftreten der neurologischen Symptomatik anzunehmen sei, wenn sich die Symptomatik in einem Zeitraum von innerhalb einer Stunde bis zu einem Monat nach der Impfung manifestiert habe, auch, dass die zwar jetzt beim Kläger auf neurologischem Gebiet vorliegende Erkrankung keine direkte neurologische Ursache hat, sondern ein vermutlich nicht neurologisch bedingter Verschluss einer Arterie durch die Mangelversorgung des Gehirns zu einem neurologischen Schaden geführt hat.

Der Kläger stützt seine Vermutung eines Zusammenhangs zwischen Impfung und Hirninfarkt wesentlich darauf, dass er einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Hirninfarkt sieht und genetische Ursachen und sonstige Risikofaktoren für einen Hirninfarkt als nicht gegeben erachtet. Bei dieser, für einen juristischen Laien durchaus nachvollziehbaren Argumentation übersieht der Kläger aber, dass eine Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Impfschaden nach dem IfSG nicht schon dann in Betracht kommt, wenn andere Ursachen für den Hirninfarkt nicht nachgewiesen sind. Vielmehr muss ein Zusammenhang hinreichend wahrscheinlich oder zumindest im Sinne der Kannversorgung „gut möglich“ sein. Gelingt dieser Nachweis nicht, ist aufgrund der im Sozialrecht geltenden Vorgaben der objektiven Beweislast eine Anerkennung als Impfschaden nicht möglich. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass ein Nachweis von Alternativursachen in den Fällen schon regelmäßig scheitern würde, in denen - wie hier - über die potentiellen Ursachen einer Gesundheitsschädigung in der medizinischen Wissenschaft weitgehend Unklarheit herrscht.

Es mag zutreffen, dass der im September 2009 in der EU zugelassene Impfstoff Pandemrix jetzt nicht mehr eingesetzt wird, weil bei seiner Anwendung überdurchschnittlich häufig Komplikationen aufgetreten sind, und auch während des Zeitraums, in dem mit ihm geimpft worden ist, ein Alternativimpfstoff zur Verfügung gestanden hat, der - wie dies der Kläger ausführt - bei Bundeswehrsoldaten und Regierungsbeamten zur Anwendung gekommen ist. Dies macht aber einen Zusammenhang zwischen der beim Kläger durchgeführten Impfung mit Pandemrix und dem bei ihm aufgetretenen Hirninfarkt nicht wahrscheinlich, zumal trotz der mit über 30 Mio. sehr oft erfolgten Impfung mit Pandemrix Hirninfarkte auch statistisch betrachtet nicht überdurchschnittlich häufig aufgetreten sind. Jedenfalls liegen keinerlei medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse dahingehend vor, dass eine Impfung mit Pandemrix im Zusammenhang mit einem Hirninfarkt stehen könnte.

Wenn die Bevollmächtigten auf ein Urteil des EuGH vom 21.06.2017 hinweisen, welches sich mit einem französischen Fall eines Impfschadens im Bereich der Produkthaftung befasst hat, und daraus für den Kläger günstige Rückschlüsse ziehen wollen, verkennen sie, dass sich der hier zu entscheidende Fall nach deutschem Impfschadensrecht und nicht nach französischem (zivilrechtlichen) Produkthaftungsrecht beurteilt. Die Entscheidung des EuGH kann daher vorliegend keine Auswirkungen haben.

Die Berufung bleibt deshalb ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Bundesversorgungsgesetz - BVG | § 1


(1) Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädig

Infektionsschutzgesetz - IfSG | § 6 Meldepflichtige Krankheiten


(1) Namentlich ist zu melden:1.der Verdacht einer Erkrankung, die Erkrankung sowie der Tod in Bezug auf die folgenden Krankheiten:a)Botulismus,b)Cholera,c)Diphtherie,d)humane spongiforme Enzephalopathie, außer familiär-hereditärer Formen,e)akute Viru

Infektionsschutzgesetz - IfSG | § 60 Versorgung bei Impfschaden und bei Gesundheitsschäden durch andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe


(1) Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die1.von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,1a.gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 aufgrund einer Rech

Infektionsschutzgesetz - IfSG | § 2 Begriffsbestimmungen


Im Sinne dieses Gesetzes ist1.Krankheitserregerein vermehrungsfähiges Agens (Virus, Bakterium, Pilz, Parasit) oder ein sonstiges biologisches transmissibles Agens, das bei Menschen eine Infektion oder übertragbare Krankheit verursachen kann,2.Infekti

Infektionsschutzgesetz - IfSG | § 61 Gesundheitsschadensanerkennung


Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 18. Mai 2017 - L 20 VJ 5/11

bei uns veröffentlicht am 18.05.2017

Tenor I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 15. Juni 2011 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 25. Juli 2017 - L 20 VJ 1/17

bei uns veröffentlicht am 25.07.2017

Tenor I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 6. Dezember 2016 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 15. Dez. 2015 - L 15 VS 19/09

bei uns veröffentlicht am 15.12.2015

Tenor I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 8. Dezember 2009 wird zurückgewiesen. Die Klage auf Versorgung ab Erkrankung des Ehemanns der Klägerin wird abgewiesen. II. Außergerichtliche K

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 26. Jan. 2016 - L 15 VK 1/12

bei uns veröffentlicht am 26.01.2016

Tenor I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 7. Februar 2012 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 21. Apr. 2015 - L 15 VH 1/12

bei uns veröffentlicht am 21.04.2015

Tenor I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 20. August 2012 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen. T a t b e s

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 19. Nov. 2014 - L 15 VS 19/11

bei uns veröffentlicht am 19.11.2014

Tenor I. Der Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2011 und der Bescheid vom 17. April 2003 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 19. März 2008 werden aufgehoben. II. Die Beklagte wird verurteilt, das Nierenkarzinom und den aus

Bundessozialgericht Beschluss, 29. Jan. 2018 - B 9 V 39/17 B

bei uns veröffentlicht am 29.01.2018

Tenor Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. April 2017 wird als unzulässig verworfen.

Bundessozialgericht Beschluss, 14. Okt. 2015 - B 9 V 43/15 B

bei uns veröffentlicht am 14.10.2015

Tenor Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. Mai 2015 wird als unzulässig verworfen.

Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 21. Apr. 2015 - L 6 VJ 1460/13

bei uns veröffentlicht am 21.04.2015

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Februar 2013 wird zurückgewiesen.Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Tatbestand   1 Der Kläger begehrt Beschädigten

Bundessozialgericht Urteil, 16. Dez. 2014 - B 9 V 3/13 R

bei uns veröffentlicht am 16.12.2014

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 2. Juli 2013 aufgehoben.

Bundessozialgericht Urteil, 16. Dez. 2014 - B 9 V 6/13 R

bei uns veröffentlicht am 16.12.2014

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 07. Apr. 2011 - B 9 VJ 1/10 R

bei uns veröffentlicht am 07.04.2011

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. März 2010 aufgehoben.

Bundessozialgericht Urteil, 29. Apr. 2010 - B 9 VS 2/09 R

bei uns veröffentlicht am 29.04.2010

Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten darüber, ob die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen Folgen einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) sind.
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 11. Juli 2018 - L 20 VJ 7/15.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 02. Juli 2019 - L 15 VJ 4/16

bei uns veröffentlicht am 02.07.2019

Tenor I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 4. Oktober 2016 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 14. Mai 2019 - L 15 VJ 9/17

bei uns veröffentlicht am 14.05.2019

Tenor I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 31. Mai 2017 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatb

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 06. Dez. 2018 - L 20 VJ 3/17

bei uns veröffentlicht am 06.12.2018

Tenor I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 14.02.2017 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand

Referenzen

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

1.
von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,
1a.
gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 20i Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 Buchstabe a, auch in Verbindung mit Nummer 2, des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vorgenommen wurde,
2.
auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde,
3.
gesetzlich vorgeschrieben war oder
4.
auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,
eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt. Satz 1 Nr. 4 gilt nur für Personen, die zum Zwecke der Wiedereinreise in den Geltungsbereich dieses Gesetzes geimpft wurden und die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Gebiet haben oder nur vorübergehend aus beruflichen Gründen oder zum Zwecke der Ausbildung aufgegeben haben, sowie deren Angehörige, die mit ihnen in häuslicher Gemeinschaft leben. Als Angehörige gelten die in § 10 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch genannten Personen.

(2) Versorgung im Sinne des Absatzes 1 erhält auch, wer als Deutscher außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes einen Impfschaden durch eine Impfung erlitten hat, zu der er auf Grund des Impfgesetzes vom 8. April 1874 in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 2126-5, veröffentlichten bereinigten Fassung, bei einem Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes verpflichtet gewesen wäre. Die Versorgung wird nur gewährt, wenn der Geschädigte

1.
nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes geimpft werden konnte,
2.
von einem Arzt geimpft worden ist und
3.
zur Zeit der Impfung in häuslicher Gemeinschaft mit einem Elternteil oder einem Sorgeberechtigten gelebt hat, der sich zur Zeit der Impfung aus beruflichen Gründen oder zur Ausbildung nicht nur vorübergehend außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes aufgehalten hat.

(3) Versorgung im Sinne des Absatzes 1 erhält auch, wer außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes einen Impfschaden erlitten hat infolge einer Pockenimpfung auf Grund des Impfgesetzes oder infolge einer Pockenimpfung, die in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes bezeichneten Gebieten, in der Deutschen Demokratischen Republik oder in Berlin (Ost) gesetzlich vorgeschrieben oder auf Grund eines Gesetzes angeordnet worden ist oder war, soweit nicht auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften Entschädigung gewährt wird. Ansprüche nach Satz 1 kann nur geltend machen, wer

1.
als Deutscher bis zum 8. Mai 1945,
2.
als Berechtigter nach den §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes oder des § 1 des Flüchtlingshilfegesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Mai 1971 (BGBl. I S. 681), das zuletzt durch Artikel 24 des Gesetzes vom 26. Mai 1994 (BGBl. I S. 1014) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung,
3.
als Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes oder
4.
im Wege der Familienzusammenführung gemäß § 94 des Bundesvertriebenengesetzes in der vor dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung
seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes genommen hat oder nimmt.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten im Sinne der Absätze 1 bis 3 erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt. Satz 2 gilt entsprechend, wenn ein Partner in der Zeit zwischen dem 1. November 1994 und dem 23. Juni 2006 an den Schädigungsfolgen verstorben ist.

(5) Als Impfschaden im Sinne des § 2 Nr. 11 gelten auch die Folgen einer gesundheitlichen Schädigung, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f oder des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind. Einem Impfschaden im Sinne des Satzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz infolge eines Impfschadens im Sinne des Absatzes 1 oder eines Unfalls im Sinne des Satzes 1 gleich.

(6) Im Rahmen der Versorgung nach Absatz 1 bis 5 finden die Vorschriften des zweiten Kapitels des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch über den Schutz der Sozialdaten Anwendung.

Im Sinne dieses Gesetzes ist

1.
Krankheitserregerein vermehrungsfähiges Agens (Virus, Bakterium, Pilz, Parasit) oder ein sonstiges biologisches transmissibles Agens, das bei Menschen eine Infektion oder übertragbare Krankheit verursachen kann,
2.
Infektiondie Aufnahme eines Krankheitserregers und seine nachfolgende Entwicklung oder Vermehrung im menschlichen Organismus,
3.
übertragbare Krankheiteine durch Krankheitserreger oder deren toxische Produkte, die unmittelbar oder mittelbar auf den Menschen übertragen werden, verursachte Krankheit,
3a.
bedrohliche übertragbare Krankheiteine übertragbare Krankheit, die auf Grund klinisch schwerer Verlaufsformen oder ihrer Ausbreitungsweise eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit verursachen kann,
4.
Krankereine Person, die an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist,
5.
Krankheitsverdächtigereine Person, bei der Symptome bestehen, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen,
6.
Ausscheidereine Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein,
7.
Ansteckungsverdächtigereine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein,
8.
nosokomiale Infektioneine Infektion mit lokalen oder systemischen Infektionszeichen als Reaktion auf das Vorhandensein von Erregern oder ihrer Toxine, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer stationären oder einer ambulanten medizinischen Maßnahme steht, soweit die Infektion nicht bereits vorher bestand,
9.
Schutzimpfungdie Gabe eines Impfstoffes mit dem Ziel, vor einer übertragbaren Krankheit zu schützen,
10.
andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxedie Gabe von Antikörpern (passive Immunprophylaxe) oder die Gabe von Medikamenten (Chemoprophylaxe) zum Schutz vor Weiterverbreitung bestimmter übertragbarer Krankheiten,
11.
Impfschadendie gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung; ein Impfschaden liegt auch vor, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde,
12.
Gesundheitsschädlingein Tier, durch das Krankheitserreger auf Menschen übertragen werden können,
13.
Sentinel-Erhebungeine epidemiologische Methode zur stichprobenartigen Erfassung der Verbreitung bestimmter übertragbarer Krankheiten und der Immunität gegen bestimmte übertragbare Krankheiten in ausgewählten Bevölkerungsgruppen,
14.
Gesundheitsamtdie nach Landesrecht für die Durchführung dieses Gesetzes bestimmte und mit einem Amtsarzt besetzte Behörde,
15.
Einrichtung oder Unternehmeneine juristische Person, eine Personengesellschaft oder eine natürliche Person, in deren unmittelbarem Verantwortungsbereich natürliche Personen behandelt, betreut, gepflegt oder untergebracht werden,
15a.
Leitung der Einrichtung
a)
die natürliche Person oder die natürlichen Personen, die im Verantwortungsbereich einer Einrichtung durch diese mit den Aufgaben nach diesem Gesetz betraut ist oder sind,
b)
sofern eine Aufgabenübertragung nach Buchstabe a nicht erfolgt ist, die natürliche Person oder die natürlichen Personen, die für die Geschäftsführung zuständig ist oder sind, oder
c)
sofern die Einrichtung von einer einzelnen natürlichen Person betrieben wird, diese selbst,
15b.
Leitung des Unternehmens
a)
die natürliche Person oder die natürlichen Personen, die im Verantwortungsbereich eines Unternehmens durch dieses mit den Aufgaben nach diesem Gesetz betraut ist oder sind,
b)
sofern eine Aufgabenübertragung nach Buchstabe a nicht erfolgt ist, die natürliche Person oder die natürlichen Personen, die für die Geschäftsführung zuständig ist oder sind, oder
c)
sofern das Unternehmen von einer einzelnen natürlichen Person betrieben wird, diese selbst,
16.
personenbezogene AngabeName und Vorname, Geschlecht, Geburtsdatum, Anschrift der Hauptwohnung oder des gewöhnlichen Aufenthaltsortes und, falls abweichend, Anschrift des derzeitigen Aufenthaltsortes der betroffenen Person sowie, soweit vorliegend, Telefonnummer und E-Mail-Adresse,
17.
Risikogebietein Gebiet außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, für das vom Bundesministerium für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit einer bestimmten bedrohlichen übertragbaren Krankheit festgestellt wurde; die Einstufung als Risikogebiet erfolgt erst mit Ablauf des ersten Tages nach Veröffentlichung der Feststellung durch das Robert Koch-Institut im Internet unter der Adresse https://www.rki.de/risikogebiete.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 2. Juli 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die medizinischen und versorgungsrechtlichen Folgen einer Strahlentherapie.

2

Der 1946 geborene Kläger war von 1966 bis Ende April 1997 Soldat der Bundeswehr. 1988 wurde bei ihm ein bösartiger Hodentumor diagnostiziert und im Rahmen der freien Heilfürsorge ärztlich behandelt. Nach einer operativen Semikastratio im Bundeswehrzentralkrankenhaus K erfolgte während des dortigen stationären Aufenthalts eine Kobaltnachbestrahlung, die (in 20 Einzelbestrahlungen zu je 2 Gy) im Städtischen Krankenhaus K in K
durchgeführt wurde. In der Folgezeit traten beim Kläger Rückenbeschwerden auf, die vom truppenärztlichen Dienst behandelt wurden. Als ursächlich wurden degenerative Veränderungen angesehen, ggf psychosomatisch verstärkt. Röntgenologisch wurde später eine Strahlenfibrose nachgewiesen. Ferner litt der Kläger nach dem operativen Eingriff linksseitig unter chronischen Leistenschmerzen.

3

Den Antrag des Klägers auf Anerkennung des Hodentumors und der nach dessen Behandlung aufgetretenen Gesundheitsstörungen als Folge einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) lehnte die beigeladene Bundesrepublik Deutschland zunächst ab. Nach einem gerichtlichen Teilanerkenntnis stellte sie mit Ausführungsbescheid vom 10.1.2001 einen chronischen Leistenschmerz links (ilioinguinales Syndrom) nach linksseitiger Hodenresektion als WDB-Folge fest. Diese Entscheidung wurde von dem beklagten Freistaat übernommen, der seit der Beendigung des Wehrdienstverhältnisses für die Versorgung des Klägers zuständig ist (Bescheid vom 8.6.2001).

4

Anfang 2005 wurde beim Kläger ein Harnblasentumor diagnostiziert und sowohl operativ als auch chemotherapeutisch behandelt. Wegen einer später aufgetretenen Bauchspeicheldrüsenerkrankung wurde zudem im Oktober 2005 eine Duodenopankreatektomie (sog Whipple-Operation) durchgeführt. Seit diesem Eingriff ist der Kläger nach seinen Angaben frei von Rückenschmerzen.

5

Etwa ein Jahr später wandte sich der Kläger an die Beigeladene mit der Bitte um Überprüfung der ablehnenden Verwaltungsentscheidung bezüglich der Ursache seiner damaligen Rückenbeschwerden sowie um Prüfung, ob der Blasentumor Folge der 1988 erfolgten Strahlentherapie sei. Der für eine Neufeststellung hinzugetretener WDB-Folgen zuständige Beklagte lehnte dies ab. Die 1988 durchgeführte Strahlentherapie sei nicht geeignet gewesen, einen Harnblasentumor hervorzurufen (Bescheid vom 19.12.2006). Daneben lehnte der Beklagte (ebenso wie zuvor bereits die Beigeladene) eine Rücknahme des letzten bestandskräftigen Feststellungsbescheids über WDB-Folgen ab. Für die Annahme des Klägers, seine langjährigen heftigen Rückenschmerzen seien truppenärztlich falsch behandelt worden, gebe es keinen Beleg. Die seinerzeit geklagten Beschwerden passten nicht zu einer Schmerzausstrahlung, wie sie durch eine Bauchspeicheldrüsenerkrankung zu erwarten sei (Bescheid vom 4.9.2008).

6

Die vom Kläger gegen beide Bescheide erhobenen Widersprüche und seine Klage blieben ohne Erfolg. Zwischen der Bestrahlung und den späteren Gesundheitsstörungen des Klägers bestehe kein ursächlicher Zusammenhang. Es fehle auch an einer fehlerhaften truppenärztlichen Behandlung der aufgetretenen Beschwerden (Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 27.1.2009, Gerichtsbescheid des SG Augsburg vom 27.5.2010).

7

Das LSG hat diese Kausalitätsfragen offengelassen und die Berufung des Klägers aus Rechtsgründen zurückgewiesen. Die Anerkennung einer weiteren WDB-Folge scheitere bereits am Fehlen eines den Versorgungsschutz begründenden Tatbestands. Die vom Kläger als Ursache angesehene Strahlentherapie sei weder eine Wehrdienstverrichtung oder ein in Zusammenhang mit dem Wehrdienst stehender Unfall noch sei sie durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse geprägt gewesen. Ob es später zu einer fehlerhaften truppenärztlichen Behandlung der klägerischen Rückenbeschwerden gekommen sei, könne demgegenüber dahinstehen, weil eine solche Falschbehandlung spätestens im April 1997 geendet habe und daher zumindest nicht mehr für die Aufrechterhaltung der Schmerzen in den Jahren 2002 bis 2005 verantwortlich gewesen sein könne. Wegen der Begrenzung der rückwirkenden Erbringung von Sozialleistungen auf vier Jahre vor der Antragstellung sei aber bei der Überprüfungsentscheidung nur dieser Zeitraum zu berücksichtigen (Urteil vom 2.7.2013).

8

Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Versorgungsbegehren weiter. Er ist der Ansicht, zu den wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen zähle auch die ärztliche Behandlung eines Soldaten im Rahmen der unentgeltlichen Heilfürsorge, weil diese mit einem Ausschluss der freien Arztwahl einhergehe. Daher seien die unerwünschten Auswirkungen einer solchen Therapie als Folge einer WDB anzuerkennen.

9

Der Kläger beantragt,

        

1.    

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 2.7.2013 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 27.5.2010 aufzuheben,

        

2.    

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 19.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.1.2009 zu verpflichten, in Abänderung seines Bescheids vom 8.6.2001 als weitere Folgen einer Wehrdienstbeschädigung des Klägers einen Harnblasentumor (ab Januar 2005), eine Erkrankung der Bauchspeicheldrüse (ab Oktober 2005) und Verwachsungen des Dünndarms (ab Oktober 2005) festzustellen,

        

3.    

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 4.9.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.1.2009 zu verpflichten, unter teilweiser Rücknahme seines Bescheids vom 8.6.2001 als weitere Folgen einer Wehrdienstbeschädigung des Klägers mit Wirkung ab 1.1.2002 Rückenschmerzen (bis Oktober 2005) und eine Strahlenfibrose festzustellen,

        

4.    

den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide vom 19.12.2006 und vom 4.9.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.1.2009 zu verurteilen, dem Kläger auch wegen der genannten weiteren Folgen einer Wehrdienstbeschädigung Versorgung nach dem SVG zu gewähren.

10

Der Beklagte und die Beigeladene haben sich zur Revision nicht eingelassen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache dorthin begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Die bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG, an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG), lassen eine abschließende Entscheidung des Verfahrens nicht zu. Auf ihrer Grundlage lässt sich nicht beurteilen, ob dem Kläger ein Anspruch auf Anerkennung einer weiteren WDB-Folge und auf Gewährung einer Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) zusteht. Davon sind beide Verwaltungsakte des Beklagten vom 19.12.2006 und 4.9.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.1.2009 betroffen, die der Kläger angefochten hat.

12

1. Im Ergebnis zu Recht ist das LSG allerdings von der formellen Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Bescheide ausgegangen; insbesondere ist die Zuständigkeit des Beklagten für deren Erlass zu bejahen. Zwar hat das LSG verkannt, dass für die Aufhebung eines unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakts nicht stets die Behörde zuständig ist, die ihn erlassen hat. Maßgebend ist gemäß § 44 Abs 3 SGB X - ggf iVm § 48 Abs 4 SGB X - vielmehr die aktuelle Zuständigkeit für eine Entscheidung in der Sache nach dem geltenden Leistungsrecht. Diese beruht hier auf den besonderen verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen der §§ 44 ff SGB X, die dazu führen, dass eine rückwirkende Erbringung von Sozialleistungen für die Zeit bis zum Ausscheiden des Klägers aus der Bundeswehr (Ende April 1997) von vornherein nicht in Betracht kommt. Denn sein 2006 gestellter Überprüfungsantrag ermöglicht gemäß § 44 Abs 4 SGB X eine nachträgliche Versorgung erst für die Zeit seit dem 1.1.2002. Der Senat hat bereits entschieden, dass es für die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen der Bundeswehrverwaltung und den für die Ausführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden nach § 88 SVG darauf ankommt, ob es um die Feststellung von Folgen einer WDB geht, die bereits während des Wehrdienstes vorgelegen haben oder die erst nach dessen Ende aufgetreten sind(zuletzt Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VS 2/09 R - SozR 4-3200 § 88 Nr 4). An dieser Rechtsprechung ist für die bis zum 31.12.2014 geltende Rechtslage festzuhalten. Ihre Begründung liegt in der untrennbaren Verbindung der beiden auf der Grundlage des § 85 SVG zu erlassenden Verwaltungsakte iS des § 31 SGB X: zum einen über die Feststellung von Gesundheitsstörungen als Folgen einer WDB, zum anderen über die Gewährung einer Leistung (Ausgleich) wegen der Folgen der WDB(BSG, aaO RdNr 36 mwN). Beide nach § 85 SVG ergehenden Verwaltungsakte beziehen sich ausschließlich auf die Zeit des Wehrdienstverhältnisses(BSG, aaO RdNr 37 mwN). Da im vorliegenden Fall für diesen Zeitraum nach dem oben Gesagten keine Leistungen mehr zu erbringen sind, besteht auch keine Zuständigkeit der Beigeladenen zur Feststellung weiterer Folgen einer WDB (mehr).

13

2. Materielle Rechtsgrundlage für die vom Kläger geltend gemachten Versorgungsansprüche ist daher hier § 80 S 1 SVG. Danach erhält ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der WDB auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Den Feststellungen des LSG ist zu entnehmen, dass der Kläger über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren Soldat der Bundeswehr war, dass sein Wehrdienstverhältnis mit Ablauf des Monats April 1997 geendet und er einen Versorgungsantrag gestellt hat.

14

Der Begriff der WDB bezeichnet eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs 1 SVG). Hintergrund dessen ist, dass ein schädigender Vorgang in diesen drei Fällen in einem derart engen inneren Zusammenhang zum Wehrdienst steht, dass die Zuerkennung eines Versorgungsanspruchs gerechtfertigt erscheint (vgl Lilienfeld in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 81 RdNr 7). Versorgungsrechtlich relevante gesundheitliche Folgen einer solchen WDB sind bleibende Gesundheitsstörungen, die mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die Primärschädigung zurückzuführen sind (§ 81 Abs 6 SVG). Durch diese gesetzlichen Bestimmungen ist nach einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum für die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige Kausalkette vorgegeben: Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang muss zu einer primären Schädigung geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen bedingt haben muss. Dabei müssen sich die drei Glieder selbst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lassen, während für den ursächlichen Zusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreicht (siehe zum Ganzen BSG Urteile vom 25.3.2004 - B 9 VS 1/02 R - SozR 4-3200 § 81 Nr 1 = Juris RdNr 16 und vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R - SozR 3-3200 § 81 Nr 16 = Juris RdNr 14 ff mwN).

15

a) Mit seinem Bescheid vom 19.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.1.2009 hat der Beklagte den Eintritt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse seit Erlass seines Bescheids vom 8.6.2001 gemäß § 48 SGB X verneint. Gemäß § 48 Abs 1 S 1, 2 Nr 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist; handelt es sich um eine Änderung zugunsten des Betroffenen, soll die Neufeststellung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an erfolgen. Das wäre ua der Fall, wenn bei dem Kläger zwischenzeitlich eine neue WDB-Folge aufgetreten wäre.

16

Ausdrücklich hat der Beklagte die Anerkennung des 2005 diagnostizierten Harnblasentumors als Folge einer WDB abgelehnt. Die Frage, ob dieser - wie vom Kläger angenommen - auf die 1988 durchgeführte Strahlentherapie zurückzuführen ist, kann der Senat nicht beantworten. Ebenso wie hinsichtlich der im Oktober 2005 operativ behandelten Bauchspeicheldrüsenerkrankung und der dabei festgestellten Dünndarmverwachsungen fehlt es an den dazu nötigen Feststellungen des LSG zu deren Ursachen.

17

Entgegen der Ansicht des LSG lässt sich jedoch nicht schon das Vorliegen eines den Versorgungsschutz begründenden Tatbestands als Ausgangspunkt der Kausalkette verneinen. Vielmehr ist die vom Kläger angenommene Ursache seiner Gesundheitsstörungen, die 1988 durchgeführte Strahlentherapie, unter äußeren Umständen erfolgt, die zu den dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnissen zählen.

18

aa) Zu Recht hat das LSG allerdings eine sachliche Prüfung des Tatbestands einer WDB vorgenommen. Zwischen den Beteiligten steht nicht etwa schon aufgrund der Bestandskraft des Bescheids des Beklagten vom 8.6.2001 gemäß § 77 SGG bindend fest, dass die 1988 erfolgte linksseitige Hodenresektion (mit Kobaltnachbestrahlung) eine WDB darstellt, so dass deren nachteilige gesundheitliche Auswirkungen ohne weiteres Folgen einer WDB wären. Derart weit reicht die Bindungswirkung des genannten Verwaltungsakts nicht, weil sich dessen Verfügungssatz auf die Feststellung vorliegender Folgen einer WDB beschränkt. Selbst wenn in der Bezeichnung solcher bleibender Gesundheitsstörungen auf eine Ursache Bezug genommen wird - wie hier hinsichtlich des chronischen Leistenschmerzes - dient dies nur der näheren Beschreibung der anerkannten Schädigungsfolge. Eine rechtsverbindliche Feststellung dieser Ursache ist damit ebenso wenig verbunden wie deren rechtliche Bewertung als WDB mit Bindungswirkung für eventuell später auftretende andere Gesundheitsnachteile (eingehend dazu schon das Senatsurteil vom 14.3.1972 - 9 RV 388/71 - SozR Nr 84 zu § 1 BVG = Juris RdNr 29 ff).

19

bb) Alle Beteiligten gehen zutreffend davon aus, dass in Ansehung der 1988 durchgeführten Strahlentherapie die Voraussetzungen der 3. Variante des § 81 Abs 1 SVG erfüllt sind. Die einem Soldaten in Erfüllung seines Anspruchs auf unentgeltliche Heilfürsorge zugewandte ärztliche Behandlung gehört zu den dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnissen. Mit diesem Tatbestandsmerkmal sind schon nach seinem Wortlaut alle Umstände bezeichnet, die die Lebensumstände eines Soldaten von denen der Zivilbevölkerung unterscheiden. Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu den §§ 80 bis 84 und 88 des SVG(SVGVwV, veröffentlicht im BAnz 1981 Nr 151 S 6) spricht treffend von "den besonderen, von den Verhältnissen des zivilen Lebens abweichenden und diesen in der Regel fremden Verhältnissen des Wehrdienstes" (unter 81.1.2). Die Senatsrechtsprechung stellt auf Umstände ab, "die der Eigenart des Dienstes entsprechen und im Allgemeinen eng mit dem Dienst verbunden sind" (siehe nur Urteile vom 5.7.2007 - B 9/9a VS 3/06 R - BSGE 99, 1, 7 = SozR 4-3200 § 81 Nr 3 = Juris RdNr 27 und vom 28.5.1997 - 9 RV 28/95 - BSGE 80, 236, 238 = SozR 3-3200 § 81 Nr 14 = Juris RdNr 16). Der Tatbestand des § 81 Abs 1 SVG erfasst damit alle Einflüsse des Wehrdienstes, die aus der besonderen Rechtsnatur dieses Verhältnisses und insbesondere der damit verbundenen Beschränkung der persönlichen Freiheit des Soldaten herrühren. Letztere erlangt etwa bei der Kasernierung nach § 18 Soldatengesetz (SG) oder bei der Pflicht zur Kameradschaft gemäß § 12 SG praktische Bedeutung.

20

Nach jahrzehntelanger ständiger Rechtsprechung des Senats gehören insbesondere auch die Besonderheiten der truppenärztlichen Behandlung zu den wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen iS des § 81 Abs 1 SVG. Ein deutlicher Unterschied zum Zivilleben besteht hier insoweit, als der Soldat dabei keine freie Arztwahl hat (zuletzt BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3 = Juris RdNr 24; ferner etwa BSG Urteil vom 25.3.2004 - B 9 VS 1/02 R - SozR 4-3200 § 81 Nr 1 = Juris RdNr 19 unter Hinweis auf BSGE 57, 171 = SozR 3200 § 81 Nr 20; BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 17; ähnlich zuvor bereits das Reichsversorgungsgericht in stRspr seit RVGE 2, 38). Stattdessen bedient sich der Staat eigenen medizinischen Personals und eigener Behandlungseinrichtungen. Sinn und Zweck des Versorgungsschutzes bei truppenärztlicher Behandlung ist es demzufolge, die Risiken abzudecken, die der Soldat bei freier Arztwahl hätte vermeiden können (vgl BSG Urteile vom 25.3.2004 - B 9 VS 1/02 R - SozR 4-3200 § 81 Nr 1 = Juris RdNr 22 und vom 30.1.1991 - 9a/9 RV 26/89 - USK 9149 = Juris RdNr 18). Auf diese Weise erhält dieser einen Ausgleich dafür, dass er im Regelfall darauf angewiesen ist, die freie Heilfürsorge gemäß § 30 Abs 1 SG iVm § 69 Abs 2 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) in Anspruch zu nehmen. Zudem dient die truppenärztliche Behandlung aber auch zur Einhaltung der gesteigerten soldatischen Pflicht zur Erhaltung oder Wiederherstellung seiner Gesundheit (§ 17 Abs 4 SG). In diesem Rahmen ist das Behandlungsverhältnis auch nach wie vor von dem wehrdiensteigentümlichen Über-/Unterordnungsverhältnis durch Befehl und Gehorsam geprägt (BSG Urteil vom 30.1.1991 - 9a/9 RV 26/89 - USK 9149 = Juris RdNr 18). Der Truppenarzt ist Dienstvorgesetzter gegenüber den von ihm behandelten Soldaten. Demgegenüber ist ein ziviler Arzt zu jedem Zeitpunkt an die Vorgaben seines Patienten gebunden. Angesichts dieser rechtlichen Rahmenbedingungen ist es für die Beurteilung der Wehrdiensteigentümlichkeit - entgegen der Auffassung des LSG - ohne Belang, ob der Soldat sich der truppenärztlichen Behandlung "nur widerstrebend" unterzogen hat oder nicht. Dies mag allenfalls ein im Rahmen der Kausalitätsbeurteilung verwertbares Indiz für einen abweichenden hypothetischen Geschehensablauf im zivilen Leben des Betroffenen sein (in diesem Sinne schon BSG Urteil vom 25.3.2004 - B 9 VS 1/02 R - SozR 4-3200 § 81 Nr 1 = Juris RdNr 25).

21

Die Umstände des vorliegenden Falls und die Argumente des LSG geben dem Senat keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung, die auch in der Literatur durchweg Zustimmung gefunden hat (siehe nur Gelhausen, Soziales Entschädigungsrecht, 2. Aufl 1998, RdNr 597; Lilienfeld aaO § 81 RdNr 42 ff; Sailer in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl 1992, S 1079 f), abzuweichen. Die freie Heilfürsorge und der damit verbundene Ausschluss der freien Arztwahl gehören zu den markantesten Unterschieden, die den Soldaten von der Zivilbevölkerung unterscheiden. Hinzu kommt, dass dieser Umstand nicht nur die Dienstausübung betrifft, sondern einen der privatesten Lebensbereiche, die Aufrechterhaltung der Gesundheit.

22

Soweit das LSG seine gegenteilige Ansicht auf eine Parallele zu den Beschränkungen in der Arztwahl stützt, denen in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte ausgesetzt sind, vermag dies den Senat nicht zu überzeugen. Zwar weist das LSG zu Recht darauf hin, dass Sachleistungen der Krankenkassen nur bei zugelassenen Leistungserbringern in Anspruch genommen werden können. Damit ist jedoch keine auch nur annähernd vergleichbare Einschränkung verbunden, wie sie der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung nach § 69 Abs 2 BBesG immanent ist.

23

Das LSG kann sich auch nicht auf die von ihm angeführte Entscheidung des 4b-Senats des BSG vom 24.3.1987 (Az 4b RV 13/86 - SozR 3200 § 81 Nr 27) stützen. Dort ist der Sachverhalt einer mit Einwilligung des Soldaten erfolgten Behandlung durch zivile Ärzte in einem zivilen Krankenhaus nicht als Fall einer truppenärztlichen Behandlung angesehen worden. Aus diesem Grund hat der 4b-Senat seinerzeit ausdrücklich von einer Stellungnahme zu der insoweit einschlägigen Rechtsprechung des Senats abgesehen. Dadurch handelt es sich um einen Sonderfall, der nicht der hier gegebenen Konstellation entspricht. Wollte man diesen Unterschied im Tatsächlichen nicht als tragend ansehen, wäre der Differenzierung des 4b-Senats die Grundlage entzogen und dessen (unter dieser Prämisse in einem Grenzbereich von der Rechtsprechung des Senats abweichende) Auffassung aufzugeben.

24

Demgegenüber vermengt der argumentative Lösungsansatz des LSG die objektive Tatbestandsvoraussetzung des Vorliegens wehrdiensteigentümlicher Verhältnisse mit der haftungsbegründenden Kausalität. Dem Verständnis des erstgenannten Rechtsbegriffs wird im Berufungsurteil gewissermaßen eine abstrakt-generelle Kausalitätsprüfung unterlegt: Der Ausschluss der freien Arztwahl wird vom LSG als unzureichend für die Bejahung wehrdiensteigentümlicher Verhältnisse angesehen, weil er nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht mit einem erhöhten Risiko gesundheitlicher Schädigungen einhergehe. Darauf kommt es allerdings rechtlich nicht an (ebenso bereits BSG Urteile vom 30.1.1991 - 9a/9 RV 26/89 - USK 9149 = Juris RdNr 17 und vom 13.7.1988 - 9/9a RV 4/86 - SozR 3200 § 81 Nr 31 = Juris RdNr 17). Haftungsgrund der 3. Variante des § 81 Abs 1 SVG ist nicht die Schaffung besonderer Gefahren, die dem zivilen Leben fremd sind. Vielmehr gewährt der Staat - in Anerkennung eines besonderen Aufopferungsanspruchs - Versorgung, wenn eine Schädigung in einem engen inneren Zusammenhang zum Wehrdienst steht. Die Frage, ob eine truppenärztliche Behandlung zu den Eigentümlichkeiten des Wehrdienstes gehört, ist - rechtlich ebenso wie praktisch - von der Frage zu trennen, welche Folgen im Einzelfall ggf auf diese Besonderheit zurückzuführen sind.

25

Diese Abgrenzung ist auch keineswegs "lediglich akademischer Art", wie das LSG meint. Vielmehr hängt davon nach dem oben dargelegten Aufbau des Tatbestands von § 81 Abs 1 SVG das erforderliche Beweismaß ab. Während für Tatsachen, die für die Bejahung wehrdiensteigentümlicher Verhältnisse relevant sind, der Vollbeweis erforderlich ist, genügt (auch) für die haftungsbegründende Kausalität die Wahrscheinlichkeit (BSG Urteile vom 25.3.2004 - B 9 VS 1/02 R - SozR 4-3200 § 81 Nr 1 = Juris RdNr 16 und vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R - SozR 3-3200 § 81 Nr 16 = Juris RdNr 14 ff mwN). Die Frage nach den Auswirkungen einer truppenärztlichen Behandlung im Einzelfall ist in der Senatsrechtsprechung aber stets als entscheidend angesehen worden (explizit etwa BSG Urteile vom 25.3.2004 - B 9 VS 1/02 R - SozR 4-3200 § 81 Nr 1 = Juris RdNr 20 und vom 28.6.1968 - 9 RV 604/65 - BSGE 28, 145, 146 = SozR Nr 31 zu § 30 BVG = Juris RdNr 15). Indem das LSG dem Kläger die ihm durch § 81 SVG eröffnete Möglichkeit verwehrt, einen schädigenden Kausalverlauf (nur) wahrscheinlich machen zu müssen(zu den Anforderungen noch unter cc), verletzt das Berufungsurteil Bundesrecht.

26

Der Kläger befand sich zur Behandlung seines Hodentumors durchgehend in truppenärztlicher Behandlung. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die während des stationären Aufenthalts des Klägers im Bundeswehrzentralkrankenhaus K erfolgte Strahlenbehandlung nach den Feststellungen des LSG von zivilen Ärzten im Städtischen Krankenhaus K
durchgeführt worden ist (siehe zu einer solchen Konstellation schon BSG Urteil vom 30.1.1991 - 9a/9 RV 26/89 - USK 9149 = Juris RdNr 18). Denn auch dieser Teil der Therapie erfolgte im Rahmen der dem Kläger von seinem Dienstherrn zugewandten freien Heilfürsorge. Die Überweisung erfolgte durch die behandelnden Militärärzte, ohne dass der Kläger - in Ausübung einer freien Arztwahl - darauf hätte Einfluss nehmen können. Die Gesamtbehandlung stand unter der medizinischen Verantwortung der Ärzte des Bundeswehrzentralkrankenhauses K, in dem der Kläger fortdauernd stationär behandelt wurde. Diese waren auch tatsächlich in der Lage, durch Weisungen Einfluss auf die streitgegenständliche Strahlentherapie zu nehmen.

27

Ebenso wenig steht dem Versorgungsschutz aufgrund der truppenärztlichen Behandlung entgegen, dass der seinerzeit therapierte Hodentumor des Klägers nach den Feststellungen des LSG eine schicksalhafte Erkrankung darstellte, die in keinem Zusammenhang mit dem Wehrdienst stand. Die Ursache eines Leidens spielt für die Inanspruchnahme der freien Heilfürsorge durch einen Soldaten keine Rolle. Deren nach dem oben Gesagten zu den wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen zählende Besonderheiten betreffen jede Heilbehandlung durch Militärärzte. Wirken sie sich gesundheitsschädigend aus, wird dadurch ein Versorgungsanspruch begründet (siehe nur BSG Urteil vom 30.1.1991 - 9a/9 RV 22/89 - BSGE 68, 128, 129 = SozR 3-3200 § 81 Nr 1 = Juris RdNr 11).

28

cc) Da das LSG - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - weder festgestellt hat, ob es beim Kläger zu einer weiteren WDB iS des § 81 Abs 1 SVG gekommen ist, also einer (primären) gesundheitlichen Schädigung, die durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist, noch darüber befunden hat, ob seit Erlass des Bescheids vom 8.6.2001 durch den Beklagten (weitere) Gesundheitsstörungen iS des § 81 Abs 6 SVG aufgetreten sind, für die eine WDB oder darauf beruhende Schädigungsfolgen mit (hinreichender) Wahrscheinlichkeit ursächlich im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung gewesen ist, ist eine Zurückverweisung unumgänglich. Wahrscheinlich ist ein solcher Ursachenzusammenhang, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt jedoch nicht.

29

Daher ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob die durchgeführte Behandlung an sich überhaupt mit Wahrscheinlichkeit conditio sine qua non für die eingetretene Gesundheitsschädigung ist, oder ob sich letztere wahrscheinlich auch ohne sie eingestellt hätte. Dabei handelt es sich um eine rein tatsächliche Frage, die aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen (ggf unter Einholung von Sachverständigengutachten) beantwortet werden muss (dazu zuletzt BSG Urteil vom 26.6.2014 - B 2 U 4/13 R - Juris RdNr 25 mwN).

30

Sodann ist die reine Rechtsfrage nach der "Wesentlichkeit" der versorgungsrechtlich geschützten Ursache zu beantworten. Maßgebend für diese Zurechnung ist der Schutzzweck der Norm, hier also die Entschädigung eines Zustands, der "durch" die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Daher sind versorgungsrechtlich nicht alle (wahrscheinlichen) Folgen der beim Kläger erfolgten Strahlentherapie zu berücksichtigen, sondern nur solche Primärschäden und darauf beruhende spätere Gesundheitsstörungen, die gerade auf den Besonderheiten der truppenärztlichen Behandlung (also insbesondere der Behandlung durch Militärärzte in eigenen Einrichtungen im Rahmen eines Über-/Unterordnungsverhältnisses unter Ausschluss der freien Arztwahl) beruhen. Andernfalls käme es zu einer ungerechtfertigten Besserstellung von Soldaten, die im Rahmen der freien Heilfürsorge behandelt werden, gegenüber allen anderen Patienten, weil erstere auch einen Haftungsschuldner für unvermeidbare Nebenwirkungen einer unumgänglichen Therapie hätten. Die wehrdiensteigentümlichen Besonderheiten der truppenärztlichen Versorgung sind demnach keine wesentliche (Mit-)Ursache einer gesundheitlichen Schädigung eines Soldaten, die auch bei freier Arztwahl in jedem anderen Krankenhaus eingetreten wäre. Typische Fälle einer wesentlichen Schädigung sind demgegenüber Behandlungsfehler oder eine unzureichende Aufklärung über alle Behandlungsrisiken (siehe zum Ganzen BSG Urteile vom 12.4.2000 - B 9 VS 2/99 R - SozR 3-1750 § 411 Nr 1 = Juris RdNr 17 und vom 4.10.1984 - 9a/9 KLV 1/81 - BSGE 57, 171, 178 = SozR 3200 § 81 Nr 20 = Juris RdNr 20 ff). Der Senat hat jedoch auch schon einen Anspruch auf Versorgung zuerkannt, wenn die eingetretene Schädigung nicht auf einem schuldhaften Kunstfehler beruhte, der einen zivilen Schadensersatzanspruch begründen würde, sondern eine sachgerechte Behandlungsmethode lege artis durchgeführt wurde (Urteil vom 25.3.2004 - B 9 VS 1/02 R - SozR 4-3200 § 81 Nr 1 = Juris RdNr 25). Um dem Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit gerecht zu werden, reicht es dann aber nicht aus, wenn nur nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei freier Arztwahl die konkrete Schädigung in dieser Form nicht eingetreten wäre (so aber noch BSG Urteil vom 30.1.1991 - 9a/9 RV 26/89 - USK 9149 = Juris RdNr 18). Vielmehr ist zu fordern, dass ein anderer Arzt (mit anderer Behandlungsmethode) wahrscheinlich einen besseren Heilerfolg erzielt hätte. Denn erst aus dem Vergleich des tatsächlichen und des hypothetischen Behandlungsergebnisses lässt sich ersehen, welche Folgen tatsächlich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Besonderheiten der truppenärztlichen Behandlung zurückzuführen sind (vgl BSG Urteil vom 25.3.2004 - B 9 VS 1/02 R - SozR 4-3200 § 81 Nr 1 = Juris RdNr 22). Nur diese Risiken, die sich bei freier Arztwahl hätten vermeiden lassen, soll der Versorgungsschutz abdecken. Zur Beantwortung dieser Zurechnungsfrage wird das LSG alle maßgebenden Umstände des Einzelfalls festzustellen haben.

31

b) Mit seinem Bescheid vom 4.9.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.1.2009 hat der Beklagte eine Rücknahme seines Bescheids vom 8.6.2001 gemäß § 44 Abs 1 SGB X abgelehnt. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Das wäre ua der Fall, wenn bei dem Kläger bereits zum Zeitpunkt der bestandskräftig gewordenen Verwaltungsentscheidung des Beklagten vom 8.6.2001 eine weitere WDB-Folge festzustellen gewesen wäre.

32

Ausdrücklich hat der Beklagte die Anerkennung der 2001 bereits seit Jahren aufgetretenen und behandelten Rückenschmerzen abgelehnt. Die Frage, ob diese - wie vom Kläger angenommen - auf die 1988 durchgeführte Strahlentherapie zurückzuführen sind, kann der Senat nicht beantworten. Ebenso wie hinsichtlich der bereits während der aktiven Dienstzeit des Klägers röntgenologisch nachgewiesenen Strahlenfibrose fehlt es an den dazu nötigen Feststellungen des LSG zu deren Ursachen.

33

Allerdings ist gegen die Einschätzung des LSG, die (bloße) Aufrechterhaltung der Rückenschmerzen im Sinne der Senatsrechtsprechung zur Verursachung eines mangelnden Heilerfolgs durch fehlerhafte truppenärztliche Behandlung (Urteil vom 25.3.2004 - B 9 VS 1/02 R - SozR 4-3200 § 81 Nr 1)könne im vorliegenden Fall nicht (mehr) berücksichtigt werden, revisionsrechtlich nichts einzuwenden. Nach dem oben unter 1. Gesagten zutreffend ist das LSG insoweit davon ausgegangen, dass der für das Überprüfungsverfahren gemäß § 44 SGB X relevante Zeitraum erst am 1.1.2002 beginnt. Das LSG ist aufgrund der zeitlichen Abläufe zu der Überzeugung gelangt, dass die Ende April 1997 beendete truppenärztliche Behandlung des Klägers in dieser Zeit nicht mehr im Sinne einer rechtlich wesentlichen (Mit-)Ursache nachgewirkt hat. Dagegen hat der Kläger keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben.

34

Dagegen leidet die Ablehnung der Herbeiführung einer WDB durch dem Wehrdienst eigentümliche Verhältnisse durch das LSG bezüglich der bereits während der Dienstzeit des Klägers aufgetretenen Leiden (Rückenschmerzen, Strahlenfibrose) an demselben Rechtsfehler wie seine Entscheidung über die später aufgetretenen möglichen WDB-Folgen, die nach § 48 SGB X zu berücksichtigen wären. Insoweit kann auf das oben unter a) Gesagte verwiesen werden. Das LSG wird im wieder eröffneten Berufungsverfahren auch hier prüfen müssen, ob die Besonderheiten der truppenärztlichen Behandlung als wehrdiensteigentümliche Verhältnisse mit Wahrscheinlichkeit zur Entstehung der genannten Beeinträchtigungen geführt haben. Zu diesem Ursachenzusammenhang wird das LSG noch weitere tatsächliche Feststellungen zu treffen und ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

1.
von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,
1a.
gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 20i Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 Buchstabe a, auch in Verbindung mit Nummer 2, des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vorgenommen wurde,
2.
auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde,
3.
gesetzlich vorgeschrieben war oder
4.
auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,
eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt. Satz 1 Nr. 4 gilt nur für Personen, die zum Zwecke der Wiedereinreise in den Geltungsbereich dieses Gesetzes geimpft wurden und die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Gebiet haben oder nur vorübergehend aus beruflichen Gründen oder zum Zwecke der Ausbildung aufgegeben haben, sowie deren Angehörige, die mit ihnen in häuslicher Gemeinschaft leben. Als Angehörige gelten die in § 10 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch genannten Personen.

(2) Versorgung im Sinne des Absatzes 1 erhält auch, wer als Deutscher außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes einen Impfschaden durch eine Impfung erlitten hat, zu der er auf Grund des Impfgesetzes vom 8. April 1874 in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 2126-5, veröffentlichten bereinigten Fassung, bei einem Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes verpflichtet gewesen wäre. Die Versorgung wird nur gewährt, wenn der Geschädigte

1.
nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes geimpft werden konnte,
2.
von einem Arzt geimpft worden ist und
3.
zur Zeit der Impfung in häuslicher Gemeinschaft mit einem Elternteil oder einem Sorgeberechtigten gelebt hat, der sich zur Zeit der Impfung aus beruflichen Gründen oder zur Ausbildung nicht nur vorübergehend außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes aufgehalten hat.

(3) Versorgung im Sinne des Absatzes 1 erhält auch, wer außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes einen Impfschaden erlitten hat infolge einer Pockenimpfung auf Grund des Impfgesetzes oder infolge einer Pockenimpfung, die in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes bezeichneten Gebieten, in der Deutschen Demokratischen Republik oder in Berlin (Ost) gesetzlich vorgeschrieben oder auf Grund eines Gesetzes angeordnet worden ist oder war, soweit nicht auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften Entschädigung gewährt wird. Ansprüche nach Satz 1 kann nur geltend machen, wer

1.
als Deutscher bis zum 8. Mai 1945,
2.
als Berechtigter nach den §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes oder des § 1 des Flüchtlingshilfegesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Mai 1971 (BGBl. I S. 681), das zuletzt durch Artikel 24 des Gesetzes vom 26. Mai 1994 (BGBl. I S. 1014) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung,
3.
als Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes oder
4.
im Wege der Familienzusammenführung gemäß § 94 des Bundesvertriebenengesetzes in der vor dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung
seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes genommen hat oder nimmt.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten im Sinne der Absätze 1 bis 3 erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt. Satz 2 gilt entsprechend, wenn ein Partner in der Zeit zwischen dem 1. November 1994 und dem 23. Juni 2006 an den Schädigungsfolgen verstorben ist.

(5) Als Impfschaden im Sinne des § 2 Nr. 11 gelten auch die Folgen einer gesundheitlichen Schädigung, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f oder des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind. Einem Impfschaden im Sinne des Satzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz infolge eines Impfschadens im Sinne des Absatzes 1 oder eines Unfalls im Sinne des Satzes 1 gleich.

(6) Im Rahmen der Versorgung nach Absatz 1 bis 5 finden die Vorschriften des zweiten Kapitels des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch über den Schutz der Sozialdaten Anwendung.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. März 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger an einem entschädigungspflichtigen Impfschaden leidet.

2

Der Kläger wurde in der 33. Schwangerschaftswoche am 24.10.1985 geboren. Vor und unter der Geburt kam es zu einem Sauerstoffmangel und einer Säureüberladung (perinatale Asphyxie). Am 17.4.1986 erhielt der Kläger die im Land Berlin öffentlich empfohlene Schutzimpfung gegen Diphtherie und Tetanus (Kombination) sowie gegen Poliomyelitis (oral). Zwei Wochen nach dieser Impfung sackte der Kläger im Arm seiner Mutter schlaff zusammen; sein Gesicht war blass, die Augen halb geschlossen; nach einigen Minuten setzte eine Erholung ein; Fieber und Krämpfe traten nicht auf. Nach Angaben seiner Mutter hat sich das Kind nicht mehr vollständig erholt. Ende 1986 wurde beim Kläger eine spastische Tetraplegie mit statomotorischer Entwicklungsverzögerung diagnostiziert. Die beiden weiteren Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis erhielt der Kläger am 12. und 30.4.1987.

3

Der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von nunmehr 100 anerkannt.

4

Im März 2001 stellte der Kläger bei dem beklagten Land einen Antrag auf Leistungen wegen eines Impfschadens. Daraufhin holte dieses ein nervenärztliches Gutachten von Dr. D. ein und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 5.9.2002 ab. Auf der Grundlage einer nervenärztlichen Stellungnahme von Dr. M. wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 15.8.2003 zurück, weil ein Zusammenhang zwischen der Impfung und der infantilen spastischen Cerebralparese zwar möglich aber nicht wahrscheinlich sei. Überwiegend wahrscheinlich sei, dass für die Erkrankung andere Faktoren, wie die Frühgeburt und Auffälligkeiten in der Schwangerschaft, ausschlaggebend gewesen seien.

5

Der Kläger hat daraufhin beim Sozialgericht Berlin (SG) Klage erhoben. Dieses hat verschiedene ärztliche Unterlagen sowie von Amts wegen ein pädiatrisches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 2.1.2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 14.6.2005 eingeholt. Dieser ist - vorbehaltlich der Richtigkeit der Schilderung der Mutter des Klägers betreffend das Ereignis zwei Wochen nach der Impfung - zu dem Ergebnis gelangt, dass die perinatale Asphyxie (lediglich) zu einem leichten bis mäßigen Hirnschaden geführt habe. Die ab Mai 1986 ersichtlichen schweren neurologischen Störungen (Cerebralparese) seien überwiegend als Impfschadensfolge einzuordnen.

6

Der Beklagte hat demgegenüber ein nach Aktenlage erstattetes Gutachten des Prof. Dr. S. Facharzt für Mikrobiologie und Kinder-/Jugendmedizin - vom 21.2.2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 27.2.2006 vorgelegt. Dieser hat die Auffassung vertreten, dass das Krankheitsbild des Klägers plausibel auf die perinatale Sauerstoffmangelsituation zurückzuführen sei und eine ursächliche oder mitursächliche Rolle der Dreifachimpfung höchst unwahrscheinlich sei. Im Anschluss daran hat das SG die Mutter des Klägers als Zeugin über den Zwischenfall zwei Wochen nach dem 17.4.1986 vernommen und danach ein weiteres Gutachten von Amts wegen eingeholt und zwar von Prof. Dr. D. Unter dem 27.11.2006 ist dieser Sachverständige ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass die vorliegende Cerebralparese mit bestimmten Störungen bzw Behinderungen überwiegend wahrscheinlich durch die perinatale Asphyxie verursacht worden sei, jedoch keine Wahrscheinlichkeit für eine zusätzliche Impfschädigung bestehe.

7

Durch Urteil vom 10.5.2007 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung verpflichtet, dem Kläger wegen der Impfung vom 17.4.1986 unter Anerkennung der Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung und leichter Sprachbehinderung als Impfschadensfolge ab April 2001 Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 65 vH zu gewähren. Es hat seine Entscheidung auf folgende Erwägungen gestützt: Der Kläger sei am 13. oder 14. Tag nach der Impfung auf dem Arm der Mutter plötzlich schlaff geworden und mit halb geschlossenen Augen im Gesicht bleich gewesen, er habe sich danach zwar erholt, aber nicht mehr wie zuvor bewegt. Zur Frage der Verursachung sei der Auffassung von Prof. Dr. K. zu folgen. Die anders lautenden Beurteilungen der übrigen Sachverständigen seien nicht überzeugend. Die MdE von 65 vH ergebe sich daraus, dass der mit 100 vH zu bewertende dauerhafte Gesundheitsschaden des Klägers nach der Beurteilung von Prof. Dr. K. zu zwei Dritteln durch die Impfung am 17.4.1986 verursacht worden sei.

8

Im anschließenden Berufungsverfahren hat der Kläger hilfsweise beantragt, durch Anfrage bei der Ständigen Impfkommission (STIKO) die Tatsache zu erweisen, dass die heute verwendeten Impfstoffe gegen Polio, Diphtherie und Tetanus nicht identisch sind mit den bei ihm verwendeten Impfstoffen, sowie zum Beweis der Tatsache, dass Erkrankungen des zentralen Nervensystems gerade bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrüche auftreten können, ein medizinisches Sachverständigengutachten eines erfahrenen klinisch tätigen Arztes einzuholen, der über Erfahrungen auch zu Impfungen in den achtziger Jahren verfügt.

9

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 11.3.2010). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Anspruchsvoraussetzungen nach den im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschriften des bis zum 31.12.2000 geltenden § 51 Abs 1 Satz 1 Bundesseuchengesetz (BSeuchG) und des am 1.1.2001 in Kraft getretenen § 60 Abs 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) seien nicht erfüllt. Danach sei der Nachweis einer schädigenden Einwirkung (der Impfung), einer gesundheitlichen Primärschädigung in Form einer unüblichen Impfreaktion und der Schädigungsfolgen (Dauerleiden) erforderlich. Für die jeweiligen Kausalzusammenhänge reiche eine Wahrscheinlichkeit aus.

10

Der dauerhafte Gesundheitsschaden in Form einer Cerebralparese sei hier nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Impfung zurückzuführen, weil sich ein Impfschaden als Primärschädigung nicht habe nachweisen lassen. Welche Impfreaktionen als Impfschäden anzusehen seien, lasse sich den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung entnehmen. Bezogen auf den Anspruchszeitraum ab Antragstellung im April 2001 sei grundsätzlich die Nr 57 AHP in den Fassungen von 1996, 2004 und 2005 heranzuziehen, die für die einzelnen Schutzimpfungen die üblichen Impfreaktionen von den Impfschäden abgrenze. Eine Änderung sei mit den AHP 2008 eingetreten, in welchen von einer Aufführung der spezifischen Impfschäden Abstand genommen worden sei. Vielmehr habe Nr 57 Satz 1 AHP 2008 auf die im Epidemiologischen Bulletin (EB) veröffentlichten Arbeitsergebnisse der bei dem Robert-Koch-Institut eingerichteten STIKO verwiesen, die Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einer über das übliche Ausmaß hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden) entwickelten. Nach Nr 57 Satz 2 AHP 2008 stellten diese Ergebnisse den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar. Hieran habe sich auch mit Inkrafttreten der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) zum 1.1.2009 nichts geändert, denn die Nr 53 bis 143 AHP 2008 behielten auch nach Inkrafttreten der VersmedV weiterhin Gültigkeit als antizipiertes Sachverständigengutachten (BR-Drucks 767/07, S 4 zu § 2 VersMedV).

11

Die aktuellen Mitteilungen der STIKO von Juni 2007 (EB Nr 25/2007, 209 ff), die zwar in erster Linie Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen von Schutzimpfungen enthielten, seien gleichwohl zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einem Impfschaden heranzuziehen. Bei den einzelnen Impfstoffen würden jeweils in dem mit "Komplikationen" bezeichneten Abschnitt in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung beobachtete Krankheiten bzw Krankheitserscheinungen dargestellt, bei denen aufgrund der gegenwärtig vorliegenden Erkenntnisse ein ursächlicher Zusammenhang als gesichert oder überwiegend wahrscheinlich anzusehen sei.

12

Im Streit stehe der ursächliche Zusammenhang zwischen der Impfung und der Erkrankung des Klägers im Sinne einer Verschlimmerung, nicht im Sinne der Entstehung. Nach Nr 42 Abs 1 Satz 3 AHP 2008 bzw nach Teil C Nr 7 Buchst a Satz 3 Anlage zur VersMedV komme, sofern zur Zeit der Einwirkung des schädigenden Vorgangs bereits ein einer Gesundheitsstörung zugehöriges pathologisches physisches oder psychisches Geschehen, wenn auch unbemerkt, vorhanden gewesen sei, eine Anerkennung im Sinne der Verschlimmerung in Frage, falls die äußere Einwirkung den Zeitpunkt vorverlegt habe, an dem das Leiden sonst in Erscheinung getreten wäre, oder das Leiden schädigungsbedingt in schwererer Form aufgetreten sei, als es sonst zu erwarten gewesen wäre.

13

Bei dem Kläger liege nach Einschätzung aller Gutachter ein durch die Geburtsasphyxie hervorgerufener Hirnschaden vor. Einigkeit bestehe auch darüber, dass derartige frühkindliche Schäden sich oft verspätet in Gestalt einer Spastik manifestierten. Kern des Rechtsstreits sei die Frage, ob ein bestimmter Anteil der bei dem Kläger vorliegenden Cerebralparese auf die Impfung zurückzuführen sei. Ein derartiger Zusammenhang sei indessen nicht hinreichend wahrscheinlich, weil es am Nachweis eines Impfschadens (atypische Impfreaktion als Primärschädigung) fehle.

14

In den Mitteilungen der STIKO von Juni 2007 seien für die Verwendung des Diphtherie-Impfstoffs sowie für die Verwendung des Kombinationsimpfstoffs gegen Diphtherie und Tetanus spezifische Komplikationen aufgezählt, die sämtlich beim Kläger nicht aufgetreten seien. Insbesondere habe keiner der Sachverständigen eine Erkrankung des peripheren Nervensystems diagnostiziert.

15

Soweit der Kläger die Mitteilungen der STIKO für nicht maßgebend halte, weil sie sich auf die heute verwendeten Impfstoffe gegen Poliomyelitis, Diphtherie und Tetanus bezögen, die nicht identisch mit den bei ihm verwendeten Impfstoffen seien, komme es auf seinen entsprechenden Beweisantrag nicht an. Selbst wenn man unterstelle, dass die Empfehlungen der STIKO Impfungen mit anderen als den damals bei dem Kläger verwendeten Impfstoffen beträfen, sei der ursächliche Zusammenhang im Sinne der Verschlimmerung weiterhin nicht hinreichend wahrscheinlich.

16

In diesem Fall wären die AHP 2005 heranzuziehen, deren Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Nr 57 Abs 12 und 13 AHP 2005 nenne für Diphtherie- und Tetanusschutzimpfungen spezifische Erscheinungen als Impfschäden, die bei dem Kläger nach Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. K. nicht aufgetreten seien. Der von diesem als zentralnervöser Zwischenfall bezeichnete Vorgang zwei Wochen nach der Impfung sei keine akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS) gewesen. Die von Prof. Dr. S. genannten typischen Merkmale einer schweren ZNS-Erkrankung fehlten beim Kläger. Selbst wenn man die vom Kläger unter Beweis gestellte Behauptung, dass Erkrankungen des zentralen Nervensystems gerade bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrüche auftreten könnten, als wahr unterstellte, ändere dies nichts daran, das vorliegend eine akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems gerade nicht positiv festgestellt werden könne. Die Möglichkeit einer derartigen Erkrankung genüge aber für die Anerkennung eines Impfschadens nicht. Der nach den AHP 2005 erforderliche Nachweis einer Antikörperbildung möge heute noch möglich sein, sei aber nicht zielführend, weil hierdurch lediglich eine durchgeführte Impfung bestätigt würde und nicht mehr geklärt werden könne, welche der drei Impfungen des Klägers diesen Zustand herbeigeführt habe. Im Übrigen schieden andere Ursachen der Erkrankung nicht aus. Es bestehe weiterhin die Möglichkeit, dass die Cerebralparese allein auf die Geburtsasphyxie zurückzuführen sei.

17

Hinsichtlich der Erkrankungen, bei denen aufgrund der gegenwärtig vorliegenden Kenntnisse ein ursächlicher Zusammenhang mit der Poliomyelitisschutzimpfung als überwiegend wahrscheinlich anzusehen sei, sei - wovon auch die Beteiligten ausgingen - auf die AHP 2005 abzustellen. Die Mitteilungen der STIKO von Juni 2007 enthielten offensichtlich lediglich Angaben zu Kombinationsimpfungen, die neben Diphtherie-, Tetanus- und Poliomyelitisimpfstoffen weitere Impfstoffe insbesondere gegen Pertussis, Influenza und Hepatitis B, enthielten. Als Impfschäden nach einer Poliomyelitisschutzimpfung seien in Nr 57 Abs 2 AHP 2005 verschiedene Erkrankungen genannt, insbesondere poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen von wenigstens sechs Wochen Dauer. In keinem der vorliegenden Gutachten sei erwähnt, dass der Kläger an einer derartigen Impfpoliomyelitis erkrankt gewesen sei. Ebenso wenig seien Hinweise auf ein Guillain-Barré-Syndrom vorhanden. Schließlich seien beim Kläger auch weder eine Meningoenzephalitis noch die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens diagnostiziert worden. Die von Prof. Dr. K. angenommene Encephalopathie sei nach den AHP 2005 nur nach Pertussis- und Pockenschutzimpfungen als Impfschaden genannt, die beim Kläger nicht vorgenommen worden seien.

18

Mit der vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt der Kläger, das LSG habe materielles und formelles Recht verletzt.

19

Verletzt sei § 51 Abs 1 Satz 1 BSeuchG bzw § 60 Abs 1 Satz 1 IfSG. Das LSG habe bei ihm das Vorliegen einer gesundheitlichen Schädigung durch die Dreifachschutzimpfung, dh eine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schädigung und damit einen dauerhaften Impfschaden, zu Unrecht verneint, weil es verkannt habe, dass es für die Anerkennung einer unüblichen Impfreaktion und eines Impfschadens nach einer Dreifachimpfung im Jahre 1986 weiterhin auf den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu unüblichen Impfreaktionen auf die 1986 verwendeten Impfstoffe ankomme. Stattdessen sei das LSG von den Hinweisen der STIKO von 2007 ausgegangen, die über unübliche Impfreaktionen auf die aktuell verwendeten Impfstoffe informierten, ohne aufgeklärt zu haben, ob es sich bei diesen Impfstoffen um die gleichen handele, die bei seiner Dreifachimpfung 1986 verwendet worden seien, oder ob sie sich unterschieden. Außerdem sei das LSG von einem unzutreffenden Verständnis der medizinischen Voraussetzungen, dh der Krankheitsbilder, ausgegangen.

20

Damit habe das LSG die Rechtstatsachen "aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand" sowie die ebenfalls als Rechtstatsachen anzusehenden Krankheitsbegriffe "akut entzündliche Erkrankungen des Zentralen Nervensystems" sowie "Ätiologie und Pathogenese der Cerebralparese" verkannt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (Hinweis auf das Urteil vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R -) würden wissenschaftliche Erkenntnisse über medizinische Ursachen- und Wirkungszusammenhänge nicht mehr als Tatsachenfeststellungen iS von § 163 SGG gewertet, weil sie keine Tatsachen des Einzelfalles seien, sondern allgemeine (generelle) Tatsachen, die für alle einschlägigen (dort Berufskrankheiten-) Fälle von Bedeutung seien. Es gehe nicht nur um die Anwendung allgemeiner oder spezieller Erfahrungssätze auf einen konkreten Sachverhalt, sondern um sog Rechtstatsachen, die für die Auslegung dh für die Bestimmung des Inhalts einer Rechtsnorm benötigt würden.

21

Aus den tatsächlichen Feststellungen zu seinem Zusammenbruch Ende April 1986 und zu seiner Entwicklung vor und nach der Impfung folge jedoch, dass es bei ihm zu einer unüblichen Impfreaktion gekommen sei, nämlich zu einer Enzephalopathie (möglicher Diphtherieimpfschaden gemäß den AHP 1983) bzw zu einer nicht poliomyelitischen Erkrankung am ZNS (möglicher Impfschaden nach der Polio-Schluckimpfung gemäß den AHP 1983) bzw zu einer akut entzündlichen Erkrankung des ZNS (möglicher Impfschaden nach der Diphtherieschutzimpfung gemäß AHP 2005).

22

Das LSG habe die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten. Bei den Rechtstatsachen "aktueller medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisstand", "akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems" und "Ätiologie und Pathogenese der Cerebralparese" handele es sich um allgemeine Erfahrungssätze, deren Verkennung eine Überschreitung der Grenzen der freien Beweiswürdigung beinhalte.

23

Verstoßen habe das LSG gegen den Erfahrungssatz, dass die Impffolgen abhängig von den verwendeten Impfstoffen seien. Zudem habe das LSG bei der Deutung der Krankheitsbilder gegen medizinische Erfahrungssätze verstoßen. Das LSG habe weiter seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen, insbesondere den Sachverhalt nicht vollständig erfasst bzw ermittelt. So habe es sich nicht veranlasst gesehen, seinem - des Klägers - Beweisantrag zum Fehlen einer Identität der 1986 und heute verwendeten Impfstoffe zu folgen. Diesen und den weiteren Beweisantrag zur Möglichkeit einer Erkrankung des ZNS bei immunologisch unreifen Kindern ohne Fieberausbrüche habe das LSG mit der Begründung abgelehnt, dass eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS nicht festgestellt worden sei. Demgegenüber habe der Sachverständige Prof. Dr. K. durchaus eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS bejaht. Schließlich habe das LSG seine Pflicht zur Auseinandersetzung mit (sich) widersprechenden Gutachten dadurch verletzt, dass es dem Gutachten des Prof. Dr. S. hinsichtlich des Nichtvorliegens einer akut entzündlichen ZNS-Erkrankung gefolgt sei, ohne sich mit den gegenteiligen Ausführungen des Prof. Dr. K. auseinander zu setzen und ohne darzulegen, aufgrund welcher Sachkunde es dem Gutachten von Prof. Dr. S. folge und worauf diese Sachkunde beruhe.

24

Auf diesen Verfahrensfehlern beruhe die Entscheidung des LSG, dass ein Zusammenhang des Leidens der Tetraplegie mit der Dreifachimpfung nicht wahrscheinlich sei, weil es am Nachweis eines Impfschadens fehle und im Übrigen andere Ursachen der Erkrankung nicht ausschieden.

25

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. März 2010 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2007 zurückzuweisen.

26

Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

27

Er schließt sich dem angefochtenen Urteil an.

28

Der Senat hat eine Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 6.4.2011 mit einer Auflistung der seit 1979 zugelassenen Polio Oral-Impfstoffe sowie der Kombinationsimpfstoffe gegen Diphtherie und Tetanus eingeholt und den Beteiligten ausgehändigt.

Entscheidungsgründe

29

1. Die Revision des Klägers ist zulässig.

30

a) Es kann dahinstehen, ob der Kläger mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts gerügt hat, wenn er geltend macht, das LSG habe generelle "Rechtstatsachen" verkannt. Es spricht zunächst nichts dagegen, die in den AHP 1983 bis 2005 unter Nr 57 für Schutzimpfungen ausgeführten Erkenntnisse zu üblichen Impfreaktionen und "Impfschäden" als generelle Tatsachen anzusehen. Zutreffend hat der Kläger insoweit auf das Urteil des 2. Senats des BSG vom 27.6.2006 (BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7) zum Berufskrankheitenrecht hingewiesen. Auch der erkennende Senat ist bereits im Bereich des Schwerbehindertenrechts davon ausgegangen, dass generelle Tatsachen vorliegen, soweit es um allgemeine medizinische Erkenntnisse geht (BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 28). Nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG führt die Annahme, dass ein bestimmter Umstand nicht (nur) einzelfallbezogene Tatsache ist, sondern eine generelle Tatsache darstellt, indes nur zur Durchbrechung der nach § 163 SGG angeordneten strikten Bindung des Revisionsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des LSG verbunden mit der Befugnis bzw der Aufgabe für das Revisionsgericht, entsprechende generelle Tatsachen selbst zu ermitteln und festzustellen(BSG aaO). Die Nichtberücksichtigung genereller Tatsachen durch das Berufungsgericht bewirkt damit nicht unmittelbar eine Verletzung materiellen Rechts.

31

Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn es um die unterlassene oder die fehlerhafte Berücksichtigung von generellen Rechtstatsachen geht, muss hier nicht entschieden werden. Zwar mag eine im og Sinne generelle Tatsache dann als Rechtstatsache anzusehen sein, wenn sie Gegenstand einer Rechtsnorm ist (vgl BSG SozR 4-2700 § 9 Nr 7; noch nicht differenziert in BSG SozR 3-2500 § 34 Nr 4). Das BSG ist aber auch im Fall der Annahme einer generellen "Rechtstatsache" bisher ausdrücklich allein von der Durchbrechung der Bindung des § 163 SGG ausgegangen(BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 24; BSGE 94, 90 = SozR 3-2500 § 18 Nr 6; s dazu Dreher, Rechtsfrage und Tatfrage in der Rechtsprechung des BSG, Festschrift 50 Jahre BSG, 791, 796). Ob eine Erweiterung dieser Rechtsprechung in einem Fall angezeigt ist, in dem es um Inhalt und Reichweite der AHP geht, deren Änderung in der Rechtsprechung des BSG wegen der "rechtsnormähnlichen Qualität" der AHP als Änderung der rechtlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 SGB X angesehen worden ist(BSG SozR 3-3870 § 3 Nr 5 S 6), kann ebenfalls auf sich beruhen.

32

b) Jedenfalls reicht es zur Zulässigkeit einer Revision aus, wenn der Revisionsführer die berufungsgerichtliche Feststellung genereller Tatsachen mit zulässigen Verfahrensrügen angreift (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Das ist hier geschehen. Der Kläger hat insbesondere schlüssig dargetan, das LSG habe es unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) unterlassen aufzuklären, ob sich die vom LSG herangezogenen, in den Hinweisen der STIKO von 2007 und den AHP 2005 niedergelegten medizinischen Erkenntnisse auf die Impfstoffe beziehen, die im Jahre 1986 bei ihm (dem Kläger) verwendet worden sind. Dazu hat der Kläger auch hinreichend vorgetragen, dass es - ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des LSG - auf diese Feststellungen ankam, weil nach den AHP 1983 andere Krankheitserscheinungen zur Bejahung eines über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehenden Gesundheitsschadens (dort als "Impfschaden" bezeichnet) ausreichten als nach den - insoweit gleichlautenden - AHP 1996 bis 2005. Sollten im vorliegenden Fall die AHP 1983 maßgebend sein, so wäre danach eine für den Kläger günstigere Entscheidung des LSG möglich gewesen. Diese Rüge erfasst den gesamten Gegenstand des Revisionsverfahrens. Sie führt mithin zur unbeschränkten Zulässigkeit der Revision.

33

2. Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch vermag der erkennende Senat auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht abschließend zu entscheiden.

34

a) Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Beschädigtenrente wegen eines Impfschadens nach einer MdE um 65 vH ab April 2001 (ab 21.12.2007: Grad der Schädigungsfolgen von 65). Mit Urteil vom 10.5.2007 hat das SG - entsprechend dem Klageantrag - den Beklagten verpflichtet, dem Kläger wegen der am 17.4.1986 erfolgten Impfung unter Anerkennung der Impfschadensfolge "Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung, leichte Sprachstörung" ab April 2001 Versorgung nach dem IfSG iVm dem BVG nach einer MdE von 65 vH zu gewähren. Dieses Urteil hatte der Kläger vor dem LSG erfolglos gegen die Berufung des Beklagten verteidigt. Im Revisionsverfahren erstrebt er die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung mit der - in der Revisionsverhandlung klargestellten - Maßgabe, dass er nicht allgemein Versorgung, sondern Beschädigtenrente begehrt (vgl dazu BSGE 89, 199, 200 = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 S 92 f).

35

           

b) Der Anspruch des Klägers, der für die Zeit ab März 2001 zu prüfen ist, richtet sich nach § 60 Abs 1 IfSG, der am 1.1.2001 in Kraft getreten ist und den bis dahin und auch schon zur Zeit der hier in Rede stehenden Impfung des Klägers im Jahre 1986 geltenden - weitgehend wortlautgleichen (BSGE 95, 66 = SozR 4-3851 § 20 Nr 1, RdNr 6; SozR 4-3851 § 60 Nr 2 RdNr 12) - § 51 Abs 1 BSeuchG abgelöst hat. § 60 Abs 1 Satz 1 IfSG bestimmt:

Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

1. von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,

2. aufgrund dieses Gesetzes angeordnet wurde,

3. gesetzlich vorgeschrieben war oder 

4. aufgrund der Verordnungen zur Ausführung der internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,

eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens iS des § 2 Nr 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.

        

Nach § 2 Nr 11 Halbs 1 IfSG ist im Sinne dieses Gesetzes Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.

        
36

aa) Die zitierten Vorschriften des IfSG verlangen für die Entstehung eines Anspruchs auf Versorgungsleistungen die Erfüllung mehrerer Voraussetzungen. Es müssen eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs 1 Satz 1 IfSG - ua zB öffentliche Empfehlung durch eine zuständige Landesbehörde - erfolgteSchutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen (s zur abweichenden Terminologie in der Rechtsprechung des BSG nach dem BSeuchG, wonach als Impfschaden die über die übliche Impfreaktion hinausgehende Schädigung, also das zweite Glied der Kausalkette, bezeichnet wurde: BSG Urteile vom 19.3.1986 - 9a RVi 2/84 - BSGE 60, 58, 59 = SozR 3850 § 51 Nr 9 S 46 und - 9a RVi 4/84 - SozR 3850 § 51 Nr 10 S 49; ebenso auch Nr 57 AHP 1983 bis 2005).

37

Zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein (aber auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung) geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist. (s Rohr/Sträßer/Dahm, BVG-Kommentar, Stand 1/11, § 1 Anm 10 mwN; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 1/11, § 8 SGB VII RdNr 8 mwN).

38

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sog Vollbeweis - feststehen müssen und allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit ausreicht (s § 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (s BSGE 60, 58 = SozR 3850 § 51 Nr 9; Rohr/Sträßer/Dahm, aaO Anm 11 mwN). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind.

39

bb) Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung sind im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden AHP anzuwenden und zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales ) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP insbesondere um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog antizipierte Sachverständigengutachten (s nur BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9). Die AHP sind in den Bereichen des sozialen Entschädigungsrechts und im Schwerbehindertenrecht generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm ("normähnlich"). Für den Fall, dass sie nicht mehr den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergeben, sind sie allerdings nicht anwendbar (BSG aaO). Dann haben Verwaltung und Gerichte auf andere Weise den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu ermitteln. Die AHP enthalten in allen hier zu betrachtenden Fassungen seit 1983 unter den Nr 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben.

40

           

Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen (damals noch als "Impfschaden" bezeichnet) bei Schutzimpfungen in Nr 57 AHP 1983 bis 2005 sind allerdings Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden (Rundschreiben des BMAS vom 12.12.2006 - IV.c.6-48064-3; vgl auch Nr 57 AHP 2008):

        

Die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete STIKO entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar.
Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr 11 IfSG und Nr 56 Abs 1 AHP) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kannversorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von §§ 60 f IfSG durchzuführen. Siehe dazu auch Nr 35 bis 52 (Seite 145 bis 169) der AHP.

41

Die seit dem 1.1.2009 an die Stelle der AHP getretene VersMedV ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung, die indes, sofern sie Verstöße gegen höherrangige, etwa gesetzliche Vorschriften aufweist, jedenfalls durch die Gerichte nicht angewendet werden darf (BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - SozialVerw 2009, 59, 62 mwN). Anders als die AHP 1983 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern (s BMAS , Einleitung zur VersMedV, S 5), sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten genutzt werden müssen.

42

cc) Zutreffend hat das LSG die Auffassung vertreten, dass alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten sind. Dies entspricht der Rechtsprechung des BSG im Sozialen Entschädigungsrecht, insbesondere im Impfschadensrecht, und Schwerbehindertenrecht (s BSG Urteil vom 17.12.1997 - 9 RVi 1/95 - SozR 3-3850 § 52 Nr 1 S 3, Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 25) sowie im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; Urteil vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7). Ein bestimmter Vorgang, der unter Umständen vor Jahrzehnten stattgefunden hat, muss, wenn über ihn erst jetzt abschließend zu entscheiden ist, nach dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft beurteilt werden. So kann auch die vor Jahrzehnten bejahte Kausalität aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden als fehlend erkannt werden, mit der Folge, dass Anerkennungen unter Umständen zurückzunehmen oder nur aus Gründen des Vertrauensschutzes (§ 45 SGB X) zu belassen sind (vgl BSG Urteil vom 2.12.2010 - B 9 V 1/10 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

43

Bei der Anwendung der neuesten medizinischen Erkenntnisse ist allerdings jeweils genau zu prüfen, ob diese sich überhaupt auf den zu beurteilenden, ggf lange zurückliegenden Vorgang beziehen. Da andere Ursachen jeweils andere Folgen nach sich ziehen können, gilt dies insbesondere für die Beurteilung von Kausalzusammenhängen. Dementsprechend muss im Impfschadensrecht sichergestellt werden, dass die nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse in Betracht zu ziehenden Impfkomplikationen gerade auch die Impfstoffe betreffen, die im konkreten Fall Verwendung gefunden haben.

44

c) Diesen Grundsätzen entspricht das angefochtene Berufungsurteil nicht in vollem Umfang.

45

aa) Zunächst hat das LSG unangegriffen festgestellt, dass der Kläger am 17.4.1986 im Land Berlin öffentlich empfohlene Schutzimpfungen, nämlich gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis, erhalten hat. Sodann ist allerdings unklar, das Auftreten welcher genauen Gesundheitsstörungen das LSG in der Zeit nach diesen Impfungen als bewiesen angesehen hat. Das LSG hat sich darauf beschränkt, das Vorliegen eines "Impfschadens" im Sinne einer primären Schädigung (also einer Impfkomplikation) zu verneinen. Bei der insoweit erfolgten Kausalitätsbeurteilung hat es sich in erster Linie auf die Hinweise der STIKO von Juni 2007 (Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen bei Schutzimpfungen/Stand: 2007, EB vom 22.6.2007/Nr 25 ) und hilfsweise auch auf die Nr 57 AHP 2005 gestützt, ohne - wie der Kläger zutreffend geltend macht - Feststellungen dazu getroffen zu haben, ob sich die darin zusammengefassten medizinischen Erkenntnisse auch auf die beim Kläger im Jahre 1986 verwendeten Impfstoffe beziehen.

46

Das LSG hat es bereits unterlassen, ausdrücklich festzustellen, welche Impfstoffe dem Kläger am 17.4.1986 verabreicht worden sind. Auch aus den vom LSG allgemein in Bezug genommenen Akten ergibt sich insofern nichts. Der in Kopie vorliegende Impfpass des Klägers enthält für den 17.4.1986 nur den allgemeinen Eintrag "Polio oral, Diphtherie, Tetanus". In der ebenfalls in Kopie vorliegenden Krankenkartei der behandelnden Kinderärztin findet sich unter dem 17.4.1986 die Angabe "DT-Polio".

47

Ermittlungen zu dem im Jahre 1986 beim Kläger verwendeten Impfstoff sowie zu dessen Einbeziehung in die Hinweise der STIKO (EB Nr 25/2007) und - hinsichtlich des oral verabreichten Poliolebendimpfstoffes - in die Nr 57 Abs 2 AHP 2005 hat das LSG offenbar für entbehrlich gehalten. Es hat den Umstand, dass die Impfstoffe im Laufe der Jahre verändert worden sind, hypothetisch als wahr unterstellt und anhand der AHP 2005 unter Auswertung der Sachverständigengutachten den Eintritt von Impfkomplikationen beim Kläger verneint. Dabei hat es jedoch nicht geklärt, ob die AHP 2005 für die Beurteilung von Komplikationen infolge der im Jahre 1986 vorgenommenen Impfungen auch wirklich uneingeschränkt maßgebend sind.

48

bb) Entsprechende Feststellungen wären sicher dann überflüssig, wenn die Angaben zu Impfkomplikationen nach Schutzimpfungen der beim Kläger vorgenommenen Art von den 1986 noch maßgebenden AHP 1983 bis zu den STIKO-Hinweisen von Juni 2007 gleich geblieben wären. Dann könnte grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sich weder die Auswirkungen der insoweit gebräuchlichen Impfstoffe noch diesbezügliche wissenschaftliche Erkenntnisse geändert haben. Ebenso könnte auf nähere Feststellungen zu diesem Punkt verzichtet werden, wenn feststünde, dass alle im Jahre 1986 gebräuchlichen Impfstoffe gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis bei den STIKO-Hinweisen von 2007 oder den Angaben in Nr 57 AHP 2005 Berücksichtigung gefunden haben, sei es, weil die Impfstoffe (jedenfalls hinsichtlich der zu erwartenden Impfkomplikationen) im gesamten Zeitraum im Wesentlichen unverändert geblieben sind, sei es, weil etwaige Unterschiede differenziert behandelt worden sind. Von alledem kann nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht ausgegangen werden.

49

           

aaa) Zunächst lassen sich Unterschiede in den Ausführungen der Nr 57 AHP 1983 und 1996 (letztere sind in die AHP 2004 und 2005 übernommen worden) sowie in den STIKO-Hinweisen von 2007 feststellen:

So enthält die Nr 57 Abs 2 AHP (Poliomyelitis-Schutzimpfung) für die Impfung mit Lebendimpfstoff zwar hinsichtlich der "üblichen Impfreaktionen" in den Fassungen 1983 und 1996 (2004/2005) im Wesentlichen die gleichen Formulierungen, der Text betreffend "Impfschäden" (im Sinne von Impfkomplikationen) weicht jedoch in beiden Fassungen voneinander ab. In den AHP 1983 heißt es insoweit:

        

Poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen; Inkubationszeit 3 bis 30 Tage, Auftreten von Lähmungen nicht vor dem 6. Tag nach der Impfung. - Bei Immundefekten sind längere Inkubationszeiten zu beachten (21 bis 158 Tage beobachtet). Nicht poliomyelitisähnliche Erkrankungen am Zentralnervensystem nach der Impfung, wie die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens oder - sehr selten - eine Meningoenzephalitis, Polyradikulitis, Polyneuritis oder Fazialisparese, bedürfen stets einer besonders sorgfältigen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung ist dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung innerhalb von 30 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, außerdem Impfviren im Darm oder Rachen und eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Dieselben Voraussetzungen gelten für das selten als Impfschaden in Betracht kommende Erythema nodosum.

50

           

Die Fassung der AHP 1996 nennt dagegen als "Impfschäden" (Komplikationen):

        

Poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen von wenigstens 6 Wochen Dauer (Impfpoliomyelitis): Inkubationszeit beim Impfling 3 bis 30 Tage, Auftreten von Lähmungen nicht vor dem 6. Tag nach der Impfung. - Bei Immundefekten sind längere Inkubationszeiten zu beachten (bis zu mehreren Monaten). Beim Guillain-Barré-Syndrom ist ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung innerhalb von 10 Wochen nach der Impfung aufgetreten ist, außerdem Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Die sehr selten beobachtete Meningoenzephalitis und/oder die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens ohne die Symptome einer Impfpoliomyelitis bedürfen stets einer besonders sorgfältigen diagnostischen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung ist dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung zwischen dem 3. und 14. Tag nach der Impfung nachgewiesen wurde und außerdem Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Einzelne hirnorganische Anfälle nach der Impfung (z.B. Fieberkrämpfe) mit einer mehrmonatigen Latenz zur Entwicklung eines Anfallsleidens können nicht als Erstmanifestation des Anfallsleidens gewertet werden.

51

In den EB 25/2007 finden sich zu einem Poliomyelitisimpfstoff mit Lebendviren, wie er dem Kläger (oral) verabreicht worden ist, keine Angaben. Dies beruht darauf, dass dieser Impfstoff seit 1998 nicht mehr zur Schutzimpfung bei Kleinkindern öffentlich empfohlen ist (vgl dazu BSG SozR 4-3851 § 60 Nr 2 RdNr 16).

52

Für die Diphtherie-Schutzimpfung ist die Nr 57 Abs 12 AHP bezüglich der "üblichen Impfreaktionen" in den Fassungen 1983 und 1996 im Wesentlichen wortlautgleich.

53

           

Die "Impfschäden" (im Sinne von Komplikationen) sind in der Fassung der AHP 1983 beschrieben mit:

        

Sterile Abszesse mit Narbenbildung. Selten in den ersten Wochen Enzephalopathie, Enzephalomyelitis oder Neuritis, vor allem der Hirnnerven (wie bei der Krankheit). Selten Thrombose, Nephritis.

54

           

Demgegenüber ist Abs 12 der Nr 57 AHP 1996 hinsichtlich der "Impfschäden" (Komplikationen) wie folgt gefasst:

        

Sehr selten akut entzündliche Erkrankungen des ZNS; sie bedürfen einer besonders sorgfältigen diagnostischen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung kommt in Betracht, wenn die Erkrankung innerhalb von 28 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, eine Antikörperbildung nachweisbar war und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Sehr selten Neuritis, vor allem der Hirnnerven (wie bei der Krankheit), Thrombose, Nephritis.

55

           

Hinsichtlich der Tetanus-Schutzimpfung sind in Abs 13 der Nr 57 der hier relevanten Fassungen der AHP die "Impfschäden" wie folgt übereinstimmend umschrieben:

        

Sehr selten Neuritis, Guillain-Barré-Syndrom.

56

           

Demgegenüber differiert hier die Beschreibung der "üblichen Impfreaktionen" zwischen den Fassungen 1983 und 1996. Während 1983 als "übliche Impfreaktionen" beschrieben sind:

        

Geringe Lokalreaktion,

57

           

enthält die Fassung der AHP 1996 die Formulierung:

        

Lokalreaktion, verstärkt nach Hyperimmunisierung.

58

           

In den STIKO-Hinweisen von 2007 (EB 25/2007, 211) heißt es zum Diphtherie-Tetanus-Impfstoff (DT-Impfstoff):

        

Lokal- und Allgemeinreaktion
Als Ausdruck der normalen Auseinandersetzung des Organismus mit dem Impfstoff kann es innerhalb von einem bis drei Tagen, selten länger anhaltend, sehr häufig (bei bis zu 20 % der Impflinge) an der Impfstelle zu Rötung, Schmerzhaftigkeit und Schwellung kommen, gelegentlich auch verbunden mit Beteiligung der zugehörigen Lymphknoten. Sehr selten bildet sich ein kleines Knötchen an der Injektionsstelle, ausnahmsweise im Einzelfall mit Neigung zu steriler Abszedierung.

Allgemeinsymptome wie leichte bis mäßige Temperaturerhöhung, grippeähnliche Symptomatik (Frösteln, Kopf- und Gliederschmerzen, Müdigkeit, Kreislaufbeschwerden) oder Magen-Darm-Beschwerden (Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall) treten gelegentlich (1 % der Impflinge) und häufiger (bis 10 %) bei hyperimmunisierten (häufiger gegen Diphtherie und/oder Tetanus geimpften) Impflingen auf.

In der Regel sind diese genannten Lokal- und Allgemeinreaktionen vorübergehender Natur und klingen rasch und folgenlos wieder ab.

Komplikationen
Im Zusammenhang mit einer Fieberreaktion kann es beim Säugling und jungen Kleinkind gelegentlich zu einem Fieberkrampf (in der Regel ohne Folgen) kommen. Komplikationen der Impfung in Form allergischer Reaktionen an der Haut oder an den Atemwegen treten selten auf. Im Einzelfall kann es zu Erkrankungen des peripheren Nervensystems (Mono- oder Polyneuritiden, Neuropathie) kommen, auch Einzelfälle allergischer Sofortreaktionen (anaphylaktischer Schock) wurden in der medizinischen Fachliteratur beschrieben.

59

           

bb) Der erkennende Senat hat auch keine Veranlassung anzunehmen, dass alle im Jahre 1986 gebräuchlichen Kombinationsimpfstoffe gegen Diphtherie und Tetanus (DT-Impfstoffe) von den STIKO-Hinweisen von 2007 erfasst worden sind. Dafür dass sich diese nur auf im Jahre 2007 gebräuchliche Impfstoffe beziehen, spricht schon der vom LSG selbst erkannte Umstand, dass es sich dabei ausdrücklich um "Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen bei Schutzimpfungen Stand: 2007" handelt. Zudem wird in diesen Hinweisen ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass sich die nachfolgende Textfassung sowie das zugehörige Literaturverzeichnis auf alle gegenwärtig (Stand: Juni 2007) in Deutschland zugelassenen Impfstoffe beziehen (s EB Nr 25/2007 S 210 rechte Spalte). Weiter heißt es dort:

        

Auf dem deutschen Markt stehen Impfstoffe unterschiedlicher Hersteller mit zum Teil abweichenden Antigenkonzentrationen und Inhaltsstoffen zur Verfügung, die zur gleichen Anwendung zugelassen sind. Die Umsetzung von STIKO-Empfehlungen kann in der Regel mit allen verfügbaren und zugelassenen Impfstoffen erfolgen. Zu Unterschieden im Spektrum unerwünschter Arzneimittelwirkungen ist ggf auf die jeweiligen Fachinformationen zu verweisen. Die Aktualisierung der Fachinformationen erfolgt nach Maßgabe der Zulassungsbehörden entsprechend den Änderungsanträgen zur Zulassung. Diese aktualisierten Fachinformationen sind ggf ergänzend zu den Ausführungen in diesen Hinweisen zu beachten.

60

Nach der vom erkennenden Senat eingeholten Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 6.4.2011 waren im Juni 2007 noch drei DT-Impfstoffe zugelassen, deren Zulassung vor 1986 lag. Daneben waren im Juni 2007 und bis heute weitere neun DT-Impfstoffe zugelassen, deren zeitlich früheste Zulassung im Jahr 1997 datiert. Hinzu kommt, dass es nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts nach Einführung der Zulassungspflicht im Jahre 1978 eine Übergangszeit von mehreren Jahren gab. In dieser Zeit erhielten Impfstoffe nach und nach eine Zulassung im heutigen Sinne. So können Impfstoffe, die erst nach 1986 offiziell zugelassen worden sind, bereits vorher in Deutschland gebräuchlich gewesen sein.

61

Diese Gegebenheiten schließen nach Auffassung des erkennenden Senats - jedenfalls auf der Grundlage der gegenwärtigen Erkenntnisse - eine undifferenzierte Anwendung der STIKO-Hinweise auf die 1986 beim Kläger erfolgten Impfungen aus. Es lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass alle 1986 gebräuchlichen DT-Impfstoffe zu den im Juni 2007 zugelassenen Impfstoffen gehört haben, auf die sich diese Hinweise nach ihrem Inhalt beziehen. Darüber hinaus werden darin ausdrücklich Unterschiede im Spektrum der unerwünschten Arzneimittelwirkungen angesprochen, die sich aus abweichenden Antigenkonzentrationen und Inhaltsstoffen ergeben können. Ohne nähere Feststellungen zu den Zusammensetzungen der 1986 gebräuchlichen DT-Impfstoffe, insbesondere der beim Kläger verwendeten, lässt sich mithin nicht beurteilen, ob und inwieweit die STIKO-Hinweise von 2007 bei der hier erforderlichen Kausalitätsprüfung zugrunde gelegt werden können.

62

Entsprechend verhält es sich mit den AHP 2005, die das LSG in erster Linie bei der Poliomyelitisimpfung und hilfsweise auch bei der DT-Impfung zur Kausalitätsbeurteilung herangezogen hat. In Nr 56 und 57 AHP 2005, die insoweit mit den AHP 1996 und 2004 übereinstimmen, wird nicht genau angegeben, auf welche Impfstoffe sich die betreffenden Angaben beziehen. Insbesondere wird nicht deutlich, ob diese Angaben auch für die 1986 gebräuchlichen Impfstoffe Geltung beanspruchen. Da das LSG auch nicht festgestellt hat, dass die in Frage kommenden Impfstoffe in ihren Auswirkungen von 1986 bis 1996 gleich geblieben sind, können die AHP 1996/2004/2005 hier nicht ohne Weiteres angewendet werden. Denkbar wäre immerhin, dass für die im Jahre 1986 gebräuchlichen Impfstoffe grundsätzlich noch die AHP 1983 maßgebend sind, ggf ergänzt durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Wirkungen der betreffenden Impfstoffe.

63

d) Zwar könnte der erkennende Senat die danach erforderlichen Feststellungen, soweit sie sich auf allgemeine Tatsachen beziehen, nach entsprechenden Ermittlungen selbst treffen. Eine derartige Vorgehensweise hält er hier jedoch nicht für tunlich.

64

aa) Zur Klärung einer Anwendung der STIKO-Hinweise von 2007 müsste - ohne vorherige Ermittlung der konkret beim Kläger verwendeten Impfstoffe, die der Senat nicht selbst durchführen darf (vgl § 163 SGG) - allgemein, dh voraussichtlich mit erheblichem Aufwand, geprüft werden, ob alle im April 1986 gebräuchlichen Impfstoffe den im Juni 2007 zugelassenen Impfstoffen derart entsprachen, dass mit denselben Impfkomplikationen zu rechnen war, wie sie in den STIKO-Hinweisen für DT-Impfstoffe aufgeführt werden. Sollte sich dabei kein einheitliches Bild ergeben, könnte auf die Feststellung der tatsächlich angewendeten Impfstoffe wahrscheinlich nicht verzichtet werden.

65

bb) Soweit sich feststellen ließe, dass die AHP 1996/2004/2005 - ggf mit allgemeinen Modifikationen - ohne Feststellung der konkreten Impfstoffe für die Beurteilung des vorliegenden Falles maßgeblich sind, könnte das Berufungsurteil jedenfalls nicht in vollem Umfang aufrechterhalten werden. Zumindest hinsichtlich der Verneinung einer durch die Diphtherieimpfung verursachten Impfkomplikation beruht die Entscheidung des LSG nämlich sowohl auf einer teilweise unzutreffenden Rechtsauffassung als auch auf Tatsachenfeststellungen, die verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sind.

66

Nach der vom LSG (hilfsweise) als einschlägig angesehenen Nr 57 Abs 12 AHP 2005 kommt bei einer Diphtherieschutzimpfung als "Impfschaden" (Komplikation) ua eine "akut entzündliche Erkrankung des ZNS" in Betracht, wenn die Erkrankung innerhalb von 28 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, eine Antikörperbildung nachweisbar war und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden.

67

aaa) Dementsprechend ist zunächst festzustellen, ob eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS im maßgeblichen Zeitraum nach der Impfung eingetreten ist. Soweit das LSG bezogen auf den vorliegenden Fall angenommen hat, eine entsprechende Erkrankung des ZNS lasse sich nicht feststellen, beruht dies - wie der Kläger hinreichend dargetan hat - auf einem Verstoß gegen §§ 103, 128 Abs 1 Satz 1 SGG.

68

Zwischen den Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. S. bestand darüber Streit, ob beim Kläger zwei Wochen nach der ersten Impfung eine "akut entzündliche Erkrankung des ZNS" aufgetreten ist. Das LSG hat sich für die Verneinung einer derartigen Erkrankung in erster Linie auf die Auffassung von Prof. Dr. S. gestützt, der als typische Merkmale einer "schweren" ZNS-Erkrankung Fieber, Krämpfe, Erbrechen und längere Bewusstseinstrübung genannt habe. Dagegen hatte der Kläger unter Beweis gestellt, dass Erkrankungen des ZNS gerade bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrüche auftreten können. Diese Behauptung hat das LSG hypothetisch als wahr unterstellt und dazu die Ansicht vertreten, dies ändere "nichts daran, dass vorliegend eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS gerade nicht positiv festgestellt werden kann". Die Möglichkeit einer derartigen Erkrankung genüge nicht.

69

Zwar trifft es zu, dass der Eintritt einer akut entzündlichen Erkrankung des ZNS beim Kläger für den relevanten Zeitraum von 28 Tagen nach Impfung bewiesen sein muss. Den Ausführungen des LSG lässt sich jedoch nicht entnehmen, auf welche medizinische Sachkunde es sich bei der Beurteilung gestützt hat, eine positive Feststellung sei im vorliegenden Fall unmöglich. Auf die Ausführungen von Prof. Dr. S. konnte sich das LSG dabei nicht beziehen, da es in diesem Zusammenhang gerade - abweichend von dessen Auffassung - die Möglichkeit einer ohne Fieberausbrüche auftretenden akut entzündlichen Erkrankung des ZNS unterstellt hat. Mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K., auf die sich der Kläger berufen hatte, hat sich das LSG nicht auseinandergesetzt. Folglich hätte das LSG entweder zunächst dem auf allgemeine medizinische Erkenntnisse gerichteten Beweisantrag des Klägers nachkommen oder sogleich mit sachkundiger Hilfe (unter Abklärung des medizinischen Erkenntnisstandes betreffend eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS) konkret feststellen müssen, ob das (von Prof. Dr. K. als "zentralnervöser Zwischenfall" bezeichnete) Krankheitsgeschehen, das beim Kläger vierzehn Tage nach der Impfung ohne einen Fieberausbruch abgelaufen ist, als akut entzündliche Erkrankung des ZNS anzusehen ist.

70

bbb) Auch (allein) mit dem (bislang) fehlenden Nachweis einer Antikörperbildung hätte das LSG eine Impfkomplikation nicht verneinen dürfen. Seine Begründung, selbst wenn sich noch heute Antikörper feststellen ließen, könnten sie - wegen der im Jahre 1987 erfolgten weiteren Impfungen - nicht mit Sicherheit der am 17.4.1986 vorgenommenen ersten Impfung zugeordnet werden, ist aus Rechtsgründen nicht tragfähig. Der erkennende Senat hält es für unzulässig, eine Versorgung nach dem IfSG an Anforderungen scheitern zu lassen, die im Zeitpunkt der Impfung nicht erfüllt zu werden brauchten und im nachhinein nicht mehr erfüllt werden können (vgl dazu Thüringer LSG Urteil vom 20.3.2003 - L 5 VJ 624/01 - juris RdNr 32; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 21.7.2006 - L 8 VJ 847/04 - juris RdNr 40). Der Nachweis der Antikörperbildung als Hinweis auf eine Verursachung der Erkrankung des ZNS durch die Impfung ist erstmals in der Nr 57 Abs 12 AHP 1996 enthalten. Die AHP 1983 nannten an entsprechender Stelle als "Impfschäden" (Komplikationen) noch nicht einmal die akut entzündliche Erkrankung des ZNS, sondern andere Erkrankungen, wie zB die Enzephalopathie, ohne einen Antikörpernachweis zu fordern. Nach der am 17.4.1986 erfolgten Impfung bestand somit grundsätzlich keine Veranlassung, die Bildung von Antikörpern zu prüfen. Wenn die Zuordnung von jetzt noch feststellbaren Antikörpern nach den weiteren Impfungen von 1987 aus heutiger Sicht medizinisch nicht möglich sein sollte, verlangte man rechtlich etwas Unmögliches vom Kläger. Demzufolge muss es zur Erfüllung der Merkmale der Nr 57 Abs 12 AHP 2005 jedenfalls ausreichen, wenn sich heute noch entsprechende Antikörper beim Kläger nachweisen lassen.

71

ccc) Soweit das LSG schließlich im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen der Nr 57 Abs 12 AHP 2005 festgestellt hat, dass andere Ursachen der Krankheitszeichen, die beim Kläger zwei Wochen nach der Impfung vom 17.4.1986 aufgetreten sind, nicht ausscheiden, ist auch diese Feststellung - wie vom Kläger zutreffend gerügt - verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das LSG hat insoweit nicht das Gesamtergebnis der Beweisaufnahme berücksichtigt. Denn es hat sich nicht hinreichend mit der abweichenden medizinischen Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. K. auseinandergesetzt. Neben dem vom LSG erörterten verringerten Schädelwachstum des Klägers hat Prof. Dr. K. in diesem Zusammenhang auch auf einen Entwicklungsknick hingewiesen, der beim Kläger nach dem "zentralnervösen Zwischenfall" eingetreten sei. Es ist jedenfalls nicht ohne Weiteres ersichtlich, wie sich ein solcher Vorgang mit der vom LSG - gestützt auf Prof. Dr. S. angenommenen "allmählichen Manifestation" der Symptome einer Cerebralparese vereinbaren lässt.

72

e) Nach alledem ist es geboten, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

73

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 6. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung nach dem Impfschadensrecht gemäß §§ 60 ff. Infektionsschutzgesetz (IfSG) hat.

Die 1970 geborene Klägerin wurde vom Allgemeinarzt Dr. R. am 06.06.2005 gegen Frühsommer-Menigoencephalitis (FSME) mit dem Medikament FSME-immun(r) sowie gegen Poliomyelitis, Diphtherie und Tetanus mit dem Kombinationsimpfstoff Revaxis(r) geimpft. Am 21.07.2005 erfolgte eine weitere FSME-Impfung mit dem gleichen Wirkstoff. Am 29.09.2005 wurde eine Impfung gegen Poliomyelitis mit IPV Merieux(r) und Diphtherie mit dem Diphtherie-Adsorbat-Impfstoff Behring für Erwachsene(r) durchgeführt. Im Jahr 2006 wurde bei ihr ein Guillain-Barre-Syndrom und danach eine chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie diagnostiziert.

Am 16.05.2013 beantragte sie beim Beklagten formlos Versorgung nach dem IfSG; sie habe eine Schädigung aufgrund einer FSME-Impfung erlitten. Mit Schreiben vom 28.05.2013 legte sie weitere Unterlagen zur Impfung vor und präzisierte ihren Antrag dahingehend, dass sie die bei ihr vorliegende chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie auf zwei FSME-Impfungen „am 06.06.2005 und 21.07.2005“ zurückführe.

In der Folge holte der Beklagte Unterlagen zu den medizinischen Behandlungen der Klägerin ein und befragte die behandelnden Ärzte. Dabei berichtete der Allgemeinarzt Dr. R., dass die Klägerin nach der Impfung am 06.06.2005 eine Lokalreaktion beschrieben habe, die beim Termin am 21.07.2005 bereits abgeklungen sei. Seinen Aufzeichnungen ist erst für den 13.02.2006 eine weitere Behandlung der Klägerin zu entnehmen, bei der eine Hypertonie und Parästhesien der Daumen und Füße bei seitengleich grober Kraft festgestellt worden seien. Die Orthopädin Dr. S. teilte am 27.08.2013 mit, dass die Klägerin am 20.02.2006 anamnestisch angegeben habe, dass „seit ca. zwei Wochen“ beide Großzehen wie taub seien und sie nicht mehr richtig gehen könne. Die Klägerin habe auch Parästhesien der Hände seit zwei bis drei Wochen sowie erhebliche Kopfschmerzen angegeben. In dem in einem früheren schwerbehindertenrechtlichen Verfahren der Klägerin erstellten Bericht des Nervenarztes R. wurde am 23.11.2006 darauf hingewiesen, dass sich die Klägerin erstmals am 22.02.2006 vorgestellt und angegeben habe, dass sie „seit etwa sechs Wochen“ unter einer Schwäche und Parästhesien beider Füße und zusätzlich der Hände leide. Einem Abschlussbericht des Krankenhauses H.W. vom 15.03.2006 ist zu entnehmen, dass die Klägerin dort stationär vom 01.03.2006 bis 15.03.2006 behandelt worden ist. Die Klägerin sei - so der Bericht - wegen „seit mehreren Wochen“ bestehenden sensomotorischen Paresen der Beine und Hände eingewiesen worden. U.a. wurde die Diagnose eines Guillain-Barre-Syndroms gestellt. Dem Abschlussbericht vom 22.05.2006 über den medizinischen Rehaaufenthalt der Klägerin in der A.-Klinik S-Stadt vom 20.03.2006 bis zum 16.05.2006 ist zu entnehmen, dass die Klägerin im Rahmen der Eigenanamnese über Schmerzen in den Beinen aufgrund von Fersensporn seit etlichen Jahren berichtet habe. „Im November“ habe das aktuelle Krankheitsgeschehen begonnen mit Einschlafen der Großzehen. Zunehmend habe sie die Kraft in den Beinen verloren. Das Ganze sei anschließend auf die Hände übergegangen. Es wurde u.a. die Verdachtsdiagnose einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (Differenzialdiagnose: Verschlechterung des bekannten Guillain-Barre-Syndroms) gestellt. In einem in einem schwerbehindertenrechtlichen Verfahren erstellten Befundbericht gab der Facharzt für Neurologie Dr. F. am 17.05.2008 an, dass er die Klägerin seit dem 20.08.2006 wegen der Diagnose einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie behandle. „Seit Februar 2006“ lägen eine Schwäche und Gefühlsstörungen zunächst nur in den Beinen, später auch in den Armen vor. Dem Abschlussbericht der neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums B-Stadt vom 24.10.2007 über eine zweitägige Behandlung im Oktober 2007 ist zu entnehmen, dass die Klägerin dort ein erstmaliges Auftreten eines Taubheitsgefühls der Unterschenkel mit leichter Schwäche im November 2005 beschrieben habe. Im Bericht der Deutschen Klinik für Diagnostik, Neurologie, vom 13.02.2008 wird darüber berichtet, dass die Klägerin vom 18.12.2007 bis zum 04.02.2008 tagesklinisch behandelt worden sei. Die Klägerin habe angegeben, „vor etwas mehr als 2 Jahren (11/05)“ zunächst eine Taubheit der Füße bemerkt zu haben. Als Diagnosen wurden genannt eine chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie und differenzialdiagnostisch ein Guillain-Barre-Syndrom.

Anschließend wurde die Klägerin versorgungsärztlich durch den Neurologen und Sozialmediziner B. im Rahmen einer ambulanten Untersuchung am 07.11.2013 begutachtet (Gutachten vom 11.11.2013). Die Klägerin habe dabei berichtet, dass es im September 2005 zu einer Erkrankung mit Erschöpfung und Gliederschmerzen gekommen sei. Im November 2005 sei es dann beim Spazierengehen mit den Hunden bei kalten Außentemperaturen zu einer Schwäche in beiden Beinen gekommen. Im Januar 2006 sei sie bei ihrem damaligen Hausarzt vorstellig gewesen, der eine verschleppte Grippe und einen sehr hohen Blutdruck festgestellt habe. Während der sich anschließenden Krankschreibung sei sie bei der Orthopädin Dr. S. und dem Nervenarzt R. gewesen; dort sei der Verdacht auf eine Polyradikulitis gestellt worden. Der Sachverständige wies darauf hin, dass sich aus den vorliegenden Unterlagen keine abnormen Impfreaktionen ableiten lassen würden. Die Angaben der Klägerin zu den Ersterscheinungen im November 2005 stünden in deutlichem Widerspruch zu den früheren Angaben der Klägerin. Es sei von Ersterscheinungen im Januar 2006 und somit einer Inkubationszeit von einigen Monaten auszugehen, was gegen einen Zusammenhang der FSME-Impfungen mit der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie der Klägerin spreche.

Der Neurologe und Psychiater Dr. K. stimmte in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 28.11.2013 dieser Einschätzung zu. Nach den zeitnahen Unterlagen sei eine angegebene Lokalreaktion nach der Impfung bei der nachfolgenden ärztlichen Vorstellung wieder abgeklungen gewesen. Die Symptomatik einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie habe sich erst Anfang 2006, also mehrere Monate nach den FSME-Impfungen vom 06.06.2005 und 21.07.2005 entwickelt. Damit ergebe sich kein enger zeitlicher Zusammenhang. Dies spreche gegen eine Auslösung der chronisch-entzündlichen Erkrankung durch die Impfungen.

Auch die Versorgungsärztin Dr. L. hat am 23.12.2013 der Beurteilung zugestimmt.

Mit Bescheid vom 16.01.2014 lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem IfSG ab. Die Klägerin führe ihre Erkrankung auf die Impfungen am 06.06.2005 und 21.07.2005 zurück. Die geltend gemachte Gesundheitsstörung einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie könne aber nicht als Folge einer Schädigung im Sinne des IfSG anerkannt werden, da der ursächliche Zusammenhang zwischen der Impfung und der Gesundheitsstörung nicht ausreichend wahrscheinlich sei.

Mit Schreiben vom 27.01.2014 legte die Klägerin Widerspruch ein. Folgende bei ihr aufgetretenen Impfreaktionen hat sie beschrieben:

- Impfung am 06.06.2005: „Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, Einstichstelle war heiß und geschwollen. Anmerkung des Arztes: ist normal.“

- Impfung am 21.07.2005: „Gelenkschmerzen, Schlappheit, Kopfschmerzen. Arzt: keine Reaktion.“

Ihr Gesundheitszustand habe sich von Anfang Juni 2005 bis Februar 2006 schleichend verschlechtert. Die anfänglichen Gelenkschmerzen seien in ein Kribbeln und Taubheitsgefühl übergegangen, die Schlappheit sei geblieben und durch ständige Müdigkeit ergänzt worden, die Kopfschmerzen seien permanent geworden. Im Februar 2006 sei die Situation eskaliert und sie habe wegen extrem hohen Blutdrucks und Schwindels zum Hausarzt müssen. Der habe sie aber wieder nur wegen einer Erkältung krankgeschrieben. Aufgrund eines Termins beim Orthopäden sei sie wegen des Verdachts auf ein Guillain-Barre-Syndrom ins Krankenhaus H.W. eingewiesen worden. In vielen Ländern seien FSME-Impfungen aufgrund schwerer Komplikationen zurückgenommen worden. Langzeitstudien würden völlig fehlen. Gravierend sei die Schwächung des Immunsystems, wie z.B. das Guillain-Barre-Syndrom. Im Arzneimitteltelegramm sei 1995 gemeldet worden, dass die Impfung Schübe von Autoimmunerkrankungen auslösen könne.

Auf Nachfrage des Beklagten übersandte Dr. R. Kopien seiner Behandlungsunterlagen und erläuterte seinen Eintrag vom 21.07.2005 (Tag der zweiten Impfung) wie folgt: „Die erste Impfung (FSME und Revaxis) erfolgte am 6.6.2005. Bei der zweiten Impfung am 21.7.2005 berichtete die Patientin, daß sie nach der Erstimpfung an einem der Oberarme eine Impfreaktion (lokale Schwellung und Rötung) bemerkt habe. Diese war am 21.07.2005 wieder abgeklungen.“ Den übersandten Unterlagen ist weiter zu entnehmen, dass der nächste Arzttermin, bei dem auch eine Impfung gegen Poliomyelitis und Diphtherie erfolgte, am 29.09.2005 stattfand. Dabei wurde u.a. wegen Parästhesien der linken Hand der Verdacht auf ein Karpaltunnelsyndrom geäußert und eine Handgelenksbandage verordnet. Die nächste Behandlung fand im Februar 2016 statt; dabei berichtete die Klägerin über Parästhesien in den Daumen beidseits und den Füßen, wobei die grobe Kraft nach den Aufzeichnungen von Dr. R. seitengleich war.

Die Fachärztin für Neurologie B. wies in der anschließend eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme von 25.04.2014 darauf hin, dass die von der Klägerin für die Zeit ab Juni 2005 angegebene Symptomatik sehr unspezifisch sei und nicht als spezifische Impffolge angesehen werden könne. Der behandelnde Allgemeinarzt habe berichtet, dass es nach den Angaben der Klägerin eine Lokalreaktion gegeben habe, die beim Termin am 21.07.2005 abgeklungen gewesen sei. Das Auftreten einer vorübergehenden Lokalreaktion könne nicht belegen, dass die Monate später aufgetretene Symptomatik eines Guillain-Barre-Syndroms hiermit in ursächlichem Zusammenhang stehe. Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie und den im Sommer 2005 erfolgten Impfungen könne nicht hergestellt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.05.2014 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Ein Zusammenhang mit den FSME-Impfungen am 06.06.2005 und 21.07.2005 könne nicht hergestellt werden.

Am 12.06.2014 haben die Bevollmächtigten der Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Bayreuth erhoben.

Mit Schreiben vom 24.09.2014 ist die Klage wie folgt begründet worden:

Die bei der Klägerin vorliegende chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie stelle einen Impfschaden dar. Die Klägerin möchte noch einmal ausführen, dass bereits nach der ersten Impfung ihr Arm geschwollen gewesen sei und sie Ermüdungserscheinungen gehabt habe. Nach der zweiten Impfung seien Grippeerscheinungen aufgetreten und neben der Müdigkeit auch vermehrt Kopfschmerzen. Eine deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustands sei schließlich im November erfolgt, hier habe die Klägerin über Gangunsicherheiten geklagt. Die Klägerin habe diese Symptome jedoch im Zusammenhang mit den Grippeerscheinungen gesehen. Einen Arzt habe sie somit erst Anfang 2006 aufgesucht. Da die Diagnose nicht von Anfang an eindeutig gestellt habe werden können, habe dies einige Zeit in Anspruch genommen, bis die Diagnose einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie festgestanden habe. Dass aufgrund der zeitlichen Verzögerung die Erkrankung nicht mehr als Folge der Impfung anerkannt werden solle, könne die Klägerin unter keinen Umständen nachvollziehen. Entsprechend den öffentlich zugänglichen Informationen über die Erkrankung entwickle sich diese schleichend, was dazu führe, dass eine Diagnose nur erschwert möglich sei. Dies sei auch bei der Klägerin der Fall gewesen. Durch den schleichenden Prozess sei auch die zeitliche Diskrepanz zu erklären; nach Angaben des Klinikums der Universität M-Stadt erreiche die Erkrankung das Maximum acht Wochen oder später nach Symptombeginn. Die zeitliche Verzögerung dürfe nicht dazu führen, dass ein Kausalzusammenhang verneint werde.

Anschließend hat das SG ärztliche Unterlagen eingeholt. Einem Gutachten des Neurologen Dr. W. für die deutsche Rentenversicherung vom 25.08.2010 ist zu entnehmen, dass die Klägerin im Rahmen der Eigenanamnese dort berichtet habe, dass sie „Ende 2005, November/Dezember,“ beim Spazierengehen mit den Hunden und beim Treppensteigen ein Schwächegefühl in den Beinen bemerkt habe. Im Februar 2006 sei sie zufälligerweise wegen Gliederschmerzen beim Orthopäden gewesen, der dann die Einweisung in eine neurologische Klinik veranlasst habe.

Im Auftrag des SG hat der Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie Prof. Dr. J. am 01.12.2015 ein Gutachten erstellt. Er ist darin zu der Einschätzung gekommen, dass die bei der Klägerin vorliegenden Impfreaktionen nach den Impfungen am 06.06.2005 (lokale Reaktion an der Impfstelle - Schwellung und Rötung -, die bei der zweiten Impfung bereits wieder abgeklungen gewesen sei) und 27.07.2005 (keine Angaben des impfenden Arztes über eventuelle Nebenwirkungen; die Klägerin habe Grippeerscheinungen und vermehrte Müdigkeit und Kopfschmerz angegeben) Ausdruck der normalen Auseinandersetzung des Organismus mit dem Impfstoff seien. Es handle sich um übliche Reaktionen, die zweifellos durch die Impfungen bedingt seien. Impfkomplikationen lägen daher nicht vor. Im Übrigen sprächen sowohl die gegenwärtigen Kenntnisse über die Pathogenese einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie als auch der zeitliche Verlauf bzw. der große zeitliche Abstand zwischen Impfung und dem ersten Auftreten von Symptomen gegen einen kausalen Zusammenhang.

Mit Schreiben vom 15.04.2016 haben sich die Bevollmächtigten der Klägerin zum Gutachten geäußert und zudem beantragt, Dr. H. gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu hören.

Dr. H. ist in seinem am 19.08.2016 erstellten Gutachten zu der Einschätzung gekommen, dass die bei der Klägerin vorliegende chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie mit Wahrscheinlichkeit durch die verabreichte Impfserie im Jahr 2005 ausgelöst worden sei und alternative Ursachen nicht erkennbar seien. Er hat Folgendes ausgeführt:

Nach dem ersten Impftermin am 06.06.2005 sei es zu einer Schwellung der Injektionsstelle und Gelenkschmerzen, Mattigkeit und Kopfschmerzen gekommen. Wie lange diese Beschwerden genau angehalten hätten, bleibe unklar. Nach der Beschreibung der Klägerin könne auch gefolgert werden, dass es nicht zum völligen Verschwinden dieser Symptomatik gekommen sei. Ein ähnliches Bild habe sich nach der zweiten FSME-Impfung am 21.07.2005 ergeben. Wieder seien Beschwerden an der Impfstelle, Müdigkeit und Gelenkschmerzen aufgetreten. Nach den Schilderungen der Klägerin seien diese Gelenkbeschwerden in ein Kribbeln übergegangen. Im September 2005 habe ein reduzierter Gesundheitszustand mit abnormer Müdigkeit vorgelegen. Über akute Beschwerden nach der IPV/Diphtherie-Impfung am 29.09.2005 sei nicht berichtet worden, vermutlich sei der Gesundheitszustand aber zum Zeitpunkt dieser Impfung noch reduziert gewesen. Ab November 2005 sei es zu motorischen Störungen beim Laufen gekommen. In der Folge sei dann im Januar/Februar 2006 die Diagnose einer entzündlichen Erkrankung des peripheren Nervensystems gestellt worden.

Bei den lokalen Reaktionen an der Injektionsstelle und den zeitgleich auftretenden systemischen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen und Mattigkeit handle es sich um bekannte und häufige Impfreaktionen. Die Grenze zur Impfkomplikation werde bei der Klägerin durch die lange Dauer dieser Beschwerden, den Übergang der Gelenkschmerzen in Missempfindungen, die lang anhaltende abnorme Mattigkeit und schließlich mit der Diagnosestellung der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie überschritten. Die chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie sei eine bekannte und schwerwiegende Impfkomplikation und könne im Fall der Klägerin durch die zwei FSME-Impfungen, die Revaxis-Impfung und die Diphtherie-Impfung bzw. die Kombination aller dieser Impfungen ausgelöst worden sein.

Zu den am 06.06.2005, 21.07.2005 und 29.09.2005 verwendeten Impfstoffen hat Dr. H. auf Folgendes hingewiesen:

- Bei dem FSME-Impfstoff handle es sich um einen sogenannten inaktivierten adjuvantierten Impfstoff. Um eine gute Immunreaktion zu erzeugen, seien die Virusbestandteile an 1 mg Aluminiumhydroxid als Immunverstärker (Adjuvans) adsorbiert. In der Fachinformation zum Impfstoff werde darauf hingewiesen, dass in (sehr) seltenen Fällen Nervenentzündungen bzw. entzündliche Reaktionen des Gehirns auftreten könnten.

- Der Impfstoff Revaxis sei ein inaktivierter Kombinationsimpfstoff gegen Tetanus, der Aluminiumhydroxid als Adjuvans in einer Menge von 0,35 mg enthalte. In klinischen Studien sei am häufigsten über lokale Nebenwirkungen an der Injektionsstelle berichtet worden. Diese würden in der Regel innerhalb von 48 Stunden nach der Impfung auftreten und ein bis zwei Tage anhalten. In der Fachinformation werde darauf hingewiesen, dass als sehr seltene Nebenwirkung Erkrankungen des Nervensystems, u.a. das Guillain-Barre-Syndrom, auftreten könnten.

- Der Diphtherie-Impfstoff (Impfung am 29.09.2005) enthalte ebenfalls Aluminiumhydroxid als Adjuvans und zusätzlich Thiomersal. Die Fachinformation von 2006 weise u.a. in Einzelfällen auf Erkrankungen des zentralen oder peripheren Nervensystems (u.a.. Guillain-Barre-Syndrom) und Entzündungen des peripheren Nervensystems als unerwünschte Nebenwirkungen hin. In der Fachinformation zum Diphtherie-Impfstoff werde auf unerwünschte Wirkungen des Nervensystems hingewiesen, u.a. auf vorübergehende leichte Parästhesien.

Diese Ausführungen würden klar zeigen, dass eine autoimmunvermittelte Polyneuritits, wie sie bei der Klägerin vorliege, als seltene Impfkomplikation der Adjuvantien der Impfstoffe (im Fall der Klägerin: FSME-Impfstoff, Revaxis und der Diphtherie-Impfstoff) bekannt und in den Fachinformation aller Produkte als seltene Komplikation auch beschrieben sei. In der Folge hat Dr. H. auf medizinische Veröffentlichungen hingewiesen, wonach das Adjuvans das Risiko der Entstehung einer Autoimmunerkrankung erhöhe. Sein Fazit sei, dass nach FSME-Impfungen Autoimmunerkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems bei disponierten Personen auftreten würden. Auch Thiomersal sei als Auslöser autoimmuner Reaktionen bekannt.

Zur Bewertung des kausalen Zusammenhangs zwischen den verabreichten Impfungen im Jahr 2005 und der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie der Klägerin hat der Sachverständige Folgendes ausgeführt:

Von entscheidender Bedeutung sei die Frage nach dem ersten Auftreten von Symptomen der Erkrankung. Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der ersten Impfung mit dem FSME-Impfstoff und Revaxis sei im Bereich der FSME-Impfstelle eine Schwellung aufgetreten und es sei zu einer Impfreaktion mit Kopfschmerzen und Gelenkschmerzen gekommen. Die Klägerin habe die folgende Zeit als eine beschrieben, in der sich ihr Gesundheitszustand schleichend verschlechtert habe. Die Gelenkschmerzen seien in Kribbeln und Taubheitsgefühl übergegangen, ohne dass sich der Zeitpunkt des Beginns exakt festlegen lasse. Nach der zweiten FSME-Impfung am 21.07.2005 sei es wieder zu Gelenkschmerzen, Schlappheit und Kopfschmerzen gekommen. Am 29.09.2005 seien dann mit dem IPV-Impfstoff und dem Diphtherie-Impfstoff die letzten Impfungen verabreicht worden. Ab November 2005 sei in mehreren ärztlichen Berichten erstmals die muskuläre Schwäche beim Spazierengehen beschrieben worden. Somit liege ein dokumentierter Beginn der Erkrankung wenige Wochen nach der Diphtherie-Impfung vor. Die Beschreibung der Erkrankung durch die Klägerin lege einen früheren Beginn mit schleichendem Verlauf und ohne diesbezügliche ärztliche Konsultation nahe. Eine chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie sei eine Erkrankung, bis zu deren Diagnosestellung oft mehrere Monate vergehen würden. Im September 2005 habe nach dem Bericht von Herrn B. eine Episode mit unklaren Gliederschmerzen und unnatürlicher Erschöpfung vorgelegen. Für demyelinisierende Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems durch eine autoimmune Attacke werde für einen Zusammenhang mit einer verabreichten Impfung derzeit ein plausibles Zeitintervall von bis zu 42 Tagen angesehen. Da man die genauen immunologischen Abläufe nicht kenne, orientiere man sich an empirischen Daten. Shoenfeld et alt. seien sogar der Ansicht, dass für Autoimmunerkrankungen nach Impfungen auch Intervalle von mehreren Monaten nicht unplausibel seien. Die unerwünschte Reaktion einer immunologisch vermittelten Entzündung des peripheren Nervensystems im Sinne einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie nach der FSME-Impfung, der Diphtherie-Monoimpfung und der Kombinationsimpfung mit Revaxis sei als bekannt zu betrachten. Besonderes Potenzial bezüglich der Auslösung autoimmuner Komplikationen komme im Fall der Klägerin sicherlich der verwendeten Diphtherie-Impfung zu, die mit dem Konservierungsmittel Thiomersal eine zusätzliche Komponente mit autoimmunem Auslösepotenzial beinhalte. Alternative Ursachen im Sinn von nachgewiesenen Infektionen oder anderen immunmodulationen Ereignissen seien in den Akten nicht dokumentiert. Das Kriterium des gesicherten Zusammenhangs im WHO-Algorithmus verlange einen positiven Expositionsversuch, der in Anbetracht der Schwere der Erkrankung bei der Klägerin nicht vertretbar sei. Somit seien im Fall der Klägerin die Kriterien erfüllt, die von der WHO für die Feststellung eines wahrscheinlichen Zusammenhangs gefordert würden, welche seien:

  • 1.plausibles zeitliches Intervall,

  • 2.plausible Hypothese zur Pathophysiologie und Bekanntheit der Reaktion und

  • 3.keine anderen möglichen Auslöser einer Autoimmunreaktion im plausiblen Zeitintervall.

Zu der nach deutschem Impfschadensrecht erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs hat sich der Sachverständige kritisch geäußert. Eine Kausalitätsbewertung dahingehend, dass die Kausalität dann wahrscheinlich sei, wenn wenigstens mehr für als gegen sie spreche, sei durchaus problematisch und bei vielen komplexen Verdachtsfällen von unerwünschten Wirkungen von Impfstoffen nicht wirklich anwendbar. Wenn man sich wissenschaftlich wirklich mit den Abläufen einer Impfkomplikation befasse, sei die Forderung nach einer gesundheitlichen Primärschädigung in Form einer unüblichen Impfreaktion sehr problematisch und entspreche keinesfalls dem aktuellen Kenntnisstand über immunologisch vermittelte Impfkomplikationen. Gerade die von Shoenfeld et alt. etablierten Fälle würden eben keine unmittelbar erkennbare Primärschädigung vermitteln, sondern nach einem symptomfreien Zeitintervall mit schleichendem Beginn einer schweren Erkrankung, bis zu deren Diagnosestellung dann wieder einige Zeit vergehe, verlaufen.

Die Vorgutachten hat Dr. H. wie folgt gewürdigt:

- Herr B. habe im versorgungsärztlichen Gutachten nur die FSME-Impfung diskutiert, nicht aber die weiteren verabreichten Impfungen. Aktuelle Forschung zu Impfungen und Autoimmunerkrankungen werde nicht vorgestellt. Die Stellungnahme sei daher nicht geeignet, eine korrekte Bewertung der Abläufe im Fall der Kläger zu ermöglichen.

- Der sozialgerichtliche Gutachter Prof. Dr. J. habe in seinem Gutachten Arbeiten nicht erwähnt, die schwere unerwünschte neurologische Wirkungen der FSME-Impfung belegen würden. Große Vorsicht sei bei der Interpretation der von Prof. Dr. J. zitierten Studien der Hersteller geboten, da diese Studien nur veröffentlicht würden, wenn sich die Hersteller hiervon einen Vorteil versprächen. Prof. Dr. J. behaupte, die Arbeiten von Shoenfeld et alt. zur Autoimmunität und Adjuvantien in Impfstoffen würden lediglich eine Hypothese darstellen, die bis heute nicht wirklich bewiesen worden sei. Allerdings unternehme der Gutachter auch nicht den Versuch, diese Hypothese kritisch zu prüfen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Aufgrund der dargelegten Schwächen sei das Gutachten von Prof. Dr. J. ungeeignet, den Fall korrekt zu bewerten.

Der Beklagte hat mit einer 13-seitigen versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 16.09.2016 durch den Neurologen Dr. K. erläutert, warum dem Gutachten des Dr. H. aus seiner Sicht nicht zu folgen sei. Der Symptombeginn der Erkrankung der Klägerin könne nicht vor Januar 2006 datiert werden. Die später gemachten Ausführungen der Klägerin zu einem deutlich früheren Symptombeginn seien erst im Verlauf des IfSG-Verfahrens getätigt worden, während die zeitnah dokumentierten Befunde andere Informationen liefern würden. Im Hinblick auf die angeschuldigten Impfungen bestehe somit ein Zeitintervall von ca. sieben bzw. fünfeinhalb Monaten von der Impfung bis zum Krankheitsbeginn der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie. Die Entwicklung einer autoimmunologisch bedingten Polyneuritis mit einem derartigen zeitlichen Abstand zu einer eventuellen Antigenpräsentation im Rahmen einer Impfung sei jedoch bereits aus pathophysiologischen Gründen nicht plausibel. Bei Fällen eines Guillain-Barre-Syndroms, in denen eine vorauslaufende Infektion dokumentiert sei, würden diese Infektionen den ersten Symptomen der neurologischen Krankheit um nicht länger als vier Wochen vorausgehen. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass Evidenzen für das Auftreten einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie als Folge einer Impfung nicht vorlägen. Fälle einer zeitlichen Assoziation einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie mit einer Impfung gegen FSME seien bislang überhaupt nicht beschrieben. Die Ausführungen von Dr. H. zur Toxizität von in Impfstoffen enthaltenen Aluminiumverbindungen entsprächen nicht dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft. Abschließend hat Dr. K. darauf hingewiesen, dass Nebenwirkungen in den vor dem Jahr 2001 verwendeten FSME-Impfstoffen noch verhältnismäßig häufig gewesen seien, seitdem aber der Impfstoff als sicher betrachtet werden könne. Unabhängige Postmarketingsanalysen mit Beobachtung von mehr als 5 Millionen Impfdosen hätten kein potentielles Impfrisiko erkennen lassen.

Mit Urteil vom 06.12.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klageabweisung hat das SG damit begründet, dass eine Impfkomplikation im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung nicht nachgewiesen sei. Die Rötung an der Stelle der Impfung gehe über das Ausmaß einer normalen Impfreaktion nicht hinaus. Auf Unstimmigkeiten bei der Schilderung der Klägerin über Art und Ausmaß der Komplikationen hat das SG hingewiesen. Das SG hat auch keinen wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung der Klägerin gesehen.

Gegen das am 20.12.2016 zugestellte Urteil haben die Bevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 03.01.2016 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt.

Mit Schreiben vom 28.03.2017 haben sie den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. J. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und zudem die Berufung wie folgt begründet:

Im Urteil des SG fehle der Hinweis auf die Impfung vom 29.09.2005. Die Aussage im Tatbestand des Urteils, die Klägerin habe bei der Untersuchung durch die Orthopädin Dr. S. am 20.02.2006 angegeben, seit 2 bis 3 Wochen Parästhesien in den Händen zu haben, sei so nicht richtig. Sie habe bereits beim Hausarzt Dr. R. am 21.07.2005 derartige Beschwerden (linke Hand) vorgebracht. Wenn der Klägerin bei der Untersuchung durch den Gutachter im Verwaltungsverfahren zur Last gelegt werde, dass ihre Angaben im Widerspruch zu denen im Rahmen der Untersuchung bei der ersten Behandlung im Krankenhaus H.W. stünden, sei dies falsch. Die Aussage, dass Ersterscheinungen erst im Jahr 2006 aufgetreten seien, sei bereits durch die vorher gemachten Untersuchungen und Arzttermine widerlegt. Eine chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie entwickle sich langsam und erreiche ihr Maximum definitionsgemäß acht Wochen oder später nach Symptombeginn. U.a. komme es zu symmetrischen Lähmungen und Sensibilitätsstörungen. Wenn der Hausarzt für den 21.07.2005 berichtet habe, dass die Impfreaktion wieder abgeklungen gewesen sei, sei demgegenüber darauf hinzuweisen, dass bereits am 21.07.2005 die auftretende Parese dokumentiert sei. Dr. H. habe aus den Unterlagen ablesen können, dass die Beschwerden eindeutig ab dem 21.07.2005 beschrieben und dokumentiert seien. Die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. K. sei unrichtig. Beispielsweise ergebe sich aus Studien, dass Aluminium in Impfstoffen das Autismus-Risiko erhöhe. Impfungen würden zudem das Risiko für Autoimmunerkrankungen erhöhen, was auch darin seine Bestätigung finde, dass impfbedingte Autoimmunerkrankungen nunmehr unter der Bezeichnung „ASIA“ zusammengefasst würden. Unerwünschte Nebenwirkung der FSME-Impfung sei u.a. das Guillain-Barre-Syndrom, dessen chronische Verlaufsform die chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie sei. Sofern im Urteil des SG davon ausgegangen worden sei, dass Unstimmigkeiten in den Ausführungen der Klägerin hinsichtlich einer Impfkomplikation gegeben seien, entspreche dies nicht der Wahrheit. Tatsächlich hätten die Paresen in der linken Hand begonnen und sich im Laufe der Zeit bis zum 29.09.2005 auf beide Hände ausgebreitet. Es werde angeregt, im Rahmen der Ermittlungen von Amts wegen ein weiteres Gutachten einzuholen.

Den Befangenheitsantrag gegen den erstinstanzlichen Sachverständigen Prof. Dr. J. hat der Senat mit Beschluss vom 05.05.2017 als unzulässig verworfen und ergänzend darauf hingewiesen, dass der Befangenheitsantrag auch in der Sache keinen Erfolg haben könnte.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils vom 06.12.2016 sowie des Bescheids vom 16.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.05.2014 den Beklagten zu verurteilen, die chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie als Impfschädigung anzuerkennen und ab 01.05.2013 Versorgung nach einem GdS von 80 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen worden sind die Akten des SG sowie die Verwaltungsakten des Beklagten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Der Beklagte hat es zu Recht, wie es auch das SG bestätigt hat, abgelehnt, bei der Klägerin einen Impfschaden anzuerkennen und Versorgung zuzusprechen.

Der Bescheid vom 16.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2014 ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG liegen nicht vor, weil es vorliegend schon am Nachweis des Primärschadens, also einer Impfkomplikation, fehlt.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 16.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.05.2014, mit dem der Antrag auf Entschädigung wegen eines Impfschadens infolge der Impfungen am 06.06.2005 (gegen Frühsommer-Menigoencephalitis (FSME) mit dem Impfstoff FSME-immun(r) sowie gegen Poliomyelitis, Diphtherie und Tetanus mit dem Kombinationsimpfstoff Revaxis(r)) und am 21.07.2005 (FSME-Impfung mit dem Impfstoff FSME-immun(r)) abgelehnt worden ist. Die Impfung am 29.09.2005 ist hingegen nicht Streitgegenstand, da dazu der Beklagte - dem Antrag der Klägerin folgend - in den angefochtenen Bescheiden keine Regelung getroffen hat.

Das Begehren der Klägerin beurteilt sich nach dem IfSG, weil der Antrag vom 16.05.2013 zu einem Zeitpunkt gestellt worden ist, als das - das BSeuchG ohne Übergangsvorschrift ablösende (vgl. Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften vom 20.07.2000, BGBl. I, S. 1045) - IfSG (seit dem 01.01.2001) in Kraft war (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 20.07.2005, B 9a/9 VJ 2/04 R).

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

  • 1.von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,

  • 2.auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde,

  • 3.gesetzlich vorgeschrieben war oder

  • 4.auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), soweit das IfSG nichts Abweichendes bestimmt.

Der Impfschaden wird in § 2 Nr. 11 IfSG definiert als die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung, wobei ein Impfschaden auch vorliegt, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde.

Die Anerkennung als Impfschaden setzt eine dreigliedrige Kausalkette voraus (ständige Rspr., vgl. zum gleichgelagerten Recht der Soldatenversorgung: BSG, Urteile vom 25.03.2004, B 9 VS 1/02 R, und vom 16.12.2014, B 9 V 3/13 R): Ein schädigender Vorgang in Form einer „Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe“, die die genannten Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllen muss (1. Glied), muss zu einer „gesundheitlichen Schädigung“ (2. Glied), also einem Primärschaden (d.h. einer Impfkomplikation) geführt haben, die wiederum den „Impfschaden“, d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also den Folgeschaden (3. Glied) bedingt.

Neben einer „Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe“, die die genannten Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllen muss (1. Glied), müssen die „gesundheitliche Schädigung“ (2. Glied) als Primärschädigung, d.h. die Impfkomplikation, und der „Impfschaden“ (3. Glied), d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also der Folgeschaden, vorliegen. Diese drei Glieder der Kausalkette müssen - auch im Impfschadensrecht - im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (ständige Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteile vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R, und vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R; Hessisches LSG, Urteil vom 26.06.2014, L 1 VE 12/09; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.07.2016, L 13 VJ 19/15). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, 9/9a RV 1/92).

Sofern demgegenüber der 15. Senat des Bayer. LSG in seinem Urteil vom 31.07.2012, L 15 VJ 9/09, zur Frage des Primärschadens ausgeführt hat

"Der Betroffene muss zweitens eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben (auch wenn diese vielleicht nicht eindeutig zu identifizieren und zeitlich zu fixieren sein mag); dabei muss es im haftungsbegründenden Tatbestand unabdingbar zu einer gesundheitlichen Schädigung (= Primärschädigung) gekommen sein, rein wirtschaftliche Nachteile genügen insoweit nicht. Zum haftungsbegründenden Tatbestand gehört auch, dass die Primärschädigung im Sinn von § 2 Nr. 11 IfSG über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgeht."

und weiter

„Es wäre allerdings realitätsfremd, in jedem impfschadensrechtlichen Fall zu verlangen, es müsse eine deutlich wahrnehmbare und fixierbare Primärschädigung festgestellt werden. Allgemein dient die Dreigliedrigkeit dazu, bestimmte Geschehnisabläufe bereits auf einer Vorstufe der Prüfung “auszusondern„und das Fehlen kausaler Zusammenhänge leichter erkennen zu können. Je mehr sich die Kausalitätsprüfung in gedankliche Zwischenschritte “zerlegen„lässt, desto objektivierbarer kann der Geschehnisablauf rechtlich aufgearbeitet werden (vgl. Kunze, Kausalität in der gesetzlichen Unfallversicherung, VSSR 2005, S. 299 <302>). Diese Differenzierung ist aber dann nicht möglich, wenn die Schädigung, also der (erste) Eingriff in das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit, nicht deutlich zu Tage tritt, sondern wie hier im Verborgenen erfolgt (a.A. wohl Meßling in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Auflage 2012, § 60 IfSG, Rn. 62). Zweifellos ist in solchen Fällen die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung schwieriger, weil sich der Verursachungspfad nicht klar abzeichnet. Dennoch darf nicht per se wegen der Nichterkennbarkeit einer Primärschädigung am Rechtsgut der körperlichen Gesundheit die Wahrscheinlichkeit des kausalen Zusammenhangs negiert werden. Vielmehr muss der Zusammenhang zwischen Impfung und manifestiertem Gesundheitsschaden in einer einzigen gedanklichen “Etappe„beurteilt werden (vgl. LSG Bayern, Breithaupt 2012, S. 51 <56>).“, kann der Senat dem nicht folgen. Denn damit verzichtet der 15. Senat auf das Erfordernis des Vollbeweises beim Primärschaden. Wenn der 15. Senat die Anforderungen an den Nachweis des Vollbeweises in der vorgenannten Entscheidung durch den Hinweis

„Sehr wichtige “Mosaiksteine„sind dabei die mehr oder weniger zeitnah zur Impfung beim Kläger beobachtete Symptomatik, das allgemein auftretende Bild eines Impfschadens mit einer Beteiligung eines peripheren Nerven, die Ätiologie des beim Kläger vorhandenen Krankheitsbilds, die Pathogenese in Bezug auf mögliche Alternativursachen.“

relativiert und letztlich in Frage stellt, steht dies nicht in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben und der klaren obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung. Ob der 15. Senat dieser Entscheidung auch heute noch folgen würde, steht im Übrigen in Frage (vgl. Urteil des 15. Senats vom 11.07.2017, L 15 VJ 6/14, in dem die Frage ausdrücklich offen gelassen worden ist, inwiefern der Primärschaden nachgewiesen sein muss).

So geht das BSG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Primärschaden im Vollbeweis nachgewiesen sein muss. Es hat im Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, Folgendes ausgeführt:

"Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sog Vollbeweis - feststehen müssen und allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit ausreicht (s § 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (s BSGE 60, 58 = SozR 3850 § 51 Nr. 9; Rohr/Sträßer/Dahm, aaO Anm. 11 mwN). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind."

Genauso ist die Rechtsprechung im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung. Auch dort ist der Nachweis des unmittelbar nach dem schädigenden Vorgang vorliegenden Gesundheitsschadens, dort auch „Erstschaden“ genannt, im Vollbeweis zu führen. So hat das BSG in zwei Urteilen vom 24.07.2012, B 2 U 9/11 R und B 2 U 23/11 R, jeweils formuliert:

„Die den Versicherungsschutz in der jeweiligen Versicherung begründende “Verrichtung„, die (möglicherweise dadurch verursachte) “Einwirkung„und der (möglicherweise dadurch verursachte) “Erstschaden„müssen (vom Richter im Überzeugungsgrad des Vollbeweises) festgestellt sein.“

Eine irgendwie geartete Beweiserleichterung beim Primärschaden, wie es der 15. Senat des Bayer. LSG im oben aufgezeigten Urteil mit der Beurteilung „des Zusammenhangs zwischen Impfung und manifestiertem Gesundheitsschaden in einer einzigen gedanklichen Etappe“ anhand von „Mosaiksteinen“, die den Nachweis des Primärschadens im Vollbeweis als „realitätsfremd“ und damit verzichtbar erscheinen lassen sollen, getan hat, ist damit nicht vereinbar. Soweit die Entscheidung des 15. Senats offenbar von dem Unbehagen getragen worden ist, „bestimmte Geschehnisabläufe bereits auf einer Vorstufe der Prüfung“ - gemeint ist vor der Prüfung der Kausalität - „auszusondern“, kann der Senat dieses Unbehagen auch in der Sache nicht nachvollziehen. Gerade im Bereich des Impfschadensrechts stehen oft Erkrankungen im Raum, die in einem mehr oder weniger weiten zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung aufgetreten sind, für die es aber schwer ist, eine Erklärung zu finden, entweder weil die Ursache der Erkrankung an sich schwer oder kaum zu klären ist oder weil für die Auslösung der Erkrankung auch andere Ursachen außerhalb der Impfung denkbar sind; denn eine Impfung ist typischerweise nicht mit einem massiven Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verbunden, sondern stellt regelmäßig eine Belastung dar, wie sie auch im täglichen Leben vorkommen kann, ohne dass dies dem Betroffenen als besonders belastend auffallen würde. Würde angesichts des aufgezeigten Dilemmas auf den Nachweis des Primärschadens, der zumindest plausibel belegt, dass der Körper auf die Impfung unüblich stark reagiert hat und daher eine impfuntypische Beeinflussung des Gesundheitszustands naheliegt, verzichtet, würde damit die vom Gesetzgeber verlangte Nachweisführung massiv erleichtert und zu Gunsten kranker Menschen eine Entschädigung ermöglicht, die der Gesetzgeber lediglich für Fälle vorgesehen hat, in denen der Zusammenhang nur unter vergleichsweise strengen, so aber vom Gesetzgeber gewollten Voraussetzungen festgestellt werden kann. Sollte der Gesetzgeber die Anerkennung eines Impfschadens auch unter reduzierten Beweisanforderungen zulassen wollen, müsste er die gesetzlichen Vorgaben ändern. Eine Korrektur im Wege der Rechtsprechung hingegen würde gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz verstoßen.

Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache nach den allgemeinen Regeln der Beweislast zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs auf ihr Vorliegen stützt.

Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder der Kausalkette nach § 61 Satz 1 IfSG aus, wenn dieser jeweils mit Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität. Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle, versorgungsrechtlich geschützte Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, 10 RV 15/77), also mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang spricht (vgl. BSG, Urteile vom 19.08.1981, 9 RVi 5/80, vom 26.06.1985, 9a RVi 3/83, vom 19.03.1986, 9a RVi 2/84, vom 27.08.1998, B 9 VJ 2/97 R, und vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./ Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 26.11.1968, 9 RV 610/66, und vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R).

Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie nach der versorgungsrechtlichen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 08.08.1974, 10 RV 209/73) rechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs „annähernd gleichwertig“ sind. Während die ständige unfallversicherungsrechtliche Rechtsprechung (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, und vom 30.01.2007, B 2 U 8/06 R) demgegenüber den Begriff der „annähernden Gleichwertigkeit“ für nicht geeignet zur Abgrenzung hält, da er einen objektiven Maßstab vermissen lasse und missverständlich sei, und eine versicherte Ursache dann als rechtlich wesentlich ansieht, wenn nicht eine alternative unversicherte Ursache von überragender Bedeutung ist, hat der für das soziale Entschädigungsrecht zuständige 9. Senat des BSG in seinem Urteil vom 16.12.2014, B 9 V 6/13 R, zur annähernden Gleichwertigkeit Folgendes ausgeführt:

„Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Haben also neben einer Verfolgungsmaßnahme mehrere weitere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen, ist die Verfolgungsmaßnahme versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge der Verfolgungsmaßnahme zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Verfolgungsmaßnahme in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen.“

Von einer annähernden Gleichwertigkeit einer versorgungs- und damit auch impfschadensrechtlich geschützten Ursache kann daher - im Gegensatz zu der für den Betroffenen günstigeren unfallversicherungsrechtlichen Rechtsprechung - nur dann ausgegangen werden, wenn ihre Bedeutung gleich viel oder mehr Gewicht hat als die der andere(n) Ursache(n) (zusammen).

Die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinn als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, ist im jeweiligen Einzelfall aus der Auffassung des praktischen Lebens abzuleiten (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2001, B 9 V 5/00 R).

Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Gesundheitsschäden zu erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R).

Kann eine Aussage zu einem (hinreichend) wahrscheinlichen Zusammenhang nur deshalb nicht getroffen werden, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt die sogenannte Kannversorgung gemäß § 61 Satz 2 IfSG in Betracht. Von Ungewissheit ist dann auszugehen, wenn es keine einheitliche, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, B 9/9a VS 5/06). In einem solchen Fall liegt eine Schädigungsfolge dann vor, wenn bei Zugrundelegung der wenigstens einen wissenschaftlichen Lehrmeinung nach deren Kriterien die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs nachgewiesen ist (vgl. Bayer. LSG, Urteile vom 19.11.2014, L 15 VS 19/11, vom 21.04.2015, L 15 VH 1/12, vom 15.12.2015, L 15 VS 19/09, und vom 26.01.2016, L 15 VK 1/12). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, 9/9a RV 41/92).

Lässt sich der Zusammenhang nicht (hinreichend) wahrscheinlich machen und auch nicht über die Kannversorgung herstellen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache nach den allgemeinen Beweislastgrundsätzen zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf das Vorliegen des Zusammenhangs stützen möchte, also des Anspruchsstellers.

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall schon eine Impfkomplikation (Primärschaden, 2. Glied der Kausalkette) nach den Impfungen vom 06.06.2005 und 21.07.2005 nicht nachgewiesen. Dabei stützt sich der Senat auf die vorliegenden ärztlichen Berichte und Aufzeichnungen, insbesondere des impfenden Hausarztes, und die Einschätzungen sämtlicher Sachverständiger und Versorgungsärzte, die sich mit dieser Frage im Laufe des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens befasst haben.

Nach der ersten Impfung am 06.06.2005 hat es bei der Klägerin nur eine lokale Impfreaktion gegeben, die dem entspricht, was bei einer derartigen Impfung üblich und zu erwarten ist. Nach den eigenen Angaben der Klägerin gegenüber ihrem Hausarzt am 21.07.2005 war diese typische Impfreaktion bis zum 21.07.2005 wieder abgeklungen. Dr. R. hat am 21.07.2005 weder atypische Befunde erhoben noch Angaben der Klägerin vermerkt, die auf eine atypische Impfreaktion hindeuten würden.

Auch nach der zweiten Impfung am 21.07.2005 sind nach den vorliegenden Arzt- und Klinikberichten keine Befunde erhoben worden, die auf eine unübliche Impfreaktion der Klägerin hinweisen würden.

Wenn die Klägerin erst während des Verfahrens nach dem IfSG, also viele Jahren nach den Impfungen, behauptet, sie hätte sowohl nach der ersten als auch nach der zweiten Impfung erhebliche und anhaltende Nebenwirkungen verspürt und zudem eine schleichende Verschlechterung des Gesundheitszustands bemerkt, sind dies Behauptungen der Klägerin, die durch keinerlei objektiven Tatsachen oder Befunde gestützt werden; sie sind offensichtlich unter dem Eindruck des impfschadensrechtlichen Verfahrens erfolgt und stehen zudem in Widerspruch zu zeitnahen Angaben der Klägerin. Der Senat kann den Angaben der Klägerin, sie habe nach den Impfungen erhebliche und anhaltende Nebenwirkungen verspürt und zudem eine schleichende Verschlechterung des Gesundheitszustands beobachtet, keinen Glauben schenken. Es ist auffällig, dass die Klägerin ihre Angaben zum Beschwerdebeginn im Laufe des Verfahrens immer mehr hin zu einem immer früheren Beginn, wie er für die Geltendmachung ihres Begehrens hilfreich sein könnte, angepasst hat. Dass diese im Laufe des Verfahrens modifizierten Angaben der Klägerin nicht den Tatsachen entsprechen oder sich zumindest nicht nachweisen lassen, ergibt sich für den Senat aus den ersten und damit zu den Impfungen zeitlich am nächsten erfolgten Angaben der Klägerin im Februar 2006. So hat sie bei den 20.02.2006 bzw. 22.02.2006 stattgefundenen Behandlungen lediglich von Beschwerden berichtet, die vor etwa zwei bzw. sechs Wochen begonnen hätten. Ein Auftreten von Gesundheitsstörungen, die über eine übliche Impfreaktion hinausgehen würde, noch im Jahr 2005, geschweige denn zeitnah nach den beiden Impfungen im Juni und Juli 2005, ist damit für den Senat nicht im Vollbeweis nachgewiesen. Wenn die Klägerin später anderes behauptet, erscheint dies nicht glaubhaft.

Sofern die Klägerin zuletzt in der Berufungsbegründung und auch wieder in der mündlichen Verhandlung die Behauptung aufgestellt hat, dass bei der zweiten Impfung am 21.07.2005 bereits eine Parese und damit aus ihrer Sicht eine Impfkomplikation vorgelegen habe und dies der von ihr benannte Gutachter Dr. H. auch so als belegt angesehen habe, ist diese Behauptung durch nichts nachgewiesen und findet auch im Gutachten des Dr. H. keine Bestätigung. Die Behandlungsunterlagen des Hausarztes enthalten lediglich den Hinweis darauf, dass die Klägerin am 29.09.2005, nicht schon am 21.07.2005, eine Parästhesie der linken Hand angegeben habe, dafür die Diagnose z.B. eines Karpaltunnelsyndroms gestellt und ihr eine Handgelenksbandagen verordnet worden sei. Eine von der Klägerin behauptete Parästhesie der linken Hand schon am 21.07.2005 und eine Ausdehnung auf beide Hände bis zum 29.09.2005 stehen daher in Widerspruch zu den ärztlichen Aufzeichnungen des behandelnden Arztes Dr. R.. Obwohl die am 29.09.2005 erfolgten Angaben zu einer Parästhesie der linken Hand allen Gutachtern bekannt waren, hat keiner der Sachverständigen darin eine (potentielle) Impfkomplikation gesehen, auch nicht der von der Klägerin gemäß § 109 SGG benannte Dr. H. Weitere ärztliche Befunde, die im Jahr 2005 potentielle Impfreaktionen belegen würden, gibt es nicht. Die Klägerin begab sich erst im Februar 2006 wieder in ärztliche Behandlung. Es spricht daher alles dafür, dass die von der Klägerin am 29.09.2005 geschilderte Parästhesie einer Hand lediglich eine vorübergehende Erscheinung war, die mit einer Handbandage adäquat behandelt worden ist mit der Folge, dass die Beschwerden vollständig, zumindest aber weitgehend wieder verschwunden sind. Dass diese Gefühlsstörung an der linken Hand im September 2005 nicht im Zusammenhang mit den Impfungen und dem später diagnostizierten Guillain-Barre-Syndrom bzw. der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie steht, wovon ersichtlich auch die beiden gerichtlichen Gutachter ausgegangen sind, ergibt sich schon daraus, dass es sich nur um eine einseitige, nicht aber symmetrische, also beide Hände betreffende Gefühlsstörung gehandelt hat, wie sie typisch für das Guillain-Barre-Syndrom und danach eine chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie wäre. Zudem ergibt sich auch aus den eigenen Angaben der Klägerin, dass sich diese Gefühlsstörung wieder vollständig zurückgebildet hat. So hat die Klägerin bei späteren ärztlichen Untersuchungen wiederholt angegeben, dass die Gefühlsstörungen zuerst in den Füßen und dann in den Händen aufgetreten seien. Die einmalig diagnostizierte einseitige Gefühlsstörung in der linken Hand im September 2005 muss sich daher wieder vollständig oder zumindest weitestgehend zurückgebildet haben. Eine schleichende Verschlimmerung, wie sie die Klägerin später behauptet hat, ist daher durch ihre eigenen Angaben widerlegt. Eine Impfkomplikation sieht der Senat in Übereinstimmung mit den Sachverständigen nicht.

Wenn der von der Klägerin benannte Gutachter Dr. H. demgegenüber wegen des ihm von der Klägerin geschilderten, nicht aber durch objektive Befunde belegten Verlaufs der Erkrankung vom Nachweis einer entsprechenden Primärschädigung ausgeht, ist dies nicht nachvollziehbar. Dr. H. hat selbst darauf hingewiesen, dass nach den streitgegenständlichen Impfungen lediglich übliche Impfreaktionen aufgetreten seien. Nach seinem eigenen Vortrag kann daher nicht von einer Impfkomplikation, wie sie Voraussetzung für die Herstellung des 2. Glieds der impfschadensrechtlichen Kausalkette ist, ausgegangen werden. Ganz offensichtlich hat er sich, wenn er dann gleichwohl einen Impfschaden annimmt, allein auf die späteren - unbewiesenen und mit den zeitnahen Angaben der Klägerin nicht kompatiblen - Angaben der Klägerin gestützt. Sofern die Klägerin demgegenüber meint, Dr. H. habe in den Unterlagen objektive Befunde als Bestätigung des von ihr behaupteten Verlaufs gefunden, irrt sie. Dr. H. hat lediglich die Angaben wiederholt, die die Klägerin gemacht hat, ohne dass die Richtigkeit dieser Angaben bewiesen wäre. Wenn Dr. H. auf S. 19 seines Gutachtens ausführt, „im September 2005 lag nach dem Bericht von Herrn B. eine Episode mit unklaren Gliederschmerzen und unnatürlicher Erschöpfung vor“, stellt diese Feststellung eine eklatante Verdrehung der Tatsachen dar und kann nur als eindeutiger Beleg für ein nicht nur unwissenschaftliches, sondern sogar unseriöses Vorgehen des Dr. H. gewertet werden. Denn im Gutachten des Versorgungsarztes B. vom 07.11.2013 weist dieser auf S. 5 ausdrücklich darauf hin, dass die Klägerin bei seiner Untersuchung „berichtet“ habe, im September 2005 einen Erschöpfungstatbestand entwickelt zu haben, diese Angabe aber „in deutlichem Widerspruch“ zu den Angaben der Klägerin bei zeitnahen Behandlungen stehe - so Herr B. nur 7 Zeilen weiter unten! Für den Senat lässt sich diese - für die Klägerin vermeintlich hilfreiche - Verdrehung der Tatsachen nicht mit einer Nachlässigkeit des Gutachters erklären, sondern kann nur als Beleg für eine bewusst-manipulative Gutachtenserstellung gewertet werden, die eine Verwertbarkeit von Gutachten dieses Arztes grundsätzlich in Frage stellt. Diese Bedenken gegenüber der gutachtlichen Arbeitsweise des Dr. H. werden noch dadurch verstärkt, das Dr. H. - dem geschilderten Schema folgend - die (unrichtige) Feststellung trifft, dass erstmals im November 2005 in mehreren ärztlichen Berichten eine muskuläre Schwäche der Klägerin beim Gehen beschrieben worden sei. Tatsächlich gibt es aber keinen einzigen ärztlichen Bericht, in dem eine solche Schwäche bereits im November 2005 beschrieben worden wäre. Vielmehr gibt es nur ärztliche Berichte aus dem Jahr 2006 und später darüber, dass die Klägerin angegeben habe, im November 2005 unter einer solchen Schwäche gelitten zu haben. Auch hier stellt sich wieder die Frage, ob nicht von einem bewusst manipulativen Vorgehen des Dr. H. ausgegangen werden muss. Von einem dokumentierten Beginn der Erkrankung wenige Wochen nach der (zudem nicht streitgegenständlichen) Impfung vom 29.09.2005 kann daher entgegen den anders lautenden Ausführungen des Dr. H. keine Rede sein.

Auch kann die Argumentation des Dr. H. nicht überzeugen, wenn dieser versucht, eine Impfkomplikation daraus herzuleiten, dass eine impftypische Reaktion länger als normal angehalten habe und daher eine Impfkomplikation vorliege. Ganz abgesehen davon, dass die Annahme, dass sich aus einer üblichen Impfreaktion eine Impfkomplikation allein durch Zeitablauf entwickeln könne, für den Senat so nicht nachvollziehbar ist, beruht die Annahme des Dr. H. auch darauf, dass er nicht nachgewiesene und für den Senat sogar widerlegte Tatsachen als gegeben zu Grunde legt. Denn die Annahme des Dr. H., dass sich die üblichen Impfreaktionen nicht zurückgebildet, sondern im Laufe der Zeit immer mehr verschlimmert hätten, ist durch keinen einzigen ärztlichen Befund belegt. Vielmehr ist durch die Angaben der Klägerin am Tag der zweiten Impfung (21.07.2005), wie sie ihr behandelnder Arzt dokumentiert hat, sogar widerlegt, dass sich die übliche Impfreaktion nicht zurückgebildet hätte. So hat Dr. R. ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Klägerin zwar über eine lokale Schwellung und Rötung nach der ersten Impfung berichtet habe, diese aber am 21.07.2005, also bei der zweiten Impfung, bereits wieder abgeklungen gewesen seien. Insofern sind die Angaben der Klägerin, die sie im Laufe des Verfahrens und insbesondere auch bei der Begutachtung durch Dr. H. gemacht hat, als unrichtig widerlegt. Dafür, dass der Beschwerdeverlauf nach der zweiten Impfung anders gewesen wäre als der nach der ersten Impfung, bei der eine übliche Impfreaktion aufgetreten und - ebenso wie üblich - wieder abgeklungen ist, gibt es keine Belege. Einzig die Klägerin hat im Laufe des Verfahrens ihre Angaben dahingehend angepasst und modifiziert. Ein derartiger Verlauf würde auch in Widerspruch stehen zu den ersten, auch schon modifizierten Angaben der Klägerin, wie sie diese im Laufe des Jahres 2006 aufgestellt hat. So hat sie nach den Behandlungen durch den Nervenarzt R. und die Orthopädin Dr. S. angegeben, dass der Beschwerdebeginn im November 2005 erfolgt sei. Die zuletzt auch bei Dr. H. erfolgte Modifikation des Beschwerdeverlaufs dahingehend, dass sich bereits ab den Impfungen durchgehend eine Verschlechterung eingestellt hätte, ist damit schon durch die zuvor von der Klägerin bereits modifizierten Angaben widerlegt. Insgesamt ist der Senat zu der Einschätzung gekommen, dass den Angaben der Klägerin mit umso größeren Vorbehalten zu begegnen ist, umso später diese gemacht worden sind.

Sofern die Klägerin zuletzt in der mündlichen Verhandlung versucht hat, dem Senat einen früheren Beginn des Krankheitsverlaufs dadurch zu suggerieren, dass sie angegeben hat, sie gehe grundsätzlich kaum zum Arzt und sei im Februar 2006 erst dann zum Arzt gegangen, als sie kaum noch hätte laufen können, sind auch diese Angaben der Klägerin durch die vorliegenden ärztlichen Berichte widerlegt. So ist den Behandlungsunterlagen des Dr. R. zu entnehmen, dass die Klägerin - erstmals nach dem Behandlungstermin am 29.09.2005 - am 13.02.2006 bei ihm in der Praxis war und dort Parästhesien beider Daumen und der Füße sowie eine Kraftlosigkeit angegeben habe. Dr. R. hat dabei aber eine seitengleich grobe Kraft festgestellt und keinerlei Befunde beschrieben, die an ein massiv eingeschränktes Gehvermögen denken lassen könnten.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Anerkennung eines Impfschadens schon daran scheitert, dass sich eine Impfkomplikation nicht im Vollbeweis nachweisen lässt.

Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass auch dann, wenn auf das Erfordernis des Primärschadens verzichtet würde, was der Senat aus Rechtsgründen nicht für vertretbar hält (vgl. oben), eine Anerkennung als Impfschaden aus Kausalitätsgründen scheitern würde. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Gutachten des Prof. Dr. J., sondern auch aus dem Gutachten des von der Klägerin benannten Sachverständigen Dr. H.:

- Der im erstinstanzlichen Verfahren gehörte Gutachter Prof. Dr. J. hat ausführlich und überzeugend und unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstands erläutert, dass das bei der Klägerin vorliegende Krankheitsgeschehen unabhängig von den Impfungen ist. Sowohl die aktuellen Kenntnisse über die Pathogenese der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie als auch das Wissen über Verträglichkeit und mögliche Komplikationen nach den durchgeführten Impfungen und schließlich der große zeitliche Abstand zwischen Impfung und dem ersten Auftreten von Symptomen eines Guillain-Barre-Syndroms bzw. einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie sprechen ganz klar gegen einen kausalen Zusammenhang zwischen den Impfungen und der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung. Diese Ausführungen des Sachverständigen kann sich der Senat vorbehaltslos zu eigen machen.

- Aber auch nach den Feststellungen im Gutachten des von der Klägerin gemäß § 109 SGG benannten Sachverständigen Dr. H., das nicht nur den bereits aufgezeigten Bedenken begegnet, sondern auch unter massiven Mängel leidet - beispielsweise legt er nicht den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zu Impfzusatzstoffen zugrunde (vgl. ausführlich Urteil des Senats vom 18.05.2017, L 20 VJ 5/11 - m.w.N.) und führt seine Beurteilung nicht nach den Maßgaben des deutschen Impfschadensrechts durch, weil er diese Vorgaben für falsch hält -, müsste der für die Anerkennung eines Impfschadens erforderliche kausale Zusammenhang verneint werden. Zum einen legt Dr. H. selbst zu Grunde, dass sich nach den impfschadensrechtlichen Anforderungen im deutschen Recht, wie sie ihm auch im Gutachtensauftrag aufgezeigt worden sind, ein Zusammenhang im vorliegenden Fall nicht herstellen lässt. Er weicht daher auf Kriterien der WHO aus, die aber nach deutschem Impfschadensrecht unmaßgeblich sind. Zudem - auch dies zeigt er auf - dürfte auch bei Zugrundelegung der WHO-Anforderungen ein kausaler Zusammenhang nicht bejaht werden, weil der nach den WHO-Kriterien erforderliche erfolgreiche Expositionsversuch nicht durchgeführt worden ist. Dass aus Rücksicht auf die Gesundheit der Klägerin von einem derartigen Expositionsversuch im Rahmen der Begutachtung durch Dr. H. abgesehen worden ist, ist für den Senat zwar verständlich. Gleichwohl kann der Senat nicht nachvollziehen, warum Dr. H. wiederum von den von ihm selbst als maßgeblich bezeichneten WHO-Kriterien abweicht und trotz nicht vollständiger Erfüllung der von ihm selbst als erforderlich aufgezeigten Voraussetzungen einen Kausalzusammenhang bejaht. Schließlich weist Dr. H. selbst darauf hin, dass von einem plausiblen Zeitintervall für den Beginn einer demyelinisierenden Erkrankung des peripheren und zentralen Nervensystems nach einer Impfung nur dann auszugehen sei, wenn dieses nicht mehr als 42 Tage betrage. Dieses Zeitintervall war nach den Impfungen am 06.06.2005 und 21.07.2005 auch dann weit überschritten, wenn von den - nicht belegten - verhältnismäßig zeitnah zu den Impfungen gemachten Angaben der Klägerin ausgegangen würde, dass sie im November 2005 erste Gefühlsstörungen an Füßen und Händen gehabt hätte.

Die Berufung kann daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. April 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. In einem vorangegangenen Berufungsverfahren hat das LSG mit Urteil vom 10.4.2013 einen Anspruch des Klägers auf Leistungen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz wegen geltend gemachter Folgen von am 12.7.1995 und 15.10.1996 durchgeführter Schutzimpfungen verneint. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger bei den Impfungen eine gesundheitliche Schädigung im Sinne einer unüblichen Impfreaktion erlitten habe, die zu einem globalen Entwicklungsrückstand als Impfschaden geführt habe. Auf die Beschwerde des Klägers hat das BSG mit Beschluss vom 14.11.2013 (B 9 V 33/13 B) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, weil das LSG das Paul-Ehrlich-Institut (Prof. Dr. C.) nicht zu Einwänden des Klägers ergänzend befragt hat. Dementsprechend hat das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren Auskünfte bei Prof. Dr. C. und Prof. Dr. V. eingeholt und Prof. Dr. D., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Prof. Dr. D. hat eine vorläufige Stellungnahme erstattet und eine Fachinformation für Ärzte und Apotheker 1995 zu den Impfstoffen sowie einen Gutachtenentwurf übersandt.

2

Mit Urteil vom 26.4.2017 hat das LSG erneut einen Anspruch des Klägers verneint, weil nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne, dass bei dem Kläger nach einer der Impfungen vom 12.7.1995 bis zum 3.11.1997 eine Primärschädigung im Sinne einer Impfkomplikation aufgetreten sei. Es fehle am Nachweis einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung. Sei eine solche das übliche Ausmaß übersteigende gesundheitliche Schädigung im Nachgang einer Impfung nicht erwiesen, so stelle sich vorliegend die Frage nach einem Kausalzusammenhang zwischen Impfung und Primärschädigung nicht. Weiterer Ermittlungen zum Vorliegen einer Impfkomplikation im Gegensatz zu einer bloßen üblichen Impfreaktion habe es daher nicht bedurft. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 26.4.2017 zuletzt noch gestellten Beweisanträge seien daher abzulehnen.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG erneut Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung sowie von Verfahrensmängeln begründet.

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden(§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

5

1. Grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist, und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1.) eine bestimmte Rechtsfrage, (2.) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3.) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4.) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

6

Der Kläger hält folgende Frage für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung:

        

"Gebietet die Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG zu ermitteln

        

a)    

welche dauerhafte Gesundheitsschädigung vorliegt,

        

b)    

wie wahrscheinlich die Verursachung der dauerhaften Gesundheitsschädigung durch die Impfung ist,

        

c)    

ob Alternativursachen für die Verursachung der dauerhaften Gesundheitsschädigung ersichtlich sind,

        

wenn eine Primärschädigung nicht erkennbar zutage getreten ist?"

7

Ob der Kläger damit eine Rechtsfrage hinreichend bezeichnet hat, die auf die Auslegung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals abzielt (vgl Becker, SGb 2007, 261, 265 zu Fn 42 mwN), kann hier dahinstehen. Er hat bereits die höchstrichterliche Klärungsbedürftigkeit dieser von ihm aufgestellten Frage nicht dargetan. Es fehlt insbesondere eine Auseinandersetzung mit den Vorschriften des Bundesseuchengesetzes (BSeuchG) und des IfSG (hier insbesondere § 2 Nr 11 IfSG), nach denen eine Schutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen (Primär-)Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche (Sekundär-)Schädigung vorliegen müssen, wobei letztere nach § 2 Nr 11 IfSG als Impfschaden definiert wird, während Impfschaden nach der abweichenden Terminologie des BSeuchG die Primärschädigung bezeichnet(vgl hierzu auch BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VJ 1/10 R - SozR 4-3851 § 60 Nr 4 RdNr 35 ff). Zudem hätte es einer Darlegung der Beweisanforderungen bedurft (vgl hierzu insgesamt BSG, aaO; BSG Urteil vom 19.3.1986 - 9a RVi 2/84 - BSGE 60, 58 = SozR 3850 § 51 Nr 9), wie diese in der angefochtenen Entscheidung des LSG (S 21 des Urteils) bereits ausgeführt worden sind, um eine Sachaufklärungsrüge nach § 103 SGG im Rahmen einer grundsätzlichen Bedeutung als Rechtsfrage zu formulieren. Aber auch insoweit hat sich die Beschwerde weder mit den tatbestandlichen Voraussetzungen noch mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG auseinandergesetzt, nach der der Nachweis einer Primärschädigung im Vollbeweis geführt werden muss und deshalb Ermittlungen zur Kausalität auf der Grundlage des abgesenkten Beweismaßstabs der Wahrscheinlichkeit für einen Nachweis "nicht erkennbar zutage getretener Primärschädigungen" nicht ausreichen.

8

Unabhängig davon hat der Kläger auch die Entscheidungserheblichkeit seiner vermeintlichen Rechtsfrage nicht dargelegt, da nach Auffassung des LSG unter Würdigung des gesamten Sach- und Streitstandes aufgrund des schriftlichen Gutachtens nebst ergänzender Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. von Vo. sowie des Ergebnisses von dessen persönlicher Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 10.4.2013 eine Primärschädigung im Sinne des Gesetzes nicht vorliege. Durchgreifende Verfahrensrügen gegen die zugrunde liegenden Feststellungen sind der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen (dazu sogleich).

9

2. Der Kläger bezeichnet auch einen Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf den Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers stützt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr, vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36; BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 13 RdNr 4 mwN). Geltend gemacht werden kann nur ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und - entgegen der Vorstellung des Klägers - 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

10

a) Die Beschwerdebegründung befasst sich umfangreich mit der Darlegung vermeintlicher Aufklärungsmängel (§ 103 SGG) durch das LSG ohne zuvor den Sachverhalt und den gesamten Verfahrensgang darzustellen. "Bezeichnet" iS des § 160a Abs 2 S 3 SGG ist ein Verfahrensmangel allerdings nur dann, wenn er in den ihn begründenden Tatsachen substantiiert dargetan wird(BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Dies wird aber nur dann erkennbar, wenn zuvor diese Tatsachen im Zusammenhang mit dem Verfahrensgang dargestellt und einer rechtlichen Wertung unterzogen werden. Hieran fehlt es. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, aus der Beschwerdebegründung unter Heranziehung von Verwaltungs- und Prozessakten das herauszusuchen, was möglicherweise - bei wohlwollender Auslegung - zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte (BSG, aaO). Sofern der Kläger eine erneute Anhörung von Dr. H. begehrt, scheitert dieses Vorhaben im Rahmen der Beschwerde bereits an dem Umstand, dass nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG gestützt werden kann. Unabhängig davon beschäftigt sich die Beschwerdebegründung auch nicht mit dem Umstand, dass Dr. H. sein Gutachten bereits vor dem SG erstattet hat und schon deshalb eine weitere Anhörung ohnehin nur unter den Voraussetzungen einer notwendigen Anhörung nach Maßgabe des § 411 Abs 3 ZPO verlangt werden konnte(vgl BSG Beschluss vom 3.3.1999 - B 9 VJ 1/98 B; BSG Beschluss vom 25.10.2012 - B 9 SB 18/12 B - Juris RdNr 7; dazu sogleich).

11

b) Darüber hinaus hat der Kläger auch nicht dargelegt, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung des LSG vom 26.4.2017 gestellt zu haben. Die von ihm wiedergegebenen Anträge zu Ziff 1 b, c, 2 c, d, 4, 5 und 6 bezeichnen zwar einzelne Punkte hinsichtlich derer weiterer Beweis erhoben werden soll. Denn Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Um in der aktuellen Prozesssituation ein Beweisthema für das LSG hinreichend genau zu bezeichnen, hätte der Kläger aber zusätzlich angeben müssen, warum gerade diese Punkte weiter klärungsbedürftig sein sollten. Denn je mehr Aussagen von Sachverständigen oder (sachverständigen) Zeugen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen eingehen (BSG Beschluss vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - Juris RdNr 11 mwN). Angesichts dessen reicht es nicht aus, auf weitere Ermittlungserfordernisse hinsichtlich der beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen sowie deren Verursachung durch die Impfungen zu verweisen, da zu diesen Themenkomplexen bereits mehrere Sachverständigengutachten vorlagen. Die erneuten Anträge des Klägers hinsichtlich der streitgegenständlichen Impfstoffe und deren Verursachung der Entwicklungsretardierung beim Kläger sowie zu der unzureichenden Gewichtszunahme des Klägers nach allen Impfungen, die Einholung einer Stellungnahme eines impfschadensrechtlich erfahrenen Gutachters, eines toxikologischen Gutachtens und immunologischen Gutachtens waren insgesamt nicht dazu geeignet, dem Berufungsgericht noch klärungsbedürftige Punkte aufzuzeigen und es damit zu weiteren Ermittlungen zu veranlassen.

12

Die Beschwerde legt nicht schlüssig dar, warum die Anträge des Klägers das LSG hätten zu weiterer Beweiserhebung drängen müssen. Dazu hätte es der Darlegung bedurft, warum das Gericht objektiv gehalten gewesen war, den Sachverhalt weiter aufzuklären und den beantragten Beweis zu erheben (vgl BSG Beschluss vom 29.4.2010 - B 9 SB 47/09 B - Juris). Daran fehlt es hier. Die Würdigung voneinander abweichender Gutachtenergebnisse oder ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Diese ist von dem LSG als letztes Tatsachengericht durchzuführen (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) und kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG). Eine Verpflichtung zur Einholung eines sog Obergutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen (BSG Beschluss vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - Juris RdNr 13 mwN). Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8). Gründe für eine Ausnahme sind hier nicht dargelegt. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten ungenügend sind, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben(vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9 mwN). Derartige Gründe hat die Beschwerde nicht dargelegt.

13

Die Beschwerde hat nicht substantiiert dargelegt, warum die Gewichtung der unterschiedlichen Befunde dem LSG misslungen sein sollte. Das Tatsachengericht braucht jedenfalls dann kein weiteres Gutachten einzuholen, wenn der Kläger bereits nicht darlegt, dass sich die Tatsachengrundlagen der Gutachten widersprechen. Selbst widersprüchliche Tatsachenfeststellungen verschiedener Gutachten erzwingen nicht bereits ein weiteres Gutachten, um den Widerspruch aufzulösen. Beruhen vielmehr die Differenzen zwischen den Auffassungen von Sachverständigen darauf, dass diese von verschiedenen tatsächlichen Annahmen ausgehen, dann muss der Tatrichter, ggf nach weiterer Aufklärung, die für seine Überzeugungsbildung maßgebenden Tatsachen feststellen oder begründen, weshalb und zu wessen Lasten sie beweislos geblieben sind (vgl BGH Urteil vom 23.9.1986 - VI ZR 261/85). Diese letztgültige Feststellung der maßgeblichen Anknüpfungs- bzw Befundtatsachen muss nicht zwingend durch ein weiteres Gutachten, sondern kann in freier Beweiswürdigung der von den Sachverständigen (oder sonst) festgestellten Tatsachen erfolgen. Haben die Sachverständigen unterschiedliche Befunde erhoben, so obliegt es grundsätzlich dem Tatsachengericht, die Aussagekraft der erhobenen Befunde anhand nachvollziehbarer Kriterien zu gewichten, soweit es dazu nicht auf medizinische Sachkunde zurückgreifen muss, die ihm die Sachverständigen im zu entscheidenden Fall nicht vermittelt haben und über die es auch sonst nicht verfügt. Insoweit hätte es im Rahmen der Beschwerde vorrangig der Darlegung bedurft, weshalb hinsichtlich der Beweisanträge die dort postulierten Anknüpfungstatsachen in Form des schwallartigen Erbrechens nach sämtlichen Impfungen entgegen der auf den Zeugenaussagen basierenden Wertung des LSG als erwiesen zu erachten sind. Der bloße Hinweis darauf, dass es für den Nachweis eines Primärschadens ausreichend sei, wenn die Primärschädigung im Verborgenen eintrete und nicht erkennbar zutage trete, reicht insoweit nicht aus. Ausgehend von der materiellen Rechtsauffassung des LSG ist ein Primärschaden unter diesen Umständen gerade nicht nachgewiesen, sodass mangels Feststellung der Anknüpfungstatsachen die genannten Beweisanträge unerheblich sind. Die Beschwerde legt nicht substantiiert dar, warum die nachvollziehbare Argumentation des LSG, die den Kernbereich der grundsätzlich der Tatsacheninstanz vorbehaltenen Tatsachenwürdigung betrifft, offensichtlich fehlsam gewesen sein könnte.

14

Nichts anderes gilt hinsichtlich der übrigen Beweisanträge. Das LSG hat sich auf die schriftlichen und mündlichen Äußerungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. von Vo. gestützt, dessen Gutachten auch im Rahmen der Beschwerde nicht als "ungenügend" iS von § 412 Abs 1 ZPO gerügt wird. Soweit das LSG die gutachterlichen Ausführungen deshalb für überzeugend halten durfte, musste es sich nicht gedrängt sehen, weitere sachverständige Stellungnahmen oder Gutachten einzuholen. Ausgehend von der materiellen Rechtsauffassung des LSG zum Primärschaden und mangels durchgreifender Rügen zu den festgestellten Anknüpfungstatsachen fehlt eine plausible Darlegung, wieso es auf die weiter unter Beweis gestellten Umstände noch hätte ankommen können. Tatsächlich kritisiert der Kläger die Beweiswürdigung des LSG (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG), womit er nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein eine Revisionszulassung nicht erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzureichende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

15

c) Auch die Verletzung rechtlichen Gehörs hat der Kläger nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Ein solcher Verstoß liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen miteinzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Dementsprechend sind insbesondere Überraschungsentscheidungen verboten (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 62 RdNr 8b mwN). Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Ferner ist Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 21 S 35; vgl auch BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

16

Der Kläger hat nicht substantiiert dargelegt, warum die unterbliebene Anhörung der von ihm benannten Sachverständigen Prof. Dr. D. sowie Dr. H. eine Gehörsverletzung darstellt. Unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, steht den Beteiligten gemäß § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO grundsätzlich das Recht zu, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten(BVerfG Beschluss vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273 - Juris RdNr 11; vgl auch BSG Beschluss vom 12.12.2006 - B 13 R 427/06 B - Juris RdNr 7; BGH Urteil vom 7.10.1997 - VI ZR 252/96 - NJW 1998, 162, 163 - Juris RdNr 10 - alle mwN). Dabei reicht es aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen (BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1 S 4; BVerwG Beschluss vom 19.3.1996 - 11 B 9/96 - NJW 1996, 2318), zB auf Lücken oder Widersprüche hinzuweisen. Einwendungen in diesem Sinne sind dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen (vgl § 411 Abs 4 ZPO). Eine Form für die Befragung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sodass sie sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen kann. Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen zudem deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35). Dieser Obliegenheit ist ein Beteiligter jedenfalls dann nachgekommen, wenn er rechtzeitig den Antrag gestellt hat, einen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören und er schriftlich Fragen im oben dargelegten Sinne angekündigt hat, die objektiv sachdienlich sind; liegen diese Voraussetzungen vor, muss das Gericht dem Antrag folgen, soweit er aufrechterhalten bleibt (vgl BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 4 RdNr 5). Die Beschwerde thematisiert schon nicht, ob das Fragerecht gegenüber dem erstinstanzlichen Sachverständigen vor dem LSG überhaupt noch bestanden habe (vgl BSG Beschluss vom 3.3.1999 - B 9 VJ 1/98 B - aaO) bzw gegenüber Prof. Dr. D. mangels eines schriftlichen Gutachtens überhaupt entstanden sein könnte.

17

Jedenfalls hat die Beschwerde auch nicht ausreichend dargelegt, warum die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung am 26.4.2017 formulierten Fragen an die Sachverständigen Prof. Dr. D. und Dr. H. überhaupt noch erläuterungsbedürftig waren, nachdem die Sachverständigen zu diesen Punkten bereits Stellungnahmen abgegeben hatten und Stellungnahmen von anderen Sachverständigen vorgelegen haben. Darüber hinaus wäre es erforderlich gewesen darzulegen, weshalb es auf die Klärung dieser Fragen ausgehend von der materiellen Rechtsauffassung des LSG zum Primärschaden und mangels durchgreifender Rügen zu den festgestellten Anknüpfungstatsachen noch ankommen konnte (aaO). Tatsächlich zielt der Antrag des Klägers ersichtlich darauf ab, das LSG nochmals von seiner abweichenden Rechtsauffassung und Tatsachenwürdigung zu überzeugen. Damit wendet sich der Kläger, wie oben bereits angeführt, tatsächlich gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, welche sich der Beurteilung durch das Revisionsgericht entzieht (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG), und rügt Fehler in der Rechtsanwendung, auf die es im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht ankommt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

18

3. Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

19

4. Die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG).

20

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 anerkannt werden. Die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(1) Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die herbeigeführt worden sind durch

a)
eine unmittelbare Kriegseinwirkung,
b)
eine Kriegsgefangenschaft,
c)
eine Internierung im Ausland oder in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden deutschen Gebieten wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit,
d)
eine mit militärischem oder militärähnlichem Dienst oder mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist,
e)
einen Unfall, den der Beschädigte auf einem Hin- oder Rückweg erleidet, der notwendig ist, um eine Maßnahme der Heilbehandlung, eine Badekur, Versehrtenleibesübungen als Gruppenbehandlung oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 26 durchzuführen oder um auf Verlangen eines zuständigen Leistungsträgers oder eines Gerichts wegen der Schädigung persönlich zu erscheinen,
f)
einen Unfall, den der Beschädigte bei der Durchführung einer der unter Buchstabe e aufgeführten Maßnahmen erleidet.

(3) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(4) Eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte Schädigung gilt nicht als Schädigung im Sinne dieses Gesetzes.

(5) Ist der Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben, so erhalten seine Hinterbliebenen auf Antrag Versorgung. Absatz 3 gilt entsprechend.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen Folgen einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) sind.

2

Der 1942 geborene Kläger war vom 1.10.1959 bis 30.9.1963 bei der Bundeswehr Soldat auf Zeit, dabei zuletzt als Radarflugmelder eingesetzt.

3

Im Juli 2001 beantragte der Kläger beim beigeladenen Land die Gewährung von Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Er machte geltend, die bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen seien Folgen einer WDB, denn er sei an den Radarüberwachungsgeräten mit Leuchtschriften in Kontakt gekommen und einer zu hohen Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen. Das Amt für Versorgung und Soziales Halle übersandte den Antrag samt Akte an die Wehrbereichsverwaltung V (Süd), weil diese nach § 88 Abs 1 und 2 SVG für die Erstentscheidung zuständig sei.

4

Nachdem die vom Bundesministerium der Verteidigung eingesetzte Radarkommission am 2.7.2003 ihren Bericht vorgelegt hatte, lehnte die beklagte Bundesrepublik Deutschland sowohl die Feststellung der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen "dilatative Kardiomyopathie mit linksventrikulärer Pumpstörung, Herzrhythmusstörungen" als Folgen einer WDB iS des § 81 SVG als auch die Gewährung von Ausgleich nach § 85 SVG ab(Bescheid vom 21.11.2003). Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen gehörten nicht zu den qualifizierenden Krankheiten aufgrund ionisierender Strahlung im Sinne des Berichts der Radarkommission. Ein Ursachenzusammenhang zwischen einer etwaigen Strahleneinwirkung während der dienstlichen Tätigkeit und den Erkrankungen sei somit auszuschließen.

5

Das beigeladene Land versagte daraufhin unter Berufung auf die Bindungswirkung der Entscheidung der Beklagten auch die Gewährung von Leistungen der Beschädigtenversorgung (Bescheid vom 30.1.2004).

6

Nachdem der Kläger im Widerspruchsverfahren weitere Gesundheitsstörungen geltend gemacht hatte, die er ursächlich auf die Strahlenbelastung während seiner Dienstzeit bei der Bundeswehr zurückführte, lehnte die beklagte Bundesrepublik Deutschland außerdem die Feststellung der Gesundheitsstörungen "beginnender Altersstar beidseits, multiple Bandscheibenvorfälle in allen Wirbelsäulenabschnitten, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, beginnende Gelenkversteifungen in den oberen und unteren Extremitäten, rezidivierende Nerven- und Muskelreizerscheinungen, Impotenz, wiederkehrende Sehstörungen, chronische Nasennebenhöhlenentzündungen bei Nasenscheidewandfehlstellung" als Folgen einer WDB sowie auch insoweit die Gewährung eines Ausgleichs ab (Bescheid vom 22.2.2006). Zwar habe die ausgeübte Tätigkeit zu den qualifizierenden Tätigkeiten gehört, bei denen Personen einer gesundheitsschädigenden Strahleneinwirkung ausgesetzt gewesen seien. Ebenso liege mit dem Katarakt (grauer Star) eine qualifizierende Krankheit vor, für die ionisierende Strahlung ursächlich sein könnte. Bei einer Zeitspanne von 40 Jahren zwischen der dienstlichen Verwendung und der erstmaligen Diagnose dieser Erkrankung könne jedoch kein ursächlicher Zusammenhang hergestellt werden.

7

Die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 21.11.2003 und 22.2.2006 wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 19.6.2006).

8

Der Kläger hat zur Begründung seiner dagegen erhobenen Klage ua vorgetragen: Er sei während seiner Dienstzeit als Operator und Controller Röntgenstrahlen, radioaktiver Strahlung aus der Leuchtfarbe Ra 226 und gepulster Hochfrequenz (elektromagnetischer Strahlung) ausgesetzt gewesen. Diese Strahlungen hätten ab 1961 Krankheitsbilder verursacht (zunächst Probleme im Magenbereich, Krämpfe, Erbrechen, Durchfall, Blut teilweise im Stuhl). Schon während des Wehrdienstes habe er auch Probleme mit den Augen gehabt (Lichtempfindlichkeit, Tränen, Augenbrennen). Seit 1975 bestünden Sehstörungen. Seit Anfang der achtziger Jahre trage er eine Brille.

9

Das SG Dessau hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.1.2007). Zur Begründung seiner dagegen eingelegten Berufung hat der Kläger im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Klageverfahren wiederholt. Er hat in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG Sachsen-Anhalt beantragt, (1) das Urteil des SG sowie die Bescheide der beklagten Bundesrepublik Deutschland aufzuheben, (2) bei ihm festzustellen, dass die von ihm geltend gemachten Gesundheitsstörungen Folgen einer WDB sind, und (3) das beigeladene Land zu verurteilen, ihm ab 1.7.2001 Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 30 zu gewähren.

10

Das LSG hat unter Abänderung der Entscheidung des SG die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen und die gegen den Beigeladenen gerichteten Klagen abgewiesen (Urteil vom 7.8.2008). Zur Begründung hat es ua ausgeführt:

11

Die gegen die beklagte Bundesrepublik Deutschland gerichtete Anfechtungsklage sei zulässig und begründet. Diese sei zu einer Entscheidung über einen Ausgleich nach § 85 Abs 1 SVG nicht befugt gewesen, denn insoweit fehle es schon an einem rechtlich beachtlichen Antrag. Sie sei auch nicht befugt gewesen, durch Verwaltungsakt festzustellen, dass die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht Folgen einer WDB iS des § 81 SVG seien. Nach dem Urteil des BSG vom 5.7.2007 - B 9/9a VS 3/06 R - sei die Bundeswehrverwaltung für die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörung Folge einer WDB sei, nur zuständig, soweit Leistungen nach § 41 Abs 2, §§ 85, 86 SVG in Betracht kämen. Feststellende Verwaltungsakte zu Zusammenhangsfragen dürfe die Beklagte nur erlassen, wenn sie für die betreffende Leistungsbewilligung zuständig sei. Hier begehre der Kläger jedoch die Gewährung von Leistungen der Beschädigtenversorgung nach § 80 BVG; hierfür sei das beigeladene Land zuständig.

12

Der Einwand der Beklagten, das Urteil des BSG vom 5.7.2007 könne für die Beurteilung der Zuständigkeit bei ehemaligen Berufs- und Zeitsoldaten nicht herangezogen werden, weil die Wehrverwaltung bei diesen nach § 88 Abs 2 Satz 1 Buchst a SVG immer die "Erstentscheidungsbefugnis" habe, greife nicht durch. Diese Regelung betreffe nur die zeitliche Reihenfolge der Entscheidungen. Zudem seien die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen erst nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses eingetreten. Die Beklagte könne sich auch nicht auf den Rechtsstandpunkt zurückziehen, sie sei zu einer auf das Vorliegen einer WDB beschränkten Feststellung berechtigt, denn sie habe in den angefochtenen Bescheiden über die Folgen einer WDB entschieden.

13

Aus der Rechtsprechung des BSG ergebe sich nichts anderes. Diese habe zwar für das nach § 55 Abs 1 Nr 3 SGG erforderliche Feststellungsinteresse die Besorgnis von Spätschäden ausreichen lassen(BSG, Urteil vom 16.3.1994 - 9 RV 2/93). Soweit ersichtlich, sei jedoch in allen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschiedenen Fällen die Gesundheitsstörung schon während der Dienstzeit eingetreten. Für die Begründung der Zuständigkeit der beklagten Bundesrepublik Deutschland reiche es nicht aus, dass der Kläger Jahrzehnte nach dem Dienstende behaupte, schon während der Dienstzeit seien Beschwerden aufgetreten, die er auf die Einwirkung von Strahlen zurückführe. Denn der Zweck eines von der Bundeswehrverwaltung durchgeführten Feststellungsverfahrens, wegen möglicher Spätschäden rechtzeitig Beweis zu sichern, sei nicht mehr erreichbar.

14

Die Beklagte könne sich schließlich auch nicht auf eine einheitliche Rechtsauffassung aller mit der Versorgung befassten Behörden berufen. Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherheit sei in seinem Rundschreiben vom 20.10.2003 von Fällen einer Erstentscheidung durch die Versorgungsverwaltung bei lange zurückliegenden Schädigungen durch den Betrieb von Radargeräten der Bundeswehr ausgegangen; es habe angeordnet, dass in diesen Fällen die Bundeswehrverwaltung um Sachverhaltsaufklärung und Amtshilfe zu bitten sei.

15

Die mit der Anfechtungsklage verbundene, gegen die Beklagte gerichtete Feststellungsklage sei zwar nach § 55 Abs 1 Nr 3 SGG statthaft, es fehle jedoch wegen der mangelnden Entscheidungsbefugnis der Beklagten das erforderliche Feststellungsinteresse.

16

Die gegen das beigeladene Land gerichteten Klagen seien ebenfalls unzulässig. Für die erstmals vor dem LSG erhobene Leistungsklage seien schon die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 75 Abs 5 SGG nicht erfüllt. Im Übrigen fehle es an der Durchführung eines vorherigen Vorverfahrens gemäß § 78 SGG, denn das beigeladene Land habe den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 30.1.2004 noch nicht beschieden.

17

Der Senat sei zwar nicht gehindert, über die vom Kläger nachrangig gegen das beigeladene Land gerichtete Feststellungsklage nach § 75 Abs 5 SGG zu entscheiden. Der Gesetzgeber habe jedoch die Verurteilung des beigeladenen Landes in das Ermessen des Gerichts ("kann") gestellt. Der Zweck dieser Vorschrift, aus prozessökonomischen Gründen einen neuen Rechtsstreit zu vermeiden, rechtfertige eine Durchbrechung des Grundsatzes, dass dem sozialgerichtlichen Verfahren ein förmliches Vorverfahren vorauszugehen habe, dann nicht, wenn das Ziel der Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes und der Durchsetzung des materiellen Rechts ohne ein vorangegangenes Verwaltungsverfahren schwerer erreichbar sei. Eine Prognose der aus rechtlicher Sicht noch erforderlichen Sachaufklärung ergebe hier, dass eine umfassende Sachprüfung durchzuführen sei, für die das Vorverfahren geeigneter sei als das gerichtliche Verfahren. Der Senat habe zwar kaum Zweifel, dass die Beklagte im Ergebnis zutreffend entschieden habe, dass die Katarakt-Erkrankung, die beim Kläger allein als qualifizierende Krankheit im Sinne des Berichts der Radarkommission in Betracht komme, nicht Folge einer WDB durch Strahleneinwirkung sei. Es fehle jedoch bislang an einer Prüfung, ob die vom Kläger neben der Katarakt-Erkrankung als WDB-Folgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen mit Wahrscheinlichkeit durch Strahleneinwirkungen bei Dienstverrichtungen an Radargeräten verursacht worden seien.

18

Kläger und Beklagte haben jeweils die vom Senat zugelassene Revision eingelegt.

19

Der Kläger rügt mit seiner Revision sinngemäß eine Verletzung des § 88 Abs 2 Satz 1 Buchst a SVG. Die beklagte Bundesrepublik Deutschland sei für die Feststellung der WDB zuständig gewesen. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung sei die Bundeswehrverwaltung auch nach Beendigung des Wehrdienstes bei Soldaten auf Zeit für die Erstentscheidung zuständig, wenn Ansprüche nach § 41 Abs 2 SVG sowie den §§ 85, 86 SVG infrage kämen. Dieser Wortlaut sei dahingehend auszulegen, dass die Bundeswehrverwaltung für die Feststellung einer WDB zuständig sei, die Versorgungsverwaltung für die Entscheidung über die zu gewährenden Leistungen. Soweit sich das LSG auf die Entscheidung des BSG vom 5.7.2007 - B 9/9a VS 3/06 R - stütze, habe dieser Fall einen Wehrdienstleistenden und nicht - wie bei ihm - einen Soldaten auf Zeit betroffen.

20

Weiter rügt der Kläger eine Verletzung des § 75 Abs 5 SGG. Nach dieser Vorschrift könne ein Land nach notwendiger Beiladung verurteilt werden. Die Verurteilung sei nicht unbedingt auf eine Verurteilung zur Leistung beschränkt. Das LSG habe deshalb auch zutreffend festgestellt, dass es nach § 75 Abs 5 SGG möglich sei, über die von ihm begehrte Feststellung von Folgen einer WDB im Rechtsverhältnis zum Beigeladenen durch ein Sachurteil zu entscheiden. Es habe es jedoch im vorliegenden Fall nicht für zweckmäßig gehalten, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Er (der Kläger) habe jedoch mehrfach schriftlich vorgetragen, dass er diesbezüglich auf einen mit einer weiteren Verzögerung verbundenen vollständigen "Instanzenzug" verzichte. Der bisherige Verlauf des Verfahrens habe gezeigt, dass ein Vorverfahren gerade nicht zu einer Sachverhaltsaufklärung führe. Bislang sei kein einziges Gutachten zur Frage der Kausalität zwischen Schädigung und Gesundheitsstörung eingeholt worden. Bei zutreffender Anwendung des § 75 Abs 5 SGG hätte das LSG das beigeladene Land verurteilen müssen.

21

Der Kläger rügt außerdem eine Verletzung der §§ 103, 109, 128 SGG. Es sei ausdrücklich die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG beantragt worden. Das LSG hätte zudem (von Amts wegen) ein Sachverständigengutachten einholen und die von ihm benannten Zeugen hören müssen.

22

Schließlich stellt der Kläger klar, dass die Bescheide der Beklagten insoweit von ihm nicht angefochten worden seien, als sie die Ablehnung der Gewährung von Ausgleich nach § 85 SVG betreffen.

23

Der Kläger beantragt,

        

1.   

die Urteile des LSG Sachsen-Anhalt vom 7.8.2008 und des SG Dessau vom 24.1.2007 zu ändern, soweit die Berufung zurückgewiesen und seine Klagen abgewiesen worden sind,

        

2.   

die Beklagte zu verpflichten, die Gesundheitsstörungen "dilatative Kardiomyopathie mit linksventrikulärer Pumpstörung, Herzrhythmusstörungen, multiple Bandscheibenvorfälle in allen Wirbelsäulenabschnitten, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, beginnende Gelenkversteifung in den oberen und unteren Extremitäten, rezidivierende Nerven- und Muskelreizerscheinungen, Impotenz, wiederkehrende Sehstörungen, grauer Star, chronische Nasennebenhöhlenentzündungen bei Nasenscheidewandfehlstellung und Immunschwäche" im Sinne der Entstehung als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung im Sinne des § 81 Abs 1 SVG festzustellen,

        

3.   

den Beigeladenen zu verurteilen, ihm wegen der erlittenen Wehrdienstbeschädigung Versorgung zu gewähren,

        

4.   

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

24

Die Beklagte beantragt,

        

1.   

das Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 7.8.2008 zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Dessau vom 24.1.2007 in vollem Umfang zurückzuweisen,

        

2.   

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

25

Sie rügt mit ihrer Revision eine Verletzung der § 88 Abs 2 Satz 1 Buchst a, § 87 Abs 1 Satz 1 SVG iVm §§ 85, 86 SVG. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmungen stehe ihr eine "Erstentscheidungsbefugnis" auch in den Fällen von Berufs- und Zeitsoldaten zu, in denen Leistungen für die Zeit des Wehrdienstverhältnisses nicht zu erwarten seien. Auch nach Beendigung des Wehrdienstes sei sie befugt, über die Grundvoraussetzungen der Beschädigtenversorgung auf der Grundlage der § 41 Abs 2, §§ 85, 86 SVG zu entscheiden, unabhängig davon, ob die Folge der WDB vor oder nach Wehrdienstende eingetreten sei. Dies sei seit dem Inkrafttreten des § 88 Abs 2 Satz 1 Buchst a SVG am 1.1.1981 (durch das Siebente Gesetz zur Änderung des SVG vom 7.7.1980, BGBl I 851) einhellige Rechtsauffassung und gefestigte Verwaltungspraxis aller mit der Beschädigtenversorgung befassten Behörden. Die Entscheidung des LSG sei deshalb schon nicht vom Wortlauf des Gesetzes gedeckt. Das LSG habe im Wege der Auslegung aus den Wörtern "entscheiden…nach § 41 Abs 2 sowie den §§ 85 und 86" ein "entscheiden über Ansprüche/Leistungen nach.." gemacht. Die Wehrverwaltung könne jedoch nach dem Ausscheiden auch ablehnend über etwaige Ansprüche entscheiden und vor allem über das Vorliegen einer WDB befinden.

26

Auch die Gesetzesmaterialien bestätigten dieses Rechtsverständnis. In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Verteidigungsausschusses zu dem eingebrachten Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des SVG (BT-Drucks 8/4030, S 26) heiße es ausdrücklich, dass die Bundeswehrverwaltung bei ehemaligen Berufssoldaten und Zeitsoldaten über die Frage der Wehrdienstbeschädigung und deren Folgen jeweils vor der Versorgungsverwaltung zu entscheiden habe. Diese Regelung entspreche der in § 31 Soldatengesetz normierten besonderen Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Mit diesem Verfahren würden unterschiedliche Entscheidungen über die Beschädigtenversorgung und die Dienstzeitversorgung, für die die Bundeswehrverwaltung nach § 87 SVG allein zuständig sei, vermieden. Mit der Änderung des § 88 Abs 2 SVG sei der Gesetzgeber einer Anregung des Bundesrates und einem Hinweis des BSG in seinem Urteil vom 17.5.1977 - 10 RV 53/76 - nachgekommen.

27

Das LSG könne sich in diesem Zusammenhang nicht auf das Urteil des BSG vom 5.7.2007 - 9/9a VS 3/06 R - stützen, weil dieses über die Zuständigkeit bei einem Soldaten, der aufgrund der Wehrpflicht Wehrdienst geleistet habe, zu entscheiden gehabt habe. Bei diesem Personenkreis sei die zwingend vorgesehene "Erstentscheidungsbefugnis" auf Seiten der Bundeswehrverwaltung nicht notwendig, weil eine Dienstzeitversorgung für diesen Personenkreis nicht in Betracht komme. Soweit das LSG die Auffassung vertrete, aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass die Bundeswehrverwaltung ausschließlich in denjenigen Fällen für Entscheidungen zuständig sei, wenn Leistungen überhaupt in Betracht kämen, sei dies nicht nachvollziehbar. Die Bindung der Bundeswehrverwaltung nach einer möglicherweise fehlerhaften Entscheidung der Versorgungsverwaltung sei vor allem dann problematisch, wenn ein Dienstunfall vorliege, der zugleich eine Wehrdienstbeschädigung sei. Ziel der Regelung des § 88 Abs 3 SVG sei es nicht nur, der Gefahr voneinander abweichender Entscheidungen entgegenzuwirken, sondern auch eine Schlechterstellung von Soldaten nach dem Ausscheiden zu verhindern. Durch Bindung - in erster Linie der Versorgungsverwaltung - soll die weitere Versorgung der aus dem Dienst der Bundeswehr ausgeschiedenen Soldaten sichergestellt werden.

28

Das LSG sei ferner unzutreffend davon ausgegangen, dass eine Entscheidungsbefugnis der Bundeswehrverwaltung über einen Anspruch nach § 85 SVG auch deshalb ausscheide, weil die Gesundheitsstörungen erst nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses eingetreten seien. Diese Vorschrift stelle nach ihrem Wortlaut "Folgen einer Wehrdienstbeschädigung" allein darauf ab, dass das schädigende Ereignis vor Ablauf des Wehrdienstverhältnisses eingetreten sei und deshalb ggf auch eine Negativentscheidung hinsichtlich der Leistungen für die Zeit des Wehrdienstes zu treffen sei. Nach der Intention des Gesetzgebers sei demnach für die Zuständigkeit der Zeitpunkt des Eintritts des schädigenden Ereignisses maßgebend.

29

Die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16.3.1994 - 9 RV 2/93) habe die Bundeswehrverwaltung außerdem auch dann zu einer Entscheidung ("isolierte Feststellung") über das Vorliegen einer WDB verpflichtet, wenn die Gewährung eines Ausgleichs wegen eines GdS von unter 25 nicht in Betracht komme. Ein "Bagatellbescheid" sei demnach nur noch dann zulässig, wenn aus medizinischer Sicht zweifelsfrei sichergestellt sei, dass mit keinerlei Schädigungsfolge zu rechnen sei. Um die Möglichkeit einer späteren Erkrankung auszuschließen, müsse nach dem gegenwärtigen Stand der medizinischen Wissenschaft gesagt werden können, dass mit Spätschäden nicht zu rechnen sei. Daraus folge, dass es für einen Anspruch auf Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer WDB nicht darauf ankomme, ob eine Gesundheitsstörung aktuell feststellbar sei. Denn nicht diese, sondern der Ursachenzusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer WDB begründe im Hinblick auf mögliche künftige Ansprüche den Feststellungsanspruch des Klägers. Die Feststellung der Schädigungsfolge sei nach der Rechtsprechung des BSG zu § 55 Abs 1 Nr 3 SGG(Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R) im sozialen Entschädigungsrecht - und damit auch im Recht der Soldatenversorgung - mehr als nur die Feststellung einer Vorfrage für das Leistungsverhältnis; sie sei Gegenstand einer selbstständigen Feststellung.

30

Das beigeladene Land stellt keinen Antrag. Es hält die Auslegung des § 88 Abs 2 Satz 1 SVG durch das LSG für zutreffend. Das LSG habe ermessensfehlerfrei von der Möglichkeit einer Verurteilung nach § 75 Abs 5 SGG keinen Gebrauch gemacht. Inzwischen sei unter dem 11.5.2009 der Widerspruch gegen ihren Bescheid vom 11.2.2004 als unbegründet zurückgewiesen worden. Die hiergegen vor dem SG Dessau-Roßlau erhobene Klage ruhe wegen des Revisionsverfahrens.

Entscheidungsgründe

31

Die Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), soweit der Kläger eine Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Folgen einer WDB für die Zeit bis zum 30.9.1963 begehrt. Der Urteilsausspruch des LSG ist außerdem insoweit aufzuheben, als dieses die gegen das beigeladene Land gerichteten Klagen abgewiesen und über die Kosten des Verfahrens entschieden hat. Im Übrigen sind die Revisionen des Klägers und der Beklagten unbegründet.

32

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst die Anfechtungsklage gegen die Bescheide der Beklagten vom 21.11.2003 und 22.2.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.6.2006, soweit darin über die Feststellung von Folgen einer WDB entschieden worden ist. Die damit ebenfalls erfolgte Versagung von Ausgleich nach § 85 SVG ist vom Kläger von vornherein nicht angegriffen worden. Diese Anfechtungsklage ist verbunden mit einer auf Feststellung von Schädigungsfolgen iS des SVG gerichteten Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG). Dabei ist es unschädlich, dass der Kläger insoweit im Revisionsverfahren von einer Feststellungs- zu einer Verpflichtungsklage übergegangen ist (vgl zB Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 55 RdNr 13c). Eine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung liegt darin nicht (vgl dazu Leitherer in Meyer-Ladewig, aaO, § 168 RdNr 2b).

33

a) Wie das LSG zutreffend entschieden hat, ist die Anfechtungsklage schon deshalb begründet, weil die Beklagte bei Erlass der angefochtenen Verwaltungsakte die ihr gesetzlich eingeräumte Entscheidungsbefugnis überschritten hat, indem sie eine Feststellung der beim Kläger in der Zeit ab Antragstellung (Juli 2001) vorliegenden Gesundheitsstörungen als Folgen einer WDB abgelehnt hat. Die dagegen - insbesondere von der Beklagten - vorgebrachten Argumente greifen nicht durch.

34

Die Durchführung der Beschädigtenversorgung für ehemalige Soldaten auf Zeit wie den Kläger richtet sich nach § 88 SVG in der zur Zeit der Entscheidungen der Beklagten (vom 1.2.2003 bis 20.12.2007) geltenden Fassung vom 21.12.2004 (BGBl I 3592), die in der Folgezeit im Wesentlichen unverändert geblieben ist (vgl Gesetze vom 12.12.2007, BGBl I 2861, vom 13.12.2007, BGBl I 2904, und vom 16.9.2009, BGBl I 3054). Abs 1 dieser Vorschrift regelt die Aufgabenverteilung zwischen den Behörden der beklagten Bundesrepublik Deutschland und denen des beigeladenen Landes, also deren jeweiligen Zuständigkeitsbereich. Nach Satz 1 dieser gesetzlichen Bestimmung führt das Bundesministerium der Verteidigung die §§ 85 bis 86 SVG (Ausgleich, Wohnungshilfe, Erstattung von Sachschäden und Ersatz besonderer Aufwendungen) bei Behörden der Bundeswehrverwaltung durch. Im Übrigen wird der Dritte Teil des SVG (Beschädigtenversorgung iS der §§ 80 ff SVG) von den zur Durchführung des BVG zuständigen Behörden (hier der Versorgungsverwaltung des beigeladenen Landes) im Auftrag des Bundes durchgeführt(§ 88 Abs 1 Satz 2 SVG).

35

Ausgehend von dieser zwischen Bund und Land aufgespaltenen Zuständigkeit bestimmt § 88 Abs 2 SVG die zeitliche Reihenfolge der zu treffenden Entscheidungen, wenn diese nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses erfolgen. Nach Satz 1 entscheidet in bestimmten Fällen auch nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses zunächst die Bundeswehrverwaltung "nach § 41 Abs 2 sowie den §§ 85 und 86" SVG, bevor die nach § 88 Abs 1 Satz 2 SVG zuständigen Behörden (hier die Versorgungsverwaltung des beigeladenen Landes) über die Beschädigtenversorgung für die Zeit nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses entscheiden. Diese zeitliche Reihenfolge der Entscheidungen gilt nach Buchst a (ohne weitere Einschränkungen) für ehemalige Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit sowie nach Buchst b für ehemalige Soldaten, die aufgrund der Wehrpflicht Wehrdienst geleistet haben, wenn das Verfahren bei Beendigung des Wehrdienstverhältnisses eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen worden ist oder das Verfahren aufgrund des Todes einzuleiten ist und ein Antrag nach § 80 und § 82 SVG noch nicht vorliegt. In allen anderen Fällen entscheiden gemäß § 88 Abs 2 Satz 2 SVG nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses die zur Durchführung des BVG zuständigen Behörden (hier die Versorgungsverwaltung des beigeladenen Landes) vor der Bundeswehrverwaltung.

36

Nach dem Wortlaut des hier einschlägigen § 88 Abs 2 Satz 1 Buchst a SVG besteht demnach eine zeitlich vorrangige Zuständigkeit der Beklagten ("Erstentscheidungsbefugnis") bei ehemaligen Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit ua dann, wenn nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses "nach § 85" SVG zu entscheiden ist. Eine Entscheidung nach § 85 SVG umfasst grundsätzlich den Erlass zweier Verwaltungsakte iS des § 31 SGB X: zum einen über die Feststellung von Gesundheitsstörungen als Folgen einer WDB, zum anderen über die Gewährung einer Leistung (Ausgleich) wegen der Folgen der WDB(vgl zur Feststellung von Schädigungsfolgen als eigenständiger Verwaltungsakt bereits BSGE 9, 80, 83 f = SozR Nr 17 zu § 55 SGG; BSGE 12, 25, 26; BSGE 27, 22, 23 = SozR Nr 59 zu § 77 SGG; zur Feststellung von WDB-Folgen etwa BSGE 57, 171, 172 = SozR 1500 § 55 Nr 24 S 17; BSGE 68, 128, 129 f = SozR 3-3200 § 81 Nr 1 S 3; zum Ausgleich als dienstrechtliche Leistung BSGE 64, 225, 227 f = SozR 7610 § 291 Nr 2 S 3).

37

Beide nach § 85 SVG ergehenden Verwaltungsakte beziehen sich ausschließlich auf die Zeit des Wehrdienstverhältnisses. Für die Gewährung oder Versagung von Ausgleich versteht sich das von selbst. Denn Soldaten erhalten nach § 85 Abs 1 SVG wegen der Folgen einer WDB nur während ihrer Dienstzeit einen Ausgleich in Höhe der Grundrente und der Schwerstbeschädigtenzulage nach § 30 Abs 1 und § 31 BVG. Derselben zeitlichen Beschränkung unterliegt auch die auf § 85 SVG gestützte Entscheidung über die Feststellung von Folgen einer WDB. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, kann nämlich die Feststellungsbefugnis nicht weiter reichen als die Befugnis, über die Leistung zu entscheiden. Feststellungsbefugt ist demnach die Verwaltung, die für die Entscheidung über das stets vorrangige Leistungsbegehren zuständig ist (vgl BSG, Urteil vom 16.3.1994 - 9 RV 2/93 - SozR 3-1500 § 55 Nr 18 S 41; BSG, Urteil vom 5.7.2007 - B 9/9a VS 3/06 R - BSGE 99, 1 = SozR 4-3200 § 81 Nr 3, jeweils RdNr 13). Für die Entscheidungen im Anwendungsbereich des § 85 SVG bedeutet dies, dass auch nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses die beklagte Bundesrepublik Deutschland feststellende Verwaltungsakte zu Zusammenhangsfragen (als etwaige Vorstufe einer Leistungsgewährung) nur für Gesundheitsstörungen treffen darf, die während der Dienstzeit vorgelegen haben. Sie hat hingegen keine Kompetenz, positiv oder negativ über gesundheitliche Folgen einer WDB zu entscheiden, die nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses eingetreten sind.

38

Auch der Entstehungsgeschichte des § 88 Abs 2 SVG lässt sich nicht entnehmen, dass die beklagte Bundesrepublik Deutschland für die Feststellung von Gesundheitsstörungen als Folgen einer WDB zuständig sein soll, die nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses aufgetreten sind. Die mit Wirkung zum 1.1.1981 durch Art 1 Nr 33 Buchst b Siebentes Gesetz zur Änderung des SVG vom 7.7.1980 (BGBl I 851) eingefügte Neufassung des § 88 Abs 2 SVG, mit der die vorgenannte zeitliche Reihenfolge für Entscheidungen nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses festgelegt worden ist, wurde in den Gesetzesmaterialien(vgl BT-Drucks 8/4030, S 26) damit begründet, dass bei ehemaligen Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit grundsätzlich vorgesehen sei, dass die Behörden der Bundeswehrverwaltung über die Frage der WDB und deren Folgen jeweils "vor der Entscheidung der Behörden der Versorgungsverwaltung über die Beschädigtenversorgung nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses" entschieden.

39

Diese Ausführungen können entsprechend dem Wortlaut des § 88 Abs 2 SVG nur so verstanden werden, dass die Bundeswehrverwaltung zunächst zu prüfen und zu entscheiden hat, ob eine WDB iS des § 81 Abs 1 SVG vorliegt, also eine (primäre) gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Außerdem hat sie zu prüfen und zu entscheiden, ob bereits während der Dienstzeit (weitere) Gesundheitsstörungen als Folgen der WDB aufgetreten und ggf deswegen nach § 85 SVG Ausgleich (in Höhe der Grundrente und der Schwerstbeschädigtenzulagen nach § 30 Abs 1 und § 31 BVG) zu gewähren ist. Erst danach dürfen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden (hier die Versorgungsverwaltung) über die Beschädigtenversorgung für die Zeit nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses iS der §§ 80 ff SVG - also über gesundheitliche und wirtschaftliche Folgen, die nach Beendigung der Dienstzeit eingetreten sind - entscheiden, wobei sie nach Maßgabe des § 88 Abs 3 Satz 1 SVG an die Entscheidung der Bundeswehrverwaltung gebunden sind (vgl dazu allerdings BSG SozR 4-3200 § 88 Nr 1).

40

Abhängig von der Art der während des Wehrdienstes erfolgenden Einwirkungen kann die Feststellung einer bis zum Ende der Dienstzeit eingetretenen WDB Schwierigkeiten bereiten. Bei Unfällen im Sinne von zeitlich begrenzten, auf den Soldaten einwirkenden Ereignissen (s Definition des Unfalls in § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII) wird die erforderliche Primärschädigung einfacher festzustellen sein als bei einer sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden, generell schädlichen Einwirkung. Dabei können (wie bei bestimmten Berufskrankheiten) erste Krankheitssymptome durchaus erst längere Zeit nach dem Ende solcher Einwirkungen eintreten. Angesichts der strikten Vorgaben des § 88 Abs 2 Satz 1 SVG ist die Bundeswehrverwaltung indes nur zuständig für die Feststellung von Gesundheitsschäden, die sich während der Dienstzeit des Soldaten manifestiert haben. Verneint sie für diesen Zeitraum das Vorliegen von wehrdienstbedingten Gesundheitsstörungen, so ist danach die Versorgungsverwaltung nicht gehindert, darüber zu entscheiden, ob die Wehrdienstverrichtung oder dem Wehrdienst eigentümliche Verhältnisse nach Beendigung der Dienstzeit zu einer Erkrankung geführt haben.

41

Bei dieser Vorgehensweise lässt sich zugleich der vom Gesetzgeber mit dieser Verfahrensregelung verfolgte Zweck erreichen, unterschiedliche Entscheidungen über die Beschädigtenversorgung iS der §§ 80 ff SVG und die Dienstzeitversorgung iS der §§ 3 ff SVG, für die nach § 87 SVG die Bundeswehrverwaltung allein zuständig ist, zu vermeiden (vgl BT-Drucks 8/4030, S 26). Dagegen ist der Regelung des § 88 SVG nicht zu entnehmen, dass sich die Entscheidungsbefugnis der Bundeswehrverwaltung zur Feststellung von Schädigungsfolgen auf alle Gesundheitsstörungen erstrecken soll, die im Zeitpunkt der betreffenden Entscheidung vorliegen, auch wenn dieser - wie hier - Jahrzehnte nach dem Ende des Wehrdienstes liegt. Die zeitliche Reihenfolge der Entscheidungen von Bundeswehrverwaltung und Versorgungsverwaltung (§ 88 Abs 2 SVG) ändert grundsätzlich nicht die in § 88 Abs 1 SVG vorgenommene Zuständigkeitsverteilung. Insbesondere soll der Umfang der Befugnis der Bundeswehrverwaltung über das Vorliegen von Folgen einer WDB zu entscheiden, nicht davon abhängen, wann der (ehemalige) Soldat einen Versorgungsantrag stellt.

42

Da die vom Kläger angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 21.11.2003 und 22.2.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.6.2006 keine (positiven oder negativen) Feststellungen zu während der Dienstzeit des Klägers vom 1.10.1959 bis 30.9.1963 eingetretenen gesundheitlichen Folgen einer WDB, sondern lediglich negative Feststellungen zu nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses aufgetretenen Gesundheitsstörungen enthalten, hat das LSG diese Verwaltungsakte insoweit im Ergebnis zu Recht aufgehoben.

43

b) Soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass die bei ihm in der Zeit ab Juli 2001 vorliegenden Gesundheitsstörungen Folgen einer WDB sind, kann seine gegen die Beklagte gerichtete Verpflichtungsklage - wie das LSG zutreffend erkannt hat - schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der Beklagten insoweit eine Entscheidungszuständigkeit fehlt. Denn diese ist gemäß § 88 Abs 1 und 2 iVm § 85 SVG nur befugt, über Schädigungsfolgen zu befinden, die während des Wehrdienstverhältnisses des Klägers vorgelegen haben.

44

Da der Kläger bereits im Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren geltend gemacht hat, dass bestimmte Gesundheitsstörungen, für die schädigende Einwirkungen durch dienstliche Strahlenbelastung ursächlich seien, bereits während des Wehrdienstes aufgetreten seien, kann sein mit der (gegen die Beklagte gerichteten) Verpflichtungsklage verfolgtes Begehren (§ 123 SGG)nach seinem objektiven Erklärungswert und der recht verstandenen Interessenlage des Klägers (§ 133 BGB)nur so verstanden werden, dass dieser unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt, was ihm aufgrund des von ihm geschilderten Sachverhalts rechtlich zusteht: Er beansprucht deshalb hilfsweise auch, die Beklagte zu verpflichten, die während der Dienstzeit aufgetretenen, auf eine dienstliche Strahlenbelastung zurückzuführenden Gesundheitsstörungen als Folgen einer WDB festzustellen (zum Anspruch auf Feststellung aller Schädigungsfolgen bereits BSGE 9, 80, 82; BSG, Urteil vom 25.4.1961 - 11 RV 198/61 - juris RdNr 7). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte über diese Gesundheitsstörungen in den angefochtenen Bescheiden bereits ausdrücklich entschieden hat. Vielmehr darf der Kläger auch noch während des gerichtlichen Verfahrens weitere Gesundheitsstörungen "nachschieben", die er ursächlich auf eine WDB zurückführt (hierzu bereits BSG, Urteil vom 18.1.1961 - 11 RV 1020/60 - juris RdNr 9; BSG, Urteil vom 25.4.1961 - 11 RV 198/61 - juris RdNr 7 f).

45

Über dieses Begehren hat das LSG zu Unrecht keine Sachentscheidung getroffen. Zwar handelt es sich hier nicht um den Fall einer alsbaldigen Feststellung dazu, ob eine Körperverletzung, die noch keine Leistungsansprüche auslöst, eine Wehrdienstbeschädigung ist (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 18). Insofern geht es vorliegend nicht um eine rechtzeitige Beweissicherung wegen möglicher Spätschäden. Vielmehr macht der Kläger - Jahrzehnte nach seiner Dienstzeit - Schädigungsfolgen geltend, die er auf eine dienstliche Strahlenbelastung zurückführt. Auch und gerade in solch einem Fall ist - nicht zuletzt wegen der sich aus § 88 Abs 3 SVG ergebenden Bindungswirkung - die (auf die Verhältnisse während der Dienstzeit beschränkte) Erstentscheidungsbefugnis der Beklagten zu beachten. Daraus ergibt sich wiederum ein Anspruch des Klägers auf eine entsprechende Verwaltungsentscheidung der Beklagten.

46

Das LSG hat - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - weder festgestellt, ob beim Kläger eine WDB iS des § 81 Abs 1 SVG vorliegt, also eine (primäre) gesundheitliche Schädigung, die "durch eine Wehrdienstverrichtung … oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist" (hier durch schädigende Einwirkungen einer Strahlenbelastung während der Dienstzeit des Klägers bei der Bundeswehr), noch hat es darüber befunden, ob bereits während der Dienstzeit (weitere) Gesundheitsstörungen aufgetreten sind, für die eine Strahlenbelastung oder darauf beruhende Schädigungsfolgen mit (hinreichender) Wahrscheinlichkeit ursächlich im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung gewesen sind. Da es mithin an für eine abschließende Entscheidung erforderlichen Tatsachenfeststellungen mangelt, ist das Berufungsurteil insoweit aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

47

2. Soweit der Kläger mit der Revision erreichen will, unter Aufhebung des entgegenstehenden Urteils des LSG das beigeladene Land zu verurteilen, ihm wegen der nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses erlittenen Folgen einer WDB Leistungen der Beschädigtenversorgung nach §§ 80 ff SVG in Verbindung mit den Vorschriften des BVG zu gewähren, hat seine Revision im Ergebnis keinen Erfolg. Allerdings hat das LSG zu Unrecht angenommen, dass der Kläger damit eigenständige Klagen erhoben habe, die gesondert abgewiesen werden könnten.

48

Nach § 75 Abs 5 SGG kann ua in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land nach Beiladung verurteilt werden. Diese Vorschrift gibt den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit aus prozessökonomischen Gründen nur die Befugnis, in Fällen, in denen der Kläger einen nicht passiv legitimierten Leistungsträger verklagt, den in Wirklichkeit passiv legitimierten, aber nicht verklagten Leistungsträger nach Beiladung zu verurteilen, um einen neuen Rechtsstreit und damit auch die Möglichkeit sich praktisch widersprechender Urteile verschieden besetzter Spruchkörper zu vermeiden (vgl BSGE 9, 67, 69; BSGE 49, 143, 145 = SozR 5090 § 6 Nr 4; BSGE 57, 1, 2 = SozR 2200 § 1237a Nr 25; BSG, Urteil vom 8.5.2007 - B 2 U 3/06 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 3 RdNr 26). Demnach kommt eine Verurteilung des Beigeladenen nur subsidiär in Betracht. Sie darf erst stattfinden, soweit die Klage gegen den ursprünglich Beklagten keinen Erfolg hat. Zudem muss es sich um Ansprüche handeln, die sich gegenseitig ausschließen, also nicht nebeneinander bestehen (vgl BSGE 49, 143, 146 = SozR 5090 § 6 Nr 4).

49

Danach ist der Kläger grundsätzlich nicht gehindert - wie hier sowohl im Berufungs- als auch im Revisionsverfahren - Anträge gegen das beigeladene Land zu stellen. Bei diesen Anträgen handelt es sich jedoch nicht, wie das LSG meint, um neue, erstmals vor dem LSG erhobene Klagen, sondern um die ursprünglich gegen die beklagte Bundesrepublik Deutschland erhobenen Klagen, die sich nach Beiladung - hilfsweise - auch gegen das beigeladene Land richten. Bei einer abschlägigen Entscheidung über diese Anträge ist deshalb eine gesonderte Klageabweisung, wie sie hier im Berufungsurteil erfolgt ist, nicht angebracht. Vielmehr hat sich das Gericht in den Entscheidungsgründen auf Ausführungen dazu zu beschränken, warum es eine Verurteilung des Beigeladenen nach § 75 Abs 5 SGG ablehnt.

50

Hinsichtlich des gegen den Beigeladenen gerichteten Leistungsbegehrens sind - wie das LSG zutreffend erkannt hat - die Voraussetzungen für eine Verurteilung nach § 75 Abs 5 SGG schon deshalb nicht gegeben, weil es sich bei dem dienstrechtlichen Ausgleich nach § 85 SVG und den entschädigungsrechtlichen Leistungen der Beschädigtenversorgung nach §§ 80 ff SVG iVm den Vorschriften des BVG um verschiedene Ansprüche handelt, die unterschiedliche Zeiträume betreffen und nebeneinander bestehen können. Im Übrigen hat der Kläger zum jetzigen Zeitpunkt auch deshalb keinen spruchreifen Anspruch auf Leistungen der Beschädigtenversorgung gegen das beigeladene Land, weil nach § 88 Abs 2 Satz 1 Buchst a SVG (im Hinblick auf die Bindungswirkung des § 88 Abs 3 Satz 1 SVG) zunächst die beklagte Bundesrepublik Deutschland über die Ansprüche des Klägers wegen während der Dienstzeit aufgetretener Folgen einer WDB(§ 85 Abs 1 SVG) entscheiden muss, bevor der Beigeladene über die Leistungen der Beschädigtenversorgung für die Zeit nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses (§§ 80 ff SVG)befinden darf.

51

3. Im wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LSG auch erneut über die Kosten des Verfahrens, jetzt einschließlich der Revision, zu entscheiden haben, so dass die Kostenentscheidung im angefochtenen Urteil des LSG ebenfalls aufzuheben ist.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. März 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger an einem entschädigungspflichtigen Impfschaden leidet.

2

Der Kläger wurde in der 33. Schwangerschaftswoche am 24.10.1985 geboren. Vor und unter der Geburt kam es zu einem Sauerstoffmangel und einer Säureüberladung (perinatale Asphyxie). Am 17.4.1986 erhielt der Kläger die im Land Berlin öffentlich empfohlene Schutzimpfung gegen Diphtherie und Tetanus (Kombination) sowie gegen Poliomyelitis (oral). Zwei Wochen nach dieser Impfung sackte der Kläger im Arm seiner Mutter schlaff zusammen; sein Gesicht war blass, die Augen halb geschlossen; nach einigen Minuten setzte eine Erholung ein; Fieber und Krämpfe traten nicht auf. Nach Angaben seiner Mutter hat sich das Kind nicht mehr vollständig erholt. Ende 1986 wurde beim Kläger eine spastische Tetraplegie mit statomotorischer Entwicklungsverzögerung diagnostiziert. Die beiden weiteren Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis erhielt der Kläger am 12. und 30.4.1987.

3

Der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von nunmehr 100 anerkannt.

4

Im März 2001 stellte der Kläger bei dem beklagten Land einen Antrag auf Leistungen wegen eines Impfschadens. Daraufhin holte dieses ein nervenärztliches Gutachten von Dr. D. ein und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 5.9.2002 ab. Auf der Grundlage einer nervenärztlichen Stellungnahme von Dr. M. wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 15.8.2003 zurück, weil ein Zusammenhang zwischen der Impfung und der infantilen spastischen Cerebralparese zwar möglich aber nicht wahrscheinlich sei. Überwiegend wahrscheinlich sei, dass für die Erkrankung andere Faktoren, wie die Frühgeburt und Auffälligkeiten in der Schwangerschaft, ausschlaggebend gewesen seien.

5

Der Kläger hat daraufhin beim Sozialgericht Berlin (SG) Klage erhoben. Dieses hat verschiedene ärztliche Unterlagen sowie von Amts wegen ein pädiatrisches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 2.1.2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 14.6.2005 eingeholt. Dieser ist - vorbehaltlich der Richtigkeit der Schilderung der Mutter des Klägers betreffend das Ereignis zwei Wochen nach der Impfung - zu dem Ergebnis gelangt, dass die perinatale Asphyxie (lediglich) zu einem leichten bis mäßigen Hirnschaden geführt habe. Die ab Mai 1986 ersichtlichen schweren neurologischen Störungen (Cerebralparese) seien überwiegend als Impfschadensfolge einzuordnen.

6

Der Beklagte hat demgegenüber ein nach Aktenlage erstattetes Gutachten des Prof. Dr. S. Facharzt für Mikrobiologie und Kinder-/Jugendmedizin - vom 21.2.2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 27.2.2006 vorgelegt. Dieser hat die Auffassung vertreten, dass das Krankheitsbild des Klägers plausibel auf die perinatale Sauerstoffmangelsituation zurückzuführen sei und eine ursächliche oder mitursächliche Rolle der Dreifachimpfung höchst unwahrscheinlich sei. Im Anschluss daran hat das SG die Mutter des Klägers als Zeugin über den Zwischenfall zwei Wochen nach dem 17.4.1986 vernommen und danach ein weiteres Gutachten von Amts wegen eingeholt und zwar von Prof. Dr. D. Unter dem 27.11.2006 ist dieser Sachverständige ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass die vorliegende Cerebralparese mit bestimmten Störungen bzw Behinderungen überwiegend wahrscheinlich durch die perinatale Asphyxie verursacht worden sei, jedoch keine Wahrscheinlichkeit für eine zusätzliche Impfschädigung bestehe.

7

Durch Urteil vom 10.5.2007 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung verpflichtet, dem Kläger wegen der Impfung vom 17.4.1986 unter Anerkennung der Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung und leichter Sprachbehinderung als Impfschadensfolge ab April 2001 Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 65 vH zu gewähren. Es hat seine Entscheidung auf folgende Erwägungen gestützt: Der Kläger sei am 13. oder 14. Tag nach der Impfung auf dem Arm der Mutter plötzlich schlaff geworden und mit halb geschlossenen Augen im Gesicht bleich gewesen, er habe sich danach zwar erholt, aber nicht mehr wie zuvor bewegt. Zur Frage der Verursachung sei der Auffassung von Prof. Dr. K. zu folgen. Die anders lautenden Beurteilungen der übrigen Sachverständigen seien nicht überzeugend. Die MdE von 65 vH ergebe sich daraus, dass der mit 100 vH zu bewertende dauerhafte Gesundheitsschaden des Klägers nach der Beurteilung von Prof. Dr. K. zu zwei Dritteln durch die Impfung am 17.4.1986 verursacht worden sei.

8

Im anschließenden Berufungsverfahren hat der Kläger hilfsweise beantragt, durch Anfrage bei der Ständigen Impfkommission (STIKO) die Tatsache zu erweisen, dass die heute verwendeten Impfstoffe gegen Polio, Diphtherie und Tetanus nicht identisch sind mit den bei ihm verwendeten Impfstoffen, sowie zum Beweis der Tatsache, dass Erkrankungen des zentralen Nervensystems gerade bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrüche auftreten können, ein medizinisches Sachverständigengutachten eines erfahrenen klinisch tätigen Arztes einzuholen, der über Erfahrungen auch zu Impfungen in den achtziger Jahren verfügt.

9

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 11.3.2010). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Anspruchsvoraussetzungen nach den im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschriften des bis zum 31.12.2000 geltenden § 51 Abs 1 Satz 1 Bundesseuchengesetz (BSeuchG) und des am 1.1.2001 in Kraft getretenen § 60 Abs 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) seien nicht erfüllt. Danach sei der Nachweis einer schädigenden Einwirkung (der Impfung), einer gesundheitlichen Primärschädigung in Form einer unüblichen Impfreaktion und der Schädigungsfolgen (Dauerleiden) erforderlich. Für die jeweiligen Kausalzusammenhänge reiche eine Wahrscheinlichkeit aus.

10

Der dauerhafte Gesundheitsschaden in Form einer Cerebralparese sei hier nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Impfung zurückzuführen, weil sich ein Impfschaden als Primärschädigung nicht habe nachweisen lassen. Welche Impfreaktionen als Impfschäden anzusehen seien, lasse sich den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung entnehmen. Bezogen auf den Anspruchszeitraum ab Antragstellung im April 2001 sei grundsätzlich die Nr 57 AHP in den Fassungen von 1996, 2004 und 2005 heranzuziehen, die für die einzelnen Schutzimpfungen die üblichen Impfreaktionen von den Impfschäden abgrenze. Eine Änderung sei mit den AHP 2008 eingetreten, in welchen von einer Aufführung der spezifischen Impfschäden Abstand genommen worden sei. Vielmehr habe Nr 57 Satz 1 AHP 2008 auf die im Epidemiologischen Bulletin (EB) veröffentlichten Arbeitsergebnisse der bei dem Robert-Koch-Institut eingerichteten STIKO verwiesen, die Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einer über das übliche Ausmaß hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden) entwickelten. Nach Nr 57 Satz 2 AHP 2008 stellten diese Ergebnisse den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar. Hieran habe sich auch mit Inkrafttreten der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) zum 1.1.2009 nichts geändert, denn die Nr 53 bis 143 AHP 2008 behielten auch nach Inkrafttreten der VersmedV weiterhin Gültigkeit als antizipiertes Sachverständigengutachten (BR-Drucks 767/07, S 4 zu § 2 VersMedV).

11

Die aktuellen Mitteilungen der STIKO von Juni 2007 (EB Nr 25/2007, 209 ff), die zwar in erster Linie Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen von Schutzimpfungen enthielten, seien gleichwohl zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einem Impfschaden heranzuziehen. Bei den einzelnen Impfstoffen würden jeweils in dem mit "Komplikationen" bezeichneten Abschnitt in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung beobachtete Krankheiten bzw Krankheitserscheinungen dargestellt, bei denen aufgrund der gegenwärtig vorliegenden Erkenntnisse ein ursächlicher Zusammenhang als gesichert oder überwiegend wahrscheinlich anzusehen sei.

12

Im Streit stehe der ursächliche Zusammenhang zwischen der Impfung und der Erkrankung des Klägers im Sinne einer Verschlimmerung, nicht im Sinne der Entstehung. Nach Nr 42 Abs 1 Satz 3 AHP 2008 bzw nach Teil C Nr 7 Buchst a Satz 3 Anlage zur VersMedV komme, sofern zur Zeit der Einwirkung des schädigenden Vorgangs bereits ein einer Gesundheitsstörung zugehöriges pathologisches physisches oder psychisches Geschehen, wenn auch unbemerkt, vorhanden gewesen sei, eine Anerkennung im Sinne der Verschlimmerung in Frage, falls die äußere Einwirkung den Zeitpunkt vorverlegt habe, an dem das Leiden sonst in Erscheinung getreten wäre, oder das Leiden schädigungsbedingt in schwererer Form aufgetreten sei, als es sonst zu erwarten gewesen wäre.

13

Bei dem Kläger liege nach Einschätzung aller Gutachter ein durch die Geburtsasphyxie hervorgerufener Hirnschaden vor. Einigkeit bestehe auch darüber, dass derartige frühkindliche Schäden sich oft verspätet in Gestalt einer Spastik manifestierten. Kern des Rechtsstreits sei die Frage, ob ein bestimmter Anteil der bei dem Kläger vorliegenden Cerebralparese auf die Impfung zurückzuführen sei. Ein derartiger Zusammenhang sei indessen nicht hinreichend wahrscheinlich, weil es am Nachweis eines Impfschadens (atypische Impfreaktion als Primärschädigung) fehle.

14

In den Mitteilungen der STIKO von Juni 2007 seien für die Verwendung des Diphtherie-Impfstoffs sowie für die Verwendung des Kombinationsimpfstoffs gegen Diphtherie und Tetanus spezifische Komplikationen aufgezählt, die sämtlich beim Kläger nicht aufgetreten seien. Insbesondere habe keiner der Sachverständigen eine Erkrankung des peripheren Nervensystems diagnostiziert.

15

Soweit der Kläger die Mitteilungen der STIKO für nicht maßgebend halte, weil sie sich auf die heute verwendeten Impfstoffe gegen Poliomyelitis, Diphtherie und Tetanus bezögen, die nicht identisch mit den bei ihm verwendeten Impfstoffen seien, komme es auf seinen entsprechenden Beweisantrag nicht an. Selbst wenn man unterstelle, dass die Empfehlungen der STIKO Impfungen mit anderen als den damals bei dem Kläger verwendeten Impfstoffen beträfen, sei der ursächliche Zusammenhang im Sinne der Verschlimmerung weiterhin nicht hinreichend wahrscheinlich.

16

In diesem Fall wären die AHP 2005 heranzuziehen, deren Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Nr 57 Abs 12 und 13 AHP 2005 nenne für Diphtherie- und Tetanusschutzimpfungen spezifische Erscheinungen als Impfschäden, die bei dem Kläger nach Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. K. nicht aufgetreten seien. Der von diesem als zentralnervöser Zwischenfall bezeichnete Vorgang zwei Wochen nach der Impfung sei keine akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS) gewesen. Die von Prof. Dr. S. genannten typischen Merkmale einer schweren ZNS-Erkrankung fehlten beim Kläger. Selbst wenn man die vom Kläger unter Beweis gestellte Behauptung, dass Erkrankungen des zentralen Nervensystems gerade bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrüche auftreten könnten, als wahr unterstellte, ändere dies nichts daran, das vorliegend eine akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems gerade nicht positiv festgestellt werden könne. Die Möglichkeit einer derartigen Erkrankung genüge aber für die Anerkennung eines Impfschadens nicht. Der nach den AHP 2005 erforderliche Nachweis einer Antikörperbildung möge heute noch möglich sein, sei aber nicht zielführend, weil hierdurch lediglich eine durchgeführte Impfung bestätigt würde und nicht mehr geklärt werden könne, welche der drei Impfungen des Klägers diesen Zustand herbeigeführt habe. Im Übrigen schieden andere Ursachen der Erkrankung nicht aus. Es bestehe weiterhin die Möglichkeit, dass die Cerebralparese allein auf die Geburtsasphyxie zurückzuführen sei.

17

Hinsichtlich der Erkrankungen, bei denen aufgrund der gegenwärtig vorliegenden Kenntnisse ein ursächlicher Zusammenhang mit der Poliomyelitisschutzimpfung als überwiegend wahrscheinlich anzusehen sei, sei - wovon auch die Beteiligten ausgingen - auf die AHP 2005 abzustellen. Die Mitteilungen der STIKO von Juni 2007 enthielten offensichtlich lediglich Angaben zu Kombinationsimpfungen, die neben Diphtherie-, Tetanus- und Poliomyelitisimpfstoffen weitere Impfstoffe insbesondere gegen Pertussis, Influenza und Hepatitis B, enthielten. Als Impfschäden nach einer Poliomyelitisschutzimpfung seien in Nr 57 Abs 2 AHP 2005 verschiedene Erkrankungen genannt, insbesondere poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen von wenigstens sechs Wochen Dauer. In keinem der vorliegenden Gutachten sei erwähnt, dass der Kläger an einer derartigen Impfpoliomyelitis erkrankt gewesen sei. Ebenso wenig seien Hinweise auf ein Guillain-Barré-Syndrom vorhanden. Schließlich seien beim Kläger auch weder eine Meningoenzephalitis noch die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens diagnostiziert worden. Die von Prof. Dr. K. angenommene Encephalopathie sei nach den AHP 2005 nur nach Pertussis- und Pockenschutzimpfungen als Impfschaden genannt, die beim Kläger nicht vorgenommen worden seien.

18

Mit der vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt der Kläger, das LSG habe materielles und formelles Recht verletzt.

19

Verletzt sei § 51 Abs 1 Satz 1 BSeuchG bzw § 60 Abs 1 Satz 1 IfSG. Das LSG habe bei ihm das Vorliegen einer gesundheitlichen Schädigung durch die Dreifachschutzimpfung, dh eine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schädigung und damit einen dauerhaften Impfschaden, zu Unrecht verneint, weil es verkannt habe, dass es für die Anerkennung einer unüblichen Impfreaktion und eines Impfschadens nach einer Dreifachimpfung im Jahre 1986 weiterhin auf den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu unüblichen Impfreaktionen auf die 1986 verwendeten Impfstoffe ankomme. Stattdessen sei das LSG von den Hinweisen der STIKO von 2007 ausgegangen, die über unübliche Impfreaktionen auf die aktuell verwendeten Impfstoffe informierten, ohne aufgeklärt zu haben, ob es sich bei diesen Impfstoffen um die gleichen handele, die bei seiner Dreifachimpfung 1986 verwendet worden seien, oder ob sie sich unterschieden. Außerdem sei das LSG von einem unzutreffenden Verständnis der medizinischen Voraussetzungen, dh der Krankheitsbilder, ausgegangen.

20

Damit habe das LSG die Rechtstatsachen "aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand" sowie die ebenfalls als Rechtstatsachen anzusehenden Krankheitsbegriffe "akut entzündliche Erkrankungen des Zentralen Nervensystems" sowie "Ätiologie und Pathogenese der Cerebralparese" verkannt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (Hinweis auf das Urteil vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R -) würden wissenschaftliche Erkenntnisse über medizinische Ursachen- und Wirkungszusammenhänge nicht mehr als Tatsachenfeststellungen iS von § 163 SGG gewertet, weil sie keine Tatsachen des Einzelfalles seien, sondern allgemeine (generelle) Tatsachen, die für alle einschlägigen (dort Berufskrankheiten-) Fälle von Bedeutung seien. Es gehe nicht nur um die Anwendung allgemeiner oder spezieller Erfahrungssätze auf einen konkreten Sachverhalt, sondern um sog Rechtstatsachen, die für die Auslegung dh für die Bestimmung des Inhalts einer Rechtsnorm benötigt würden.

21

Aus den tatsächlichen Feststellungen zu seinem Zusammenbruch Ende April 1986 und zu seiner Entwicklung vor und nach der Impfung folge jedoch, dass es bei ihm zu einer unüblichen Impfreaktion gekommen sei, nämlich zu einer Enzephalopathie (möglicher Diphtherieimpfschaden gemäß den AHP 1983) bzw zu einer nicht poliomyelitischen Erkrankung am ZNS (möglicher Impfschaden nach der Polio-Schluckimpfung gemäß den AHP 1983) bzw zu einer akut entzündlichen Erkrankung des ZNS (möglicher Impfschaden nach der Diphtherieschutzimpfung gemäß AHP 2005).

22

Das LSG habe die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten. Bei den Rechtstatsachen "aktueller medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisstand", "akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems" und "Ätiologie und Pathogenese der Cerebralparese" handele es sich um allgemeine Erfahrungssätze, deren Verkennung eine Überschreitung der Grenzen der freien Beweiswürdigung beinhalte.

23

Verstoßen habe das LSG gegen den Erfahrungssatz, dass die Impffolgen abhängig von den verwendeten Impfstoffen seien. Zudem habe das LSG bei der Deutung der Krankheitsbilder gegen medizinische Erfahrungssätze verstoßen. Das LSG habe weiter seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen, insbesondere den Sachverhalt nicht vollständig erfasst bzw ermittelt. So habe es sich nicht veranlasst gesehen, seinem - des Klägers - Beweisantrag zum Fehlen einer Identität der 1986 und heute verwendeten Impfstoffe zu folgen. Diesen und den weiteren Beweisantrag zur Möglichkeit einer Erkrankung des ZNS bei immunologisch unreifen Kindern ohne Fieberausbrüche habe das LSG mit der Begründung abgelehnt, dass eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS nicht festgestellt worden sei. Demgegenüber habe der Sachverständige Prof. Dr. K. durchaus eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS bejaht. Schließlich habe das LSG seine Pflicht zur Auseinandersetzung mit (sich) widersprechenden Gutachten dadurch verletzt, dass es dem Gutachten des Prof. Dr. S. hinsichtlich des Nichtvorliegens einer akut entzündlichen ZNS-Erkrankung gefolgt sei, ohne sich mit den gegenteiligen Ausführungen des Prof. Dr. K. auseinander zu setzen und ohne darzulegen, aufgrund welcher Sachkunde es dem Gutachten von Prof. Dr. S. folge und worauf diese Sachkunde beruhe.

24

Auf diesen Verfahrensfehlern beruhe die Entscheidung des LSG, dass ein Zusammenhang des Leidens der Tetraplegie mit der Dreifachimpfung nicht wahrscheinlich sei, weil es am Nachweis eines Impfschadens fehle und im Übrigen andere Ursachen der Erkrankung nicht ausschieden.

25

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. März 2010 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2007 zurückzuweisen.

26

Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

27

Er schließt sich dem angefochtenen Urteil an.

28

Der Senat hat eine Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 6.4.2011 mit einer Auflistung der seit 1979 zugelassenen Polio Oral-Impfstoffe sowie der Kombinationsimpfstoffe gegen Diphtherie und Tetanus eingeholt und den Beteiligten ausgehändigt.

Entscheidungsgründe

29

1. Die Revision des Klägers ist zulässig.

30

a) Es kann dahinstehen, ob der Kläger mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts gerügt hat, wenn er geltend macht, das LSG habe generelle "Rechtstatsachen" verkannt. Es spricht zunächst nichts dagegen, die in den AHP 1983 bis 2005 unter Nr 57 für Schutzimpfungen ausgeführten Erkenntnisse zu üblichen Impfreaktionen und "Impfschäden" als generelle Tatsachen anzusehen. Zutreffend hat der Kläger insoweit auf das Urteil des 2. Senats des BSG vom 27.6.2006 (BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7) zum Berufskrankheitenrecht hingewiesen. Auch der erkennende Senat ist bereits im Bereich des Schwerbehindertenrechts davon ausgegangen, dass generelle Tatsachen vorliegen, soweit es um allgemeine medizinische Erkenntnisse geht (BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 28). Nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG führt die Annahme, dass ein bestimmter Umstand nicht (nur) einzelfallbezogene Tatsache ist, sondern eine generelle Tatsache darstellt, indes nur zur Durchbrechung der nach § 163 SGG angeordneten strikten Bindung des Revisionsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des LSG verbunden mit der Befugnis bzw der Aufgabe für das Revisionsgericht, entsprechende generelle Tatsachen selbst zu ermitteln und festzustellen(BSG aaO). Die Nichtberücksichtigung genereller Tatsachen durch das Berufungsgericht bewirkt damit nicht unmittelbar eine Verletzung materiellen Rechts.

31

Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn es um die unterlassene oder die fehlerhafte Berücksichtigung von generellen Rechtstatsachen geht, muss hier nicht entschieden werden. Zwar mag eine im og Sinne generelle Tatsache dann als Rechtstatsache anzusehen sein, wenn sie Gegenstand einer Rechtsnorm ist (vgl BSG SozR 4-2700 § 9 Nr 7; noch nicht differenziert in BSG SozR 3-2500 § 34 Nr 4). Das BSG ist aber auch im Fall der Annahme einer generellen "Rechtstatsache" bisher ausdrücklich allein von der Durchbrechung der Bindung des § 163 SGG ausgegangen(BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 24; BSGE 94, 90 = SozR 3-2500 § 18 Nr 6; s dazu Dreher, Rechtsfrage und Tatfrage in der Rechtsprechung des BSG, Festschrift 50 Jahre BSG, 791, 796). Ob eine Erweiterung dieser Rechtsprechung in einem Fall angezeigt ist, in dem es um Inhalt und Reichweite der AHP geht, deren Änderung in der Rechtsprechung des BSG wegen der "rechtsnormähnlichen Qualität" der AHP als Änderung der rechtlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 SGB X angesehen worden ist(BSG SozR 3-3870 § 3 Nr 5 S 6), kann ebenfalls auf sich beruhen.

32

b) Jedenfalls reicht es zur Zulässigkeit einer Revision aus, wenn der Revisionsführer die berufungsgerichtliche Feststellung genereller Tatsachen mit zulässigen Verfahrensrügen angreift (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Das ist hier geschehen. Der Kläger hat insbesondere schlüssig dargetan, das LSG habe es unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) unterlassen aufzuklären, ob sich die vom LSG herangezogenen, in den Hinweisen der STIKO von 2007 und den AHP 2005 niedergelegten medizinischen Erkenntnisse auf die Impfstoffe beziehen, die im Jahre 1986 bei ihm (dem Kläger) verwendet worden sind. Dazu hat der Kläger auch hinreichend vorgetragen, dass es - ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des LSG - auf diese Feststellungen ankam, weil nach den AHP 1983 andere Krankheitserscheinungen zur Bejahung eines über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehenden Gesundheitsschadens (dort als "Impfschaden" bezeichnet) ausreichten als nach den - insoweit gleichlautenden - AHP 1996 bis 2005. Sollten im vorliegenden Fall die AHP 1983 maßgebend sein, so wäre danach eine für den Kläger günstigere Entscheidung des LSG möglich gewesen. Diese Rüge erfasst den gesamten Gegenstand des Revisionsverfahrens. Sie führt mithin zur unbeschränkten Zulässigkeit der Revision.

33

2. Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch vermag der erkennende Senat auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht abschließend zu entscheiden.

34

a) Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Beschädigtenrente wegen eines Impfschadens nach einer MdE um 65 vH ab April 2001 (ab 21.12.2007: Grad der Schädigungsfolgen von 65). Mit Urteil vom 10.5.2007 hat das SG - entsprechend dem Klageantrag - den Beklagten verpflichtet, dem Kläger wegen der am 17.4.1986 erfolgten Impfung unter Anerkennung der Impfschadensfolge "Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung, leichte Sprachstörung" ab April 2001 Versorgung nach dem IfSG iVm dem BVG nach einer MdE von 65 vH zu gewähren. Dieses Urteil hatte der Kläger vor dem LSG erfolglos gegen die Berufung des Beklagten verteidigt. Im Revisionsverfahren erstrebt er die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung mit der - in der Revisionsverhandlung klargestellten - Maßgabe, dass er nicht allgemein Versorgung, sondern Beschädigtenrente begehrt (vgl dazu BSGE 89, 199, 200 = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 S 92 f).

35

           

b) Der Anspruch des Klägers, der für die Zeit ab März 2001 zu prüfen ist, richtet sich nach § 60 Abs 1 IfSG, der am 1.1.2001 in Kraft getreten ist und den bis dahin und auch schon zur Zeit der hier in Rede stehenden Impfung des Klägers im Jahre 1986 geltenden - weitgehend wortlautgleichen (BSGE 95, 66 = SozR 4-3851 § 20 Nr 1, RdNr 6; SozR 4-3851 § 60 Nr 2 RdNr 12) - § 51 Abs 1 BSeuchG abgelöst hat. § 60 Abs 1 Satz 1 IfSG bestimmt:

Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

1. von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,

2. aufgrund dieses Gesetzes angeordnet wurde,

3. gesetzlich vorgeschrieben war oder 

4. aufgrund der Verordnungen zur Ausführung der internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,

eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens iS des § 2 Nr 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.

        

Nach § 2 Nr 11 Halbs 1 IfSG ist im Sinne dieses Gesetzes Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.

        
36

aa) Die zitierten Vorschriften des IfSG verlangen für die Entstehung eines Anspruchs auf Versorgungsleistungen die Erfüllung mehrerer Voraussetzungen. Es müssen eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs 1 Satz 1 IfSG - ua zB öffentliche Empfehlung durch eine zuständige Landesbehörde - erfolgteSchutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen (s zur abweichenden Terminologie in der Rechtsprechung des BSG nach dem BSeuchG, wonach als Impfschaden die über die übliche Impfreaktion hinausgehende Schädigung, also das zweite Glied der Kausalkette, bezeichnet wurde: BSG Urteile vom 19.3.1986 - 9a RVi 2/84 - BSGE 60, 58, 59 = SozR 3850 § 51 Nr 9 S 46 und - 9a RVi 4/84 - SozR 3850 § 51 Nr 10 S 49; ebenso auch Nr 57 AHP 1983 bis 2005).

37

Zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein (aber auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung) geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist. (s Rohr/Sträßer/Dahm, BVG-Kommentar, Stand 1/11, § 1 Anm 10 mwN; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 1/11, § 8 SGB VII RdNr 8 mwN).

38

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sog Vollbeweis - feststehen müssen und allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit ausreicht (s § 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (s BSGE 60, 58 = SozR 3850 § 51 Nr 9; Rohr/Sträßer/Dahm, aaO Anm 11 mwN). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind.

39

bb) Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung sind im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden AHP anzuwenden und zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales ) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP insbesondere um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog antizipierte Sachverständigengutachten (s nur BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9). Die AHP sind in den Bereichen des sozialen Entschädigungsrechts und im Schwerbehindertenrecht generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm ("normähnlich"). Für den Fall, dass sie nicht mehr den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergeben, sind sie allerdings nicht anwendbar (BSG aaO). Dann haben Verwaltung und Gerichte auf andere Weise den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu ermitteln. Die AHP enthalten in allen hier zu betrachtenden Fassungen seit 1983 unter den Nr 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben.

40

           

Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen (damals noch als "Impfschaden" bezeichnet) bei Schutzimpfungen in Nr 57 AHP 1983 bis 2005 sind allerdings Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden (Rundschreiben des BMAS vom 12.12.2006 - IV.c.6-48064-3; vgl auch Nr 57 AHP 2008):

        

Die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete STIKO entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar.
Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr 11 IfSG und Nr 56 Abs 1 AHP) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kannversorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von §§ 60 f IfSG durchzuführen. Siehe dazu auch Nr 35 bis 52 (Seite 145 bis 169) der AHP.

41

Die seit dem 1.1.2009 an die Stelle der AHP getretene VersMedV ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung, die indes, sofern sie Verstöße gegen höherrangige, etwa gesetzliche Vorschriften aufweist, jedenfalls durch die Gerichte nicht angewendet werden darf (BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - SozialVerw 2009, 59, 62 mwN). Anders als die AHP 1983 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern (s BMAS , Einleitung zur VersMedV, S 5), sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten genutzt werden müssen.

42

cc) Zutreffend hat das LSG die Auffassung vertreten, dass alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten sind. Dies entspricht der Rechtsprechung des BSG im Sozialen Entschädigungsrecht, insbesondere im Impfschadensrecht, und Schwerbehindertenrecht (s BSG Urteil vom 17.12.1997 - 9 RVi 1/95 - SozR 3-3850 § 52 Nr 1 S 3, Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 25) sowie im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; Urteil vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7). Ein bestimmter Vorgang, der unter Umständen vor Jahrzehnten stattgefunden hat, muss, wenn über ihn erst jetzt abschließend zu entscheiden ist, nach dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft beurteilt werden. So kann auch die vor Jahrzehnten bejahte Kausalität aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden als fehlend erkannt werden, mit der Folge, dass Anerkennungen unter Umständen zurückzunehmen oder nur aus Gründen des Vertrauensschutzes (§ 45 SGB X) zu belassen sind (vgl BSG Urteil vom 2.12.2010 - B 9 V 1/10 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

43

Bei der Anwendung der neuesten medizinischen Erkenntnisse ist allerdings jeweils genau zu prüfen, ob diese sich überhaupt auf den zu beurteilenden, ggf lange zurückliegenden Vorgang beziehen. Da andere Ursachen jeweils andere Folgen nach sich ziehen können, gilt dies insbesondere für die Beurteilung von Kausalzusammenhängen. Dementsprechend muss im Impfschadensrecht sichergestellt werden, dass die nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse in Betracht zu ziehenden Impfkomplikationen gerade auch die Impfstoffe betreffen, die im konkreten Fall Verwendung gefunden haben.

44

c) Diesen Grundsätzen entspricht das angefochtene Berufungsurteil nicht in vollem Umfang.

45

aa) Zunächst hat das LSG unangegriffen festgestellt, dass der Kläger am 17.4.1986 im Land Berlin öffentlich empfohlene Schutzimpfungen, nämlich gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis, erhalten hat. Sodann ist allerdings unklar, das Auftreten welcher genauen Gesundheitsstörungen das LSG in der Zeit nach diesen Impfungen als bewiesen angesehen hat. Das LSG hat sich darauf beschränkt, das Vorliegen eines "Impfschadens" im Sinne einer primären Schädigung (also einer Impfkomplikation) zu verneinen. Bei der insoweit erfolgten Kausalitätsbeurteilung hat es sich in erster Linie auf die Hinweise der STIKO von Juni 2007 (Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen bei Schutzimpfungen/Stand: 2007, EB vom 22.6.2007/Nr 25 ) und hilfsweise auch auf die Nr 57 AHP 2005 gestützt, ohne - wie der Kläger zutreffend geltend macht - Feststellungen dazu getroffen zu haben, ob sich die darin zusammengefassten medizinischen Erkenntnisse auch auf die beim Kläger im Jahre 1986 verwendeten Impfstoffe beziehen.

46

Das LSG hat es bereits unterlassen, ausdrücklich festzustellen, welche Impfstoffe dem Kläger am 17.4.1986 verabreicht worden sind. Auch aus den vom LSG allgemein in Bezug genommenen Akten ergibt sich insofern nichts. Der in Kopie vorliegende Impfpass des Klägers enthält für den 17.4.1986 nur den allgemeinen Eintrag "Polio oral, Diphtherie, Tetanus". In der ebenfalls in Kopie vorliegenden Krankenkartei der behandelnden Kinderärztin findet sich unter dem 17.4.1986 die Angabe "DT-Polio".

47

Ermittlungen zu dem im Jahre 1986 beim Kläger verwendeten Impfstoff sowie zu dessen Einbeziehung in die Hinweise der STIKO (EB Nr 25/2007) und - hinsichtlich des oral verabreichten Poliolebendimpfstoffes - in die Nr 57 Abs 2 AHP 2005 hat das LSG offenbar für entbehrlich gehalten. Es hat den Umstand, dass die Impfstoffe im Laufe der Jahre verändert worden sind, hypothetisch als wahr unterstellt und anhand der AHP 2005 unter Auswertung der Sachverständigengutachten den Eintritt von Impfkomplikationen beim Kläger verneint. Dabei hat es jedoch nicht geklärt, ob die AHP 2005 für die Beurteilung von Komplikationen infolge der im Jahre 1986 vorgenommenen Impfungen auch wirklich uneingeschränkt maßgebend sind.

48

bb) Entsprechende Feststellungen wären sicher dann überflüssig, wenn die Angaben zu Impfkomplikationen nach Schutzimpfungen der beim Kläger vorgenommenen Art von den 1986 noch maßgebenden AHP 1983 bis zu den STIKO-Hinweisen von Juni 2007 gleich geblieben wären. Dann könnte grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sich weder die Auswirkungen der insoweit gebräuchlichen Impfstoffe noch diesbezügliche wissenschaftliche Erkenntnisse geändert haben. Ebenso könnte auf nähere Feststellungen zu diesem Punkt verzichtet werden, wenn feststünde, dass alle im Jahre 1986 gebräuchlichen Impfstoffe gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis bei den STIKO-Hinweisen von 2007 oder den Angaben in Nr 57 AHP 2005 Berücksichtigung gefunden haben, sei es, weil die Impfstoffe (jedenfalls hinsichtlich der zu erwartenden Impfkomplikationen) im gesamten Zeitraum im Wesentlichen unverändert geblieben sind, sei es, weil etwaige Unterschiede differenziert behandelt worden sind. Von alledem kann nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht ausgegangen werden.

49

           

aaa) Zunächst lassen sich Unterschiede in den Ausführungen der Nr 57 AHP 1983 und 1996 (letztere sind in die AHP 2004 und 2005 übernommen worden) sowie in den STIKO-Hinweisen von 2007 feststellen:

So enthält die Nr 57 Abs 2 AHP (Poliomyelitis-Schutzimpfung) für die Impfung mit Lebendimpfstoff zwar hinsichtlich der "üblichen Impfreaktionen" in den Fassungen 1983 und 1996 (2004/2005) im Wesentlichen die gleichen Formulierungen, der Text betreffend "Impfschäden" (im Sinne von Impfkomplikationen) weicht jedoch in beiden Fassungen voneinander ab. In den AHP 1983 heißt es insoweit:

        

Poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen; Inkubationszeit 3 bis 30 Tage, Auftreten von Lähmungen nicht vor dem 6. Tag nach der Impfung. - Bei Immundefekten sind längere Inkubationszeiten zu beachten (21 bis 158 Tage beobachtet). Nicht poliomyelitisähnliche Erkrankungen am Zentralnervensystem nach der Impfung, wie die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens oder - sehr selten - eine Meningoenzephalitis, Polyradikulitis, Polyneuritis oder Fazialisparese, bedürfen stets einer besonders sorgfältigen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung ist dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung innerhalb von 30 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, außerdem Impfviren im Darm oder Rachen und eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Dieselben Voraussetzungen gelten für das selten als Impfschaden in Betracht kommende Erythema nodosum.

50

           

Die Fassung der AHP 1996 nennt dagegen als "Impfschäden" (Komplikationen):

        

Poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen von wenigstens 6 Wochen Dauer (Impfpoliomyelitis): Inkubationszeit beim Impfling 3 bis 30 Tage, Auftreten von Lähmungen nicht vor dem 6. Tag nach der Impfung. - Bei Immundefekten sind längere Inkubationszeiten zu beachten (bis zu mehreren Monaten). Beim Guillain-Barré-Syndrom ist ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung innerhalb von 10 Wochen nach der Impfung aufgetreten ist, außerdem Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Die sehr selten beobachtete Meningoenzephalitis und/oder die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens ohne die Symptome einer Impfpoliomyelitis bedürfen stets einer besonders sorgfältigen diagnostischen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung ist dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung zwischen dem 3. und 14. Tag nach der Impfung nachgewiesen wurde und außerdem Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Einzelne hirnorganische Anfälle nach der Impfung (z.B. Fieberkrämpfe) mit einer mehrmonatigen Latenz zur Entwicklung eines Anfallsleidens können nicht als Erstmanifestation des Anfallsleidens gewertet werden.

51

In den EB 25/2007 finden sich zu einem Poliomyelitisimpfstoff mit Lebendviren, wie er dem Kläger (oral) verabreicht worden ist, keine Angaben. Dies beruht darauf, dass dieser Impfstoff seit 1998 nicht mehr zur Schutzimpfung bei Kleinkindern öffentlich empfohlen ist (vgl dazu BSG SozR 4-3851 § 60 Nr 2 RdNr 16).

52

Für die Diphtherie-Schutzimpfung ist die Nr 57 Abs 12 AHP bezüglich der "üblichen Impfreaktionen" in den Fassungen 1983 und 1996 im Wesentlichen wortlautgleich.

53

           

Die "Impfschäden" (im Sinne von Komplikationen) sind in der Fassung der AHP 1983 beschrieben mit:

        

Sterile Abszesse mit Narbenbildung. Selten in den ersten Wochen Enzephalopathie, Enzephalomyelitis oder Neuritis, vor allem der Hirnnerven (wie bei der Krankheit). Selten Thrombose, Nephritis.

54

           

Demgegenüber ist Abs 12 der Nr 57 AHP 1996 hinsichtlich der "Impfschäden" (Komplikationen) wie folgt gefasst:

        

Sehr selten akut entzündliche Erkrankungen des ZNS; sie bedürfen einer besonders sorgfältigen diagnostischen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung kommt in Betracht, wenn die Erkrankung innerhalb von 28 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, eine Antikörperbildung nachweisbar war und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Sehr selten Neuritis, vor allem der Hirnnerven (wie bei der Krankheit), Thrombose, Nephritis.

55

           

Hinsichtlich der Tetanus-Schutzimpfung sind in Abs 13 der Nr 57 der hier relevanten Fassungen der AHP die "Impfschäden" wie folgt übereinstimmend umschrieben:

        

Sehr selten Neuritis, Guillain-Barré-Syndrom.

56

           

Demgegenüber differiert hier die Beschreibung der "üblichen Impfreaktionen" zwischen den Fassungen 1983 und 1996. Während 1983 als "übliche Impfreaktionen" beschrieben sind:

        

Geringe Lokalreaktion,

57

           

enthält die Fassung der AHP 1996 die Formulierung:

        

Lokalreaktion, verstärkt nach Hyperimmunisierung.

58

           

In den STIKO-Hinweisen von 2007 (EB 25/2007, 211) heißt es zum Diphtherie-Tetanus-Impfstoff (DT-Impfstoff):

        

Lokal- und Allgemeinreaktion
Als Ausdruck der normalen Auseinandersetzung des Organismus mit dem Impfstoff kann es innerhalb von einem bis drei Tagen, selten länger anhaltend, sehr häufig (bei bis zu 20 % der Impflinge) an der Impfstelle zu Rötung, Schmerzhaftigkeit und Schwellung kommen, gelegentlich auch verbunden mit Beteiligung der zugehörigen Lymphknoten. Sehr selten bildet sich ein kleines Knötchen an der Injektionsstelle, ausnahmsweise im Einzelfall mit Neigung zu steriler Abszedierung.

Allgemeinsymptome wie leichte bis mäßige Temperaturerhöhung, grippeähnliche Symptomatik (Frösteln, Kopf- und Gliederschmerzen, Müdigkeit, Kreislaufbeschwerden) oder Magen-Darm-Beschwerden (Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall) treten gelegentlich (1 % der Impflinge) und häufiger (bis 10 %) bei hyperimmunisierten (häufiger gegen Diphtherie und/oder Tetanus geimpften) Impflingen auf.

In der Regel sind diese genannten Lokal- und Allgemeinreaktionen vorübergehender Natur und klingen rasch und folgenlos wieder ab.

Komplikationen
Im Zusammenhang mit einer Fieberreaktion kann es beim Säugling und jungen Kleinkind gelegentlich zu einem Fieberkrampf (in der Regel ohne Folgen) kommen. Komplikationen der Impfung in Form allergischer Reaktionen an der Haut oder an den Atemwegen treten selten auf. Im Einzelfall kann es zu Erkrankungen des peripheren Nervensystems (Mono- oder Polyneuritiden, Neuropathie) kommen, auch Einzelfälle allergischer Sofortreaktionen (anaphylaktischer Schock) wurden in der medizinischen Fachliteratur beschrieben.

59

           

bb) Der erkennende Senat hat auch keine Veranlassung anzunehmen, dass alle im Jahre 1986 gebräuchlichen Kombinationsimpfstoffe gegen Diphtherie und Tetanus (DT-Impfstoffe) von den STIKO-Hinweisen von 2007 erfasst worden sind. Dafür dass sich diese nur auf im Jahre 2007 gebräuchliche Impfstoffe beziehen, spricht schon der vom LSG selbst erkannte Umstand, dass es sich dabei ausdrücklich um "Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen bei Schutzimpfungen Stand: 2007" handelt. Zudem wird in diesen Hinweisen ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass sich die nachfolgende Textfassung sowie das zugehörige Literaturverzeichnis auf alle gegenwärtig (Stand: Juni 2007) in Deutschland zugelassenen Impfstoffe beziehen (s EB Nr 25/2007 S 210 rechte Spalte). Weiter heißt es dort:

        

Auf dem deutschen Markt stehen Impfstoffe unterschiedlicher Hersteller mit zum Teil abweichenden Antigenkonzentrationen und Inhaltsstoffen zur Verfügung, die zur gleichen Anwendung zugelassen sind. Die Umsetzung von STIKO-Empfehlungen kann in der Regel mit allen verfügbaren und zugelassenen Impfstoffen erfolgen. Zu Unterschieden im Spektrum unerwünschter Arzneimittelwirkungen ist ggf auf die jeweiligen Fachinformationen zu verweisen. Die Aktualisierung der Fachinformationen erfolgt nach Maßgabe der Zulassungsbehörden entsprechend den Änderungsanträgen zur Zulassung. Diese aktualisierten Fachinformationen sind ggf ergänzend zu den Ausführungen in diesen Hinweisen zu beachten.

60

Nach der vom erkennenden Senat eingeholten Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 6.4.2011 waren im Juni 2007 noch drei DT-Impfstoffe zugelassen, deren Zulassung vor 1986 lag. Daneben waren im Juni 2007 und bis heute weitere neun DT-Impfstoffe zugelassen, deren zeitlich früheste Zulassung im Jahr 1997 datiert. Hinzu kommt, dass es nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts nach Einführung der Zulassungspflicht im Jahre 1978 eine Übergangszeit von mehreren Jahren gab. In dieser Zeit erhielten Impfstoffe nach und nach eine Zulassung im heutigen Sinne. So können Impfstoffe, die erst nach 1986 offiziell zugelassen worden sind, bereits vorher in Deutschland gebräuchlich gewesen sein.

61

Diese Gegebenheiten schließen nach Auffassung des erkennenden Senats - jedenfalls auf der Grundlage der gegenwärtigen Erkenntnisse - eine undifferenzierte Anwendung der STIKO-Hinweise auf die 1986 beim Kläger erfolgten Impfungen aus. Es lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass alle 1986 gebräuchlichen DT-Impfstoffe zu den im Juni 2007 zugelassenen Impfstoffen gehört haben, auf die sich diese Hinweise nach ihrem Inhalt beziehen. Darüber hinaus werden darin ausdrücklich Unterschiede im Spektrum der unerwünschten Arzneimittelwirkungen angesprochen, die sich aus abweichenden Antigenkonzentrationen und Inhaltsstoffen ergeben können. Ohne nähere Feststellungen zu den Zusammensetzungen der 1986 gebräuchlichen DT-Impfstoffe, insbesondere der beim Kläger verwendeten, lässt sich mithin nicht beurteilen, ob und inwieweit die STIKO-Hinweise von 2007 bei der hier erforderlichen Kausalitätsprüfung zugrunde gelegt werden können.

62

Entsprechend verhält es sich mit den AHP 2005, die das LSG in erster Linie bei der Poliomyelitisimpfung und hilfsweise auch bei der DT-Impfung zur Kausalitätsbeurteilung herangezogen hat. In Nr 56 und 57 AHP 2005, die insoweit mit den AHP 1996 und 2004 übereinstimmen, wird nicht genau angegeben, auf welche Impfstoffe sich die betreffenden Angaben beziehen. Insbesondere wird nicht deutlich, ob diese Angaben auch für die 1986 gebräuchlichen Impfstoffe Geltung beanspruchen. Da das LSG auch nicht festgestellt hat, dass die in Frage kommenden Impfstoffe in ihren Auswirkungen von 1986 bis 1996 gleich geblieben sind, können die AHP 1996/2004/2005 hier nicht ohne Weiteres angewendet werden. Denkbar wäre immerhin, dass für die im Jahre 1986 gebräuchlichen Impfstoffe grundsätzlich noch die AHP 1983 maßgebend sind, ggf ergänzt durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Wirkungen der betreffenden Impfstoffe.

63

d) Zwar könnte der erkennende Senat die danach erforderlichen Feststellungen, soweit sie sich auf allgemeine Tatsachen beziehen, nach entsprechenden Ermittlungen selbst treffen. Eine derartige Vorgehensweise hält er hier jedoch nicht für tunlich.

64

aa) Zur Klärung einer Anwendung der STIKO-Hinweise von 2007 müsste - ohne vorherige Ermittlung der konkret beim Kläger verwendeten Impfstoffe, die der Senat nicht selbst durchführen darf (vgl § 163 SGG) - allgemein, dh voraussichtlich mit erheblichem Aufwand, geprüft werden, ob alle im April 1986 gebräuchlichen Impfstoffe den im Juni 2007 zugelassenen Impfstoffen derart entsprachen, dass mit denselben Impfkomplikationen zu rechnen war, wie sie in den STIKO-Hinweisen für DT-Impfstoffe aufgeführt werden. Sollte sich dabei kein einheitliches Bild ergeben, könnte auf die Feststellung der tatsächlich angewendeten Impfstoffe wahrscheinlich nicht verzichtet werden.

65

bb) Soweit sich feststellen ließe, dass die AHP 1996/2004/2005 - ggf mit allgemeinen Modifikationen - ohne Feststellung der konkreten Impfstoffe für die Beurteilung des vorliegenden Falles maßgeblich sind, könnte das Berufungsurteil jedenfalls nicht in vollem Umfang aufrechterhalten werden. Zumindest hinsichtlich der Verneinung einer durch die Diphtherieimpfung verursachten Impfkomplikation beruht die Entscheidung des LSG nämlich sowohl auf einer teilweise unzutreffenden Rechtsauffassung als auch auf Tatsachenfeststellungen, die verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sind.

66

Nach der vom LSG (hilfsweise) als einschlägig angesehenen Nr 57 Abs 12 AHP 2005 kommt bei einer Diphtherieschutzimpfung als "Impfschaden" (Komplikation) ua eine "akut entzündliche Erkrankung des ZNS" in Betracht, wenn die Erkrankung innerhalb von 28 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, eine Antikörperbildung nachweisbar war und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden.

67

aaa) Dementsprechend ist zunächst festzustellen, ob eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS im maßgeblichen Zeitraum nach der Impfung eingetreten ist. Soweit das LSG bezogen auf den vorliegenden Fall angenommen hat, eine entsprechende Erkrankung des ZNS lasse sich nicht feststellen, beruht dies - wie der Kläger hinreichend dargetan hat - auf einem Verstoß gegen §§ 103, 128 Abs 1 Satz 1 SGG.

68

Zwischen den Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. S. bestand darüber Streit, ob beim Kläger zwei Wochen nach der ersten Impfung eine "akut entzündliche Erkrankung des ZNS" aufgetreten ist. Das LSG hat sich für die Verneinung einer derartigen Erkrankung in erster Linie auf die Auffassung von Prof. Dr. S. gestützt, der als typische Merkmale einer "schweren" ZNS-Erkrankung Fieber, Krämpfe, Erbrechen und längere Bewusstseinstrübung genannt habe. Dagegen hatte der Kläger unter Beweis gestellt, dass Erkrankungen des ZNS gerade bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrüche auftreten können. Diese Behauptung hat das LSG hypothetisch als wahr unterstellt und dazu die Ansicht vertreten, dies ändere "nichts daran, dass vorliegend eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS gerade nicht positiv festgestellt werden kann". Die Möglichkeit einer derartigen Erkrankung genüge nicht.

69

Zwar trifft es zu, dass der Eintritt einer akut entzündlichen Erkrankung des ZNS beim Kläger für den relevanten Zeitraum von 28 Tagen nach Impfung bewiesen sein muss. Den Ausführungen des LSG lässt sich jedoch nicht entnehmen, auf welche medizinische Sachkunde es sich bei der Beurteilung gestützt hat, eine positive Feststellung sei im vorliegenden Fall unmöglich. Auf die Ausführungen von Prof. Dr. S. konnte sich das LSG dabei nicht beziehen, da es in diesem Zusammenhang gerade - abweichend von dessen Auffassung - die Möglichkeit einer ohne Fieberausbrüche auftretenden akut entzündlichen Erkrankung des ZNS unterstellt hat. Mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K., auf die sich der Kläger berufen hatte, hat sich das LSG nicht auseinandergesetzt. Folglich hätte das LSG entweder zunächst dem auf allgemeine medizinische Erkenntnisse gerichteten Beweisantrag des Klägers nachkommen oder sogleich mit sachkundiger Hilfe (unter Abklärung des medizinischen Erkenntnisstandes betreffend eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS) konkret feststellen müssen, ob das (von Prof. Dr. K. als "zentralnervöser Zwischenfall" bezeichnete) Krankheitsgeschehen, das beim Kläger vierzehn Tage nach der Impfung ohne einen Fieberausbruch abgelaufen ist, als akut entzündliche Erkrankung des ZNS anzusehen ist.

70

bbb) Auch (allein) mit dem (bislang) fehlenden Nachweis einer Antikörperbildung hätte das LSG eine Impfkomplikation nicht verneinen dürfen. Seine Begründung, selbst wenn sich noch heute Antikörper feststellen ließen, könnten sie - wegen der im Jahre 1987 erfolgten weiteren Impfungen - nicht mit Sicherheit der am 17.4.1986 vorgenommenen ersten Impfung zugeordnet werden, ist aus Rechtsgründen nicht tragfähig. Der erkennende Senat hält es für unzulässig, eine Versorgung nach dem IfSG an Anforderungen scheitern zu lassen, die im Zeitpunkt der Impfung nicht erfüllt zu werden brauchten und im nachhinein nicht mehr erfüllt werden können (vgl dazu Thüringer LSG Urteil vom 20.3.2003 - L 5 VJ 624/01 - juris RdNr 32; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 21.7.2006 - L 8 VJ 847/04 - juris RdNr 40). Der Nachweis der Antikörperbildung als Hinweis auf eine Verursachung der Erkrankung des ZNS durch die Impfung ist erstmals in der Nr 57 Abs 12 AHP 1996 enthalten. Die AHP 1983 nannten an entsprechender Stelle als "Impfschäden" (Komplikationen) noch nicht einmal die akut entzündliche Erkrankung des ZNS, sondern andere Erkrankungen, wie zB die Enzephalopathie, ohne einen Antikörpernachweis zu fordern. Nach der am 17.4.1986 erfolgten Impfung bestand somit grundsätzlich keine Veranlassung, die Bildung von Antikörpern zu prüfen. Wenn die Zuordnung von jetzt noch feststellbaren Antikörpern nach den weiteren Impfungen von 1987 aus heutiger Sicht medizinisch nicht möglich sein sollte, verlangte man rechtlich etwas Unmögliches vom Kläger. Demzufolge muss es zur Erfüllung der Merkmale der Nr 57 Abs 12 AHP 2005 jedenfalls ausreichen, wenn sich heute noch entsprechende Antikörper beim Kläger nachweisen lassen.

71

ccc) Soweit das LSG schließlich im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen der Nr 57 Abs 12 AHP 2005 festgestellt hat, dass andere Ursachen der Krankheitszeichen, die beim Kläger zwei Wochen nach der Impfung vom 17.4.1986 aufgetreten sind, nicht ausscheiden, ist auch diese Feststellung - wie vom Kläger zutreffend gerügt - verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das LSG hat insoweit nicht das Gesamtergebnis der Beweisaufnahme berücksichtigt. Denn es hat sich nicht hinreichend mit der abweichenden medizinischen Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. K. auseinandergesetzt. Neben dem vom LSG erörterten verringerten Schädelwachstum des Klägers hat Prof. Dr. K. in diesem Zusammenhang auch auf einen Entwicklungsknick hingewiesen, der beim Kläger nach dem "zentralnervösen Zwischenfall" eingetreten sei. Es ist jedenfalls nicht ohne Weiteres ersichtlich, wie sich ein solcher Vorgang mit der vom LSG - gestützt auf Prof. Dr. S. angenommenen "allmählichen Manifestation" der Symptome einer Cerebralparese vereinbaren lässt.

72

e) Nach alledem ist es geboten, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

73

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. Mai 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Streitig sind Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

2

Der Vater des 1993 geborenen Klägers wurde im Juni 2007 Opfer eines tätlichen Angriffs. Der Schädiger versetzte ihm ua zwei heftige Kopfstöße ins Gesicht. Infolge der dabei erlittenen Verletzung fiel das Opfer ins Koma und verstarb fünf Tage später im Krankenhaus, ohne das Bewusstsein wieder zu erlangen. Der Schädiger wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt.

3

Im August 2007 beantragte der Kläger Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Das beklagte Land lehnte den Antrag nach medizinischen Ermittlungen ab, weil beim Kläger eine reaktive depressive Verstimmung, jedoch kein Schockschaden vorliege (Bescheid vom 22.7.2010, Widerspruchsbescheid vom 28.9.2011).

4

Das vom Kläger angerufene SG hat die Klage ebenfalls zurückgewiesen, weil es an einem Schockschaden fehle. Nicht das schädigende Ereignis im engeren Sinne, sondern der Verlust des Vaters in der Folge aufgrund der Verletzungen hätten die Funktionsstörungen beim Kläger verursacht (Urteil vom 4.9.2013).

5

Mit dem angefochtenen Urteil hat das LSG die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 28.5.2015). Nach den vom BSG für Schockschäden aufgestellten Maßstäben lasse sich nicht feststellen, dass die Benachrichtigung von der schweren Verletzung des Vaters mit überwiegender Wahrscheinlichkeit unmittelbar die Gesundheitsstörung des Klägers verursacht habe. Wie der Gutachter Dr. S. in Übereinstimmung mit weiteren Ärzten ausgeführt habe, sei die Funktionsstörung nicht auf den Schock anlässlich der Nachricht von der Tat, sondern auf den mehrere Tage später erfolgten, belastenden Tod des Vaters zurückzuführen.

6

Mit seiner gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil eingelegten Beschwerde macht der Kläger geltend, das LSG habe den Sachverhalt unvollständig aufgeklärt und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.

7

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder der behauptete Verfahrensmangel (1.) noch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

8

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Einen solchen Beweisantrag hat die Beschwerde nicht bezeichnet. Da sie somit die Tatsachenfeststellungen des LSG nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffen hat, ist der Senat daran gebunden (§ 163 SGG). Deshalb kann die Beschwerde im vorliegenden Verfahren nicht mit Erfolg geltend machen, der Kläger sei nicht erst durch die Nachricht vom Tod seines Vaters, sondern bereits aufgrund der vorangegangenen Benachrichtigung von seiner schweren Verletzung erkrankt.

9

2. Ebenso wenig hat die Beschwerde die von ihr angenommene grundsätzliche Bedeutung hinreichend substantiiert dargetan.

10

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Der Kläger wirft sinngemäß die Rechtsfrage auf, ob Schockschäden auch dann entschädigungspflichtig sind, wenn die Schädigung erst durch Ereignisse nach Abschluss des schädigenden Vortrags eingetreten ist. Der Kläger zeigt jedoch den Klärungsbedarf nicht auf. Das LSG hat für seine Entscheidung zutreffend die bisherige Rechtsprechung des Senats zur Entschädigung von Schockschäden im OEG herangezogen. Sekundäropfer erhalten demnach nur dann Leistungen nach dem OEG, wenn sie als Augenzeugen des das Primäropfer schädigenden Vorganges oder durch eine sonstige Kenntnisnahme davon geschädigt worden sind. Hingegen reicht es nicht aus, wenn es bei ihnen zu einer initialen Schädigung erst aufgrund von Ereignissen gekommen ist, die das Primäropfer nach Abschluss des betreffenden schädigenden Vorganges erfasst haben (BSG Urteil vom 12.6.2003 - B 9 VG 8/01 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 2 RdNr 5 mwN; vgl Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 16 ff mwN).

11

Die Beschwerde legt nicht dar, warum trotz dieser vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung noch oder wieder Klärungsbedarf bestehen sollte. Dafür hätte sie aufzeigen müssen, in welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher Begründung der Rechtsprechung widersprochen werde bzw die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten sei (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51). Allein die von ihr geäußerte Rechtsansicht, die Abgrenzung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Schockschäden führe zu unbilligen Ergebnissen, genügt dafür nicht.

12

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

13

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

14

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. März 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger an einem entschädigungspflichtigen Impfschaden leidet.

2

Der Kläger wurde in der 33. Schwangerschaftswoche am 24.10.1985 geboren. Vor und unter der Geburt kam es zu einem Sauerstoffmangel und einer Säureüberladung (perinatale Asphyxie). Am 17.4.1986 erhielt der Kläger die im Land Berlin öffentlich empfohlene Schutzimpfung gegen Diphtherie und Tetanus (Kombination) sowie gegen Poliomyelitis (oral). Zwei Wochen nach dieser Impfung sackte der Kläger im Arm seiner Mutter schlaff zusammen; sein Gesicht war blass, die Augen halb geschlossen; nach einigen Minuten setzte eine Erholung ein; Fieber und Krämpfe traten nicht auf. Nach Angaben seiner Mutter hat sich das Kind nicht mehr vollständig erholt. Ende 1986 wurde beim Kläger eine spastische Tetraplegie mit statomotorischer Entwicklungsverzögerung diagnostiziert. Die beiden weiteren Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis erhielt der Kläger am 12. und 30.4.1987.

3

Der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von nunmehr 100 anerkannt.

4

Im März 2001 stellte der Kläger bei dem beklagten Land einen Antrag auf Leistungen wegen eines Impfschadens. Daraufhin holte dieses ein nervenärztliches Gutachten von Dr. D. ein und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 5.9.2002 ab. Auf der Grundlage einer nervenärztlichen Stellungnahme von Dr. M. wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 15.8.2003 zurück, weil ein Zusammenhang zwischen der Impfung und der infantilen spastischen Cerebralparese zwar möglich aber nicht wahrscheinlich sei. Überwiegend wahrscheinlich sei, dass für die Erkrankung andere Faktoren, wie die Frühgeburt und Auffälligkeiten in der Schwangerschaft, ausschlaggebend gewesen seien.

5

Der Kläger hat daraufhin beim Sozialgericht Berlin (SG) Klage erhoben. Dieses hat verschiedene ärztliche Unterlagen sowie von Amts wegen ein pädiatrisches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 2.1.2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 14.6.2005 eingeholt. Dieser ist - vorbehaltlich der Richtigkeit der Schilderung der Mutter des Klägers betreffend das Ereignis zwei Wochen nach der Impfung - zu dem Ergebnis gelangt, dass die perinatale Asphyxie (lediglich) zu einem leichten bis mäßigen Hirnschaden geführt habe. Die ab Mai 1986 ersichtlichen schweren neurologischen Störungen (Cerebralparese) seien überwiegend als Impfschadensfolge einzuordnen.

6

Der Beklagte hat demgegenüber ein nach Aktenlage erstattetes Gutachten des Prof. Dr. S. Facharzt für Mikrobiologie und Kinder-/Jugendmedizin - vom 21.2.2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 27.2.2006 vorgelegt. Dieser hat die Auffassung vertreten, dass das Krankheitsbild des Klägers plausibel auf die perinatale Sauerstoffmangelsituation zurückzuführen sei und eine ursächliche oder mitursächliche Rolle der Dreifachimpfung höchst unwahrscheinlich sei. Im Anschluss daran hat das SG die Mutter des Klägers als Zeugin über den Zwischenfall zwei Wochen nach dem 17.4.1986 vernommen und danach ein weiteres Gutachten von Amts wegen eingeholt und zwar von Prof. Dr. D. Unter dem 27.11.2006 ist dieser Sachverständige ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass die vorliegende Cerebralparese mit bestimmten Störungen bzw Behinderungen überwiegend wahrscheinlich durch die perinatale Asphyxie verursacht worden sei, jedoch keine Wahrscheinlichkeit für eine zusätzliche Impfschädigung bestehe.

7

Durch Urteil vom 10.5.2007 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung verpflichtet, dem Kläger wegen der Impfung vom 17.4.1986 unter Anerkennung der Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung und leichter Sprachbehinderung als Impfschadensfolge ab April 2001 Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 65 vH zu gewähren. Es hat seine Entscheidung auf folgende Erwägungen gestützt: Der Kläger sei am 13. oder 14. Tag nach der Impfung auf dem Arm der Mutter plötzlich schlaff geworden und mit halb geschlossenen Augen im Gesicht bleich gewesen, er habe sich danach zwar erholt, aber nicht mehr wie zuvor bewegt. Zur Frage der Verursachung sei der Auffassung von Prof. Dr. K. zu folgen. Die anders lautenden Beurteilungen der übrigen Sachverständigen seien nicht überzeugend. Die MdE von 65 vH ergebe sich daraus, dass der mit 100 vH zu bewertende dauerhafte Gesundheitsschaden des Klägers nach der Beurteilung von Prof. Dr. K. zu zwei Dritteln durch die Impfung am 17.4.1986 verursacht worden sei.

8

Im anschließenden Berufungsverfahren hat der Kläger hilfsweise beantragt, durch Anfrage bei der Ständigen Impfkommission (STIKO) die Tatsache zu erweisen, dass die heute verwendeten Impfstoffe gegen Polio, Diphtherie und Tetanus nicht identisch sind mit den bei ihm verwendeten Impfstoffen, sowie zum Beweis der Tatsache, dass Erkrankungen des zentralen Nervensystems gerade bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrüche auftreten können, ein medizinisches Sachverständigengutachten eines erfahrenen klinisch tätigen Arztes einzuholen, der über Erfahrungen auch zu Impfungen in den achtziger Jahren verfügt.

9

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 11.3.2010). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Anspruchsvoraussetzungen nach den im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschriften des bis zum 31.12.2000 geltenden § 51 Abs 1 Satz 1 Bundesseuchengesetz (BSeuchG) und des am 1.1.2001 in Kraft getretenen § 60 Abs 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) seien nicht erfüllt. Danach sei der Nachweis einer schädigenden Einwirkung (der Impfung), einer gesundheitlichen Primärschädigung in Form einer unüblichen Impfreaktion und der Schädigungsfolgen (Dauerleiden) erforderlich. Für die jeweiligen Kausalzusammenhänge reiche eine Wahrscheinlichkeit aus.

10

Der dauerhafte Gesundheitsschaden in Form einer Cerebralparese sei hier nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Impfung zurückzuführen, weil sich ein Impfschaden als Primärschädigung nicht habe nachweisen lassen. Welche Impfreaktionen als Impfschäden anzusehen seien, lasse sich den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung entnehmen. Bezogen auf den Anspruchszeitraum ab Antragstellung im April 2001 sei grundsätzlich die Nr 57 AHP in den Fassungen von 1996, 2004 und 2005 heranzuziehen, die für die einzelnen Schutzimpfungen die üblichen Impfreaktionen von den Impfschäden abgrenze. Eine Änderung sei mit den AHP 2008 eingetreten, in welchen von einer Aufführung der spezifischen Impfschäden Abstand genommen worden sei. Vielmehr habe Nr 57 Satz 1 AHP 2008 auf die im Epidemiologischen Bulletin (EB) veröffentlichten Arbeitsergebnisse der bei dem Robert-Koch-Institut eingerichteten STIKO verwiesen, die Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einer über das übliche Ausmaß hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden) entwickelten. Nach Nr 57 Satz 2 AHP 2008 stellten diese Ergebnisse den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar. Hieran habe sich auch mit Inkrafttreten der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) zum 1.1.2009 nichts geändert, denn die Nr 53 bis 143 AHP 2008 behielten auch nach Inkrafttreten der VersmedV weiterhin Gültigkeit als antizipiertes Sachverständigengutachten (BR-Drucks 767/07, S 4 zu § 2 VersMedV).

11

Die aktuellen Mitteilungen der STIKO von Juni 2007 (EB Nr 25/2007, 209 ff), die zwar in erster Linie Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen von Schutzimpfungen enthielten, seien gleichwohl zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einem Impfschaden heranzuziehen. Bei den einzelnen Impfstoffen würden jeweils in dem mit "Komplikationen" bezeichneten Abschnitt in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung beobachtete Krankheiten bzw Krankheitserscheinungen dargestellt, bei denen aufgrund der gegenwärtig vorliegenden Erkenntnisse ein ursächlicher Zusammenhang als gesichert oder überwiegend wahrscheinlich anzusehen sei.

12

Im Streit stehe der ursächliche Zusammenhang zwischen der Impfung und der Erkrankung des Klägers im Sinne einer Verschlimmerung, nicht im Sinne der Entstehung. Nach Nr 42 Abs 1 Satz 3 AHP 2008 bzw nach Teil C Nr 7 Buchst a Satz 3 Anlage zur VersMedV komme, sofern zur Zeit der Einwirkung des schädigenden Vorgangs bereits ein einer Gesundheitsstörung zugehöriges pathologisches physisches oder psychisches Geschehen, wenn auch unbemerkt, vorhanden gewesen sei, eine Anerkennung im Sinne der Verschlimmerung in Frage, falls die äußere Einwirkung den Zeitpunkt vorverlegt habe, an dem das Leiden sonst in Erscheinung getreten wäre, oder das Leiden schädigungsbedingt in schwererer Form aufgetreten sei, als es sonst zu erwarten gewesen wäre.

13

Bei dem Kläger liege nach Einschätzung aller Gutachter ein durch die Geburtsasphyxie hervorgerufener Hirnschaden vor. Einigkeit bestehe auch darüber, dass derartige frühkindliche Schäden sich oft verspätet in Gestalt einer Spastik manifestierten. Kern des Rechtsstreits sei die Frage, ob ein bestimmter Anteil der bei dem Kläger vorliegenden Cerebralparese auf die Impfung zurückzuführen sei. Ein derartiger Zusammenhang sei indessen nicht hinreichend wahrscheinlich, weil es am Nachweis eines Impfschadens (atypische Impfreaktion als Primärschädigung) fehle.

14

In den Mitteilungen der STIKO von Juni 2007 seien für die Verwendung des Diphtherie-Impfstoffs sowie für die Verwendung des Kombinationsimpfstoffs gegen Diphtherie und Tetanus spezifische Komplikationen aufgezählt, die sämtlich beim Kläger nicht aufgetreten seien. Insbesondere habe keiner der Sachverständigen eine Erkrankung des peripheren Nervensystems diagnostiziert.

15

Soweit der Kläger die Mitteilungen der STIKO für nicht maßgebend halte, weil sie sich auf die heute verwendeten Impfstoffe gegen Poliomyelitis, Diphtherie und Tetanus bezögen, die nicht identisch mit den bei ihm verwendeten Impfstoffen seien, komme es auf seinen entsprechenden Beweisantrag nicht an. Selbst wenn man unterstelle, dass die Empfehlungen der STIKO Impfungen mit anderen als den damals bei dem Kläger verwendeten Impfstoffen beträfen, sei der ursächliche Zusammenhang im Sinne der Verschlimmerung weiterhin nicht hinreichend wahrscheinlich.

16

In diesem Fall wären die AHP 2005 heranzuziehen, deren Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Nr 57 Abs 12 und 13 AHP 2005 nenne für Diphtherie- und Tetanusschutzimpfungen spezifische Erscheinungen als Impfschäden, die bei dem Kläger nach Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. K. nicht aufgetreten seien. Der von diesem als zentralnervöser Zwischenfall bezeichnete Vorgang zwei Wochen nach der Impfung sei keine akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS) gewesen. Die von Prof. Dr. S. genannten typischen Merkmale einer schweren ZNS-Erkrankung fehlten beim Kläger. Selbst wenn man die vom Kläger unter Beweis gestellte Behauptung, dass Erkrankungen des zentralen Nervensystems gerade bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrüche auftreten könnten, als wahr unterstellte, ändere dies nichts daran, das vorliegend eine akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems gerade nicht positiv festgestellt werden könne. Die Möglichkeit einer derartigen Erkrankung genüge aber für die Anerkennung eines Impfschadens nicht. Der nach den AHP 2005 erforderliche Nachweis einer Antikörperbildung möge heute noch möglich sein, sei aber nicht zielführend, weil hierdurch lediglich eine durchgeführte Impfung bestätigt würde und nicht mehr geklärt werden könne, welche der drei Impfungen des Klägers diesen Zustand herbeigeführt habe. Im Übrigen schieden andere Ursachen der Erkrankung nicht aus. Es bestehe weiterhin die Möglichkeit, dass die Cerebralparese allein auf die Geburtsasphyxie zurückzuführen sei.

17

Hinsichtlich der Erkrankungen, bei denen aufgrund der gegenwärtig vorliegenden Kenntnisse ein ursächlicher Zusammenhang mit der Poliomyelitisschutzimpfung als überwiegend wahrscheinlich anzusehen sei, sei - wovon auch die Beteiligten ausgingen - auf die AHP 2005 abzustellen. Die Mitteilungen der STIKO von Juni 2007 enthielten offensichtlich lediglich Angaben zu Kombinationsimpfungen, die neben Diphtherie-, Tetanus- und Poliomyelitisimpfstoffen weitere Impfstoffe insbesondere gegen Pertussis, Influenza und Hepatitis B, enthielten. Als Impfschäden nach einer Poliomyelitisschutzimpfung seien in Nr 57 Abs 2 AHP 2005 verschiedene Erkrankungen genannt, insbesondere poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen von wenigstens sechs Wochen Dauer. In keinem der vorliegenden Gutachten sei erwähnt, dass der Kläger an einer derartigen Impfpoliomyelitis erkrankt gewesen sei. Ebenso wenig seien Hinweise auf ein Guillain-Barré-Syndrom vorhanden. Schließlich seien beim Kläger auch weder eine Meningoenzephalitis noch die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens diagnostiziert worden. Die von Prof. Dr. K. angenommene Encephalopathie sei nach den AHP 2005 nur nach Pertussis- und Pockenschutzimpfungen als Impfschaden genannt, die beim Kläger nicht vorgenommen worden seien.

18

Mit der vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt der Kläger, das LSG habe materielles und formelles Recht verletzt.

19

Verletzt sei § 51 Abs 1 Satz 1 BSeuchG bzw § 60 Abs 1 Satz 1 IfSG. Das LSG habe bei ihm das Vorliegen einer gesundheitlichen Schädigung durch die Dreifachschutzimpfung, dh eine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schädigung und damit einen dauerhaften Impfschaden, zu Unrecht verneint, weil es verkannt habe, dass es für die Anerkennung einer unüblichen Impfreaktion und eines Impfschadens nach einer Dreifachimpfung im Jahre 1986 weiterhin auf den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu unüblichen Impfreaktionen auf die 1986 verwendeten Impfstoffe ankomme. Stattdessen sei das LSG von den Hinweisen der STIKO von 2007 ausgegangen, die über unübliche Impfreaktionen auf die aktuell verwendeten Impfstoffe informierten, ohne aufgeklärt zu haben, ob es sich bei diesen Impfstoffen um die gleichen handele, die bei seiner Dreifachimpfung 1986 verwendet worden seien, oder ob sie sich unterschieden. Außerdem sei das LSG von einem unzutreffenden Verständnis der medizinischen Voraussetzungen, dh der Krankheitsbilder, ausgegangen.

20

Damit habe das LSG die Rechtstatsachen "aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand" sowie die ebenfalls als Rechtstatsachen anzusehenden Krankheitsbegriffe "akut entzündliche Erkrankungen des Zentralen Nervensystems" sowie "Ätiologie und Pathogenese der Cerebralparese" verkannt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (Hinweis auf das Urteil vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R -) würden wissenschaftliche Erkenntnisse über medizinische Ursachen- und Wirkungszusammenhänge nicht mehr als Tatsachenfeststellungen iS von § 163 SGG gewertet, weil sie keine Tatsachen des Einzelfalles seien, sondern allgemeine (generelle) Tatsachen, die für alle einschlägigen (dort Berufskrankheiten-) Fälle von Bedeutung seien. Es gehe nicht nur um die Anwendung allgemeiner oder spezieller Erfahrungssätze auf einen konkreten Sachverhalt, sondern um sog Rechtstatsachen, die für die Auslegung dh für die Bestimmung des Inhalts einer Rechtsnorm benötigt würden.

21

Aus den tatsächlichen Feststellungen zu seinem Zusammenbruch Ende April 1986 und zu seiner Entwicklung vor und nach der Impfung folge jedoch, dass es bei ihm zu einer unüblichen Impfreaktion gekommen sei, nämlich zu einer Enzephalopathie (möglicher Diphtherieimpfschaden gemäß den AHP 1983) bzw zu einer nicht poliomyelitischen Erkrankung am ZNS (möglicher Impfschaden nach der Polio-Schluckimpfung gemäß den AHP 1983) bzw zu einer akut entzündlichen Erkrankung des ZNS (möglicher Impfschaden nach der Diphtherieschutzimpfung gemäß AHP 2005).

22

Das LSG habe die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten. Bei den Rechtstatsachen "aktueller medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisstand", "akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems" und "Ätiologie und Pathogenese der Cerebralparese" handele es sich um allgemeine Erfahrungssätze, deren Verkennung eine Überschreitung der Grenzen der freien Beweiswürdigung beinhalte.

23

Verstoßen habe das LSG gegen den Erfahrungssatz, dass die Impffolgen abhängig von den verwendeten Impfstoffen seien. Zudem habe das LSG bei der Deutung der Krankheitsbilder gegen medizinische Erfahrungssätze verstoßen. Das LSG habe weiter seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen, insbesondere den Sachverhalt nicht vollständig erfasst bzw ermittelt. So habe es sich nicht veranlasst gesehen, seinem - des Klägers - Beweisantrag zum Fehlen einer Identität der 1986 und heute verwendeten Impfstoffe zu folgen. Diesen und den weiteren Beweisantrag zur Möglichkeit einer Erkrankung des ZNS bei immunologisch unreifen Kindern ohne Fieberausbrüche habe das LSG mit der Begründung abgelehnt, dass eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS nicht festgestellt worden sei. Demgegenüber habe der Sachverständige Prof. Dr. K. durchaus eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS bejaht. Schließlich habe das LSG seine Pflicht zur Auseinandersetzung mit (sich) widersprechenden Gutachten dadurch verletzt, dass es dem Gutachten des Prof. Dr. S. hinsichtlich des Nichtvorliegens einer akut entzündlichen ZNS-Erkrankung gefolgt sei, ohne sich mit den gegenteiligen Ausführungen des Prof. Dr. K. auseinander zu setzen und ohne darzulegen, aufgrund welcher Sachkunde es dem Gutachten von Prof. Dr. S. folge und worauf diese Sachkunde beruhe.

24

Auf diesen Verfahrensfehlern beruhe die Entscheidung des LSG, dass ein Zusammenhang des Leidens der Tetraplegie mit der Dreifachimpfung nicht wahrscheinlich sei, weil es am Nachweis eines Impfschadens fehle und im Übrigen andere Ursachen der Erkrankung nicht ausschieden.

25

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. März 2010 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2007 zurückzuweisen.

26

Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

27

Er schließt sich dem angefochtenen Urteil an.

28

Der Senat hat eine Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 6.4.2011 mit einer Auflistung der seit 1979 zugelassenen Polio Oral-Impfstoffe sowie der Kombinationsimpfstoffe gegen Diphtherie und Tetanus eingeholt und den Beteiligten ausgehändigt.

Entscheidungsgründe

29

1. Die Revision des Klägers ist zulässig.

30

a) Es kann dahinstehen, ob der Kläger mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts gerügt hat, wenn er geltend macht, das LSG habe generelle "Rechtstatsachen" verkannt. Es spricht zunächst nichts dagegen, die in den AHP 1983 bis 2005 unter Nr 57 für Schutzimpfungen ausgeführten Erkenntnisse zu üblichen Impfreaktionen und "Impfschäden" als generelle Tatsachen anzusehen. Zutreffend hat der Kläger insoweit auf das Urteil des 2. Senats des BSG vom 27.6.2006 (BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7) zum Berufskrankheitenrecht hingewiesen. Auch der erkennende Senat ist bereits im Bereich des Schwerbehindertenrechts davon ausgegangen, dass generelle Tatsachen vorliegen, soweit es um allgemeine medizinische Erkenntnisse geht (BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 28). Nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG führt die Annahme, dass ein bestimmter Umstand nicht (nur) einzelfallbezogene Tatsache ist, sondern eine generelle Tatsache darstellt, indes nur zur Durchbrechung der nach § 163 SGG angeordneten strikten Bindung des Revisionsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des LSG verbunden mit der Befugnis bzw der Aufgabe für das Revisionsgericht, entsprechende generelle Tatsachen selbst zu ermitteln und festzustellen(BSG aaO). Die Nichtberücksichtigung genereller Tatsachen durch das Berufungsgericht bewirkt damit nicht unmittelbar eine Verletzung materiellen Rechts.

31

Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn es um die unterlassene oder die fehlerhafte Berücksichtigung von generellen Rechtstatsachen geht, muss hier nicht entschieden werden. Zwar mag eine im og Sinne generelle Tatsache dann als Rechtstatsache anzusehen sein, wenn sie Gegenstand einer Rechtsnorm ist (vgl BSG SozR 4-2700 § 9 Nr 7; noch nicht differenziert in BSG SozR 3-2500 § 34 Nr 4). Das BSG ist aber auch im Fall der Annahme einer generellen "Rechtstatsache" bisher ausdrücklich allein von der Durchbrechung der Bindung des § 163 SGG ausgegangen(BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 24; BSGE 94, 90 = SozR 3-2500 § 18 Nr 6; s dazu Dreher, Rechtsfrage und Tatfrage in der Rechtsprechung des BSG, Festschrift 50 Jahre BSG, 791, 796). Ob eine Erweiterung dieser Rechtsprechung in einem Fall angezeigt ist, in dem es um Inhalt und Reichweite der AHP geht, deren Änderung in der Rechtsprechung des BSG wegen der "rechtsnormähnlichen Qualität" der AHP als Änderung der rechtlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 SGB X angesehen worden ist(BSG SozR 3-3870 § 3 Nr 5 S 6), kann ebenfalls auf sich beruhen.

32

b) Jedenfalls reicht es zur Zulässigkeit einer Revision aus, wenn der Revisionsführer die berufungsgerichtliche Feststellung genereller Tatsachen mit zulässigen Verfahrensrügen angreift (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Das ist hier geschehen. Der Kläger hat insbesondere schlüssig dargetan, das LSG habe es unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) unterlassen aufzuklären, ob sich die vom LSG herangezogenen, in den Hinweisen der STIKO von 2007 und den AHP 2005 niedergelegten medizinischen Erkenntnisse auf die Impfstoffe beziehen, die im Jahre 1986 bei ihm (dem Kläger) verwendet worden sind. Dazu hat der Kläger auch hinreichend vorgetragen, dass es - ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des LSG - auf diese Feststellungen ankam, weil nach den AHP 1983 andere Krankheitserscheinungen zur Bejahung eines über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehenden Gesundheitsschadens (dort als "Impfschaden" bezeichnet) ausreichten als nach den - insoweit gleichlautenden - AHP 1996 bis 2005. Sollten im vorliegenden Fall die AHP 1983 maßgebend sein, so wäre danach eine für den Kläger günstigere Entscheidung des LSG möglich gewesen. Diese Rüge erfasst den gesamten Gegenstand des Revisionsverfahrens. Sie führt mithin zur unbeschränkten Zulässigkeit der Revision.

33

2. Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch vermag der erkennende Senat auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht abschließend zu entscheiden.

34

a) Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Beschädigtenrente wegen eines Impfschadens nach einer MdE um 65 vH ab April 2001 (ab 21.12.2007: Grad der Schädigungsfolgen von 65). Mit Urteil vom 10.5.2007 hat das SG - entsprechend dem Klageantrag - den Beklagten verpflichtet, dem Kläger wegen der am 17.4.1986 erfolgten Impfung unter Anerkennung der Impfschadensfolge "Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung, leichte Sprachstörung" ab April 2001 Versorgung nach dem IfSG iVm dem BVG nach einer MdE von 65 vH zu gewähren. Dieses Urteil hatte der Kläger vor dem LSG erfolglos gegen die Berufung des Beklagten verteidigt. Im Revisionsverfahren erstrebt er die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung mit der - in der Revisionsverhandlung klargestellten - Maßgabe, dass er nicht allgemein Versorgung, sondern Beschädigtenrente begehrt (vgl dazu BSGE 89, 199, 200 = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 S 92 f).

35

           

b) Der Anspruch des Klägers, der für die Zeit ab März 2001 zu prüfen ist, richtet sich nach § 60 Abs 1 IfSG, der am 1.1.2001 in Kraft getreten ist und den bis dahin und auch schon zur Zeit der hier in Rede stehenden Impfung des Klägers im Jahre 1986 geltenden - weitgehend wortlautgleichen (BSGE 95, 66 = SozR 4-3851 § 20 Nr 1, RdNr 6; SozR 4-3851 § 60 Nr 2 RdNr 12) - § 51 Abs 1 BSeuchG abgelöst hat. § 60 Abs 1 Satz 1 IfSG bestimmt:

Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

1. von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,

2. aufgrund dieses Gesetzes angeordnet wurde,

3. gesetzlich vorgeschrieben war oder 

4. aufgrund der Verordnungen zur Ausführung der internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,

eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens iS des § 2 Nr 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.

        

Nach § 2 Nr 11 Halbs 1 IfSG ist im Sinne dieses Gesetzes Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.

        
36

aa) Die zitierten Vorschriften des IfSG verlangen für die Entstehung eines Anspruchs auf Versorgungsleistungen die Erfüllung mehrerer Voraussetzungen. Es müssen eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs 1 Satz 1 IfSG - ua zB öffentliche Empfehlung durch eine zuständige Landesbehörde - erfolgteSchutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen (s zur abweichenden Terminologie in der Rechtsprechung des BSG nach dem BSeuchG, wonach als Impfschaden die über die übliche Impfreaktion hinausgehende Schädigung, also das zweite Glied der Kausalkette, bezeichnet wurde: BSG Urteile vom 19.3.1986 - 9a RVi 2/84 - BSGE 60, 58, 59 = SozR 3850 § 51 Nr 9 S 46 und - 9a RVi 4/84 - SozR 3850 § 51 Nr 10 S 49; ebenso auch Nr 57 AHP 1983 bis 2005).

37

Zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein (aber auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung) geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist. (s Rohr/Sträßer/Dahm, BVG-Kommentar, Stand 1/11, § 1 Anm 10 mwN; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 1/11, § 8 SGB VII RdNr 8 mwN).

38

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sog Vollbeweis - feststehen müssen und allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit ausreicht (s § 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (s BSGE 60, 58 = SozR 3850 § 51 Nr 9; Rohr/Sträßer/Dahm, aaO Anm 11 mwN). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind.

39

bb) Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung sind im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden AHP anzuwenden und zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales ) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP insbesondere um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog antizipierte Sachverständigengutachten (s nur BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9). Die AHP sind in den Bereichen des sozialen Entschädigungsrechts und im Schwerbehindertenrecht generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm ("normähnlich"). Für den Fall, dass sie nicht mehr den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergeben, sind sie allerdings nicht anwendbar (BSG aaO). Dann haben Verwaltung und Gerichte auf andere Weise den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu ermitteln. Die AHP enthalten in allen hier zu betrachtenden Fassungen seit 1983 unter den Nr 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben.

40

           

Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen (damals noch als "Impfschaden" bezeichnet) bei Schutzimpfungen in Nr 57 AHP 1983 bis 2005 sind allerdings Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden (Rundschreiben des BMAS vom 12.12.2006 - IV.c.6-48064-3; vgl auch Nr 57 AHP 2008):

        

Die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete STIKO entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar.
Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr 11 IfSG und Nr 56 Abs 1 AHP) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kannversorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von §§ 60 f IfSG durchzuführen. Siehe dazu auch Nr 35 bis 52 (Seite 145 bis 169) der AHP.

41

Die seit dem 1.1.2009 an die Stelle der AHP getretene VersMedV ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung, die indes, sofern sie Verstöße gegen höherrangige, etwa gesetzliche Vorschriften aufweist, jedenfalls durch die Gerichte nicht angewendet werden darf (BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - SozialVerw 2009, 59, 62 mwN). Anders als die AHP 1983 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern (s BMAS , Einleitung zur VersMedV, S 5), sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten genutzt werden müssen.

42

cc) Zutreffend hat das LSG die Auffassung vertreten, dass alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten sind. Dies entspricht der Rechtsprechung des BSG im Sozialen Entschädigungsrecht, insbesondere im Impfschadensrecht, und Schwerbehindertenrecht (s BSG Urteil vom 17.12.1997 - 9 RVi 1/95 - SozR 3-3850 § 52 Nr 1 S 3, Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 25) sowie im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; Urteil vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7). Ein bestimmter Vorgang, der unter Umständen vor Jahrzehnten stattgefunden hat, muss, wenn über ihn erst jetzt abschließend zu entscheiden ist, nach dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft beurteilt werden. So kann auch die vor Jahrzehnten bejahte Kausalität aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden als fehlend erkannt werden, mit der Folge, dass Anerkennungen unter Umständen zurückzunehmen oder nur aus Gründen des Vertrauensschutzes (§ 45 SGB X) zu belassen sind (vgl BSG Urteil vom 2.12.2010 - B 9 V 1/10 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

43

Bei der Anwendung der neuesten medizinischen Erkenntnisse ist allerdings jeweils genau zu prüfen, ob diese sich überhaupt auf den zu beurteilenden, ggf lange zurückliegenden Vorgang beziehen. Da andere Ursachen jeweils andere Folgen nach sich ziehen können, gilt dies insbesondere für die Beurteilung von Kausalzusammenhängen. Dementsprechend muss im Impfschadensrecht sichergestellt werden, dass die nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse in Betracht zu ziehenden Impfkomplikationen gerade auch die Impfstoffe betreffen, die im konkreten Fall Verwendung gefunden haben.

44

c) Diesen Grundsätzen entspricht das angefochtene Berufungsurteil nicht in vollem Umfang.

45

aa) Zunächst hat das LSG unangegriffen festgestellt, dass der Kläger am 17.4.1986 im Land Berlin öffentlich empfohlene Schutzimpfungen, nämlich gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis, erhalten hat. Sodann ist allerdings unklar, das Auftreten welcher genauen Gesundheitsstörungen das LSG in der Zeit nach diesen Impfungen als bewiesen angesehen hat. Das LSG hat sich darauf beschränkt, das Vorliegen eines "Impfschadens" im Sinne einer primären Schädigung (also einer Impfkomplikation) zu verneinen. Bei der insoweit erfolgten Kausalitätsbeurteilung hat es sich in erster Linie auf die Hinweise der STIKO von Juni 2007 (Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen bei Schutzimpfungen/Stand: 2007, EB vom 22.6.2007/Nr 25 ) und hilfsweise auch auf die Nr 57 AHP 2005 gestützt, ohne - wie der Kläger zutreffend geltend macht - Feststellungen dazu getroffen zu haben, ob sich die darin zusammengefassten medizinischen Erkenntnisse auch auf die beim Kläger im Jahre 1986 verwendeten Impfstoffe beziehen.

46

Das LSG hat es bereits unterlassen, ausdrücklich festzustellen, welche Impfstoffe dem Kläger am 17.4.1986 verabreicht worden sind. Auch aus den vom LSG allgemein in Bezug genommenen Akten ergibt sich insofern nichts. Der in Kopie vorliegende Impfpass des Klägers enthält für den 17.4.1986 nur den allgemeinen Eintrag "Polio oral, Diphtherie, Tetanus". In der ebenfalls in Kopie vorliegenden Krankenkartei der behandelnden Kinderärztin findet sich unter dem 17.4.1986 die Angabe "DT-Polio".

47

Ermittlungen zu dem im Jahre 1986 beim Kläger verwendeten Impfstoff sowie zu dessen Einbeziehung in die Hinweise der STIKO (EB Nr 25/2007) und - hinsichtlich des oral verabreichten Poliolebendimpfstoffes - in die Nr 57 Abs 2 AHP 2005 hat das LSG offenbar für entbehrlich gehalten. Es hat den Umstand, dass die Impfstoffe im Laufe der Jahre verändert worden sind, hypothetisch als wahr unterstellt und anhand der AHP 2005 unter Auswertung der Sachverständigengutachten den Eintritt von Impfkomplikationen beim Kläger verneint. Dabei hat es jedoch nicht geklärt, ob die AHP 2005 für die Beurteilung von Komplikationen infolge der im Jahre 1986 vorgenommenen Impfungen auch wirklich uneingeschränkt maßgebend sind.

48

bb) Entsprechende Feststellungen wären sicher dann überflüssig, wenn die Angaben zu Impfkomplikationen nach Schutzimpfungen der beim Kläger vorgenommenen Art von den 1986 noch maßgebenden AHP 1983 bis zu den STIKO-Hinweisen von Juni 2007 gleich geblieben wären. Dann könnte grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sich weder die Auswirkungen der insoweit gebräuchlichen Impfstoffe noch diesbezügliche wissenschaftliche Erkenntnisse geändert haben. Ebenso könnte auf nähere Feststellungen zu diesem Punkt verzichtet werden, wenn feststünde, dass alle im Jahre 1986 gebräuchlichen Impfstoffe gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis bei den STIKO-Hinweisen von 2007 oder den Angaben in Nr 57 AHP 2005 Berücksichtigung gefunden haben, sei es, weil die Impfstoffe (jedenfalls hinsichtlich der zu erwartenden Impfkomplikationen) im gesamten Zeitraum im Wesentlichen unverändert geblieben sind, sei es, weil etwaige Unterschiede differenziert behandelt worden sind. Von alledem kann nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht ausgegangen werden.

49

           

aaa) Zunächst lassen sich Unterschiede in den Ausführungen der Nr 57 AHP 1983 und 1996 (letztere sind in die AHP 2004 und 2005 übernommen worden) sowie in den STIKO-Hinweisen von 2007 feststellen:

So enthält die Nr 57 Abs 2 AHP (Poliomyelitis-Schutzimpfung) für die Impfung mit Lebendimpfstoff zwar hinsichtlich der "üblichen Impfreaktionen" in den Fassungen 1983 und 1996 (2004/2005) im Wesentlichen die gleichen Formulierungen, der Text betreffend "Impfschäden" (im Sinne von Impfkomplikationen) weicht jedoch in beiden Fassungen voneinander ab. In den AHP 1983 heißt es insoweit:

        

Poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen; Inkubationszeit 3 bis 30 Tage, Auftreten von Lähmungen nicht vor dem 6. Tag nach der Impfung. - Bei Immundefekten sind längere Inkubationszeiten zu beachten (21 bis 158 Tage beobachtet). Nicht poliomyelitisähnliche Erkrankungen am Zentralnervensystem nach der Impfung, wie die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens oder - sehr selten - eine Meningoenzephalitis, Polyradikulitis, Polyneuritis oder Fazialisparese, bedürfen stets einer besonders sorgfältigen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung ist dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung innerhalb von 30 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, außerdem Impfviren im Darm oder Rachen und eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Dieselben Voraussetzungen gelten für das selten als Impfschaden in Betracht kommende Erythema nodosum.

50

           

Die Fassung der AHP 1996 nennt dagegen als "Impfschäden" (Komplikationen):

        

Poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen von wenigstens 6 Wochen Dauer (Impfpoliomyelitis): Inkubationszeit beim Impfling 3 bis 30 Tage, Auftreten von Lähmungen nicht vor dem 6. Tag nach der Impfung. - Bei Immundefekten sind längere Inkubationszeiten zu beachten (bis zu mehreren Monaten). Beim Guillain-Barré-Syndrom ist ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung innerhalb von 10 Wochen nach der Impfung aufgetreten ist, außerdem Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Die sehr selten beobachtete Meningoenzephalitis und/oder die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens ohne die Symptome einer Impfpoliomyelitis bedürfen stets einer besonders sorgfältigen diagnostischen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung ist dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung zwischen dem 3. und 14. Tag nach der Impfung nachgewiesen wurde und außerdem Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Einzelne hirnorganische Anfälle nach der Impfung (z.B. Fieberkrämpfe) mit einer mehrmonatigen Latenz zur Entwicklung eines Anfallsleidens können nicht als Erstmanifestation des Anfallsleidens gewertet werden.

51

In den EB 25/2007 finden sich zu einem Poliomyelitisimpfstoff mit Lebendviren, wie er dem Kläger (oral) verabreicht worden ist, keine Angaben. Dies beruht darauf, dass dieser Impfstoff seit 1998 nicht mehr zur Schutzimpfung bei Kleinkindern öffentlich empfohlen ist (vgl dazu BSG SozR 4-3851 § 60 Nr 2 RdNr 16).

52

Für die Diphtherie-Schutzimpfung ist die Nr 57 Abs 12 AHP bezüglich der "üblichen Impfreaktionen" in den Fassungen 1983 und 1996 im Wesentlichen wortlautgleich.

53

           

Die "Impfschäden" (im Sinne von Komplikationen) sind in der Fassung der AHP 1983 beschrieben mit:

        

Sterile Abszesse mit Narbenbildung. Selten in den ersten Wochen Enzephalopathie, Enzephalomyelitis oder Neuritis, vor allem der Hirnnerven (wie bei der Krankheit). Selten Thrombose, Nephritis.

54

           

Demgegenüber ist Abs 12 der Nr 57 AHP 1996 hinsichtlich der "Impfschäden" (Komplikationen) wie folgt gefasst:

        

Sehr selten akut entzündliche Erkrankungen des ZNS; sie bedürfen einer besonders sorgfältigen diagnostischen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung kommt in Betracht, wenn die Erkrankung innerhalb von 28 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, eine Antikörperbildung nachweisbar war und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Sehr selten Neuritis, vor allem der Hirnnerven (wie bei der Krankheit), Thrombose, Nephritis.

55

           

Hinsichtlich der Tetanus-Schutzimpfung sind in Abs 13 der Nr 57 der hier relevanten Fassungen der AHP die "Impfschäden" wie folgt übereinstimmend umschrieben:

        

Sehr selten Neuritis, Guillain-Barré-Syndrom.

56

           

Demgegenüber differiert hier die Beschreibung der "üblichen Impfreaktionen" zwischen den Fassungen 1983 und 1996. Während 1983 als "übliche Impfreaktionen" beschrieben sind:

        

Geringe Lokalreaktion,

57

           

enthält die Fassung der AHP 1996 die Formulierung:

        

Lokalreaktion, verstärkt nach Hyperimmunisierung.

58

           

In den STIKO-Hinweisen von 2007 (EB 25/2007, 211) heißt es zum Diphtherie-Tetanus-Impfstoff (DT-Impfstoff):

        

Lokal- und Allgemeinreaktion
Als Ausdruck der normalen Auseinandersetzung des Organismus mit dem Impfstoff kann es innerhalb von einem bis drei Tagen, selten länger anhaltend, sehr häufig (bei bis zu 20 % der Impflinge) an der Impfstelle zu Rötung, Schmerzhaftigkeit und Schwellung kommen, gelegentlich auch verbunden mit Beteiligung der zugehörigen Lymphknoten. Sehr selten bildet sich ein kleines Knötchen an der Injektionsstelle, ausnahmsweise im Einzelfall mit Neigung zu steriler Abszedierung.

Allgemeinsymptome wie leichte bis mäßige Temperaturerhöhung, grippeähnliche Symptomatik (Frösteln, Kopf- und Gliederschmerzen, Müdigkeit, Kreislaufbeschwerden) oder Magen-Darm-Beschwerden (Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall) treten gelegentlich (1 % der Impflinge) und häufiger (bis 10 %) bei hyperimmunisierten (häufiger gegen Diphtherie und/oder Tetanus geimpften) Impflingen auf.

In der Regel sind diese genannten Lokal- und Allgemeinreaktionen vorübergehender Natur und klingen rasch und folgenlos wieder ab.

Komplikationen
Im Zusammenhang mit einer Fieberreaktion kann es beim Säugling und jungen Kleinkind gelegentlich zu einem Fieberkrampf (in der Regel ohne Folgen) kommen. Komplikationen der Impfung in Form allergischer Reaktionen an der Haut oder an den Atemwegen treten selten auf. Im Einzelfall kann es zu Erkrankungen des peripheren Nervensystems (Mono- oder Polyneuritiden, Neuropathie) kommen, auch Einzelfälle allergischer Sofortreaktionen (anaphylaktischer Schock) wurden in der medizinischen Fachliteratur beschrieben.

59

           

bb) Der erkennende Senat hat auch keine Veranlassung anzunehmen, dass alle im Jahre 1986 gebräuchlichen Kombinationsimpfstoffe gegen Diphtherie und Tetanus (DT-Impfstoffe) von den STIKO-Hinweisen von 2007 erfasst worden sind. Dafür dass sich diese nur auf im Jahre 2007 gebräuchliche Impfstoffe beziehen, spricht schon der vom LSG selbst erkannte Umstand, dass es sich dabei ausdrücklich um "Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen bei Schutzimpfungen Stand: 2007" handelt. Zudem wird in diesen Hinweisen ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass sich die nachfolgende Textfassung sowie das zugehörige Literaturverzeichnis auf alle gegenwärtig (Stand: Juni 2007) in Deutschland zugelassenen Impfstoffe beziehen (s EB Nr 25/2007 S 210 rechte Spalte). Weiter heißt es dort:

        

Auf dem deutschen Markt stehen Impfstoffe unterschiedlicher Hersteller mit zum Teil abweichenden Antigenkonzentrationen und Inhaltsstoffen zur Verfügung, die zur gleichen Anwendung zugelassen sind. Die Umsetzung von STIKO-Empfehlungen kann in der Regel mit allen verfügbaren und zugelassenen Impfstoffen erfolgen. Zu Unterschieden im Spektrum unerwünschter Arzneimittelwirkungen ist ggf auf die jeweiligen Fachinformationen zu verweisen. Die Aktualisierung der Fachinformationen erfolgt nach Maßgabe der Zulassungsbehörden entsprechend den Änderungsanträgen zur Zulassung. Diese aktualisierten Fachinformationen sind ggf ergänzend zu den Ausführungen in diesen Hinweisen zu beachten.

60

Nach der vom erkennenden Senat eingeholten Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 6.4.2011 waren im Juni 2007 noch drei DT-Impfstoffe zugelassen, deren Zulassung vor 1986 lag. Daneben waren im Juni 2007 und bis heute weitere neun DT-Impfstoffe zugelassen, deren zeitlich früheste Zulassung im Jahr 1997 datiert. Hinzu kommt, dass es nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts nach Einführung der Zulassungspflicht im Jahre 1978 eine Übergangszeit von mehreren Jahren gab. In dieser Zeit erhielten Impfstoffe nach und nach eine Zulassung im heutigen Sinne. So können Impfstoffe, die erst nach 1986 offiziell zugelassen worden sind, bereits vorher in Deutschland gebräuchlich gewesen sein.

61

Diese Gegebenheiten schließen nach Auffassung des erkennenden Senats - jedenfalls auf der Grundlage der gegenwärtigen Erkenntnisse - eine undifferenzierte Anwendung der STIKO-Hinweise auf die 1986 beim Kläger erfolgten Impfungen aus. Es lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass alle 1986 gebräuchlichen DT-Impfstoffe zu den im Juni 2007 zugelassenen Impfstoffen gehört haben, auf die sich diese Hinweise nach ihrem Inhalt beziehen. Darüber hinaus werden darin ausdrücklich Unterschiede im Spektrum der unerwünschten Arzneimittelwirkungen angesprochen, die sich aus abweichenden Antigenkonzentrationen und Inhaltsstoffen ergeben können. Ohne nähere Feststellungen zu den Zusammensetzungen der 1986 gebräuchlichen DT-Impfstoffe, insbesondere der beim Kläger verwendeten, lässt sich mithin nicht beurteilen, ob und inwieweit die STIKO-Hinweise von 2007 bei der hier erforderlichen Kausalitätsprüfung zugrunde gelegt werden können.

62

Entsprechend verhält es sich mit den AHP 2005, die das LSG in erster Linie bei der Poliomyelitisimpfung und hilfsweise auch bei der DT-Impfung zur Kausalitätsbeurteilung herangezogen hat. In Nr 56 und 57 AHP 2005, die insoweit mit den AHP 1996 und 2004 übereinstimmen, wird nicht genau angegeben, auf welche Impfstoffe sich die betreffenden Angaben beziehen. Insbesondere wird nicht deutlich, ob diese Angaben auch für die 1986 gebräuchlichen Impfstoffe Geltung beanspruchen. Da das LSG auch nicht festgestellt hat, dass die in Frage kommenden Impfstoffe in ihren Auswirkungen von 1986 bis 1996 gleich geblieben sind, können die AHP 1996/2004/2005 hier nicht ohne Weiteres angewendet werden. Denkbar wäre immerhin, dass für die im Jahre 1986 gebräuchlichen Impfstoffe grundsätzlich noch die AHP 1983 maßgebend sind, ggf ergänzt durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Wirkungen der betreffenden Impfstoffe.

63

d) Zwar könnte der erkennende Senat die danach erforderlichen Feststellungen, soweit sie sich auf allgemeine Tatsachen beziehen, nach entsprechenden Ermittlungen selbst treffen. Eine derartige Vorgehensweise hält er hier jedoch nicht für tunlich.

64

aa) Zur Klärung einer Anwendung der STIKO-Hinweise von 2007 müsste - ohne vorherige Ermittlung der konkret beim Kläger verwendeten Impfstoffe, die der Senat nicht selbst durchführen darf (vgl § 163 SGG) - allgemein, dh voraussichtlich mit erheblichem Aufwand, geprüft werden, ob alle im April 1986 gebräuchlichen Impfstoffe den im Juni 2007 zugelassenen Impfstoffen derart entsprachen, dass mit denselben Impfkomplikationen zu rechnen war, wie sie in den STIKO-Hinweisen für DT-Impfstoffe aufgeführt werden. Sollte sich dabei kein einheitliches Bild ergeben, könnte auf die Feststellung der tatsächlich angewendeten Impfstoffe wahrscheinlich nicht verzichtet werden.

65

bb) Soweit sich feststellen ließe, dass die AHP 1996/2004/2005 - ggf mit allgemeinen Modifikationen - ohne Feststellung der konkreten Impfstoffe für die Beurteilung des vorliegenden Falles maßgeblich sind, könnte das Berufungsurteil jedenfalls nicht in vollem Umfang aufrechterhalten werden. Zumindest hinsichtlich der Verneinung einer durch die Diphtherieimpfung verursachten Impfkomplikation beruht die Entscheidung des LSG nämlich sowohl auf einer teilweise unzutreffenden Rechtsauffassung als auch auf Tatsachenfeststellungen, die verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sind.

66

Nach der vom LSG (hilfsweise) als einschlägig angesehenen Nr 57 Abs 12 AHP 2005 kommt bei einer Diphtherieschutzimpfung als "Impfschaden" (Komplikation) ua eine "akut entzündliche Erkrankung des ZNS" in Betracht, wenn die Erkrankung innerhalb von 28 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, eine Antikörperbildung nachweisbar war und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden.

67

aaa) Dementsprechend ist zunächst festzustellen, ob eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS im maßgeblichen Zeitraum nach der Impfung eingetreten ist. Soweit das LSG bezogen auf den vorliegenden Fall angenommen hat, eine entsprechende Erkrankung des ZNS lasse sich nicht feststellen, beruht dies - wie der Kläger hinreichend dargetan hat - auf einem Verstoß gegen §§ 103, 128 Abs 1 Satz 1 SGG.

68

Zwischen den Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. S. bestand darüber Streit, ob beim Kläger zwei Wochen nach der ersten Impfung eine "akut entzündliche Erkrankung des ZNS" aufgetreten ist. Das LSG hat sich für die Verneinung einer derartigen Erkrankung in erster Linie auf die Auffassung von Prof. Dr. S. gestützt, der als typische Merkmale einer "schweren" ZNS-Erkrankung Fieber, Krämpfe, Erbrechen und längere Bewusstseinstrübung genannt habe. Dagegen hatte der Kläger unter Beweis gestellt, dass Erkrankungen des ZNS gerade bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrüche auftreten können. Diese Behauptung hat das LSG hypothetisch als wahr unterstellt und dazu die Ansicht vertreten, dies ändere "nichts daran, dass vorliegend eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS gerade nicht positiv festgestellt werden kann". Die Möglichkeit einer derartigen Erkrankung genüge nicht.

69

Zwar trifft es zu, dass der Eintritt einer akut entzündlichen Erkrankung des ZNS beim Kläger für den relevanten Zeitraum von 28 Tagen nach Impfung bewiesen sein muss. Den Ausführungen des LSG lässt sich jedoch nicht entnehmen, auf welche medizinische Sachkunde es sich bei der Beurteilung gestützt hat, eine positive Feststellung sei im vorliegenden Fall unmöglich. Auf die Ausführungen von Prof. Dr. S. konnte sich das LSG dabei nicht beziehen, da es in diesem Zusammenhang gerade - abweichend von dessen Auffassung - die Möglichkeit einer ohne Fieberausbrüche auftretenden akut entzündlichen Erkrankung des ZNS unterstellt hat. Mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K., auf die sich der Kläger berufen hatte, hat sich das LSG nicht auseinandergesetzt. Folglich hätte das LSG entweder zunächst dem auf allgemeine medizinische Erkenntnisse gerichteten Beweisantrag des Klägers nachkommen oder sogleich mit sachkundiger Hilfe (unter Abklärung des medizinischen Erkenntnisstandes betreffend eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS) konkret feststellen müssen, ob das (von Prof. Dr. K. als "zentralnervöser Zwischenfall" bezeichnete) Krankheitsgeschehen, das beim Kläger vierzehn Tage nach der Impfung ohne einen Fieberausbruch abgelaufen ist, als akut entzündliche Erkrankung des ZNS anzusehen ist.

70

bbb) Auch (allein) mit dem (bislang) fehlenden Nachweis einer Antikörperbildung hätte das LSG eine Impfkomplikation nicht verneinen dürfen. Seine Begründung, selbst wenn sich noch heute Antikörper feststellen ließen, könnten sie - wegen der im Jahre 1987 erfolgten weiteren Impfungen - nicht mit Sicherheit der am 17.4.1986 vorgenommenen ersten Impfung zugeordnet werden, ist aus Rechtsgründen nicht tragfähig. Der erkennende Senat hält es für unzulässig, eine Versorgung nach dem IfSG an Anforderungen scheitern zu lassen, die im Zeitpunkt der Impfung nicht erfüllt zu werden brauchten und im nachhinein nicht mehr erfüllt werden können (vgl dazu Thüringer LSG Urteil vom 20.3.2003 - L 5 VJ 624/01 - juris RdNr 32; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 21.7.2006 - L 8 VJ 847/04 - juris RdNr 40). Der Nachweis der Antikörperbildung als Hinweis auf eine Verursachung der Erkrankung des ZNS durch die Impfung ist erstmals in der Nr 57 Abs 12 AHP 1996 enthalten. Die AHP 1983 nannten an entsprechender Stelle als "Impfschäden" (Komplikationen) noch nicht einmal die akut entzündliche Erkrankung des ZNS, sondern andere Erkrankungen, wie zB die Enzephalopathie, ohne einen Antikörpernachweis zu fordern. Nach der am 17.4.1986 erfolgten Impfung bestand somit grundsätzlich keine Veranlassung, die Bildung von Antikörpern zu prüfen. Wenn die Zuordnung von jetzt noch feststellbaren Antikörpern nach den weiteren Impfungen von 1987 aus heutiger Sicht medizinisch nicht möglich sein sollte, verlangte man rechtlich etwas Unmögliches vom Kläger. Demzufolge muss es zur Erfüllung der Merkmale der Nr 57 Abs 12 AHP 2005 jedenfalls ausreichen, wenn sich heute noch entsprechende Antikörper beim Kläger nachweisen lassen.

71

ccc) Soweit das LSG schließlich im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen der Nr 57 Abs 12 AHP 2005 festgestellt hat, dass andere Ursachen der Krankheitszeichen, die beim Kläger zwei Wochen nach der Impfung vom 17.4.1986 aufgetreten sind, nicht ausscheiden, ist auch diese Feststellung - wie vom Kläger zutreffend gerügt - verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das LSG hat insoweit nicht das Gesamtergebnis der Beweisaufnahme berücksichtigt. Denn es hat sich nicht hinreichend mit der abweichenden medizinischen Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. K. auseinandergesetzt. Neben dem vom LSG erörterten verringerten Schädelwachstum des Klägers hat Prof. Dr. K. in diesem Zusammenhang auch auf einen Entwicklungsknick hingewiesen, der beim Kläger nach dem "zentralnervösen Zwischenfall" eingetreten sei. Es ist jedenfalls nicht ohne Weiteres ersichtlich, wie sich ein solcher Vorgang mit der vom LSG - gestützt auf Prof. Dr. S. angenommenen "allmählichen Manifestation" der Symptome einer Cerebralparese vereinbaren lässt.

72

e) Nach alledem ist es geboten, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

73

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Feststellung von Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtenversorgung.

2

Der 1941 geborene Kläger war von November 1963 bis April 1968 als Zugschaffner und Zugfertigsteller bei der Deutschen Reichsbahn am Bahnhof G. beschäftigt. In den Jahren 1966 bis 1968 wurde er nach den Feststellungen des LSG durch Mitarbeiter der Staatssicherheit bedroht und unter Druck gesetzt und als inoffizieller Mitarbeiter geworben. Im April 1968 löste der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit dem Bahnhof G. Danach war er als Reinigungsmüller bei den M., anschließend als Koch und Küchenleiter zunächst im R.-Heim und nach dortigen Verwerfungen ab 1976 im N. Krankenhaus in G. tätig.

3

Seit 1976 befand sich der Kläger nach seinen Angaben in nervenärztlicher Behandlung. In den Sozialversicherungsausweisen sind seit dieser Zeit Psychosen, Neurosen und paranoide Zustände dokumentiert. Seit 1980 bezog der Kläger eine Invalidenrente, seit 1992 als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Ab dem 1.1.1991 erkannte das Land Brandenburg - Landesversorgungsamt - bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von 80 wegen psychovegetativer Störungen an und stellte das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" fest (Bescheide vom 11.7.1995 und 7.9.1995). Das Ministerium des Innern des Landes Brandenburg hat nach dem Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz - VwRehaG) später festgestellt, dass der Kläger durch Mitarbeiter der Staatssicherheit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar waren; diese Maßnahmen wurden nach § 1 Abs 1 und 5 VwRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt. Des Weiteren wurde festgestellt, dass der Kläger Verfolgter iS des § 1 Abs 1 Nr 3 Berufliches Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) ist. Als berufliche Verfolgungszeit wurde der Zeitraum von 1968 bis 1990 angegeben (Bescheid vom 23.11.1999). Den Antrag des Klägers auf "Entschädigung aufgrund staatlicher Willkür aus der DDR-Zeit" nach dem VwRehaG lehnte das beklagte Land hingegen ua nach Einholung eines nervenärztlichen Kausalitätsgutachtens bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie und Sozialmediziner Dr. T. vom 29.5.2000 ab, nachdem dieser aufgrund einer ambulanten Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen war, dass die bei dem Kläger vorliegende schwere Zwangsneurose nicht ursächlich auf Verfolgungsmaßnahmen in den Jahren 1966 bis 1968 zurückgeführt werden könne (Bescheid vom 22.6.2000). Das Widerspruchsverfahren wurde auf Wunsch des Klägers vorläufig eingestellt (Schreiben vom 25.8.2000). Im Februar 2005 beantragte der Kläger erfolglos die Überprüfung seiner Versorgungsleistungen nach dem VwRehaG (Bescheid vom 1.7.2005; Widerspruchsbescheid vom 28.9.2005).

4

Das SG hat im anschließenden Klageverfahren auf Antrag des Klägers ein Gutachten bei dem Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten Tr. eingeholt. Dieser hat nach ambulanten Untersuchungen des Klägers eine gemischte Angst-Zwangsstörung diagnostiziert, die chronifiziert und mit Wahrscheinlichkeit durch Verfolgungsmaßnahmen der Mitarbeiter der Staatssicherheit in der - vom Sachverständigen angenommenen - Verfolgungszeit von 1968 bis 1990 hervorgerufen worden sei. Der Grad der schädigungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 70 vH. Das SG hat weiter Beweis erhoben ua durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. G. Dieser ist nach ambulanter Untersuchung zur Einschätzung gelangt, bei dem Kläger liege ua eine chronifizierte schwere Zwangsstörung mit Begleitphänomenen vor. Die Zwangsstörung weise entstehungsmäßig neben neurologisch relevanten Belastungsfaktoren insbesondere psychosoziale Belastungsfaktoren auf, nämlich Belastungen in Kindheit und Jugend (ua Vergewaltigung der Mutter im Krieg, Verachtung durch den Vater, Schläge durch den Bruder), die von April 1966 bis Juni 1968 erlittenen Verfolgungsmaßnahmen (ua mit der Drohung von Verfehlungen am Arbeitsplatz und Unterstellung von Straftaten) und die Vorkommnisse bei seinem späteren Arbeitgeber im R. Heim (ua Vorwurf der Gefährdung einer ordnungsgemäßen Essensversorgung der Heimbewohner). Diese psychosozial relevanten Belastungsfaktoren, die wesentlich für die Entstehung und Aufrechterhaltung der schweren Zwangsstörung des Klägers seien, seien von ihrer Bedeutung her etwa gleichwertig. Eine etwaig genauere und prozentuale Aussage sei nicht möglich. Wollte man die Kausalität bejahen, läge bei dem Kläger seit Oktober 1998 ein schädigungsbedingter Grad einer MdE von 70 vH vor. Das SG hat die Klage hierauf abgewiesen. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stehe nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass die von dem Kläger geltend gemachte Angst- und Zwangsstörung Folge der rechtsstaatswidrigen Verfolgungsmaßnahmen der Mitarbeiter der Staatssicherheit der ehemaligen DDR sei (Urteil vom 13.1.2009).

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf Feststellung einer Schädigungsfolge und Versorgungsleistungen, auch wenn ein schädigendes Ereignis iS von § 1 VwRehaG für die Zeit von März 1966 bis Juni 1968 vorliege. Die im Kern von allen Gutachtern gestellte Diagnose einer chronifizierten schweren Zwangsstörung sei nicht wesentlich ursächlich auf das schädigende Ereignis zurückzuführen. Das in Bezug auf den richtigen Verfolgungszeitraum allein nachvollziehbare Gutachten des Sachverständigen Dr. G.
komme zu dem Ergebnis, dass die Zwangsstörung des Klägers im Wesentlichen auf drei gleichwertigen Ursachen beruhe. Nach der Rechtsprechung des 9. Senats des BSG bedeute dies, dass die streitigen Verfolgungsmaßnahmen innerhalb des Ursachenkomplexes mit ca einem Drittel eine untergeordnete Rolle einnehmen. Die Rechtsprechung des 2. Senats des BSG, nach der auch eine rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache rechtlich wesentlich sein könne, komme im Versorgungsrecht nicht zum Tragen (Urteil vom 22.11.2012).

6

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung der Kausalitätsnorm der (Theorie der) wesentlichen Bedingung und der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Das Berufungsgericht habe gegen Denkgesetze verstoßen, indem es aus drei nebeneinander bestehenden Einzelursachen geschlossen habe, dass keine dieser Ursachen wesentlich sein könne. Das LSG habe zudem Beweisanträge übergangen und das Fragerecht aus § 116 S 2 SGG verletzt.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Januar 2009 sowie die Bescheide des Beklagten vom 22. Juni 2000 sowie vom 1. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei dem Kläger nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz eine Angst- und Zwangsstörung als Schädigungsfolge anzuerkennen und dem Kläger ab dem 1. Oktober 1998 eine Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit/einem Grad der Schädigungsfolgen von 70 vH zu gewähren,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

8

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Die Klage ist zwar zulässig (dazu 1.) Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Schädigungsfolgen und Gewährung von Beschädigtenversorgung (dazu 2.). Insbesondere ist das LSG bei der Prüfung des Anspruchs von einem zutreffenden rechtlichen Prüfmaßstab der Kausalität ausgegangen (dazu 3.).

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1. Statthafte Klage ist die zutreffend vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (§ 16 Abs 2 VwRehaG) erhobene kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 5 SGG; vgl BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 31). Gegenstand des Rechtsstreits ist die Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide vom 22.6.2000, 1.7.2005 und 28.9.2005, die Anerkennung von Schädigungsfolgen sowie die Gewährung einer Beschädigtenversorgung. Zu Recht ist das LSG deshalb auch nicht von einem auf Rücknahme des Bescheides vom 22.6.2000 gerichteten Überprüfungsbegehren iS des § 44 SGB X ausgegangen, auch wenn der Bescheid vom 1.7.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.9.2005 diese Rechtsgrundlage benennt. Wenn Unanfechtbarkeit noch nicht eingetreten ist, wird das Verfahren nach § 44 SGB X im Regelfall nicht benötigt(BSG SozR 4-4300 § 330 Nr 2 Juris RdNr 17; BVerwGE 115, 302; hierzu Merten in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juni 2014, K § 44 RdNr 51). So verhält es sich hier. Denn in der Sache war der Widerspruchsbescheid vom 28.9.2005 auf den noch ausstehenden Abschluss des Verfahrens über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.6.2000 gerichtet (vgl § 78 SGG).

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2. Die Voraussetzungen der für den geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung einer Schädigungsfolge sowie auf Gewährung einer Versorgung allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 3 VwRehaG liegen nicht vollständig vor. Nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer Maßnahme nach § 1 VwRehaG eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des BVG oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, erhält (§ 3 Abs 1 S 2 VwRehaG). Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges (§ 3 Abs 5 S 1 RehaG).

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a) Der Anspruch nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG ist eine von mehreren Folgemaßnahmen im Rahmen der SED-Unrechtsbereinigung. Das VwRehaG ist zum 1.7.1994 zusammen mit dem BerRehaG als Art 1 und 2 des Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 23.6.1994 (BGBl I 1311) mit dem Ziel eingeführt worden, neben der strafrechtlichen Rehabilitierung durch das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG), welches bereits Gegenstand des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 29.10.1992 (BGBl I 1814) war, eine Rehabilitierung durch Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen zu ermöglichen. Dementsprechend ist eine hoheitliche Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle zur Regelung eines Einzelfalls in dem in Art 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 8.5.1945 bis zum 2.10.1990 (Verwaltungsentscheidung), die zu einer gesundheitlichen Schädigung (§ 3), einem Eingriff in Vermögenswerte (§ 7) oder einer beruflichen Benachteiligung (§ 8) geführt hat, auf Antrag aufzuheben, soweit sie mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar ist und ihre Folgen noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken (§ 1 Abs 1 S 1 VwRehaG). Für eine hoheitliche Maßnahme, die nicht auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend. An die Stelle der Aufhebung der Maßnahme tritt die Feststellung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit (§ 1 Abs 5 S 1 und 2 VwRehaG). Die Aufhebung oder die Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit einer Maßnahme nach § 1 begründet Ansprüche nach Maßgabe dieses Gesetzes(§ 2 Abs 1 VwRehaG). Die Rehabilitierungsentscheidung ist danach von der Entscheidung über die - hier streitgegenständlichen - Folgeansprüche zu unterscheiden. Die Entscheidung über die Rehabilitierung obliegt der Rehabilitierungsbehörde (§ 12 VwRehaG), diejenige über den Ausgleich fortwirkender Folgen (vgl § 2 Abs 1 VwRehaG) je nach der Art des Primärschadens - wie hier bei Gesundheitsschädigung - der Versorgungsverwaltung (§ 12 Abs 4 VwRehaG), der nach dem Vermögensgesetz zuständigen Behörde bei Eingriffen in Vermögenswerte (§ 7 VwRehaG iVm dem Vermögensgesetz) und verschiedenen Sozialleistungsträgern bei beruflicher Benachteiligung (§ 8 VwRehaG iVm § 1 Abs 1 Nr 3 BerRehaG).

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b) Der Anspruch nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG ist nicht wegen konkurrierender Sozialleistungen ausgeschlossen. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)kann davon ausgegangen werden, dass anderweitige Versorgungsleistungen, die den Anspruch nach § 3 Abs 1 S 2 VwRehaG ausschließen, nicht bezogen werden.

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c) Der Kläger ist Betroffener iS von § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG. Er gehört zu dem nach § 1 VwRehaG berechtigten Personenkreis. Der Kläger war durch Mitarbeiter der Staatssicherheit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar waren. Diese Maßnahmen wurden nach § 1 Abs 1 und 5 VwRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt. Die entsprechenden Feststellungen der Rehabilitierungsbehörde im Bescheid vom 23.11.1999 sind für die nachgeschalteten Fachbehörden bindend (§ 12 Abs 1 S 3 VwRehaG; zur fehlenden Verbindlichkeit von Tatsachenfeststellungen der Behörden der ehemaligen DDR vgl BVerfG Beschluss vom 24.9.2014 - 2 BvR 2782/10). Dies betrifft zum einen die genaue Bezeichnung der hoheitlichen Maßnahme, die den Anknüpfungspunkt für mögliche Folgeansprüche bildet. Und es betrifft zum anderen die Qualifizierung dieser Maßnahme als rechtsstaatswidrig. Jedenfalls bei Eingriffen in das Rechtsgut Gesundheit hat die Rehabilitierungsbehörde sich jedoch im Übrigen auf eine bloße Schlüssigkeitsprüfung zu beschränken. Die gilt insoweit - anders als beim Rechtsgut Beruf - auch für die Bestimmung der Verfolgungszeit (BVerwGE 119, 102 Juris RdNr 10 ff). Nach dem beschriebenen zweistufigen Prüfsystem entfaltet der Rehabilitierungsbescheid deshalb lediglich eine auf die Verfügungssätze beschränkte Tatbestandswirkung (hierzu allgemein Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, vor § 39 RdNr 4 ff). Hiervon hat sich das LSG in der Sache leiten lassen und die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale im Übrigen einer eigenständigen Prüfung unterzogen. Nach den bindenden - mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen - Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) steht danach fest, dass sich die Dauer der Verfolgungszeit im Hinblick auf das Rechtsgut Gesundheit entgegen den berufsbezogenen Ausführungen im Rehabilitierungsbescheid auf die Zeit von März 1966 bis Juni 1968 beschränkte.

15

d) Der Kläger leidet auch an einer gesundheitlichen Störung. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch die Tatsacheninstanzen besteht kein Zweifel, dass der Kläger an einer chronifizierten schweren Zwangsstörung leidet, auch wenn das LSG insoweit von einer exakten Klassifizierung nach ICD 10 abgesehen hat (ggf F42; zur Notwendigkeit einer solchen Feststellung im Unfallversicherungsrecht vgl BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17). Das LSG hat auch keine klare Differenzierung nach Primär- und Folgeschaden getroffen, sondern insoweit einheitlich auf den Beginn der nervenärztlichen Behandlung des Klägers im Jahr 1976 abgestellt. Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht entscheidend an, da es jedenfalls am nötigen Zurechnungszusammenhang fehlt (dazu sogleich unter 3.).

16

3. Der Anspruch des Klägers scheitert daran, dass sich der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis der Verfolgung und der gesundheitlichen Erstschädigung (haftungsbegründende Kausalität) bzw den daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen (haftungsausfüllende Kausalität; § 3 Abs 5 S 1 VwRehaG) nicht herstellen lässt. Das LSG hat die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität über den Bedingungszusammenhang im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne hinaus zutreffend an der Theorie der wesentlichen Bedingung orientiert und frei von Rechtsfehlern verneint. Wie sonst im sozialen Entschädigungsrecht (vgl zB parallel § 1 Abs 1 StrRehaG, § 4 Abs 1 S 1 HHG, § 1 Abs 1 S 1 OEG) gilt trotz des Verweises auf das BVG nur wegen der Folgen der Schädigung (§ 3 Abs 1 S 1 VwRehaG) gleichwohl die Kausalnorm der wesentlichen Bedingung (BT-Drucks 12/4994 S 32 zu § 3; vgl Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, VwRehaG, §§ 1 bis 18 RdNr 9; allgemein BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9).

17

a) Bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs hat das LSG der versorgungsrechtlich relevanten Teilursache der Verfolgungsmaßnahmen mit etwa einem Drittel rechtsfehlerfrei eine untergeordnete und für den Ursachenzusammenhang unwesentliche Bedeutung beigemessen, in dem es die Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung in der spezifisch versorgungsrechtlichen Ausprägung zugrunde gelegt hat wie sie im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA - AN 1912, 930) in ständiger Rechtsprechung seit BSGE 1, 72 und BSGE 1, 150 durch den 9. Senat vertreten wird (zuletzt BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1.10.1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1.1.2009 durch die Anlage zu § 2 VersMedV vom 10.12.2008 inhaltgleich ersetzt worden ist (Teil C Nr 1 b der Anl zu § 2 VersMedV; vgl BR-Drucks 767/1/08 S 3, 4).

18

Danach gilt als Ursache im Rechtssinn nicht jede Bedingung, gleichgültig mit welcher Intensität sie zum Erfolg beigetragen hat und in welchem Zusammenhang sie dazu steht. Als Ursachen sind vielmehr nur diejenigen Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Das ist der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges als annähernd gleichwertig anzusehen sind. Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Haben also neben einer Verfolgungsmaßnahme mehrere weitere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen, ist die Verfolgungsmaßnahme versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge der Verfolgungsmaßnahme zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Verfolgungsmaßnahme in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen (vgl zB BSG SozR Nr 23 zu § 30 BVG Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 20.7.2005 - B 9a V 1/05 R RdNr 38). Im Einzelnen bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen (vgl in diesem Zusammenhang insbesondere BSGE 16, 216, 218 = SozR Nr 58 zu § 1 BVG). Im Einzelfall muss die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (BSGE 1, 72 = SozR BVG § 1 Nr 1; BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9 Juris RdNr 32).

19

b) Das LSG hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Anschluss an das Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. G. unangegriffen und verbindlich festgestellt, dass - ohne abgrenzbare Vorschäden oder Verschlimmerungsanteile - für die Entstehung wie Aufrechterhaltung der Zwangsstörung des Klägers im Wesentlichen drei Ursachen gleichermaßen in Betracht kommen: Belastungen in Kindheit und Jugend, die streitgegenständlichen Verfolgungsmaßnahmen zwischen 1966 und 1968 und die Vorkommnisse im R.-Heim. Durchgreifende Verfahrensrügen hat der Kläger hiergegen nicht erhoben. Die Rüge der unterlassenen Aufklärung (§ 103 SGG) geht fehl. Der beantragten weiteren Beweiserhebung durch Befragung des Sachverständigen Dr. G. zu den Kausalfaktoren aus der Zeit vor der Verfolgung musste das LSG nicht nachkommen, nachdem der Sachverständige die Frage nach dem Ursachenanteil von Kindheit und Jugend bereits eindeutig beantwortet hat. Insbesondere besagen die Ursachen nichts über den Zeitpunkt der Entstehung der streitbefangenen Erkrankung und steht deshalb die Aussage des Gutachters Dr. T. zur Fixierung von Neurosen an unbewusste Konfliktsituationen der Kindheit in keinem noch aufzulösenden Widerspruch zur Aussage des Gutachters Dr. G., dass die Zwangsstörung des Klägers mangels entsprechender Symptomatik vor der Verfolgungszeit nicht bestanden habe (Revisionsbegründung S 18). Objektiv sachdienliche Fragen, deren Beantwortung das LSG entgegen § 116 S 2 SGG unterbunden haben könnte, macht die Revision nicht geltend(vgl BSG Beschluss vom 27.11.2007 - B 5a/5 R 60/07 B - SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7 ff im Anschluss an BVerfG NJW 1998, 2273). Hiervon ausgehend hat das LSG frei von Rechtsfehlern im Wege wertender Betrachtung nach der Formel der "annähernden Gleichwertigkeit" eine untergeordnete Bedeutung des schädigenden Ereignisses für die geltend gemachten Schädigungsfolgen angenommen. Die schädigungsunabhängigen Faktoren einer belasteten Kindheit und Jugend sowie die Arbeitssituation im R.-Heim haben danach auch in rechtlicher Hinsicht den überwiegenden Anteil am Eintritt und der Aufrechterhaltung der jetzt festgestellten Angststörung oder anders formuliert letztlich rechtlich überragende Bedeutung. Ein von der Revision behaupteter logisch ungültiger Schluss liegt nicht vor (vgl im Übrigen AHP Nr 70, wonach Erkrankungen mit neurotischen Anteilen - wie hier sachverständigerseits angenommen und vom LSG unangegriffen festgestellt - nur dann mit schädigenden Ereignissen in ursächlichem Zusammenhang stehen, wenn diese in früher Kindheit über längere Zeit und in erheblichem Umfang wirksam waren; zur fortdauernden Gültigkeit der AHP als antizipierte Sachverständigengutachten, auch wenn die Kausalitätsbeurteilungen zu einzelnen Krankheitsbildern in der VersMedV nicht mehr enthalten sind, BR-Drucks 767/1/08 S 4; Rundschreiben des BMAS vom 15.12.2008 - IVc 3-48021 - 6).

20

c) Die Revision verweist allerdings mit Recht darauf, dass der im Unfallversicherungsrecht zuständige 2. Senat des BSG für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache "wesentlich" nicht gleichsetzt mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann danach für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15). Diese Rechtsprechung, die ihren Ausgangspunkt ebenfalls in der Rechtsprechung des RVA (AN 1912, 930) und den frühen Entscheidungen des BSG in BSGE 1, 72 und BSGE 1, 150 nimmt, schließt die Wesentlichkeit einer von drei ungefähr gleichwertigen Teilursachen nicht bereits deshalb aus, weil die allein maßgebliche Teilursache nur zu einem Drittel Berücksichtigung finden kann (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO im Anschluss an BSGE 13, 175 = SozR Nr 32 zu § 542 RVO). In die Bewertung einfließen muss vielmehr auch, ob den verbleibenden sozialrechtlich nicht maßgeblichen Teilursachen überragende Bedeutung zukommt. Erst wenn angenommen werden kann, dass diesen eine überragende Bedeutung beizumessen ist, folgt daraus, dass die nicht annähernd gleichwertige sozialrechtlich relevante Teilursache unwesentlich ist. Es werden insoweit wohl etwas niedrigere Anforderungen an die Stärke der Mitwirkung angelegt (vgl Krasney in Becker/ Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, Bd 1, Stand Oktober 2013, § 8 RdNr 314; vgl auch Knickrehm, SGb 2010, 381, 384). Der erkennende Senat lässt offen, ob diese etwas andere Ausrichtung im Ansatz bei der nötigen Abwägung im Einzelfall die von der Revision gewünschten Ergebnisse ergäbe. Selbst wenn die behaupteten Unterschiede bestünden, sähe sich der Senat weder veranlasst, mit Blick auf eine etwaig besondere Ausrichtung der Theorie der wesentlichen Bedingung im Unfallversicherungsrecht seine langjährige Rechtsprechung zur "annähernden Gleichwertigkeit" im sozialen Entschädigungsrecht aufzugeben (dazu d) noch bestünde Anlass zu einer Anfrage bei dem mit Unfallversicherungsrecht befassten 2. Senat des BSG (dazu e).

21

d) Der 9. Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Theorie der wesentlichen Bedingung unter Beibehaltung des Merkmals der "annähernden Gleichwertigkeit" fest. Die Rechtsprechung des 2. Senats mag Besonderheiten der gesetzlichen Unfallversicherung Rechnung tragen, die im sozialen Entschädigungsrecht grundsätzlich nicht von Bedeutung sind. In Betracht kommt insoweit insbesondere der Gesichtspunkt, dass im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung seit jeher eine Ersetzung der zivilrechtlichen Haftung durch die Ansprüche der Unfallversicherung stattfindet (vgl §§ 104 f SGB VII; ferner die Vorläufervorschrift in § 636 Abs 1 RVO; vgl auch schon § 95 des UVG vom 6.7.1884, RGBl 69; §§ 898 f RVO vom 19.7.1911, RGBl 509; grundlegend Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, 1969, S 51 ff). Diese Regelung gehört zum Kernbestand der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl BSG Urteil vom 26.6.2007 - B 2 U 17/06 R - BSGE 98, 285 = SozR 4-2700 § 105 Nr 2, RdNr 16)und legt damit auch wesentliche Umfangmerkmale des Schadensausgleichs fest (BSGE 73, 1 = SozR 3-2200 § 571 Nr 2 Juris RdNr 17). Strukturen dieser Art kennzeichnen das soziale Entschädigungsrecht nicht. Im sozialen Entschädigungsrecht, wo in der Regel die Folgen einer einmaligen schädigenden Einwirkung zu beurteilen sind, hat sich die Bestimmung der Wesentlichkeit nach der "annähernden Gleichwertigkeit" bewährt. Dies gilt unabhängig davon, dass in Einzelfällen auch im sozialen Entschädigungsrecht auf Wertungen etwa der gesetzlichen Unfallversicherung zurückgegriffen wird (vgl im Bereich des SVG bei der Bestimmung unfallunabhängiger Krankheiten BSG Beschluss vom 11.10.1994 - 9 BV 55/94 - HVBG-INFO 1995, 970; hierzu Keller, SGb 2007, 248, 249).

22

e) Eine Abweichung iS des § 41 Abs 2 SGG als Voraussetzung einer Anfrage beim 2. Senat bzw Vorlage an den Großen Senat kommt nur dann in Betracht, wenn es sich um die unterschiedliche Beantwortung derselben Rechtsfrage handelt, auf der die frühere Entscheidung eines anderen Senats beruht, wenn also eine Identität der Rechtsfrage in der zu entscheidenden Sache und der früheren Entscheidung des anderen Senats besteht (vgl BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2 Juris RdNr 29, 30 mwN). Insoweit entfiele die Vorlage auch nicht für den Fall der vorangehenden Missachtung der Vorlagepflicht durch einen anderen Senat (Roos in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 41 RdNr 14 mwN). Die genannte Entscheidung des 2. Senats (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15)ist auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 8 Abs 1 SGB VII) ergangen, während hier die Auslegung des § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG Gegenstand der Entscheidung ist. Soweit der erkennende Senat in der Entscheidung vom 11.10.1994 (BSGE 75, 180, 182 mwN = SozR 3-3200 § 81 Nr 12) ausgeführt hat, die Grundentscheidungen des sozialen Unfallversicherungsrechts seien auch im Entschädigungsrecht zu beachten, würde damit die Rechtsfrage gleichwohl nicht zu einer solchen auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern beträfe weiterhin die Auslegung von Normen des sozialen Entschädigungsrechts, für die lediglich bestimmte Grundentscheidungen des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung herangezogen werden (vgl BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2 Juris RdNr 29, 30 mwN). Der Senat nimmt die Abgrenzung nach Wertungen vor, die sich von den Wertungen des SGB VII unterscheiden. Diese Unterscheidung ist durch das Gesetz und seine unterschiedliche Aufgabenstellung angelegt. Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn sich der erkennende wie auch Senate anderer Rechtsgebiete für die Ursachenbewertung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung im Ansatz maßgeblich auf die Rechtsprechung des 2. Senats beziehen (vgl BSG SozR 4-3200 § 81 Nr 5 RdNr 21 mwN; BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 15 RdNr 25; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 17 RdNr 21, 22).

23

f) Das LSG brauchte deshalb den weiteren Beweisanträgen des Klägers zur bisher noch offengelassenen Brückensymptomatik (Revisionsbegründung S 19, 20; vgl zu Fällen einer möglichen Entbehrlichkeit der Brückensymptomatik BSG Beschluss vom 16.2.2012 - B 9 V 17/11 B - Juris RdNr 10) nicht nachgehen, da es auf die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht mehr ankam (BSG Beschluss vom 31.1.2008 - B 13 R 53/07 B). Auch im Falle der Existenz der behaupteten Brückensymptome würde sich an der Zurechnung nach Maßgabe der aufgezeigten Theorie der wesentlichen Bedingung nichts ändern. Einen hinreichend klaren Beweisantrag zu einem Primärschaden vor 1976 hat der Kläger im Übrigen nicht gestellt.

24

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 anerkannt werden. Die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

Tenor

I.

Der Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2011 und der Bescheid vom 17. April 2003 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 19. März 2008 werden aufgehoben.

II.

Die Beklagte wird verurteilt, das Nierenkarzinom und den aus der operativen Behandlung resultierenden Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmteils infolge eines Nierenkarzinoms sowie das Schilddrüsenadenom und die Schilddrüsenüberfunktion als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen.

III.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig sind die nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) festzustellenden Schädigungsfolgen.

Der im Jahr 1951 geborene Kläger war bis zum März 2004 Berufssoldat bei der Bundeswehr.

Von 1971 bis 1987 arbeitete der Kläger zunächst als Radarmechaniker, zuletzt als Radarmechanikermeister am Flugzeug F-104 G (sog. Starfighter), das mit dem Vorwärtssichtradar NASARR ausgestattet war. Mit WDB-Blatt vom 05.11.2002 machte er eine Struma Grad II bis III und ein Nierenzellkarzinom als Schädigungsfolgen geltend. Die Erkrankungen waren im Jahr 1988 (teilweise Entfernung der Schilddrüse bei Adenom) bzw. 1995 operativ behandelt worden. Im Zusammenhang mit der Nephrektomie im November 1995 kam es zu einer im Januar 1996 diagnostizierten Darmperforation und zum Verlust der Milz.

Der Beklagte zog den Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR bei. Darin wurden Expositionswerte gegenüber ionisierender Strahlung im Bereich von Kopf und Oberkörper, Unterarmen und Händen aufgeführt.

Die Wehrbereichsverwaltung - öffentlichrechtliche Aufsicht für Arbeitssicherheit und technischen Umweltschutz - Bereich Bayern - äußerte sich mit Schreiben vom 25.02.2003 zu der beim Kläger stattgehabten Exposition wie folgt:

Die Emission der Röntgenstörstrahlung am Vorwärtssichtradar NASARR erfolge an der Mikrowellenauskopplung des Magnetrons in senkrechter Richtung nach oben in einem räumlich eng begrenzten Strahlenbündel, was durch Röntgenfilmbelichtungen festgestellt worden sei. Wegen der gleichen Anbauweise des NASARR in Radartestbänke finde sich diese nach oben gerichtete Abstrahlcharakteristik auch dort. Zusätzlich zu der Röntgenstörstrahlung habe noch eine Exposition gegenüber ionisierender Strahlung durch radioaktive Leuchtfarbe im Cockpit bestanden. Bei der Berechnung der Ersatzdosis sei unter Zuhilfenahme des Teilbereichs der Arbeitsgruppe strikt nach Aktenlage vorgegangen worden, da infolge der vorgegebenen Bearbeitungszeit ein Befragen des Betroffenen nicht möglich gewesen sei. Damit ergebe sich eine effektive Gesamtdosis für alle Berufsjahre (01.04.1971 bis 31.03.1987) von 5,9 mSv. Der Grenzwert für die allgemeine Bevölkerung sei damit nicht überschritten. Für nichtionisierende Strahlung lägen bislang keine wissenschaftlich allgemein anerkannten Erkenntnisse darüber vor, dass sie Krebserkrankungen auslösen könnten.

Das Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr führte in seiner versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 28.03.2003 aus, dass die ermittelte Gesamtdosis von 5,9 mSv zu gering sei, um in eine versorgungsmedizinische Diskussion über die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs oder über eine Kannversorgung einzutreten. Bei der Schilddrüsenerkrankung sei eine Strahlenverursachung nach dem derzeitigen Kenntnisstand von vornherein nicht anzunehmen.

Mit Bescheid vom 07.04.2003 lehnte es die Beklagte ab, den Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmanteils durch operative Entfernung aufgrund Nierenkarzinom und einen Schilddrüsenteilverlust durch operative Entfernung aufgrund Schilddrüsenerkrankung als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn des § 81 SVG anzuerkennen. Der Kläger sei zwar als Luftfahrzeugfeuerleitradarmechniker/-meister an dem Flugzeugradar NASARR Röntgenstrahlung und radioaktiver Leuchtfarbe ausgesetzt gewesen. Die Gesamtdosis von 5,9 mSv reiche aber für eine gesundheitliche Schädigung nicht aus, da eine den Grenzwert von 1 mSv pro Jahr übersteigende Lebenszeitdosis nicht erreicht werde. Ein ursächlicher Zusammenhang mit Strahlenbelastungen sei daher auszuschließen.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 05.05.2003 Beschwerde ein. Er bat, den Bescheid nach Vorlage des Ergebnisses der Radarkommission noch einmal zu prüfen und ggf. zu korrigieren.

Am 18.09.2003 äußerte sich Dr. J. vom Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr im Rahmen einer Überprüfung gemäß den Kriterien der Radarkommission - der Bericht war am 02.07.2003 vorgelegt worden - in einer ergänzenden versorgungsmedizinischen gutachtlichen Stellungnahme wie folgt: Der Kläger sei von 1971 bis 1987 an Radargeräten der Bundeswehr tätig gewesen. Es sei in Abänderung früherer Ausführungen nunmehr als glaubhaft zu unterstellen, dass er einer Belastung relevanten Ausmaßes durch ionisierende Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Diese sei grundsätzlich als kanzerogen anzusehen. In Abänderung der Stellungnahme vom 28.03.2003 werde daher vorgeschlagen, den Nierentumor als Schädigungsfolge anzuerkennen. Bei einem Schilddrüsenadenom sei gemäß den derzeitigen medizinischwissenschaftlichen Erkenntnissen eine Strahlenverursachung von vornherein nicht anzunehmen.

In einem ersten Entwurf des Beschwerdebescheids vom November 2003 wurde eine Anerkennung von Schädigungsfolgen entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. J. vom 18.09.2003 vorgeschlagen. Diesem Entwurf wurde jedoch durch die Wehrbereichsverwaltung Süd die Zustimmung versagt, weil nach dem Bericht der Radarkommission (dort S. 46) nur eine Teilkörperexposition des Oberkörpers in Betracht komme, nicht jedoch der Nieren.

Dazu befragt, ob bei einer Körpergröße des Klägers von 1,85 m und einer unterstellten Bestrahlung des Oberkörpers auch eine Bestrahlung des Beckenbereichs damit auch der Nieren in Betracht komme, hat die Strahlenmessstelle Nord der Bundeswehr, Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar (Dr. S.), mit Schreiben vom 04.09.2006 in einem Satz mitgeteilt, dass Einbauort der Störstrahler und Austrittsrichtung der Röntgenstörstrahlung am NASARR so seien, dass auch für einen körperlich größeren Techniker der Bereich des Beckens nicht gegenüber Röntgenstörstrahlung exponiert werden könne.

Mit Beschwerdebescheid vom 19.03.2008 wurde die Beschwerde des Klägers gegen den Bescheid vom 17.04.2003 zurückgewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der vom Kläger geltend gemachten Krebserkrankung und der Schilddrüsenerkrankung sei nicht wahrscheinlich. Zwar gehöre die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit zu den qualifizierenden Tätigkeiten im Sinn des Berichts der Radarkommission und es liege auch eine der qualifizierenden Erkrankungen aufgrund ionisierender Strahlung vor (maligne Tumore). Die Radarkommission habe jedoch in ihrem Bericht als weiteres Kriterium festgestellt, dass eine Anerkennung ausgeschlossen werden könne, falls die Bundeswehr nachweise, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten könnten, die das erkrankte Organ nicht betroffen hätten.

Dagegen hat der Kläger am 09.04.2008 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben. Die Klage ist wie folgt begründet worden: Im Rahmen seiner wehrdienstlichen Tätigkeit sei der Kläger einer ionisierenden Strahlung ausgesetzt gewesen, die als Röntgenstörstrahlung und/oder radioaktive Strahlung durch Leuchtfarben auftreten könne. Im vorliegenden Fall sei sowohl eine Röntgenstörstrahlung als auch eine radioaktive Strahlung aus Leuchtfarben zu berücksichtigen. Daneben sei der Kläger auch nichtionisierender Strahlung ausgesetzt gewesen. Die Bevollmächtigten haben auf den Bericht der Radarkommission vom 02.07.2003 hingewiesen. Die Beklagte könne gerade nicht nachweisen, dass nur Teilkörperexpositionen aufgetreten seien, die das erkrankte Organ nicht betroffen hätten. Damit sei eine Anerkennung als Wehrdienstbeschädigung auszusprechen. Die Radarkommission habe in ihrem Bericht vom 02.07.2003 gerade nicht bestätigt, dass vom NASARR ausschließlich an einer eng begrenzten Stelle Röntgenstörstrahlung ausgetreten sei. Die Beklagte habe vielmehr Messungen durchgeführt und dabei festgestellt, dass sich aufgrund der Vielzahl der Arbeiten, die am NASARR zu verrichten gewesen seien, gerade nicht ausschließen lasse, dass sich ein bestimmter Körperteil in der Röntgenstörstrahlung bewege. Dieses ergebe sich aus Messungen des Herrn G., der lange selbst am NASARR gearbeitet habe. Eine qualifizierende Erkrankung liege vor. Der Bericht der Radarkommission sei ein antizipiertes Sachverständigengutachten, welches bei Vorliegen der Kriterien für die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung eine Verpflichtung der Beklagten begründe, die Erkrankung des Klägers als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen. Einzige Öffnungsklausel für die Beklagte sei, wenn die Beklagte nachweise, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten könnten, die das erkrankte Organ nicht betreffen würden. Die Beklagte habe somit einen Entlastungsbeweis zu führen. Genau dieser Entlastungsbeweis sei der Beklagten nicht gelungen. Der Zusammenhang zwischen ionisierender Strahlung und der Krankheit des Klägers sei medizinisch anerkannt. Es sei eine WDB-Anerkennung zumindest im Sinn einer Kannversorgung auszusprechen.

Im Schreiben vom 26.11.2008 hat die Beklagte in Erwiderung zur Klagebegründung darauf hingewiesen, dass eine nichtionisierende Strahlung höchstens zu einer Trübung der Augenlinse führen könne. Durch radiumhaltige Leuchtfarbe könnten nur Knochenkrebs oder Lungenkrebs verursacht werden. Die Röntgenstörstrahlung des Radargeräts NASARR trete nur nach oben aus. Dies ergebe sich aus dem Bericht der Radarkommission, Seite 46, zudem aus der Stellungnahme des Dr. S.. Mit Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Prof. Dr. G., den der Kläger vorgeschlagen hatte, sei sie nicht einverstanden.

Mit Beschluss vom 28.11.2008 ist die Beiladung des Trägers der Versorgungsverwaltung erfolgt.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schreiben vom 06.02.2009 darauf hingewiesen, dass es falsch sei, dass die Röntgenstörstrahlung vom Radargerät NASARR nur nach oben austreten könne. Die bisherigen Feststellungen der Beklagten, auch des

Dr. S., seien falsch. Die Radarkommission habe auf Basis dieser Angaben den Bericht verfasst. Die Beklagte habe zwischenzeitlich Messungen mit Hilfe von Herrn G. durchführen lassen. Diese Messungen seien erst im Jahr 2008 durchgeführt worden und hätten ergeben, dass sich aufgrund der Vielzahl der Arbeiten, die am NASARR zu verrichten gewesen seien, gerade nicht ausschließen lasse, dass sich ein bestimmter Körperteil in der Röntgenstörstrahlung bewege.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 23.02.2009 mitgeteilt, dass sie aller Voraussicht nach einem Gutachten, das Herr Prof. Dr. G. erstellen würde, nicht folgen werde. Im Übrigen hat sie auf eine neue Stellungnahme des Dr. S. vom 19.02.2009 verwiesen, wonach weitere Messungen zur Emission von Röntgenstörstrahlung im Jahr 2008 nicht mehr stattgefunden hätten; es sei lediglich eine Diskussion verschiedener Arbeitsschritte erfolgt, ohne dass das Radargerät bei diesem Termin in Betrieb genommen worden wäre.

Mit Schreiben vom 16.06.2009 hat die Beklagte die Kopie einer - teilweise abgedeckten, also nicht lesbaren - Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung West - Strahlen - vom 09.06.2009 vorgelegt, wonach die Belastung durch radioaktive Leuchtfarbe ausgesprochen gering gewesen sei. Dem von den Bevollmächtigten des Klägers in den Raum gestellten Sachverständigen Prof. Dr. G. ist in dieser Stellungnahme vorgeworfen worden, dass er in einem anderen Verfahren „seine Kompetenzen als medizinischer Sachverständiger bei Weitem überschritten“ habe. Im Übrigen ist die Argumentation der Bevollmächtigten des Klägers teilweise als „unsinnig“ bezeichnet worden. Die teilweise Abdeckung der übersandten Stellungnahme hat die Beklagte damit begründet, dass darin eine Auseinandersetzung mit möglichen politischen Folgen von Fehlern enthalten sei.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 11.01.2010 einen Aktenvermerk vom 22.12.2009 übermittelt, dem u. a. zu entnehmen ist, dass eine Konfliktlösung bei Begutachtung durch Prof. Dr. G. nicht zu erwarten sei. In einem weiteren Aktenvermerk vom 16.06.2010. hat sich die Beklagte mit den Körperhaltungen bei der beruflichen Tätigkeit des Klägers auseinander gesetzt. Weiter hat sie sich dahingehend geäußert, dass der Gesundheitsschaden im „Unterleib“ vorliege. Schließlich hat sie sich erneut umfassend zu der aus ihrer Sicht fehlenden Kompetenz und Neutralität des Prof. Dr. G. geäußert.

Am 09.06.2011 hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Prof. Dr. G. ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage erstellt. Der Sachverständige hat darin Folgendes ausgeführt:

Beim Kläger sei im Oktober 1988 die Operation einer vergrößerten Schilddrüse durchgeführt worden; dabei habe sich ein sogenannter ausgebrannter kalter Knoten gefunden. Am 02.12.1995 sei eine Operation zur Entfernung der linken Niere wegen eines Tumors durchgeführt worden. Postoperativ seien Komplikationen entstanden, die in einem Bauchhöhlenabszess kumuliert hätten. Bei der deswegen erforderlichen Nachoperation am 08.01.1996 seien die Milz, der querliegende Schenkel des Dickdarms und der absteigende Schenkel des Dickdarms entfernt und ein künstlicher Darmausgang gelegt worden. Am 23.02.1996 sei der künstliche Darmausgang verschlossen worden. Aktuell habe der Kläger mitgeteilt, dass bei einer Kontrolluntersuchung im Bundeswehrkrankenhaus U. in der Schilddrüse ein sogenannter heißer Knoten entdeckt worden sei. Heiße Knoten in der Schilddrüse seien verdächtig auf ein Schilddrüsenkarzinom.

Zur Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung hat der Sachverständige Folgendes erläutert: Die Schwerpunktgruppe Radar habe am 16.06.2010 ausgeführt, dass zwar der Oberkörper gegenüber der Störstrahlung am NASARR exponiert gewesen sei, nicht jedoch der Bereich des Beckens, auch nicht bei einem körperlich größeren Techniker. Weiter sei von der Schwerpunktgruppe Radar ausgeführt worden, dass die „Nieren-Becken-Region“ nicht exponiert habe werden können. Der Begriff „Nieren-Becken-Region“ sei - so der Sachverständige - in der Medizin unbekannt. Es sei zu vermuten, dass die Lage der Nieren von der Schwerpunktgruppe Radar irgendwo im Bereich des menschlichen Beckens angenommen worden sei. Als Oberkörper des Menschen werde in der Medizin derjenige Teil des Körpers bezeichnet, der nach unten durch die Rippenbögen der 11. und 12. Rippe begrenzt werde. Bei der ärztlichen Untersuchung am stehenden Patienten sei es unmöglich, den oberen Nierenpol oder gar die Nebennieren zu tasten, weil lediglich der untere Teil der Niere nach unten die Rippenbögen überrage. Ganz zweifellos sei deshalb die Region des Körpers, in dem sich der obere Pol der Niere befinde, dem Oberkörper zuzurechnen. Die Lungenflügel würden nach unten zum Bauchraum durch das Zwerchfell abgegrenzt, das sich ähnlich einer Kuppel an die Unterseite der Lungenflügel anschmiege. Von unten würden in diese Kuppel die Bauchorgane hinein ragen, auf der rechten Seite die obere Hälfte der Niere hinten, auf der linken Seite hinten die oberen Teile der Niere und Milz. Die linke Niere des Menschen liege in der Regel höher als die rechte. Da der Tumor am oberen Pol der linken Niere entstanden sei, bestehe auch kein Zweifel, dass dieser Teil der linken Niere als Teil des Oberkörpers zu betrachten sei, obgleich er anatomisch zur Bauchhöhle gehöre. Bei der Beurteilung einer möglichen Strahlenexposition komme es nicht auf die Zugehörigkeit zur Brusthöhle oder zur Bauchhöhle an, sondern darauf, ob durch die Lokalisation des oberen Nierenpols eine Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung aus einen NASARR möglich gewesen sei oder nicht. Wenn bei den vom Kläger durchgeführten Tätigkeiten eine Exposition des Oberkörpers stattgefunden habe, wie von der Schwerpunktgruppe Radar offenkundig angenommen werde, dann sei der obere Pol der linken Niere des Klägers mit Sicherheit durch Röntgenstörstrahlung betroffen worden. Eine Diskussion einer möglichen Exposition gegenüber radioaktiver Leuchtfarbe sei nicht erforderlich, weil nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft kein Zusammenhang zu der Entwicklung eines Nierenzellkarzinoms angenommen werden könne. Der Kläger sei während der sogenannten Phase I (zwischen 1971 und 1975) in qualifizierender Tätigkeit an Radargeräten beschäftigt gewesen. Er sei damit einem höheren Risiko für Krebserkrankungen als die allgemeine Bevölkerung ausgesetzt gewesen. Wie ausgeführt, sei seine Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung als kausaler Risikofaktor für die Entstehung des bei ihm 1995 entdeckten Nierenzellkarzinoms zu betrachten. Das Nierenzellkarzinom sei hinreichend wahrscheinlich durch die Tätigkeit als Radarmechaniker verursacht.

Auch der Schilddrüsenbefund des Klägers sei der früheren Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung zuzuordnen. Es gebe eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, die als Folge der Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen das Auftreten von gutartigen Schilddrüsentumoren (sog. Adenome) gefunden hätten. Auf entsprechende Untersuchungen hat der Sachverständige hingewiesen. Da der Hals des Klägers zweifelsfrei der Röntgenstörstrahlung ausgesetzt gewesen sei, sei auch die Schilddrüsenerkrankung der Exposition zuzuordnen. Möglichen Einwänden, dass die Radarkommission sich nicht zu gutartigen Tumoren als Folge der Exposition gegenüber ionisierenden Strahlungen geäußert hätte, sei entgegen zu halten, dass sich die Radarkommission wegen des extremen Zeitdrucks vor allem den Krebserkrankungen gewidmet habe.

Als Schädigungsfolgen seien anzuerkennen: Nierenzellkarzinom, postoperative schwere Infektion der Bauchhöhle, Entfernung großer Teile des Dickdarms und der Milz, Schilddrüsenüberfunktion, heißer Knoten der Schilddrüse.

Die Beklagte hat sich zu diesem Gutachten mit einer (nichtärztlichen) Stellungnahme vom 01.09.2011 wie folgt geäußert: Die Ausführungen des Prof. Dr. G. zur Exposition des Oberkörpers seien nicht nachvollziehbar. Wenn auf Seite 46 des Berichts der Radarkommission „Kopf und Teile des Oberkörpers“ als vom direkt nach oben gerichteten Strahlenbündel erreichbar genannt würden, so seien damit ganz sicher nicht die untersten Teile des Oberkörpers gemeint. Somit sei die Nierenregion nicht als ein diesem Strahlenbündel exponierter Körperteil anzusehen, selbst wenn man sie noch zum Oberkörper zähle. Damit sei das Ausschlusskriterium „Teilkörperexposition, die das erkrankte Organ nicht betraf“ erfüllt. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen stochastischen Strahlenwirkungen und dem Auftreten des Schilddrüsenadenoms sei nicht gegeben. Zwar sei eine Anerkennung nach den Kann-Bestimmungen in Betracht zu ziehen, wenn zumindest eine qualifizierte Möglichkeit des ursächlichen Zusammenhangs bestehe. Hinsichtlich gutartiger Geschwülste heiße es jedoch in den Anhaltspunkten, dass diese im Allgemeinen nicht durch äußere Einwirkungen verursacht würden. Ausnahmen bezüglich der Schilddrüsenadenome würden in den Anhaltspunkten nicht genannt. Somit sei deren Ätiologie nicht ungeklärt und die Kann-Bestimmungen fänden keine Anwendung. Auch das Recht der Berufskrankheiten sehe die Anerkennung eines Schilddrüsenadenoms nicht vor. Der Bericht der Radarkommission sehe bezüglich nicht maligner Erkrankungen lediglich für Augenlinsentrübungen (Katarakte) eine Anerkennung wegen der Einwirkung ionisierender Strahlung vor. Die gutachterliche Bewertung des Prof. Dr. G. zum Schilddrüsenadenom beruhe nicht auf den Entscheidungsempfehlungen im Bericht der Radarkommission und sei auch nicht mit sonstigen im sozialen Entschädigungsrecht maßgeblichen antizipierten Gutachten (Anhaltspunkte, Berufskrankheiten-Verordnung) in Einklang zu bringen. Die vom Sachverständigen zitierten Studien an Überlebenden der Atombombenangriffe in Japan hätten für das vorliegende Verfahren überhaupt keine Bewandtnis. Die Studien seien schon lange vor der Radarkommission veröffentlich worden. Dem Gutachten würden jegliche Hinweise auf eine relevante Risikoerhöhung im vorliegenden Einzelfall fehlen. Bezüglich des heißen Knotens der Schilddrüse handle es sich nicht um eine Schilddrüsenvergrößerung durch das gutartige Adenom (kalter Knoten). Außer dem telefonischen Hinweis des Klägers gebe es überhaupt keinen Beweis für das Vorliegen weiterer Schilddrüsenveränderungen. Bereits im Beschwerdeverfahren sei geprüft worden, inwieweit eine auf einer Erhöhung stehende und sich dabei noch vorbeugende Person durch das Strahlenbündel des NASARR getroffen werden könne. Diese Prüfung habe ergeben, dass aufgrund biomechanischer Aspekte bei einer Vorbeugung von Kopf und Oberkörper der Bauchbereich daran gehindert sei, sich nennenswert in die gleiche Richtung zu bewegen. Somit bestehe bei dem Einbauort des Magnetrons und der Austrittseinrichtung seiner Störstrahlung selbst bei einem 1,85 m großen Techniker für den Thoraxbereich keine Expositionsmöglichkeit.

Einer weiteren (nichtärztlichen) Stellungnahme des Dr. S. vom 26.08.2011 ist die Ansicht zu entnehmen, dass selbst dann, wenn eine Bestrahlung des Beckenbereichs stattgefunden hätte, die Exposition der Nieren durch die Abschwächung der Strahlung durch das übrige Körpergewebe weitgehend reduziert gewesen wäre.

Ein heißer Knoten wurde - so auf Nachfrage des SG das Bundeswehrkrankenhaus U. - bei einer Untersuchung im Jahr 2011 nicht dokumentiert.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.10.2011 ist die Klage abgewiesen worden. Ein Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und Nierenzellkarzinom lasse sich nicht herstellen, da nach den Ergebnissen der Strahlenmessstelle der Bundeswehr der Kläger nur hinsichtlich des oberen Teils des Oberkörpers der Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Ein Gesundheitsschaden im Bereich der Nieren könne daher durch Strahlung nicht verursacht werden. Auch die gutartige Schilddrüsenerkrankung sei nicht als Folge einer Wehrdienstbeschädigung festzustellen.

Dagegen haben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 15.11.2011 Berufung eingelegt. Sie haben in ihrer Berufungsbegründung vom 08.03.2012 beanstandet, dass sich das SG im Wesentlichen auf die Ausführungen der Beklagten gestützt habe, ohne sich in ausreichender Weise mit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G. vom 09.06.2011 auseinander zu setzen. Im Übrigen seien die Ausführungen der Beklagten falsch. Auch der Versorgungsarzt Dr. J. sei in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003 davon ausgegangen, dass der Kläger einer Belastung relevanten Ausmaßes durch ionisierende Strahlung ausgesetzt gewesen sei und dadurch der Verlust der linken Niere, der Milz sowie eines Teils des Dickdarms nach der operativen Behandlung eines bösartigen Nierentumors als Wehrdienstbeschädigungsfolge anzuerkennen sei. Es sei auch schlichtweg falsch, wenn die Beklagte behaupte, die Nieren lägen nicht im Bereich des Oberkörpers, sondern im Becken. Die Bevollmächtigten haben dies mit Hinweis auf medizinische Literatur belegt. Damit sei die Behauptung der Beklagten, die Nieren des Klägers seien nicht von der ionisierenden Strahlung betroffen gewesen, nicht haltbar, weil sie anatomisch falsch sei. Prof. Dr. G. habe zudem darauf hingewiesen, dass der Tumor am oberen Pol der linken Niere entstanden sei, die sich im Oberkörper befinde und somit auch von der Röntgenstörstrahlung getroffen worden sei. Dies habe die Beklagte völlig unsubstantiiert bestritten. Bekannt sei, dass die Strahlung des Feuerleitradars des Starfighters F-104 sehr gefährlich gewesen sei. Es sei nicht möglich und auch nicht beweisbar, zentimetergenau die Abstrahlungscharakteristik der Strahlung zu definieren, wie dies der Beklagte behaupte. Die Röntgenstörstrahlung würde vom Entstehungsort ausstrahlen und sei kein streng gebündelter kontrollierter Laserstrahl. Außerdem habe der Beklagte verschwiegen, dass auch seitlich am Magnetron Röntgenstörstrahlung austrete, wie sich aus Seite 5, Tabelle II des Teilberichts NASARR vom 24.02.2002 ergebe. Am 18.07.1979 sei an einer Testbank in L. eine Messung durchgeführt worden, die die Abstrahlcharakteristik der Röntgenstrahlung am Krümmer des Magnetrons dargestellt habe. In diesem Bericht sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass diese Feststellungen nur für das untersuchte Gerät und das eingebaute Magnetron gelten würden, es aber bekannt sei, dass in NASARR verschiedene Magnetrons verwendet worden seien, die sich hinsichtlich der Störstrahlung erheblich unterscheiden würden. Eine Messung an einsatzklaren Luftfahrzeugen habe der Beklagte nie vorgenommen. Auch eine Messung am Starfighter, an dem der Kläger gearbeitet habe, könne der Beklagte nicht vorlegen. Aufgrund des Berichts vom 18.07.1979 sei jedoch eindeutig klar, dass einzelne Messergebnisse nicht verallgemeinert werden könnten, weil die Strahlung bei jedem Gerät anders gewesen sei. Das SG habe auch jede eigene Feststellung zu der Frage, wo sich die Niere befinde und ob diese beim Kläger von ionisierender Strahlung getroffen worden sei, unterlassen. Nach den eigenen Feststellungen der Beklagten wäre die Erkrankung des Klägers als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen; die einzige Ausrede des Beklagten sei, dass sich die Niere nicht im Oberkörper befinde. Diese Behauptung sei durch das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. G. eindeutig widerlegt. Das SG habe nicht erläutert, warum es dem eingeholten Gutachten nicht gefolgt sei. Bezüglich der Schilddrüsenerkrankung habe das SG eine Anerkennung abgelehnt mit Hinweis auf den Bericht der Radarkommission, wonach nur maligne Tumore als Wehrdienstbeschädigung in Frage kämen, die Schilddrüsenerkrankung des Klägers aber gutartig sei. Der Bericht der Radarkommission werde von der Beklagten lediglich so ausgelegt, als ob nur die darin genannten Erkrankungen von ionisierender oder nicht ionisierender Strahlung hervorgerufen werden könnten und alle weiteren Erkrankungen nicht. Dies sei so nicht richtig und auch nicht Gegenstand der Fragestellung an die Sachverständigenkommission gewesen. Die Ausführungen der Beklagten seien insofern unzutreffend und grob irreführend. Im Übrigen haben die Bevollmächtigten auf einen Vergleichsfall hingewiesen, bei dem ein Hodentumor anerkannt worden sei, obwohl der Betroffene ebenfalls am NASARR gearbeitet habe. Auch bei einem weiteren, namentlich genannten Bundeswehrsoldaten, der ebenfalls am NASARR gearbeitet habe, sei die selbe Erkrankung wie beim Kläger, nämlich der Verlust der rechten Niere nach einem Tumor, anerkannt worden. Der Rechtsstreit berühre Fragen, die in der sozialgerichtlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung noch ungeklärt seien (insbesondere die Frage, ob auch gutartige Tumorerkrankungen als Wehrdienstbeschädigung geeignet sein könnten). Die entsprechenden Bescheide aus den Vergleichsfällen haben die Bevollmächtigten beigelegt.

Zu den Arbeitsbedingungen am Luftfahrzeug haben sich die Bevollmächtigten des Klägers auf Nachfrage des Gerichts mit Schreiben vom 03.06.2013 detailliert geäußert und dargelegt, warum der Oberkörper einer Röntgenstörstrahlung ausgesetzt gewesen sei. Zudem haben sie noch auf weitere Strahlungsquellen hingewiesen, denen der Kläger bei der Arbeit ausgesetzt gewesen sei. So seien z. B. Oszilloskope das wichtigste Messgerät bei der Fehlersuche, Reparatur und Systemabgleichung von Radaranlagen gewesen und hätten eine Strahlenbelastung in Oberschenkelhöhe nach sich gezogen. Von der Gefährlichkeit der Strahlenbelastung habe das Radarpersonal keine Kenntnis gehabt.

Die Beklagte hat sich trotz wiederholter gerichtlicher Erinnerung, unter anderem unmittelbar an den Präsidenten des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr, zum klägerischen Schreiben vom 15.11.2011 erst nach über zwei Jahren mit Schreiben vom 13.03.2014 geäußert. Grund für die erhebliche Verzögerung dürfte nach dem Vortrag der Beklagten gewesen sein, dass die für die Bearbeitung derartiger Fälle gebildete „Schwerpunktgruppe Radar“ offenbar nur mit einem einzigen Fachmann besetzt gewesen war, wobei dieser von der Bundeswehrverwaltung zudem zwischenzeitlich mit einer Projektgruppe zu Organisationsfragen beauftragt worden war (Schreiben der Beklagten vom 20.01.2014).

Im Schreiben vom 13.03.2014 hat die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und auf die aus ihrer Sicht zutreffenden Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung hingewiesen. Zudem ist eine Stellungnahme der Strahlenmessstelle der Bundeswehr (Dr. S.) vom 21.02.2014 vorgelegt worden, in der dieser Folgendes ausgeführt hat: Dass Röntgenstrahlung oder Röntgenstörstrahlung nicht streng und definierbar gebündelt würden bzw. so auftreten könnten, sei ein Irrtum des Klägers. Ohne diese Möglichkeit gäbe es keine Computertomographie mit der heute erreichten Bildqualität. Die Radarkommission sei auf Seite 46 ihres Berichts davon ausgegangen, dass sich Kopf und Teile des Oberkörpers direkt im nach oben gerichteten Strahlenbündel befänden. Die Radarkommission gehe also nicht von einer Exposition des gesamten Oberkörpers aus. Eine Emission des Magnetrons auch in seitlicher Richtung sei nicht bewiesen. Ein Argument für eine Exposition der Nieren ergebe sich daher nicht. Die klägerseitige Behauptung, das Magnetron habe auch zur Seite abgestrahlt, sei nicht bewiesen. Aus der fehlenden Angabe der Emissionsrichtung in einem Messprotokoll ergebe sich nicht zwangsläufig die Emissionsrichtung zur Seite. Die Notwendigkeit, die Kontrolle der Bewegung der Antenne in unmittelbarer Nähe dazu ausführen zu müssen, erschließe sich nicht. An der Antenne befinde sich jedenfalls der Hinweis „HANDS OFF“. Es sei auch nicht ersichtlich, wieso diese Prüfung mit eingeschaltetem Magnetron erfolgen habe müssen. Wenn der Kläger angegeben habe, sich bei der Kontrolle der Dichtheit des Hohlleitersystems über den Radarsender gebeugt zu haben und dass sich dabei Arme und Körper über dem Magnetron befunden hätten, erschließe sich nicht, dass das Magnetron in Betrieb sein habe müssen. Aus den auch klägerseitig als bekannt vorgetragenen Warnungen sei eher zu schließen, dass das Magnetron noch gar nicht erst in Betrieb gewesen sei. Den vom Kläger vorgelegten Fotos sei insgesamt kein Beleg dafür zu entnehmen, dass die Nieren in das senkrecht nach oben austretende Röntgenstörstrahlungsbündel geraten könnten. Sofern im Bericht der Radarkommission die Exposition des Oberkörpers angesprochen sei, spiegle dies die Großzügigkeit der Erfassung der Arbeitsplatz- und Expositionsverhältnisse wider. Im Übrigen sei festzustellen, dass die Energie der Röntgenstrahlung des Magnetrons nicht ausreiche, an den Nieren eine Dosis zu erzielen.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben sich dazu mit Schreiben vom 26.06.2014 geäußert. U. a. haben sie darauf hingewiesen, dass sich der angesprochene Warnhinweis „HANDS OFF“ darauf bezogen habe, dass die Antenne nicht als Abstützung benutzt werde. Sie haben weiter darauf aufmerksam gemacht, dass im Verfahren eines namentlich benannten weiteren Soldaten Knochenkrebs (im Oberschenkel) als verursacht durch die Tätigkeit am NASARR betrachtet worden sei Zum Messbericht vom 07.05.1974 haben sie darauf aufmerksam gemacht, dass der verantwortliche Betriebsschutz der betroffenen Bundeswehr eine dringend erforderliche Nachmessung im Bereich des Magnetrons angemahnt habe. Entscheidend sei, wie die Arbeiten real ausgeführt worden seien und nicht, was technisch sinnvoller gewesen sei. Sie haben sich auch zur Lage der Nieren im Bereich des Oberkörpers geäußert.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 07.07.2014 ist der Beklagten die Abgabe eines Anerkenntnisses nahe gelegt worden. Auf Unstimmigkeiten in der Argumentation des Beklagten ist hingewiesen worden.

Mit Schreiben vom 21.07.2014 hat die Beklagte mitgeteilt, dass sie nicht bereit sei, ein Anerkenntnis abzugeben. Mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - der Senat hatte eine solche im Schreiben vom 07.07.2014 überhaupt nicht in den Raum gestellt - bestehe aber Einverständnis. Dazu haben auch die weiteren Beteiligten mit Schreiben vom 29.07.2014 bzw. 01.08.2014 ihr Einverständnis erklärt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 19.10.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 17.04.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.03.2008 festzustellen, dass das Nierenzellkarzinom und die Struma diffusa mit autonomem Adenom Folge einer Wehrdienstbeschädigung sind.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten, des Beigeladenen und des SG Augsburg beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Gründe

Der Senat hat gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, da die Beteiligten - die Beklagte (ungefragt) mit Schreiben vom 21.07.2014, der Kläger mit Schreiben vom 29.07.2014, der Beigeladene mit Schreiben vom 01.08.2014 - dazu ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Berufung ist zulässig und auch begründet.

Der Gerichtsbescheid des SG Augsburg, mit dem die Entscheidung der Beklagten, die Anerkennung von Schädigungsfolgen abzulehnen, bestätigt worden ist, ist ebenso wie der angegriffene Bescheid aufzuheben. Beim Kläger sind der Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmteils nach Nierenkarzinom sowie der Schilddrüsenteilverlust durch operative Entfernung aufgrund einer Schilddrüsenerkrankung im Sinne eines Adenoms und die Schilddrüsenüberfunktion als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen.

Bei seiner Entscheidung stützt sich der Senat auf das vom SG eingeholte Gutachten des Prof. Dr. G. vom 09.06.2011, der, was das Nierenkarzinom angeht, zu der selben Einschätzung gekommen ist wie der Versorgungsarzt der Beklagten Dr. J. in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003. Das Gutachten ist für den Senat überzeugend; er macht es sich zu eigen. Die sachverständige und die versorgungsärztliche Einschätzung zur Nierenerkrankung stehen auch in Einklang mit den Vorgaben des Berichts der Radarkommission. Auch was die Schilddrüsenerkrankung angeht, schließt sich der Senat der überzeugend begründeten Einschätzung des Prof. Dr. G. an.

Der Sachverständige Prof. Dr. G. hat nachvollziehbar erläutert, dass das Nierenzellkarzinom hinreichend wahrscheinlich auf die Strahlenexposition des Klägers als Radarmechaniker/-meister zurückzuführen ist und die Schilddrüsenerkrankung (Adenom) zumindest im Sinn einer Kannversorgung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen ist. Die sich aus der Behandlung dieser Erkrankungen ergebenden weiteren Gesundheitsschäden stellen mittelbare Folgen der Wehrdienstbeschädigung dar.

Wenn sich die Beklagte diesen sachverständigen bzw. versorgungsärztlichen Erkenntnissen verschließt und dies damit begründet, dass die berufliche Belastung des Klägers mit radioaktiver Strahlung nicht dazu geeignet sei, die vorliegenden Erkrankungen zu verursachen, kann dies nicht überzeugen.

1. Voraussetzungen für die Anerkennung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung - Allgemeines

Eine Wehrdienstbeschädigung ist gemäß § 81 Abs. 1 SVG eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.

Entsprechend den vorgenannten Bestimmungen setzt die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (= „Wehrdienstbeschädigung“) (2. Glied) geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen (= „Folge einer Wehrdienstbeschädigung“) (3. Glied) bedingt. Dabei ist eine trennscharfe Differenzierung zwischen dem 2. und dem 3. Glied oftmals praktisch nicht möglich und daher verzichtbar; auch im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung wird dies so praktiziert.

Die zwei bzw. drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Dies bedeutet, dass kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R). Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG). Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66). Haben mehrere Ursachen zu einem Schaden beigetragen, ist eine vom Schutzbereich des SVG umfasste Ursache dann rechtlich wesentlich, wenn nicht die andere(n), nicht dem Schutzbereich des SVG unterfallende(n) Ursache(n) eine überragende Bedeutung hat (haben) (vgl. Urteil des Senats vom 19.07.2011, Az.: L 15 VS 7/10 - m. w. N. zur Rechtsprechung des BSG) und die vom Schutzbereich des SVG umfasste Ursache nicht völlig in den Hintergrund drängt (drängen) (vgl. Urteil des Senats vom 02.07.2013, Az.: L 15 VS 9/10).

Für unfallunabhängige Gesundheitsstörungen, in denen wesensmäßig die Nachweisführung eines Zusammenhangs aufgrund eines konkreten Anlassereignisses erheblich erschwert ist, bestimmt sich der versorgungsrechtlich geschützte Bereich nach dem SVG nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Dieses unterliegt dem Listenprinzip mit der Öffnungsklausel des § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), wobei hierdurch nur ein Vorgriff auf eine Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) möglich ist (ständige Rspr., vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18.06.2013, Az.: B 2 U 3/12 R).

Bei der Beurteilung unfallunabhängiger Gesundheitsstörungen von Soldaten ist aber zu berücksichtigen, dass die Belastungen im Wehrdienst nicht selten solche sind, die in zivilen Berufen nicht auftreten. Daher wäre es zu kurz gegriffen, sich uneingeschränkt an den unfallversicherungsrechtlichen Vorgaben und Erkenntnissen zu Berufskrankheiten oder berufskrankheitenreifen Erkrankungen zu orientieren. Vielmehr ist der Rechtsgedanke des § 9 Abs. 2 SGB VII dahingehend aufzugreifen, dass von einer „Berufskrankheitenreife“ im soldatenversorgungsrechtlichen Sinn auch dann auszugehen ist, wenn die Krankheit zwar nicht in der Liste der BKV aufgenommen ist, der Dienstherr (= Bundeswehr) aber wegen einer erkannten Gefährdung der Soldaten handeln müsste, wenn es eine explizite Regelung wie die BKV auch für soldatenspezifische Erkrankungen gäbe. Davon ist dann auszugehen, wenn eine Situation gegeben ist, in der bekannt geworden ist, dass bestimmte Einwirkungen, denen Soldaten im Dienst in höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, zur Entwicklung bestimmter Krankheiten beitragen können, für die medizinstatistisch nachgewiesen ist, dass die Zahl der Erkrankungen von Soldaten signifikant höher als in der Allgemeinbevölkerung ist (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Wenn das BSG dies im Urteil vom 11.10.1994, Az.: 9 BV 55/94, dahingehend formuliert hat, dass dafür „besondere außerordentliche Belastungen, die typischerweise nur unter den Bedingungen des Krieges auftreten“, erforderlich wären, ist diese Formulierung missverständlich. Denn eine gesetzliche Grundlage für diese Orientierung am Krieg geben die Regelungen des SVG nicht her; vielmehr wird dort (§ 81 Abs.1 SVG) ausdrücklich auf „die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse“ abgestellt, womit eine Abgrenzung von auch im zivilen Leben vorkommenden Belastungen hergestellt wird. Wehrdiensteigentümliche Verhältnisse sind daher solche, die der Eigenart des militärischen Dienstes entsprechen und im Allgemeinen mit dem Dienst eng verbunden sind. Damit werden all die nicht weiter bestimmbaren Einflüsse des Wehrdienstes erfasst, die aus der besonderen Rechtsnatur des Wehrdienstverhältnisses und der daraus resultierenden Beschränkung der persönlichen Freiheit des Soldaten resultieren (vgl. Lilienfeld, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl. 2012, § 81 SVG, Rdnr. 29). Eine kriegsähnliche Belastung zu verlangen, würde zu weit gehen; ausreichend aber auch erforderlich ist eine Belastung, wie sie im zivilen Leben so nicht oder nicht in vergleichbarem Maß vorkommt. Bei der Abgrenzung zwischen wehrdiensteigentümlichen und zivilen Verhältnissen ist von den normalen Umständen und Verhaltensweisen sowie den durchschnittlichen Gefährdungen im Zivilleben auszugehen (vgl. Sailer, in: Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl. 1992, § 81 SVG, Rdnr. 27; Urteil des Senats vom 02.07.2013, Az.: L 15 VS 9/10).

Zu berücksichtigen als weitere Abweichung vom Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist zudem, dass im Versorgungsrecht der rechtlich wesentliche Kausalzusammenhang zwischen einer Gesundheitsstörung und einem dienstlichen Unfall oder wehrdiensteigentümlichen Belastungen nicht nur mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit hergestellt werden kann, sondern auch die Möglichkeit einer Kannversorgung gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG besteht. Es handelt sich dabei um Fälle, bei denen die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs nur deshalb nicht hergestellt werden kann, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Von Ungewissheit ist auszugehen, wenn es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, Az.: B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, Az.: 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, Az.: 9/9a RV 41/92).

Zusammengefasst bedeutet dies, dass ein unfallunabhängiger Gesundheitsschaden unter folgenden Gesichtspunkten als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden kann:

- Alternative 1: Die Gesundheitsstörung ist in der BKV als Berufskrankheit anerkannt.

- Alternative 2: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht eine sogenannte Berufskrankheitenreife im Sinn des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung.

- Alternative 3: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht eine Berufskrankheitenreife im oben aufgezeigten soldatenversorgungsrechtlichen Sinn.

- Alternative 4: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht über die Ursache des Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit, es gibt aber wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung, die die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs positiv vertritt.

2. Zu den hier im Raum stehenden Erkrankungen:

2.1. Nierenzellkarzinom mit Folgeerkrankungen

Das durchgemachte Nierenzellkarzinom mit den sich daraus ergebenden Folgeschäden (Verlust der linken Niere, Verlust der Milz und eines Teils des Dickdarms) ist als Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn der o. g. Alternative 1 anzuerkennen.

2.1.1. Potentiell schädigender Vorgang

Der Kläger war im Rahmen seines Wehrdienstes ionisierender Strahlung (Röntgenstörstrahlung) in einem Umfang ausgesetzt, der potentiell kanzerogene Wirkung hat.

Der Kläger arbeitete von 1971 bis 1987 zunächst als Radarmechaniker, dann als Radarmechanikermeister am Flugzeug F-104 G, das mit dem Vorwärtssichtradar NASARR ausgestattet war.

Bei dieser Tätigkeit war der Kläger in so erheblichem Umfang ionisierender Strahlung ausgesetzt, dass eine für die Verursachung einer Krebserkrankung als ausreichend anzusehende Strahlenbelastung im Sinn der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV vorgelegen hat. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus den Ausführungen des Berichts der vom Bundesministerium der Verteidigung auf Ersuchen des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags einberufenen Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der NVA (Radarkommission) vom 02.07.2003. Die strahlenbelastende Tätigkeit des Klägers fällt im Umfang von fast vier Jahren in den von der Radarkommission als Phase I (bis Ende 1975) bezeichneten Zeitraum, in dem „eine belastbare Dosisrekonstruktion aufgrund von Messdaten praktisch unmöglich ist“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23) und in der auch weitgehend keine Strahlenschutzmaßnahmen getroffen worden sind. Daran hat sich (ab 1976) eine Zeit angeschlossen, „in der die Zahl der Messungen deutlich anstieg und in der erste Strahlenschutzmaßnahmen durchgeführt wurden“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23), so dass ab dieser Zeit eine prinzipielle Dosisabschätzung möglich ist, sofern eine ausreichende Zahl von Messungen vorliegt, was aber vorliegend, d. h. betreffend das NASARR, nicht der Fall zu sein scheint, wenn die Angaben der Beklagten zugrunde gelegt werden, wonach nur eine einzige Messung durchgeführt worden sein soll. Dabei hat die Radarkommission aber auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in dieser zweiten Phase nach wie vor alte Systeme, d. h. ohne Strahlenschutz, weiter eingesetzt worden sind und dieser Zustand teilweise weit bis in die 80er Jahre hinein angehalten hat, was insbesondere auch für das NASARR gilt, an dem der Kläger eingesetzt war (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23). So gibt es offenbar nur ein einziges Messprotokoll zum NASARR aus dem Jahr 1974 (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 22). Die Radarkommission hat zudem darauf hingewiesen, dass gerade dann, wenn nur wenige Messwerte vorliegen, „eine Unterschätzung nicht auszuschließen ist“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 24).

Ausgehend von diesen Ausführungen im Bericht der Radarkommission, der als antizipiertes Sachverständigengutachten betrachtet werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 02.10.2008, Az.: B 9 VS 3/08 B - m. w. N.) ist eine potentiell schädigende Strahlenbelastung im Vollbeweis nachgewiesen.

Dies hat letztlich auch die Beklagte zugestanden, wenn sie ab der Überprüfung nach Vorlage des Berichts der Radarkommission im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ihre Ablehnung nicht mehr auf eine angeblich nicht ausreichende Strahlenbelastung gestützt hat, wie sie dies noch im Verwaltungsverfahren getan hat. Der Senat sieht daher auch keinen Anlass, sich mit der völlig unplausiblen Berechnung der Beklagten im Verwaltungsverfahren auseinanderzusetzen, in dem diese eine effektive Gesamtdosis von 5,9 mSv „berechnet“ hat und zu der Einschätzung gekommen ist, dass die Strahlenbelastung des Klägers nicht den für die allgemeine Bevölkerung geltenden Grenzwert übersteige. Denn für diese pseudogenaue Berechnung fehlen, wie dies der Bericht der Radarkommission überdeutlich klar gemacht hat, jegliche zuverlässigen Messwerte. Die von der Beklagten zulasten des Klägers eingebrachte Messung steht in eklatantem Widerspruch zu den Ausführungen der Radarkommission.

Keiner weiteren Erörterung bedarf die Frage weiterer potentieller Strahlenbelastungen des Klägers durch radioaktive Leuchtfarben oder die Verwendung von Oszilloskopen, die ebenfalls Röntgenstörstrahlung aussenden. Denn diese weiteren Belastungsfaktoren sind angesichts der durch die Arbeit am

NASARR nachgewiesenen Belastung durch Röntgenstörstrahlung nicht mehr entscheidungserheblich. Der Senat braucht sich daher auch nicht damit zu befassen, ob die Beklagte ordnungsgemäß ihrer Mitwirkungspflicht durch die Vorlage nur ihr bekannter Daten und Messwerte nachgekommen ist, was vom Kläger nicht unfundiert in Zweifel gezogen worden ist und auch angesichts des Prozessverhaltens der Beklagten (z. B. Vorlage der teilweise geschwärzten Stellungnahme vom 09.06.2009, Verschweigen von Messdaten, die sich aus dem in den Beklagtenakten enthaltenen Messprotokoll ergeben - Strahlung des Magnetrons auch zur Seite) fraglich erscheint, oder ob die Beklagte gezielt und ausgewählt nur solche Fakten dem Gericht angegeben hat, die sie dem Begehren des Klägers entgegen halten kann.

2.1.2.

Kausalität zwischen Belastung durch ionisierende Strahlung und Nierenzellkarzinom

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. G., der auch Mitglied der Radarkommission war, hat die vorliegenden Unterlagen sorgfältig ausgewertet und ist in seinem Gutachten vom 09.06.2011 mit nachvollziehbarer und überzeugender Begründung zu der Einschätzung gekommen, dass das Nierenzellkarzinom hinreichend wahrscheinlich auf die wehrdienstbedingte Strahlenbelastung des Klägers zurückzuführen ist. Dabei hat er sich u. a. auch mit möglichen Alternativursachen befasst und diese ausgeschlossen. Die aus der Behandlung des Karzinoms resultierenden weiteren Gesundheitsschäden (Entfernung eines Teils des Dickdarms und der Milz) stehen als mittelbare Folgeschäden ebenfalls in einen hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang mit der wehrdienstbedingten Strahlenbelastung.

Diese Beurteilung des Sachverständigen macht sich der Senat zu eigen. Sie steht in Übereinstimmung mit den Festlegungen im Bericht der Radarkommission und den Vorgaben im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 (vgl. Bek. des BMA vom 13.05.1991, BArbBl. 7-8/1991, S. 72 ff.) bzw. der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV (vgl. Bek. des BMAS vom 24.10.2011, Az.: IVa 4-45222-2402, GMBl. 2011, Nr. 49 - 51, S. 983 - 993).

Angesichts der klaren sachverständigen Ausführungen verzichtet der Senat auf weitere Ausführungen zum Gutachten und verweist auf die dortigen Erläuterungen. Die sachverständige Einschätzung wird im Übrigen auch vom versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten (Stellungnahme des Dr. J. vom 18.09.2003) geteilt und hat auch Eingang in den ersten Entwurf eines Beschwerdebescheids vom November 2003 gefunden, dem aus hier nicht nachvollziehbaren Gründen von der Wehrbereichsverwaltung Süd die Zustimmung versagt worden ist.

Sofern die Beklagte Einwendungen gegen dieses Gutachten erhebt, kann sich der Senat dem nicht anschließen:

- Wenn die Beklagte bereits vor Erteilung des Gutachtensauftrags

o dem Gericht mit Schreiben vom 26.11.2008 mitgeteilt hat, dass sie mit der Einholung eines Gutachtens bei Prof. Dr. G. „nicht einverstanden“ sei, da er „sehr spezielle Ansichten“ vertrete,

o zudem mit Schreiben vom 23.02.2009 das Gericht darüber informiert hat, dass die Bundeswehr „diesem Gutachten nicht folgen“ werde, und

o schließlich mit Schreiben der „Schwerpunktgruppe Radar“ vom 16.06.2010 diesem Sachverständigen pauschal jegliche fachliche Eignung abgesprochen hat,

sind diese Einwände nicht ansatzweise nachvollziehbar und nicht auf Fakten gestützt, sondern beruhen ausschließlich auf sachfremden Unterstellungen, Mutmaßungen und subjektiven Meinungsäußerungen von Vertretern der Beklagten, wie sie in einem gerichtlichen Verfahren keinen Raum haben können. Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass der Sachverständige Mitglied der Radarkommission war. Ihm angesichts dieser Berufung fehlende Sachkenntnis zu unterstellen, überrascht und würde auch die Kompetenz der Beklagten in Gestalt des Bundesministeriums der Verteidigung, das die Radarkommission eingesetzt hat, massiv in Frage stellen. Der Senat kann sich die unsachliche Vorabkritik der Beklagten am Sachverständigen daher nur so erklären, dass, soweit dem Senat bekannt ist, dieser im Zusammenhang mit der Erstellung des Berichts der Radarkommission bemängelt hat, dass die Bundeswehr nur unzureichend Materialien zur Verfügung gestellt habe. Allein aus dieser Kritik, die der Senat im Übrigen aufgrund der in diesem Verfahren gemachten Erfahrungen - so musste er auf eine am 15.03.2012 erbetene Stellungnahme zwei Jahre warten, wobei die Stellungnahme erst nach Einschaltung des Präsidenten des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr abgegeben worden ist und nicht einmal ganze sechs Seiten umfasst hat - nicht für fernliegend hält und die im Übrigen auch dem Bericht der Radarkommission selbst zu entnehmen ist (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 25: „Die von der Kommission erbetenen Informationen ... konnten von der Bundeswehr nicht geliefert werden.“), eine fehlende Sachkunde des Sachverständigen abzuleiten, ist mehr als fernliegend. Im Übrigen hat sich der von der Beklagten vorweg erhobene Vorwurf auch nicht nach Vorlage des Gutachtens bestätigt. Dafür, aus dem in diesem Verfahren erstellten Gutachten auf eine fehlende Sachkunde oder gar eine Parteilichkeit des Sachverständigen zu schließen, gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt. Die Vorwürfe und Vorhaltungen der Beklagten entbehren insofern jeglicher sachlicher Grundlage und können nur auf rein subjektiven Gründen beruhen. Ob und wenn ja welche weiteren Gründe für die objektiv nicht haltbare Ablehnung des Sachverständigen durch die Beklagte bestehen, hat die Beklagte nicht offengelegt, so dass nur unsachliche und damit nicht äußerungsfähige Gründe vermutet werden können. Bezeichnend ist jedenfalls, dass sich die Beklagte gehütet hat, den Sachverständigen formal wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, was sich aufgrund ihres Vortrags aufgedrängt hätte. Letztlich können die nicht offengelegten wahren Gründe der Beklagten mangels Entscheidungsrelevanz dahingestellt bleiben.

- Der Vortrag der Beklagten dahingehend, dass die Entstehung eines Nierentumors durch den Bericht der Radarkommission ausgeschlossen sei, findet in diesem Bericht keine Stütze; im Übrigen ist die Behauptung eines (generellen) Ausschlusses eines Ursachenzusammenhangs auch nachweislich falsch. An keiner Stelle in diesem Bericht ist ausgeführt, dass ein Nierenzellkarzinom nicht durch ionisierende Strahlung verursacht sein könnte. Vielmehr ist sowohl im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 1991 als auch in der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 die Niere ausdrücklich unter den strahlenempfindlichen Organen in Hinsicht auf die Verursachung maligner Erkrankungen aufgelistet.

- Sofern die Beklagte argumentiert, das Nierenzellkarzinom könne schon deshalb nicht durch die wehrdienstliche Tätigkeit des Klägers verursacht sein, weil sich die Nieren nicht in dem nach dem Bericht der Radarkommission strahlungsexponierten Körperbereich befunden hätten, ist dies falsch. Es liegt der Eindruck sehr nahe, dass die Beklagte die einschlägigen Vorgaben des Berichts der Radarkommission falsch darstellt, um berechtigte Ansprüche des Klägers abzuwehren.

Nach dem Bericht der Radarkommission ist bei der Tätigkeit am NASARR davon auszugehen, dass sich „Kopf und Teile des Oberkörpers direkt im nach oben gerichteten Strahlenbündel befanden“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 46). Diese Formulierungen können aber nicht - wie dies die Beklagte möchte - dahingehend interpretiert werden, dass bei der Arbeit am NASARR nur eine Exposition in den obersten Teilen des Oberkörpers vorgelegen haben kann. Ein derartiger Ausschluss lässt sich weder dem Bericht der Radarkommission entnehmen noch findet er eine Stütze im (detaillierteren) Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR. Im Übrigen verkennt die Beklagte auch, dass der Radarbericht die Formulierung „Teile des Oberkörpers“ nur in Zusammenhang mit einer ganz bestimmten Tätigkeit am NASARR verwendet, nämlich bei den „langwierigen Einstellarbeiten des Sender-Magnetrons“ (vgl. S. 46 des Berichts).

- Wenn die Beklagte durch den Leiter der Strahlenmessstelle Dr. S. in der Stellungnahme vom 21.02.2014 vorträgt, die Strahlung am NASARR sei einzig und allein nach oben gerichtet gewesen und es habe sich um ein eng umgrenztes Strahlenbündel gehandelt, was durch Röntgenfilme dokumentiert sei, ist auch diese Behauptung nachweislich falsch und verschweigt Erkenntnisse, wie sie die Beklagte selbst gewonnen, dokumentiert und vorgelegt hat.

Aus den Messwerten, wie sie im Teilbericht NASARR (dort Tabelle 2 auf S. 5) dokumentiert sind, ergibt sich zweifelsfrei eine nicht unerhebliche, vom Magnetron des NASARR zur Seite gerichtete Strahlung. Es mag zwar durchaus richtig sein, dass das Magnetron (gezielt) nach oben strahlt und dieses Strahlenbündel vergleichsweise punktgenau ist. Daneben kann aber nicht, wie dies durch die Beklagte erfolgt, verdrängt werden, dass auch zur Seite eine Strahlenbelastung erfolgt.

Auch der Bericht der Radarkommission widerlegt die Behauptung der Beklagten einer ausschließlich nach oben erfolgenden eng umgrenzten Strahlung. So wird dort (vgl. S. 59 des Berichts) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Arbeit auf der Testbank durch Reflexionen an metallischen Flächen (z. B. Fenster- und Türrahmen) erhebliche Strahlenbelastungen und Grenzwertüberschreitungen um 100% auftreten können, ohne dass dafür Fehler an den Radargeräten vorliegen hätten müssen. Gerade in Reparaturhallen ist nach dem Bericht der Radarkommission (vgl. S. 61 des Berichts) wegen der erhöhten Reflexion von einem hohen Risiko einer Überexposition auszugehen. Neben der seitlich aus dem Magnetron austretenden Strahlung gab es daher auch infolge Reflexionen erhebliche Strahlenbelastungen außerhalb des eng nach oben gerichteten Strahlenbündels des Magnetrons.

Wenn dazu der Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. mit Schreiben vom 21.02.2014 behauptet, dass die Annahme des Klägers, das Magnetron habe auch zur Seite gestrahlt, nicht bewiesen sei, kann dies in Anbetracht der vorgenannten Ausführungen sowohl im Bericht der Radarkommission als auch im Teilbericht NASARR nur als wahrheitswidriger Vortrag bezeichnet werden. Ob und inwieweit angesichts eines derartigen Verhaltens auch weitere Angaben der Beklagten nicht nur in diesem gerichtlichen Verfahren genauerer Nachprüfung bedürfen, sei an dieser Stelle mangels Entscheidungserheblichkeit dahingestellt.

Ebenso sieht es der Senat als irreführend und nachweislich falsch an, wenn durch den Leiter der Strahlenmessstelle vorgetragen wird, es sei ein Irrtum des Klägers, wenn dieser meine, dass die Röntgenstrahlung oder Röntgenstörstrahlung des NASARR nicht streng und definierbar gebündelt würde, und dies mit dem Hinweis darauf begründet wird, dass es ohne diese strenge Bündelung keine Computertomographie mit der heute erreichten Bildqualität gebe. Vom heutigen (!) Stand der Computertomographie auf die Belastung eines militärisch vor über 40 Jahren genutzten Geräts zu schließen, ist fernab jeglicher Nachvollziehbarkeit. Dies gilt umso mehr, als der erste kommerzielle Computertomograph zur klinischen Anwendung erst im Jahr 1972, also zu einer Zeit, als der Kläger schon als Radarmechaniker arbeitete, in Betrieb genommen worden ist (vgl. Jach, Einsatz der Dosismodulation in der Mehrschicht-Computertomographie der Kopf-/Halsregion, Diss. 2008, S. 13) und die damaligen Geräte im Vergleich zu heutigen Geräten eine nur sehr eingeschränkte Funktionalität hatten. Im Übrigen suggeriert der Vortrag des Dr. S., dass neben dieser gezielten Strahlung keine andere Strahlung vorhanden gewesen wäre. Dies ist aber - wie bereits erläutert - nachweislich nicht richtig.

- Fast grotesk mutet das Argument des Leiters der Strahlenmessstelle Dr. S. an, wenn er mit dem an der Antenne angebrachten Hinweis „HANDS OFF“ suggerieren will, dass damit die Gefährlichkeit des Geräts durch ionisierende Strahlung zum Ausdruck gebracht würde und daher die Arbeiten mit entsprechend großem Abstand zum Gerät durchgeführt worden wären. Der Hinweis „HANDS OFF“ kann sich nämlich nicht auf eine Strahlenexposition beziehen, sondern nur darauf, dass die Antenne aus mechanischen Gründen nicht zu berühren sei. Dies ergibt sich zwingend aus dem Inhalt des Warnhinweises, der ein Berühren verhindern will. Das Berühren der Antenne an sich ist aber völlig ungefährlich, solange der Kontakt nicht in dem Austrittsort der nach dem Vortrag des Dr. S. enggebündelten Strahlung erfolgt. Wenn schon ein Hinweis auf radioaktive Strahlung erfolgen hätte sollen, hätte dieser ganz anders lauten müssen; „HANDS OFF“ wäre in diesem Fall ein völlig untauglicher Hinweis gewesen. Im Übrigen - auch das ist dem Bericht der Radarkommission zu entnehmen - ist offenbar erst in der von der Radarkommission als zweite Phase ab 1976 bezeichneten Zeit dem bis dahin völlig vernachlässigten Strahlenschutz auch durch entsprechende Arbeitsanweisungen Rechnung getragen worden (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 9, 23, 130). Dies beweist, dass mit „HANDS OFF“ zumindest in der ersten Phase, in der der Kläger auch tätig war, keinesfalls vor Röntgenstörstrahlung gewarnt wurde. Im Übrigen hat die Bundeswehr zwar auch schon bis Mitte der 70er Jahre Strahlenwarnzeichen - die nicht mit dem Hinweis „HANDS OFF“ verwechselt werden dürfen - verwendet, wobei sich diese Warnzeichen nicht auf Röntgenstrahlung bezogen haben (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 9). Die Behauptungen des Dr. S. stehen zu diesen Ausführungen im Bericht der Radarkommission in einem konträren und sachlich nicht ansatzweise erklärbaren Widerspruch.

- Wenn der Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. die Strahlenexposition des Klägers dadurch als kleiner erscheinen lassen will, dass er es als nicht ersichtlich bezeichnet, warum bestimmte Arbeitsschritte mit eingeschaltetem Magnetron erfolgen hätten müssen, mag diese Fragestellung aus heutiger Sicht berechtigt sein. Zu der Zeit, in der der Kläger als Radarmechaniker tätig war (ab 1971), spielte der Strahlenschutz in der täglichen Praxis der Bundeswehr aber keine (wesentliche) Rolle (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 130). Auch die Radarkommission hat in diesem Zusammenhang bei der Ermittlung der Exposition bei Arbeiten am NASARR deshalb empfohlen, „vorrangig Angaben der Antragsteller zu ihren individuellen Tätigkeiten ... zugrunde zu legen“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 47). Der Senat folgt daher auch den Angaben des Klägers im Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 03.06.2013, in dem er sich dezidiert zu den Arbeitsbedingungen geäußert hat; irgendeinen Grund, den Angaben des Klägers nicht zu folgen, kann der Senat nicht erkennen, da die Angaben des Klägers in sich schlüssig und angesichts der zur Zeit der belastenden Tätigkeit vorliegenden Erkenntnisse zur Gefährlichkeit und dem damals auch von Seiten des Arbeitgebers Bundeswehr fehlenden Problembewusstseins zum Thema Röntgenstörstrahlung plausibel sind und nicht ansatzweise ein Hinweis darauf erkennbar ist, dass sich der Kläger durch falsche Angaben einen versorgungsrechtlichen Vorteil verschaffen möchte. Wenn die Beklagte suggerieren will, dass der Kläger die Arbeiten nicht bei eingeschaltetem Radarsender durchgeführt habe, steht dies im Übrigen auch im Widerspruch zu den Ausführungen im Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR (dort vgl. S. 9). Danach ist es für den Senat nachgewiesen, dass, um eine beste Einsatzfähigkeit des NASARR zu erhalten, die meiste Zeit mit hoher Sendeleistung gearbeitet worden ist, zumal von der Gefährlichkeit des Magnetrons damals nichts bekannt gewesen war.

- Das medizinische Argument, das die Beklagte durch einen Nichtmediziner vorgetragen hat, nämlich dass ein Nierentumor nicht strahlungsbedingt entstanden sein könne, weil die Niere nicht Teil des Oberkörpers sei, ist durch die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen und durch medizinische Standardwerke widerlegt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Nierentumor an der höher gelegenen linken Niere und dort am oberen Pol entstanden ist, also an der absolut betrachtet obersten, also kopfnächsten Stelle der Nieren.

Dass die Beklagte von der anatomisch unrichtigen Annahme ausgeht, dass die Nieren im Beckenbereich gelegen seien, entnimmt der Senat auch der Stellungnahme des Dr. S. vom 04.09.2006. Dieser hat im Rahmen der Frage, ob der Nierentumor des Klägers strahlenbedingt sein könne, darauf hingewiesen, dass auch bei einem körperlich größeren Techniker der Bereich des Beckens nicht gegenüber Röntgenstörstrahlung exponiert werden könne.

- Aber selbst dann, wenn dem Beklagten bezüglich seiner falschen Argumentation zur Niere gefolgt würde und damit davon auszugehen wäre, dass die Niere in einem grenzwertig strahlenexponierten Körperbereich liegen würde, würde dies nach den expliziten Feststellungen im Bericht der Radarkommission (vgl. dort S. 47) einer Anerkennung nicht entgegen stehen, da die Kommission der Auffassung ist, „dass für alle Tätigkeiten, für die eine Exposition aller Körperpartien geometrisch betrachtet nicht sicher auszuschließen ist, die Annahme, dass das erkrankte Organ einer Strahlenexposition ausgesetzt war, die durch die maximale Ortsdosisleistung bestimmt wird, die einzig mögliche Grundlage einer Dosisabschätzung darstellt.“ Da eine Nierenexposition - auch nach der Argumentation der Beklagten - nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist die maximale Ortsdosisleistung als Strahlungsbelastung zugrunde zu legen. Wenn dies die Beklagte dadurch in Abrede stellen will, dass sie den Bericht der Radarkommission insofern nicht zur Kenntnis nehmen will, wirkt dies zumindest befremdlich und legt - zum wiederholten Mal - den Eindruck nahe, dass der Tatsachenvortrag der Beklagten sehr selektiv und daran orientiert erfolgt, was ihr bei der Abwehr von Ansprüchen nützlich sein könnte.

- Wenn die Beklagte zum Ende des Berufungsverfahrens die Anerkennung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung dadurch abzuwehren versucht, dass sie durch den Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. mit Schreiben vom 21.02.2014, dessen Anfertigung rund zwei Jahre gedauert hat, vortragen lässt, dass die Energie der Röntgenstrahlung nicht ausreiche, an den Nieren eine Dosis zu erzielen, ist auf Folgendes hinzuweisen: Zunächst verwundert es, dass ein Nichtmediziner der Bundeswehr meint, über so große Fachkunde auf medizinischem Gebiet zu verfügen, dass er diese medizinische Frage zu beantworten vermag. Der ärztliche Sachverständige Prof. Dr. G., dessen medizinische Sachkunde für den Senat außer Zweifel steht, hat dies ganz anders eingeschätzt; diese ärztlichsachverständige Einschätzung macht sich der Senat zu eigen. Auch der Versorgungsarzt der Beklagten Dr. J. hat in einer vermeintlich nicht ausreichenden Eindringtiefe in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003 kein Problem gesehen. Insofern ist die (gewissermaßen fachfremde) Äußerung des Dr. S. ein erneuter Beleg für eine mit großen Vorbehalten zu sehende Vorgehensweise der Beklagten. Dass die Behauptung des Dr. S. auf der Basis medizinischer Erkenntnisse nicht nachvollziehbar ist, ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass die Nieren sowohl im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 1991 als auch in der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 ausdrücklich unter den strahlenempfindlichen Organen in Hinsicht auf die Verursachung maligner Erkrankungen aufgelistet wird.

- Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies noch Entscheidungsrelevanz hätte, weist der Senat darauf hin, dass es in vergleichbaren Fällen von Radarmechanikern am Flugzeug F-104 - von der Beklagten unwidersprochen - zu Anerkennung eines Nierentumors, eines Hodentumors und auch von Knochenkrebs am Oberschenkel gekommen ist. Würde der jetzigen Argumentation der Beklagten gefolgt, hätte es zu solchen Anerkennungen nie kommen können.

2.2. Schilddrüsenadenom mit daraus resultierender Teilentfernung der Schilddrüse und Schilddrüsenüberfunktion

Das Schilddrüsenadenom mit daraus resultierender Teilentfernung der Schilddrüse und die Schilddrüsenüberfunktion sind als Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn der o. g. Alternative 4 (vgl. oben Ziff. 1 a.E.) anzuerkennen.

2.2.1. Potentiell schädigender Vorgang

Die ionisierende Strahlung (Röntgenstörstrahlung), der der Kläger im Rahmen seines Wehrdienstes als Radarmechaniker/-meister ausgesetzt war (vgl. dazu oben Ziff. 2.1.1.), hat auch potentiell schädigende Wirkung auf die Schilddrüse in dem Sinn, dass dadurch die Bildung gutartiger Schilddrüsentumore (Adenome) verursacht werden kann, wie die im Gutachten des Prof. Dr. G. vom 09.06.2011 angeführten Studien zeigen.

2.2.2. Kausalität zwischen Belastung durch ionisierende Strahlung und Adenom der Schilddrüse

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. G. hat die vorliegenden Unterlagen sorgfältig ausgewertet und ist in seinem Gutachten vom 09.06.2011 mit nachvollziehbarer und überzeugender Begründung zu der Einschätzung gekommen, dass das Adenom sowie die Schilddrüsenüberfunktion zwar nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, aber doch im Sinn der Kannversorgung gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG auf die wehrdienstbedingte Strahlenbelastung des Klägers zurückzuführen sind. Der aus der Behandlung des Adenoms resultierende weitere Gesundheitsschaden (Teilentfernung der Schilddrüse) steht als mittelbarer Folgeschaden in einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang mit der Adenomoperation und damit mit der wehrdienstbedingten Strahlenbelastung.

Diese Beurteilung des Sachverständigen macht sich der Senat zu eigen. Sie steht in Einklang mit den rechtlichmedizinischen Voraussetzungen der Kannversorgung.

Es ist unstrittig, dass bezüglich der Entstehung gutartiger Tumore der Drüsen, hier des Schilddrüsenadenoms, in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit in dem Sinn besteht, dass es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern allenfalls verschiedene ärztliche Lehrmeinungen zur Entstehungsursache gibt. Dies ist auch dem Gutachten des Prof. Dr. G. zu entnehmen, wenn dieser potentielle Ursachen sowie zwei Studien benennt, die ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko des Auftretens von gutartigen Schilddrüsentumoren aufzeigen. Eine einheitliche Lehrmeinung hat sich bis heute nicht entwickelt. Aufgrund dieser Studien und den dort entwickelten Kriterien ist nach den Ausführungen des Sachverständigen davon auszugehen, dass das Adenom des Klägers infolge der Strahlenbelastung entstanden ist. Dies bedeutet, dass nach zumindest einer, den Studien zugrunde liegenden Lehrmeinung, die noch nicht als einheitliche Lehrmeinung anerkannt ist, das Adenom des Klägers und die Schilddrüsenüberfunktion hinreichend wahrscheinlich auf die wehrdienstliche Strahlenbelastung zurückzuführen sind. Die Voraussetzungen der Kannversorgung sind damit gegeben.

Bedenken, der Einschätzung des Sachverständigen zu folgen, hat der Senat nicht:

- Der Bewertung des Sachverständigen steht nicht entgegen, dass der Bericht der Radarkommission eine Anerkennung von gutartigen Tumoren nicht explizit vorsieht. Wenn die Beklagte suggeriert, dass durch die Nichterwähnung gutartiger Tumore im Bericht der Radarkommission belegt sei, dass eine Anerkennung derartiger Erkrankungen überhaupt nicht, auch nicht im Weg der Kannversorgung, in Betracht gezogen werden dürfe, ist diese Argumentation falsch und verschleiert den Grund, warum im Bericht der Radarkommission gutartige Tumore nicht thematisiert worden sind. Es ist allgemein bekannt, dass sich die Radarkommission angesichts des großen Zeitdrucks allein auf bösartige Tumore und Katarakte beschränkt hat, ohne damit irgendeine Aussage zur Kausalität anderer Erkrankungen zu treffen.

- Die Tatsache, dass in den früher geltenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in der letzten Fassung vom Jahr 2008 zu gutartigen Geschwülsten (vgl. AHP 2008 Nr. 142.5) darauf hingewiesen wird, dass diese „im allgemeinen nicht durch äußere Einwirkungen verursacht“ werden, steht der Anerkennung des Adenoms im Rahmen der Kannversorgung nicht entgegen. Ganz abgesehen davon, dass die AHP mangels Gesetzeskraft einen derartigen Ausschluss überhaupt nicht konstituieren hätten können, sind sie durch die jetzt geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen abgelöst worden, die überhaupt keine Auflistung von im Weg der Kannversorgung anerkennungsfähiger oder auszuschließender Erkrankungen enthalten. Zudem belegt gerade die Formulierung „im allgemeinen“ in den AHP, dass ein allumfassender Ausschluss einer Anerkennungsfähigkeit gerade nicht gegeben ist. Wenn die Beklagte in diesem Zusammenhang weiter mit Stellungnahme vom 01.09.2011 argumentiert, dass „Ausnahmen bzgl. der Schilddrüsenadenome ... in den AHP nicht genannt“ würden, daher deren Ätiologie nicht ungeklärt sei und daher die Kannversorgung keine Anwendung finde, gibt es für diese Begründung in den AHP nicht ansatzweise eine Stütze; vielmehr verfälscht diese Argumentation die Vorgaben der AHP eklatant. Die Beklagte verschweigt völlig, dass in den AHP für gutartige Geschwülste überhaupt keine Ausnahmen explizit aufgezeigt sind. Aus der fehlenden positiven Erwähnung eines Schilddrüsenadenoms kann daher nicht der Rückschluss gezogen werden, dass mit der Nichterwähnung ein Ausschluss verbunden wäre, wenn die AHP auf der anderen Seite auf die Möglichkeit hinweisen, dass eine Kannversorgung nur im Allgemeinen nicht in Betracht kommt, was aber gerade die Möglichkeit einer Anerkennung im - zugegebenermaßen eher seltenen - Einzelfall beinhaltet. Zudem darf auch nicht übersehen werden, dass die Formulierung in AHP 2008 Nr. 142.5 sämtliche „äußeren Einwirkungen“ umfasst, also neben der durch ionisierende Strahlung auch die zahlreichen anderen Möglichkeiten wie z. B. mechanischer Art. Dass es insofern „im allgemeinen“, d. h. zumindest in der deutlich überwiegenden Zahl der Fälle, nicht zu einer Anerkennung kommen dürfte, ist naheliegend, kann aber nicht dahingehend interpretiert werden, dass es bei Strahlenbelastung zu keiner Anerkennung als Schädigungsfolge im Rahmen der Kannversorgung kommen könne. Außerdem wird in der wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „auch benigne Tumore“ als strahlenbedingte Spätschäden in Betracht kommen. Dieser aktuellen, zumindest schon drei Jahre lang bundesministeriell „abgesegneten“ Erkenntnis verschließt sich die Beklagte.

- Der Sachverständige hat seine Annahme eines Zusammenhangs im Sinn der Kannversorgung durch die Angabe von Studien belegt, die ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für die Entstehung gutartiger Schilddrüsentumore durch ionisierende Strahlung belegen, und darauf hingewiesen, dass der Halsbereich des Klägers ohne jeden Zweifel - dies bestreitet selbst die Beklagte nicht - einer entsprechenden Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen ist. Diese wissenschaftlich fundierte und überzeugende Argumentation des Sachverständigen, die sich der Senat zu Eigen macht, erschüttern die dagegen mit Schreiben der Beklagten vom 01.09.2011 vorgebrachten Behauptungen nicht ansatzweise. Wenn dem Gutachter entgegen gehalten wird, dass er seine Beurteilung nicht „auf der Grundlage der von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese“ abgegeben, sondern sich nur auf zwei „vereinzelte Studien“ gestützt habe, in denen „Hinweise auf mögliche Zusammenhänge gegeben“ seien, und damit „methodische Fehler“ konstruiert werden sollen, gehen diese Vorwürfe als unzutreffend ins Leere. Die Beklagte verkennt völlig, dass es für die Heranziehung der Kannversorgung zwingende Grundvoraussetzung ist, dass sich eine herrschende wissenschaftliche Lehrmeinung noch nicht herausgebildet hat; denn anderenfalls dürfte die Zusammenhangsbeurteilung ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhangs erfolgen. Dem Sachverständigen, der aufgezeigt hat, dass es bezüglich der Entstehung gutartiger Tumore (noch) keine herrschende medizinische Lehrmeinung gibt, methodische Fehler zu unterstellen, kann daher nur mit einer elementaren Unkenntnis der Voraussetzungen der Kannversorgung oder einer gezielt irreführenden Argumentation, die der Senat der Beklagten nicht unterstellen möchte, begründet werden. Dass die Beklagte der vom Gesetzgeber eröffneten Kannversorgung grundsätzlich ablehnend gegenüber steht, möchte der Senat der Beklagten ebenfalls nicht unterstellen. Sollte dies gleichwohl der Fall sein, könnte der Interessenlage der Beklagten nur der Gesetzgeber durch die Abschaffung der Kannversorgung Rechnung tragen, nicht aber die Judikative im Rahmen der Anwendung geltender Gesetze.

Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies noch von weiterer Entscheidungsrelevanz wäre, weist der Senat darauf hin, dass auch im Internet für jedermann zugänglich Veröffentlichungen zu finden sind, die sich mit der bislang medizinisch nicht abschließend geklärten Frage der Verursachung gutartiger Tumore befassen und dabei auch auf die Studienlagen Bezug nehmen (vgl. z. B. die Hinweise von Schmitz-Feuerhake, Die Induktion gutartiger Tumore durch ionisierende Strahlung - ein vernachlässigtes Kapitel von Strahlenrisikobetrachtungen, in: Strahlentelex, Nr. 548-549, 05.11.2009), wobei es der Senat dahingestellt lässt, von welcher wissenschaftlichen Qualität die genannte Veröffentlichung ist.

Der Zustimmungsvorbehalt des § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG steht einer gerichtlichen Anerkennung auch ohne konkrete oder allgemeine Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nicht entgegen. Denn bei der Zustimmung handelt es sich lediglich um einen verwaltungsinternen Vorgaben, den das Gericht bei seiner Entscheidung zu prüfen oder zu ersetzen hat (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1969, Az.: 8 RV 469/67; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.11.2001, Az.: L 10 VS 44/98).

3. Der Vollständigkeit halber: Keine Verurteilung wegen eines heißen Knotens

Der Kläger verfolgt die Anerkennung eines heißen Knotens der Schilddrüse als Folge einer Wehrdienstbeschädigung nicht mehr weiter. Der Senat weist daher lediglich der Vollständigkeit halber auf Folgendes hin:

Eine Verurteilung der Beklagten wegen eines heißen Knotens der Schilddrüse käme schon deshalb nicht in Betracht; weil eine derartige Erkrankung lediglich in Form einer Verdachtsdiagnose in den Raum gestellt worden ist, nicht aber in dem für eine Anerkennung erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen ist. Dass insofern (derzeit noch) keine Zuständigkeit der Beklagten bestünde, da sich eine solche Erkrankung keinesfalls während der Dienstzeit manifestiert hätte (vgl. Urteil des Senats vom 26.01.2012, Az.: L 15 VS 10/08; BSG, Urteil vom 29.04.2010, Az.: B 9 VS 2/09 R), ist von keiner weiteren rechtlichen Bedeutung. Die Frage, ob der Beigeladene verurteilt werden könnte, würde sich daher ebenfalls nicht stellen.

4. Keine Feststellungen zum Grad der Schädigung

Feststellungen zum Grad der Schädigung hat der Senat nicht zu treffen, da sich der Antrag des rechtskundig vertretenen Klägers ausdrücklich auf die Anerkennung der Schädigungsfolgen beschränkt.

5. Keine weiteren Ermittlungen erforderlich

Weitere Ermittlungen, insbesondere eine Inaugenscheinnahme eines Luftfahrzeugs F-104 G waren nicht angezeigt. Mit dem Bericht der Radarkommission, den vorliegenden Angaben zur Tätigkeit des Klägers und dem eingeholten Gutachten ist eine umfassende Entscheidungsgrundlage zur Bewertung der Strahlenexposition des Klägers und der gesundheitlichen Auswirkungen gegeben.

Nicht für die Entscheidung relevant ist es daher, dass der Senat große Zweifel daran hat, dass die Durchführung von Messungen an einem Luftfahrzeug F-104 G, was beklagtenseits in der Stellungnahme des Dr. S. vom 21.02.2014 in den Raum gestellt worden ist, überhaupt gerichtsverwertbare Erkenntnisse bringen könnte. Soweit öffentlich zugänglichen Quellen zu entnehmen ist, wurde das Luftfahrzeug F-104 G bei der Bundeswehr am 22.05.1991 ausgemustert. Wenn in Ausbildungseinrichtungen oder Museen noch Exemplare dieses Flugzeugs vorhanden sind, dürften sich diese allesamt in einem demilitarisierten Zustand befinden. Dies würde bedeuten, dass vor der Durchführung von Messungen die im Rahmen der Demilitarisierung entfernten Bauteile, insbesondere auch das Magnetron, wieder in das Flugzeug einzubauen wären. Dass die anschließend angefertigte Konfiguration dem Zustand des Flugzeugstyps entsprechen würde, an dem der Kläger in den 1970er und 1980er Jahren tätig war, hält der Senat für sehr ungewiss. Denn es ist bekannt, dass es beispielsweise beim Magnetron, von dem der wesentliche Teil der (potentiell) schädigenden Strahlung ausgegangen ist, verschiedene Ausführungen mit sicherlich auch nicht immer identischen Strahlungsverhältnissen gegeben hat (vgl. S. 46 des Radarberichts). Da weder aus den Akten ersichtlich ist, an welchen Ausführungen des Magnetrons der Kläger gearbeitet hat, noch klar ist, ob die damaligen Ausführungen überhaupt noch verfügbar sind, zudem auch zu klären wäre, ob die heute noch vorhandenen Ausführungen des Magnetrons im Weg der frühestens ab Mitte der 1970er Jahr begonnenen Strahlenschutzmaßnahmen umgearbeitet worden sind, kann sich der Senat nur schwer vorstellen, dass sich die den Kläger betreffende Strahlenbelastung realitätsnah reproduzieren lassen würde. In diesem Zusammenhang muss der Senat auch darauf hinweisen, dass er jedenfalls wegen des Vorgehens des Beklagten, hier insbesondere in Form der Person des Leiters der Strahlenmessstelle der Bundeswehr, im vorliegenden Fall nicht unerhebliche Bedenken haben würde, sich auf alle Angaben des Beklagten bedenkenlos zu verlassen. Dazu würde insbesondere die Frage gehören, ob das für eine potentielle Messung von der Beklagten zur Verfügung gestellte Luftfahrzeug tatsächlich der Ausführung entsprechen würde, an dem der Kläger gearbeitet hat, auch wenn dies von Seiten der Strahlenmessstelle so behauptet würde.

Diese Bedenken begründen sich wie folgt:

Die Beklagte hat beispielsweise mit Schreiben vom 26.11.2008 an das SG Folgendes ausgeführt:

„... bleibe ich bei der schon bisher von der Wehrbereichsverwaltung Süd vertretenen Auffassung, dass von diesem Radargerät die Strahlung nur nach oben austreten konnte. ... Außerdem ergibt sich das aus der Stellungnahme des Herrn Dr. S., Leiter der Arbeitsgruppe Radar/Strahlenmessstelle der Bundeswehr ... vom 4. September 2006, in der Beschwerdeakte, Blatt 25.“

Ähnlich hat auch der Leiter der Strahlenmessstelle Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 21.02.2014 im Berufungsverfahren argumentiert, wenn er sich zum Einwand des Klägers, es habe auch eine Strahlung zur Seite gegeben, geäußert hat:

„Der Umkehrschluss, dass damit eine Emission des Magnetrons auch in seitlicher Richtung bewiesen wäre, gilt damit aber nicht. Die Radarkommission ... kam bei der Emissionsrichtung zum Ergebnis, dass die Emission der Röntgenstörstrahlung nach oben erfolgte.“

Der Senat kann, wie bereits oben erläutert, aufgrund des Akteninhalts nur davon ausgehen, dass diese Auskünfte falsch oder so verfälscht gegeben worden sind, dass entscheidende Gesichtspunkte von Seiten der Mitarbeiter der Beklagten verschwiegen worden sind. Dabei bezieht sich der Senat einerseits auf Unterlagen in den Verwaltungsakten der Beklagten, andererseits auf den Bericht der Radarkommission. So wird in der Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 25.02.2003 zwar auf die senkrecht nach oben austretende Röntgenstörstrahlung hingewiesen, gleichwohl ist bei den dokumentierten Messwerten auf S. 2 dieser Stellungnahme auch eine Röntgenstörstrahlung zur Seite (in einem Abstand von 5 cm zum Gerät - Anmerkung: einziger Messabstand) aufgeführt, wobei diese Strahlung der Höhe nach nicht vernachlässigbar ist, beträgt sie doch fast ein Drittel der Abstrahlung nach oben in derselben Entfernung und sogar das Neunfache im Vergleich zu der Abstrahlung nach oben in einer Entfernung von 30 cm. Entsprechendes ergibt sich auch aus dem Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR (vgl. dort S. 5, Tabelle 2). Schließlich wird im Radarbericht der Bundesregierung zum Radargerät NASARR darauf hingewiesen, dass bei den Wartungs- und Reparaturarbeitsplätzen durch Leckagen und auch durch Reflexionen der über die Antenne abgestrahlten Mikrowellen an metallischen Flächen erhebliche Grenzwertüberschreitungen auftreten können (vgl. S. 46 des Berichts); dies hat die Kommission durch eigene Messungen überprüft. Sowohl aus den eigenen Messungen der Beklagten als auch dem Bericht der Radarkommission ergibt sich damit die wiederholte Unrichtigkeit des Vortrags der Beklagten. Ausgehend von der nicht ganz fernliegenden Annahme, dass dies wider besseres Wissen erfolgt ist, wären Zweifel an der Richtigkeit der technisch zutreffenden Ausgangsbasis (rekonstruiertes Flugzeug für die Messungen) für weitere durchzuführende Messungen nicht völlig auszuschließen. Weitergehende Überlegungen und Ausführungen erübrigen sich jedoch, da es auf derartige Messungen im vorliegenden Verfahren überhaupt nicht mehr ankommt.

Mangels Entscheidungserheblichkeit muss sich der Senat auch nicht mit der Frage auseinander setzen, ob es tatsächlich nur eine einzige Messung zum NASARR gibt oder ob noch weitere Untersuchungen vorliegen, die von der Beklagten nur aus nicht näher nachvollziehbaren Gründen nicht vorgelegt werden, was im Rahmen der Beweislast zu würdigen wäre.

Zum Abschluss weist der Senat darauf hin, dass er sich sehr wohl des Gewichts und der Bedeutung der am prozessualen Vorgehen der Beklagten geübten Kritik bewusst ist, für das er gute Gründe gehabt hat. Er steht aber mit einer derartigen objektiven gerichtlichen Kritik nicht allein, wie sie beispielsweise auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein in seinem Beschluss vom 13.09.2012, Az.: 3 LB 21/11 - den das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 10.04.2014, Az.: 2 B 36/13, bestätigt hat - wie folgt zum Ausdruck gebracht hat:

„Hierüber hat die Beklagte jahrelang keine konsequente Überprüfung durchgeführt, den Kläger nicht informiert und auch der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Ermittlung erschwert.“

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG). Insbesondere sind keine Fragen grundsätzlicher Art zu klären. Vielmehr basiert die Entscheidung allein auf einer Einzelfallbeurteilung, die mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung des konkreten Falls zu treffen war.

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 20. August 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d :

Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob eine beim Kläger vorliegende Nierenerkrankung (Glomerulonephritis) und ein daraus resultierender Bluthochdruck als Schädigungsfolge nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) anzuerkennen sind.

Der Kläger ist im Jahr 1955 geboren und lebte bis 1979 in der ehemaligen DDR. Er wurde wegen zweier Versuche der illegalen Ausreise aus DDR strafrechtlich verurteilt.

Wegen des ersten Ausreiseversuchs im Jahr 1971 wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, wegen des zweiten Fluchtversuchs im Jahr 1973 mit Urteil des Bezirksgerichts G. vom 05.11.1973 wegen Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Er befand sich vom 29.07.1973 bis zum 17.10.1974 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft in der Jugendstrafanstalt I.. Dort war er in der Montage zunächst von Handwasserpumpen und anschließend von Wechselsprechanlagen für Büros eingesetzt, nachdem bei der ersten Tätigkeit gesundheitliche Probleme aufgetreten waren.

Im März 1975 ging beim Kläger ein Nierenstein ab, im Frühjahr 1977 wurde durch eine Nierenbiopsie eine Glomerulonephritis diagnostiziert; die einschlägigen medizinischen Untersuchungen und Behandlungen erfolgten zu einem Großteil in der Universitätsklinik J..

Am 29.04.1982 beantragte der Kläger eine Versorgung nach dem Häftlingshilfegesetz und dabei die Anerkennung einer chronischen Nierenbeckenentzündung als Schädigungsfolge. Zur Begründung gab er an, dass er nach einem Jahr Haft sehr starke Schmerzen in der rechten Hüfte gehabt habe und nur mangelhaft ärztlich versorgt worden sei. Die Ursache für die Erkrankung sehe er in der Unterkühlung und der schlechten Ernährung. Die Internistin Dr. W. berichtete dem damals zuständigen Versorgungsamt Ravensburg am 25.08.1982, dass ihr der Kläger seit Juni 1979 bekannt sei. Er befinde sich seit 1976 in ständiger ärztlicher Betreuung. 1975 sei ein Nierenstein festgestellt worden. Er leide unter einer chronischen glomerulären Nierenerkrankung. Die Erkrankung sei nicht aktiviert. Der Kläger sei leistungsfähig und beschwerdefrei. Die Blutdruckwerte - so Dr. W. - hätten stets im Normbereich gelegen. Der Urologe Dr. L. gab in seinem Arztbrief vom 02.11.1979 an, dass die Nieren beidseits in Form und Lage regelrecht seien. Im Schreiben des Landambulatoriums R. vom 27.08.1979 wurde berichtet, dass sich der Kläger seit drei Jahren in ständiger ärztlicher ambulanter Behandlung befinde. Beim Kläger liege eine durch eine Nierenbiopsie gesicherte mesangioproliverative Glomerulonephritis im Sinn einerTyp IgA-Nephropathie vor. Der Blutdruck habe im Durchschnitt 150/90 betragen. Zur Frage der Schädigungsfolgen erstellte Dr. B. am 22.12.1982 ein Gutachten nach Aktenlage sowie - nach Untersuchung des Klägers - am 27.01.1983 einen Nachtrag. Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der mesangioproliverativen Glomerulonephritis und den Haftbedingungen in der DDR sah der Sachverständige nicht. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 21.02.1983 wurde der Antrag des Klägers auf Versorgung nach dem Häftlingshilfegesetz abgelehnt.

Die gegen den Kläger in der DDR ergangenen strafgerichtlichen Urteile wurden mit Beschlüssen des Bezirksgerichts G. vom 12.03.1992 und 15.04.1992 aufgehoben und der Kläger rehabilitiert. Es wurde jeweils festgestellt, dass dem Kläger dem Grunde nach Ansprüche nach Maßgabe des Rehabilitierungsgesetzes zustünden.

Am 10.06.2008 beantragte der Kläger (beim damals zuständigen Versorgungsamt in Bayern) eine Versorgung nach dem StrRehaG. Er gab an, während der Haft einen Nierenstein mit der Folge einer chronischen Nierenbeckenentzündung gehabt zu haben und seitdem unter Bluthochdruck zu leiden. Während der Haft in I. habe er eine Tätigkeit ausüben müssen, bei der Gussteile abgeschliffen worden seien. Er habe sich wegen Hautausschlags im Februar 1974 in Behandlung begeben müssen. Im April habe er erstmals eine Nierenkolik erlitten. Die Koliken seien immer öfter aufgetreten und nach der Haftentlassung sei ein Nierenstein festgestellt worden, der nach einem halben Jahr durch Medikamente abgegangen sei.

Medizinische Unterlagen über die Behandlung in der Universitätsklinik J. waren wegen Ablauf der 30-jährigen Aufbewahrungsfrist (so die Auskunft der Uniklinik im sozialgerichtlichen Verfahren) nicht mehr ausfindig zu machen, insbesondere auch nicht der Bericht über die Nierenbiopsie von 1977. Später stellte sich heraus, dass Prof. Dr. F., der den Kläger bereits 1977 in der Universitätsklinik J. behandelt hatte, im Jahr 1990 dem Kläger den schriftlichen Befund seiner Nierenbiopsie ausgehändigt und dieser dann den Bericht seinem Hausarzt gebracht hatte (vgl. Ausführungen im Gutachten des Prof. Dr. D. vom 11.03.2012). Nach Aufgabe der Praxis ist dieser Befund heute nicht mehr auffindbar. Die Jugendstrafanstalt I. legte die vorhandenen Unterlagen über die dortige Unterbringung des Klägers mit Schreiben vom Juni 2008 vor. Darunter befanden sich auch die medizinischen Behandlungsunterlagen aus der Krankenanstalt in der Jugendstrafanstalt.

Im Verfahren nach dem StrRehaG hat der Kläger auch ein vom ihm verfasstes und an die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge gerichtetes Schreiben vom 24.03.1993 vorgelegt, in dem er Angaben zu seinen Lebensbedingungen von 1971 bis 1979 und seinem Gesundheitszustand von 1973 bis 1993 gemacht hatte. U. a. Folgendes ist daraus zu entnehmen:

* Im Spätherbst 1973 habe er - so der Kläger in diesem Schreiben - in der Jugendstrafanstalt I. vor allem im Gesicht und am Kopf Hautausschlag bekommen, der immer schlimmer geworden sei. Er habe zu dieser Zeit in der Wasserpumpenabteilung arbeiten müssen. Dabei sei durch Schleifarbeiten sehr viel Eisenstaub und Öl angefallen, was sein Körper nicht vertragen habe. Mehrmals habe er wochenlang auf der Krankenstation im Gefängnis gelegen, bis er in eine andere Abteilung verlegt worden sei. Dort habe er dann Wechselsprechanlagen für Büros montiert, das Krankheitsbild habe sich zusehends gebessert.

* Im Frühsommer 1974 habe er eines Nachts so heftige Schmerzen in der linken Hüfte bekommen, dass er weder stehen, sitzen noch liegen habe können. Er sei wieder für eine Woche auf die Krankenstation gekommen; ihm seien dort Eisbeutel auf den Bauch gelegt worden. Dies habe sich einige Male wiederholt. Man habe gedacht, er sei ein Simulant, und ihn nicht behandeln wollen. Als er vor Schmerzen wütend geworden sei, habe man ihn in eine schmale Einzelzelle gebracht. Dort habe er über einen Tag lang weder zu essen noch zu trinken bekommen. Die Schmerzen hätten sich bis zur Haftentlassung regelmäßig alle 2 - 3 Wochen wiederholt.

* Einige Tage nach der Haftentlassung habe er wieder einen derartigen Schmerzanfall bekommen, der sich kurze Zeit später wiederholt habe. Daraufhin sei er in der Universitätsklinik J. untersucht worden, wo ein Nierenstein festgestellt worden sei. Es sei weiter in medizinischer Behandlung gewesen; die medizinischen Werte hätten sich verbessert und stabilisiert, seien aber nicht mehr normal geworden. Er habe sehr oft an Schwäche und an Müdigkeit gelitten, dazu habe er sehr häufig eine Angina gehabt, wahrscheinlich bedingt durch seine Arbeit. Im Sommer 1976 seien die Mandeln entfernt worden, aber auch das habe den Gesundheitszustand nicht verbessert.

Der versorgungsärztliche Dienst wies in seiner Stellungnahme nach Aktenlage vom 24.02.2009 darauf hin, dass eine chronische Nierenbeckenentzündung nie vorgelegen habe, sondern eine derzeit nicht aktive IgA-Nephritis, die durch eine Biopsie gesichert sei. Bereits im Gutachten im Rahmen des Häftlingshilfegesetzes sei die Anerkennung der IgA-Nephritis als Schädigungsfolge nicht empfohlen worden. Während der Haft seien keine Erkrankungen aufgetreten, die gehäuft mit dem Erkrankungsbeginn einer IgA-Nephritis vergesellschaftet seien. Das Nierensteinleiden sei ausgeheilt. Dem Gutachten vom Dezember 1982 könne auch heute noch voll gefolgt werden. Da es keine als Schädigungsfolge anzuerkennende Nierenerkrankung gebe, könne auch keine Kausalkette konstruiert werden, in der der Bluthochdruck auf die Haftbedingungen zurückgeführt werden könnte.

Mit Bescheid vom 12.03.2009 lehnte das Versorgungsamt den Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem StrRehaG ab.

Dagegen legten die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 14.04.2009 Widerspruch ein und begründeten diesen wie folgt: Ein Krankenblatt aus der Haftzeit des Antragstellers vom 02.08.1974 zeige in der Fieberkurve zumindest eine erhöhte Temperatur. Im Krankheitsverlauf werde von heftigen Schmerzen im rechten Mittelbauch berichtet sowie von Erbrechen. Dies lasse den Verdacht eines fiebrigen Magen-Darm-Infekts durchaus zu. Man bedenke darüber hinaus auch die zusätzlichen psychologischen Belastungen während der Inhaftierung. Der Antragsteller leide seit seiner Haftzeit ständig an Nierenschmerzen. Dies würden auch die zeitlich nachfolgenden Befundberichte belegen. Damit seien die notwendigen Symptome für eine entschädigungspflichtige Erkrankung aufgezeigt.

Der versorgungsärztliche Dienst äußerte sich zu diesem Vorbringen mit Schreiben vom 06.05.2009 und 25.05.2009 wie folgt: Den vorliegenden Krankenblattunterlagen sei eine vorübergehende Behandlung wegen abdomineller Beschwerden im rechten Mittelbauch sowie wegen einer Dermatitis zu entnehmen. Soweit den Fieberkurven zu entnehmen sei, habe sich am 09.02.1974 eine Temperatur von 37,3°C und am 12.02.1974 von 37,2°C gefunden bei ansonsten dokumentierten Temperaturwerten von unter 37°C. Eine infektiöse fieberhafte Erkrankung sei somit aus den Unterlagen nicht ableitbar. An der bisherigen Beurteilung sei festzuhalten; die Haftbedingungen könnten nicht für die etwa zweieinhalb Jahre nach der Haftentlastung diagnostizierte IgA-Nephritis verantwortlich gemacht werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2009 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 17.06.2009, das sich mit dem Widerspruchsbescheid überschnitten hatte, legten die Bevollmächtigten des Klägers eine Kopie der Heilbehandlungsseiten aus dem Sozialversicherungsausweis des Klägers vor, woraus sich - so die Bevollmächtigten - ergebe, dass der Kläger unmittelbar nach seiner Haftentlassung im Januar 1975 mehrfach einen Facharzt für Innere Krankheiten wegen seines Nierenleidens aufsuchen habe müssen.

Mit Schreiben vom 30.07.2009 haben die Bevollmächtigten des Klägers Klage zum Sozialgericht (SG) Bayreuth erhoben. Sie haben die Klage damit begründet, dass der Kläger zu Unrecht inhaftiert gewesen sei und sich im Zeitraum der letzten Inhaftierung aufgrund schlechter Unterbringung und mangelnder ärztlicher Versorgung sowie anhaltender Nierenkoliken ein Nierensteinleiden, eine chronische Nierenbeckenentzündung und einen Bluthochdruck zugezogen habe. Unmittelbar nach der Haftentlassung sei beim Kläger ein Nierenstein festgestellt worden. 1977 sei dann eine IgA-Nephritis diagnostiziert worden. Die Blutdruckwerte des Klägers seien immer noch überhöht.

Unter dem Datum vom 25.03.2011 hat der Internist und Sozialmediziner Dr. T. sein im Auftrag des SG angefertigtes Gutachten vorgelegt. Er ist darin zu dem Ergebnis gekommen, dass die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen in keinem wahrscheinlichen Zusammenhang mit dem Haftaufenthalt des Klägers stünden. Auch die medizinischen Voraussetzungen für eine Kannversorgung lägen nicht vor.

Bei der Begutachtung - so der Sachverständige - habe der Kläger angegeben, während der Haft an einer Ölakne im Rahmen der Tätigkeit in der metallverarbeitenden Werkstätte erkrankt zu sein. Während der Haft sei die Ernährung einseitig gewesen (Margarine und Marmelade, einfaches Brot, nur sonntags Semmeln), 1975 sei spontan ein Nierenstein abgegangen. 1977 habe er einen schwarzen Urin bemerkt (Farbe wie Kaffee).

Zu der beim Kläger vorliegenden mesangioproliverativen Glomerulonephritis hat der Sachverständige Folgendes erläutert: Diese Erkrankung sei die häufigste Glomerulopathie bei jüngeren Menschen. Die Verursachung der IgA-Glomerulonephritis sei nicht endgültig aufgeklärt. Häufig würden die ersten Erscheinungen nach einem respiratorischen Infekt auftreten. Insgesamt bestehe bezüglich der Genese dieser Erkrankung in der medizinischen Wissenschaft weiterhin eine gewisse Unsicherheit. Dies habe dazu geführt, dass für diese Erkrankung nach den Anhaltspunkten das Institut der Kannversorgung in Anspruch genommen werde. Voraussetzung für die Annahme einer Kannversorgung sei eine enge zeitliche Verbindung mit körperlichen Belastungen und Witterungseinflüssen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet seien, die Resistenz erheblich herabzusetzen. Diese Voraussetzungen könnten beim Kläger nicht bejaht werden, da keine besonders beeinträchtigenden körperlichen Belastungen und Witterungseinflüsse vorgelegen hätten. Auch fehle der enge zeitliche Zusammenhang mit den Extrembelastungen. Nach den eigenen Angaben des Klägers sei die IgA-Glomerulonephritis 1977 durch eine Nierenbiopsie festgestellt worden. Für ein Bestehen bereits bei Haftentlassung ergebe sich aus den Aktenunterlagen kein Beweis. Die Angabe eines kaffeefarbenen Urins im Jahr 1977 könne auf den Beginn der Erkrankung zu diesem Zeitpunkt hinweisen.

Der Einschätzung des Sachverständigen haben sich die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 27.05.2011 nicht angeschlossen. Es sei davon auszugehen, dass die Kausalität der Erkrankung dadurch nachgewiesen werden könne, dass sich der Kläger bereits im Januar 1975, also lediglich zweieinhalb Monate nach Haftentlassung, in entsprechender Behandlung wegen einer chronischen Nierenbeckenentzündung (im Universitätsklinikum J.) befunden habe.

Der gerichtliche Sachverständige Dr. T. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 01.07.2011 darauf hingewiesen, dass eine Nierenbeckenentzündung in keinerlei Zusammenhang mit einer Glomerulonephritis stehe; es handle sich dabei um zwei völlig verschiedene Krankheitsbilder.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Internist und Nephrologe Prof. Dr. D. unter dem Datum vom 11.03.2012 ein Gutachten und am 17.04.2012 ein ergänzendes Schreiben erstellt. Er ist dabei zu der Einschätzung gekommen, dass die Voraussetzungen der Kannversorgung bei der Nierenerkrankung des Klägers erfüllt seien. Bei der Begutachtung - so der Sachverständige - habe der Kläger angegeben, dass im Rahmen der Haft blutiger Urin aufgetreten sei, der wie Coca-Cola oder Malzkaffee ausgesehen habe. Seine Annahme eines Zusammenhangs der Glomerulonephritis mit der Haft hat der Sachverständige wie folgt begründet: Der Kläger sei während der Haft an einer Nierenentzündung erkrankt, die übersehen worden sei. Dass hier eine Entzündung abgelaufen sei, sei durch die subfebrilen bis febrilen Temperaturen dokumentiert. Auch der Gewichtsverlust von 3 kg durch Nulldiät, keine Flüssigkeitszufuhr und Unterbringung bzw. Isolierung zeitweise in einer Einzelzelle würden dies belegen. IgA-Nierenentzündungen hätten, wie sich aus der Literatur ergebe, ein erhöhtes Risiko für umweltbedingte Faktoren wie Exposition zu Kohlenwasserstoffen, wie sie bestimmt in Schmierölen und den in der Haftanstalt verwendeten Substanzen vorhanden gewesen seien. Die Unterbringung auf der Krankenstation der Haftanstalt sei primär wegen einer durch Ölprodukte ausgelösten Hautentzündung mit Haarverlust erfolgt. Sie sei aber auch einhergegangen mit einer Schädigung innerer Organe, die von den behandelnden Ärzten übersehen worden sei. Dass die Histologie der Nierenbiopsie nicht mehr auffindbar sei, könne dem Kläger nicht vorgeworfen werden. Es sei nachgewiesen, dass die mesangioproliverative Glomerulonephritis bereits während des Haftaufenthalts begonnen habe.

Der versorgungsärztliche Dienst hat sich dieser Einschätzung nicht angeschlossen (Stellungnahme vom 08.05.2012). Er hat darauf hingewiesen, dass der Kläger bei der Begutachtung durch Prof. Dr. D. erstmals angegeben habe, dass er bereits während des Gefängnisaufenthalts Blut im Urin bemerkt habe. In den vom Gutachter genannten medizinischen Veröffentlichungen - so der versorgungsärztliche Dienst - werde keine mit der des Klägers vergleichbare Situation beschrieben. In diesen Artikeln seien Personengruppen untersucht worden, bei denen das Vorliegen einer glomerulären Nierenerkrankung durch eine Biopsie gesichert gewesen sei. Bei diesen Personen sei dann im weiteren Verlauf die Verschlechterung ihrer Nierenleistung in den nächsten Jahren in Bezug gesetzt worden zum Ausmaß der Exposition mit chemischen Substanzen wie Lösungsmitteln. Hierbei habe es sich um Personen gehandelt, die von Berufs wegen jahrelang mit entsprechenden Substanzen zu tun gehabt hätten. Eine Übertragung auf den Kläger, der nur wenige Monate Eisenstaub und Öl ausgesetzt gewesen sei, sei nicht gerechtfertigt. In der Gesamtschau könne der Einschätzung des Gutachters nicht zugestimmt werden. Der geschilderte Verlauf und insbesondere die vom Kläger geschilderte Schmerzsymptomatik während der Haft, die sich nach der Haft in gleicher Weise fortgesetzt habe, die schließlich zur Diagnose eines Nierensteins rechts geführt habe und nach Entfernung dieses Nierensteins ein Abklingen dieser Beschwerden zur Folge gehabt habe, stelle ein gewichtiges Kriterium gegen eine chronische Glomerulonephritis, aber für einen Nierenstein als Ursache dieser Beschwerden dar.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.08.2012 ist die Klage abgewiesen worden; das Gericht hat sich dabei dem Gutachten des Prof. Dr. D. nicht angeschlossen, sondern ist dem Sachverständigen Dr. T. gefolgt.

Mit Schreiben vom 17.09.2012 haben die Bevollmächtigten des Klägers Berufung eingelegt. Sie haben sich dabei auf das Gutachten des Prof. Dr. D. gestützt. Soweit das SG gerügt habe, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Haft und festgestellter Erkrankung nicht bestehe, habe sich der Gutachter mit dieser Frage sehr wohl auseinandergesetzt. Es wäre erforderlich gewesen, dass das SG den Sachverständigen noch einmal nachbefrage. Der Kläger lasse zudem ausführen, dass der bei ihm festgestellte Bluthochdruck seit der Haftentlassung durchgehend bestehe und damit ein eindeutiges Zeichen dafür darstelle, dass der Kläger sich die Erkrankung während der Haftzeit zugezogen habe.

Nach einem Erörterungstermin am 23.01.2014 und umfassender Erläuterung der medizinisch-rechtlichen Problematik und der rechtlichen Fachbegriffe hat sich Prof. Dr. D. in einer ergänzenden Stellungnahme vom 15.07.2014 wie folgt geäußert: Die mesangioproliverative Glomerulonephritis vom IgA-Typ entstehe durch Autoimmunprozesse, wobei grippale Infekte, insbesondere im HNO-Bereich, aber auch in den Lungen als Hauptauslöser bei dieser Konstellation aufgefasst würden. Die Entzündungsherde könnten aber auch in anderen Regionen des Körpers liegen. Aber auch andere Ursachen, wie Lösungsmittel, könnten eine ungünstige Auswirkung „auf die Progression (Verschlechterung bzw. Fortschreiten) der IgA-Nephritis“ haben. Auch eine vermehrte Kalziumausscheidung im Urin mit Nierensteinbildung könne gleichzeitig oder zeitverschoben auftreten und die Diagnose der IgA-Nephritis verschleiern oder erschweren. Zudem sei ein bislang nicht berücksichtigtes zweites Krankheitsgeschehen zu beachten, das mit einer IgA-Nephritis assoziiert sei, und zwar eine Purpura-Schönlein-Henoch. Dies sei eine systemische, auch immunologische Erkrankung mit renaler intermittierender Variante, die neben der Purpura (Hautausschlag mit punktuellen kleinen Einblutungen) auch mit gastrointestinalen Beschwerden wie Bauchbeschwerden und auch Gelenkbeschwerden einhergehe. Diese Symptome habe der Kläger bis auf die Gelenkbeschwerden aufgewiesen. Eine Nierenbeteiligung bei Purpura-Schönlein-Henoch trete bei Erwachsenen in 50 - 80% der Fälle auf, eine arterielle, in diesem Fall renale Hypertonie in 22%. Zum Nachteil des Klägers sei auch eine schlechte Dokumentation auf der Krankenstation ohne Durchführung einer Urinuntersuchung zu finden. Nicht im Widerspruch zur Annahme eines Zusammenhangs stehe die Tatsache, dass der Kläger nach Entlassung aus der Haft einen kalziumhaltigen Nierenstein ausgeschieden habe. Für ihn, den Sachverständigen, bestehe kein Zweifel an der Erstdiagnose einer mesangialen Glomerulonephritis vom IgA-Typ für die Haftzeit; es liege ein Vollbeweis vor. Dies schließe er aus der klinischen Symptomatik und der Vorgeschichte. Beim Kläger hätten subfebrile bis febrile Temperaturen um 37°C vorgelegen. Diese könnten ein „bedingter“ Hinweis auf eine Glomerulonephritis sein, die ohne größere Fieberschübe einhergehen könne. Der Kläger habe sich in einem schlechten Allgemein-und Ernährungszustand befunden, er habe zu wenig getrunken. Es sei wahrscheinlich ausgetrocknet gewesen und habe an Gewicht verloren, obwohl er wahrscheinlich Ödeme im Rahmen des Eiweißverlusts über die Nieren gehabt habe. Befragt zum medizinischen Kenntnisstand bezüglich der Entstehung einer Glumerolonephritis hat der Sachverständige ausgeführt, dass es sich bei den Probanden der von ihm angeführten Studien um Arbeiter gehandelt habe, die lange mit diesen Solventien gearbeitet hätten. Zum Glück für den Kläger habe dessen Exposition nur kurz (Wochen) gedauert.

Der versorgungsärztliche Dienst hat der Einschätzung des Prof. Dr. D. widersprochen und die Erkrankung an einer Purpura-Schönlein-Henoch während der Haft als unwahrscheinlich bezeichnet. Auch sei der Kläger nur wenige Wochen gegenüber Lösungsmitteln exponiert gewesen. Aus den in der Krankenakte enthaltenen Temperaturmessungen könne nicht auf ein febriles oder subfebriles Krankheitsgeschehen geschlossen werden. Die Annahme einer Austrocknung des Klägers sei eine Spekulation.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben dem mit Schreiben vom 14.10.2014 entgegengehalten, dass der Versorgungsarzt die Augen vor gegebenen Tatsachen verschließe. Selbstverständlich lasse sich bei jeder Erkrankung auch irgendwo eine Alternativursache finden. Maßgebend sei jedoch der Grad der Wahrscheinlichkeit.

Über den nach Umzug des Klägers kraft Gesetzes eingetretenen Beklagtenwechsel sind die Beteiligten mit gerichtlichem Schreiben vom 04.02.2015 informiert worden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Bayreuth vom 20.08.2012 aufzuheben, den Bescheid vom 12.03.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, als Folge der Inhaftierung vom 06.01.1971 bis 01.02.1971 und vom 20.07.1973 bis 19.10.1974 die Glomerulonephritis und den Bluthochdruck als Schädigungsfolgen festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Verwaltungsakten zu den Verfahren nach dem Häftlingshilfegesetz und dem StrRehaG sowie die Akten des SG Bayreuth beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Wegen des Wohnortwechsels des Klägers ist in diesem Verfahren, das keine reine Anfechtungsklage beinhaltet, ein Beklagtenwechsel kraft Gesetzes eingetretenen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 05.07.2007, Az.: B 9/9a SB 2/07 R), so dass das Land der richtige Beklagte ist.

Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen (Nierenleiden in Form einer mesangioproliverativen Glomerulonephritis, medikamentös gut eingestellter Bluthochdruck) sind nicht als Schädigungsfolgen anzuerkennen, da ein Zusammenhang mit der Haft nicht nachgewiesen ist.

1. Voraussetzungen einer Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge - Allgemeines

Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer für rechtsstaatswidrig erklärten und daher aufgehobenen Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 08.05.1945 bis zum 02.10.1990 von einer Freiheitsentziehung betroffen gewesen ist und infolge dessen eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes.

Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen schädigendem Tatbestand und Gesundheitsstörung. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt eine Anerkennung im Rahmen der sogenannten Kannversorgung gemäß § 21 Abs. 5 Satz 2 StrRehaG in Betracht.

Die Anerkennung von Schädigungsfolgen setzt - wie auch sonst im Versorgungsrecht - eine zumindest dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. BSG, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Ein mit der Freiheitsentziehung zusammenhängender schädigender Vorgang (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (2. Glied) geführt haben, die wiederum, ggf. über eine sog. Umwegskrankheit (mögliches 3. Glied) (vgl. BSG, Urteil vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06 R; Urteil des Senats vom 06.11.2012, Az.: L 15 VS 13/08 ZVW), die geltend gemachten Schädigungsfolgen (3. oder 4. Glied) bedingt. Auch wenn nach Ansicht des Senats eine trennscharfe Differenzierung zwischen dem 2. und dem 3. Glied oftmals praktisch nicht möglich und daher verzichtbar sein sollte (vgl. Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11), wie dies auch im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung praktiziert wird, scheint die versorgungsrechtliche Rechtsprechung des BSG „grundsätzlich“ auf der exakten Differenzierung zu bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06).

Die einzelnen Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92). Die bloße Wahrscheinlichkeit und erst recht nur die Möglichkeit genügen nicht.

Demgegenüber reicht es für den ursächlichen Zusammenhang der Glieder aus, wenn dieser jeweils mit (hinreichender) Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 6/13 R). Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66).

Lässt sich der rechtlich wesentliche Kausalzusammenhang zwischen der Freiheitsentziehung und einer Gesundheitsstörung nur deshalb nicht herstellen, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt gemäß § 21 Abs. 5 Satz 2 StrRehaG die sogenannte Kannversorgung in Betracht. Von Ungewissheit ist dann auszugehen, wenn es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, Az.: B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die bloße Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, Az.: 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, Az.: 9/9a RV 41/92).

Es muss daher für eine Versorgung im Sinn der Kannversorgung wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs positiv vertritt. Eine Kannversorgung ist daher dann zu bejahen, wenn nach dieser einen Lehrmeinung der Kausalzusammenhang im konkreten Fall positiv festzustellen ist, also nach den von dieser Meinung aufgestellten Kriterien von einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang auszugehen ist (vgl. Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11).

In den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008 (AHP 2008) ist unter den Krankheiten, für die eine Kannversorgung nach Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Betracht zu ziehen ist - eine fehlende Zustimmung wäre im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung als lediglich verwaltungsinterner Vorgang ersetzbar (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1969, Az.: 8 RV 469/67; Landessozialgericht - LSG - Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.11.2001, Az.: L 10 VS 44/98; offengelassen: BSG, Urteil vom 16.03.1994, Az.: 9 RV 11/93) -, auch die chronische Glomerulonephritis genannt (vgl. AHP 2008 Nr. 39, Abs. 7 i. V. m. Nr. 111). In den AHP 2008, Nr. 111, ist dazu Folgendes ausgeführt:

„Die chronische Glomerulonephritis kann sich an eine akute Glomerulonephritis anschließen; die Kausalitätsbeurteilung richtet sich dann nach derjenigen des akuten Stadiums.

Bei der Mehrzahl der chronischen Glomerulonephritiden kann jedoch weder auf ein akutes Vorstadium noch auf eine vorangegangene Infektion geschlossen werden. Die Ätiologie dieser chronischen Glomerulonephritiden ist in der medizinischen Wissenschaft noch nicht ausreichend geklärt; Autoimmunvorgänge spielen eine Rolle. Dementsprechend ist eine Kannversorgung in Betracht zu ziehen, wenn ein Krankheitsbeginn in enger zeitlicher Verbindung mit körperlichen Belastungen und Witterungseinflüssen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet waren, die Resistenz erheblich herabzusetzen, angenommen werden kann.“

Von einem engen zeitlichen Zusammenhang kann gesprochen werden, wenn die Erkrankung spätestens innerhalb von sechs Monaten ab Ende der potenziell schädigenden Umstände aufgetreten ist (vgl. Pressevorbericht Nr. 9 des BSG vom 27.01.2000; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.11.2001, Az.: L 10 VS 44/98).

2. Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolge im zu entscheidenden Fall

Zwar liegt eine einen Versorgungsanspruch eröffnende Freiheitsentziehung im Sinn des § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG vor. Es lässt sich aber ein Zusammenhang der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen (mesangioproliverative Glomerulonephritis, Bluthochdruck) damit nicht herstellen.

2.1. Freiheitsentziehung

Der Kläger hat infolge des für rechtsstaatswidrig erklärten und daher aufgehobenen Urteils des Bezirksgerichts G. vom 05.11.1973 eine Freiheitsentziehung vom 20.07.1973 bis zum 19.10.1974 im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erlitten. Das Vorliegen einer Maßnahme nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG ist mit Beschluss des Bezirksgerichts G. vom 15.04.1992 verbindlich festgestellt worden.

2.2. Schädigungsfolgen

Ein Zusammenhang zwischen Freiheitsentziehung und den vom Kläger als Schädigungsfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen lässt sich nicht herstellen.

2.2.1. Geltend gemachte Gesundheitsstörungen

Als potentiell berücksichtigungsfähige Gesundheitsstörungen kommen in Betracht die mesangioproliverative Glomerulonephritis und ein daraus resultierender Bluthochdruck.

Keine Anerkennung finden kann die vom Kläger in der Vergangenheit angegebene Nierenbeckenentzündung, da eine derartige Erkrankung nie vorgelegen hat - der Kläger hat diesen Begriff wohl irrtümlich verwendet, weil er davon ausgegangen ist, dass eine mesangioproliverative Glomerulonephritis als Nierenkörperchenentzündung gleichzusetzen sei mit einer Nierenbeckenentzündung; der Kläger hat diesen ursprünglichen Antrag im Berufungsverfahren auch nicht weiter verfolgt.

Nicht anerkennungsfähig - darauf weist der Senat nur der Vollständigkeit halber hin - wäre auch ein Nierensteinleiden oder eine Neigung zu Nierensteinen, weil eine derartige Gesundheitsstörung seit vielen Jahren nicht mehr aufgetreten ist und das im zeitlichen Zusammenhang mit der Haft erlittene Nierensteinleiden vollständig und folgenlos verheilt ist.

2.2.2. Kein Zusammenhang im Sinn der Wahrscheinlichkeit des § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG

Keiner der mit der Erkrankung des Klägers befassten Ärzte und Sachverständigen, auch nicht der vom Kläger gemäß § 109 SGG benannte Gutachter, haben einen Zusammenhang zwischen der Nierenerkrankung des Klägers und den Haftbedingungen im Sinn der Wahrscheinlichkeit gesehen. Weitere Ausführungen des Senats erübrigen sich daher, zumal auch von Seiten des Klägers keine abweichende Auffassung vorgebracht worden ist.

2.2.3. Kein Zusammenhang im Sinn der Kannversorgung gemäß § 21 Abs. 5 Satz 2 StrRehaG

Im vorliegenden Fall scheitert eine Anerkennung der mesangioproliverativen Glomerulonephritis (und eines vermutlich daraus resultierenden Bluthochdrucks) als Schädigungsfolge schon daran, dass ein mit der Haft zusammenhängender potentiell schädigender Vorgang nicht nachgewiesen ist. Im Übrigen würde einer Anerkennung auch der dafür geforderte enge zeitliche Zusammenhang zwischen belastenden Umständen und Erkrankungsbeginn fehlen.

2.2.3.1. Potenziell schädigender Vorgang

Unter dem Aspekt potentiell schädigender Vorgänge während der Haft ist zu denken an schlechte Lebensbedingungen im weiteren Sinn verbunden mit schlechter Ernährung, haftbedingte infektiöse Erkrankungen und ein Kontakt mit Lösungsmitteln bzw. Ölen im Rahmen der Tätigkeit in der Wasserpumpenabteilung.

Unter allen Gesichtspunkten ist ein potentiell schädigender Vorgang nicht im Vollbeweis nachgewiesen

2.2.3.1.1.

Schlechte Lebensbedingungen

Derartige potentiell schadensverursachende Lebensbedingungen in der Haftanstalt sind nicht im Vollbeweis nachgewiesen; dies hat auch der gerichtliche Sachverständige Dr. T. erläutert, dessen Einschätzung sich der Senat zu eigen macht.

Wie den Anhaltspunkten 2008 (vgl. dort Nr. 111, Abs. 2) zu entnehmen ist, wird von der medizinischen Wissenschaft die Entstehung einer Glomerulonephritis vor allem postinfektiös insbesondere nach Atemwegserkrankungen (z. B. nach Angina, Scharlach, Grippe) oder parainfektiös herdförmig bzw. diffus z. B. im Verlauf eitrige Erkrankungen angenommen. Auch schwere körperliche Belastungen, u. U. in Verbindung mit Kälte- und Nässeeinflüssen, die nach Art und Dauer die Resistenz gegenüber Infekten erheblich herabzusetzen vermögen, können bei der Krankheitsmanifestation eine mitursächliche Bedeutung haben.

Es mag zwar durchaus so sein, dass die Ernährung während der Haftzeit des Klägers nicht hochwertig und ausgewogen, sondern eher wenig qualitätsvoll gewesen ist. Weitergehende, insbesondere erhebliche körperliche Belastungen, die die Art und Dauer der Resistenz gegenüber Infekten erheblich herabsetzen hätten können, sind aber vom Kläger nicht behauptet worden, geschweige denn im Vollbeweis nachgewiesen.

Eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr infolge der Haftbedingungen ist nicht nachgewiesen und auch so nicht vom Kläger vorgetragen worden. Fest steht - auch aufgrund der eigenen Angaben des Klägers -, dass er nur an einem einzigen Tag während der Haft nichts zum Trinken erhalten hat. Dies ist zweifellos, auch nach dem Vortrag des Prof. Dr. D., nicht dazu geeignet, die Resistenz gegenüber Infekten erheblich herabzusetzen. Dass über diesen Tag hinaus dem Kläger vorübergehend eine Nulldiät verordnet war, hat in diesem Zusammenhang keine Bedeutung, da eine derartige Diät einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr nicht entgegensteht. Wenn Prof. Dr. D. eine Austrocknung des Klägers vermutet, handelt es sich dabei lediglich um eine Spekulation, der keinerlei greifbare Fakten zugrunde liegen. Weder hat der Kläger dies behauptet noch lässt sich den Unterlagen irgendetwas entnehmen, was auf eine Austrocknung hindeuten könnte. Auch lässt sich eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr nicht mit der Entwicklung des Körpergewichts des Klägers begründen. Sofern Prof. Dr. D. hier zunächst von einer Gewichtsabnahme von 3 kg ausgegangen ist, hat er dies später selbst korrigieren müssen. Tatsächlich belegen die medizinischen Unterlagen aus der Haftzeit nämlich eine Gewichtszu-, nicht -abnahme von 3 kg. Die Gewichtsentwicklung steht auch einer erheblichen Beeinträchtigung durch unzureichende Nahrungszufuhr entgegen.

2.2.3.1.2. Kontakt mit Lösungsmitteln und Ölen

Der Kläger hat während seiner Haftzeit über mehrere Wochen in der Wasserpumpenabteilung der Haftanstalt gearbeitet. Dort ist er unstrittig mit Lösungsmitteln und Ölen in Kontakt gekommen.

Dieser Kontakt stellt im Fall des Klägers aber wegen zu geringer zeitlicher Ausprägung keine potentiell schadensverursachende Tätigkeit dar.

Der Senat geht zusammen mit dem Gutachter Prof. Dr. D. davon aus, dass die Verursachung einer Glomerulonephritis nicht nur aus den in den AHP aufgeführten Gründen im Sinn der Kannversorgung möglich ist, sondern auch infolge eines Kontakts mit Lösungsmitteln und Ölen.

Wie sich den Studien, die sowohl der Sachverständige Prof. Dr. D. als auch anschließend der Beklagte zitiert haben, entnehmen lässt, ist nach allen diesen Studien ein langjähriger Kontakt mit Lösungsmitteln erforderlich, um einen Zusammenhang mit einer Glomerulonephritis in Betracht ziehen zu können:

* Porro u. a. haben in einer Veröffentlichung aus dem Oktober 1992 einen Zusammenhang zwischen einer langjährigen beruflichen Exposition mit Lösungsmitteldämpfen und der Entwicklung einer chronischen Glomerulonephritis gesehen, wobei sie zu der Einschätzung gekommen sind, dass vermutlich viele weitere Faktoren zusammenkommen müssten.

* In der Studie von Stengel u. a. vom Oktober 1994 ist ein Zusammenhang zwischen einem ausgeprägten lebenslangen Lösungsmittelkontakt und der Entwicklung einer chronischen Glomerulonephritis mit Niereninsuffizienz gesehen worden.

* Jacob u. a. sind in einer Studie vom Januar 2007 zu dem Ergebnis gekommen, dass Lösungsmittel bei der Progression einer chronischen Nierenerkrankung eine wichtige Rolle spielen.

* In einer weiteren Veröffentlichung ebenfalls von Jacob u. a. im Juni 2007 ist ausgeführt, dass vor allem bestimmte Lösungsmittel das Fortschreiten einer Glomerulonephritis bis hin zur Dialysepflichtigkeit begünstigen würden.

Diese Einschätzung zum erforderlichen langen Expositionszeitraum entspricht auch der unfallversicherungsrechtlichen Rechtsprechung. So hat das LSG Niedersachsen-Bremen im Urteil vom 16.01. 2003, Az.: L 6 U 28/01, Folgendes ausgeführt:

„Nach der von allen Ärzten referierten Entwicklung hat sich der medizinisch-wissenschaftliche Kenntnisstand über die Verursachung von Glomerulonephritiden durch Lösungsmittel seit den 70er Jahren verdichtet. - Prof. Dr. D. hat im nephrologischen Gutachten vom 10. Februar 1992 im Einzelnen den Kenntnisgewinn seit einer Untersuchung von BEIRNE/BRENNAN (1972) dargestellt und auf die Zusammenfassung durch NELSON (1990) hingewiesen. - Daran hat Prof. Dr. Dr. N. im Gutachten vom 24. Mai 1993 angeknüpft und im Einzelnen dargelegt, dass diese Übersichtsarbeit für die Beurteilung der Erkrankung des Versicherten deshalb von besonderer Bedeutung ist, weil sie Einzelberichte über Zusammenhänge membranöser Glomerulonephritiden mit Lösungsmitteln darstellt. Die Einzelfallmitteilungen konzentrieren sich auf Fälle mit langjähriger Exposition gegenüber höherer Konzentration gemischter organischer Lösungsmittel, von der der Senat, wie dargelegt, auch im vorliegenden Fall ausgeht. Von besonderer Bedeutung ist auch die Aussage der Autoren dieser Studie, dass „chronische Glomerulonephritiden als lösungsmittelbedingte Krankheiten einzustufen sind“ (nephrologisches Gutachten des Prof. Dr. C., S. 12). - Der Sachverständige Prof. Dr. C. hat insbesondere auf die von HUBER (2000) durchgeführte Fall-Kontroll-Studie hingewiesen, die ein signifikant erhöhtes Risiko für die Erkrankung an Glomerulonephritis bei chronischem Kontakt mit Lösungsmitteln belegt. Dabei korreliert das relative Risiko zu Dauer und Dosis der Lösungsmittelexposition. Bei einer über 30jährigen Exposition, wie sie bei dem Versicherten vorlag, wird ein relatives Risiko deutlich über den Faktor 2 auf 10 berechnet (S. 19 f. des nephrologischen Gutachtens vom 4. Mai 2000). Auch die Fall-Kontroll-Studie von STENGEL (1996) beschreibt ein relatives Risiko einer eingeschränkten Nierenfunktion bei chronischer Lösungsmittelexposition in Abhängigkeit von der Expositionsdauer deutlich über dem Faktor 2 (3,5 bis 7,7 - S. 11 des nephrologischen Gutachtens vom 4. Mai 2000; vgl. auch das arbeitsmedizinische Gutachten des Dr. O., S. 34). Nephropathien als Folgen einer Lösungsmittelexposition sind auch von MUTTI (1996) beobachtet worden (ebd.). - Insgesamt überzeugt den Senat die Schlussfolgerung, dass eine sehr hohe berufliche Lösungsmittelexposition über eine lange Zeit zu einem erheblich höheren Risiko führt, an einer membranösen Glomerulonephritis zu erkranken. Davon geht mittlerweile wohl auch die Beklagte aus (S. 2 oben des Schriftsatzes vom 11. Oktober 2002). Allerdings trifft - wie oben bereits ausgeführt - ihr neuer Vortrag nicht zu, die berufliche Belastung des Versicherten sei nicht sehr hoch („nur geringfügige Überschreitungen der Grenzwerte“) und damit innerhalb eines Bereiches gewesen, dessen Bedeutung für die Entstehung von Glomerulonephritiden gering ist (S. 3 der ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme des Prof. Dr. Dr. N. an das LSG Nordrhein-Westfalen vom 23. März 1998; vgl. auch die - von dem Institut des Prof. Dr. M. mit erstellte - Heidelberger Malerstudie der Arbeitsgemeinschaft der Bau-BGen, Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. Sonderheft 23, 1997, 7.4.4).“

Entsprechendes zur Belastungsdauer ist auch dem Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 28.08.2001, Az.: L 2 U 367/99, zu entnehmen:

Von besonderer Bedeutung ist insoweit, dass sich durch die Untersuchung von Huber et al eine überzeugende Dosis-Wirkungs-Beziehung ableiten lässt. Diese Untersuchung ergab, dass nach 30 Expositionsjahren das geschätzte Risiko auf das Zehnfache des Ausgangswertes stieg. Die Arbeit von Brautbahr et al untersucht die Literaturdaten der letzten Jahre im Hinblick auf Lösungsmittel und chronische Nierenerkrankungen. Die Mehrheit der Einzelfallbeschreibungen, Fallstudien und epidemiologischen Studien zeigt Brautbahr et al zufolge einen Zusammenhang zwischen Langzeitlösemittelexposition und chronischer Glomerulonephritis. Die Studien belegen eine zeitliche Korrelation, eine Dosis-Wirkungs-Korrelation, eine biologische Plausibilität, eine Konsistenz sowie eine statistische Assoziation.“

An einem derartigen, lang andauernden Kontakt fehlt es im Fall des Klägers ohne jeden Zweifel, so dass potentiell erkrankungsauslösende Arbeitsbedingungen nicht im Vollbeweis nachgewiesen sind.

Eine belastende Tätigkeit in dem vom Kläger ausgeübten vergleichsweise kurzen zeitlichen Umfang von einigen Wochen, allenfalls ganz wenigen Monaten, stellt bereits keine potentiell schadensverursachende Tätigkeit dar.

Sofern Prof. Dr. D. davon ausgegangen ist, dass der Kontakt des Klägers während der Haft mit Lösungsmitteln eine geeignete Belastung zur Krankheitsauslösung gewesen sei, kann sich der Senat dem nicht anschließen. Denn diese Belastung hat keinesfalls lange angedauert, sondern war nur von ganz vorübergehender Art, nämlich bis zur Erkrankung des Klägers an den Hauterscheinungen und zur Einweisung in die Krankenabteilung, und hat sich auf einen Zeit von Wochen, allenfalls ganz wenigen Monaten beschränkt. Anschließend hat der Kläger Tätigkeiten in einer anderen Abteilung der Strafvollzugsanstalt ausgeübt, die mit derartigen Belastungen nicht mehr verbunden waren. Dies hat der Kläger selbst so angegeben. Im Übrigen muss dieser Gesichtspunkt auch dem Sachverständigen selbst bewusst gewesen sein, weil er explizit darauf hingewiesen hat, dass der Kläger glücklicherweise nur kurze Zeit unter entsprechenden Belastungen gearbeitet habe (S. 3 oben der Stellungnahme vom 15.07.2014 - Unterstreichungen durch den Sachverständigen: „Herr A. hatte hier insofern Glück, dass er nur wenige Wochen zu diesen Lösungsmitteln exponiert war.“). Insofern sind die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. D. in sich eklatant widersprüchlich, weil der Sachverständige einerseits darauf hingewiesen hat, dass nach den von ihm zitierten Studien ein langjähriger Kontakt mit Lösungsmitteln und Ölen erforderlich sei, und andererseits, ohne dies weiter zu hinterfragen, von einer im Fall des Klägers erkrankungsauslösenden Tätigkeit ausgeht, obwohl ihm der nur wenige Wochen andauernde Kontakt zu Lösungsmitteln bewusst ist.

Ob, wie der Beklagte unter Bezugnahme auf die Studienlage und zunächst auch der Sachverständige Prof. Dr. D. erläutert haben, langjähriger Kontakt mit Lösungsmitteln nur zu einer Beeinflussung einer Glomerulonephritis im Sinne einer Progression, also zu einer Verschlimmerung einer bereits vorliegenden Erkrankung, führen kann, nicht aber zur einer Verursachung im Sinne der Entstehung, kann letztlich dahingestellt bleiben. Jedenfalls die vom Sachverständigen angeführten und vom Beklagten vorgelegten Studien sprechen dafür, dass sich aus diesen Studien keine Kausalität im Sinn der Entstehung einer Glomerulonephritis ableiten lässt, sondern nur eine Beeinflussung des Fortschreitens einer bereits vorliegenden Erkrankung, also eine Kausalität im Sinn einer Verschlimmerung. Damit korrespondiert auch der Hinweis des Sachverständigen Prof. Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme, dass er nicht differenzieren könne zwischen einer Kausalität im Sinn der Entstehung einerseits und der Verschlimmerung andererseits. Da beim Kläger eine bereits vor der Haftzeit vorliegende Glomerulonephritis nicht nachgewiesen ist und nicht einmal behauptet wird, scheidet auch insofern eine Kausalität zwischen Belastung mit Lösungsmitteln und Ölen in der Haft und Erkrankung beim Kläger aus.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass eine Belastung, die einen potentiellen Auslöser für die beim Kläger vorliegende Erkrankung darstellen könnte, nicht nur nicht im Vollbeweis nachgewiesen, sondern weitgehend widerlegt ist.

2.2.3.1.3. Haftbedingter Infekt

Atemwegserkrankungen wie z. B. Angina, Scharlach oder Grippe, nach denen an eine postinfektiöse Entstehung einer Glomerulonephritis zu denken wäre, sind für die Haftzeit des Klägers nicht im Vollbeweis nachgewiesen.

Im Gefolge vorgenannter Erkrankungen wird von der medizinischen Wissenschaft die Entstehung einer Glomerulonephritis diskutiert. Um einen Zusammenhang im Sinn der Kannversorgung bejahen zu können, müssten derartige Erkrankungen während der Haftzeit im Vollbeweis nachgewiesen sein; zudem müsste ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der Haft und den Erkrankungen belegt sein, um eine Versorgung in Betracht zu ziehen.

Derartige Erkrankungen insbesondere der Atemwege während der Haftzeit des Klägers sind nicht nachgewiesen. Dabei stützt sich der Senat auf die vorliegenden Krankenunterlagen und auch die Feststellungen der Sachverständigen. Irgendwelche fundierten Hinweise auf eine solche Erkrankung enthalten die medizinischen Unterlagen aus der Haftzeit nicht. Es ist lediglich eine kurzzeitig über wenige Tage geringfügig erhöhte Körpertemperatur dokumentiert, mit der der Vollbeweis einer derartigen Erkrankung nicht zu führen ist.

2.2.3.1.4. Purpura-Schönlein-Henoch

Mit der vom Sachverständigen Prof. Dr. D. erstmals in seiner zuletzt angefertigten Stellungnahme von 15.07.2014 eingebrachten Hypothese, der Kläger sei während der Haft an einer Purpura-Schönlein-Henoch erkrankt, die bei Erwachsenen in 50 - 80% der Fälle mit einer Nierenbeteiligung einhergehe und mit einer IgA-Nephritis assoziiert sei, können potentiell eine Glumerolonephritis auslösende Bedingungen in Form einer Purpura-Schönlein-Henoch während der Haft nicht bewiesen werden.

Der Senat kann es dahingestellt lassen, ob der für eine Versorgung im Rahmen der Kausalitätskette erforderliche Zusammenhang zwischen der Haft und der Purpura-Schönlein-Henoch (im Sinn der Wahrscheinlichkeit bzw. der Kannversorgung) überhaupt in Betracht zu ziehen ist. Denn jedenfalls ist die Purpura-Schönlein-Henoch nicht in Vollbeweis nachgewiesen, der im Rahmen der Kausalitätskette auch für die (Umweg-)Erkrankung erforderlich ist. Sofern Prof. Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme für das LSG davon ausgeht, dass diese Erkrankung vorgelegen habe, weil bis auf die Gelenkbeschwerden alle Symptome der Purpura-Schönlein-Henoch vorgelegen hätten, beruht dies auf Spekulationen, nicht aber auf Tatsachen. Wie auch der versorgungsärztliche Dienst in seiner Stellungnahme vom 11.09.2014 nachvollziehbar erläutert hat, ist die Vermutung des Sachverständigen zum Vorliegen dieser Erkrankung vielmehr höchst zweifelhaft. Die in den Behandlungsunterlagen aus der Haftzeit enthaltenen Angaben zu einer Dermatitis bzw. wässrigen Ekzemen an Gesicht, Fingern, Kopf und Rücken entsprechen einer Purpura-Schönlein-Henoch eher nicht; neben dem Leitsymptom der für eine Purpura-Schönlein-Henoch typischen Hautveränderungen fehlen im Übrigen, was auch der Sachverständige zugestanden hat, die typischen Gelenkbeschwerden. Ein entscheidendes Argument gegen die Annahme des Sachverständigen bezüglich dieser Erkrankung ist auch die Tatsache, dass ein Haarausfall, wie ihn der Kläger beschrieben hat, bei dieser Erkrankung nicht bekannt ist. Es bestehen daher erheblich Zweifel daran, dass der Kläger während der Haft an einer Purpura-Schönlein-Henoch erkrankt ist. Vielmehr spricht vieles dafür, dass damals eine Dermatitis oder Ölakne vorgelegen hat. Der Vollbeweis einer Purpura-Schönlein-Henoch ist jedenfalls nicht geführt.

Eine Anerkennung der beim Kläger vorliegenden Glomerulonephritis als Schädigungsfolge scheitert daher schon daran, dass der Kläger während der Haft keinen Bedingungen ausgesetzt war, bei deren Vorliegen eine Anerkennung der Glomerulonephritis im Sinn der Kannversorgung in Betracht gezogen werden könnte. Eine Anerkennung des Bluthochdrucks wiederum scheitert daran, dass diese Gesundheitsstörung die Folge der Beeinträchtigung der Nieren infolge der Glomerulonephritis ist, die aber nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden kann.

Lediglich der Vollständigkeit halber wird noch darauf hingewiesen, dass auch der zeitliche Abstand zwischen Haftende und nachgewiesenem Auftreten der Glomerulonephritis von rund zweieinhalb Jahren gegen die Annahme eines Zusammenhangs im Sinn der Kannversorgung spricht.

Eine Anerkennung als Schädigungsfolge würde nach den Vorgaben der Anhaltspunkte und den übereinstimmenden sachverständigen Ausführungen voraussetzen, dass die Glomerulonephritis in engem zeitlichem Zusammenhang mit den potentiell belastenden Umständen in der Haft, also spätestens sechs Monate nach Ende der potenziell krankheitsauslösenden Belastung, aufgetreten ist (vgl. oben Ziff. 1). Vom Auftreten der Krankheit kann erst dann ausgegangen werden, wenn sie im Vollbeweis nachgewiesen ist.

Im vorliegenden Fall ist der Nachweis im Sinn des Vollbeweises erst für das Jahr 1977 geführt, allein die nicht auszuschließende Möglichkeit eines Auftretens innerhalb des Zeitraums von sechs Monaten ab Beendigung der Tätigkeit in der Wasserpumpenabteilung reicht nicht.

Sofern Prof. Dr. D. davon ausgeht, dass die Glomerulonephritis bereits während der Haft vorgelegen habe, ist dies für den Senat nach Abwägung aller Umstände nicht im Vollbeweis nachgewiesen; vielmehr verbleiben ganz erhebliche Zweifel. Diese Zweifel stützen sich auf folgende Umstände:

* Unzweifelhaft im Sinn des Vollbeweises nachgewiesen ist die Glomerulonephritis erstmals durch die Nierenbiopsie im Jahr 1977. Diese liegt mit rund zweieinhalb Jahren deutlich mehr als sechs Monate von der Haftzeit entfernt.

* Sofern der Sachverständige Prof. Dr. D. seine Annahme einer bereits während der Haftzeit entstandenen Glomerulonephritis u. a. darauf stützt, dass beim Kläger bereits während der Haftzeit ein verfärbter Urin als Hinweis auf diese Erkrankung aufgetreten sei, geht er von falschen Tatsachen aus. Denn ein bereits während der Haftzeit verfärbter Urin ist nicht im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen. Der Kläger hat erstmals beim Sachverständigen Prof. Dr. D. - zu einem Zeitpunkt, als ihm die Wichtigkeit des Zeitpunkts des erstmaligen Auftretens von verfärbtem Urin bekannt gewesen sein muss - angegeben, dass die Verfärbung bereits während der Haftzeit aufgetreten sei. Damit hat er sich in eklatanten Widerspruch zu seinen früheren Angaben gesetzt. So hat er noch bei der Begutachtung durch Dr. T. ausdrücklich angegeben, dass der blutige Urin erstmals im Jahr 1977 - und damit in einem deutlichen zeitlichen Abstand zur Haftzeit - aufgetreten sei. Dies dürfte auch den Angaben entsprechen, die der Kläger im Rahmen der Begutachtung im Jahr 1983 gegenüber Dr. .B. gemacht hat; die Ausführungen im Gutachten vom 27.01.1983 können nur so verstanden werden, dass erstmals im Januar 1977 der Urin schwärzlich verfärbt gewesen sei und darin auch der Anlass für die 1977 durchgeführte Nierenbiopsie gelegen habe, was dem Senat naheliegend und plausibel erscheint. Ob die vom Kläger später bei der Begutachtung durch Prof. Dr. D. gemachten Angaben zielgerichtet gegenüber seinen früheren Aussagen abgewandelt worden sind oder die Änderung der mangelnden Erinnerung geschuldet ist, kann letztlich dahingestellt bleiben. Denn der Nachweis, dass die zuletzt gemachten Angaben die richtigen wären, ist für den Senat angesichts der abweichenden Angaben des Klägers im zeitlichen Ablauf nicht geführt; vielmehr spricht alles dafür, dass die zuerst bei Dr. T. gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen.

* Wenn der Sachverständige Prof. Dr. D. argumentiert, dass eine IgA-Nephritis zunächst auch als sogenannte idiopathische (unklare) Hyperkalziurie auftreten könne und es kein Widerspruch sei, dass der Kläger zunächst im Rahmen einer akut aufgetretenen IgA-Nephritis mit entsprechender Symptomatik (dunkler Urin) und erstmals Grenzwerthypertonie, mit Perioden von febrilen Temperaturen und stark subjektiver Symptomatik (Bauchschmerzen, Abgeschlagenheit, Müdigkeit) erkrankt sei und es ihm nicht zum Nachteil des gereichen dürfte, dass auf der Krankenstation in der Haftanstalt eine schlechte Dokumentation erfolgt sei, ändert dies an der Beurteilung nichts. Denn auch wenn die Dokumentation während der Haft schlecht gewesen sein sollte - tatsächlich dürften schon die medizinischen Maßnahmen in der Haft von nur geringer Intensität gewesen sein, so dass letztlich keine Dokumentations-, sondern Untersuchungsmängel vorliegen -, lässt sich damit allenfalls nicht die Möglichkeit ausschließen, dass die Glomerulonephritis bereits während der Haftzeit vorgelegen hat. Es lässt sich damit aber nicht der positive Nachweis im Sinn des Vollbeweises führen, dass diese Erkrankung bereits während der Haft vorgelegen hat.

* Sofern Prof. Dr. D. den von ihn angenommenen Erkrankungsbeginn der Glomerulonephritis bereits während der Haft damit begründen will, dass die Erkrankung der inneren Organe (insbesondere Niere) während der Haftzeit übersehen worden sei, so ist dies nicht zur Nachweisführung geeignet. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine Spekulation des Sachverständigen, die allenfalls die Möglichkeit eines Erkrankungsbeginns bereits während der Haftzeit aufzeigt. Eine derartige Möglichkeit reicht aber nicht aus, um den Erkrankungsbeginn im Sinn des Vollbeweises auf die Haftzeit zu terminieren.

* Ein Erkrankungsbeginn der Glomerulonephritis während der Haft kann auch nicht durch die unstrittig bereits während der Haft aufgetretenen Beschwerden im Bauch-/Nierenbereich begründet werden. Denn die vom Kläger angegebenen kolikartigen Schmerzen, die sich - auch nach der Haft - wiederholt haben (in 2 -3-wöchigem Abstand), sind mit größter Wahrscheinlichkeit durch den Nierensteinen zu erklären, der dann im März 1975 abgegangen ist. Dafür spricht deutlich, dass nach den eigenen Angaben des Klägers diese Schmerzen nach dem Abgang des Nierensteins über rund zwei Jahre bis zur Nierenbiopsie nicht mehr aufgetreten sind. Dass diese offenbar heftigen Schmerzen durch eine Glomerulonephritis begründet gewesen wären, ist daher wegen ihres Endes durch den Nierensteinabgang unwahrscheinlich, zumal - nach den Ausführungen des Prof. Dr. D. - eine Glomerulonephritis oft auch am Anfang ohne größere Symptome und Schmerzen vorliegen kann.

* Auch der Hinweis des Prof. Dr. D. darauf, dass beim Kläger erstmals in der Haft ein erhöhter Blutdruck dokumentiert sei und dies einen Hinweis auf eine Glomerulonephritis darstelle, kann den Vollbeweis eines Erkrankungsbeginns bereits während der Haft nicht ermöglichen. Ganz abgesehen davon, dass lediglich eine einzige Blutdruckmessung mit leicht erhöhtem Blutdruck vorliegt, ist ein erhöhter Blutdruck kein zwingender Hinweis auf eine Glomerulonephritis. Zudem ist auch nicht nachgewiesen, dass ab diesem Zeitpunkt der Blutdruck durchgehend erhöht gewesen wäre. So liegen dazu widersprüchliche Arztberichte vor. So hat beispielsweise die Internistin Dr. W. im Arztbrief vom 25.08.1982 darauf hingewiesen, dass die Blutdruckwerte des Klägers stets im Normbereich gelegen hätten. Ob diese Angabe oder vielmehr die aus dem Landambulatorium R. vom 27.08.1979, wonach der Kläger seit drei Jahren behandelt worden sei und sich dabei im Durchschnitt ein erhöhter Blutdruck gezeigt habe, zutrifft, lässt sich nicht mehr aufklären. Jedenfalls verbleiben Zweifel daran, dass die Blutdruckwerte des Klägers bereits unmittelbar nach der Haftentlassung und dies durchgehend zu hoch gewesen sind, was dem Vollbeweis eines erhöhten Blutdrucks durchgehend ab der Haft entgegensteht.

* Die Annahme des Prof. Dr. D., der Kläger habe aufgrund der schlechten Haftbedingungen während der Haftzeit an Gewicht verloren, was er offenbar als Hinweis auf das erstmalige Auftreten der Glomerulonephritis sieht, steht in Widerspruch zu den vorliegenden Tatsachen. So hat der Kläger während der Haftzeit nicht abgenommen, sondern insgesamt 3 kg zugenommen. Dass zwischenzeitlich (erhebliche) Gewichtsschwankungen vorgelegen hätten, ist weder belegt noch vom Kläger behauptet worden. Insofern ist der Sachverständige offensichtlich von falschen Tatsachen ausgegangen.

* Sofern Prof. Dr. D. in seinem Gutachten darauf hingewiesen hat, dass sich bei Untersuchungen nach Abgang des Nierensteins im März 1975 ergeben habe, dass die rechte Niere kleiner als die linke sei, kann dies nicht als Zeichen für einen Erkrankungsbeginn der Glomerulonephritis während der Haft gedeutet werden. Einen derartigen Schluss hat auch Prof. Dr. D. nicht gezogen, sondern diese Feststellung zur Größe der rechten Niere nur ohne Wertung im Gutachten angeführt. Aber selbst wenn, was hier von keiner Seite geäußert worden ist, ein solcher Größenunterschied auf einen Erkrankungsbeginn während der Haft hindeuten könnte, würde sich im Fall des Klägers ein derartiger Schluss verbieten. Denn dass tatsächlich ein Größenunterschied der Nieren vorgelegen hat, ist nicht nachgewiesen, sondern vielmehr durch den Arztbrief des Urologen Dr. L. vom 02.11.1979 wiederlegt. Diesem Brief ist zu entnehmen, dass die Nieren beidseits in Form und Lage regelrecht gewesen sind. Im Übrigen ist für den Senat auch nicht ersichtlich, wie der Sachverständige Prof. Dr. D. überhaupt zu der Annahme gekommen ist, dass sich bei einer Nachuntersuchung nach Abgang des Nierensteins ein Größenunterschied der Nieren gezeigt habe. Denn Behandlungsunterlagen aus der Universitätsklinik J. sind nicht mehr vorhanden. Insofern kann sich der Senat nur vorstellen, dass der Sachverständige unreflektiert und ungeprüft eine Angabe des Klägers aus dessen Erinnerung heraus übernommen und dies als Tatsache unterstellt hat. Ein derartiges Vorgehen missachtet jedoch die Beweisvorgaben im sozialgerichtlichen Verfahren.

* Wenn Prof. Dr. D. in seinem Gutachten davon ausgeht, dass der Kläger seit 1974 im Landambulatorium R. in Behandlung gewesen sei und dort aufgefallen sei, dass der Urin nicht in Ordnung gewesen und Blut ausgeschieden worden sei, entspricht dies nicht den vorhandenen Unterlagen. Vielmehr sind keinerlei Urinuntersuchungen zeitnah nach der Haftentlassung belegt. Nach den zunächst erfolgten Angaben des Klägers, die der Senat für glaubhaft hält, ist vielmehr von einem verfärbten Urin erstmals im Jahre 1977 auszugehen. Auch sind zeitnah nach der Haft Behandlungen wegen Nierenbeschwerden nur im Zusammenhang mit dem Nierenstein belegt, wie die nach dem ICD 8 (Ost) verschlüsselten Eintragungen im Sozialversicherungsausweis des Klägers belegen.

* Es mag zwar zutreffen, dass die beim Kläger vorliegende und im Vollbeweis nachgewiesene Nierensteinerkrankung während der Haftzeit die Diagnose einer Glomerulonephritis grundsätzlich erschweren kann. Daraus kann aber nicht - zugunsten des Klägers - eine Beweiserleichterung oder gar Beweislastumkehr für den Nachweis der Glomerulonephritis abgeleitet werden. Dies stünde im Widerspruch zu den allgemeinen Beweisvorgaben im Sozialrecht.

* Auch der Hinweis des Klägers auf die Heilbehandlungsseiten in seinem Sozialversicherungsausweis belegt kein zeitnahes Auftreten der Glomerulonephritis nach der Haft. Es ist zwar richtig, dass der Kläger nach seiner Haftentlassung im Januar 1975 internistisch und urologisch behandelt worden ist. Bei Entschlüsselung der nach der ICD 8 (Ost) eingetragenen Diagnosen zeigt sich aber, dass die Behandlungen wegen eines Nieren- und Uretersteins erfolgt sind, der dann im Frühjahr 1975 auch abgegangen ist. Eine Glomerulonephritis ist durch diese Behandlungen nicht belegt.

* Falsch ist auch die zwischenzeitlich erfolgte Angabe des Klägers, er habe durchgehend seit der Haft unter Beschwerden im Nierenbereich gelitten. Er selbst hat zuvor angegeben, dass nach Abgang des Nierensteins im Frühjahr 1975 die massiven Nierenbeschwerden nicht mehr aufgetreten seien; durchgehende Beschwerden sind auch nicht in den Behandlungsunterlagen dokumentiert.

Für eine Beweiserleichterung gemäß § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) ist kein Raum. Da diese Regelung für die hier vorliegende Nachweisschwierigkeit, die aus möglicherweise unzureichenden medizinischen Untersuchungen resultiert, nicht aber aus einer unvollständigen oder verloren gegangenen Dokumentation, ohnehin keine Hilfestellung gibt, kann es dahingestellt bleiben, ob es sich der Kläger im Rahmen des § 15 KOVVfG entgegen halten lassen müsste, dass er mit seiner Antragstellung so lange gewartet hat, bis die Behandlungsunterlagen aus der Universitätsklinik J. mit dem Biopsiebericht bereits vernichtet waren. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 13.12.1994, Az.: 9/9a RV 9/92) stünde bei einer späten Antragstellung ein Verschulden im Raum, wenn kein Grund bestanden hat, den Antrag schon in einer Zeit zu stellen, als noch bessere Beweismöglichkeiten bestanden haben (vgl. Urteil des Senats vom 31.01.2013, Az.: L 15 VK 9/11). Von einem solchen Verschulden auszugehen, läge hier nahe. Ab den Beschlüssen des Bezirksgerichts G. vom 12.03.1992 und 15.04.1992, mit denen die gegen den Kläger in der DDR ergangenen strafgerichtlichen Urteile aufgehoben worden waren und der Kläger rehabilitiert worden war, hätte er den hier streitgegenständlichen Antrag auf Versorgung nach dem StrRehaG stellen können. Dies war ihm auch bekannt, da in den Beschlüssen des Bezirksgerichts G. auf die Möglichkeit der Geltendmachung derartiger Ansprüche hingewiesen worden war. Auch die gesundheitliche Schädigung und eine potentielle Verursachung durch die Haft waren dem Kläger seit langem bekannt, wie dies auch im Verfahren nach dem Häftlingshilfegesetz aus den 80er Jahren zum Ausdruck kommt.

Nicht Aufgabe des Senats ist es, dem Kläger die wahrscheinliche Ursache für die bei ihm vorliegende Glomerulonephritis zu liefern, da dies über den Prüf- und Entscheidungsauftrag des Gerichts hinausgehen würde. Die allein entscheidungserhebliche Frage, mit der sich der Senat zu befassen hat, ist, ob die haftbedingten Belastungen die Glomerulonephritis wahrscheinlich verursacht haben Ganz abgesehen und abseits der Entscheidungsrelevanz ist dem Senat aber gleichwohl aufgefallen, dass der Kläger nach der Entlassung aus der Haft wiederholt an Anginen erkrankt war und dies auf die damaligen ungünstigen Arbeitsbedingungen nach der Haft zurückgeführt hat. Letztlich haben die wiederholten Erkrankungen dann auch zur operativen Entfernung der Mandeln geführt. Da in der medizinischen Wissenschaft die Entstehung einer Glomerulonephritis auch postinfektiös insbesondere nach Atemwegserkrankungen, z. B. nach einer Angina, gesehen wird (vgl. oben Ziff. 2.2.3.1.1.), könnte hierin durchaus die - haftfremde - Ursache für die Erkrankung an der Glomerulonephritis liegen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die beim Kläger vorliegende Nierenerkrankung samt dem daraus resultierenden Bluthochdruck nicht als Schädigungsfolge nach dem StrRehaG anerkannt werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Tenor

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 8. Dezember 2009 wird zurückgewiesen. Die Klage auf Versorgung ab Erkrankung des Ehemanns der Klägerin wird abgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob der Klägerin Hinterbliebenenversorgung wegen des Tods ihres Ehemanns und Versorgung während dessen Krebserkrankung vor seinem Versterben zusteht.

Der 1939 geborene Ehemann der Klägerin R. A. (im Folgenden: G.) war vom 05.01.1960 bis 04.01.1965 Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr.

Nach der Grundausbildung war G. zunächst als Flugzeugmechanikerhelfer und anschließend bis zum Dienstzeitende als Flugzeugmechaniker, Flugzeugmechaniker (Düsen) und zuletzt Flugzeugmechanikermeister tätig. Er arbeitete überwiegend am Flugzeugtyp F-86 Sabre (im Folgenden: F-86), aber auch am Flugzeugtyp RF-84 F (im Folgenden: RF-84).

Im Jahre 1987 erkrankte G. an einem Rektumkarzinom, an dem er am 17.08.1991 verstarb.

Am 13.08.2001 beantragte die Klägerin bei der Versorgungsverwaltung (im Folgenden: ZBFS) die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung. Die Krebserkrankung und damit den Tod ihres Ehemanns führe sie - so die Klägerin - auf eine überhöhte Strahlenbelastung (Radar-, Röntgenstrahlung aus Bordradar und Inkorporation von Leuchtschriftpartikeln aus der Instrumentenbelegung) während der Dienstzeit zurück.

Das ZBFS lehnte den Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung mit Bescheid vom 14.04.2003 ab. Es stützte sich dabei auf die im Weg der Amtshilfe von der Beklagten durchgeführten Ermittlungen, die - so das ZBFS - ergeben hätten, dass G. während seiner Dienstzeit nicht an Geräten eingesetzt gewesen sei, von denen eine Röntgenstrahlung ausgegangen und in denen auch keine radioaktive Leuchtfarbe verwendet worden sei.

Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 21.04.2003 Widerspruch ein. Den Widerspruch begründete sie damit, dass G. als Flugzeugmechaniker auch mit radioaktivem Thorium in Verbindung gekommen sei. Das Flugzeug F-86 habe über ein Feuerleitradar mit erheblicher Röntgenstrahlung verfügt. Die Ausführungen zum Gefährdungspotenzial radioaktiver Leuchtschriften an den Bordinstrumenten würden völlig fehlgehen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der schädigenden Röntgenstrahlung könne nicht ausgeschlossen werden. G. sei zudem als Unterstützungspersonal der Radartechniker eingesetzt und demzufolge Strahlen ausgesetzt gewesen. Ein Strahlenschutz habe damals bei der Bundeswehr nicht bestanden.

Die im Weg der Amtshilfe eingebundene Schwerpunktgruppe Radar der Beklagten wies in ihrer Stellungnahme vom 21.11.2003 darauf hin, dass G. während seiner Dienstzeit nicht als Radarmechaniker/-techniker oder entsprechendes Hilfspersonal eingesetzt gewesen sei. Somit habe er keine der im Bericht der Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der NVA (Radarkommission) vom 02.07.2003 (im Folgenden: Bericht der Radarkommission) vorgegebenen qualifizierenden Tätigkeiten ausgeübt. Es könne somit nicht von einer Exposition des G. mit ionisierender Strahlung aufgrund wehrdienstlicher Einflüsse ausgegangen werden. Die geltend gemachte Gesundheitsstörung eines metastasierenden Rektumkarzinoms sei nicht Folge einer Wehrdienstbeschädigung.

Der in der Folge von der Beklagten angehörte Bund zur Unterstützung Radargeschädigter e.V. teilte mit Schreiben vom 15.02.2004 mit, dass G. als Flugzeugmechaniker und nicht als Radartechniker tätig gewesen sei und hinsichtlich Unterstützungstätigkeiten wegen seines Tods nicht mehr befragt werden könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2005 wies das ZBFS den Widerspruch zurück.

Am 01.06.2005 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) München erhoben. Die Klage hat sie damit begründet, dass G. nach seinen Ausführungen ihr gegenüber an Radargeräten als Hilfspersonal gearbeitet habe. Beim Flugzeugtyp F-86 sei das Feuerleitradar AN/APG-30 verwendet worden. Bei Tätigkeiten bis 1975 habe so gut wie kein Strahlenschutz bestanden und es gebe keine Messwerte. In derartigen Fällen empfehle der Bericht der Radarkommission grundsätzlich eine Anerkennung bei einer Tätigkeit als Radartechniker oder als Radarbediener, wenn bestimmte Voraussetzungen vorlägen. G. habe in der Nähe des Radars bzw. als Hilfspersonal am Radar gearbeitet und sei zudem in Kontakt mit radioaktivem Thorium gekommen. Auch sei er Schwingungen im Niedrigfrequenzbereich infolge Bremsens durch die Triebwerke bei Düsenflugzeugen ausgesetzt gewesen.

Mit Beschluss vom 29.01.2007 ist die jetzige Beklagte beigeladen worden.

Die Beklagte hat sich mit Schreiben vom 09.02.2007 dahingehend geäußert, dass G. nicht als Radarmechaniker oder -techniker oder entsprechendes Hilfspersonal eingesetzt gewesen sei und damit keine qualifizierende Tätigkeit im Sinn des Berichts der Radarkommission ausgeübt habe. Nur Lungenkrebs und Sarkome der Knochen und des an die Knochen grenzenden Bindegewebes würden nach den Kriterien des Berichts der Radarkommission bei Inkorporation von Radionukliden aus Leuchtfarben zur Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung führen. Das Rektumkarzinom des G. gehöre nicht zu den vorgenannten qualifizierten Erkrankungen. Schwingungen im Niedrigfrequenzbereich beim Bremsen des Luftfahrzeugs sei G. nicht ausgesetzt gewesen, da er im Wartungsbereich in der Halle eingesetzt gewesen sei, die Flugzeuge aber außerhalb der Halle abgebremst worden seien.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 06.04.2008 vorgetragen, dass die Düsen der von G. gewarteten Flugzeuge das Element Thorium enthalten hätten, das - so die Annahme der Klägerin - durch bloßen Handkontakt in den Verdauungstrakt gelangt sei.

Die Beklagte hat sich mit Schreiben vom 04.09.2008 zur Tätigkeit des G. geäußert: G. sei vom 22.03.1960 bis zum 04.01.1965 als Flugzeugmechanikerhelfer, Flugzeugmechaniker, Flugzeugmechaniker (Düsen) und Flugzeugmechanikermeister beschäftigt gewesen. Er sei für die Wartung und Reparatur von Flugzeugen der Typen RF-84 und F-86 zuständig gewesen. Ab Frühjahr 1962 hätten für G. Tätigkeiten an Triebwerkskomponenten zum Aufgabenbereich gehört. Aufgrund der geringen Reichweite der Röntgenstrahlung von wenigen Dezimetern könne man einer Strahlung nur direkt an der geöffneten Senderbaugruppe eines im Betrieb befindlichen Radargeräts ausgesetzt gewesen sein. Dies treffe bei Radarmechanikern grundsätzlich zu, nicht aber bei Flugzeugmechanikern. Praktisch sei aber eine Röntgenstörstrahlenexposition auch bei der F-86 selbst für Radarmechaniker nicht möglich gewesen, da der stärkste Störstrahler in den dort eingebauten Radargeräten eine Betriebsspannung von lediglich 6 kV gehabt habe. Bei einer solchen Betriebsspannung seien Werte der Ortsdosisleistung oberhalb des natürlichen Untergrunds auch im Abstand von wenigen Zentimetern von den Störstrahlern ausschließbar, wie sich aus dem Teilbericht der Radargruppe ergebe. Ra-226-haltige Leuchtfarbe sei im Cockpit der F-86 vorgekommen. Die dadurch bedingte Ortsdosisleistung im Bereich der Gonaden betrage im Abstand von 50 cm vor den Cockpit-Armaturen 4,5 Mikrosievert pro Stunde. Im Rahmen eines Dialogverfahrens zwischen Vertretern des Bundes zur Unterstützung Radargeschädigter e.V. und dem Sonderbeauftragten Radar seien für Luftfahrzeugmechaniker 400 Stunden pro Jahr im Cockpit festgelegt worden. Untersuchungen zum Vorkommen thoriumhaltiger Legierungen in Bauteilen der Triebwerke, an denen G. gearbeitet habe, lägen nicht vor. Die Verwendung von Thorium zur Verbesserung der Werkstoffeigenschaften sei jedoch in der Luftfahrtindustrie gängige Praxis, so dass es nicht abwegig sei, eine solche auch in den Triebwerken, an den G. gearbeitet habe, zu unterstellen. Bei der Abschätzung der Exposition für G. sei zu berücksichtigen, dass die aufwändigen Wartungs- und Reparaturarbeiten von zivilen Firmen erledigt worden seien und daher nicht unterstellt werden könne, dass G. in einem nennenswerten Umfang Teile aus den Triebwerken ein- oder auszubauen gehabt habe, so dass er mit den thoriumhaltigen Teilen außerhalb des Triebwerks nicht in Kontakt gekommen sei. Als Anlage hat die Beklagte den Teilbericht Flugzeugradar AN/APG-30 und AN/APG-501 (Sabre Mk 5/6) der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 07.04.2003 vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass das im Radarsender eingebaute Magnetron mit maximal 6 kV betrieben worden ist und die Betriebsspannung des Thyratrons aus technischen Gründen nicht darüber gelegen hat. Eine Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung sei daher - so der Teilbericht - auszuschließen.

Am 30.12.2008 hat der vom SG beauftragte Arbeitsmediziner Dr. D. sein 53-seitiges Gutachten vorgelegt. Darin ist er zu dem Ergebnis gekommen, dass das Rektumkarzinom des G. weder eine Berufskrankheit im Sinn der Nr. 2402 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) (BK Nr. 2402) darstelle noch die Voraussetzungen einer Kannversorgung vorlägen. Auch bei Unterstellung der von der Klägerin behaupteten Schädigungstatbestände sei mit hoher Wahrscheinlichkeit kein ursächlicher Zusammenhang gegeben. Diese Einschätzung hat er in seiner beim SG am 09.03.2009 eingegangenen ergänzenden Stellungnahme nochmals bestätigt.

Die Klägerin hat die Feststellungen des Sachverständigen mit Schreiben vom 03.03.2009 angezweifelt und darauf hingewiesen, dass ihrer Meinung nach Thorium über die Hände in den Mund und damit in den Körper gelangt sei (z. B. durch Nahrungsaufnahme). Weiter hat sie im Schreiben vom 26.03.2009 die Ansicht vertreten, es bestehe laut Bericht der Radarkommission grundsätzlich ein Zusammenhang zwischen Rektumkarzinomen und Radarstrahlungen bzw. einer Ra 226-Ingestion.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 08.04.2009 darauf hingewiesen, dass sich im Flugzeug F-86 (auch) das Gerät APX-6 befunden habe. Dieses Gerät sei kein Radargerät, sondern ein Freund-Feind-Kenngerät, das im Unterschied gegenüber Radargeräten eine viel geringere Signalintensität habe.

Der Sachverständige hat sich in einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 13.04.2009 zum Vorbringen der Klägerin mit Blick auf Thorium und Infraschall geäußert und bekräftigt, dass er keinen Zusammenhang mit dem Rektumkarzinom des G. sehe.

Mit Schreiben vom 19.08.2009 hat die Klägerin Auszüge aus der sogenannten Thorotrast-Studie ins Verfahren eingeführt.

Der gerichtliche Sachverständige Dr. D. hat sich in einer weiteren Stellungnahme vom 10.10.2009 zur Thorotrast-Studie geäußert und erläutert, dass ein dort vorgenommener Vergleich für die Erkrankung Rektumkarzinom kein signifikantes Ergebnis ergeben habe, was der herrschenden medizinischen Lehrmeinung entspreche.

Die Klägerin hat die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen mit Schreiben vom 19.11.2009 als nicht verwertbar und widersprüchlich bezeichnet. Werde Thorium inkorporiert, komme - so die Klägerin - dessen biologische Wirkung am unheilvollsten zur Geltung. Zudem sei G. auch wegen der Bremsen in Kontakt mit Asbest gekommen. Es seien hier Wechselwirkungen zwischen krebserzeugenden Noxen entstanden.

Mit Gerichtsbescheid vom 08.12.2009 ist die Klage abgewiesen worden. Das SG hat sich dabei auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. D. gestützt. Selbst wenn die Angaben der Klägerin zugrunde gelegt würden, lasse sich ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung des G. und dem Rektumkarzinom nicht herstellen.

Am 20.12.2009 hat die Klägerin zu Protokoll des Bayer. Landessozialgerichts (LSG) Berufung eingelegt.

Die Berufung hat sie mit Schreiben vom 11.01.2010 wie folgt begründet: Das SG habe seine Entscheidung nahezu ausschließlich auf die Behauptungen des Dr. D. gestützt, der von falschen Prämissen ausgegangen sei. Dr. D. sei als Sachverständiger für G. nicht geeignet. Die Thorotrast-Studie sei dem Sachverständigen nicht bekannt gewesen. Das SG hätte die Dienstvorschrift der Bundeswehr zum Umgang mit radioaktiven Stoffen unter Berücksichtigung der Strahlenschutzverordnung berücksichtigen müssen. Fehlende Messwerte durch die Beklagte und fehlende persönliche Schutzausrüstung seien nicht berücksichtigt worden. Zu berücksichtigen seien auch die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen krebserzeugenden Noxen.

Im Auftrag des Senats hat der Dr. C. am 24.04.2011 ein Gutachten erstellt. Wie bereits der Vorgutachter ist er zu der Einschätzung gekommen, dass das Rektumkarzinom, an dem G. gestorben sei, nicht auf eine berufliche Belastung des G. zurückzuführen sei.

Die Klägerin hat anschließend mit Schreiben vom 23.06.2011 beantragt, den Internisten und Gastroenterologen Dr. G. gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu hören. Weiter hat sie darauf hingewiesen, dass G. anschließend an die Bundeswehr als Vertreter am Aufbau einer Firma beteiligt gewesen sei und dies eine extrem gute Gesundheit vorausgesetzt habe. G. habe immer besonders gut auf seine Gesundheit geachtet, sehr vernünftig gelebt und stets eine gute Fitness gehabt. Er sei sehr beliebt und zuverlässig gewesen. Weder ein Elternteil von ihm noch eines seiner vier Geschwister sei jemals an einem Rektumkarzinom erkrankt. Weiter hat sie sich mit Schreiben vom 30.06.2011 erneut kritisch zum Gutachten des Dr. C. geäußert und dem Sachverständigen schwere Fehler vorgeworfen.

Mit Schreiben vom 07.01.2012 hat die Klägerin ausgeführt, dass G. verschiedenen Strahlungsquellen ausgesetzt gewesen sei, nämlich Thorium 232 (Düse), Cäsium 137 (Triebwerkskomponenten) und Radium 226 (Leuchtziffern, Cockpit). Sie hat darauf hingewiesen, dass bei zu Bruch gegangenen Röhren, die in den Radargeräten gewesen seien, Kontaminationsgefahr bestanden habe. Beim Umgang mit offenen radioaktiven Stoffen, wie im Fall des G., sei immer mit Kontaminationen zu rechnen.

Die Beklagte hat sich mit Schreiben vom 09.02.2012 zur Asbestproblematik geäußert. Eine Krebserkrankung durch den Kontakt mit Asbest sei nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft in Form folgender Erkrankungen möglich: Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs, bösartige Erkrankung des Rippen- oder Bauchfells.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 28.02.2012 Auszüge aus der Bundestags-Drucksache 9/360 (Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Vorschlag einer Zweiten Richtlinie des Rates zum Schutz der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch Agenzien bei der Arbeit: Asbest) vorgelegt, in der u. a. ausgeführt ist, dass einige Studien ein verstärktes Auftreten u. a. von Rektumkarzinomen bei beruflich exponierten Arbeiten ergeben hätten.

Im Erörterungstermin vom 06.03.2012 hat die Klägerin die Ansicht vertreten, dass die Gefährdung des G. deshalb so hoch gewesen sei, weil er vielen verschiedenen Noxen ohne Schutzmaßnahmen ausgesetzt gewesen sei. Aus ihrer Sicht sei das vorliegende Gutachten völlig unverwertbar; der Sachverständige habe praktisch alles verdreht.

Mit Schreiben vom 22.03.2012 hat die Klägerin dem Gutachter Dr. C. fehlende Objektivität und Neutralität, Unkenntnis auf dem Gebiet des Strahlenschutzes und diverse andere Verstöße vorgehalten.

Am 24.05.2012 ist der von der Klägerin gemäß § 109 SGG benannte Sachverständige Dr. G. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden. Mit Schreiben vom 20.06.2012 hat die Klägerin dann aber mitgeteilt, dass sie die Erstellung des Gutachtens des Dr. G. nicht in Anspruch nehme.

Auf Nachfrage des Senats zu einer Berufskrankheitenreife im Sinn von § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) eines Rektumkarzinoms infolge einer Belastung durch Asbest bzw. einer kumulativen Belastung von ionisierender Strahlung und Asbest hat das Bundesministerium und Soziales mit Schreiben vom 31.08.2013 mitgeteilt, dass es dazu derzeit keine Überlegungen im ärztlichen Sachverständigenbeirat gebe.

Anschließend hat der Senat versucht, bei den bereits bisher mit der Angelegenheit befassten Sachverständigen Dr. D. und Dr. C. eine ergänzende Stellungnahme insbesondere zum Gesichtspunkt der Asbestbelastung zu erhalten. Beide Sachverständige haben den Auftrag unerledigt zurückgegeben, ebenso der anschließend beauftragte Sachverständige Prof. Dr. B..

Mit gerichtlichem Schreiben vom 19.01.2015 sind die Beteiligten über den kraft Gesetzes eingetretenen Beklagtenwechsel - an die Stelle des Trägers der Versorgungsverwaltung ist die bisherige Beigeladene getreten - informiert worden.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 22.07.2015 Auszüge aus dem Internet übersandt, aus denen sich ergibt, dass Rektumkarzinome regelmäßig (90%) nach dem 50. Lebensjahr auftreten und dass die Strahlenempfindlichkeit des Rektums niedrig ist (Merkblatt zur BK Nr. 2402).

Im Auftrag des Senats hat der Internist und Arbeitsmediziner Prof. Dr. E. am 22.09.2015 ein Gutachten erstellt. Er ist darin zu der Einschätzung gekommen, dass ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition des G. und dem Rektumkarzinom nicht bestehe und zwar weder im Sinn der hinreichenden Wahrscheinlichkeit noch im Sinn der Kannversorgung.

Das Gutachten ist der Klägerin mit Schreiben des Senats vom 30.09.2015 und dem Hinweis auf die fehlenden Erfolgsaussichten infolge der übereinstimmenden Gutachten übersandt worden.

Die Klägerin hat sich dazu mit Schreiben vom 29.10.2015 dahingehend geäußert, dass eine Verwertbarkeit des Gutachtens von Prof. Dr. E. für sie nicht erkennbar sei.

Während des Berufungsverfahrens von der Klägerin gestellte Befangenheitsanträge (gegen Gutachter und Berichterstatter des Senats) sind erfolglos geblieben.

In der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2015 hat die Klägerin erklärt, dass eine Schädigung des G. durch Röntgenstrahlen und Infraschall nicht länger geltend gemacht werde. Weiterhin geltend gemacht werde eine Schädigung durch ionisierende Strahlen im Cockpit, Radium 226, Thorium 232 und Cäsium 137. Die beiden letzten Stoffe seien in der Düse gewesen. Weiter werde eine Schädigung durch Asbest und durch die Kombination der von der Klägerin weiterhin als schädigend bezeichneten Stoffe geltend gemacht.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 08.12.2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des ZBFS vom 14.04.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.05.2005 zu verpflichten, ihr ab Erkrankung ihres Ehemanns Versorgung und in der Folge wegen des Ablebens ihres Ehemanns Hinterbliebenenversorgung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten, des ZBFS und des SG München beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Soweit die Klägerin beantragt, ihr unter Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheids und des angegriffenen Bescheids Hinterbliebenenversorgung zuzusprechen, ist die Berufung zulässig, aber unbegründet. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2015 beantragt hat, ihr Versorgung während der Lebzeiten des G. zu gewähren, liegt darin eine durch Klageänderung eingeführte Klage, die als unzulässig abzuweisen ist.

1. Richtige Beklagte

Wegen des zum 01.01.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zur Übertragung der Zuständigkeiten der Länder im Bereich der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung nach dem Dritten Teil des Soldatenversorgungsgesetzes auf den Bund vom 15.07.2013 (BGBl. I 2013 Nr. 38 S. 2416 ff.) ist ein Beklagtenwechsel kraft Gesetzes eingetreten. Dies bedeutet, dass der bisherige Beklagte (Freistaat Bayern als Träger der Versorgungsverwaltung) aus dem Verfahren ausgeschieden und an seine Stelle die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesministerin der Verteidigung, ins Verfahren eingetreten ist.

2. Zum Antrag der Klägerin auf Gewährung von Versorgung während Lebzeiten des G.

Die geänderte Klage ist unzulässig.

Mit dem erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2015 gestellten Antrag der Klägerin, ihr auch eine Versorgung für die Zeit der Erkrankung des G. bis zu seinem Tod zu gewähren, hat die Klägerin eine Klageänderung im Sinn des § 99 SGG vorgenommen und beim LSG als erstinstanzliches Gericht die Klage auf Versorgung während Lebzeiten des G. erhoben.

Unabhängig von der (vorliegend fehlenden) Zulässigkeit der Klageänderung müssen für eine geänderte Klage auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sein; dies hat der Senat von Amts wegen zu prüfen (ständige Rspr., vgl. z. B. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R, Urteile vom 31.7.2002, Az.: B 4 RA 113/00 R, und vom 23.04.2015, Az.: B 5 RE 23/14 R)

Die geänderte Klage ist vorliegend unzulässig, weil es an einer Verwaltungsentscheidung über die Gewährung von Versorgung an die Klägerin vor dem Versterben des G. bislang fehlt.

3. Zum Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung

Der Klägerin steht keine Hinterbliebenenversorgung zu, da nicht nachgewiesen ist, dass ihr Ehemann G. an der Folge einer Wehrdienstbeschädigung gestorben ist.

3.1. Voraussetzungen von Hinterbliebenenrente - Allgemeines

Voraussetzung für eine Hinterbliebenenrente gemäß § 80 SVG i. V. m. § 38 BVG ist ein rechtlich wesentlicher Kausalzusammenhang zwischen Wehrdienstbeschädigung und Tod.

Eine Wehrdienstbeschädigung ist gemäß § 81 Abs. 1 SVG eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.

Entsprechend der vorgenannten Bestimmung setzt die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. BSG, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (= „Wehrdienstbeschädigung“) (2. Glied) geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen (= „Folge einer Wehrdienstbeschädigung“) (3. Glied) bedingt. Dabei ist eine trennscharfe Differenzierung zwischen dem 2. und dem 3. Glied oftmals praktisch nicht möglich und daher verzichtbar; auch im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung wird dies so praktiziert (vgl. Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11).

Die drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Dies bedeutet, dass kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R). Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität. Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle, versorgungsrechtlich geschützte Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 128, Rdnr. 3 c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66).

Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie nach der versorgungsrechtlichen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 08.08.1974, Az.: 10 RV 209/73) rechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs „annähernd gleichwertig“ sind. Während die ständige unfallversicherungsrechtliche Rechtsprechung (vgl. z. B. BSG, Urteile vom 09.05.2006, Az.: B 2 U 1/05 R, und vom 30.01.2007, Az.: B 2 U 8/06 R) demgegenüber den Begriff der „annähernden Gleichwertigkeit“ für nicht geeignet zur Abgrenzung hält, da er einen objektiven Maßstab vermissen lasse und missverständlich sei, und eine versicherte Ursache dann als rechtlich wesentlich ansieht, wenn nicht eine alternative unversicherte Ursache von überragender Bedeutung ist, hat der für das soziale Entschädigungsrecht zuständige 9. Senat des BSG in seinem Urteil vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 6/13 R zur annähernden Gleichwertigkeit Folgendes ausgeführt:

„Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Haben also neben einer Verfolgungsmaßnahme mehrere weitere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen, ist die Verfolgungsmaßnahme versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge der Verfolgungsmaßnahme zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Verfolgungsmaßnahme in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen.“

Von einer annähernden Gleichwertigkeit einer versorgungsrechtlich geschützten Ursache kann daher nur dann ausgegangen werden, wenn ihre Bedeutung gleich viel oder mehr Gewicht als die andere(n) Ursachen hat.

Die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinn als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, ist im jeweiligen Einzelfall aus der Auffassung des praktischen Lebens abzuleiten (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2001, Az.: B 9 V 5/00 R).

Die Kausalitätsbeurteilung hat grundsätzlich auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Gesundheitsschäden auf der Basis der herrschenden medizinischem Lehrmeinung zu erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, Az.: B 2 U 1/05 R).

Für unfallunabhängige Gesundheitsstörungen, in denen wesensmäßig die Nachweisführung eines Zusammenhangs aufgrund eines konkreten Anlassereignisses erheblich erschwert ist, bestimmt sich der versorgungsrechtlich geschützte Bereich nach dem SVG nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Dieses unterliegt dem Listenprinzip mit der Öffnungsklausel des § 9 Abs. 2 SGB VII, wobei hierdurch nur ein Vorgriff auf eine Änderung der BKV möglich ist (ständige Rspr., vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18.06.2013, Az.: B 2 U 3/12 R).

Bei der Beurteilung unfallunabhängiger Gesundheitsstörungen von Soldaten ist aber zu berücksichtigen, dass die Belastungen im Wehrdienst nicht selten solche sind, die in zivilen Berufen nicht auftreten. Daher wäre es zu kurz gegriffen, sich uneingeschränkt an den unfallversicherungsrechtlichen Vorgaben und Erkenntnissen zu Berufskrankheiten oder berufskrankheitenreifen Erkrankungen zu orientieren. Vielmehr ist der Rechtsgedanke des § 9 Abs. 2 SGB VII dahingehend aufzugreifen, dass von einer „Berufskrankheitenreife“ im soldatenversorgungsrechtlichen Sinn auch dann auszugehen ist, wenn die Krankheit zwar nicht in der Liste der BKV aufgenommen ist, der Dienstherr (= Bundeswehr) aber wegen einer erkannten Gefährdung der Soldaten handeln müsste, wenn es eine explizite Regelung wie die BKV auch für soldatenspezifische Erkrankungen gäbe. Davon ist dann auszugehen, wenn eine Situation gegeben ist, in der bekannt geworden ist, dass bestimmte Einwirkungen, denen Soldaten im Dienst in höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, zur Entwicklung bestimmter Krankheiten beitragen können, für die medizinstatistisch nachgewiesen ist, dass die Zahl der Erkrankungen von Soldaten signifikant höher als in der Allgemeinbevölkerung ist (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Wenn das BSG dies im Urteil vom 11.10.1994, Az.: 9 BV 55/94, dahingehend formuliert hat, dass dafür „besondere außerordentliche Belastungen, die typischerweise nur unter den Bedingungen des Krieges auftreten“, erforderlich wären, ist diese Formulierung missverständlich. Denn eine gesetzliche Grundlage für diese Orientierung am „Krieg“ geben die Regelungen des SVG nicht her; vielmehr wird dort (§ 81 Abs.1 SVG) ausdrücklich auf „die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse“ abgestellt, womit eine Abgrenzung von auch im zivilen Leben vorkommenden Belastungen hergestellt wird. Wehrdiensteigentümliche Verhältnisse sind daher solche, die der Eigenart des militärischen Dienstes entsprechen und im Allgemeinen mit dem Dienst eng verbunden sind. Damit werden all die nicht weiter bestimmbaren Einflüsse des Wehrdienstes erfasst, die aus der besonderen Rechtsnatur des Wehrdienstverhältnisses und der daraus resultierenden Beschränkung der persönlichen Freiheit des Soldaten resultieren (vgl. Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11; Lilienfeld, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl. 2012, § 81 SVG, Rdnr. 29). Eine kriegsähnliche Belastung zu verlangen, würde zu weit gehen; ausreichend aber auch erforderlich ist eine Belastung, wie sie im zivilen Leben so nicht oder nicht in vergleichbarem Maß vorkommt. Bei der Abgrenzung zwischen wehrdiensteigentümlichen und zivilen Verhältnissen ist von den normalen Umständen und Verhaltensweisen sowie den durchschnittlichen Gefährdungen im Zivilleben auszugehen (vgl. Sailer, in: Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl. 1992, § 81 SVG, Rdnr. 27; Urteile des Senats vom 02.07.2013, Az.: L 15 VS 9/10, und vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11).

Bei der Bestimmung der Krankheiten, bei denen von einer Berufskrankheitenreife im oben aufgezeigten soldatenversorgungsrechtlichen Sinn ausgegangen werden kann, stellt der Bericht der Radarkommission vom 02.07.2003 eine wichtige Grundlage dar. Denn darin ist, was maligne Erkrankungen und Katarakte angeht, der zu der Frage der Verursachung derartiger Erkrankungen zusammengefasste Stand der medizinischen Wissenschaft zu dem (zum Zeitpunkt der Anfertigung) aktuellen Zeitpunkt dargestellt (vgl. z. B. S. II, VI des Berichts der Radarkommission).

Kann eine Aussage zu einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang nur deshalb nicht getroffen werden, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt die sogenannte Kannversorgung gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG in Betracht. Von Ungewissheit ist dann auszugehen, wenn es keine einheitliche herrschende, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, Az.: B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, Az.: 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06). In einem solchen Fall liegt eine Schädigungsfolge dann vor, wenn bei Zugrundelegung der wenigstens einen wissenschaftlichen Lehrmeinung nach deren Kriterien die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs nachgewiesen ist (vgl. Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, Az.: 9/9a RV 41/92).

Zusammengefasst bedeutet dies, dass ein unfallunabhängiger Gesundheitsschaden unter folgenden Gesichtspunkten als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden kann (vgl. auch Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11):

* Alternative 1: Die Gesundheitsstörung ist in der BKV als Berufskrankheit anerkannt.

* Alternative 2: Wenn die vorgenannte Voraussetzung nicht erfüllt ist: Es besteht eine sogenannte Berufskrankheitenreife im Sinn des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung.

* Alternative 3: Wenn die vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind: Es besteht eine Berufskrankheitenreife im oben aufgezeigten soldatenversorgungsrechtlichen Sinn.

* Alternative 4 (Kannversorgung): Wenn die vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind: Es besteht über die Ursache des Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit, es gibt aber wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung, die die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs positiv vertritt.

Die Anerkennung des Tods als Folge einer Wehrdienstbeschädigung schließlich setzt voraus, dass die Folge einer Wehrdienstbeschädigung, gegebenenfalls über mittelbare Schädigungsfolgen (4. Glied der oben begonnenen Kausalkette), über das Todesleiden (letztes Glied) zum Tod geführt hat (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92). Zum Beweismaßstab hinsichtlich des Vorliegens der etwaigen mittelbaren Schädigungsfolgen, des Todesleidens und des Tods einerseits und des kausalen Zusammenhangs andererseits wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

3.2. Zu der hier im Raum stehenden Erkrankung eines Rektumkarzinoms

Das Rektumkarzinom des G. hat zwar ohne Zweifel zum Tod des G. geführt; es ist aber nicht der Nachweis erbracht, dass es Folge einer Wehrdienstbeschädigung ist.

Bei dieser Einschätzung stützt sich der Senat auf die gerichtlichen Gutachter, die alle zum selben Ergebnis gekommen sind. Die allesamt sehr erfahrenen Sachverständigen haben die ihnen übersandten Akten äußerst sorgfältig ausgewertet und alle relevanten Gesichtspunkte berücksichtigt. Sie haben ihre Gutachten überzeugend, eingehend und nachvollziehbar begründet. Irgendwelche Anhaltspunkte, an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen der Sachverständigen zu zweifeln, bestehen für den Senat nicht.

3.2.1. Keine Berufskrankheit bzw. Wie-Berufskrankheit im Sinn des BKV

Das Rektumkarzinom des G. war keine Berufskrankheit in diesem Sinn. Eine Berufskrankheit im Sinn der BK Nr. 2402 (Erkrankungen durch ionisierende Strahlen) liegt nicht vor.

Berufskrankheitentatbestände infolge einer Asbestbelastung (unter der Überschrift Nr. 4 Anlage 1 zur BKV) kommen nicht zur Anwendung, da die dort genannten Erkrankungen kein Rektumkarzinom, sondern nur Erkrankungen der Atemwege und der Lungen, des Rippenfells und des Bauchfells umfassen.

Die Voraussetzungen für eine Wie-Berufskrankheit liegen ebenfalls nicht vor, wie sich aus den Ausführungen des Bundesministeriums und Soziales im Schreiben vom 31.08.2013 ergibt. Danach gibt es derzeit keine Überlegungen im ärztlichen Sachverständigenbeirat dazu, ob der Frage der Anerkennung eines Rektumkarzinoms als Berufskrankheit infolge einer Belastung durch Asbest bzw. einer kumulativen Belastung von ionisierender Strahlung und Asbest näher zu treten sei.

3.2.2. Keine Berufskrankheit bzw. Wie-Berufskrankheit im Sinn des Soldatenrechts

Es gibt auch nichts, was darauf hindeuten würde, dass nach dem herrschenden Stand der medizinischen Meinung von einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen den Belastungen, denen G. durch seine dienstliche Tätigkeit ausgesetzt gewesen ist, und dem Auftreten des Rektumkarzinoms ausgegangen werden könnte.

Eine Anerkennung scheitert aus folgenden Gründen:

Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse zu den Arbeitsbedingungen des G. kann bereits nicht davon ausgegangen werden, dass eine relevante Strahlenexposition bestanden hat.

Eine Strahlenbelastung infolge Radarstrahlen ist bei G. nicht in einem erheblichen Umfang, wie er zur Auslösung eines Rektumkarzinoms erforderlich wäre, nachgewiesen. Der Kläger ist nicht in einer im Sinn des Berichts der Radarkommission qualifizierenden beruflichen Position tätig gewesen. Selbst wenn er nicht nur vorübergehend Hilfsarbeiten für Radarmechaniker oder Radartechniker ausgeübt hätte, sondern in gleicher Weise wie diese tätig gewesen wäre, könnte von einer potentiell krankheitsauslösenden beruflichen Tätigkeit nicht ausgegangen werden. Denn die auftretende Belastung durch Radarstrahlung wäre nicht geeignet, ein Rektumkarzinom zu verursachen. Der Flugzeugtyp F-86, an dem G. ganz überwiegend gearbeitet hat, hat mit dem Feuerleitradar vom Typ AN/APG-30 über ein Gerät mit Radarstrahlung verfügt, wie dies die Klägerin vorgetragen und auch die Beklagte durch die Vorlage von Unterlagen zu diesem Gerät bestätigt hat. Das Gerät AN/APG-30 hat mit einer maximalen Betriebsspannung von 6 kV gearbeitet. Dafür, dass ein derartiger Störstrahler geeignet wäre, ein Rektumkarzinom zu verursachen, gibt es keinerlei Hinweise. Ausweislich des Berichts der Radarkommission (vgl. dort S. 136) kommt eine Verursachung eines Rektumkarzinoms erst ab einer maximalen Betriebsspannung des Radargeräts von mindestens 15 kV in Betracht; anderenfalls kann nicht von einer für die Verursachung eines Rektumkarzinoms ausreichenden Eindringtiefe der Radarstrahlung ausgegangen werden, wie dies auch die Sachverständigen bestätigt haben. Die für die Verursachung eines Rektumkarzinoms erforderliche maximale Betriebsspannung des Radargeräts von mindestens 15 kV war bei G. bei Weitem nicht erreicht. Deshalb und zudem aufgrund der Dienstzeit von (nur) fünf Jahren kann, wie dies der Sachverständige Dr. D. überzeugend erläutert hat, nicht von einer potentiell krankheitsverursachenden Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung ausgegangen werden.

Die von Leuchtfarben ausgehende Strahlenbelastung war ebenfalls zu niedrig, wie sachverständigenseits festgestellt worden ist. Zudem kann, wie dem Bericht der Radarkommission zu entnehmen ist, bei einem Kontakt mit radioaktiven, da radiumhaltigen Leuchtfarben nicht von einem kausalen Zusammenhang mit einem Rektumkarzinom ausgegangen werden. Als qualifizierende Erkrankungen hat der Radarbericht ausschließlich Knochenkarzinome und unter bestimmten Voraussetzungen Lungenkrebs bezeichnet (vgl. S. 137 f. des Berichts der Radarkommission).

Von einer relevanten radioaktiven Belastung durch Thorium kann nicht ausgegangen werden. Thorium wäre allenfalls dann potentiell gefährlich gewesen, wenn eine Inkorporation in erheblichem Umfang erfolgt wäre. Eine Inkorporation ist aber bereits als solche nicht im Vollbeweis nachgewiesen, geschweige denn in einem erheblichen Umfang. Thorium war nur als Legierung in Triebwerksbestandteilen enthalten, bei denen zwar ein Berühren durch G. stattgefunden hat. Daraus folgt aber keine Inkorporation. Die Behauptung der Klägerin, G. hätte über die Hände und von dort über den Mund den radioaktiven Stoff Thorium in seinem Körper aufgenommen, ist nicht nachvollziehbar. Voraussetzung dafür wäre zum einen gewesen, dass G. erheblichen Kontakt mit Stäuben dieses Stoffs gehabt hätte. Davon kann aber nicht ausgegangen werden, da materialbearbeitende Tätigkeiten an thoriumhaltigen Triebwerksbestandteilen nicht zu seiner dienstlichen Tätigkeit gehört haben. Denn materialbearbeitende und mit einer Entstehung von möglicherweise thoriumhaltigem Staub verbundene Tätigkeiten an Triebwerksbestandteilen wurden nicht von Bundeswehrsoldaten wie G. ausgeführt, sondern waren an zivile Firmen vergeben. Zum anderen hätte G. diese Stäube dann über den Mund in den Körper aufnehmen müssen, was ebenfalls nicht nachvollziehbar ist. Schließlich ist das Karzinom des G. am Rektum und damit an einem Körperteil aufgetreten, der vergleichsweise unempfindlich gegenüber Strahlenbelastung ist. Dass Karzinome des Rektums nicht als Folge einer Inkorporation von Thorium zu betrachten sind, ergibt sich auch aus der von der Klägerin selbst angeführten Thorotrast-Studie. Wie sich aus den Unterlagen dieser Studie entnehmen lässt, haben sich damals keinerlei Erkenntnisse hinsichtlich eines relevant erhöhten Risikos eines Rektumkarzinoms bei der Thorotrast-Gruppe ergeben. Vielmehr war das Risiko einer derartigen Erkrankung nicht relevant erhöht gegenüber der Vergleichsgruppe aus der Allgemeinbevölkerung (vgl. Becker u. a., Epidemiologische Auswertung der Mortalität in der Thorotrast-exponierten Gruppe und der Kontrollgruppe im Vergleich zur Mortalität in der Allgemeinbevölkerung, 2006, Anhang, Tabelle 7).

Weiter lässt sich vorliegend auch kein Zusammenhang zwischen der Asbestbelastung und dem Rektumkarzinom herstellen. Sofern in der medizinischen Wissenschaft über ein statistisch geringfügig erhöhtes Auftreten von Rektumkarzinomen bei Asbestbelastung berichtet worden ist, liegen dieser Erkenntnis Fälle mit einer weitaus höheren Asbestbelastung als bei G. zugrunde. Zudem waren in diesen Fällen bereits deutliche Auswirkungen von Asbest an anderen Körperteilen (Asbestdose bzw. Asbestplaques) nachgewiesen, was in der Person des G. nicht der Fall war und die Nichtvergleichbarkeit der der Erhebung zugrunde liegenden Fälle mit dem des G. deutlich macht. Die diesbezüglichen, vom Sachverständigen Prof. Dr. E. überzeugend angestellten Überlegungen werden auch nicht durch die von der Klägerin bruchstückhaft vorgelegten Auszüge aus der Bundestags-Drucksache 9/360 (Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Vorschlag einer Zweiten Richtlinie des Rates zum Schutz der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch Agenzien bei der Arbeit: Asbest) in Frage gestellt. Ganz abgesehen davon, dass fraglich ist, ob diese vom 16.04.1981 datierende Drucksache überhaupt noch aktuell ist, steht sie auch nicht in Widerspruch zu den Feststellungen des Sachverständigen und den von diesem angeführten wissenschaftlichen Erkenntnissen, wonach bei besonders hoher Asbestbelastung ein statistisch geringfügig erhöhtes Auftreten von Rektumkarzinomen beobachtet worden ist - dann aber mit erkennbaren Asbestauswirkungen in anderen Körperteilen, wie sie bei G. nicht nachgewiesen sind.

Auch eine potentielle Exposition gegenüber Infraschall beim Abbremsen der Flugzeuge - ob diese überhaupt bei G. vorgelegen hat, kann dahingestellt bleiben - ist nicht geeignet, ein Rektumkarzinom zu verursachen. Keiner der Gutachter hat hier einen Zusammenhang sehen können. In der medizinischen Wissenschaft wird, wie dies die Sachverständigen übereinstimmend erläutert haben, ein Zusammenhang zwischen Infraschall und einem Rektumkarzinom nicht in Erwägung gezogen.

Schließlich handelt es sich bei der Annahme der Klägerin von Wechselwirkungen zwischen verschiedenen krebserzeugenden Noxen um eine bloße Spekulation, die in der medizinischen Wissenschaft keine Stütze findet, wie dies der Sachverständige Prof. Dr. E. erläutert hat. Eine Krankheitsursache im Sinn der hinreichenden Wahrscheinlichkeit lässt sich mit einer solchen Spekulation nicht begründen.

Der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang auch nicht unter dem Gesichtspunkt in Betracht kommt, dass bei G. ein Adenom-Karzinom, also eine bösartige Krebserkrankung vorgelegen hat, die sich in der Regel aus einem gutartigen Adenom der Rektum- oder Dickdarmschleimhaut entwickelt. Denn es gibt keinerlei medizinische Erkenntnisse, dass es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer beruflichen Belastung, wie sie G. ausgesetzt gewesen ist, und der Entwicklung eines gutartigen Adenoms im Bereich des Rektums gäbe. Dies hat der Sachverständige Prof. Dr. E. überzeugend dargestellt. Der typischen Sequenz der Entwicklung eines sporadisch auftretenden Karzinoms aus einem gutartigen Adenom liegen teils bis in Details aufgeklärte molekulare, epigenetische und chromosale Aberrationen zugrunde, bei denen anlagebedingte und exogene, vor allem durch den westlichen Lebensstil bedingte Faktoren zusammenwirken. Allein die Vielzahl der Störungsmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen erklärt für sich allein schon die Häufigkeit des spontanen Auftretens colorektaler Karzinome, so dass eine Strahlenätiologie als Ursache höchst unwahrscheinlich ist. Ein gutartiges Adenom der Rektum- oder Dickdarmschleimhaut kommt somit nicht als sogenannte Umwegserkrankung (vgl. BSG, Urteil vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06 R; Urteile des Senats vom 06.11.2012, Az.: L 15 VS 13/08 ZVW, und vom 21.04.2015, Az.: L 15 VH 1/12) in Betracht.

3.2.3. Keine Kannversorgung

Wie die Sachverständigen, zuletzt Prof. Dr. E., überzeugend erläutert haben, besteht für das Erkrankungsbild eines Rektumkarzinoms in der medizinischen Wissenschaft keine Ungewissheit über die (allgemeine) Ursache dieser Erkrankung. Das Rechtsinstitut der Kannversorgung kommt schon aus diesem Grund nicht in Betracht.

Dass es insofern auch keine einzige wissenschaftliche Lehrmeinung gibt, die die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Rektumkarzinom und einer beruflichen Belastung, wie sie G. ausgesetzt war, vertritt, auch nicht in dem von der Klägerin vermuteten Sinn einer Wechselwirkung zwischen verschiedenen krebserzeugenden Noxen - darauf hat insbesondere, aber nicht nur der Sachverständige Prof. Dr. E. hingewiesen -, hat daher keine weitere entscheidende Bedeutung mehr.

3.3. Zum Vorbringen der Klägerin im Übrigen

Wenn die Klägerin meint, aus dem von ihr angeführten Urteil des SG Aachen vom 29.09.2008 Rückschlüsse auf einen Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung des G. und dem Rektumkarzinom ziehen zu können, irrt sie. Der dort zugrunde gelegene Fall und der des G. sind nicht ansatzweise vergleichbar, sondern unterscheiden sich ganz maßgeblich. Beispielhaft weist der Senat nur darauf hin, dass im dort entschiedenen Fall die Radargeräte am Flugzeugtyp F-104 eine Betriebsspannung von 25 kV (im Fall des G: nur maximal 6 kV) gehabt haben, die Strahlenbelastung 22 Jahre (im Fall des G: nur rund 5 Jahre) gedauert hat und der Tumor am Kiefer (im Fall des G: am vergleichsweise strahlenunempfindlichen Rektum) lokalisiert gewesen ist.

Die Thorotrast-Studie ist schon wegen der zugrunde liegenden Belastung nicht als aussagekräftig für die Beurteilung des Fall des G. anzusehen. Der Belastung durch die intravenöse Aufnahme des massiv belastenden thoriumhaltigen Röntgenkontrastmittels Thorotrast ist der Kontakt des G. zu möglicherweise thoriumhaltigen Triebwerksbestandteilen nicht vergleichbar, wobei zu beachten ist, dass weitergehende Triebwerksarbeiten mit einer möglichen Staubbelastung infolge einer Materialbearbeitung ohnehin nicht durch G. vorgenommen worden sind. Denn derartige Arbeiten waren an zivile Firmen vergeben und wurden daher von Flugzeugmechanikern und Flugzeugmechaniker(meister)n (Düse) nicht ausgeführt, wie die Beklagte überzeugend dargestellt hat. Zudem belegt die Studie gerade nicht die Behauptung der Klägerin, dass eine Belastung mit Thorotrast zu einem erhöhten Auftreten von Rektumkarzinomen geführt habe. Vielmehr belegt die Studie gerade, dass Rektumkarzinome bei den Thorotrast-Patienten nicht häufiger aufgetreten sind als bei der Vergleichsgruppe aus der Allgemeinbevölkerung (vgl. oben Ziff. 3.2.2.).

Sofern die Klägerin vorträgt, dass die Dienstvorschrift der Bundeswehr zum Umgang mit radioaktiven Stoffen unter Beachtung der Strahlenschutzverordnung und die Tatsache, dass die Beklagte über keine Messwerte verfüge und persönliche Schutzausrüstungen gefehlt hätten, berücksichtigt werden müssten, irrt sie. Ganz abgesehen davon, dass die Strahlenschutzverordnung erst im Jahr 1976 und damit nach dem Dienstende des G. erlassen worden ist, könnte allein mit der Missachtung von rechtlichen Vorgaben zum Arbeitsschutz kein rechtlich wesentlicher Kausalzusammenhang für das Auftreten einer Gesundheitsstörung begründet werden. Denn der Zusammenhang wird durch tatsächliche Umstände, nicht durch die bloße Verletzung rechtlicher Vorgaben bestimmt; eine irgendwie geartete Fiktionswirkung gibt es insofern nicht. Im Übrigen sind sowohl die Beklagte als auch das SG davon ausgegangen, dass konkrete Messwerte nicht vorliegen und Schutzmaßnahmen zur Dienstzeit des G. allenfalls in unzureichendem Umfang getroffen worden sind (vgl. auch den Bericht der Radarkommission, S. III f. und S. 130 f., wonach in der sogenannten Phase 1 bis 1975 nur vereinzelte Messungen der Röntgen(stör)strahlung dokumentiert sind, in der Phase 2 ab 1975 bis 1985 Strahlenschutzmaßnahmen etabliert worden sind und erst in der sich anschließenden Phase 3 von adäquaten Strahlenschutzmaßnahmen ausgegangen werden kann, sowie S. IV f. und S. 132, wonach erst spätestens ab 1980 Arbeiten an Leuchtfarben mit Schutzausrüstungen erfolgt sind).

Ohne Bedeutung für die Entscheidung ist, dass keine konkrete Ursache für das Rektumkarzinom des G. festgestellt worden ist. Denn die Klägerin hätte nur dann Erfolg haben können, wenn eine versorgungsrechtlich geschützte Ursache als die rechtlich wesentliche Ursache für die Entstehung des Karzinoms nachgewiesen wäre. Dies ist nicht der Fall. Nicht ausreichend ist hingegen, wenn andere, keinen Versorgungsschutz vermittelnden Ursachen nur nicht ausgeschlossen werden können oder nur die bloße Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen Erkrankung und dienstlicher Tätigkeit besteht.

Die Klägerin hat daher mit ihrer Berufung keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Tenor

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 7. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Anerkennung von Schädigungsfolgen und Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) hat.

Der Kläger ist 1945 geboren.

Mit Schreiben vom 07.02.2009 beantragte er unter Bezugnahme auf seinen Schwerbehindertenausweis (Grad der Behinderung - GdB - von 100, Merkzeichen G, RF, B) die Gewährung von Beschädigtenversorgung. Er begründete dies damit, dass er endlich nach über 63 Jahren seines Kriegsleidens jemanden gefunden habe, der ihm die erschreckenden sowie unmenschlichen Geschehnisse auch schriftlich an Eides statt versichere. Er beziehe nur eine sehr kleine Erwerbsunfähigkeitsrente von 180,- € und komme damit finanziell nicht aus.

In den diesem Antrag beigefügten Erklärungen an Eides statt vom 01.12.2008 und vom 10.12.2008 gab die Schwägerin der Mutter des Klägers, Frau D., an, dass die Mutter des Klägers, als sie mit diesem hochschwanger gewesen sei, mehrmals von russischen Soldaten vergewaltigt worden sei. Die Mutter des Klägers sei sehr oft misshandelt und vergewaltigt worden, da sie schwarze Haare gehabt habe. Der Kläger sei schwer hirngeschädigt gewesen und leide bis heute unter den Nachwirkungen dieser Zeit.

Am 19.02.2009 erläuterte der Kläger seinen Antrag dahingehend, dass er seit Geburt unter einer Hirnschädigung leide, die er auf Misshandlungen seiner Mutter in der Schwangerschaft durch russische Soldaten zurückführe. Er habe weiter einen Hüftschaden durch schlechtes Wachstum. Zudem leide er unter Sprachstörungen, Wirbelsäulenschäden usw.

Der vom Beklagten beigezogenen Schwerbehindertenakte ist zu entnehmen, dass dem Kläger mit Bescheid vom 11.11.1981 ein GdB von 100 zuerkannt worden war. Dem hatte u. a. eine ärztliche Begutachtung durch Dr. S. vom 21.09.1981 zugrunde gelegen, bei der der Kläger sein Beinleiden auf einen mit ca. 13 Jahren erlittenen Verkehrsunfall zurückgeführt hatte, als er als Radfahrer von einem Auto angefahren worden war. Der Sachverständige hatte im Rahmen der Begutachtung mit dem behandelnden Arzt des Klägers, Dr. C., telefoniert, der ihm - so Dr. S. - mitgeteilt habe, dass der Kläger seit der Kindheit unter epileptischen Anfällen vom Jackson-Typ leide, die im Anschluss an eine Kinderlähmung aufgetreten seien.

Weiter zog der Beklagte die medizinischen Unterlagen der Deutschen Rentenversicherung bei. Darin ist u. a. ein Gutachten vom 09.04.1999 enthalten. Bei der Begutachtung hatte der Kläger angegeben, dass sein Vater alkoholabhängig gewesen sei. Der Sachverständige ging von Hinweisen für eine frühkindliche Hirnschädigung mit niedriger Intelligenz und langjährigem Anfallsleiden aus.

Der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten kam nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen in seiner Stellungnahme vom 12.08.2009 zu dem Ergebnis, dass die geltend gemachten Gesundheitsschäden nicht ursächlich auf die angegebenen Einwirkungen durch Vergewaltigung der Mutter während der Schwangerschaft, deren Misshandlung, Mangelernährung und Angst zurückzuführen seien. Ein Geschlechtsverkehr während der Schwangerschaft sei grundsätzlich nicht geeignet, einen Embryonalschaden zu verursachen. Ursächlich seien zum einen genetische Faktoren, zum anderen sei durch den behandelnden Arzt eine spinale Kinderlähmung mit dem Auftreten einer zerebralen Schädigung belegt.

Mit Bescheid vom 23.08.2010 lehnte der Beklagte die Anerkennung von Schädigungsfolgen und die Gewährung von Beschädigtenversorgung ab.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 04.09.2010 Widerspruch mit der Begründung ein, dass die körperliche Gewalt und psychischen Ängste einen bleibenden Schaden beim werdenden Leben hinterlassen hätten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2011 wurde der Widerspruch nach erneuter Befassung des versorgungsärztlichen Diensts zurückgewiesen.

Am 01.08.2011 hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhoben.

Mit Gerichtsbescheid vom 07.02.2012 ist die Klage abgewiesen worden. Das SG hat erläutert, dass nicht zu erkennen sei, dass die geltend gemachte Hirnschädigung, der Hüftschaden, die Sprachstörungen sowie die Wirbelsäulenschäden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Vergewaltigungen und Angstzustände der Mutter des Klägers bzw. die Folgen der Vertreibung zurückzuführen seien. Das SG hat sich insofern den Ausführungen des versorgungsärztlichen Dienstes angeschlossen.

Dagegen hat der Kläger mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 07.03.2012 Berufung eingelegt und diese mit Schreiben vom 23.11.2012 wie folgt begründet: Nach den vom SG beigezogenen Unterlagen der Rentenversicherung leide er u. a. an einer angeborenen Bewegungsstörung und Sprachstörung, einer Epilepsie und den Folgen einer Hüftdysplasie links. Es verstehe jeder Laie und damit auch der medizinisch vorgebildete Jurist, „d. h. etwa auch ein Richter, und erst recht ein Mediziner“, dass ein angeborenes Leiden nicht Folge einer erst im Kleinkindalter aufgetretenen spinalen Kinderlähmung sein könne, wobei auch die insoweit noch herangezogenen Alternativursachen „offenkundig an den Haaren herbeigezogen“ seien. „Als Folge der Einwirkungen auf die Mutter des Rechtsmittelführers, die sich mit Nichten „nur“ im erzwungenen Geschlechtsverkehr und den Folgen der Vertreibung, sondern in massiven Gewalttaten, nämlich Schlägen und Tritten, auch in die zu dieser Zeit besonders sensible Bauchregion, beschränkten, seien demnach als „angeborene“ Folgeleiden explizit zu nennen: Bewegungs- und Sprachstörungen nervalen Ursprungs; Dysplasie beider Hüften; Epilepsie; Deformierung der gesamten Wirbelsäule. Als Folgen dieser Leiden wiederum bestünden: Depressionen, Schlafstörungen, Schmerzen entlang der gesamten Wirbelsäule und beider Hüften, Nebenwirkungen von Medikamenten mit chronischer Obstipation, Müdigkeit und Zahnfleischentzündung mit Ausfall der Zähne. Die vorstehenden Darlegungen würden nachgewiesen durch die beigelegten Atteste des Hausarztes des Klägers, des praktischen Arztes E. vom 06.09.2000, 14.11.2004, 08.07.2010 und 05.09.2012. Darin hatte dieser Arzt wiederholt angegeben hatte, dass der Kläger „seit Geburt“ an den Gesundheitsstörungen leide.

Anschließend hat der Senat den Hausarzt des Klägers E. mit Schreiben vom 06.02.2014 danach befragt, woher er sein Wissen beziehe, dass der Kläger „seit Geburt unter Bewegungs- und Sprachstörungen nervalen Ursprungs“ leide und seit wann er den Kläger behandle. Der Hausarzt E. hat dazu mit Schreiben vom 13.03.2014 mitgeteilt, dass er den Kläger seit 15.07.2002 regelmäßig hausärztlich behandle und sich sein Wissen aus einer amtsärztlichen Bescheinigung vom 12.03.1975 ergebe. Der beigefügten Bescheinigung ist zu entnehmen, dass der Kläger am 23.01.1975 wegen des Erlasses von Kraftfahrzeugsteuer amtsärztlich durch Dr. R. untersucht worden ist und dieser dabei folgende Körperschäden festgestellt hat: „Nervlich bedingte Bewegungsstörungen, Sprachstörungen, Hüftgelenksverformung links, Wirbelsäulenverbiegung.“ Eine Aussage zum Beginn der Gesundheitsstörungen enthält die Bescheinigung nicht.

Der Bevollmächtigte des Klägers hat mit Schreiben vom 28.04.2014 ein Attest des Dr. C. vom 15.04.2014, der von Oktober 1978 bis Juni 1997 der Hausarzt des Klägers gewesen war, übersandt, in dem dieser die Epilepsie (Jackson-Anfälle) als Folge einer frühkindlichen Hirnschädigung bezeichnet hat; denn die Geburt sei sehr schwer und langwierig unter angstbeladenen, grausamen Umständen durch die sowjetische Besatzung gewesen.

Dr. C. hat auf explizite Nachfrage des Senats mit Schreiben vom 16.07.2014 mitgeteilt, dass er aus einem Gespräch mit Frau D. am 10.04.2014 wisse, dass die Geburt des Klägers sehr schwer und langwierig unter angstbeladenen Umständen durch die sowjetische Besatzung gewesen sei. Die hochschwangere Mutter des Klägers sei mehrfach von sowjetischen Soldaten vergewaltigt, misshandelt und in den Bauch getreten worden. Unter einer „frühkindlichen Hirnschädigung“ - der Senat hatte um Erläuterung dieses im Attest vom 15.04.2014 verwendeten Begriffs gebeten - sei eine Schädigung des zentralen Nervensystems zwischen dem sechsten Schwangerschaftsmonat und dem dritten bis sechsten Lebensjahr zu verstehen. Die häufigste Ursache dieser Schädigung sei Sauerstoffmangel vor und unter der Geburt. Dabei müsse nicht gleich eine Symptomatik, z. B. Epilepsie, auftreten, dies könne noch Monate und Jahre nach der Schädigung sein. Der Vater des Klägers habe ihm anamnestisch mitgeteilt, dass die epileptischen Anfälle mit eineinhalb Jahren aufgetreten seien. Er selber habe eine Anfallsserie am 16.01.1979 gesehen. Epileptischen Anfällen liege eine Hirnschädigung zugrunde. Die Geburt des Klägers sei sehr lang - zwei Tage, dies wisse er von Frau - gewesen und habe als Zangengeburt beendet werden müssen. Zangengeburten seien schwierige Geburten, so dass sehr leicht ein Sauerstoffmangel auftreten könne, für den das Gehirn besonders empfindlich sei. Je länger eine Geburt über 36 Stunden dauere, desto eher könne für das Kind ein Sauerstoffmangel eintreten mit der Folge einer Hirnschädigung. Zur weiteren Information hat er einen Arztbrief der Universität C-Stadt vom 02.07.1979 beigelegt. Dort war anamnestisch über epileptische Anfälle seit dem dritten Lebensjahr berichtet worden.

Im Auftrag des Senats hat der Sozialmediziner und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. am 22.09.2014 ein Gutachten nach Aktenlage erstellt. Darin ist er zu der Einschätzung gekommen, dass sich ein Zusammenhang zwischen den vom Kläger angegebenen Ereignissen (Vergewaltigungen und Misshandlungen seiner mit ihm schwangeren Mutter) und den vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht herstellen lasse. Die Ursachen von Hirnschädigung, Epilepsie, Sprachstörungen, Hüftgelenks- und Wirbelsäulenschäden seien - so der Sachverständige - vielfältig und würden ein breites Spektrum von einer Alkoholschädigung über Infektionen während der Schwangerschaft und bei der Geburt, Sauerstoffmangel bei der Geburt, frühkindliche Mangelernährung und vieles andere mehr umfassen. Ein Schlag gegen den Bauch der schwangeren Mutter und ein Geschlechtsverkehr hingegen könnten nicht als hinreichende Ursache angesehen werden. Es sei nicht so, dass über die Ursache der genannten Gesundheitsstörungen keine gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse bestünden. Solche seien seit langer Zeit bekannt. Vielmehr sei es unklar, welche Einwirkungen im speziellen Einzelfall hier ausschlaggebend gewesen seien; dies lasse sich jetzt nicht mehr feststellen.

Dieses Gutachten ist mit Schreiben vom 03.11.2014 und ausführlichen Hinweisen des Berichterstatters an den Bevollmächtigten des Klägers übersandt worden. Eine inhaltliche Reaktion des Klägers ist darauf nicht erfolgt.

Ein vom Kläger gegen die Richter des Senats gestellter Befangenheitsantrag ist mit Beschluss des Senats vom 29.10.2015 zurückgewiesen worden.

Der Kläger beantragt,

ihn als Partei zum Beweis der Tatsache einzuvernehmen, dass die bei ihm vorliegenden Erkrankungen Hirnschädigung, Epilepsie und Sprachstörung sowie die bei ihm bestehenden Gelenks- und Wirbelsäulenschäden Folge von Vergewaltigungen und Misshandlungen seiner mit ihm hochschwangeren Mutter durch russische und polnische Soldaten im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg sind.

Der Kläger beantragt weiter,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 07.02.2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 23.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.07.2011 zu verurteilen, dem Kläger unter Anerkennung von Schädigungsfolgen Beschädigtenversorgung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten in der versorgungsrechtlichen Angelegenheit und die Schwerbehindertenakte sowie die Akten des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Mit Beschluss gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 10.03.2015 ist die Berufung dem Berichterstatter übertragen worden, so dass dieser zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern zu entscheiden hat.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Ein Zusammenhang der als Schädigungsfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen (Hirnschädigung, Epilepsie, Sprachstörung, Gelenks- und Wirbelsäulenschäden) und den vom Kläger angegebenen potentiell schädigenden Handlungen gegenüber seiner schwangeren Mutter im Krieg (Vergewaltigungen, Tritte in den Bauch und Misshandlungen durch russische und polnische Soldaten) lässt sich nicht herstellen. Dies gilt sowohl unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Wahrscheinlichkeit als auch dem der Kannversorgung. Schädigungsfolgen sind daher nicht anzuerkennen; Versorgung ist nicht zu gewähren.

1. Voraussetzungen für die Anerkennung als Schädigungsfolge - Allgemeines

Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält gemäß § 1 Abs. 1 BVG wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung. Gemäß § 1 Abs. 2 BVG sind dort näher genannte, mit dem Krieg in Verbindung stehende Geschehnisse einer Schädigung im Sinn des § 1 Abs. 1 BVG gleichgestellt. § 5 BVG enthält nähere Erläuterungen zum Begriff der unmittelbaren Kriegseinwirkung.

Für die Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolge und damit die Berücksichtigung im Rahmen eines Versorgungsanspruchs gemäß § 1 Abs. 1 BVG ist gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ein wahrscheinlicher Zusammenhang von dem einen Versorgungsschutz eröffnenden Tatbestand und der geltend gemachten Gesundheitsstörung erforderlich. Dabei setzt die Anerkennung einer Schädigungsfolge eine dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Ein mit der Kriegseinwirkung zusammenhängender schädigender Vorgang (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (2. Glied) geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen (3. Glied) bedingt.

Die drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Dies bedeutet, dass kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R). Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität. Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle, versorgungsrechtlich geschützte Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 128, Rdnr. 3 c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66).

Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie nach der versorgungsrechtlichen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 08.08.1974, Az.: 10 RV 209/73) rechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs „annähernd gleichwertig“ sind. Während die ständige unfallversicherungsrechtliche Rechtsprechung (vgl. z. B. BSG, Urteile vom 09.05.2006, Az.: B 2 U 1/05 R, und vom 30.01.2007, Az.: B 2 U 8/06 R) demgegenüber den Begriff der „annähernden Gleichwertigkeit“ für nicht geeignet zur Abgrenzung hält, da er einen objektiven Maßstab vermissen lasse und missverständlich sei, und eine versicherte Ursache dann als rechtlich wesentlich ansieht, wenn nicht eine alternative unversicherte Ursache von überragender Bedeutung ist, hat der für das soziale Entschädigungsrecht zuständige 9. Senat des BSG in seinem Urteil vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 6/13 R zur annähernden Gleichwertigkeit Folgendes ausgeführt:

„Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Haben also neben einer Verfolgungsmaßnahme mehrere weitere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen, ist die Verfolgungsmaßnahme versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge der Verfolgungsmaßnahme zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Verfolgungsmaßnahme in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen.“

Von einer annähernden Gleichwertigkeit einer versorgungsrechtlich geschützten Ursache kann daher nur dann ausgegangen werden, wenn ihre Bedeutung gleich viel oder mehr Gewicht als die andere(n) Ursachen hat.

Die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinn als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, ist im jeweiligen Einzelfall aus der Auffassung des praktischen Lebens abzuleiten (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2001, Az.: B 9 V 5/00 R).

Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Gesundheitsschäden zu erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, Az.: B 2 U 1/05 R).

Kann eine Aussage zu einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang nur deshalb nicht getroffen werden, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt die sogenannte Kannversorgung gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG in Betracht. Von Ungewissheit ist dann auszugehen, wenn es keine einheitliche, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, Az.: B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, Az.: 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06). In einem solchen Fall liegt eine Schädigungsfolge dann vor, wenn bei Zugrundelegung der wenigstens einen wissenschaftlichen Lehrmeinung nach deren Kriterien die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs nachgewiesen ist (vgl. Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, Az.: 9/9a RV 41/92).

Der versorgungsrechtliche Schutz beginnt zeitlich bereits mit der Zeugung. Auch wenn dies dem Wortlaut der gesetzlichen Regelungen nicht zu entnehmen ist, ist auch der nasciturus durch § 1 BVG geschützt. Dies hat das BSG im Urteil vom 24.10.1962, Az.: 10 RV 583/59, dem ein ganz ähnlicher Sachverhalt (Vergewaltigungen und schwere Misshandlungen der schwangeren Mutter der dortigen Klägerin) wie der hier zu entscheidende zugrunde lag, wie folgt klargestellt:

„Bei Erlass des BVG ist überhaupt nicht an den Fall gedacht worden, dass jemand einen Gesundheitsschaden durch eine kriegsbedingte Schädigung vor seiner Geburt erlitten haben könnte, sondern immer nur an den Fall, dass jemand als lebende (rechtsfähige) Person eine kriegsbedingte Schädigung erlitten hat.

...

Wenngleich sich die Versorgungsansprüche der Klägerin -- soweit sie diese auf die als Leibesfrucht erlittenen Schädigungen zurückführt -- auch nicht auf den Wortlaut des § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a i. V. m. § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG stützen lassen, so sind sie dennoch aus anderen Erwägungen heraus grundsätzlich gerechtfertigt. Sie lassen sich zwar nicht mit der Erwägung begründen, dass die Mutter der Klägerin mit ihrer Leibesfrucht als eine Person anzusehen ist, so dass also die Mutter, eine lebende und rechtsfähige Person, geschädigt und damit auch dem Wortlaut des Gesetzes genügt wäre, wonach der geschädigte „Wer“ eine lebende Person sein muss. Diese Begründung des Versorgungsanspruchs muss schon deshalb scheitern, weil in diesem Falle die Identität der geschädigten und der in ihrer Gesundheit gestörten und anspruchsberechtigten Person nicht mehr gewahrt wäre, die das Gesetz -- wie oben erörtert -- fordert. Schädigungen (Gesundheitsstörungen), die bei anderen als den unmittelbar geschädigten Personen auftreten, begründen keinen Versorgungsanspruch (BSG 11, 234).

Der Senat hält jedoch die Ansprüche der Klägerin dem Grunde nach für gerechtfertigt, weil hier im Wege der Rechtsfindung eine Lücke im BVG zu schließen ist und nach der vorzunehmenden Rechtsergänzung Versorgungsansprüche der Klägerin begründet sind. Der Wortlaut des § 1 BVG lässt es lediglich deshalb nicht zu, einer Person Versorgung zu gewähren, die Schädigungen i. S. des § 1 BVG vor ihrer Geburt als Leibesfrucht ausgesetzt war, weil an diesen Fall nicht gedacht worden ist. Wäre an diesen Fall aber gedacht worden, so hätte ihn das Gesetz so geregelt, wie er jetzt von der Rechtsprechung zu regeln ist. Das BVG will, wie schon seine vollständige Bezeichnung „Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges“ besagt, die Opfer des Krieges versorgen. Als Opfer des Krieges muss aber auch eine solche Person angesehen werden, die durch kriegsbedingte und im Übrigen als rechtserheblich anerkannte Schädigungstatbestände als Leibesfrucht so betroffen worden ist, dass sich bei ihr nach der Geburt Gesundheitsstörungen als Folgen der Schädigung zeigen. Dass dabei der zeitliche Eintritt der Gesundheitsstörungen längere Zeit nach der Schädigung der Entstehung des Versorgungsanspruchs nicht entgegensteht, bedarf keiner Erörterung.“

2. Bewertung im vorliegenden Fall:

Bei Berücksichtigung der aufgezeigten Grundsätze kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass beim Kläger keine Schädigungsfolgen im Sinn des § 1 Abs. 3 BVG vorliegen, die zu einem Anspruch auf Versorgung führen würden.

Zwar geht der Senat, wie schon der Beklagte, davon aus, dass mit den vom Kläger vorgetragenen Misshandlungen seiner Mutter während der Schwangerschaft (Schläge auch in den Bauch, Vergewaltigungen) ein grundsätzlich versorgungsbegründender Tatbestand im Sinn des § 1 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a i. V. m. § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG gegeben ist (1. Glied der oben - vgl. Ziff. 1. - aufgezeigten Kausalkette). Es liegen aber beim Kläger keine Gesundheitsstörungen (3. Glied der Kausalkette) vor, die sich in einen rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhang mit diesen Geschehnissen bringen lassen. Ob die primäre Schädigung (2. Glied der Kausalkette) in dem dafür erforderlichen Beweismaßstab nachgewiesen ist, kann dabei dahingestellt bleiben.

Bei seiner Entscheidung stützt sich der Senat auf das von ihm eingeholte Gutachten des Dr. F. vom 22.09.2014. Dieser sehr erfahrene, dem Senat seit vielen Jahren bekannte Sachverständige hat die ihm übersandten Akten des Beklagten und des Gerichts äußerst sorgfältig ausgewertet und alle relevanten Gesichtspunkte berücksichtigt. Er hat sein Gutachten überzeugend, eingehend und nachvollziehbar begründet. Irgendwelche Anhaltspunkte, an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen des Sachverständigen zu zweifeln, bestehen für den Senat nicht. Das Gutachten steht im Übrigen auch in Übereinstimmung mit den wiederholten und plausiblen Feststellungen des versorgungsärztlichen Diensts des Beklagten.

2.1. Keine Schädigungsfolgen unter dem Gesichtspunkt einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit

Unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Wahrscheinlichkeit im Sinn von § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG lassen sich keine Schädigungsfolgen feststellen.

Der Nachweis eines Zusammenhangs zwischen den beim Kläger jetzt vorliegenden Gesundheitsstörungen und den potentiell schädigenden Handlungen gegenüber seiner mit ihm schwangeren Mutter ist nicht mit der dafür erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit geführt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist ein Geschlechtsverkehr während der Schwangerschaft grundsätzlich möglich und nicht geeignet, einen Embryonalschaden zu verursachen. Auch bezüglich der weiteren Misshandlungen der Mutter des Klägers lässt sich kein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang mit den beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen feststellen.

Gesichert beim Kläger ist eine Hüftdysplasie, die operativ behandelt worden ist. Ein solcher Gesundheitsschaden ist völlig unspezifisch und kann nicht als Folge eines Traumas im Mutterleib gelten. Bemerkenswert ist zudem, dass im Gutachten vom 21.09.1981 für das Versorgungsamt vermerkt worden ist, dass der Kläger selbst sein Beinleiden auf einen mit ca. 13 Jahren erlittenen Verkehrsunfall zurückgeführt hat; Kriegseinwirkungen sind damals nicht erwähnt worden. Das Auftreten von epileptischen Anfällen ist nicht hinreichend wahrscheinlich auf eine Traumatisierung im Mutterleib zurückzuführen; vielmehr gibt ein breites Spektrum von möglichen Ursachen einer Epilepsie. Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass in der Krankheitsgeschichte des Klägers ausdrücklich vermerkt ist, dass sein Vater alkoholabhängig gewesen ist. Ergänzend hat der Hausarzt Dr. C., der den Kläger ab Oktober 1978 bis Juni 1997 behandelt hat, zum einen erklärt, der Kläger leide unter epileptischen Anfällen, die im Anschluss an eine Kinderlähmung im Alter von eineinhalb Jahren aufgetreten seien, also weit entfernt von einem Trauma im Mutterleib. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass in der medizinischen Wissenschaft Epilepsie seit jeher in einem engen Zusammenhang mit Kinderlähmung gesehen wird (vgl. z. B. Jacobsohn, Klinik der Nervenkrankheiten, 1913, S. 318, wonach Kinderlähmung in 50 bis 75% der Fälle eine epileptische Disposition schafft; Schmidt/Elger, Praktische Epilepsiebehandlung, 3. Aufl. 2005, S. 122 ff.). Zum anderen hat Herr Dr. C. eine ihm von der Schwägerin der Mutter des Klägers berichtete langwierige Geburt mit einem daraus resultierenden Sauerstoffmangel als potentielle Ursache von beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen bezeichnet, wobei es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass die Geburtsdauer durch die Misshandlungen der Mutter des Klägers bedingt sein könnte.

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass einer frühkindlichen Hirnschädigung, einer Epilepsie, einer Hüftdysplasie, Sprachstörungen und Wirbelsäulen- und Gelenkschäden eine Vielzahl von Ursachen zugrunde liegen kann, die sich fast 70 Jahr nach den dafür vom Kläger als ursächlich angeschuldigten Ereignissen nicht mehr im Einzelnen feststellen lassen. Jedenfalls lassen sich die geltend gemachten Schäden nicht mit Wahrscheinlichkeit einem Trauma im Mutterleib, sei es wegen Vergewaltigungen, sei es in Gestalt von Schlägen und Tritten gegen den Bauch der schwangeren Mutter, zuordnen.

2.2. Keine Schädigungsfolgen unter dem Gesichtspunkt der Kannversorgung

Eine Anerkennung nach den Vorgaben der Kannversorgung im Sinn von § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG scheitert daran, dass es an der dafür erforderlichen allgemeinen Ungewissheit in der medizinischen Wissenschaft fehlt.

Der gerichtliche Gutachter hat überzeugend und ausführlich erläutert, dass es nicht so ist, dass über die Ursache der vom Kläger als Schädigungsfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen keine gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse bestehen würden. Solche sind vielmehr seit langer Zeit bekannt. Unklar ist vielmehr, welche Einwirkungen im speziellen Einzelfall des Klägers ausschlaggebend für die Entstehung der Gesundheitsstörungen gewesen sind. Dies lässt sich nicht mehr zuverlässig feststellen. Es liegt damit nicht eine Ungewissheit in den Kenntnissen der medizinischen Wissenschaft als solche vor, sondern eine solche der ganz speziellen Einwirkungen im vorliegenden Einzelfall; die tatsächliche wahrscheinliche Ursache der Leiden des Klägers im konkreten Einzelfall ist hinsichtlich der Ätiologie wegen der Fülle von möglichen Ursachen nicht mehr zuverlässig aufklärbar. Dies ist kein Fall der Kannversorgung.

2.3. Zu den Einwänden des Klägers

Die Einwände des Klägers können nicht überzeugen.

2.3.1. Gutachten „nur“ nach Aktenlage

Sofern der Bevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung beanstandet hat, dass lediglich ein Gutachten nach Aktenlage eingeholt worden sei und dies nicht die Gewähr dafür biete, dass die beim Kläger vorliegenden Schädigungsfolgen zutreffend erfasst seien, kann der Senat dies nicht nachvollziehen. Der Bevollmächtigte des Klägers übersieht bei seinem Einwand völlig, dass es in diesem Rechtsstreit nicht um die Bewertung von vorliegenden Gesundheitsstörungen im Sinn der Feststellung des Grads der Schädigung geht, sondern um die vorgelagerte Frage der Kausalität zwischen Ereignissen im Krieg und seit Jahrzehnten vorliegenden Gesundheitsstörungen des Klägers. Bei der Bewertung dieser Frage ist entscheidend auf die früheren, überwiegend viele Jahre zurückliegenden Befunde abzustellen. Inwiefern aus einer aktuellen Inaugenscheinnahme des Klägers durch den Sachverständigen sich demgegenüber weitergehende Erkenntnisse ergeben sollten, hat der Bevollmächtigte des Klägers weder auf Nachfrage erläutern können noch ist dies nach der Überzeugung des Senats denkbar.

2.3.2.

Schlüsse des Sachverständigen Dr. F. nicht zwingend

Wenn der Bevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht hat, dass er die vom gerichtlichen Sachverständigen getroffenen Schlussfolgerungen nicht für „zwingend“ halte, war dem Bevollmächtigten weder eine nähere Erläuterung möglich noch kann sich der Senat diesen Einwand objektiv erklären. Weder in Ansehung der Begutachtungsliteratur (vgl. z. B. vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010) noch aus einem klägerischen Vortrag nach Übersendung des Gutachtens mit ausführlichen Hinweisen des Senats - der Bevollmächtigte des Klägers hat sich schriftlich zum Gutachten nicht geäußert - sind auch nur ansatzweise Gesichtspunkte erkennbar, die an der Richtigkeit der vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen Zweifel wecken könnten.

Wenn der Bevollmächtigte des Klägers im Rahmen der Berufungsbegründung die Ansicht geäußert hat, dass „jeder Laie und damit auch der medizinisch vorgebildete Jurist, d. h. etwa auch ein Richter, und erst recht ein Mediziner“ verstehe, dass ein angeborenes Leiden nicht Folge einer erst im Kleinkindalter aufgetretenen spinalen Kinderlähmung sein könne, wobei auch die insoweit noch herangezogenen Alternativursachen „offenkundig an den Haaren herbeigezogen“ seien, ist dieser substanzlose Einwand weder aus laienhafter Sicht noch unter Ansehung der Ausführungen des Sachverständigen Dr. F. nachvollziehbar. Der Senat kann sich diese Ausführungen nur durch das weitgehend unreflektierte Bestreben, das Begehren des Klägers mit allen Mitteln zu unterstützen, erklären. Dass die - beispielsweise auch im Attest des Hausarztes E. vom 05.09.2012 enthaltene - Behauptung, bei der Epilepsie handle es sich um ein „angeborenes Krampfleiden“ offensichtlich rein spekulativ, wenn nicht sogar mit großer Wahrscheinlichkeit falsch ist, wie sich aus den Angaben von Ärzten ergibt, die den Kläger früher untersucht und das Auftreten der Epilepsie einer zuvor durchgemachten Kinderlähmung zugeschrieben haben, hat der Bevollmächtigte dabei ausgeblendet. Der Suggestion des Bevollmächtigten, die Berechtigung des Begehrens des Klägers sei für jedermann erkennbar, fehlt jedenfalls jede sachlich nachvollziehbare Grundlage.

2.3.3. Ausführungen der behandelnden Ärzte Dr. C. und E.

Wenn sich der Bevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf die Angaben des den Kläger von 1978 bis 1997 behandelnden Hausarztes Dr. C. berufen hat und darauf aufbauend das Vorliegen von Schädigungsfolgen suggerieren will, steht dieser Versuch des Bevollmächtigten im Widerspruch zu den Angaben dieses Arztes. Vielmehr ergeben sich aus den Ausführungen von Dr. C. deutliche Hinweise darauf, dass gerade keine Schädigungsfolgen vorliegen. So hat Dr. C. im Schreiben vom 16.07.2014 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach den ihm vorliegenden Berichten der Kläger mittels einer Zangengeburt zur Welt gebracht worden sei und es sich dabei um schwierige Geburten handle, bei denen sehr leicht ein Sauerstoffmangel auftreten könne. Ein derartiger Sauerstoffmangel sei eine nahe liegende Ursache für eine frühkindliche Hirnschädigung, in deren Zusammenhang auch noch Monate und Jahre später eine Epilepsie auftreten könne. An keiner Stelle hat dieser Arzt die vom Kläger für seinen aktuellen Gesundheitszustand angeschuldigten Umstände, die Vergewaltigungen und Misshandlungen seiner Mutter während der Schwangerschaft, als Grund der Gesundheitsstörungen des Klägers bezeichnet. Vielmehr hat er früher, nämlich im schwerbehindertenrechtlichen Verfahren des Klägers auf Nachfrage des Gutachters Dr. S. angegeben, dass die epileptischen Anfälle im Anschluss an eine Kinderlähmung aufgetreten seien (Gutachten vom 28.10.1981). Warum Dr. C. dies im Berufungsverfahren nicht (mehr) angegeben hat, sei es aus Ungenauigkeit, sei es in der Meinung, dem Kläger damit bei seinem versorgungsrechtlichen Begehren helfen zu können, kann dahingestellt bleiben. Denn beide Varianten stützen das klägerische Begehren nicht.

Auch den Ausführungen des den Kläger aktuell behandelnden praktischen Arztes E. lässt sich nichts entnehmen, was auf einen Zusammenhang der Gesundheitsstörungen des Klägers mit den Ereignissen im Krieg hindeuten würde. Im Übrigen liegt es für den Senat äußerst nahe, dass dieser Arzt dem Kläger Gefälligkeitsatteste ausgestellt hat, um ihn in seinem Begehren nach einer Versorgung zu unterstützen. Die von dem praktischen Arzt wiederholt aufgestellte Behauptung, dass der Kläger seit Geburt unter Bewegungs- und Sprachstörungen nervalen Ursprungs, Dysplasie beider Hüften die bereits operiert wurden, Epilepsie, einer fortgeschrittenen Deformierung der gesamten Wirbelsäule, Depressionen und Schlafstörungen leide, stellt für den Senat ein Gefälligkeitsattest dar. Dies hat dieser Arzt selbst letztlich dadurch zugestanden, dass er - auf Nachfrage des Senats - sein angebliches Wissen mit einer Bescheinigung über eine ärztliche Untersuchung im Jahr 1975 begründet hat, in der aber keinerlei Aussagen zum Beginn der beim Kläger vorliegenden Erkrankungen enthalten sind. Im Übrigen stehen seine Angaben zu einer ab der Geburt vorliegenden Epilepsie auch im Widerspruch dazu, dass in den Krankenunterlagen eindeutige Hinweise darauf enthalten sind, dass die Epilepsie erst nach einer im Alter von ca. eineinhalb Jahren durchgemachten Kinderlähmung des Klägers aufgetreten ist.

3. Zum in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag

Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten, vom Bevollmächtigten ausweislich des Protokolls ausdrücklich als „Beweisantrag“ betitelten Antrag, den Kläger als Partei zum Beweis der Tatsache einzuvernehmen, dass die bei ihm vorliegenden Erkrankungen Hirnschädigung, Epilepsie und Sprachstörung sowie die bei ihm bestehenden Gelenks- und Wirbelsäulenschäden Folge von Vergewaltigungen und Misshandlungen seiner mit ihm hochschwangeren Mutter durch russische und polnische Soldaten im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg seien, war nicht zu folgen.

Zu weiteren Ermittlungen im Sinn des vorgenannten Antrags des Klägers bestanden für den Senat keine Veranlassung und erst recht keine verfahrensrechtliche Pflicht. Der Antrag war daher abzulehnen.

3.1. Kein Erfordernis eines gesonderten Beschlusses

Zur Entscheidung über den Antrag bedurfte es keines gesonderten Beschlusses vor der Entscheidung durch Urteil. Vielmehr kann, wenn derartigen Anträgen nicht stattgegeben wird, unmittelbar die Entscheidung in der Sache ergehen, wobei die (Beweis-)Anträge in der Urteilsbegründung abzuhandeln sind (ständige Rspr., vgl. z. B. Urteile des Senats vom 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09, und vom 18.03.2015, Az.: L 15 SB 127/14). Wenn der Bevollmächtige des Klägers demgegenüber - ohne dies rechtlich begründen zu können - die Ansicht vertritt, es müsse vor der Entscheidung durch Urteil über den von ihm gestellten „Beweisantrag“ mit Beschluss entschieden werden, ist diese Meinung rechtsirrig. Beispielhaft verweist der Senat auf den Beschluss des BSG vom 09.05.2011, Az.: B 13 R 112/11 B, in dem das BSG Folgendes ausgeführt hat:

„Schließlich hat der Kläger mit dem Vorhalt, das LSG habe verfahrensfehlerhaft eine Entscheidung durch förmlichen Beschluss nach § 358 ZPO über das von ihm beantragte Gutachten unterlassen und gerade hierdurch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, eine Gehörsrüge nicht ausreichend begründet. Zum einen erschließt sich aus dieser Darstellung schon nicht, weshalb das Gericht auch im Fall des Unterlassens einer weiteren Beweiserhebung nach dem Wortlaut von § 358 ZPO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG („Erfordert die Beweisaufnahme ein besonderes Verfahren, so ist es durch Beweisbeschluss anzuordnen.“) einen formellen „Beweisbeschluss“ erlassen müsste. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist - ebenso wie im Finanzgerichtsprozess (vgl. BFH/NV 1992, 603 - Juris RdNr. 8), aber abweichend von der Rechtslage im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (§ 86 Abs. 2 VwGO) - bei Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags kein gesonderter und zu begründender Gerichtsbeschluss erforderlich. Zum anderen hat der Kläger nicht aufgezeigt, inwiefern die Entscheidung des LSG auf einer ihm gegenüber unterbliebenen Gehörsgewährung zu der vom Gericht nicht beabsichtigten weiteren Beweiserhebung vor Verkündung seines Urteils beruhen kann.“

Darauf, dass der Senat dem Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor der Antragstellung in der Sache erläutert hat, warum ein dem Urteil vorgelagerter Beschluss über seinen „Beweisantrag“ nicht ergehen werde und der Senat nach vorläufiger Einschätzung keinen Anlass für weitere Ermittlungen sehe, sei lediglich der Vollständigkeit halber hingewiesen.

3.2. Zum Beweisantrag in der Sache

Weitere Ermittlungen wegen dieses „Beweisantrags“ waren nicht angezeigt.

3.2.1. Kein förmlicher Beweisantrag

Bei dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag handelt es sich nicht um einen förmlichen Beweisantrag. Denn die Parteivernehmung kann wegen der fehlenden Verweisung in § 118 Abs. 1 SGG auf §§ 445 ff. Zivilprozessordnung nicht Gegenstand der Beweisaufnahme sein (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 11. Aufl. 2014, § 103, Rdnr. 12). Beispielhaft sei auf den Beschluss des BSG vom 31.10.1956, Az.: 4 RJ 267/55 hingewiesen, in dem Folgendes ausgeführt worden ist:

„Ebenso wenig hat aber das Landessozialgericht seine Amtsermittlungspflicht verletzt. Eine Parteivernehmung der Klägerin war nicht möglich, da im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eine solche nicht zulässig ist; denn § 118 Abs. 1 SGG führt die die Parteivernehmung betreffenden Vorschriften der Zivilprozessordnung (§§ 445 ff. ZPO) nicht unter den als entsprechend anwendbaren Vorschriften über die Beweisaufnahme auf. Daraus ist zu entnehmen, dass sie keine Anwendung zu finden haben.“

Dem Beweisantrag war daher nicht nachzukommen, wie dies das BSG in einem vergleichbaren Fall mit Beschluss vom 13.12.2005, Az.: B 13 RJ 247/05 B, wie folgt begründet hat:

„Zwar trägt der Kläger vor, er habe seine (eidliche) Parteivernehmung angeboten, dies sei vom LSG jedoch abgelehnt worden. Mit diesem Vorbringen kann er aber einen Verfahrensfehler schon deshalb nicht aufzeigen, weil eine eidliche Parteivernehmung im sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig ist (vgl. hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 103 RdNr. 12 m. w. N.).“

3.2.2. Völlig ungeeignetes Beweismittel

Im Übrigen scheitert der gestellte „Beweisantrag“ auch daran, dass er ein völlig ungeeignetes Beweismittel beinhaltet.

Nach § 103 Abs. 2 SGG ist das Gericht bei der Erforschung des Sachverhalts an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Der Umstand, dass bestimmte Ermittlungen mit einem förmlichen Beweisantrag verlangt werden, vermag nicht dazu zu führen, dass für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ein strengerer Maßstab bezüglich der Frage anzulegen wäre, unter welchen Voraussetzungen die gewünschten Ermittlungen unterbleiben dürfen (vgl. Urteil des Senats vom 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09). Der förmliche Beweisantrag nach dem SGG hat lediglich eine Filterfunktion für die Revisionsinstanz; Sachaufklärungsmängel sollen nach § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG erst dann als Verfahrensmängel relevant sein, wenn in der Tatsacheninstanz die jeweilige Beweiserhebung förmlich beantragt worden ist. Die Ermittlungspflichten der Gerichte werden dadurch aber nicht verschärft (ständige Rspr., vgl. z. B. Urteile des Senats vom 14.02.2012, Az.: L 15 VJ 3/08, und vom 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09). Im Rahmen seines richterlichen Ermessens bestimmt das Gericht die Ermittlungen und Maßnahmen, die nach seiner Beurteilung der materiellen Rechtslage zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig sind; sein Ermessen ist nur durch die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts in dem hiernach für seine Entscheidung erforderlichen Umfang begrenzt (vgl. BSG, Beschluss vom 07.06.1956, Az.: 1 RA 135/55). Das Gericht muss dabei von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen (vgl. BSG, Beschluss vom 11.12.1969, Az.: GS 2/68).

Unter Beachtung dieser Grundsätze war der Antrag auf Vernehmung des Klägers abzulehnen.

Ein Beweisantrag kann abgelehnt werden, wenn das angebotene Beweismittel völlig ungeeignet zur Beweisführung bei dem im Raum stehenden Beweisthema ist (ständige Rspr., vgl. z. B. BSG, Beschluss vom 19.10.2011, Az.: B 13 R 290/11 B). Eine Einvernahme des Klägers selbst hätte zu dem Beweisthema, nämlich der medizinisch zu beurteilenden Frage einer Kausalität zwischen den angegebenen schädigenden Ereignissen im Krieg und den Gesundheitsstörungen des Klägers keine Erkenntnisse bringen können, da es sich um rein medizinische Fragen handelt, für deren Beantwortung medizinische Sachkunde unverzichtbar ist; denn es geht nicht darum, sich ein genaueres Bild über den funktionalen Gesundheitszustand des Klägers zu verschaffen (vgl. z. B. BSG, Beschluss vom 07.04.2011, Az.: B 9 SB 47/10 B), sondern um die Ursachen für diesen Zustand zu ergründen. Mit der beantragten Beweiserhebung würde nicht nur eine Vernehmung eines medizinischen Laien über medizinische Befunde, für die der Kläger als medizinisch Unkundiger ein offensichtlich ungeeignetes Beweismittel ist (vgl. BSG, Urteil vom 28.01.1993, Az.: 2 RU 37/92, und Beschluss vom 13.12.2005, Az.: B 13 RJ 247/05 B), sondern sogar über vom medizinischen Schwierigkeitsgrad deutlich darüber hinaus gehende Kausalitätsfragen erfolgen. Dass der Beweisantrag vom 26.01.2016 ein offenkundig völlig ungeeignetes Beweismittel umfasst, liegt daher auf der Hand.

3.2.3. Rechtliches Gehörs

Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass es auch nicht angezeigt war, den Kläger unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz persönlich zu befragen. Dagegen sprechen die gleichen inhaltlichen Gründe, wie sie unter Ziff. 3.2.2. (vgl. oben) aufgeführt worden sind. Zudem ist sein Anspruch auf rechtliches Gehör nicht nur durch die anwaltliche Vertretung (vgl. Urteil des Senats vom 29.07.2014, L 15 VK 16/13), sondern auch dadurch gewahrt, dass er im bisherigen Verfahren mehr als ausreichend Gelegenheit zur Äußerung gehabt hat. Neue Gesichtspunkte, geschweige denn solche, zu denen nicht eine ausreichende Äußerung seines Bevollmächtigten möglich gewesen wäre, sind in der mündlichen Verhandlung nicht thematisiert worden; vielmehr waren durch die ausführlichen Schreiben des Berichterstatters des Senats alle relevanten rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte bereits lange vor der mündlichen Verhandlung für die Beteiligten bekannt.

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolge nach dem BVG Anerkennung finden können.

Die Berufung hat daher keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 6. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung nach dem Impfschadensrecht gemäß §§ 60 ff. Infektionsschutzgesetz (IfSG) hat.

Die 1970 geborene Klägerin wurde vom Allgemeinarzt Dr. R. am 06.06.2005 gegen Frühsommer-Menigoencephalitis (FSME) mit dem Medikament FSME-immun(r) sowie gegen Poliomyelitis, Diphtherie und Tetanus mit dem Kombinationsimpfstoff Revaxis(r) geimpft. Am 21.07.2005 erfolgte eine weitere FSME-Impfung mit dem gleichen Wirkstoff. Am 29.09.2005 wurde eine Impfung gegen Poliomyelitis mit IPV Merieux(r) und Diphtherie mit dem Diphtherie-Adsorbat-Impfstoff Behring für Erwachsene(r) durchgeführt. Im Jahr 2006 wurde bei ihr ein Guillain-Barre-Syndrom und danach eine chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie diagnostiziert.

Am 16.05.2013 beantragte sie beim Beklagten formlos Versorgung nach dem IfSG; sie habe eine Schädigung aufgrund einer FSME-Impfung erlitten. Mit Schreiben vom 28.05.2013 legte sie weitere Unterlagen zur Impfung vor und präzisierte ihren Antrag dahingehend, dass sie die bei ihr vorliegende chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie auf zwei FSME-Impfungen „am 06.06.2005 und 21.07.2005“ zurückführe.

In der Folge holte der Beklagte Unterlagen zu den medizinischen Behandlungen der Klägerin ein und befragte die behandelnden Ärzte. Dabei berichtete der Allgemeinarzt Dr. R., dass die Klägerin nach der Impfung am 06.06.2005 eine Lokalreaktion beschrieben habe, die beim Termin am 21.07.2005 bereits abgeklungen sei. Seinen Aufzeichnungen ist erst für den 13.02.2006 eine weitere Behandlung der Klägerin zu entnehmen, bei der eine Hypertonie und Parästhesien der Daumen und Füße bei seitengleich grober Kraft festgestellt worden seien. Die Orthopädin Dr. S. teilte am 27.08.2013 mit, dass die Klägerin am 20.02.2006 anamnestisch angegeben habe, dass „seit ca. zwei Wochen“ beide Großzehen wie taub seien und sie nicht mehr richtig gehen könne. Die Klägerin habe auch Parästhesien der Hände seit zwei bis drei Wochen sowie erhebliche Kopfschmerzen angegeben. In dem in einem früheren schwerbehindertenrechtlichen Verfahren der Klägerin erstellten Bericht des Nervenarztes R. wurde am 23.11.2006 darauf hingewiesen, dass sich die Klägerin erstmals am 22.02.2006 vorgestellt und angegeben habe, dass sie „seit etwa sechs Wochen“ unter einer Schwäche und Parästhesien beider Füße und zusätzlich der Hände leide. Einem Abschlussbericht des Krankenhauses H.W. vom 15.03.2006 ist zu entnehmen, dass die Klägerin dort stationär vom 01.03.2006 bis 15.03.2006 behandelt worden ist. Die Klägerin sei - so der Bericht - wegen „seit mehreren Wochen“ bestehenden sensomotorischen Paresen der Beine und Hände eingewiesen worden. U.a. wurde die Diagnose eines Guillain-Barre-Syndroms gestellt. Dem Abschlussbericht vom 22.05.2006 über den medizinischen Rehaaufenthalt der Klägerin in der A.-Klinik S-Stadt vom 20.03.2006 bis zum 16.05.2006 ist zu entnehmen, dass die Klägerin im Rahmen der Eigenanamnese über Schmerzen in den Beinen aufgrund von Fersensporn seit etlichen Jahren berichtet habe. „Im November“ habe das aktuelle Krankheitsgeschehen begonnen mit Einschlafen der Großzehen. Zunehmend habe sie die Kraft in den Beinen verloren. Das Ganze sei anschließend auf die Hände übergegangen. Es wurde u.a. die Verdachtsdiagnose einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (Differenzialdiagnose: Verschlechterung des bekannten Guillain-Barre-Syndroms) gestellt. In einem in einem schwerbehindertenrechtlichen Verfahren erstellten Befundbericht gab der Facharzt für Neurologie Dr. F. am 17.05.2008 an, dass er die Klägerin seit dem 20.08.2006 wegen der Diagnose einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie behandle. „Seit Februar 2006“ lägen eine Schwäche und Gefühlsstörungen zunächst nur in den Beinen, später auch in den Armen vor. Dem Abschlussbericht der neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums B-Stadt vom 24.10.2007 über eine zweitägige Behandlung im Oktober 2007 ist zu entnehmen, dass die Klägerin dort ein erstmaliges Auftreten eines Taubheitsgefühls der Unterschenkel mit leichter Schwäche im November 2005 beschrieben habe. Im Bericht der Deutschen Klinik für Diagnostik, Neurologie, vom 13.02.2008 wird darüber berichtet, dass die Klägerin vom 18.12.2007 bis zum 04.02.2008 tagesklinisch behandelt worden sei. Die Klägerin habe angegeben, „vor etwas mehr als 2 Jahren (11/05)“ zunächst eine Taubheit der Füße bemerkt zu haben. Als Diagnosen wurden genannt eine chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie und differenzialdiagnostisch ein Guillain-Barre-Syndrom.

Anschließend wurde die Klägerin versorgungsärztlich durch den Neurologen und Sozialmediziner B. im Rahmen einer ambulanten Untersuchung am 07.11.2013 begutachtet (Gutachten vom 11.11.2013). Die Klägerin habe dabei berichtet, dass es im September 2005 zu einer Erkrankung mit Erschöpfung und Gliederschmerzen gekommen sei. Im November 2005 sei es dann beim Spazierengehen mit den Hunden bei kalten Außentemperaturen zu einer Schwäche in beiden Beinen gekommen. Im Januar 2006 sei sie bei ihrem damaligen Hausarzt vorstellig gewesen, der eine verschleppte Grippe und einen sehr hohen Blutdruck festgestellt habe. Während der sich anschließenden Krankschreibung sei sie bei der Orthopädin Dr. S. und dem Nervenarzt R. gewesen; dort sei der Verdacht auf eine Polyradikulitis gestellt worden. Der Sachverständige wies darauf hin, dass sich aus den vorliegenden Unterlagen keine abnormen Impfreaktionen ableiten lassen würden. Die Angaben der Klägerin zu den Ersterscheinungen im November 2005 stünden in deutlichem Widerspruch zu den früheren Angaben der Klägerin. Es sei von Ersterscheinungen im Januar 2006 und somit einer Inkubationszeit von einigen Monaten auszugehen, was gegen einen Zusammenhang der FSME-Impfungen mit der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie der Klägerin spreche.

Der Neurologe und Psychiater Dr. K. stimmte in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 28.11.2013 dieser Einschätzung zu. Nach den zeitnahen Unterlagen sei eine angegebene Lokalreaktion nach der Impfung bei der nachfolgenden ärztlichen Vorstellung wieder abgeklungen gewesen. Die Symptomatik einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie habe sich erst Anfang 2006, also mehrere Monate nach den FSME-Impfungen vom 06.06.2005 und 21.07.2005 entwickelt. Damit ergebe sich kein enger zeitlicher Zusammenhang. Dies spreche gegen eine Auslösung der chronisch-entzündlichen Erkrankung durch die Impfungen.

Auch die Versorgungsärztin Dr. L. hat am 23.12.2013 der Beurteilung zugestimmt.

Mit Bescheid vom 16.01.2014 lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem IfSG ab. Die Klägerin führe ihre Erkrankung auf die Impfungen am 06.06.2005 und 21.07.2005 zurück. Die geltend gemachte Gesundheitsstörung einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie könne aber nicht als Folge einer Schädigung im Sinne des IfSG anerkannt werden, da der ursächliche Zusammenhang zwischen der Impfung und der Gesundheitsstörung nicht ausreichend wahrscheinlich sei.

Mit Schreiben vom 27.01.2014 legte die Klägerin Widerspruch ein. Folgende bei ihr aufgetretenen Impfreaktionen hat sie beschrieben:

- Impfung am 06.06.2005: „Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, Einstichstelle war heiß und geschwollen. Anmerkung des Arztes: ist normal.“

- Impfung am 21.07.2005: „Gelenkschmerzen, Schlappheit, Kopfschmerzen. Arzt: keine Reaktion.“

Ihr Gesundheitszustand habe sich von Anfang Juni 2005 bis Februar 2006 schleichend verschlechtert. Die anfänglichen Gelenkschmerzen seien in ein Kribbeln und Taubheitsgefühl übergegangen, die Schlappheit sei geblieben und durch ständige Müdigkeit ergänzt worden, die Kopfschmerzen seien permanent geworden. Im Februar 2006 sei die Situation eskaliert und sie habe wegen extrem hohen Blutdrucks und Schwindels zum Hausarzt müssen. Der habe sie aber wieder nur wegen einer Erkältung krankgeschrieben. Aufgrund eines Termins beim Orthopäden sei sie wegen des Verdachts auf ein Guillain-Barre-Syndrom ins Krankenhaus H.W. eingewiesen worden. In vielen Ländern seien FSME-Impfungen aufgrund schwerer Komplikationen zurückgenommen worden. Langzeitstudien würden völlig fehlen. Gravierend sei die Schwächung des Immunsystems, wie z.B. das Guillain-Barre-Syndrom. Im Arzneimitteltelegramm sei 1995 gemeldet worden, dass die Impfung Schübe von Autoimmunerkrankungen auslösen könne.

Auf Nachfrage des Beklagten übersandte Dr. R. Kopien seiner Behandlungsunterlagen und erläuterte seinen Eintrag vom 21.07.2005 (Tag der zweiten Impfung) wie folgt: „Die erste Impfung (FSME und Revaxis) erfolgte am 6.6.2005. Bei der zweiten Impfung am 21.7.2005 berichtete die Patientin, daß sie nach der Erstimpfung an einem der Oberarme eine Impfreaktion (lokale Schwellung und Rötung) bemerkt habe. Diese war am 21.07.2005 wieder abgeklungen.“ Den übersandten Unterlagen ist weiter zu entnehmen, dass der nächste Arzttermin, bei dem auch eine Impfung gegen Poliomyelitis und Diphtherie erfolgte, am 29.09.2005 stattfand. Dabei wurde u.a. wegen Parästhesien der linken Hand der Verdacht auf ein Karpaltunnelsyndrom geäußert und eine Handgelenksbandage verordnet. Die nächste Behandlung fand im Februar 2016 statt; dabei berichtete die Klägerin über Parästhesien in den Daumen beidseits und den Füßen, wobei die grobe Kraft nach den Aufzeichnungen von Dr. R. seitengleich war.

Die Fachärztin für Neurologie B. wies in der anschließend eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme von 25.04.2014 darauf hin, dass die von der Klägerin für die Zeit ab Juni 2005 angegebene Symptomatik sehr unspezifisch sei und nicht als spezifische Impffolge angesehen werden könne. Der behandelnde Allgemeinarzt habe berichtet, dass es nach den Angaben der Klägerin eine Lokalreaktion gegeben habe, die beim Termin am 21.07.2005 abgeklungen gewesen sei. Das Auftreten einer vorübergehenden Lokalreaktion könne nicht belegen, dass die Monate später aufgetretene Symptomatik eines Guillain-Barre-Syndroms hiermit in ursächlichem Zusammenhang stehe. Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie und den im Sommer 2005 erfolgten Impfungen könne nicht hergestellt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.05.2014 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Ein Zusammenhang mit den FSME-Impfungen am 06.06.2005 und 21.07.2005 könne nicht hergestellt werden.

Am 12.06.2014 haben die Bevollmächtigten der Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Bayreuth erhoben.

Mit Schreiben vom 24.09.2014 ist die Klage wie folgt begründet worden:

Die bei der Klägerin vorliegende chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie stelle einen Impfschaden dar. Die Klägerin möchte noch einmal ausführen, dass bereits nach der ersten Impfung ihr Arm geschwollen gewesen sei und sie Ermüdungserscheinungen gehabt habe. Nach der zweiten Impfung seien Grippeerscheinungen aufgetreten und neben der Müdigkeit auch vermehrt Kopfschmerzen. Eine deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustands sei schließlich im November erfolgt, hier habe die Klägerin über Gangunsicherheiten geklagt. Die Klägerin habe diese Symptome jedoch im Zusammenhang mit den Grippeerscheinungen gesehen. Einen Arzt habe sie somit erst Anfang 2006 aufgesucht. Da die Diagnose nicht von Anfang an eindeutig gestellt habe werden können, habe dies einige Zeit in Anspruch genommen, bis die Diagnose einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie festgestanden habe. Dass aufgrund der zeitlichen Verzögerung die Erkrankung nicht mehr als Folge der Impfung anerkannt werden solle, könne die Klägerin unter keinen Umständen nachvollziehen. Entsprechend den öffentlich zugänglichen Informationen über die Erkrankung entwickle sich diese schleichend, was dazu führe, dass eine Diagnose nur erschwert möglich sei. Dies sei auch bei der Klägerin der Fall gewesen. Durch den schleichenden Prozess sei auch die zeitliche Diskrepanz zu erklären; nach Angaben des Klinikums der Universität M-Stadt erreiche die Erkrankung das Maximum acht Wochen oder später nach Symptombeginn. Die zeitliche Verzögerung dürfe nicht dazu führen, dass ein Kausalzusammenhang verneint werde.

Anschließend hat das SG ärztliche Unterlagen eingeholt. Einem Gutachten des Neurologen Dr. W. für die deutsche Rentenversicherung vom 25.08.2010 ist zu entnehmen, dass die Klägerin im Rahmen der Eigenanamnese dort berichtet habe, dass sie „Ende 2005, November/Dezember,“ beim Spazierengehen mit den Hunden und beim Treppensteigen ein Schwächegefühl in den Beinen bemerkt habe. Im Februar 2006 sei sie zufälligerweise wegen Gliederschmerzen beim Orthopäden gewesen, der dann die Einweisung in eine neurologische Klinik veranlasst habe.

Im Auftrag des SG hat der Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie Prof. Dr. J. am 01.12.2015 ein Gutachten erstellt. Er ist darin zu der Einschätzung gekommen, dass die bei der Klägerin vorliegenden Impfreaktionen nach den Impfungen am 06.06.2005 (lokale Reaktion an der Impfstelle - Schwellung und Rötung -, die bei der zweiten Impfung bereits wieder abgeklungen gewesen sei) und 27.07.2005 (keine Angaben des impfenden Arztes über eventuelle Nebenwirkungen; die Klägerin habe Grippeerscheinungen und vermehrte Müdigkeit und Kopfschmerz angegeben) Ausdruck der normalen Auseinandersetzung des Organismus mit dem Impfstoff seien. Es handle sich um übliche Reaktionen, die zweifellos durch die Impfungen bedingt seien. Impfkomplikationen lägen daher nicht vor. Im Übrigen sprächen sowohl die gegenwärtigen Kenntnisse über die Pathogenese einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie als auch der zeitliche Verlauf bzw. der große zeitliche Abstand zwischen Impfung und dem ersten Auftreten von Symptomen gegen einen kausalen Zusammenhang.

Mit Schreiben vom 15.04.2016 haben sich die Bevollmächtigten der Klägerin zum Gutachten geäußert und zudem beantragt, Dr. H. gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu hören.

Dr. H. ist in seinem am 19.08.2016 erstellten Gutachten zu der Einschätzung gekommen, dass die bei der Klägerin vorliegende chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie mit Wahrscheinlichkeit durch die verabreichte Impfserie im Jahr 2005 ausgelöst worden sei und alternative Ursachen nicht erkennbar seien. Er hat Folgendes ausgeführt:

Nach dem ersten Impftermin am 06.06.2005 sei es zu einer Schwellung der Injektionsstelle und Gelenkschmerzen, Mattigkeit und Kopfschmerzen gekommen. Wie lange diese Beschwerden genau angehalten hätten, bleibe unklar. Nach der Beschreibung der Klägerin könne auch gefolgert werden, dass es nicht zum völligen Verschwinden dieser Symptomatik gekommen sei. Ein ähnliches Bild habe sich nach der zweiten FSME-Impfung am 21.07.2005 ergeben. Wieder seien Beschwerden an der Impfstelle, Müdigkeit und Gelenkschmerzen aufgetreten. Nach den Schilderungen der Klägerin seien diese Gelenkbeschwerden in ein Kribbeln übergegangen. Im September 2005 habe ein reduzierter Gesundheitszustand mit abnormer Müdigkeit vorgelegen. Über akute Beschwerden nach der IPV/Diphtherie-Impfung am 29.09.2005 sei nicht berichtet worden, vermutlich sei der Gesundheitszustand aber zum Zeitpunkt dieser Impfung noch reduziert gewesen. Ab November 2005 sei es zu motorischen Störungen beim Laufen gekommen. In der Folge sei dann im Januar/Februar 2006 die Diagnose einer entzündlichen Erkrankung des peripheren Nervensystems gestellt worden.

Bei den lokalen Reaktionen an der Injektionsstelle und den zeitgleich auftretenden systemischen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen und Mattigkeit handle es sich um bekannte und häufige Impfreaktionen. Die Grenze zur Impfkomplikation werde bei der Klägerin durch die lange Dauer dieser Beschwerden, den Übergang der Gelenkschmerzen in Missempfindungen, die lang anhaltende abnorme Mattigkeit und schließlich mit der Diagnosestellung der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie überschritten. Die chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie sei eine bekannte und schwerwiegende Impfkomplikation und könne im Fall der Klägerin durch die zwei FSME-Impfungen, die Revaxis-Impfung und die Diphtherie-Impfung bzw. die Kombination aller dieser Impfungen ausgelöst worden sein.

Zu den am 06.06.2005, 21.07.2005 und 29.09.2005 verwendeten Impfstoffen hat Dr. H. auf Folgendes hingewiesen:

- Bei dem FSME-Impfstoff handle es sich um einen sogenannten inaktivierten adjuvantierten Impfstoff. Um eine gute Immunreaktion zu erzeugen, seien die Virusbestandteile an 1 mg Aluminiumhydroxid als Immunverstärker (Adjuvans) adsorbiert. In der Fachinformation zum Impfstoff werde darauf hingewiesen, dass in (sehr) seltenen Fällen Nervenentzündungen bzw. entzündliche Reaktionen des Gehirns auftreten könnten.

- Der Impfstoff Revaxis sei ein inaktivierter Kombinationsimpfstoff gegen Tetanus, der Aluminiumhydroxid als Adjuvans in einer Menge von 0,35 mg enthalte. In klinischen Studien sei am häufigsten über lokale Nebenwirkungen an der Injektionsstelle berichtet worden. Diese würden in der Regel innerhalb von 48 Stunden nach der Impfung auftreten und ein bis zwei Tage anhalten. In der Fachinformation werde darauf hingewiesen, dass als sehr seltene Nebenwirkung Erkrankungen des Nervensystems, u.a. das Guillain-Barre-Syndrom, auftreten könnten.

- Der Diphtherie-Impfstoff (Impfung am 29.09.2005) enthalte ebenfalls Aluminiumhydroxid als Adjuvans und zusätzlich Thiomersal. Die Fachinformation von 2006 weise u.a. in Einzelfällen auf Erkrankungen des zentralen oder peripheren Nervensystems (u.a.. Guillain-Barre-Syndrom) und Entzündungen des peripheren Nervensystems als unerwünschte Nebenwirkungen hin. In der Fachinformation zum Diphtherie-Impfstoff werde auf unerwünschte Wirkungen des Nervensystems hingewiesen, u.a. auf vorübergehende leichte Parästhesien.

Diese Ausführungen würden klar zeigen, dass eine autoimmunvermittelte Polyneuritits, wie sie bei der Klägerin vorliege, als seltene Impfkomplikation der Adjuvantien der Impfstoffe (im Fall der Klägerin: FSME-Impfstoff, Revaxis und der Diphtherie-Impfstoff) bekannt und in den Fachinformation aller Produkte als seltene Komplikation auch beschrieben sei. In der Folge hat Dr. H. auf medizinische Veröffentlichungen hingewiesen, wonach das Adjuvans das Risiko der Entstehung einer Autoimmunerkrankung erhöhe. Sein Fazit sei, dass nach FSME-Impfungen Autoimmunerkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems bei disponierten Personen auftreten würden. Auch Thiomersal sei als Auslöser autoimmuner Reaktionen bekannt.

Zur Bewertung des kausalen Zusammenhangs zwischen den verabreichten Impfungen im Jahr 2005 und der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie der Klägerin hat der Sachverständige Folgendes ausgeführt:

Von entscheidender Bedeutung sei die Frage nach dem ersten Auftreten von Symptomen der Erkrankung. Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der ersten Impfung mit dem FSME-Impfstoff und Revaxis sei im Bereich der FSME-Impfstelle eine Schwellung aufgetreten und es sei zu einer Impfreaktion mit Kopfschmerzen und Gelenkschmerzen gekommen. Die Klägerin habe die folgende Zeit als eine beschrieben, in der sich ihr Gesundheitszustand schleichend verschlechtert habe. Die Gelenkschmerzen seien in Kribbeln und Taubheitsgefühl übergegangen, ohne dass sich der Zeitpunkt des Beginns exakt festlegen lasse. Nach der zweiten FSME-Impfung am 21.07.2005 sei es wieder zu Gelenkschmerzen, Schlappheit und Kopfschmerzen gekommen. Am 29.09.2005 seien dann mit dem IPV-Impfstoff und dem Diphtherie-Impfstoff die letzten Impfungen verabreicht worden. Ab November 2005 sei in mehreren ärztlichen Berichten erstmals die muskuläre Schwäche beim Spazierengehen beschrieben worden. Somit liege ein dokumentierter Beginn der Erkrankung wenige Wochen nach der Diphtherie-Impfung vor. Die Beschreibung der Erkrankung durch die Klägerin lege einen früheren Beginn mit schleichendem Verlauf und ohne diesbezügliche ärztliche Konsultation nahe. Eine chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie sei eine Erkrankung, bis zu deren Diagnosestellung oft mehrere Monate vergehen würden. Im September 2005 habe nach dem Bericht von Herrn B. eine Episode mit unklaren Gliederschmerzen und unnatürlicher Erschöpfung vorgelegen. Für demyelinisierende Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems durch eine autoimmune Attacke werde für einen Zusammenhang mit einer verabreichten Impfung derzeit ein plausibles Zeitintervall von bis zu 42 Tagen angesehen. Da man die genauen immunologischen Abläufe nicht kenne, orientiere man sich an empirischen Daten. Shoenfeld et alt. seien sogar der Ansicht, dass für Autoimmunerkrankungen nach Impfungen auch Intervalle von mehreren Monaten nicht unplausibel seien. Die unerwünschte Reaktion einer immunologisch vermittelten Entzündung des peripheren Nervensystems im Sinne einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie nach der FSME-Impfung, der Diphtherie-Monoimpfung und der Kombinationsimpfung mit Revaxis sei als bekannt zu betrachten. Besonderes Potenzial bezüglich der Auslösung autoimmuner Komplikationen komme im Fall der Klägerin sicherlich der verwendeten Diphtherie-Impfung zu, die mit dem Konservierungsmittel Thiomersal eine zusätzliche Komponente mit autoimmunem Auslösepotenzial beinhalte. Alternative Ursachen im Sinn von nachgewiesenen Infektionen oder anderen immunmodulationen Ereignissen seien in den Akten nicht dokumentiert. Das Kriterium des gesicherten Zusammenhangs im WHO-Algorithmus verlange einen positiven Expositionsversuch, der in Anbetracht der Schwere der Erkrankung bei der Klägerin nicht vertretbar sei. Somit seien im Fall der Klägerin die Kriterien erfüllt, die von der WHO für die Feststellung eines wahrscheinlichen Zusammenhangs gefordert würden, welche seien:

  • 1.plausibles zeitliches Intervall,

  • 2.plausible Hypothese zur Pathophysiologie und Bekanntheit der Reaktion und

  • 3.keine anderen möglichen Auslöser einer Autoimmunreaktion im plausiblen Zeitintervall.

Zu der nach deutschem Impfschadensrecht erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs hat sich der Sachverständige kritisch geäußert. Eine Kausalitätsbewertung dahingehend, dass die Kausalität dann wahrscheinlich sei, wenn wenigstens mehr für als gegen sie spreche, sei durchaus problematisch und bei vielen komplexen Verdachtsfällen von unerwünschten Wirkungen von Impfstoffen nicht wirklich anwendbar. Wenn man sich wissenschaftlich wirklich mit den Abläufen einer Impfkomplikation befasse, sei die Forderung nach einer gesundheitlichen Primärschädigung in Form einer unüblichen Impfreaktion sehr problematisch und entspreche keinesfalls dem aktuellen Kenntnisstand über immunologisch vermittelte Impfkomplikationen. Gerade die von Shoenfeld et alt. etablierten Fälle würden eben keine unmittelbar erkennbare Primärschädigung vermitteln, sondern nach einem symptomfreien Zeitintervall mit schleichendem Beginn einer schweren Erkrankung, bis zu deren Diagnosestellung dann wieder einige Zeit vergehe, verlaufen.

Die Vorgutachten hat Dr. H. wie folgt gewürdigt:

- Herr B. habe im versorgungsärztlichen Gutachten nur die FSME-Impfung diskutiert, nicht aber die weiteren verabreichten Impfungen. Aktuelle Forschung zu Impfungen und Autoimmunerkrankungen werde nicht vorgestellt. Die Stellungnahme sei daher nicht geeignet, eine korrekte Bewertung der Abläufe im Fall der Kläger zu ermöglichen.

- Der sozialgerichtliche Gutachter Prof. Dr. J. habe in seinem Gutachten Arbeiten nicht erwähnt, die schwere unerwünschte neurologische Wirkungen der FSME-Impfung belegen würden. Große Vorsicht sei bei der Interpretation der von Prof. Dr. J. zitierten Studien der Hersteller geboten, da diese Studien nur veröffentlicht würden, wenn sich die Hersteller hiervon einen Vorteil versprächen. Prof. Dr. J. behaupte, die Arbeiten von Shoenfeld et alt. zur Autoimmunität und Adjuvantien in Impfstoffen würden lediglich eine Hypothese darstellen, die bis heute nicht wirklich bewiesen worden sei. Allerdings unternehme der Gutachter auch nicht den Versuch, diese Hypothese kritisch zu prüfen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Aufgrund der dargelegten Schwächen sei das Gutachten von Prof. Dr. J. ungeeignet, den Fall korrekt zu bewerten.

Der Beklagte hat mit einer 13-seitigen versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 16.09.2016 durch den Neurologen Dr. K. erläutert, warum dem Gutachten des Dr. H. aus seiner Sicht nicht zu folgen sei. Der Symptombeginn der Erkrankung der Klägerin könne nicht vor Januar 2006 datiert werden. Die später gemachten Ausführungen der Klägerin zu einem deutlich früheren Symptombeginn seien erst im Verlauf des IfSG-Verfahrens getätigt worden, während die zeitnah dokumentierten Befunde andere Informationen liefern würden. Im Hinblick auf die angeschuldigten Impfungen bestehe somit ein Zeitintervall von ca. sieben bzw. fünfeinhalb Monaten von der Impfung bis zum Krankheitsbeginn der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie. Die Entwicklung einer autoimmunologisch bedingten Polyneuritis mit einem derartigen zeitlichen Abstand zu einer eventuellen Antigenpräsentation im Rahmen einer Impfung sei jedoch bereits aus pathophysiologischen Gründen nicht plausibel. Bei Fällen eines Guillain-Barre-Syndroms, in denen eine vorauslaufende Infektion dokumentiert sei, würden diese Infektionen den ersten Symptomen der neurologischen Krankheit um nicht länger als vier Wochen vorausgehen. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass Evidenzen für das Auftreten einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie als Folge einer Impfung nicht vorlägen. Fälle einer zeitlichen Assoziation einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie mit einer Impfung gegen FSME seien bislang überhaupt nicht beschrieben. Die Ausführungen von Dr. H. zur Toxizität von in Impfstoffen enthaltenen Aluminiumverbindungen entsprächen nicht dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft. Abschließend hat Dr. K. darauf hingewiesen, dass Nebenwirkungen in den vor dem Jahr 2001 verwendeten FSME-Impfstoffen noch verhältnismäßig häufig gewesen seien, seitdem aber der Impfstoff als sicher betrachtet werden könne. Unabhängige Postmarketingsanalysen mit Beobachtung von mehr als 5 Millionen Impfdosen hätten kein potentielles Impfrisiko erkennen lassen.

Mit Urteil vom 06.12.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klageabweisung hat das SG damit begründet, dass eine Impfkomplikation im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung nicht nachgewiesen sei. Die Rötung an der Stelle der Impfung gehe über das Ausmaß einer normalen Impfreaktion nicht hinaus. Auf Unstimmigkeiten bei der Schilderung der Klägerin über Art und Ausmaß der Komplikationen hat das SG hingewiesen. Das SG hat auch keinen wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung der Klägerin gesehen.

Gegen das am 20.12.2016 zugestellte Urteil haben die Bevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 03.01.2016 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt.

Mit Schreiben vom 28.03.2017 haben sie den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. J. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und zudem die Berufung wie folgt begründet:

Im Urteil des SG fehle der Hinweis auf die Impfung vom 29.09.2005. Die Aussage im Tatbestand des Urteils, die Klägerin habe bei der Untersuchung durch die Orthopädin Dr. S. am 20.02.2006 angegeben, seit 2 bis 3 Wochen Parästhesien in den Händen zu haben, sei so nicht richtig. Sie habe bereits beim Hausarzt Dr. R. am 21.07.2005 derartige Beschwerden (linke Hand) vorgebracht. Wenn der Klägerin bei der Untersuchung durch den Gutachter im Verwaltungsverfahren zur Last gelegt werde, dass ihre Angaben im Widerspruch zu denen im Rahmen der Untersuchung bei der ersten Behandlung im Krankenhaus H.W. stünden, sei dies falsch. Die Aussage, dass Ersterscheinungen erst im Jahr 2006 aufgetreten seien, sei bereits durch die vorher gemachten Untersuchungen und Arzttermine widerlegt. Eine chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie entwickle sich langsam und erreiche ihr Maximum definitionsgemäß acht Wochen oder später nach Symptombeginn. U.a. komme es zu symmetrischen Lähmungen und Sensibilitätsstörungen. Wenn der Hausarzt für den 21.07.2005 berichtet habe, dass die Impfreaktion wieder abgeklungen gewesen sei, sei demgegenüber darauf hinzuweisen, dass bereits am 21.07.2005 die auftretende Parese dokumentiert sei. Dr. H. habe aus den Unterlagen ablesen können, dass die Beschwerden eindeutig ab dem 21.07.2005 beschrieben und dokumentiert seien. Die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. K. sei unrichtig. Beispielsweise ergebe sich aus Studien, dass Aluminium in Impfstoffen das Autismus-Risiko erhöhe. Impfungen würden zudem das Risiko für Autoimmunerkrankungen erhöhen, was auch darin seine Bestätigung finde, dass impfbedingte Autoimmunerkrankungen nunmehr unter der Bezeichnung „ASIA“ zusammengefasst würden. Unerwünschte Nebenwirkung der FSME-Impfung sei u.a. das Guillain-Barre-Syndrom, dessen chronische Verlaufsform die chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie sei. Sofern im Urteil des SG davon ausgegangen worden sei, dass Unstimmigkeiten in den Ausführungen der Klägerin hinsichtlich einer Impfkomplikation gegeben seien, entspreche dies nicht der Wahrheit. Tatsächlich hätten die Paresen in der linken Hand begonnen und sich im Laufe der Zeit bis zum 29.09.2005 auf beide Hände ausgebreitet. Es werde angeregt, im Rahmen der Ermittlungen von Amts wegen ein weiteres Gutachten einzuholen.

Den Befangenheitsantrag gegen den erstinstanzlichen Sachverständigen Prof. Dr. J. hat der Senat mit Beschluss vom 05.05.2017 als unzulässig verworfen und ergänzend darauf hingewiesen, dass der Befangenheitsantrag auch in der Sache keinen Erfolg haben könnte.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils vom 06.12.2016 sowie des Bescheids vom 16.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.05.2014 den Beklagten zu verurteilen, die chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie als Impfschädigung anzuerkennen und ab 01.05.2013 Versorgung nach einem GdS von 80 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen worden sind die Akten des SG sowie die Verwaltungsakten des Beklagten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Der Beklagte hat es zu Recht, wie es auch das SG bestätigt hat, abgelehnt, bei der Klägerin einen Impfschaden anzuerkennen und Versorgung zuzusprechen.

Der Bescheid vom 16.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2014 ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG liegen nicht vor, weil es vorliegend schon am Nachweis des Primärschadens, also einer Impfkomplikation, fehlt.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 16.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.05.2014, mit dem der Antrag auf Entschädigung wegen eines Impfschadens infolge der Impfungen am 06.06.2005 (gegen Frühsommer-Menigoencephalitis (FSME) mit dem Impfstoff FSME-immun(r) sowie gegen Poliomyelitis, Diphtherie und Tetanus mit dem Kombinationsimpfstoff Revaxis(r)) und am 21.07.2005 (FSME-Impfung mit dem Impfstoff FSME-immun(r)) abgelehnt worden ist. Die Impfung am 29.09.2005 ist hingegen nicht Streitgegenstand, da dazu der Beklagte - dem Antrag der Klägerin folgend - in den angefochtenen Bescheiden keine Regelung getroffen hat.

Das Begehren der Klägerin beurteilt sich nach dem IfSG, weil der Antrag vom 16.05.2013 zu einem Zeitpunkt gestellt worden ist, als das - das BSeuchG ohne Übergangsvorschrift ablösende (vgl. Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften vom 20.07.2000, BGBl. I, S. 1045) - IfSG (seit dem 01.01.2001) in Kraft war (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 20.07.2005, B 9a/9 VJ 2/04 R).

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

  • 1.von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,

  • 2.auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde,

  • 3.gesetzlich vorgeschrieben war oder

  • 4.auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), soweit das IfSG nichts Abweichendes bestimmt.

Der Impfschaden wird in § 2 Nr. 11 IfSG definiert als die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung, wobei ein Impfschaden auch vorliegt, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde.

Die Anerkennung als Impfschaden setzt eine dreigliedrige Kausalkette voraus (ständige Rspr., vgl. zum gleichgelagerten Recht der Soldatenversorgung: BSG, Urteile vom 25.03.2004, B 9 VS 1/02 R, und vom 16.12.2014, B 9 V 3/13 R): Ein schädigender Vorgang in Form einer „Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe“, die die genannten Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllen muss (1. Glied), muss zu einer „gesundheitlichen Schädigung“ (2. Glied), also einem Primärschaden (d.h. einer Impfkomplikation) geführt haben, die wiederum den „Impfschaden“, d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also den Folgeschaden (3. Glied) bedingt.

Neben einer „Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe“, die die genannten Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllen muss (1. Glied), müssen die „gesundheitliche Schädigung“ (2. Glied) als Primärschädigung, d.h. die Impfkomplikation, und der „Impfschaden“ (3. Glied), d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also der Folgeschaden, vorliegen. Diese drei Glieder der Kausalkette müssen - auch im Impfschadensrecht - im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (ständige Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteile vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R, und vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R; Hessisches LSG, Urteil vom 26.06.2014, L 1 VE 12/09; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.07.2016, L 13 VJ 19/15). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, 9/9a RV 1/92).

Sofern demgegenüber der 15. Senat des Bayer. LSG in seinem Urteil vom 31.07.2012, L 15 VJ 9/09, zur Frage des Primärschadens ausgeführt hat

"Der Betroffene muss zweitens eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben (auch wenn diese vielleicht nicht eindeutig zu identifizieren und zeitlich zu fixieren sein mag); dabei muss es im haftungsbegründenden Tatbestand unabdingbar zu einer gesundheitlichen Schädigung (= Primärschädigung) gekommen sein, rein wirtschaftliche Nachteile genügen insoweit nicht. Zum haftungsbegründenden Tatbestand gehört auch, dass die Primärschädigung im Sinn von § 2 Nr. 11 IfSG über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgeht."

und weiter

„Es wäre allerdings realitätsfremd, in jedem impfschadensrechtlichen Fall zu verlangen, es müsse eine deutlich wahrnehmbare und fixierbare Primärschädigung festgestellt werden. Allgemein dient die Dreigliedrigkeit dazu, bestimmte Geschehnisabläufe bereits auf einer Vorstufe der Prüfung “auszusondern„und das Fehlen kausaler Zusammenhänge leichter erkennen zu können. Je mehr sich die Kausalitätsprüfung in gedankliche Zwischenschritte “zerlegen„lässt, desto objektivierbarer kann der Geschehnisablauf rechtlich aufgearbeitet werden (vgl. Kunze, Kausalität in der gesetzlichen Unfallversicherung, VSSR 2005, S. 299 <302>). Diese Differenzierung ist aber dann nicht möglich, wenn die Schädigung, also der (erste) Eingriff in das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit, nicht deutlich zu Tage tritt, sondern wie hier im Verborgenen erfolgt (a.A. wohl Meßling in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Auflage 2012, § 60 IfSG, Rn. 62). Zweifellos ist in solchen Fällen die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung schwieriger, weil sich der Verursachungspfad nicht klar abzeichnet. Dennoch darf nicht per se wegen der Nichterkennbarkeit einer Primärschädigung am Rechtsgut der körperlichen Gesundheit die Wahrscheinlichkeit des kausalen Zusammenhangs negiert werden. Vielmehr muss der Zusammenhang zwischen Impfung und manifestiertem Gesundheitsschaden in einer einzigen gedanklichen “Etappe„beurteilt werden (vgl. LSG Bayern, Breithaupt 2012, S. 51 <56>).“, kann der Senat dem nicht folgen. Denn damit verzichtet der 15. Senat auf das Erfordernis des Vollbeweises beim Primärschaden. Wenn der 15. Senat die Anforderungen an den Nachweis des Vollbeweises in der vorgenannten Entscheidung durch den Hinweis

„Sehr wichtige “Mosaiksteine„sind dabei die mehr oder weniger zeitnah zur Impfung beim Kläger beobachtete Symptomatik, das allgemein auftretende Bild eines Impfschadens mit einer Beteiligung eines peripheren Nerven, die Ätiologie des beim Kläger vorhandenen Krankheitsbilds, die Pathogenese in Bezug auf mögliche Alternativursachen.“

relativiert und letztlich in Frage stellt, steht dies nicht in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben und der klaren obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung. Ob der 15. Senat dieser Entscheidung auch heute noch folgen würde, steht im Übrigen in Frage (vgl. Urteil des 15. Senats vom 11.07.2017, L 15 VJ 6/14, in dem die Frage ausdrücklich offen gelassen worden ist, inwiefern der Primärschaden nachgewiesen sein muss).

So geht das BSG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Primärschaden im Vollbeweis nachgewiesen sein muss. Es hat im Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, Folgendes ausgeführt:

"Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sog Vollbeweis - feststehen müssen und allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit ausreicht (s § 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (s BSGE 60, 58 = SozR 3850 § 51 Nr. 9; Rohr/Sträßer/Dahm, aaO Anm. 11 mwN). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind."

Genauso ist die Rechtsprechung im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung. Auch dort ist der Nachweis des unmittelbar nach dem schädigenden Vorgang vorliegenden Gesundheitsschadens, dort auch „Erstschaden“ genannt, im Vollbeweis zu führen. So hat das BSG in zwei Urteilen vom 24.07.2012, B 2 U 9/11 R und B 2 U 23/11 R, jeweils formuliert:

„Die den Versicherungsschutz in der jeweiligen Versicherung begründende “Verrichtung„, die (möglicherweise dadurch verursachte) “Einwirkung„und der (möglicherweise dadurch verursachte) “Erstschaden„müssen (vom Richter im Überzeugungsgrad des Vollbeweises) festgestellt sein.“

Eine irgendwie geartete Beweiserleichterung beim Primärschaden, wie es der 15. Senat des Bayer. LSG im oben aufgezeigten Urteil mit der Beurteilung „des Zusammenhangs zwischen Impfung und manifestiertem Gesundheitsschaden in einer einzigen gedanklichen Etappe“ anhand von „Mosaiksteinen“, die den Nachweis des Primärschadens im Vollbeweis als „realitätsfremd“ und damit verzichtbar erscheinen lassen sollen, getan hat, ist damit nicht vereinbar. Soweit die Entscheidung des 15. Senats offenbar von dem Unbehagen getragen worden ist, „bestimmte Geschehnisabläufe bereits auf einer Vorstufe der Prüfung“ - gemeint ist vor der Prüfung der Kausalität - „auszusondern“, kann der Senat dieses Unbehagen auch in der Sache nicht nachvollziehen. Gerade im Bereich des Impfschadensrechts stehen oft Erkrankungen im Raum, die in einem mehr oder weniger weiten zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung aufgetreten sind, für die es aber schwer ist, eine Erklärung zu finden, entweder weil die Ursache der Erkrankung an sich schwer oder kaum zu klären ist oder weil für die Auslösung der Erkrankung auch andere Ursachen außerhalb der Impfung denkbar sind; denn eine Impfung ist typischerweise nicht mit einem massiven Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verbunden, sondern stellt regelmäßig eine Belastung dar, wie sie auch im täglichen Leben vorkommen kann, ohne dass dies dem Betroffenen als besonders belastend auffallen würde. Würde angesichts des aufgezeigten Dilemmas auf den Nachweis des Primärschadens, der zumindest plausibel belegt, dass der Körper auf die Impfung unüblich stark reagiert hat und daher eine impfuntypische Beeinflussung des Gesundheitszustands naheliegt, verzichtet, würde damit die vom Gesetzgeber verlangte Nachweisführung massiv erleichtert und zu Gunsten kranker Menschen eine Entschädigung ermöglicht, die der Gesetzgeber lediglich für Fälle vorgesehen hat, in denen der Zusammenhang nur unter vergleichsweise strengen, so aber vom Gesetzgeber gewollten Voraussetzungen festgestellt werden kann. Sollte der Gesetzgeber die Anerkennung eines Impfschadens auch unter reduzierten Beweisanforderungen zulassen wollen, müsste er die gesetzlichen Vorgaben ändern. Eine Korrektur im Wege der Rechtsprechung hingegen würde gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz verstoßen.

Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache nach den allgemeinen Regeln der Beweislast zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs auf ihr Vorliegen stützt.

Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder der Kausalkette nach § 61 Satz 1 IfSG aus, wenn dieser jeweils mit Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität. Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle, versorgungsrechtlich geschützte Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, 10 RV 15/77), also mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang spricht (vgl. BSG, Urteile vom 19.08.1981, 9 RVi 5/80, vom 26.06.1985, 9a RVi 3/83, vom 19.03.1986, 9a RVi 2/84, vom 27.08.1998, B 9 VJ 2/97 R, und vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./ Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 26.11.1968, 9 RV 610/66, und vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R).

Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie nach der versorgungsrechtlichen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 08.08.1974, 10 RV 209/73) rechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs „annähernd gleichwertig“ sind. Während die ständige unfallversicherungsrechtliche Rechtsprechung (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, und vom 30.01.2007, B 2 U 8/06 R) demgegenüber den Begriff der „annähernden Gleichwertigkeit“ für nicht geeignet zur Abgrenzung hält, da er einen objektiven Maßstab vermissen lasse und missverständlich sei, und eine versicherte Ursache dann als rechtlich wesentlich ansieht, wenn nicht eine alternative unversicherte Ursache von überragender Bedeutung ist, hat der für das soziale Entschädigungsrecht zuständige 9. Senat des BSG in seinem Urteil vom 16.12.2014, B 9 V 6/13 R, zur annähernden Gleichwertigkeit Folgendes ausgeführt:

„Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Haben also neben einer Verfolgungsmaßnahme mehrere weitere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen, ist die Verfolgungsmaßnahme versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge der Verfolgungsmaßnahme zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Verfolgungsmaßnahme in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen.“

Von einer annähernden Gleichwertigkeit einer versorgungs- und damit auch impfschadensrechtlich geschützten Ursache kann daher - im Gegensatz zu der für den Betroffenen günstigeren unfallversicherungsrechtlichen Rechtsprechung - nur dann ausgegangen werden, wenn ihre Bedeutung gleich viel oder mehr Gewicht hat als die der andere(n) Ursache(n) (zusammen).

Die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinn als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, ist im jeweiligen Einzelfall aus der Auffassung des praktischen Lebens abzuleiten (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2001, B 9 V 5/00 R).

Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Gesundheitsschäden zu erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R).

Kann eine Aussage zu einem (hinreichend) wahrscheinlichen Zusammenhang nur deshalb nicht getroffen werden, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt die sogenannte Kannversorgung gemäß § 61 Satz 2 IfSG in Betracht. Von Ungewissheit ist dann auszugehen, wenn es keine einheitliche, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, B 9/9a VS 5/06). In einem solchen Fall liegt eine Schädigungsfolge dann vor, wenn bei Zugrundelegung der wenigstens einen wissenschaftlichen Lehrmeinung nach deren Kriterien die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs nachgewiesen ist (vgl. Bayer. LSG, Urteile vom 19.11.2014, L 15 VS 19/11, vom 21.04.2015, L 15 VH 1/12, vom 15.12.2015, L 15 VS 19/09, und vom 26.01.2016, L 15 VK 1/12). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, 9/9a RV 41/92).

Lässt sich der Zusammenhang nicht (hinreichend) wahrscheinlich machen und auch nicht über die Kannversorgung herstellen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache nach den allgemeinen Beweislastgrundsätzen zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf das Vorliegen des Zusammenhangs stützen möchte, also des Anspruchsstellers.

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall schon eine Impfkomplikation (Primärschaden, 2. Glied der Kausalkette) nach den Impfungen vom 06.06.2005 und 21.07.2005 nicht nachgewiesen. Dabei stützt sich der Senat auf die vorliegenden ärztlichen Berichte und Aufzeichnungen, insbesondere des impfenden Hausarztes, und die Einschätzungen sämtlicher Sachverständiger und Versorgungsärzte, die sich mit dieser Frage im Laufe des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens befasst haben.

Nach der ersten Impfung am 06.06.2005 hat es bei der Klägerin nur eine lokale Impfreaktion gegeben, die dem entspricht, was bei einer derartigen Impfung üblich und zu erwarten ist. Nach den eigenen Angaben der Klägerin gegenüber ihrem Hausarzt am 21.07.2005 war diese typische Impfreaktion bis zum 21.07.2005 wieder abgeklungen. Dr. R. hat am 21.07.2005 weder atypische Befunde erhoben noch Angaben der Klägerin vermerkt, die auf eine atypische Impfreaktion hindeuten würden.

Auch nach der zweiten Impfung am 21.07.2005 sind nach den vorliegenden Arzt- und Klinikberichten keine Befunde erhoben worden, die auf eine unübliche Impfreaktion der Klägerin hinweisen würden.

Wenn die Klägerin erst während des Verfahrens nach dem IfSG, also viele Jahren nach den Impfungen, behauptet, sie hätte sowohl nach der ersten als auch nach der zweiten Impfung erhebliche und anhaltende Nebenwirkungen verspürt und zudem eine schleichende Verschlechterung des Gesundheitszustands bemerkt, sind dies Behauptungen der Klägerin, die durch keinerlei objektiven Tatsachen oder Befunde gestützt werden; sie sind offensichtlich unter dem Eindruck des impfschadensrechtlichen Verfahrens erfolgt und stehen zudem in Widerspruch zu zeitnahen Angaben der Klägerin. Der Senat kann den Angaben der Klägerin, sie habe nach den Impfungen erhebliche und anhaltende Nebenwirkungen verspürt und zudem eine schleichende Verschlechterung des Gesundheitszustands beobachtet, keinen Glauben schenken. Es ist auffällig, dass die Klägerin ihre Angaben zum Beschwerdebeginn im Laufe des Verfahrens immer mehr hin zu einem immer früheren Beginn, wie er für die Geltendmachung ihres Begehrens hilfreich sein könnte, angepasst hat. Dass diese im Laufe des Verfahrens modifizierten Angaben der Klägerin nicht den Tatsachen entsprechen oder sich zumindest nicht nachweisen lassen, ergibt sich für den Senat aus den ersten und damit zu den Impfungen zeitlich am nächsten erfolgten Angaben der Klägerin im Februar 2006. So hat sie bei den 20.02.2006 bzw. 22.02.2006 stattgefundenen Behandlungen lediglich von Beschwerden berichtet, die vor etwa zwei bzw. sechs Wochen begonnen hätten. Ein Auftreten von Gesundheitsstörungen, die über eine übliche Impfreaktion hinausgehen würde, noch im Jahr 2005, geschweige denn zeitnah nach den beiden Impfungen im Juni und Juli 2005, ist damit für den Senat nicht im Vollbeweis nachgewiesen. Wenn die Klägerin später anderes behauptet, erscheint dies nicht glaubhaft.

Sofern die Klägerin zuletzt in der Berufungsbegründung und auch wieder in der mündlichen Verhandlung die Behauptung aufgestellt hat, dass bei der zweiten Impfung am 21.07.2005 bereits eine Parese und damit aus ihrer Sicht eine Impfkomplikation vorgelegen habe und dies der von ihr benannte Gutachter Dr. H. auch so als belegt angesehen habe, ist diese Behauptung durch nichts nachgewiesen und findet auch im Gutachten des Dr. H. keine Bestätigung. Die Behandlungsunterlagen des Hausarztes enthalten lediglich den Hinweis darauf, dass die Klägerin am 29.09.2005, nicht schon am 21.07.2005, eine Parästhesie der linken Hand angegeben habe, dafür die Diagnose z.B. eines Karpaltunnelsyndroms gestellt und ihr eine Handgelenksbandagen verordnet worden sei. Eine von der Klägerin behauptete Parästhesie der linken Hand schon am 21.07.2005 und eine Ausdehnung auf beide Hände bis zum 29.09.2005 stehen daher in Widerspruch zu den ärztlichen Aufzeichnungen des behandelnden Arztes Dr. R.. Obwohl die am 29.09.2005 erfolgten Angaben zu einer Parästhesie der linken Hand allen Gutachtern bekannt waren, hat keiner der Sachverständigen darin eine (potentielle) Impfkomplikation gesehen, auch nicht der von der Klägerin gemäß § 109 SGG benannte Dr. H. Weitere ärztliche Befunde, die im Jahr 2005 potentielle Impfreaktionen belegen würden, gibt es nicht. Die Klägerin begab sich erst im Februar 2006 wieder in ärztliche Behandlung. Es spricht daher alles dafür, dass die von der Klägerin am 29.09.2005 geschilderte Parästhesie einer Hand lediglich eine vorübergehende Erscheinung war, die mit einer Handbandage adäquat behandelt worden ist mit der Folge, dass die Beschwerden vollständig, zumindest aber weitgehend wieder verschwunden sind. Dass diese Gefühlsstörung an der linken Hand im September 2005 nicht im Zusammenhang mit den Impfungen und dem später diagnostizierten Guillain-Barre-Syndrom bzw. der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie steht, wovon ersichtlich auch die beiden gerichtlichen Gutachter ausgegangen sind, ergibt sich schon daraus, dass es sich nur um eine einseitige, nicht aber symmetrische, also beide Hände betreffende Gefühlsstörung gehandelt hat, wie sie typisch für das Guillain-Barre-Syndrom und danach eine chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie wäre. Zudem ergibt sich auch aus den eigenen Angaben der Klägerin, dass sich diese Gefühlsstörung wieder vollständig zurückgebildet hat. So hat die Klägerin bei späteren ärztlichen Untersuchungen wiederholt angegeben, dass die Gefühlsstörungen zuerst in den Füßen und dann in den Händen aufgetreten seien. Die einmalig diagnostizierte einseitige Gefühlsstörung in der linken Hand im September 2005 muss sich daher wieder vollständig oder zumindest weitestgehend zurückgebildet haben. Eine schleichende Verschlimmerung, wie sie die Klägerin später behauptet hat, ist daher durch ihre eigenen Angaben widerlegt. Eine Impfkomplikation sieht der Senat in Übereinstimmung mit den Sachverständigen nicht.

Wenn der von der Klägerin benannte Gutachter Dr. H. demgegenüber wegen des ihm von der Klägerin geschilderten, nicht aber durch objektive Befunde belegten Verlaufs der Erkrankung vom Nachweis einer entsprechenden Primärschädigung ausgeht, ist dies nicht nachvollziehbar. Dr. H. hat selbst darauf hingewiesen, dass nach den streitgegenständlichen Impfungen lediglich übliche Impfreaktionen aufgetreten seien. Nach seinem eigenen Vortrag kann daher nicht von einer Impfkomplikation, wie sie Voraussetzung für die Herstellung des 2. Glieds der impfschadensrechtlichen Kausalkette ist, ausgegangen werden. Ganz offensichtlich hat er sich, wenn er dann gleichwohl einen Impfschaden annimmt, allein auf die späteren - unbewiesenen und mit den zeitnahen Angaben der Klägerin nicht kompatiblen - Angaben der Klägerin gestützt. Sofern die Klägerin demgegenüber meint, Dr. H. habe in den Unterlagen objektive Befunde als Bestätigung des von ihr behaupteten Verlaufs gefunden, irrt sie. Dr. H. hat lediglich die Angaben wiederholt, die die Klägerin gemacht hat, ohne dass die Richtigkeit dieser Angaben bewiesen wäre. Wenn Dr. H. auf S. 19 seines Gutachtens ausführt, „im September 2005 lag nach dem Bericht von Herrn B. eine Episode mit unklaren Gliederschmerzen und unnatürlicher Erschöpfung vor“, stellt diese Feststellung eine eklatante Verdrehung der Tatsachen dar und kann nur als eindeutiger Beleg für ein nicht nur unwissenschaftliches, sondern sogar unseriöses Vorgehen des Dr. H. gewertet werden. Denn im Gutachten des Versorgungsarztes B. vom 07.11.2013 weist dieser auf S. 5 ausdrücklich darauf hin, dass die Klägerin bei seiner Untersuchung „berichtet“ habe, im September 2005 einen Erschöpfungstatbestand entwickelt zu haben, diese Angabe aber „in deutlichem Widerspruch“ zu den Angaben der Klägerin bei zeitnahen Behandlungen stehe - so Herr B. nur 7 Zeilen weiter unten! Für den Senat lässt sich diese - für die Klägerin vermeintlich hilfreiche - Verdrehung der Tatsachen nicht mit einer Nachlässigkeit des Gutachters erklären, sondern kann nur als Beleg für eine bewusst-manipulative Gutachtenserstellung gewertet werden, die eine Verwertbarkeit von Gutachten dieses Arztes grundsätzlich in Frage stellt. Diese Bedenken gegenüber der gutachtlichen Arbeitsweise des Dr. H. werden noch dadurch verstärkt, das Dr. H. - dem geschilderten Schema folgend - die (unrichtige) Feststellung trifft, dass erstmals im November 2005 in mehreren ärztlichen Berichten eine muskuläre Schwäche der Klägerin beim Gehen beschrieben worden sei. Tatsächlich gibt es aber keinen einzigen ärztlichen Bericht, in dem eine solche Schwäche bereits im November 2005 beschrieben worden wäre. Vielmehr gibt es nur ärztliche Berichte aus dem Jahr 2006 und später darüber, dass die Klägerin angegeben habe, im November 2005 unter einer solchen Schwäche gelitten zu haben. Auch hier stellt sich wieder die Frage, ob nicht von einem bewusst manipulativen Vorgehen des Dr. H. ausgegangen werden muss. Von einem dokumentierten Beginn der Erkrankung wenige Wochen nach der (zudem nicht streitgegenständlichen) Impfung vom 29.09.2005 kann daher entgegen den anders lautenden Ausführungen des Dr. H. keine Rede sein.

Auch kann die Argumentation des Dr. H. nicht überzeugen, wenn dieser versucht, eine Impfkomplikation daraus herzuleiten, dass eine impftypische Reaktion länger als normal angehalten habe und daher eine Impfkomplikation vorliege. Ganz abgesehen davon, dass die Annahme, dass sich aus einer üblichen Impfreaktion eine Impfkomplikation allein durch Zeitablauf entwickeln könne, für den Senat so nicht nachvollziehbar ist, beruht die Annahme des Dr. H. auch darauf, dass er nicht nachgewiesene und für den Senat sogar widerlegte Tatsachen als gegeben zu Grunde legt. Denn die Annahme des Dr. H., dass sich die üblichen Impfreaktionen nicht zurückgebildet, sondern im Laufe der Zeit immer mehr verschlimmert hätten, ist durch keinen einzigen ärztlichen Befund belegt. Vielmehr ist durch die Angaben der Klägerin am Tag der zweiten Impfung (21.07.2005), wie sie ihr behandelnder Arzt dokumentiert hat, sogar widerlegt, dass sich die übliche Impfreaktion nicht zurückgebildet hätte. So hat Dr. R. ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Klägerin zwar über eine lokale Schwellung und Rötung nach der ersten Impfung berichtet habe, diese aber am 21.07.2005, also bei der zweiten Impfung, bereits wieder abgeklungen gewesen seien. Insofern sind die Angaben der Klägerin, die sie im Laufe des Verfahrens und insbesondere auch bei der Begutachtung durch Dr. H. gemacht hat, als unrichtig widerlegt. Dafür, dass der Beschwerdeverlauf nach der zweiten Impfung anders gewesen wäre als der nach der ersten Impfung, bei der eine übliche Impfreaktion aufgetreten und - ebenso wie üblich - wieder abgeklungen ist, gibt es keine Belege. Einzig die Klägerin hat im Laufe des Verfahrens ihre Angaben dahingehend angepasst und modifiziert. Ein derartiger Verlauf würde auch in Widerspruch stehen zu den ersten, auch schon modifizierten Angaben der Klägerin, wie sie diese im Laufe des Jahres 2006 aufgestellt hat. So hat sie nach den Behandlungen durch den Nervenarzt R. und die Orthopädin Dr. S. angegeben, dass der Beschwerdebeginn im November 2005 erfolgt sei. Die zuletzt auch bei Dr. H. erfolgte Modifikation des Beschwerdeverlaufs dahingehend, dass sich bereits ab den Impfungen durchgehend eine Verschlechterung eingestellt hätte, ist damit schon durch die zuvor von der Klägerin bereits modifizierten Angaben widerlegt. Insgesamt ist der Senat zu der Einschätzung gekommen, dass den Angaben der Klägerin mit umso größeren Vorbehalten zu begegnen ist, umso später diese gemacht worden sind.

Sofern die Klägerin zuletzt in der mündlichen Verhandlung versucht hat, dem Senat einen früheren Beginn des Krankheitsverlaufs dadurch zu suggerieren, dass sie angegeben hat, sie gehe grundsätzlich kaum zum Arzt und sei im Februar 2006 erst dann zum Arzt gegangen, als sie kaum noch hätte laufen können, sind auch diese Angaben der Klägerin durch die vorliegenden ärztlichen Berichte widerlegt. So ist den Behandlungsunterlagen des Dr. R. zu entnehmen, dass die Klägerin - erstmals nach dem Behandlungstermin am 29.09.2005 - am 13.02.2006 bei ihm in der Praxis war und dort Parästhesien beider Daumen und der Füße sowie eine Kraftlosigkeit angegeben habe. Dr. R. hat dabei aber eine seitengleich grobe Kraft festgestellt und keinerlei Befunde beschrieben, die an ein massiv eingeschränktes Gehvermögen denken lassen könnten.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Anerkennung eines Impfschadens schon daran scheitert, dass sich eine Impfkomplikation nicht im Vollbeweis nachweisen lässt.

Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass auch dann, wenn auf das Erfordernis des Primärschadens verzichtet würde, was der Senat aus Rechtsgründen nicht für vertretbar hält (vgl. oben), eine Anerkennung als Impfschaden aus Kausalitätsgründen scheitern würde. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Gutachten des Prof. Dr. J., sondern auch aus dem Gutachten des von der Klägerin benannten Sachverständigen Dr. H.:

- Der im erstinstanzlichen Verfahren gehörte Gutachter Prof. Dr. J. hat ausführlich und überzeugend und unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstands erläutert, dass das bei der Klägerin vorliegende Krankheitsgeschehen unabhängig von den Impfungen ist. Sowohl die aktuellen Kenntnisse über die Pathogenese der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie als auch das Wissen über Verträglichkeit und mögliche Komplikationen nach den durchgeführten Impfungen und schließlich der große zeitliche Abstand zwischen Impfung und dem ersten Auftreten von Symptomen eines Guillain-Barre-Syndroms bzw. einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie sprechen ganz klar gegen einen kausalen Zusammenhang zwischen den Impfungen und der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung. Diese Ausführungen des Sachverständigen kann sich der Senat vorbehaltslos zu eigen machen.

- Aber auch nach den Feststellungen im Gutachten des von der Klägerin gemäß § 109 SGG benannten Sachverständigen Dr. H., das nicht nur den bereits aufgezeigten Bedenken begegnet, sondern auch unter massiven Mängel leidet - beispielsweise legt er nicht den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zu Impfzusatzstoffen zugrunde (vgl. ausführlich Urteil des Senats vom 18.05.2017, L 20 VJ 5/11 - m.w.N.) und führt seine Beurteilung nicht nach den Maßgaben des deutschen Impfschadensrechts durch, weil er diese Vorgaben für falsch hält -, müsste der für die Anerkennung eines Impfschadens erforderliche kausale Zusammenhang verneint werden. Zum einen legt Dr. H. selbst zu Grunde, dass sich nach den impfschadensrechtlichen Anforderungen im deutschen Recht, wie sie ihm auch im Gutachtensauftrag aufgezeigt worden sind, ein Zusammenhang im vorliegenden Fall nicht herstellen lässt. Er weicht daher auf Kriterien der WHO aus, die aber nach deutschem Impfschadensrecht unmaßgeblich sind. Zudem - auch dies zeigt er auf - dürfte auch bei Zugrundelegung der WHO-Anforderungen ein kausaler Zusammenhang nicht bejaht werden, weil der nach den WHO-Kriterien erforderliche erfolgreiche Expositionsversuch nicht durchgeführt worden ist. Dass aus Rücksicht auf die Gesundheit der Klägerin von einem derartigen Expositionsversuch im Rahmen der Begutachtung durch Dr. H. abgesehen worden ist, ist für den Senat zwar verständlich. Gleichwohl kann der Senat nicht nachvollziehen, warum Dr. H. wiederum von den von ihm selbst als maßgeblich bezeichneten WHO-Kriterien abweicht und trotz nicht vollständiger Erfüllung der von ihm selbst als erforderlich aufgezeigten Voraussetzungen einen Kausalzusammenhang bejaht. Schließlich weist Dr. H. selbst darauf hin, dass von einem plausiblen Zeitintervall für den Beginn einer demyelinisierenden Erkrankung des peripheren und zentralen Nervensystems nach einer Impfung nur dann auszugehen sei, wenn dieses nicht mehr als 42 Tage betrage. Dieses Zeitintervall war nach den Impfungen am 06.06.2005 und 21.07.2005 auch dann weit überschritten, wenn von den - nicht belegten - verhältnismäßig zeitnah zu den Impfungen gemachten Angaben der Klägerin ausgegangen würde, dass sie im November 2005 erste Gefühlsstörungen an Füßen und Händen gehabt hätte.

Die Berufung kann daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

(1) Namentlich ist zu melden:

1.
der Verdacht einer Erkrankung, die Erkrankung sowie der Tod in Bezug auf die folgenden Krankheiten:
a)
Botulismus,
b)
Cholera,
c)
Diphtherie,
d)
humane spongiforme Enzephalopathie, außer familiär-hereditärer Formen,
e)
akute Virushepatitis,
f)
enteropathisches hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS),
g)
virusbedingtes hämorrhagisches Fieber,
h)
Keuchhusten,
i)
Masern,
j)
Meningokokken-Meningitis oder -Sepsis,
k)
Milzbrand,
l)
Mumps,
m)
Pest,
n)
Poliomyelitis,
o)
Röteln einschließlich Rötelnembryopathie,
p)
Tollwut,
q)
Typhus abdominalis oder Paratyphus,
r)
Windpocken,
s)
zoonotische Influenza,
t)
Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19),
u)
durch Orthopockenviren verursachte Krankheiten,
1a.
die Erkrankung und der Tod in Bezug auf folgende Krankheiten:
a)
behandlungsbedürftige Tuberkulose, auch wenn ein bakteriologischer Nachweis nicht vorliegt,
b)
Clostridioides-difficile-Infektion mit klinisch schwerem Verlauf; ein klinisch schwerer Verlauf liegt vor, wenn
aa)
der Erkrankte zur Behandlung einer ambulant erworbenen Clostridioides-difficile-Infektion in eine medizinische Einrichtung aufgenommen wird,
bb)
der Erkrankte zur Behandlung der Clostridioides-difficile-Infektion oder ihrer Komplikationen auf eine Intensivstation verlegt wird,
cc)
ein chirurgischer Eingriff, zum Beispiel Kolektomie, auf Grund eines Megakolons, einer Perforation oder einer refraktären Kolitis erfolgt oder
dd)
der Erkrankte innerhalb von 30 Tagen nach der Feststellung der Clostridioides-difficile-Infektion verstirbt und die Infektion als direkte Todesursache oder als zum Tode beitragende Erkrankung gewertet wurde,
2.
der Verdacht auf und die Erkrankung an einer mikrobiell bedingten Lebensmittelvergiftung oder an einer akuten infektiösen Gastroenteritis, wenn
a)
eine Person betroffen ist, die eine Tätigkeit im Sinne des § 42 Abs. 1 ausübt,
b)
zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird,
3.
der Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung,
4.
die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, -verdächtiges oder -ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers,
5.
der Verdacht einer Erkrankung, die Erkrankung sowie der Tod, in Bezug auf eine bedrohliche übertragbare Krankheit, die nicht bereits nach den Nummern 1 bis 4 meldepflichtig ist.
Die Meldung nach Satz 1 hat gemäß § 8 Absatz 1 Nummer 1, 3 bis 8, § 9 Absatz 1, 2, 3 Satz 1 oder 3 zu erfolgen.

(2) Dem Gesundheitsamt ist über die Meldung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe i hinaus zu melden, wenn Personen an einer subakuten sklerosierenden Panenzephalitis infolge einer Maserninfektion erkranken oder versterben. Dem Gesundheitsamt ist über die Meldung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1a Buchstabe a hinaus zu melden, wenn Personen, die an einer behandlungsbedürftigen Lungentuberkulose erkrankt sind, eine Behandlung verweigern oder abbrechen. Die Meldung nach den Sätzen 1 und 2 hat gemäß § 8 Absatz 1 Nummer 1, § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 oder 3 zu erfolgen.

(3) Nichtnamentlich ist das Auftreten von zwei oder mehr nosokomialen Infektionen zu melden, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird. Die Meldung nach Satz 1 hat gemäß § 8 Absatz 1 Nummer 1, 3 oder 5, § 10 Absatz 1 zu erfolgen.

(1) Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

1.
von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,
1a.
gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 20i Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 Buchstabe a, auch in Verbindung mit Nummer 2, des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vorgenommen wurde,
2.
auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde,
3.
gesetzlich vorgeschrieben war oder
4.
auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,
eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt. Satz 1 Nr. 4 gilt nur für Personen, die zum Zwecke der Wiedereinreise in den Geltungsbereich dieses Gesetzes geimpft wurden und die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Gebiet haben oder nur vorübergehend aus beruflichen Gründen oder zum Zwecke der Ausbildung aufgegeben haben, sowie deren Angehörige, die mit ihnen in häuslicher Gemeinschaft leben. Als Angehörige gelten die in § 10 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch genannten Personen.

(2) Versorgung im Sinne des Absatzes 1 erhält auch, wer als Deutscher außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes einen Impfschaden durch eine Impfung erlitten hat, zu der er auf Grund des Impfgesetzes vom 8. April 1874 in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 2126-5, veröffentlichten bereinigten Fassung, bei einem Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes verpflichtet gewesen wäre. Die Versorgung wird nur gewährt, wenn der Geschädigte

1.
nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes geimpft werden konnte,
2.
von einem Arzt geimpft worden ist und
3.
zur Zeit der Impfung in häuslicher Gemeinschaft mit einem Elternteil oder einem Sorgeberechtigten gelebt hat, der sich zur Zeit der Impfung aus beruflichen Gründen oder zur Ausbildung nicht nur vorübergehend außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes aufgehalten hat.

(3) Versorgung im Sinne des Absatzes 1 erhält auch, wer außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes einen Impfschaden erlitten hat infolge einer Pockenimpfung auf Grund des Impfgesetzes oder infolge einer Pockenimpfung, die in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes bezeichneten Gebieten, in der Deutschen Demokratischen Republik oder in Berlin (Ost) gesetzlich vorgeschrieben oder auf Grund eines Gesetzes angeordnet worden ist oder war, soweit nicht auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften Entschädigung gewährt wird. Ansprüche nach Satz 1 kann nur geltend machen, wer

1.
als Deutscher bis zum 8. Mai 1945,
2.
als Berechtigter nach den §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes oder des § 1 des Flüchtlingshilfegesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Mai 1971 (BGBl. I S. 681), das zuletzt durch Artikel 24 des Gesetzes vom 26. Mai 1994 (BGBl. I S. 1014) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung,
3.
als Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes oder
4.
im Wege der Familienzusammenführung gemäß § 94 des Bundesvertriebenengesetzes in der vor dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung
seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes genommen hat oder nimmt.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten im Sinne der Absätze 1 bis 3 erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt. Satz 2 gilt entsprechend, wenn ein Partner in der Zeit zwischen dem 1. November 1994 und dem 23. Juni 2006 an den Schädigungsfolgen verstorben ist.

(5) Als Impfschaden im Sinne des § 2 Nr. 11 gelten auch die Folgen einer gesundheitlichen Schädigung, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f oder des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind. Einem Impfschaden im Sinne des Satzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz infolge eines Impfschadens im Sinne des Absatzes 1 oder eines Unfalls im Sinne des Satzes 1 gleich.

(6) Im Rahmen der Versorgung nach Absatz 1 bis 5 finden die Vorschriften des zweiten Kapitels des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch über den Schutz der Sozialdaten Anwendung.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Februar 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt Beschädigtenversorgung aufgrund eines Impfschadens nach einer am 21.01.1999 durchgeführten Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR-Impfung) mit dem Impfstoff M.-V..
Der am … 1997 geborene Kläger ist das jüngste von vier Kindern der Familie. Eltern und Geschwister sind gesund. Die Schwangerschaft verlief normal (Bl. 25 VV), die Apgar-Werte waren 10-10 und damit optimal (Bl. 13 VV). (Die Risikonummer 14 bedeutet Schwangere über 35.) Untersuchungsdaten der U 1 und U 2 sind im Kinderuntersuchungsheft (U-Heft) nicht erfasst, die U 1 war unauffällig (Bl. 26 VV). Bei der U 3 fiel der Kinderärztin K. eine Hüftreifungsverzögerung auf, im weiteren Verlauf war die Ausreifung dann rechtzeitig, und eine diskrete Bevorzugung der Kopfwendung nach rechts, die bei der U 4 nicht mehr festzustellen war (Bl. 210 SG-Akte). Bei der U 4 am 03.02.1998 wurde eine leichtgradige muskuläre Hypotonie bei normalem Bewegungsmuster beobachtet. Bei der U 6 am 14.10.1998 stellte die Kinderärztin eine leichtgradige motorische Retardierung fest (Bl. 211 SG-Akte). Koordiniertes Krabbeln auf Händen und Knien sowie Hochziehen zum Stehen fehlten (Bl. 20 VV). Am 04.12.1998 war der Kläger bei der Kinderärztin wegen eines fieberhaften Infekts mit Rhinobronchitis, nächtlicher Unruhe und vermehrtem Krümmen. Bei der Untersuchung war der Abdomen unauffällig.
Bei dem Kläger wurden die öffentlich empfohlenen Impfungen durchgeführt, 1998 mehrere Mehrfach-Impfungen gegen Tetanus, Diphterie, Pertussis, Haemophilus influenzae b, Hepatitis B und Poliomyelitis (Bl. 11 VV). Am 21.01.1999 wurde die hier streitgegenständliche MMR-Impfung durchgeführt. Danach war der Kläger erstmals wieder am 12.04.1999 bei der Kinderärztin, um eine weitere Mehrfach-Impfung durchzuführen. Er war zu diesem Zeitpunkt infektfrei (Bl. 211 SG-Akte), Auffälligkeiten wurden von der Kinderärztin nicht beobachtet und von der begleitenden Mutter nicht berichtet. Ein weiterer Besuch erfolgte am 26.05.1999 wegen eines Zeckenbisses, wobei die Zecke retroaurikulär vollständig entfernt wurde. Nach Auskunft der Kinderärztin bestanden zunächst keine Beschwerden. Auch sonstige Auffälligkeiten wurden nicht berichtet. Am 16.06.1999 suchte der Kläger die Kinderärztin wegen eines fieberhaften Infekts mit Infektion am linken Zeigefinger auf, der in der Folge mit einem Antibiotikum behandelt wurde.
Bei der nächsten Untersuchung anlässlich der U 7 am 04.10.1999 fiel der in der Gemeinschaftspraxis tätigen Kinderärztin G. eine motorische Retardierung auf: der Kläger konnte erst mit 20 Monaten frei laufen, krabbelte noch die Treppen hoch anstatt aufrecht Treppen zu steigen und sich am Geländer festzuhalten (letzteres nicht im U-Heft Bl. 21 VV vermerkt) konnte bei vorhandenem Sprachverständnis noch keine Zweiwortsätze bilden (Bl. 211 SG-Akte). Kinderärztin G. notierte im U-Heft: Verdacht auf (V. a.) Krampfanfälle, altersgemäßes Sprachverständnis fehlt. Die Kinderärztin empfahl die Vorstellung beim Augen- und Ohrenarzt und wegen V. a. Anfallsleiden im Epilepsiezentrum K..
Dort wurde der Kläger erstmals am 17.11.1999 vorgestellt. Die Mutter berichtete, dass schon seit längerem, etwa seit vier bis sechs Monaten, kurze Aussetzer von der Umgebung beobachtet. Es komme dann zum Plinkern der Lider. Beim Essen halte er häufig inne und schlucke dann kräftig, als wenn der Brocken zu groß gewesen sei. Seit etwa zwei Wochen komme es ohne erkennbare Ursache zu Stürzen, wobei er meist nach hinten und zur Seite falle und oft den Kopf anschlage. Er stehe sofort wieder auf und weine häufig. Die Frequenz der Sturzanfälle sei fünfmal täglich. Diagnostiziert wurde eine schwer klassifizierbare frühkindliche Epilepsie mit Blinzelanfällen, astatischen Anfällen und Nickanfällen sowie eine psychomotorische Retardierung (Arztbrief Epilepsiezentrum K. vom 31.03.200 über ambulante Untersuchungen vom 17.11.1999 bis 09.03.2000, Bl. 29 VV). Auffällig sei eine ausgeprägte Neigung zu stereotypen Beschäftigungen. Das Elektroenzephalogramm (EEG) war mit epilepsietypischer Aktivität pathologisch.
Weitere Diagnostik wurde durchgeführt. Das Kernspin des Kopfes ergab eine abnorm verminderte Rinden-Mark-Differenzierbarkeit mesial mit leichter Signalanhebung des Marklagers. Genügend sichere Hinweise auf die Ätiologie der genannten Strukturauffälligkeiten könnten nicht gegeben werden (Bericht vom 17.04.2000, Bl. 41 VV). In der Liquordiagnostik wurden keine richtungsweisenden Auffälligkeiten gefunden (Bl. 44 VV). Im Plasma wurden deutlich erhöhte Aminosäuren festgestellt, jedoch keine Hinweise auf einen Abbaudefekt (Bl. 43 VV). Bei dem Kläger bestand im Alter von zwei Monaten eine Masernexposition aufgrund der Erkrankung des Bruders (Bl. 59 VV). Die Analyse von Liquor und Serum vom 13.04.2000 ergab ein Masern-Virus-Immunglobulin (IgG) von > 5.00 IU/ml (Bl. 56 VV). Der IgG von Mumps war im negativen Bereich.
Im weiteren Verlauf wurden bei Frühförderung leichte Entwicklungsfortschritte erzielt. Die medikamentöse Einstellung des Anfallsleidens blieb unbefriedigend und wurde schließlich abgebrochen. Zusätzlich manifestierten sich Verhaltensauffälligkeiten. Schließlich wurde 2006 im Universitätsklinikum F. (Arztbrief vom 26.04.2006, Bl. 161 VV) eine tiefgreifende Entwicklungsstörung aus dem autistischen Formenkreis, am ehesten als atypischer Autismus zu klassifizieren (ICD 10: F 84.1); eine Intelligenzminderung im mindestens mittelgradigen Bereich und eine generalisierte Epilepsie in Form von myoklonischen astatischen Anfällen (Blitz-Nick-Salaam-Anfälle, ICD 10: G 40.4) diagnostiziert. Dort gab die Mutter des Klägers erstmals an, die frühkindliche Entwicklung des Klägers sei bis zum Alter von ca. 15 Monaten im Großen und Ganzen unauffällig verlaufen; sie führe die neurologische Symptomatik auf eine MMR-Impfung im Alter von 15 Monaten zurück.
Beim Kläger ist mit Bescheid vom 17.04.2001 seit 01.07.1999 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G, B, H und RF festgestellt (Bl. 87 VV). Er hat Pflegestufe III.
Am 28.08.2006 beantragte der Kläger, vertreten durch seine Eltern, die Gewährung von Versorgung wegen Impfschäden nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Sie seien vor der Impfung nicht über die Risiken aufgeklärt worden. In der Anlage „Impfschadensverlauf“ schrieb die Mutter des Klägers:
10 
„Am Wochenende des 30./31.01.1999 in der Nacht schrille Schreiattacken, harter Bauch, apathischer, starrer Blick, durch nichts zu beruhigen. Wurde auch in Mamas Bett nicht ruhiger. War nicht ansprechbar, Überstrecken und Steifwerden des ganzen Körpers. Reagiert weder auf Brustanlegen noch auf Streicheleinheiten. Fiel gegen Morgen in den Tiefschlaf, nachdem er endlich Ruhe gefunden hatte. Tagsüber apathisch und häufiges Hinfallen, Stützen an der Wand, Festhalten an Möbelstücken, weinerlich, unsicheres Laufen entlang der Wand (Zeugnis Fr. C. K., Fr. K. S.).
11 
Ab April bis dato nervöses Augenzucken (später als Absencen diagnostiziert). Das tapsige Laufen nur an der Wand zeigt sich im Nachhinein als Gangunsicherheit. Im Umgang mit anderen Kleinkindern zeigt er massives, zunehmend aggressives Verhalten (grundloses Schubsen, Gesichtskratzen und Beißen etc.). Ende April stellten wir beim Essen wiederholt Schluckstörungen fest, die bis Dezember 2004 anhielten.“.
12 
Vorgelegt wurden eidesstattliche Versicherungen der Zeugin K. vom 12.09.2006 und der Schwester des Klägers, der Zeugin K. S., vom 10.09.2006.
13 
Der Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch Prof. Dr. H., Oberarzt im Zentrum für Kinder– und Jugendmedizin des Universitätsklinikums F.. Prof. Dr. H. erstattete sein Gutachten nach Aktenlage und ausführlicher telefonischer Befragung der Mutter des Klägers. Die Mutter beschreibe neun Tage nach der Impfung (am 30./31.01.1999) mehrere, mindestens drei bis zu 30 Minuten dauernde Schreiattacken, bei denen der Kläger sich nicht habe beruhigen lassen. Dieses Verhalten habe sehr von dem bislang bekannten abgewichen. Tagsüber sei der Zustand zufriedenstellend gewesen. Es hätten kein Fieber, keine Diarrhoe und keine katarrhalischen Symptome bestanden. Der Zustand sei insgesamt - trotz der beunruhigenden nächtlichen Zustände – so gut gewesen, dass in dieser Phase keine ärztliche Hilfe gesucht worden sei. Ab dem Alter von 18 Monaten hätten die Eltern Augenliderzucken und Schluckstörungen beobachtet. Mit 19 Monaten habe der Kläger laufen können.
14 
Außer Zweifel bestehe beim Kläger eine gravierende Mehrfachbehinderung, deren Ursache letztendlich unklar bleibe. Die differentialdiagnostische Abklärung durch eine Reihe hochspezialisierter Einrichtungen bezüglich infektiöser, primär degenerativer und stoffwechselbedingter Erkrankungen habe keinen hinreichen Befund einer zugrunde liegenden Störung erbracht. Der geschilderte Zustand am 30./31.01.1999 sei mit einer Hirnentzündung, die unter anderem durch Masern- und Mumpsviren verursacht werden könne, vereinbar. Allerdings seien die geschilderten Symptome unspezifisch und träten auch bei anderen fieberhaften Krankheiten oder mit krampfartigen Schmerzen verbundenen Zuständen auf, z. B. einer Gastroenteritis oder einem pavor nocturnus (Alpträume). Die Schilderung der Eltern, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt tagsüber in einem ordentlichen, nicht besorgniserregenden Zustand gewesen sei, spreche mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen eine Gehirnentzündung, die eine schwere Erkrankung sei. Wichtig sei auch die Tatsache, dass die Eltern des Klägers zu diesem Zeitpunkt keine medizinische Hilfe gesucht hätten. Weiterhin sei es nach diesen Ereignissen nicht zu einem Entwicklungsstillstand gekommen, der Kläger habe vielmehr mit 19 Monaten einen großen Entwicklungsschritt, das freie Laufen, getan. Dies sei knapp außerhalb des Normalen. Bei der anlässlich der U 6 festgestellten mäßigen Entwicklungsverzögerung sei die große Varianz der „Meilensteine der Entwicklung“ zu beachten, 8 % der Kinder würden gar nicht krabbeln, sondern diese Entwicklungsstufe überspringen. Die Entwicklung von Körperlänge, Kopfumfang und Gewicht sei normal gewesen.
15 
Ob eine akute Hirnhautentzündung als Komplikation einer MMR-Impfung auftreten könne, sei in der wissenschaftlichen Gemeinschaft umstritten. Beweise für einen solchen Zusammenhang lägen nicht vor, die meisten Studien hätten kein vermehrtes Auftreten von Gehirnentzündungen nach MMR-Impfungen gefunden. Von den drei Fällen, in denen zwischen 2001 und 2003 eine Erstmanifestation von Krampfanfällen im zeitlichen Zusammenhang zu einer MMR-Impfung gemeldet worden sei, sei keiner vom P.-Institut als gesichert, wahrscheinlich oder möglich beurteilt worden. Eine Hirnentzündung nach MMR-Impfung sei ein sehr seltenes Ereignis, die Inzidenz liege bei 1:1 Million. Die Seltenheit sei mit der spontaner Hirnentzündungen vergleichbar, so dass davon auszugehen sei, dass einige oder auch alle unabhängig von der MMR-Impfung aufgetreten seien. Ein kausaler Zusammenhang könne auch nicht durch Isolation der Vakzine-Stämme aus Liquor oder Hirngewebe nachgewiesen werden. Zum Nachweis wären umfangreiche Untersuchungen am Hirngewebe von geimpften Gesunden notwendig, die nicht an einer Hirnentzündung erkrankt seien, denn das Auftauchen von Impfviren im Gehirn sei als harmloses Ereignis nach einer Impfung durchaus denkbar. Das Auftauchen von Impfviren im Hirn erkrankter Patienten wäre dann Zufall. Eine Studie in Großbritannien habe eine erhöhte Rate von zentralnervösen Erkrankungen oder komplizierten Krampfanfällen zwischen 7 und 14 Tagen nach MMR-Impfung ermittelt, allerdings seien keine bleibenden Schäden beobachtet worden. Eine kürzlich veröffentlichte Studie unter Einbeziehung von 2 Millionen Kindern in den USA habe kein erhöhtes Enzephalopathierisiko nach MMR-Impfung gefunden. Daher komme sowohl das Vaccine Safety Committee des I. o. M. der A. o. S. USA als auch die Ständige Impfkommission am R.-K.-Institut (STIKO) zu dem Schluss, dass die vorliegenden Daten weder einen ursächlichen Zusammenhang noch dessen Ausschluss zuließen.
16 
Im vorliegenden Fall sei eine akute Enzephalitis jedweder Ursache jedoch sehr unwahrscheinlich. Eine medizinische Abklärung sei wegen des insgesamt guten Allgemeinbefindens des Klägers nicht veranlasst worden, so dass objektive Befunde nicht vorlägen.
17 
Eine weitere Erkrankung, die zur Degeneration von Hirngewebe führe, sei die Enzephalopathie (Gehirnkrankheit). Diese klinische Diagnose werde nach Ausschluss u. a. einer Gehirn- oder Gehirnhautentzündung gestellt. Symptome seien Wesensveränderung, Bewusstseinsverlust etc. Als Ursache komme eine große Zahl von Störungen in Betracht. Eine kürzlich veröffentlichte Fall-Kontroll-Studie (R. P et al.:, T. V. s. D. G., P. I. D. J 2006; 25, 768) habe keinen Zusammenhang zwischen einer Enzephalopathie und einer MMR-Impfung gefunden.
18 
In der Literatur würden wenige Fälle einer Masern-Einschlusskörperchen-Enzephalitis, die zu Krämpfen, Herdsymptomen und Halbseitenlähmung führe, darunter eine Erkrankung eines Kindes im Jahr 1998 im zeitlichen Zusammenhang zu einer MMR-Impfung, berichtet. In diesem Fall sei mittels Hirnbiopsie post mortem Masern-RNA des Impfvirus nachgewiesen worden. Die Masern-Einschlusskörperchen-Enzephalitis könne als sehr seltene Komplikation ein bis acht Monate nach der Impfung bei immunsupprimierten/-defizienten Patienten auftreten und verlaufe meist tödlich. Im vorliegenden Fall spreche sowohl der zeitliche Verlauf (drei Wochen nach Impfung), die Klinik (keine akuten neurologischen Störungen) und die fehlende Immunschwäche sicher gegen eine Masern-Einschlusskörperchen-Enzephalitis.
19 
Der beim Kläger im Alter von 2,5 Jahren festgestellte positive Masern-Titer sei nach erfolgter Impfung zu erwarten gewesen, die Höhe des IgG-Titers sei für die Beurteilung ohne Bedeutung. Die Liquor-Diagnostik sei negativ, was zumindest nicht für eine durchgemachte Masern-Hirnentzündung spreche. Allerdings sei diese Untersuchung von unsicherer Sensitivität, so dass eine negative Antikörperantwort im Liquorraum keine wesentliche Aussage gegen eine abgelaufene Masern-Hirnentzündung beinhalte.
20 
Es fänden sich einzelne Berichte über eine Assoziation einer Hirnhautentzündung und einer Impfung mit Mumps-Lebend-Impfstoff. In keinem Fall sei diese virologisch bestätigt worden, d. h. der Impfstoff sei nicht im Hirnwasser oder Hirngewebe der erkrankten Patienten nachgewiesen worden. In einer aktuellen Feststellung des Global Advisory Committee on Vaccine Safety (2006) werde dies in der Mehrzahl der Fälle für ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen gehalten. Für Hirnentzündungen infolge des Röteln-Lebendimpfstoffs gebe es keinen Hinweis; auch bei Rötelninfektionen durch Wildviren seien Hirnentzündungen Raritäten. Hinsichtlich der weiteren Bestandteile Neomycin, Phenosulfonphthalein und Polysaccharide lägen keine Berichte über schwerwiegende neurologische Komplikationen vor.
21 
In der Zusammenschau der Datenlage finde sich kein Beleg für die MMR-Impfung als Ursache des beim Kläger festgestellten Gesundheitsschadens. In der Wissenschaft herrsche Ungewissheit darüber, ob eine MMR-Impfung die Ursache einer Hirngewebsentzündung oder Enzephalopathie sein könne, die wiederum Ursache für eine Gesundheitsstörung wie die des Klägers sein könne. Die Dokumentation des Verlaufs zum Zeitpunkt der retrospektiv von den Eltern vermuteten Hirnentzündung (um den 30.01.1999) sei ungenügend, so dass keine Befunde vorlägen, die in diesem Einzelfall zur Klärung einer Kausalität zwischen MMR-Impfung und Hirngewebsentzündung beitragen könnten.
22 
Mit Bescheid vom 10.10.2007 lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens ab. Nach dem ausführlichen Gutachten des Prof. Dr. H. unter Berücksichtigung neuester Untersuchungen ließen die vorliegenden Daten nach Meinung der maßgeblichen Institute weder eine Anerkennung eines ursächlichen Zusammenhangs noch dessen Ausschluss zu. Beim Kläger sei jedoch bereits eine akute Enzephalitis jedweder Ursache retrospektiv unwahrscheinlich. Für eine denkbare Enzephalopathie habe sich in einer kürzlich veröffentlichten Fall-Kontroll-Studie kein Zusammenhang zu einer MMR-Impfung gefunden.
23 
Mit dem Widerspruch trug der Kläger vor, er sei trotz psychomotorischer Vorschädigung mit M.-V. geimpft worden. Diese Vorschädigung sei im Alter von vier bis sieben Monaten im Zusammenhang mit mehreren vorangegangenen Mehrfachimpfungen aufgetreten. Der erste Krampfanfall in Form von Unruhe, unstillbarem schrillen Schreien und Nachtschlaf (?) sei innerhalb der Inkubationszeit der Masern von sieben bis 14 Tagen aufgetreten und vom Epilepsiezentrum K. als erste epileptische Anfallsform bewertet worden. Er wünsche eine Nutzen-Lasten-Analyse als Voraussetzung für eine Impfempfehlung als Grundlage für die Bemessung des Wahrscheinlichkeitsgrades. Entgegen der Ansicht des Gutachters sei er nach dem 30./31.01.1999 nicht in einem ordentlichen Gesundheitszustand gewesen. Es sei herrschende wissenschaftliche Lehrmeinung, dass Masernimpfviren im Gehirn der Beweis für eine Impfschädigung seien. Der Gutachter verkenne den Beginn des Krampfleidens am 9./10. Tag nach der Impfung. Die von ihm unterstellte Gastroenteritis ohne Dokumentation von Durchfall, Fieber etc. führe nicht zu psychomotorischem Entwicklungsrückstand, Krampfleiden und Autismus. Er habe sich nicht dazu verhalten, dass nach der Liquor-Diagnostik bei ihm trotz Impfung kein ausreichender Schutz gegen Mumps, Röteln und Pertussis bestehe. Er verkenne die Gefährlichkeit von Neomycin. Nach allgemein bekannter medizinisch-wissenschaftlicher Lehrmeinung komme es in seltenen Fällen (1:1 Million Impfungen) zu Meningoenzephalitis, Enzephalopathien und schweren neurologischen Störungen.
24 
In der versorgungsärztliche Stellungnahme vom 15.01.2008 führte Ärztin L. aus, bereits im 1. Schritt sei beim Kläger nicht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang eine Enzephalitis wahrscheinlich zu machen. Die Indizien hierfür seien nicht ausreichend. Die Erscheinungen der durchschrieenen Nacht seien nicht erste Krampfanfälle gewesen. Diese seien erst Monate später in Form von Blinzelanfällen aufgetreten. Auch der zeitliche Zusammenhang zwischen der durchschrieenen Nacht und dem Beginn von Schluckstörungen, Grimassierungen und Zuckungen im Gesicht liege nach den vorliegenden Unterlagen bei mindestens drei bis vier Monaten und nicht – wie nunmehr behauptet – bei knapp vier Wochen. Eine Immundefizienz sei beim Kläger nicht diagnostiziert worden, vielmehr zeige sein Maserntiter Immunkompetenz. Daher sei nicht von einer Einschlusskörperchen-Enzephalits auszugehen, die nur bei Immundefizienten vorkomme. Dass eine Enzephalitis nicht ausgeschlossen sei, berechtige nicht zur Annahme der Wahrscheinlichkeit. Der vom Gutachter angeführte ordentliche Gesundheitszustand des Klägers im Anschluss an den geschilderten Zustand am 30./31.01.1999 erkläre sich daraus, dass die Eltern als erfahrene Eltern den Kläger in der Folge nicht beim Kinderarzt vorgestellt hätten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass eine Enzephalitis ein schweres Krankheitsbild sei, einhergehend mit Fieber, Bewusstseinstrübung und Apathie, anhaltend über einen gewissen Zeitraum, sicher mehrere Tage. Im 2. Schritt sei zu fragen, ob Enzephalitiden im Zusammenhang mit MMR-Impfungen vorkämen. Die allgemeine wissenschaftliche Lehrmeinung gehe davon aus, dass diese zumindest so selten seien, dass sie die Zahl der Spontanerkrankungen nicht überstiegen. Bisher sei in keinem Fall ein Kausalzusammenhang nachgewiesen. Da beim Kläger aber bereits die erste Voraussetzung fehle, müsse über die zweite Frage nicht entschieden werden.
25 
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.01.2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
26 
Der Kläger hat hiergegen am 28.02.2008 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und – wie auch im weiteren Verfahrensverlauf - umfangreiche Unterlagen und Stellungnahmen NichtVerfahrensbeteiligter zum Thema Impfschaden vorgelegt. Insoweit wird auf die SG-Akte (3 Bände) verwiesen. Das SG hat die Mutter des Klägers in nichtöffentlicher Sitzung am 24.07.2009 befragt und die Schwester des Klägers, K. S. sowie die Nachbarin C. K. als Zeuginnen vernommen. Die Mutter hat angegeben, der Kläger habe in der Nacht vom 30.01.1999 Schreianfälle gehabt. Er sei unnatürlich gekrümmt und überstreckt gewesen, mit nach vorn gestrecktem Bauch. Dieser Zustand habe eine Stunde angehalten. Sie hätten eine Darmkolik vermutet. Nach ca. einer Stunde sei er in Tiefschlaf gefallen und sei auch am nächsten Tag total erledigt und schlaff gewesen. Auch am nächsten Tag, am 01.02. sei er apathisch gewesen. Von Januar bis Juni habe er nur laufen können, wenn er sich an der Wand festgehalten habe. Dann seien die Auffälligkeiten mit den Augenlidern hinzugekommen. Eines Tages sei er umgefallen. Die Situation sei immer schlimmer geworden. In den nächsten Jahren seien immer wieder Schreiattacken aufgetreten, aber nie so eindrücklich wie beim ersten Mal. Ab April sei das Augenliderblinzeln mit den Schluckvorgängen aufgetreten. Beim Schlucken habe er mit den Augen geblinzelt und Absencen gezeigt. Auf Befragen, warum sie keinen Notarzt geholt habe, hat sie angegeben, er habe nicht auf Ansprache reagiert, sei aber nicht bewusstlos gewesen. Sie seien von einer Magenkolik ausgegangen, hätten Tee bereitet, den er allerdings nicht getrunken habe. Irgendwann habe er mehrfach gerülpst und gepupst und sich anschließend beruhigt. Frei gelaufen sei er das erste Mal am 07.06.1999. Ab Weihnachten 1998 habe er sich aufrichten und mit Hilfe von Gegenständen, an denen er sich festgehalten habe, fortbewegt. Über die motorische Entwicklung hätten sie sich keine Gedanken gemacht. Bei der Impfung im April 1999 hätten sie den Arzt nicht auf die Vorfälle angesprochen, weil sie keinen Zusammenhang mit der Impfung gesehen hätten. Nach einem Zeckenbiss im Mai 1999 sei die Zecke vom Arzt entfernt worden. Die Zeuginnen S. und K. haben die Angaben über das Schreien in der Nacht vom 30. auf den 31.01.1999 bestätigt.
27 
Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Die Kinderärztin K. hat in ihrer Auskunft vom 28.08.2009 angegeben, am 04.12.1998 sei der Kläger mit einem fieberhaften Infekt mit Rhinobronchitis, nächtlicher Unruhe und vermehrtem Krümmen behandelt worden. Der Abdomen sei bei der Untersuchung unauffällig gewesen. Am 26.05.1999 sei eine Zecke entfernt worden. Am 16.06.1999 sei ein fieberhafter Infekt mit Infektion am linken Zeigefinger behandelt worden, am 06.07.1999 ein Virusinfekt mit Begleitexanthem. Bei der U 6 am 14.10.1998 sei eine leichte motorische Retardierung gefunden worden. Im Zeitraum von vier Wochen nach der Impfung vom 21.01.1999 sei keine Vorstellung erfolgt, die nächste Vorstellung sei am 12.04.1999 wegen weiterer Impfungen gewesen. Bei der U 7 am 04.10.1999 sei eine Retardierung aufgefallen. Am 02.11.1999 sei der Kläger vorgestellt worden, weil es beim Laufen immer wieder zu plötzlichem Fallen oder Zusammenzucken ohne äußeren Anlass gekommen sei, ca. 5x/Tag. Daraufhin sei die Überweisung an das Epilepsiezentrum K. erfolgt. Der Homöopath B., der den Kläger von 2004 bis 2007 behandelt hat, hat in seiner Auskunft angegeben, der Kläger sei bereits nach den ersten Mehrfachimpfungen und vor der MMR-Impfung auffällig gewesen. Die MMR-Impfung habe „das Fass zum Überlaufen“ gebracht. Andere Ursachen als die Impfgifte der vorangegangen Impfungen und die MMR-Impfung schieden aus.
28 
Das SG hat Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Leiter des Epilepsiezentrums M., Prof. Dr. N., mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat sein Gutachten vom 24.05.2011 erstattet und auf Einwendungen des Klägers zwei ergänzende Stellungnahmen vom 23.01.2012 und 15.10.2012 abgegeben. Diagnostisch sprächen die erhobenen Befunde für eine epileptische Enzephalopathie in Form einer myoklonisch-astatischen Epilepsie. Nach den geschilderten Symptomen der Nacht vom 30. auf den 31.01.1999 mit schrillem Schreien, Agitiertheit, dann Schläfrigkeit, Grimassieren und unsicherem Gangbild könnte nach der reinen Beschreibung durch Mutter und Schwester eine milde Enzephalitis vorgelegen haben. Allerdings seien die Symptome nicht ärztlich dokumentiert, die Beschreibung durch Laien sei unzulänglich und könne zu falschen Schlüssen führen. Eine das jetzige Krankheitsbild erklärende Enzephalitis sei jedoch wenig wahrscheinlich. Die Episode habe nur kurz gedauert und sei ohne ärztliche Intervention ausgeheilt. Biologisch sei nicht plausibel, dass ein solches Ereignis im akuten Stadium so blande verlaufe, dass offensichtlich kein Bedarf für ärztliche Konsultation gesehen werde, andererseits aber einen so schweren dauerhaften neurologischen Schaden nach sich ziehe wie beim Kläger. Im MRT seien später keine Narben festgestellt worden, die eine Hirnschädigung im Rahmen eines putativen enzephalitischen Geschehens erkennen ließen. Narben nach einer Hirnentzündung ließen sich fast immer dauerhaft in einem MRT nachweisen, wenn sie einmal entstanden seien. Alle großen epidemiologischen Studien zeigten, dass ein Zusammenhang von Impfung und schweren neurologischen Defektzuständen unwahrscheinlich sei. Durch eine Studie mit zwei Millionen geimpften Kindern sei nachgewiesen worden, dass neurologische Schäden nach MMR-Impfung nicht häufiger aufgetreten seien als bei der nicht geimpften Kontrollgruppe. Eine Studie mit Patienten, bei denen eine Impfenzephalopathie diagnostiziert worden sei, habe ergeben, dass bei über 90 % als andere Ursache eine Mutation des Natriumkanalgen gefunden worden sei. Eine weitere Studie habe gezeigt, dass eine Impfung eine vorbestehende Enzephalopathie in Form eines Dravet-Syndroms nicht verschlechtere. Beim Kläger müsse zudem in Betracht gezogen werden, dass bereits vorher eine psychomotorische Retardierung und Koordinationsstörung bestanden habe. Diese hätten sich aber durch die Impfung nicht verschlimmert. Eher wahrscheinlich sei, dass sich die Anfälle im Rahmen der schon bestandenen neurologischen Auffälligkeiten auch ohne Impfung manifestiert hätten.
29 
In seiner ergänzenden Stellungnahme hat Prof. Dr. N. darauf hingewiesen, dass das in den klägerischen Einwendungen angeführte Lennox-Gastaut-Syndrom nicht einschlägig und von ihm nicht angeführt worden sei. Die Ansicht des Klägers, ein kindliches Gehirn könne auf Entzündungen nicht reagieren, deshalb seien keine Entzündungszeichen zu erkennen, werde auf einen einzelnen, 40 Jahre alten Artikel gestützt, und treffe nicht zu. Auch bei einem kindlichen Gehirn seien Zeichen einer Entzündung zu erkennen. Die zitierten Artikel „bedeutender Neurologen“ seien nicht reproduzierbar, stammten aus den 30er und 50er Jahren und beträfen zum Teil Pocken. Das Zitat von B., wonach trotz anscheinend milden Verlaufs große Teile des Gehirns zerstört seien, sei nicht einschlägig, da beim Kläger keine Zerstörung des Gehirn vorliege, sondern nur eine leichte Erweiterung der Liquorräume. Bei keinem der in der großen, aktuellen Studie von Weibel et al aus 75 Millionen identifizierten 48 Fällen, bei denen eine Impfenzephalopathie angenommen worden sei, sei ein blander Beginn mit einem symptomfreien Intervall beobachtet worden. Ein so langes Intervall wie beim Kläger, nämlich zwei Monate, sei biologisch für eine Enzephalopathie unplausibel. Das später auffällige EEG und das später leicht auffällige Kernspin könnten nicht als Argumente herangezogen werden, da zeitnah nach dem 30.01.1999 keine entsprechende Diagnostik erfolgt sei. Das Ereignis vom 30./31.01.1999 könne nicht als Ursache oder Beginn der Enzephalopathie bewertet werden, weil die Anfälle erst mehrere Wochen später aufgetreten seien. Die Untersuchung der Nervenwasserflüssigkeit habe weder eine Erhöhung von Entzündungszellen noch einen Nachweis spezifischer Antikörper gegen Masern gezeigt. Damit sei eine Reaktion des Immunsystems im Zentralnervensystem gegen Masern als Marker einer zentralnervösen Immunreaktion nicht nachzuweisen. Der Maserntiter im Serum zeige nur den Impfschutz. Die beim Kläger dokumentierte psychomotorische Retardierung mit Koordinationsstörung sei Zeichen einer Erkrankung des Zentralnervensystems, die allein für sich den weiteren Erkrankungsverlauf mit Beginn einer epileptischen Enzephalopathie erkläre. Da es unmittelbar nach der Impfung zu keinen persistierenden neurologischen Symptomen gekommen sei, sondern die Anfälle erst schleichend einige Wochen nach der Impfung begonnen hätten, sei von einem zufälligen und darüber hinaus sehr weiten zeitlichen Zusammenhang auszugehen.
30 
Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 28.02.2013 nochmals die Mutter des Klägers einvernommen. Diese hat angegeben, sie habe ab ca. Frühjahr 1999 den Eindruck gehabt, ein quasi verändertes Kind zu haben, insbesondere in Bezug auf die gezeigten Unruhezustände.
31 
Das SG hat die Klage mit Urteil vom selben Tage abgewiesen. Die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen seien nicht mit Wahrscheinlichkeit rechtlich wesentlich auf die Impfung am 21.01.1999 zurückzuführen. Das Gericht folge den Darlegungen des Prof. Dr. N.. Nach den Befunden bei der U 3 und den folgenden Untersuchungen hätten bereits deutlich vor der Impfung Anhaltspunkte für die Entwicklung eines neurologischen Krankheitsbildes bestanden, die für sich genommen keinen Krankheitswert gehabt hätten, aber ohne weiteres in Zusammenhang mit der später aufgetretenen Erkrankung des Zentralnervensystems zu bringen seien. Hinsichtlich des Ereignisses vom 30./31.01.1999 gehe das Gericht davon aus, dass ein in gewissem Umfang auffälliges Verhalten vorgelegen habe. Festzuhalten sei aber, dass die Eltern weder am 30./31.01. noch in der Folgezeit bis zum Auftreten der Blinzelanfälle im April 1999 Anlass gesehen hätten, einen Arzt aufzusuchen und dass das fragliche Ereignis weder bei der Anamneseerhebung im Epilepsiezentrum K. noch in der Uni-Klinik F. erwähnt sei, sondern erstmals 2006 aktenkundig geworden sei. Daher gehe das Gericht in Übereinstimmung mit dem neurologischen Sachverständigen davon aus, dass sich aus diesem Verhalten keine Hinweise auf ein akutes neurologisches Krankheitsgeschehen von Dauercharakter ergeben hätten. Aus der laienhaften Schilderung, zumal mehrere Jahre nach dem fraglichen Ereignis, ließen sich ohne ärztliche Befunde keine gesicherten neurologischen Diagnosen ableiten. Auch aus den Laboruntersuchungen im April 2000 hätten keine Anhaltspunkte für ein neurologisches Geschehen mit Zusammenhang zur MMR-Impfung gewonnen werden können. Der Sachverständige habe unter Bezugnahme auf den aktuellen Forschungsstand überzeugend dargelegt, dass es keine medizinisch-wissenschaftlichen Studien gebe, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Masernimpfung und einem enzephalopathischen bzw. enzephalitischen Geschehen nahelegten.
32 
Gegen das über seine Bevollmächtigten am 06.03.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.04.2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung greift er das Gutachten des Prof. Dr. N. an, insbesondere weil dieser keine wissenschaftlich evidenzbasierte Nutzen-Lasten-Analyse vorgenommen habe, was nach BSG-Rechtsprechung (Urteil vom 20.07.2005 – B 9/9a VJ 2/04 R) erforderlich sei. Weder aus der U 3 noch den nachfolgenden Untersuchungen hätten sich vor der Impfung bestehende Schäden ergeben. Bereits im Bericht der Uni-Klinik F. vom 21.12.2001 (und nicht erst 2006) sei dokumentiert, dass nach Angabe der Eltern der Beginn der epileptischen Symptomologie etwa im Alter von 15 bis 16 Monaten eingetreten sei, als der Kläger nachts zunehmend unruhiger geworden sei. Dies beweise, dass die Krampfsymptomatik im Jahr 1999 bereits 2001 und nicht erst 2006 berichtet worden sei. Die vorgenommene Beweislastverteilung zu seinen Lasten widerspreche verfassungsrechtlichen Grundsätzen. Die Rechtsprechung des BSG zu Impfschäden verfehle den verfassungsrechtlich gebotenen Ansatz. Geboten sei eine generelle Umkehr der Beweislast. Er hat umfangreiche Unterlagen zu Impfschäden allgemein vorgelegt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Senatsakte (2 Bände) sowie einen Auszug aus der ihm und seine Geschwister betreffenden Kinderarztkartei verwiesen. Über seine neue Bevollmächtigte hat er vorgetragen, vor der Impfung habe bei ihm die familientypische Normvariante in der motorischen Entwicklung bestanden, keinesfalls eine erhebliche Vorschädigung. In den auf den 30./31.01.1999 folgenden Tagen und Wochen seien folgende Symptome aufgetreten: plötzliche Gangunsicherheiten, tapsiges Laufen, manchmal Stolpern, manchmal Einknicken mit den Knien, extreme Schläfrigkeit, apathischer leerer Blick, Teilnahmslosigkeit, auffallende Müdigkeit; Schreckhaftigkeit, entsetztes Schauen mit großen Augen; Grimassen-Schneiden, Mundzuckungen; komisches Schmatzen; Nesteln mit beiden Fingern in Brusthöhe vor dem Lätzchen; Innehalten mit den Augen und dem Gesicht. Die Mutter habe den Eindruck gehabt, er verstehe nicht mehr, was sie wolle. Er habe seit ca. einer Woche nach der Impfung - im Gegensatz zu der Zeit vor der Impfung - keine Nacht mehr durchgeschlafen. Vor der Impfung habe er einen gesegneten Appetit gehabt, ab ca. einer Woche nach der Impfung - und damit in einem für einen Impfschaden nach Masernimpfung typischen Abstand - habe er die geschilderten Verhaltensauffälligkeiten gezeigt. Vor der Impfung hätten alle den Eindruck gehabt, er stehe kurz vor dem freien Laufen. Nach der ersten schrecklichen Schreiattacke mit deutlichen neurologischen Ausfallerscheinungen sei er auch gestützt und habe an der Hand geführt nicht mehr laufen können. Dem kleinen Körper habe die notwendige Spannung gefehlt, er sei immer wieder hingefallen und habe sich bei den Stürzen verletzt. Die Akutereignisse vom 30./31.01.1999 müssten rückblickend als erste durch die streitgegenständliche Impfung getriggerte epileptische Anfälle beurteilt werden, weil trotz umfangreichster Differentialdiagnostik keine andere Ursache als die streitgegenständliche Impfung für die schwere Entwicklungsretardierung mit Epilepsie gefunden worden sei. Ab Anfang Februar 1999 sei die Entwicklung für ca. 3,5 Monate stillgestanden. Er habe vorhandene Fähigkeiten verloren. Dieser Entwicklungsknick sei ein wichtiges Indiz für eine Impfenzephalitis bzw. Impfenzephalopathie. Die Parallelitätsregel, wonach schwere Schäden des zentralen Nervensystems nur nach schweren deutlich erkennbaren Krankheitserscheinungen zu erwarten seien, sei wissenschaftlich umstritten. Es bedürfe keiner Enzephalitis oder Enzephalopathie, um einen Impfschaden anzuerkennen. Es bedürfe lediglich eines impfbedingten Krampfanfalls im Sinne einer Erstmanifestation des determinierten Anfallsleidens. Dies habe am 30./31.01.1999 vorgelegen. Hilfsweise sei auch die Kann-Versorgung gegeben.
33 
Die neue Bevollmächtigte hat darauf hingewiesen, dass sie bereits 40 Jahre schwerpunktmäßig mit Impfschäden befasst sei und bereits mehrere Masernimpfschäden rechtskräftig zur Anerkennung und Versorgung gebracht habe.
34 
Mit Schriftsatz vom 02.04.2015 hat der Kläger vorgetragen, die Zulassungsunterlagen für den in den USA hergestellten Impfstoff M. der Firma M. seien manipuliert worden, in den USA seien deshalb Klageverfahren anhängig. Die vorgelegte Klageschrift betreffe den Mumpsimpfstoff und behaupte, dass die Effektivität des Mumpsimpfstoffs unter den für die Zulassung erforderlichen 95 % liege. Der bei ihm vorliegende Autismus sei wissenschaftlich begründet Folge der Intoxikation mit den Inhaltsstoffen Thiomersal und Aluminiumhydroxid in den vorhergehenden und den nach der MMR-Impfung erfolgten Mehrfachimpfungen. Die Serologie mit dem erhöhten Maserntiter, der fehlenden Mumpsimmunität und der fraglichen Rötelnimmunität zeige eine Irritation des kindlichen Immunsystems, es sei denn, dies sei durch manipulierte Nutzenanalysen zu erklären. Der Befund aus dem Kernspin seines Kopfes vom April 2000 entspreche dem aus einem amerikanischen Fall (B. B. v. S. o. t. D. o. H. a. H. S.), in dem 16 Tage nach einer MMR-Impfung Anfälle aufgetreten seien, die zu einer notärztlichen Behandlung geführt hätten.
35 
Der Kläger beantragt,
36 
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Februar 2013 und den Bescheid vom 10. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm eine myoklonisch-astatische Epilepsie mit atypischem Autismus als Folge der Masern-Impfung mit M.-V. am 21. Januar 1999 festzustellen und ihm Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz, hilfsweise als Kann-Versorgung, zu gewähren,
37 
weiter hilfsweise,
38 
die Mutter des Klägers zu den Akutereignissen nach der streitgegenständlichen Masernimpfung zu vernehmen und zu vereidigen,
die Gutachter Prof. Dr. N. und Dr. H. zur Erläuterung ihrer Gutachten mündlich anzuhören,
zur Diagnosestellung (normale Impfreaktion oder Impfkrankheit) ein Obergutachten bei Prof. Dr. D. sowie ein epileptisches Obergutachten einzuholen,
eine Richteranfrage beim Bundessozialgericht, wenn notwendig, beim Großen Senat und beim Bundesverfassungsgericht zu stellen zur Klärung folgender grundsätzlicher Rechtsfragen:
39 
1) Ist die aktuelle Beweislastverteilung im SGG/BSeuchG/IfSG haltbar und kann die Rechtskonformität und das faire Verfahren (Art 6 EMRK in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 MRK) damit gewährleistet werden ?
40 
2) Sind die Impfstoffe betreffenden Ausnahmeregelungen im AMG und AMNOG verfassungsrechtlich hinsichtlich Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz haltbar oder verstoßen sie gegen den Grundsatz der Gewährleistung der Unverletzlichkeit der Person ?
41 
weiter hilfsweise, die Revision zuzulassen.
42 
Der Beklagte beantragt,
43 
die Berufung zurückzuweisen.
44 
Er hält das angegriffene Urteil für richtig.
45 
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat Dr. H. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In seinem medizinisch-wissenschaftlichen Gutachten vom 15.12.2014 legt Dr. H. dar, dass nur 5 – 10 % der bei Kindern und Jugendlichen auftretenden Epilepsien vererbt seien. Die bei weitem überwiegende Ursache seien angeborene oder erworbene Hirnschädigungen, also symptomatische Epilepsien. Weitaus am häufigsten seien schädigende Einflüsse, die das Gehirn in seiner Entwicklung träfen, also vor oder während der Geburt oder während der ersten Lebensjahre. Bei Kindern und Jugendlichen spielten Hirnfehlbildungen, vorübergehender starker Sauerstoffmangel (z. B. bei der Geburt) und angeborene Stoffwechselstörungen eine besondere Rolle. Hirnverletzungen durch Unfälle, Infektionen, Entzündungen, Hirntumoren und Durchblutungsstörungen könnten in jedem Alter zu epileptischen Anfällen führen. Wichtig sei, dass in der ganz überwiegenden Zahl der symptomatischen Epilepsien kein fortschreitendes Hirnleiden bestehe, sondern dass die „Narbe“ einer längst abgelaufenen Hirnschädigung für das Auftreten der Anfälle verantwortlich sei. Trotz aller Diagnostik gelinge es bis heute nur in 25 % der Fälle von Epilepsie bei Kindern und Jugendlichen, die Ursache zu finden.
46 
Nach heutigem Kenntnisstand sei an der Entstehung eine Kombination aus genetischer Veranlagung und äußeren Schädigungsmechanismen zu einem ganz bestimmten vulnerablen Zeitpunkt beteiligt. Eine Zuordnung zu einer speziellen genetischen Veränderung sei für die myoklonisch-astatische Epilepsie bislang nicht bekannt. Impfungen seien als Ursache von Störungen der Hirnentwicklung schon lange in der Diskussion. Einzelfallberichte von Entzündungen des Gehirns seien immer wieder berichtet und zum Teil in der wissenschaftlichen Literatur veröffentlicht worden, auch betreffend die MMR-Lebendimpfungen.
47 
Beim Kläger sei die Entwicklung vor der Impfserie unauffällig verlaufen. Er sei ein „Spätentwickler“ wie seine Geschwister. Angeschuldigt sei nur die Impfung am 21.01.1999, die vorher und z. T. nachher verabreichten Impfungen hätten keinen erkennbaren Effekt auf die Erkrankung und deren Verlauf gehabt.
48 
Die häufigsten Nebenwirkungen nach Verabreichung von M.-V. seien Fieber und Reaktionen an der Injektionsstelle einschließlich Schmerz, Schwellung und Rötung. Als Erkrankungen des Nervensystems würde über afebrile Krämpfe oder Anfälle, Ataxie, Schwindel, Enzephalitis, Enzephalopathie, Fieberkrämpfe (bei Kindern), Guillain-Barre´-Syndrom, Kopfschmerzen, Masern-Einschlusskörperchen-Enzephalitis (MIBE), Augenmuskellähmungen, Optikusneuritis, Parästhesien, Polyneuritis, Polyneuropathie, Retrobulärneuritis und Synkopen berichtet. In der Fachinformation werde darauf hingewiesen, dass pro drei Millionen verabreichter Dosen ein Fall von Enzephalitis und Enzephalopathie, ausgenommen subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE), berichtet worden sei. Postmarketing-Beobachtungen von mehr als 400 Millionen verkauften Impfdosen über einen Zeitraum von 25 Jahren (1978 bis 2003) wiesen darauf hin, dass schwerwiegenden Nebenwirkungen wie Enzephalitis und Enzephalopathie auch weiterhin nur selten beobachtet werden könnten. In keinem Fall sei schlüssig nachgewiesen worden, dass die Nebenwirkungen tatsächlich durch die Impfung verursacht worden seien, einige Fälle seien jedoch möglicherweise durch Masern-Impfstoffe hervorgerufen.
49 
Dass die MMR-Impfung Enzephalitiden verursachen könne, sei mittlerweile wissenschaftlicher Erkenntnisstand. Die Erkrankung werde nicht durch Virusbefall des Gehirns, sondern durch eine autoimmune Fehlreaktion des Immunsystems verursacht, derselbe Pathomechanismus wie bei der Masern-Enzephalitis bei der Maserninfektion, die allerdings bei einem Fall von ca. 1000 Erkrankten auftrete. Diese seien korrekt als akute disseminierte Enzephalo-Myelitis (ADEM) zu bezeichnen. Dies sei eine hyperergische Reaktion der zerebralen Gefäßwände und des umgebenden Nervengewebes mit Übertritt von Flüssigkeit ins Gehirn und einer Entzündung. Die Liquor-Untersuchung ergebe meist eine leichte Erhöhung der Zellzahl (lymphozytäre Pleozytose) und eine geringe Eiweißerhöhung, könne aber auch normal sein. Das MRT des Gehirns zeige im akuten Stadium meist mono- oder multifokale entzündliche Herde. Akute MRT-Veränderung könnten nach wenigen Wochen nicht mehr nachweisbar sein.
50 
Es seien auch schleichende klinische Verläufe beobachtet worden, deren Häufigkeit schwer abschätzbar sei, da viele (die meisten ?) dieser Fälle nicht als Impfkomplikationen erkannt würden. Die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit“ bemerkten hierzu, die postvakzinale Enzephalopathie (bzw. Enzephalitis) gehe nicht immer mit ausgeprägten derartigen Symptomen einher; sie könne auch symptomarm (aber nicht symptomlos!) verlaufen und werde dann als „blande Enzephalopathie“ bezeichnet. Wenn eine solche Enzephalopathie zur Frage stehe, sei eine genaue Feststellung der Krankheitserscheinungen und Verhaltensauffälligkeiten (z. B. Apathie, abnorme Schläfrigkeit, Nahrungsverweigerung, Erbrechen); die während der Inkubationszeit nach der Impfung vorgelegen hätten und eine eingehende Ermittlung und Würdigung des weiteren Verlaufs notwendig. Dabei sei vor allem zu prüfen, ob auf einen Entwicklungsknick (deutlicher Entwicklungsstillstand, Verlust bereits erworbener Fähigkeiten) im Anschluss an die Impfung geschlossen werden könne oder ob eine Progredienz von hirnorganischen Störungen zu erkennen sei. Bei einem Impfschaden sei eine solche Progredienz nicht zu erwarten, wenn nicht hirnorganische Anfälle den Hirnschaden mitbestimmten. Überdies müsse beachtet werden, dass in der Regel eine Parallelität zwischen dem Schweregrad des Symptombildes der postvakzinalen Enzephalopathie (bzw. Enzephalitis) und dem Ausmaß der Folgen bestehe; nach einer symptomarmen Enzephalopathie sei nicht mit einem sehr schweren Hirnschaden zu rechnen.
51 
Nach Masern-Impfungen träten ADEM-Erkrankungen seltener auf als nach Wildinfekten, man gehe von einer Häufigkeit von 1 – 2 ADEM-Fällen pro Million Masern-Impfdosen aus. In der größten veröffentlichten Fallserie zu ADEM im Kindesalter seien 84 ADEM-Fälle untersucht worden. Als Auslöser seien in 10 Fällen Impfungen angegeben worden, davon in 7 die Masern-Impfung (in den anderen 3 die Pertussis-Impfung). Aus eigenen Untersuchungen sei ihm (dem Sachverständigen) das seltenen Auftreten einer ADEM nach Masern-Impfung bekannt. Das P.-E.-Institut habe aktuell den Fallbericht eines Kindes veröffentlicht, bei dem wenige Tage nach MMR-Impfung afebrile Krampfanfälle im Sinne einer ADEM aufgetreten seien und bei dem das Masern-Impfvirus in Serum, Urin und Rachen habe nachgewiesen werden können.
52 
Nach Rawlins und Thompson könnten die unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) in zwei Klassen eingeteilt werden. Die Typ A-Reaktionen seien häufige, meist lokale Reaktionen, häufig und in den Studien vor Marktzulassung erfasst. Die Typ B-Reaktionen seien gänzlich unerwartet, dosisunabhängig, relativ selten, oft schwer verlaufend und eventuell mit persistierenden Schäden oder letalem Ausgang. Dies sei die ADEM-Erkrankung nach MMR-Impfung. Typ B-Reaktionen würden aufgrund ihrer Seltenheit meist nicht in klinischen Studien vor Zulassung des Impfstoffs erkannt, sondern nur nach breiter, millionenfacher Anwendung. Oft dauere es lange und sei mit wissenschaftlichen Kontroversen verbunden bis eine Arzneimittelkomplikation als solche erkannt werde, wie im Fall Contergan. Man benötige Erfassungssysteme, die möglichst zuverlässig seltene Ereignisse im zeitlichen Zusammenhang mit Impfungen registrierten.
53 
Auffallen könnten nur echte Ereignisse. Ein solches eindrückliches Ereignis habe im Fall des Klägers in der Nacht vom 30. zum 31. Januar 1999 mit deutlichen Anzeichen einer schweren Erkrankung vorgelegen. Allerdings sei auch hier keine Verdachtsfallmeldung erfolgt. Erst nachdem die akute und vermutlich lebensbedrohliche Phase etwas abgeklungen sei, hätten sich Hinweise auf eine Hirnentwicklungsstörung im veränderten Verhalten und den zunehmenden motorischen Problemen ergeben, seien aber von den Eltern und dem Kinderarzt nicht als Impfkomplikation bewertet worden. Die Schädigung durch eine abgelaufene Enzephalitis sei oft erst Wochen bis Monate später in vollem Umfang erkennbar.
54 
Beim Kläger sei nach bis dahin unauffälliger Entwicklung 10 Tage nach der MMR-Impfung ein dramatisches Ereignis während der Nacht aufgetreten: schrilles Schreien, Überstrecken des Körpers, reduzierter Bewusstseinszustand. Dieser Zustand habe über Stunden angehalten, dann sei der Kläger eingeschlafen, wobei in der Folgezeit durchaus weiterhin Auffälligkeiten des Verhaltens bestanden hätten. Diese klinische Beschreibung sei durchaus typisch für eine ADEM-Erkrankung, das zeitliche Intervall von 10 Tagen typisch für eine postvakzinale ADEM nach Masern-Impfung. Die Defizite des Klägers seien zunehmend auffällig geworden. Die sprachliche und motorische Entwicklung sei weiter verzögert, obwohl durchaus auch Fortschritte der Entwicklung aufgetreten seien. Solche Entwicklungsfortschritte nach überstandener ADEM-Erkrankung seien nicht ungewöhnlich, da die Erkrankung nicht progredient sei, sondern monophasisch verlaufe und sich Funktionen des Gehirns wieder entwickeln könnten. Im Verlauf habe sich allerdings eine schwer zu behandelnde myoklonisch astatische Epilepsie entwickelt. Diese habe ihrerseits Schädigungen der Hirnentwicklung zur Folge, beim Kläger manifestiert als autistische Störung.
55 
Die Abweichung zum Vorgutachten des Prof. Dr. H. bestehe darin, dass dieser im Widerspruch zu den Berichten über eine Wesensveränderung und fortbestehende Auffälligkeiten annehme, der Kläger sei nach den Vorkommnissen in der Nacht zum 31. Januar 1999 tagsüber in einem so guten Zustand gewesen, dass eine Enzephalitis eher unwahrscheinlich sei.
56 
Die Differenz zum Gutachten von Prof. Dr. N. bestehe darin, dass dieser die Episode für die Diagnose einer Enzephalitis für zu kurz, zumal ohne ärztliche Intervention ausgeheilt, halte. Er habe damit nicht berücksichtigt, dass es nicht zur vollständigen Wiederherstellung gekommen sei. Warum initial keine Vorstellung beim Kinderarzt erfolgt sei, könne nicht beantwortet werden. Hinsichtlich der von Prof. Dr. N. angeführten Genmutationen sei zu bemerken, dass diese einen Auslöser bräuchten, um zu einer Krankheit zu führen, weil viele Träger der Mutation nicht erkrankten. Das Argument, eine Enzephalitis hinterlasse fast immer Narben, auf dem MRT beim Kläger seien keine erkennbar, greife nicht, weil die zugrunde liegende Studie 14 Fälle einer Herpes simplex-Enzephalopathie betroffen habe, die durch direkten viralen Befall des Gehirns entstehe und kein autoimmun-entzündliches Geschehen wie die ADEM darstelle. Die Studie sage damit nichts über ADEM.
57 
Im Ergebnis sei es beim Kläger in der Folge der am 21.01.1999 durchgeführten MMR-Impfung in typischem Zeitabstand zu einer über das übliche Maß hinausgehenden Impfreaktion gekommen, die mit Wahrscheinlichkeit eine autoimmun-entzündliche Komplikation auf die im Impfstoff enthaltene Masern-Impfung im Sinne einer ADEM-Erkrankung, in deren Folge sich frühkindliche Epilepsie manifestiert habe, darstelle. Beim Kläger liege ein therapieresistentes frühkindliches Anfallsleiden (myoklonisch-astatische Epilepsie) vor, das mit der geforderten Wahrscheinlichkeit durch die MMR-Impfung mit folgender ADEM ausgelöst worden sei. Das Krampfleiden im weiteren Verlauf habe eine schwere Entwicklungsstörung des Gehirns mit einer autistischen Symptomatik und deutlicher Störung der Hirnfunktion verursacht.
58 
Der Beklagte ist dem Gutachten mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. G. vom 20.01.2015 entgegengetreten. Der Diagnose einer ADEM-Erkrankung könne nicht gefolgt werden. Diese sei ein üblicherweise monophasisch verlaufendes subakutes enzephalopathisches Syndrom, oftmals mit Bewusstseinsstörungen, meningitischem Syndrom und multifokalen neurologischen Defiziten; typischerweise mit großen konfluierenden Herden in der Bildgebung des Hirns und mit Liquorzellzahlerhöhung. Neben der anamnestischen Beschreibung zu der Symptomatik am 30./31.01.1999, etwa 10 Tage nach der Impfung, seien jedoch keine objektivierbaren Befunde dokumentiert, die retrospektiv eine ADEM wahrscheinlich machten. Eine kinder-/notärztliche Vorstellung aufgrund der Symptomatik am 30./31.01 1999 sei nicht erfolgt, ärztlich sei das klinische Erscheinungsbild nicht dokumentiert. Das erst am 11.04.2000 durchgeführte Kernspin des Kopfes habe unspezifische Veränderungen gezeigt (diskrete Erweiterung der Liquorräume) und keine narbigen Residuen nach (größerflächigen) Läsionen. Die ebenfalls erst im weiteren Verlauf durchgeführte Nervenwasseruntersuchung habe weder eine Erhöhung von Entzündungszellen noch einen Nachweis spezifischer Antikörper gegen Masern gezeigt. Eine neuroimmunologische Reaktion im zentralen Nervensystem sei damit nicht nachgewiesen. Bei dieser Befundlage sei eine ADEM ca. 10 Tage nach der Impfung zwar nicht gänzlich auszuschließen, jedoch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
59 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die Beschädigtenakte, die Schwerbehindertenakte und die SG-Akte zu S 5 P 4695/07 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
60 
Die nach den §§ 151, 143, 144 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
61 
Rechtsgrundlage für den vom Kläger in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - SozR 4-3200 § 81 Nr. 5) geltend gemachten Anspruch auf Feststellung der myoklonisch-astatischen Epilepsie mit atypischem Autismus als Folge einer Impfung sowie auf Gewährung von Versorgungsleistungen ist § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen oder auf Grund des IfSG angeordnet wurde oder gesetzlich vorgeschrieben war oder auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer durch diese Maßnahme eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Gemäß § 2 Nr. 11 IfSG ist ein Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.
62 
Unter weiterer Berücksichtigung der im Sozialen Entschädigungsrecht und mithin auch im Bereich des IfSG geltenden allgemeinen Grundsätze bedarf es für die vom Kläger begehrte Feststellung somit der folgenden Voraussetzungen (vgl. dazu auch Urteile des Senats vom 21.02.2013 - L 6 VJ 4771/12 - und vom 20.06.2013 - L 6 VJ 599/13):
63 
Es müssen eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfolgte Schutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen (hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R, terminologisch anders noch die Rechtsprechung des BSG nach dem Bundesseuchengesetz, wonach als Impfschaden die über die übliche Impfreaktion hinausgehende Schädigung, also das zweite Glied der Kausalkette, bezeichnet wurde, so z. B. BSGE 60, 58, 59).
64 
Die Schutzimpfung muss nach der im Sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltenden Kausa-litätstheorie von der wesentlichen Bedingung wesentliche Ursache für den Eintritt der Impfkomplikation und diese wesentliche Ursache für die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, den Impfschaden, sein. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist.
65 
Die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sog. Vollbeweis - feststehen. Allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge reicht der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus (§ 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (BSGE 60, 58). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind.
66 
Alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, sind auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten, auch wenn ein bestimmter Vorgang unter Umständen vor Jahrzehnten stattgefunden hat (BSG SozR 3-3850 § 52 Nr. 1 S. 3).
67 
Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung sind im Sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) anzuwenden und zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales [BMAS]) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog. antizipierte Sachverständigengutachten (siehe nur BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 9). Die AHP sind in den Bereichen des Sozialen Entschädigungsrechts und im Schwerbehindertenrecht generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm ("normähnlich"). Die AHP enthalten in allen hier zu betrachtenden Fassungen (2005 bis 2008) unter den Nrn. 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben. Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen bei Schutzimpfungen in Nr. 57 AHP 2005 sind Ende 2006 allerdings aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats „Versorgungsmedizin“ beim BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden:
68 
„Die beim R.-K.-Institut eingerichtete Ständige Impfkommission (STIKO) entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Standard der Wissenschaft dar.
69 
Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr. 11 IfSG und Nr. 56 Absatz 1 der Anhaltspunkte) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kann-Versorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von § 60 IfSG durchzuführen. Siehe hierzu auch Nr. 35 - 52 (S. 145 - 169) der Anhaltspunkte.“
70 
Die seit dem 1. Januar 2009 an die Stelle der AHP getretene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung, die indes anders als die AHP keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern enthält, sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten, genutzt werden müssen (BSG, Urteil vom 07.04.2011 - a. a. O.).
71 
Ausgehend hiervon war die beim Kläger am 21.01.1999 durchgeführte MMR-Impfung zunächst eine öffentlich empfohlene Impfung, denn sie entsprach den Empfehlungen der STIKO. Streitgegenständlich ist allein die Verursachung der Schädigung durch den Masern-Impfstoff, weil – wie bereits im SG-Verfahren - nur die Feststellung beantragt ist, dass die Masernimpfung zur Schädigung des Klägers geführt hat. Soweit im Schriftsatz vom 02.04.2015 eine Schädigung durch die vorangegangene und die nachfolgende Mehrfachimpfung im Hinblick auf die Zusatzstoffe Thiomersal und Aluminiumhydroxid geltend gemacht wird, waren diese weiteren Impfungen nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens. Die genannten Inhaltsstoffe sind nach der Fachinformation in der hier streitgegenständlichen MMR-Impfung nicht enthalten.
72 
Beim Kläger liegt eine myoklonisch-astatische Epilepsie mit schwerer kognitiver Retardierung und atypischem Autismus vor. Dies entnimmt der Senat den insoweit übereinstimmenden Gutachten des Prof. Dr. N. und Dr. H. sowie den Berichten des Epilepsiezentrums K. und der Uni-Klinik F..
73 
In Auswertung der Befundunterlagen und der beiden im Klage- und Berufungsverfahren erstatteten Gutachten sowie des im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Gutachtens des Prof. Dr. H. im Verwaltungsverfahren unter Berücksichtigung der Angaben der Mutter des Klägers im gesamten Verfahren besteht zur Überzeugung des Senats kein wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der Impfung des Klägers mit M.-V. und der später aufgetretenen myoklonisch-astatischen Epilepsie mit atypischem Autismus. Demgegenüber konnte das abweichende Gutachten von Dr. H., dass sich allein auf das Ereignis im Januar 1999 sowie eine nicht im Vollbeweis gesicherte Erkrankung einer ADEM stützt, nicht überzeugen.
74 
Die Epilepsie muss, um Impffolge in Form einer fehlgeleiteten Immunreaktion sein zu können, durch eine stattgehabte Erkrankung des Gehirns in Form einer Enzephalitis oder Enzephalopathie, auch in Form der ADEM, hervorgerufen worden sein. Entgegen der Ansicht des Klägers im Schriftsatz vom 29.09.2014 genügt ein Krampfanfall im Sinne einer Erstmanifestation eines Anfallsleidens nicht, um einen ursächlichen Zusammenhang zu belegen. Ursache der Epilepsie ist nämlich in jedem Fall eine Hirnschädigung, sei sie angeboren oder erworben, bei letzterem durch Unfälle, Infektionen, Entzündungen, Hirntumore und Durchblutungsstörungen. Dies hat auch zuletzt Dr. H. in seinem Gutachten so dargestellt.
75 
Die plausible Pathophysiologie setzt vorliegend voraus, dass infolge der Impfung nachvollziehbar eine Hirnschädigung eingetreten ist, die zur Epilepsie führen konnte. Dies ist vorliegend nicht der Fall, auch wenn es generell denkbar ist, dass ein Autoimmun-Prozess durch die Impfung mit Lebendimpfstoff ebenso wie die Infektion mit dem Wildvirus eine entzündliche Gehirnerkrankung auslöst, die zu Epilepsie führt, was nach Studienlage mit 1:1 Million jedoch ein außerordentlich seltenes Geschehen ist. Hinweise für ein solches Geschehen zeigen sich beim Kläger allerdings weder durch einen Nachweis im Nervenwasser noch in Form von Narben im MRT als Zeichen größerer Läsionen. Die einzigen im MRT dokumentierten Veränderungen sind geringfügig erweiterte Liquorräume.
76 
Andere Ursachen der Erkrankung sind trotz umfangreicher Diagnostik nicht gefunden worden. Diesem Gesichtspunkt kommt aber angesichts des Umstands, dass nur in 25 % der Fälle von Epilepsie bei Kindern und Jugendlichen eine Ursache gefunden wird, worauf auch Dr. H. in seinem Gutachten hingewiesen hat, keine herausragende Bedeutung zu. Dass eine andere Ursache der klägerischen Erkrankung nicht gefunden wurde, führt auch nicht dazu, dass unterstellt werden muss, dass die streitige Impfung zu der Erkrankung geführt hat. Eine solche (negative) Beweisregel, wonach die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Ereignis und einer Gesundheitsschädigung nur deshalb anzunehmen ist, weil ein anderer Ursachenzusammenhang mit anderen Ereignissen oder Einwirkungen nicht zu finden ist, ist im Sozialrecht jedoch nicht anerkannt (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11.12.2013 - L 7 VE 11/11 - Breithaupt 2014, S. 659)
77 
Zur Überzeugung des Senats fehlt es vorliegend nämlich an einem plausiblen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Auftreten der Erkrankung. Die Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren und der Gutachter im Verwaltungsverfahren haben übereinstimmend bekundet, dass eine Typ B-Impfreaktion auf Masernimpfstoff ca. 10 Tage nach der Impfung eintreten muss. Angesichts der am 21.01.1999 durchgeführten Impfung ist somit eine Manifestation der Erkrankung Ende Januar 1999 erforderlich. Ärztliche Befunde über diesen Zeitraum existieren nicht, da kein Arzt konsultiert wurde. Der Kläger hat im Zusammenhang mit der Antragstellung auf Beschädigtenversorgung lediglich ein Ereignis in der Nacht vom 30.01. auf den 31.01.1999 geschildert. Die zunächst geschilderten Symptome schrilles Schreien und Überstrecken des Bauches mögen zwar auf Krämpfe hindeuten, sind aber nicht so schwerwiegend wie bei einer lebensgefährlichen Erkrankung zu erwarten. Zu Recht hat der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. N., der spezialisiert auf Epilepsieerkrankungen besonders kompetent in dieser Fragestellung ist, darauf verwiesen, dass kindliche neurologische Symptome komplexe Erscheinungsformen darstellen, die Beschreibung durch Laien deswegen unzulänglich ist und falsche Schlüsse nach sich ziehen kann. Überdies sind die berichteten Symptome keineswegs spezifisch, sondern können auch mit anderen fieberhaften Krankheiten oder mit krampfartigen Schmerzen verbundenen Zuständen wie einer Gastroenteritis auftreten, was der Senat dem Gutachten des Prof. Dr. H. entnimmt, und was im Übrigen auch zunächst die Vermutung der Eltern war. Des Weiteren hat Prof. Dr. N. ergänzt, dass die Episode nur sehr kurz war und ohne ärztliche Intervention ausheilte. Etwas anderes gilt hinsichtlich der erstmals im Berufungsverfahren durch eine neue Bevollmächtigte des Klägers behaupteten Symptome Apathie und Bewusstseinstrübung, die der Senat seiner Bewertung jedoch nicht zugrunde legt. Die Mutter des Klägers hat diese nämlich weder im Verfahrensverlauf angegeben, insbesondere nicht im Rahmen ihrer ausführlichen Befragung in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem SG, noch zeitnah einem Arzt berichtet, obwohl dazu Anlass bestanden hätte. Zu der vor dem SG vorgetragenen, nicht sehr erheblichen Symptomatik passt, dass die Eltern keinen Notarzt gerufen haben, weil sie zunächst eine Gastroenteritis angenommen haben und auch in den folgenden Tagen keinen Arzt aufgesucht haben. Auch litt der Kläger nach den Angaben der Kinderärztin bereits vor der Impfung am 04.12.1998 unter nächtlicher Unruhe und vermehrtem Krümmen.
78 
Prof. Dr. N. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass die Schwere der Schädigung der Schwere der Erkrankung entspricht und angesichts relativ alltäglicher Symptome am 30.01./31.01.1999 nicht von einer an diesem Tag durchlebten schweren Gehirnerkrankung auszugehen ist. Denn bei der Enzephalitis handelt es sich um ein schweres Krankheitsbild, das mit schweren Allgemeinerscheinungen wie Fieber, Bewusstseinseintrübung und Apathie einhergeht, die Krankheitssymptome halten über mehrere Tage an und werden auch von dem insoweit erfahrenen Praktiker Prof. Dr. N. als sehr bedrohliches Ereignis eingestuft. Gegen eine schwere Erkrankung am 30./31.01.1999 spricht zudem, dass sich zunächst eine symptomlose Zeit anschloss. Erst im Oktober fiel bei der U 7 eine deutliche Retardierung auf. Soweit im Klageverfahren auffälliges Verhalten bereits nahtlos im Anschluss an die Nacht vom 30.01.1999 vorgetragen wird, überzeugt dies den Senat nicht. Der Kläger ist nämlich trotz Schilderung auffälliger neurologischer Symptomatik in der Folge nicht einem Kinderarzt vorgestellt worden, aber im April, Mai und Juni aus anderen Anlässen beim Kinderarzt gewesen, nämlich zu einer weiteren Impfung im April, wegen einem Zeckenbiss im Mai und einer Infektion am Finger im Juni, ohne dass die Kinderärztin Auffälligkeiten notiert oder die Mutter von solchen berichtet hat. Insbesondere aus Anlass der Impfung im April musste die Kinderärztin den Kläger untersuchen, um festzustellen, ob Impfhindernisse vorliegen, speziell akute Erkrankungen. Die Erklärung der Mutter des Klägers, sie habe die Auffälligkeiten nicht angesprochen, weil man seinerzeit noch keinen Zusammenhang zu der Impfung im Januar gesehen habe, überzeugt nicht, denn bei Vorliegen schwerer Symptome hätte unabhängig von der Kausalitätsbeurteilung ein Bedarf bestanden, einen Grund für das angeblich vollkommen veränderte Verhalten und das Keine-Nacht-mehr-Durchschlafen zu finden. Damit erscheint das Vorliegen schwerer neurologischer Auffälligkeiten nicht wahrscheinlich. Bei einem klinischen Bild wie zuletzt geschildert hätten die Eltern den Kläger bereits zeitnah im Februar einem Arzt vorgestellt und dem Kinderarzt wäre dies bei den stattgehabten Besuchen im April, Mai und Juni aufgefallen.
79 
Selbst wenn es sich um eine (allenfalls sehr milde) Enzephalitis zum Zeitpunkt des 30/31.01.1999 gehandelt hätte, so war der Kläger in den nächsten Tagen und Wochen nach dem Ereignis und vor Beginn der ersten, dann kleinsten Anfälle klinisch unauffällig, so dass jedenfalls nicht von einer weiter bestehenden Enzephalopathie, sondern von einem „symptomfreien Intervall“ ausgegangen werden muss, was Prof. Dr. N. für den Senat überzeugend herausgearbeitet hat. Der Kläger verlor nicht, wie jetzt behauptet, im Anschluss an den 30.01.1999 bereits erworbene Fähigkeiten und es trat auch kein Entwicklungsknick ein, was insbesondere Prof. Dr. H. für den Senat überzeugend dargelegt hat, vielmehr nur eine mäßige Entwicklungsverzögerung. Ein solcher wäre aber bei einer schweren Hirnerkrankung, die er zu dieser Zeit durchlebt haben soll, zu erwarten gewesen. Vielmehr lernte der Kläger sogar im Juni 1999 frei laufen und war somit ohne Zweifel in der Lage den „Meilenstein der Entwicklung“ zu tun. Die gegenteilige Behauptung, man habe erwartet, dass er nach Weihnachten 1998 zeitnah das freie Laufen lernen würde, begründet keinen Entwicklungsknick und steht im Übrigen im Widerspruch zum sonstigen Vorbringen, wonach die Eltern die motorische Entwicklung des Klägers als normal empfanden, weil seine Geschwister ebenfalls Spätentwickler gewesen seien und sich normal weiter entwickelt hätten. Das ebenfalls vorgetragene Argument, er habe nach dem 30.01.1999 nicht mehr laufen können, belegt angesichts der ohnehin leicht retardierten Entwicklung, die sich bereits bei der U 6 im Oktober 1998 gezeigt hatte, und dem Umstand, dass der Kläger im Januar 1999 noch nicht laufen konnte, keinen Einbruch in der Entwicklung.
80 
Ein plausibler zeitlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung ist damit nicht gegeben, weil für den fraglichen Zeitpunkt keine entsprechenden ärztlichen Befunde vorliegen und die einzigen glaubhaft geschilderten Symptome einen Zusammenhang nicht begründen. Damit folgt der Senat den Gutachten des Prof. Dr. N. und des Prof. Dr. H.. Die abweichende Meinung von Dr. H. gründet darauf, dass er eine viel schwerere Symptomatik, nämlich die zuletzt geschilderte, als gegeben annimmt, wobei er selbst einräumt, es könne nicht beantwortet werden, warum dann initial keine Vorstellung beim Kinderarzt erfolgt sei, was letztlich seiner Argumentation die Plausibilität entzieht.
81 
Des Weiteren ist die Liquor-Serologie negativ, was ebenfalls nicht für eine durchgemachte Masern-Hirnentzündung spricht. Auch wenn die Aussagekraft dieser Liquor-Serologie nach Aussage von Prof. Dr. H. begrenzt ist, so war darüber hinaus auch das MRT negativ und es ließen sich keine Narben, die auf eine Hirnschädigung hindeuten, erkennen. Darauf hat insbesondere der Sachverständige Prof. Dr. N. hingewiesen, der im weiteren Verlauf in Auswertung der insoweit allein relevanten neuesten Datenlage, die in Impfschadensfällen der Entscheidung zugrunde zu legen ist, dargelegt hat, dass auch das frühkindliche Hirn entzündliche Erkrankungen des Gehirns mit nachweisbarer Narbenbildung und/oder Nervenwasserflüssigkeiten aufweisen kann, die aber beim Kläger fehlten. Dr. G. hat daher in seiner zuletzt vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme zu Recht darauf verwiesen, dass Dr. H. nicht beachtet hat, dass es am Nachweis einer neuroimmunologischen Reaktion im zentralen Nervensystem beim Kläger fehlt.
82 
Der hohe Titer im Serum ist lediglich auf den Impfschutz gegenüber Masern zurückzuführen, also eine durch die Impfung gewollte Reaktion, und beweist keinesfalls einen kausalen Zusammenhang. Die von Klägerseite zitierte Divertatia ist nicht belegt, worauf Prof. Dr. N. zur Recht hinweist.
83 
Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus dem im Verfahren mehrfach angeführten BSG-Urteil vom 20.07.2005 (B 9/9a VJ 1/07 R), in dem das BSG entschieden hat, dass ein Anspruch nur aus einer Impfung mit einem zugelassenen Impfstoff folgen kann. Die vom Kläger angeführte, im Urteil erwähnte Nutzen-Lastenanalyse ist allein Teil des strengen Zulassungsverfahrens für Impfstoffe, aber nicht maßgebend für die hier streitige Frage der Kausalität.
84 
Schließlich ergibt sich aus den vom Kläger zuletzt vorgelegten Unterlagen nichts Anderes, insbesondere betrifft der Fall des an ADEM erkrankten amerikanischen Klägers eine vom vorliegenden Sachverhalt abweichende Konstellation, nämlich eine zeitnahe Erstmanifestation einer neurologischen Erkrankung und gibt somit keinerlei Anhaltspunkte für eine abweichende Entscheidung.
85 
Es besteht auch kein Anspruch auf die hilfsweise beantragte Kann-Versorgung. Gemäß § 61 Satz 2 IfSG kann ein Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde anerkannt werden, wenn die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer über das übliche Maß hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung und einem dauerhaften Gesundheitsschaden nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht.
86 
Die Regelung entspricht der des § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG, so dass die dafür entwickelten Grundsätze auch für § 61 Satz 2 IfSG gelten (so Meßling in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 61 IfSG Rdnr. 21). Die wesentlichen rechtlichen Maßstäbe zur richtigen Anwendung der Kann-Bestimmung ergeben sich seit dem 1. Januar 2009 aus Teil C Nr. 4b der Anlage zu § 2 VersMedV (siehe oben). Danach ist eine Kann-Versorgung zu prüfen, wenn über die Ätiologie und Pathogenese des als Schädigungsfolge geltend gemachten Leidens keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Auffassung herrscht und entsprechend die ursächliche Bedeutung von Schädigungstatbeständen für die Entstehung oder den Verlauf des Leidens nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden kann. In diesen Fällen ist die Kann-Versorgung zu gewähren, wenn ein ursächlicher Einfluss des geltend gemachten schädigenden Tatbestandes in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen wird (Teil C Nr. 4b bb).
87 
Dabei reicht die allein theoretische Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs nicht aus (vgl. zum Folgenden Urteil des Senats vom 13.12.2012 - L 6 VJ 1702/12 - Juris; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.11.2011 - L 4 VJ 2/10 - Juris). Denn die Verwaltung ist nicht ermächtigt, bei allen Krankheiten ungewisser Genese immer die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs - die so gut wie nie widerlegt werden kann - ausreichen zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993 - 9/9a RV 41/92 - SozR 3-3200 § 81 Nr. 9 m.w.N.). Es genügt nicht, wenn ein Arzt oder auch mehrere Ärzte einen Ursachenzusammenhang nur behaupten. Vielmehr ist es erforderlich, dass diese Behauptung medizinisch-biologisch nachvollziehbar begründet und durch wissenschaftliche Fakten, in der Regel statistische Erhebungen (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RV 17/94 - SozR 3-3200 § 81 Nr. 13), untermauert ist. Die Fakten müssen - in Abgrenzung zu den Voraussetzungen der Pflichtversorgung - zwar (noch) nicht so beschaffen sein, dass sie bereits die überwiegende medizinische Fachwelt überzeugen. Die niedrigere Schwelle zur Kann-Versorgung ist daher bereits dann überschritten, wenn die vorgelegte Begründung einschließlich der diese belegenden Fakten mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs belegt (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995 - SozR 3-3200 § 81 Nr. 13, sowie Urteil vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - SozR 4-3200 § 81 Nr. 5) und damit zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner überzeugt ("Mindermeinung"). In seiner ständigen Rechtsprechung hat das BSG diesen Maßstab auf die „gute Möglichkeit“ eingeschränkt (BSG, Urteil vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - SozR 4 - 3200 § 81 Nr. 5).
88 
Die abweichende Bewertung durch Dr. H. belegt nicht im Sinne einer fachwissenschaftlichen Mindermeinung mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs. Sie beruht auf der durch die Befundlage nicht gestützten Annahme, dass der Kläger in der Nacht zum 31.01.1999 eine ADEM-Erkrankung durchgemacht hat, und der Beurteilung des plausiblen Zusammenhangs zwischen der Impfung und der angenommenen Gehirnerkrankung am 30.01.1999 allein aufgrund der zuletzt vom Kläger vorgetragenen Symptome einer lebensgefährlichen Erkrankung in zeitlicher Nähe zur Impfung, ohne dieses auf der Grundlage des vorangegangenen Vorbringens und der (fehlenden) ärztlichen Befunde kritisch zu hinterfragen. Dies begründet nicht die für eine Kann-Versorgung erforderliche gute Möglichkeit eines Ursachenzusammenhanges.
89 
Den in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsanträgen war nicht stattzugeben. Der Senat konnte in der Sache entscheiden, ohne die beiden Sachverständigen erneut zu hören, den Kläger ein weiteres Mal begutachten zu lassen oder die Mutter erneut zu befragen und sie danach zu vereidigen; er hat deswegen die darauf gerichteten Beweisanträge des Klägers abgelehnt.
90 
Die Mutter war als gesetzliche Vertreterin des Klägers nicht erneut zu befragen und danach zu vereidigen, denn die Parteivernehmung stellt im sozialgerichtlichen Verfahren kein Mittel der Sachaufklärung dar, mit dem ein Vollbeweis für eine behauptete Tatsache erbracht werden könnte. Dies ergibt sich daraus, dass § 118 Abs. 1 SGG nicht auf die Bestimmungen der §§ 445 ff. ZPO, die die Parteivernehmung regeln, verweist. Die Parteivernehmung stellt damit nach herrschender Meinung in der Literatur (z. B. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl 2014, § 118, Rn. 8) und Rechtsprechung (z. B. BSG, Urteile vom 28.11.2007, B 11a/7a AL 14/07 R und vom 03.06.2004, B 11 AL 71/03 R - Juris) im sozialgerichtlichen Verfahren kein förmliches Beweismittel und somit kein Mittel der Sachaufklärung dar. Im Übrigen liegen dem Senat bereits ihre mehrfachen Aussagen vor, die er bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat. Eine eidliche Parteivernehmung ist im sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig (BSG, Beschluss vom 13.12.2005 - B 13 RJ 247/05 B – Juris).
91 
Dem Hilfsantrag, von Amts wegen Prof. Dr. N. und Dr. H. zur Erläuterung ihrer Gutachten zu laden, war nicht stattzugeben, weil Art. 103 Abs. 1 GG keinen Anspruch darauf gewährt, das Fragerecht gegenüber Sachverständigen in jedem Fall mündlich auszuüben (vgl. BVerfG vom 29.05.2013 - 1 BvR 1522/12 - Juris; vgl. auch BVerfG vom 17.01.2012 - 1 BvR 2728/10 - NJW 2012, 1346, Juris m.w.N.). Es ist auch nicht erkennbar, dass eine mündliche Befragung einen über die Wiederholung schriftlicher Äußerungen hinausreichenden Mehrwert hätte (so zuletzt BSG, Beschluss vom 10.12.2013 - B 13 R 198/13 B - Juris). Beide Sachverständige haben sich umfassend und Prof. Dr. N. sogar mehrmals geäußert. Welche Fragen den beiden Ärzten gestellt werden sollen oder wo noch Aufklärungsbedarf gesehen wird, hat der Kläger nicht dargelegt. Es entspricht dann dem Beweisrecht, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens oder Anhörung des behandelnden Arztes zum Beweis einer bestimmten Tatsache beliebig oft nachzukommen (zuletzt Urteil des Senats vom 27.03.2014 - L 6 U 4001/13 - unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 15.04.1991 - 5 RJ 32/90 - Juris). Es müssen zwar keine Fragen formuliert werden, sondern es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen (BSG SozR 3-1750 § 411 Nr. 1). Daran fehlt es aber vorliegend, denn die Notwendigkeit einer Erörterung hat der Kläger überhaupt nicht begründet (BSG, Beschluss vom 25.04.2013 – B 13 R 29/12 B – Juris). Der Senat vermochte keine Notwendigkeit zu erkennen, weitere Ermittlungen durchzuführen, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt hinreichend geklärt ist.
92 
Der weitere Hilfsantrag auf Einholung eines Obergutachtens war abzulehnen, weil die Würdigung widerstreitender Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst gehört. Eine Verpflichtung zur Einholung eines sogenannten Obergutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtensergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 128 RdNr 7d, 7e mwN). Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG, Beschluss vom 01.04.2014 - B 9 V 54/13 B - Juris). Dies gilt umso mehr, als ein weiteres epileptologisches Obergutachten schon deswegen nicht erforderlich ist, da Prof. Dr. N. als Leiter des Epilepsiezentrums M. über Sachkunde auf diesem Fachgebiet verfügt. Gründe für eine Ausnahme sind hier nicht dargelegt. Liegen bereits mehrere Gutachten (oder fachkundige Angaben) vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten (oder fachkundigen Angaben) grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr. 3). Derartige Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch für den Senat nicht ersichtlich.
93 
Eine Richtervorlage gemäß Art 100 GG war nicht vorzunehmen, weil der Senat die anzuwendenden Vorschriften für verfassungsgemäß hält, insbesondere eine generelle Beweislastumkehr, wie sie der Kläger fordert, vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsgebetes (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zwingend (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.07.1979 - BVerfGE 52, 131) und im Impfschadensrecht noch nicht einmal erforderlich ist. Vielmehr beinhaltet der Maßstab der geforderten Wahrscheinlichkeit ohnehin eine abgesenkte Beweislast und ermöglicht dem Betroffenen in einer Vielzahl von Fällen, wie auch dem Senat aus seiner Praxis bekannt, die Anerkennung einer Schädigungsfolge zumal das Verfahren ohnehin vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägt ist. Die zweite Rechtsfrage betrifft das generelle Zulassungsverfahren der Impfstoffe und ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, weil es sich unstreitig um eine öffentlich empfohlene Impfung und nicht die Verwendung eines nicht zugelassenen Impfstoffs handelt. Eine Richtervorlage an das Bundessozialgericht ist gesetzlich nicht vorgesehen.
94 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
95 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
96 
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG. Der Antrag war daher abzulehnen.

Gründe

 
60 
Die nach den §§ 151, 143, 144 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
61 
Rechtsgrundlage für den vom Kläger in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - SozR 4-3200 § 81 Nr. 5) geltend gemachten Anspruch auf Feststellung der myoklonisch-astatischen Epilepsie mit atypischem Autismus als Folge einer Impfung sowie auf Gewährung von Versorgungsleistungen ist § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen oder auf Grund des IfSG angeordnet wurde oder gesetzlich vorgeschrieben war oder auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer durch diese Maßnahme eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Gemäß § 2 Nr. 11 IfSG ist ein Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.
62 
Unter weiterer Berücksichtigung der im Sozialen Entschädigungsrecht und mithin auch im Bereich des IfSG geltenden allgemeinen Grundsätze bedarf es für die vom Kläger begehrte Feststellung somit der folgenden Voraussetzungen (vgl. dazu auch Urteile des Senats vom 21.02.2013 - L 6 VJ 4771/12 - und vom 20.06.2013 - L 6 VJ 599/13):
63 
Es müssen eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfolgte Schutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen (hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R, terminologisch anders noch die Rechtsprechung des BSG nach dem Bundesseuchengesetz, wonach als Impfschaden die über die übliche Impfreaktion hinausgehende Schädigung, also das zweite Glied der Kausalkette, bezeichnet wurde, so z. B. BSGE 60, 58, 59).
64 
Die Schutzimpfung muss nach der im Sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltenden Kausa-litätstheorie von der wesentlichen Bedingung wesentliche Ursache für den Eintritt der Impfkomplikation und diese wesentliche Ursache für die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, den Impfschaden, sein. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist.
65 
Die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sog. Vollbeweis - feststehen. Allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge reicht der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus (§ 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (BSGE 60, 58). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind.
66 
Alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, sind auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten, auch wenn ein bestimmter Vorgang unter Umständen vor Jahrzehnten stattgefunden hat (BSG SozR 3-3850 § 52 Nr. 1 S. 3).
67 
Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung sind im Sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) anzuwenden und zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales [BMAS]) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog. antizipierte Sachverständigengutachten (siehe nur BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 9). Die AHP sind in den Bereichen des Sozialen Entschädigungsrechts und im Schwerbehindertenrecht generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm ("normähnlich"). Die AHP enthalten in allen hier zu betrachtenden Fassungen (2005 bis 2008) unter den Nrn. 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben. Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen bei Schutzimpfungen in Nr. 57 AHP 2005 sind Ende 2006 allerdings aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats „Versorgungsmedizin“ beim BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden:
68 
„Die beim R.-K.-Institut eingerichtete Ständige Impfkommission (STIKO) entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Standard der Wissenschaft dar.
69 
Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr. 11 IfSG und Nr. 56 Absatz 1 der Anhaltspunkte) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kann-Versorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von § 60 IfSG durchzuführen. Siehe hierzu auch Nr. 35 - 52 (S. 145 - 169) der Anhaltspunkte.“
70 
Die seit dem 1. Januar 2009 an die Stelle der AHP getretene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung, die indes anders als die AHP keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern enthält, sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten, genutzt werden müssen (BSG, Urteil vom 07.04.2011 - a. a. O.).
71 
Ausgehend hiervon war die beim Kläger am 21.01.1999 durchgeführte MMR-Impfung zunächst eine öffentlich empfohlene Impfung, denn sie entsprach den Empfehlungen der STIKO. Streitgegenständlich ist allein die Verursachung der Schädigung durch den Masern-Impfstoff, weil – wie bereits im SG-Verfahren - nur die Feststellung beantragt ist, dass die Masernimpfung zur Schädigung des Klägers geführt hat. Soweit im Schriftsatz vom 02.04.2015 eine Schädigung durch die vorangegangene und die nachfolgende Mehrfachimpfung im Hinblick auf die Zusatzstoffe Thiomersal und Aluminiumhydroxid geltend gemacht wird, waren diese weiteren Impfungen nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens. Die genannten Inhaltsstoffe sind nach der Fachinformation in der hier streitgegenständlichen MMR-Impfung nicht enthalten.
72 
Beim Kläger liegt eine myoklonisch-astatische Epilepsie mit schwerer kognitiver Retardierung und atypischem Autismus vor. Dies entnimmt der Senat den insoweit übereinstimmenden Gutachten des Prof. Dr. N. und Dr. H. sowie den Berichten des Epilepsiezentrums K. und der Uni-Klinik F..
73 
In Auswertung der Befundunterlagen und der beiden im Klage- und Berufungsverfahren erstatteten Gutachten sowie des im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Gutachtens des Prof. Dr. H. im Verwaltungsverfahren unter Berücksichtigung der Angaben der Mutter des Klägers im gesamten Verfahren besteht zur Überzeugung des Senats kein wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der Impfung des Klägers mit M.-V. und der später aufgetretenen myoklonisch-astatischen Epilepsie mit atypischem Autismus. Demgegenüber konnte das abweichende Gutachten von Dr. H., dass sich allein auf das Ereignis im Januar 1999 sowie eine nicht im Vollbeweis gesicherte Erkrankung einer ADEM stützt, nicht überzeugen.
74 
Die Epilepsie muss, um Impffolge in Form einer fehlgeleiteten Immunreaktion sein zu können, durch eine stattgehabte Erkrankung des Gehirns in Form einer Enzephalitis oder Enzephalopathie, auch in Form der ADEM, hervorgerufen worden sein. Entgegen der Ansicht des Klägers im Schriftsatz vom 29.09.2014 genügt ein Krampfanfall im Sinne einer Erstmanifestation eines Anfallsleidens nicht, um einen ursächlichen Zusammenhang zu belegen. Ursache der Epilepsie ist nämlich in jedem Fall eine Hirnschädigung, sei sie angeboren oder erworben, bei letzterem durch Unfälle, Infektionen, Entzündungen, Hirntumore und Durchblutungsstörungen. Dies hat auch zuletzt Dr. H. in seinem Gutachten so dargestellt.
75 
Die plausible Pathophysiologie setzt vorliegend voraus, dass infolge der Impfung nachvollziehbar eine Hirnschädigung eingetreten ist, die zur Epilepsie führen konnte. Dies ist vorliegend nicht der Fall, auch wenn es generell denkbar ist, dass ein Autoimmun-Prozess durch die Impfung mit Lebendimpfstoff ebenso wie die Infektion mit dem Wildvirus eine entzündliche Gehirnerkrankung auslöst, die zu Epilepsie führt, was nach Studienlage mit 1:1 Million jedoch ein außerordentlich seltenes Geschehen ist. Hinweise für ein solches Geschehen zeigen sich beim Kläger allerdings weder durch einen Nachweis im Nervenwasser noch in Form von Narben im MRT als Zeichen größerer Läsionen. Die einzigen im MRT dokumentierten Veränderungen sind geringfügig erweiterte Liquorräume.
76 
Andere Ursachen der Erkrankung sind trotz umfangreicher Diagnostik nicht gefunden worden. Diesem Gesichtspunkt kommt aber angesichts des Umstands, dass nur in 25 % der Fälle von Epilepsie bei Kindern und Jugendlichen eine Ursache gefunden wird, worauf auch Dr. H. in seinem Gutachten hingewiesen hat, keine herausragende Bedeutung zu. Dass eine andere Ursache der klägerischen Erkrankung nicht gefunden wurde, führt auch nicht dazu, dass unterstellt werden muss, dass die streitige Impfung zu der Erkrankung geführt hat. Eine solche (negative) Beweisregel, wonach die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Ereignis und einer Gesundheitsschädigung nur deshalb anzunehmen ist, weil ein anderer Ursachenzusammenhang mit anderen Ereignissen oder Einwirkungen nicht zu finden ist, ist im Sozialrecht jedoch nicht anerkannt (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11.12.2013 - L 7 VE 11/11 - Breithaupt 2014, S. 659)
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Zur Überzeugung des Senats fehlt es vorliegend nämlich an einem plausiblen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Auftreten der Erkrankung. Die Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren und der Gutachter im Verwaltungsverfahren haben übereinstimmend bekundet, dass eine Typ B-Impfreaktion auf Masernimpfstoff ca. 10 Tage nach der Impfung eintreten muss. Angesichts der am 21.01.1999 durchgeführten Impfung ist somit eine Manifestation der Erkrankung Ende Januar 1999 erforderlich. Ärztliche Befunde über diesen Zeitraum existieren nicht, da kein Arzt konsultiert wurde. Der Kläger hat im Zusammenhang mit der Antragstellung auf Beschädigtenversorgung lediglich ein Ereignis in der Nacht vom 30.01. auf den 31.01.1999 geschildert. Die zunächst geschilderten Symptome schrilles Schreien und Überstrecken des Bauches mögen zwar auf Krämpfe hindeuten, sind aber nicht so schwerwiegend wie bei einer lebensgefährlichen Erkrankung zu erwarten. Zu Recht hat der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. N., der spezialisiert auf Epilepsieerkrankungen besonders kompetent in dieser Fragestellung ist, darauf verwiesen, dass kindliche neurologische Symptome komplexe Erscheinungsformen darstellen, die Beschreibung durch Laien deswegen unzulänglich ist und falsche Schlüsse nach sich ziehen kann. Überdies sind die berichteten Symptome keineswegs spezifisch, sondern können auch mit anderen fieberhaften Krankheiten oder mit krampfartigen Schmerzen verbundenen Zuständen wie einer Gastroenteritis auftreten, was der Senat dem Gutachten des Prof. Dr. H. entnimmt, und was im Übrigen auch zunächst die Vermutung der Eltern war. Des Weiteren hat Prof. Dr. N. ergänzt, dass die Episode nur sehr kurz war und ohne ärztliche Intervention ausheilte. Etwas anderes gilt hinsichtlich der erstmals im Berufungsverfahren durch eine neue Bevollmächtigte des Klägers behaupteten Symptome Apathie und Bewusstseinstrübung, die der Senat seiner Bewertung jedoch nicht zugrunde legt. Die Mutter des Klägers hat diese nämlich weder im Verfahrensverlauf angegeben, insbesondere nicht im Rahmen ihrer ausführlichen Befragung in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem SG, noch zeitnah einem Arzt berichtet, obwohl dazu Anlass bestanden hätte. Zu der vor dem SG vorgetragenen, nicht sehr erheblichen Symptomatik passt, dass die Eltern keinen Notarzt gerufen haben, weil sie zunächst eine Gastroenteritis angenommen haben und auch in den folgenden Tagen keinen Arzt aufgesucht haben. Auch litt der Kläger nach den Angaben der Kinderärztin bereits vor der Impfung am 04.12.1998 unter nächtlicher Unruhe und vermehrtem Krümmen.
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Prof. Dr. N. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass die Schwere der Schädigung der Schwere der Erkrankung entspricht und angesichts relativ alltäglicher Symptome am 30.01./31.01.1999 nicht von einer an diesem Tag durchlebten schweren Gehirnerkrankung auszugehen ist. Denn bei der Enzephalitis handelt es sich um ein schweres Krankheitsbild, das mit schweren Allgemeinerscheinungen wie Fieber, Bewusstseinseintrübung und Apathie einhergeht, die Krankheitssymptome halten über mehrere Tage an und werden auch von dem insoweit erfahrenen Praktiker Prof. Dr. N. als sehr bedrohliches Ereignis eingestuft. Gegen eine schwere Erkrankung am 30./31.01.1999 spricht zudem, dass sich zunächst eine symptomlose Zeit anschloss. Erst im Oktober fiel bei der U 7 eine deutliche Retardierung auf. Soweit im Klageverfahren auffälliges Verhalten bereits nahtlos im Anschluss an die Nacht vom 30.01.1999 vorgetragen wird, überzeugt dies den Senat nicht. Der Kläger ist nämlich trotz Schilderung auffälliger neurologischer Symptomatik in der Folge nicht einem Kinderarzt vorgestellt worden, aber im April, Mai und Juni aus anderen Anlässen beim Kinderarzt gewesen, nämlich zu einer weiteren Impfung im April, wegen einem Zeckenbiss im Mai und einer Infektion am Finger im Juni, ohne dass die Kinderärztin Auffälligkeiten notiert oder die Mutter von solchen berichtet hat. Insbesondere aus Anlass der Impfung im April musste die Kinderärztin den Kläger untersuchen, um festzustellen, ob Impfhindernisse vorliegen, speziell akute Erkrankungen. Die Erklärung der Mutter des Klägers, sie habe die Auffälligkeiten nicht angesprochen, weil man seinerzeit noch keinen Zusammenhang zu der Impfung im Januar gesehen habe, überzeugt nicht, denn bei Vorliegen schwerer Symptome hätte unabhängig von der Kausalitätsbeurteilung ein Bedarf bestanden, einen Grund für das angeblich vollkommen veränderte Verhalten und das Keine-Nacht-mehr-Durchschlafen zu finden. Damit erscheint das Vorliegen schwerer neurologischer Auffälligkeiten nicht wahrscheinlich. Bei einem klinischen Bild wie zuletzt geschildert hätten die Eltern den Kläger bereits zeitnah im Februar einem Arzt vorgestellt und dem Kinderarzt wäre dies bei den stattgehabten Besuchen im April, Mai und Juni aufgefallen.
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Selbst wenn es sich um eine (allenfalls sehr milde) Enzephalitis zum Zeitpunkt des 30/31.01.1999 gehandelt hätte, so war der Kläger in den nächsten Tagen und Wochen nach dem Ereignis und vor Beginn der ersten, dann kleinsten Anfälle klinisch unauffällig, so dass jedenfalls nicht von einer weiter bestehenden Enzephalopathie, sondern von einem „symptomfreien Intervall“ ausgegangen werden muss, was Prof. Dr. N. für den Senat überzeugend herausgearbeitet hat. Der Kläger verlor nicht, wie jetzt behauptet, im Anschluss an den 30.01.1999 bereits erworbene Fähigkeiten und es trat auch kein Entwicklungsknick ein, was insbesondere Prof. Dr. H. für den Senat überzeugend dargelegt hat, vielmehr nur eine mäßige Entwicklungsverzögerung. Ein solcher wäre aber bei einer schweren Hirnerkrankung, die er zu dieser Zeit durchlebt haben soll, zu erwarten gewesen. Vielmehr lernte der Kläger sogar im Juni 1999 frei laufen und war somit ohne Zweifel in der Lage den „Meilenstein der Entwicklung“ zu tun. Die gegenteilige Behauptung, man habe erwartet, dass er nach Weihnachten 1998 zeitnah das freie Laufen lernen würde, begründet keinen Entwicklungsknick und steht im Übrigen im Widerspruch zum sonstigen Vorbringen, wonach die Eltern die motorische Entwicklung des Klägers als normal empfanden, weil seine Geschwister ebenfalls Spätentwickler gewesen seien und sich normal weiter entwickelt hätten. Das ebenfalls vorgetragene Argument, er habe nach dem 30.01.1999 nicht mehr laufen können, belegt angesichts der ohnehin leicht retardierten Entwicklung, die sich bereits bei der U 6 im Oktober 1998 gezeigt hatte, und dem Umstand, dass der Kläger im Januar 1999 noch nicht laufen konnte, keinen Einbruch in der Entwicklung.
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Ein plausibler zeitlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung ist damit nicht gegeben, weil für den fraglichen Zeitpunkt keine entsprechenden ärztlichen Befunde vorliegen und die einzigen glaubhaft geschilderten Symptome einen Zusammenhang nicht begründen. Damit folgt der Senat den Gutachten des Prof. Dr. N. und des Prof. Dr. H.. Die abweichende Meinung von Dr. H. gründet darauf, dass er eine viel schwerere Symptomatik, nämlich die zuletzt geschilderte, als gegeben annimmt, wobei er selbst einräumt, es könne nicht beantwortet werden, warum dann initial keine Vorstellung beim Kinderarzt erfolgt sei, was letztlich seiner Argumentation die Plausibilität entzieht.
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Des Weiteren ist die Liquor-Serologie negativ, was ebenfalls nicht für eine durchgemachte Masern-Hirnentzündung spricht. Auch wenn die Aussagekraft dieser Liquor-Serologie nach Aussage von Prof. Dr. H. begrenzt ist, so war darüber hinaus auch das MRT negativ und es ließen sich keine Narben, die auf eine Hirnschädigung hindeuten, erkennen. Darauf hat insbesondere der Sachverständige Prof. Dr. N. hingewiesen, der im weiteren Verlauf in Auswertung der insoweit allein relevanten neuesten Datenlage, die in Impfschadensfällen der Entscheidung zugrunde zu legen ist, dargelegt hat, dass auch das frühkindliche Hirn entzündliche Erkrankungen des Gehirns mit nachweisbarer Narbenbildung und/oder Nervenwasserflüssigkeiten aufweisen kann, die aber beim Kläger fehlten. Dr. G. hat daher in seiner zuletzt vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme zu Recht darauf verwiesen, dass Dr. H. nicht beachtet hat, dass es am Nachweis einer neuroimmunologischen Reaktion im zentralen Nervensystem beim Kläger fehlt.
82 
Der hohe Titer im Serum ist lediglich auf den Impfschutz gegenüber Masern zurückzuführen, also eine durch die Impfung gewollte Reaktion, und beweist keinesfalls einen kausalen Zusammenhang. Die von Klägerseite zitierte Divertatia ist nicht belegt, worauf Prof. Dr. N. zur Recht hinweist.
83 
Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus dem im Verfahren mehrfach angeführten BSG-Urteil vom 20.07.2005 (B 9/9a VJ 1/07 R), in dem das BSG entschieden hat, dass ein Anspruch nur aus einer Impfung mit einem zugelassenen Impfstoff folgen kann. Die vom Kläger angeführte, im Urteil erwähnte Nutzen-Lastenanalyse ist allein Teil des strengen Zulassungsverfahrens für Impfstoffe, aber nicht maßgebend für die hier streitige Frage der Kausalität.
84 
Schließlich ergibt sich aus den vom Kläger zuletzt vorgelegten Unterlagen nichts Anderes, insbesondere betrifft der Fall des an ADEM erkrankten amerikanischen Klägers eine vom vorliegenden Sachverhalt abweichende Konstellation, nämlich eine zeitnahe Erstmanifestation einer neurologischen Erkrankung und gibt somit keinerlei Anhaltspunkte für eine abweichende Entscheidung.
85 
Es besteht auch kein Anspruch auf die hilfsweise beantragte Kann-Versorgung. Gemäß § 61 Satz 2 IfSG kann ein Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde anerkannt werden, wenn die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer über das übliche Maß hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung und einem dauerhaften Gesundheitsschaden nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht.
86 
Die Regelung entspricht der des § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG, so dass die dafür entwickelten Grundsätze auch für § 61 Satz 2 IfSG gelten (so Meßling in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 61 IfSG Rdnr. 21). Die wesentlichen rechtlichen Maßstäbe zur richtigen Anwendung der Kann-Bestimmung ergeben sich seit dem 1. Januar 2009 aus Teil C Nr. 4b der Anlage zu § 2 VersMedV (siehe oben). Danach ist eine Kann-Versorgung zu prüfen, wenn über die Ätiologie und Pathogenese des als Schädigungsfolge geltend gemachten Leidens keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Auffassung herrscht und entsprechend die ursächliche Bedeutung von Schädigungstatbeständen für die Entstehung oder den Verlauf des Leidens nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden kann. In diesen Fällen ist die Kann-Versorgung zu gewähren, wenn ein ursächlicher Einfluss des geltend gemachten schädigenden Tatbestandes in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen wird (Teil C Nr. 4b bb).
87 
Dabei reicht die allein theoretische Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs nicht aus (vgl. zum Folgenden Urteil des Senats vom 13.12.2012 - L 6 VJ 1702/12 - Juris; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.11.2011 - L 4 VJ 2/10 - Juris). Denn die Verwaltung ist nicht ermächtigt, bei allen Krankheiten ungewisser Genese immer die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs - die so gut wie nie widerlegt werden kann - ausreichen zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993 - 9/9a RV 41/92 - SozR 3-3200 § 81 Nr. 9 m.w.N.). Es genügt nicht, wenn ein Arzt oder auch mehrere Ärzte einen Ursachenzusammenhang nur behaupten. Vielmehr ist es erforderlich, dass diese Behauptung medizinisch-biologisch nachvollziehbar begründet und durch wissenschaftliche Fakten, in der Regel statistische Erhebungen (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RV 17/94 - SozR 3-3200 § 81 Nr. 13), untermauert ist. Die Fakten müssen - in Abgrenzung zu den Voraussetzungen der Pflichtversorgung - zwar (noch) nicht so beschaffen sein, dass sie bereits die überwiegende medizinische Fachwelt überzeugen. Die niedrigere Schwelle zur Kann-Versorgung ist daher bereits dann überschritten, wenn die vorgelegte Begründung einschließlich der diese belegenden Fakten mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs belegt (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995 - SozR 3-3200 § 81 Nr. 13, sowie Urteil vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - SozR 4-3200 § 81 Nr. 5) und damit zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner überzeugt ("Mindermeinung"). In seiner ständigen Rechtsprechung hat das BSG diesen Maßstab auf die „gute Möglichkeit“ eingeschränkt (BSG, Urteil vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - SozR 4 - 3200 § 81 Nr. 5).
88 
Die abweichende Bewertung durch Dr. H. belegt nicht im Sinne einer fachwissenschaftlichen Mindermeinung mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs. Sie beruht auf der durch die Befundlage nicht gestützten Annahme, dass der Kläger in der Nacht zum 31.01.1999 eine ADEM-Erkrankung durchgemacht hat, und der Beurteilung des plausiblen Zusammenhangs zwischen der Impfung und der angenommenen Gehirnerkrankung am 30.01.1999 allein aufgrund der zuletzt vom Kläger vorgetragenen Symptome einer lebensgefährlichen Erkrankung in zeitlicher Nähe zur Impfung, ohne dieses auf der Grundlage des vorangegangenen Vorbringens und der (fehlenden) ärztlichen Befunde kritisch zu hinterfragen. Dies begründet nicht die für eine Kann-Versorgung erforderliche gute Möglichkeit eines Ursachenzusammenhanges.
89 
Den in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsanträgen war nicht stattzugeben. Der Senat konnte in der Sache entscheiden, ohne die beiden Sachverständigen erneut zu hören, den Kläger ein weiteres Mal begutachten zu lassen oder die Mutter erneut zu befragen und sie danach zu vereidigen; er hat deswegen die darauf gerichteten Beweisanträge des Klägers abgelehnt.
90 
Die Mutter war als gesetzliche Vertreterin des Klägers nicht erneut zu befragen und danach zu vereidigen, denn die Parteivernehmung stellt im sozialgerichtlichen Verfahren kein Mittel der Sachaufklärung dar, mit dem ein Vollbeweis für eine behauptete Tatsache erbracht werden könnte. Dies ergibt sich daraus, dass § 118 Abs. 1 SGG nicht auf die Bestimmungen der §§ 445 ff. ZPO, die die Parteivernehmung regeln, verweist. Die Parteivernehmung stellt damit nach herrschender Meinung in der Literatur (z. B. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl 2014, § 118, Rn. 8) und Rechtsprechung (z. B. BSG, Urteile vom 28.11.2007, B 11a/7a AL 14/07 R und vom 03.06.2004, B 11 AL 71/03 R - Juris) im sozialgerichtlichen Verfahren kein förmliches Beweismittel und somit kein Mittel der Sachaufklärung dar. Im Übrigen liegen dem Senat bereits ihre mehrfachen Aussagen vor, die er bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat. Eine eidliche Parteivernehmung ist im sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig (BSG, Beschluss vom 13.12.2005 - B 13 RJ 247/05 B – Juris).
91 
Dem Hilfsantrag, von Amts wegen Prof. Dr. N. und Dr. H. zur Erläuterung ihrer Gutachten zu laden, war nicht stattzugeben, weil Art. 103 Abs. 1 GG keinen Anspruch darauf gewährt, das Fragerecht gegenüber Sachverständigen in jedem Fall mündlich auszuüben (vgl. BVerfG vom 29.05.2013 - 1 BvR 1522/12 - Juris; vgl. auch BVerfG vom 17.01.2012 - 1 BvR 2728/10 - NJW 2012, 1346, Juris m.w.N.). Es ist auch nicht erkennbar, dass eine mündliche Befragung einen über die Wiederholung schriftlicher Äußerungen hinausreichenden Mehrwert hätte (so zuletzt BSG, Beschluss vom 10.12.2013 - B 13 R 198/13 B - Juris). Beide Sachverständige haben sich umfassend und Prof. Dr. N. sogar mehrmals geäußert. Welche Fragen den beiden Ärzten gestellt werden sollen oder wo noch Aufklärungsbedarf gesehen wird, hat der Kläger nicht dargelegt. Es entspricht dann dem Beweisrecht, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens oder Anhörung des behandelnden Arztes zum Beweis einer bestimmten Tatsache beliebig oft nachzukommen (zuletzt Urteil des Senats vom 27.03.2014 - L 6 U 4001/13 - unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 15.04.1991 - 5 RJ 32/90 - Juris). Es müssen zwar keine Fragen formuliert werden, sondern es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen (BSG SozR 3-1750 § 411 Nr. 1). Daran fehlt es aber vorliegend, denn die Notwendigkeit einer Erörterung hat der Kläger überhaupt nicht begründet (BSG, Beschluss vom 25.04.2013 – B 13 R 29/12 B – Juris). Der Senat vermochte keine Notwendigkeit zu erkennen, weitere Ermittlungen durchzuführen, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt hinreichend geklärt ist.
92 
Der weitere Hilfsantrag auf Einholung eines Obergutachtens war abzulehnen, weil die Würdigung widerstreitender Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst gehört. Eine Verpflichtung zur Einholung eines sogenannten Obergutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtensergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 128 RdNr 7d, 7e mwN). Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG, Beschluss vom 01.04.2014 - B 9 V 54/13 B - Juris). Dies gilt umso mehr, als ein weiteres epileptologisches Obergutachten schon deswegen nicht erforderlich ist, da Prof. Dr. N. als Leiter des Epilepsiezentrums M. über Sachkunde auf diesem Fachgebiet verfügt. Gründe für eine Ausnahme sind hier nicht dargelegt. Liegen bereits mehrere Gutachten (oder fachkundige Angaben) vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten (oder fachkundigen Angaben) grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr. 3). Derartige Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch für den Senat nicht ersichtlich.
93 
Eine Richtervorlage gemäß Art 100 GG war nicht vorzunehmen, weil der Senat die anzuwendenden Vorschriften für verfassungsgemäß hält, insbesondere eine generelle Beweislastumkehr, wie sie der Kläger fordert, vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsgebetes (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zwingend (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.07.1979 - BVerfGE 52, 131) und im Impfschadensrecht noch nicht einmal erforderlich ist. Vielmehr beinhaltet der Maßstab der geforderten Wahrscheinlichkeit ohnehin eine abgesenkte Beweislast und ermöglicht dem Betroffenen in einer Vielzahl von Fällen, wie auch dem Senat aus seiner Praxis bekannt, die Anerkennung einer Schädigungsfolge zumal das Verfahren ohnehin vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägt ist. Die zweite Rechtsfrage betrifft das generelle Zulassungsverfahren der Impfstoffe und ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, weil es sich unstreitig um eine öffentlich empfohlene Impfung und nicht die Verwendung eines nicht zugelassenen Impfstoffs handelt. Eine Richtervorlage an das Bundessozialgericht ist gesetzlich nicht vorgesehen.
94 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
95 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
96 
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG. Der Antrag war daher abzulehnen.

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 15. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Versorgung nach dem Impfschadensrecht gemäß §§ 60 ff. Infektionsschutzgesetz (IfSG).

Die Klägerin, der ein Grad der Behinderung von 100 wegen einer geistigen Behinderung, eines Anfallsleidens und Autismus sowie die Merkzeichen B, G, H zuerkannt sind, wurde am Ende der 40. Schwangerschaftswoche am 30.11.1994 geboren. Der APGAR-Wert erreichte 10. Eine Fruchtwasserpunktion noch während der Schwangerschaft blieb unauffällig. Im Untersuchungsbefund der U2 vom 05.12.1994 ist von Dr. H. ein Opisthotonus vermerkt.

In der Karteikarte über die Klägerin ist beim damals behandelnden Kinderarzt A. am 03.01.1995 „öfter Opisthotonus“ und am 08.03.1995 „Hochtonrassel beidseits negativ, Klatschen links besser als rechts“ vermerkt. Wegen Verdachts auf Schwerhörigkeit seien die Eltern nach E-Stadt zur weiteren Diagnostik verwiesen worden. In der Uniklinik E-Stadt wurde im Rahmen der Anamnese am 14.05.1996 ein seit einem Alter von 3 Monaten wechselnder Verdacht auf Schwerhörigkeit angegeben.

Vom Gesundheitsamt F-Stadt befragt, gab der damals behandelnde Kinderarzt Herr A. zu den Untersuchungen U3 und U4 am 03.01.1995 und 06.03.1995 an, dass ihm bei der U3 eine gewisse Opisthotonushaltung aufgefallen sei. Da der Schädel aber okzipital betont gewesen sei, habe er dies damals nicht als eindeutig pathologisch eingestuft. Bei der U4 sei ihm aufgefallen, dass das Kind auf die Hochtonrassel nicht reagiert habe.

Die erste Impfung gegen Tetanus, Diphtherie und HiB und Polio erfolgte am 20.03.1995 durch die Ärztin Dr. K., die zweite diesbezügliche Impfung am 04.05.1995.

17 Tage nach der zweiten Impfung, am 21.05.1995, stellte sich bei der Klägerin ein tonischer Adversivkrampf während des Stillens ein. Im Rahmen des anschließenden Krankenhausaufenthalts im Klinikum B-Stadt wurde bei der entwicklungs-neurologischen Untersuchung ein grenzwertiger Befund mit Zeichen einer Entwicklungsretardierung um 1-2 Monate festgestellt und der Verdacht auf ein fokales Anfallsleiden geäußert. Eine Meldung der Erkrankung als Verdachtsfall einer unerwünschten Arzneimittelwirkung erfolgte nicht.

In der am 06.06.1995 durchgeführten craniellen Kernspintomographie zeigte sich eine diskrete Betonung der äußeren Liquorräume beidseits über der frontalen Konvexität sowie perisylvisch bis temporopolar ausgedehnt. Am 21.05.1996 erfolgte die dritte Impfung gegen Tetanus und Diphterie. Nach der Vorstellung in der Kinderarztpraxis am 13.06.1996 wurde der Verdacht auf eine Wahrnehmungsstörung mit autistischen Zügen geäußert. In der daraufhin veranlassten Vorstellung in der neuropädiatrischen Ambulanz der Uniklinik E-Stadt am 01.07.1996 ergab sich aber kein Befund.

Bei der U5 am 29.06.1995 wurden Krampfanfälle berichtet.

Am 08.07.1996 wurden eine Hib-Impfung und die dritte Polioimpfung durchgeführt.

Bei der U6 am 21.11.1995 wurden wieder Krampfanfälle berichtet.

Bei der U7 am 04.12.1996 wurde dann bei weiterhin auftretenden Krampfanfällen und einer Entwicklungsverzögerung eine allgemeine mentale Retardierung festgestellt.

Am 30.01.2001 wurde beim Amt für Versorgung und Familienförderung Bayreuth (Beklagter) ein Antrag auf Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens gestellt, wobei die 2. Impfung am 04.05.1995 verantwortlich gemacht wurde. Im vorgelegten Impfausweis der Klägerin sind die Chargennummern nur für die Impfungen am 20.03.1995 und 21.05.1996, nicht aber für die Impfung am 04.05.1995, angegeben.

Am 11.03.2002 wurden die Eltern der Klägerin einvernommen. Diese sagten aus, dass sie nach der ersten Impfung keine Hautrötung oder Fieber hätten feststellen können. Im Nachhinein habe es aber bereits auch nach der ersten Impfung Verhaltensauffälligkeiten gegeben, wobei aufgrund des Zeitablaufes keine exakten Angaben mehr gemacht werden könnten. So könne nicht mehr gesagt werden, was in diesen Abstand von fünf Wochen falle und was erst nachher aufgetreten sei. Nach der ersten Impfung habe es Schwierigkeiten beim Trinken gegeben und der Blickkontakt sei nicht mehr so wie früher gewesen. Auch Schlafprobleme habe es bereits damals gegeben, dies könne aber zeitlich nicht mehr genau eingeordnet werden; deutlich auffällig sei dies erst nach der zweiten Impfung gewesen. Ein vermehrter Speichelfluss sei ihnen erst nach der zweiten Impfung aufgefallen, wobei sie nicht mehr genau sagen könnten, ob dies bereits schon nach der ersten Impfung der Fall gewesen sei. Auch nach der zweiten Impfung sei ihnen weder eine Hautrötung an der Impfstelle aufgefallen noch habe die Klägerin Fieber gehabt. Ein paar Tage nach der zweiten Impfung sei ihnen ein verändertes Trinkverhalten aufgefallen, der wechselnde Blickkontakt und Ähnliches. Die bemerkten Verhaltensänderungen hätten sie einmal zusammengestellt. Eine diesbezügliche Aufstellung würden sie zur Akte geben (auf Bl. 181 der Beklagtenakte wird insoweit hingewiesen). Die Verhaltensänderungen seien schleichend aufgetreten. Es sei nicht so extrem gewesen, dass ihnen dies sofort als abseits der Norm aufgefallen wäre und dass sie extra deswegen nach ärztlicher Hilfe nachgesucht hätten. Am 21.05.1995 sei es dann beim Stillen zu besagtem Krampfanfall gekommen.

Im versorgungsärztlichen Gutachten des Facharztes für Neurologie B. vom 07.08.2002 wurde das Vorliegen eines Impfschadens verneint. Die Versorgungsärzte Dr. K. und Dr. H. stimmten dieser Einschätzung zu. In einer weiteren Besprechung des Beklagten mit den Eltern am 20.03.2003 gaben diese auch der 1. Impfung am 20.03.1995 die Schuld am Gesundheitszustand ihrer Tochter.

Der Beklagte holte eine Stellungnahme des P.-E.-Instituts (PEI) ein, die am 02.04.2003 von Dr. K. H. erteilt wurde. Nach der Meldung der Eltern über den Verdachtsfall einer unerwünschten Arzneimittelwirkung sei der Fall dahingehend eingestuft worden, dass der Kausalzusammenhang zwischen der Impfung und dem klinischen Schädigungsbild möglich erscheine. Der Versorgungsarzt Dr. K. verneinte am 15.04.2003 das Vorliegen eines Impfschadens.

Mit Bescheid vom 08.05.2003 (Widerspruchsbescheid vom 11.11.2004) lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem IfSG ab. Dagegen hat die Klägerin am 09.12.2004 Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben.

Das SG hat ein mikrobiologisches Gutachten von Prof. Dr. J. vom 14.02.2008 eingeholt, der zu dem Ergebnis gekommen ist, dass das bei der Klägerin vorliegende Krankheitsbild mit autistischen Zügen, einer Epilepsie und einer schwerwiegenden Entwicklungsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Impffolge sei. Die von den Eltern angegebenen Funktionsstörungen nach der 1. und 2. Impfung könnten durchaus die üblichen Nebenwirkungen einer oder mehrerer der vier applizierten Impfungen gewesen sein. Offenbar seien sie im Fall der Klägerin auch nicht besonders schwerwiegend gewesen, denn sonst wäre die 2. Impfserie mit Sicherheit nicht vorgenommen worden. Ein wie auch immer gearteter Hinweis auf spätere Erkrankungen als Folge der Impfung ergebe sich daraus mit Sicherheit nicht. Andererseits hätte es möglicherweise bereits in den ersten Lebensmonaten der Klägerin diskrete Hinweise auf eine Entwicklungsstörung, so den Opisthotonus und den zweimal geäußerten Verdacht auf eine Hörstörung gegeben. Der weitere Verlauf lasse durchaus die Vermutung zu, dass hier schon die ersten Anzeichen der Erkrankung zu Tage getreten seien - also vor der 1. Impfung.

Der im Folgenden von der Klägerin gegen Prof. Dr. J. gestellte Antrag auf Besorgnis der Befangenheit ist mit Beschluss des SG vom 31.08.2010 als unbegründet abgelehnt worden (Az. S 4 SF 19/10).

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist im Folgenden ein Gutachten von Dr. H. vom 28.05.2009 und im Weiteren von diesem noch eine ergänzende Stellungnahme vom 05.12.2009 eingeholt worden. Dr. H. ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass der bei der Klägerin vorliegende schwere Hirnschaden wahrscheinlich durch die verabreichten Impfungen verursacht worden sei. Werte man die Verhaltensauffälligkeiten nach der ersten Impfung, die von den Eltern beobachtet und nicht vom Arzt dokumentiert worden seien, als Beginn der zerebralen Symptomatik, so könne sogar von einem gesicherten Zusammenhang bei positivem Re-Expositionsversuch ausgegangen werden. Der zeitliche Verlauf, neue Erkenntnisse über die Toxizität der verwendeten Impfstoffe und das Fehlen alternativer Ursachen sprächen im Falle der Klägerin für eine solche Einschätzung. Die Entwicklungsstörung des Gehirns der Klägerin gehe über das Maß einer üblichen Impfreaktion bei weitem hinaus und sei als seltene, aber bekannte Komplikation der inaktivierten Impfstoffe DT und HiB zu betrachten. Eine Anerkennung käme auch im Wege der Kann-Versorgung in Betracht, da der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über solche Impfkomplikationen wie bei der Klägerin mit Sicherheit noch lückenhaft sei. Im Einzelnen hat Dr. H. auf eine durch aktuelle experimentelle Untersuchungen belegte neurotoxische Wirkung sowohl von Thiomersal als auch von aluminiumhaltigen Adjuvantien der Impfstoffe hingewiesen, die bei vorhandener Disposition der Klägerin eine langsam einsetzende Störung der Hirnentwicklung bewirkt hätte. Von Beklagtenseite sind dagegen versorgungsärztliche Stellungnahmen von Dr. K. vom 31.07.2008, 29.08.2008, 17.07.2009, 08.01.2010 und von Dr. S. vom 10.02.2011 vorgelegt worden.

Im vor dem SG stattgefundenen Erörterungstermin am 28.10.2010 hat der Vater der Klägerin eine Kopie der Karteikarte der die Klägerin behandelnden Ärztin Dr. K. vorgelegt, auf der anlässlich der 1. Impfung am 20.03.1995 die Chargennummer für den Impfstoff 90064 vermerkt ist, der sich aus dem bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegten Impfausweis ebenso entnehmen lässt wie dem dort bereits vorgelegen Karteikartenauszug. Durchgeführte Ermittlungen des SG zu der im Rahmen der 2. Impfung verwandten Charge haben das Ergebnis erbracht, dass sich weder dem vorliegenden Impfbuch noch dem Karteikartenauszug die Chargennummer entnehmen lässt. Auf Nachfrage bei der damals impfenden Ärztin Dr. K. hat deren Sohn dem SG am 09.12.2010 mitgeteilt, dass Dr. K. seit einem Schlaganfall im Juli 2009 nicht mehr in der Lage sei, Auskünfte zu erteilen. Der Praxisnachfolger von Dr. K., Dr. F., hat auf Nachfrage des SG darauf hingewiesen, dass es bei den Vorgängerinnen seiner Praxis Usus gewesen sei, die Nummer bei Chargengleichheit nur einmal zu notieren.

Mit Schreiben vom 15.02.2011 hat das SG die Beteiligten zu der Absicht angehört, den Rechtstreit ohne mündliche Verhandlung per Gerichtsbescheid zu entscheiden, womit sich beide Beteiligten einverstanden erklärt haben. Mittels Gerichtsbescheid vom 15.06.2011 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Vollbeweis einer Impfkomplikation schon nicht erbracht sei. Der tonische Adversivkrampf während des Stillens am 21.05.1995 könne dafür nicht herangezogen werden; insoweit schließe sich das SG dem Gutachten von Dr. J. an.

Dagegen hat die Klägerin am 18.07.2011 Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt, die sie im Wesentlichen mit Kritik am Gutachten von Prof. Dr. J. begründet hat, und weiter die Einholung eines Obergutachtens bzw. eines weiteren Gutachtens nach § 106 SGG und/oder § 109 SGG beantragt.

Am 29.04.2013 hat vor dem damaligen Berichterstatter ein Erörterungstermin stattgefunden.

Der Senat hat Befundberichte von den behandelnden Ärzten der Klägerin eingeholt und Prof. Dr. C. mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 106 SGG betreut. Dieser ist in seinem Gutachten vom 13.02.2016 sowie einer ergänzenden Stellungnahme vom 27.05.2016 zu dem Ergebnis gekommen, dass es nach den klägerischen Angaben schon an einer Impfkomplikation fehle. Nach den insoweit 1995 getätigten Angaben seien keine gesundheitlichen Schädigungen aufgetreten die über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgegangen seien. 2002 seien dann zwar Symptome beschrieben worden, die von den 1995 gemachten Angaben erheblich abweichen würden, gleichwohl aber nicht im Sinne eines Vollbeweises postvakzinaler Enzephalitis oder Ähnliches angesehen werden könnten. Im Übrigen fehle es an der Kausalität. Mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit seien der Krampfanfall am 21.05.1995 und das spätere Anfallsleiden als zu erwartende Glieder der angeborenen, bereits vor Beginn der Impfserie fassbar gewordenen zerebralen Funktionsstörung/Entwicklungsstörung einzuordnen. Insoweit handele es sich inklusive Anfallsleiden um ein angeborenes, progredientes Leiden. Auch eine Verschlimmerung durch die Impfungen lasse sich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegen, was auch für die Impfzusatzstoffe gelte. Auch die Voraussetzungen zur Anwendung der so genannten Kannversorgung lägen nicht vor. Soweit Dr. H. in seinem Gutachten eine impfbedingte protrahierte Verursachung durch die Impfstoff-Beimischungen Thiomersal und Aluminiumverbindung sehe, sei zu sagen, dass der Nachweis solcher impfbedingter neuraler Schäden bei Menschen durch diese niedrig dosierte Beimischung fehle; es handele sich insoweit angesichts derzeitigen Wissensstandes um Spekulation.

Mit Schreiben vom 20.02.2016 hat die Klägerin nochmal zu einer von ihr behaupteten Befangenheit von Prof. Dr. J. vorgetragen und im Folgenden beantragt, die Verwertung dessen Gutachten zu untersagen (Schreiben vom 30.06.2016). Per Beschluss vom 22.02.2017 hat der Senat diesen Antrag als unzulässig verworfen (Az.: L 20 SF 209/16 AB).

Am 17.05.2016 hat sich der Schutzverband für Impfgeschädigte e.V. als Bevollmächtigter der Klägerin angezeigt. Mit Schreiben vom 24.05.2016, 15.06.2016, 26.07.2016, 28.09.2016, 07.11.2016 und 28.11.2016 hat das LSG den Schutzverband für Impfgeschädigte e.V. bzw. dessen Rechtsnachfolger, den, zur Prüfung dessen Vertretungsbefugnis nach § 73 SGG um Übersendung der Satzung, Stellungnahme zu § 73 Abs. 2 S. 2 Nr. 8 SGG und weitere Auskünfte gebeten bzw. erinnert. Die begehrten Auskünfte hat der Schutzverband für Impfgeschädigte e.V. bzw. der mit Schreiben vom 09.06.2016, 30.06.2016, 19.11.2016 und 09.01.2017 erteilt. Mit Beschluss vom 22.02.2017 hat der Senat den als Bevollmächtigten der Klägerin zurückgewiesen.

Mit weiteren Schreiben vom 30.06.2016, 11.05.2017, 14.05.2017 und 17.05.2017 hat die Klägerin beantragt, die Hebamme E. J. zum Termin zu laden, die die Klägerin in den ersten Monaten nach der Geburt zuhause betreut habe und über die Entwicklung und gesundheitliche Konstitution maßgeblich Auskunft geben könne, insbesondere darüber, dass die Klägerin sich normal entwickelt habe und keine gesundheitlichen Störungen vorgelegen hätten, was die gutachterlichen Ausführungen widerlege. Der Verdacht eines Opisthotonus habe sich zudem nach Durchführung eines so genannten Voita-Testes, einer weitreichenden neurologischen Grunduntersuchung, nicht erhärtet, so dass sich diese Verdachtsdiagnose des Dr. H. nicht bestätigt habe. Aus diesem Grund sei diesem Verdacht nicht weiter nachgegangen und entsprechend der Eintragung in der Untersuchung U3 auch dem weiteren Gesundheitsverlauf nicht mehr zugeschrieben worden, weder als Verdacht noch als Diagnosestellung. Weiter werde die Ladung des Sachverständigen Prof. Dr. C. beantragt, da die in seinem Gutachten ausgeführten Inhalte dem Akteninhalt widersprächen. Im Übrigen werde dessen Qualifikation als Gutachter in Fragen von Impfstoffen als nicht erwiesen angesehen. In keinem seiner Gutachten gebe es wissenschaftliche Quellen, die seine Einzelmeinung untermauern würden. Auch sei die fehlende ambulante Untersuchung durch Prof. Dr. C. zu monieren. Weiter werde die Ladung des Kinderarztes J. A. beantragt, der am 10.02.1995 die Voita-Untersuchung durchgeführt und sowohl Opisthotonus als auch ein cerebrales Leiden ausgeschlossen habe. Zudem werde die Ladung des HNO-Arztes Dr. M. K. beantragt, der am 30.11.1994 entgegen der Ausführungen im Gutachten eine Schwerhörigkeit ausgeschlossen habe. Eine Schwerhörigkeit liege auch bis zum heutigen Tage nicht vor. Die Ladung des Dr. H. werde beantragt, damit dieser darüber Auskunft gebe, dass die Verdachtsdiagnose Opisthotonushaltung nur ein Verdacht gewesen sei, die sich bis zur U3 als nicht gegeben erwiesen habe. Zudem seien noch weitere Unterlagen beizuziehen, wie - die im Individualfall wesentlichen Dokumente und Studien, aus denen die Wirkung und Nebenwirkungen ersichtlich seien; hierunter zählen Phase - II Studien, Unbedenklichkeitserklärungen der Hersteller, die Ergebnisse der Chargenprüfungen der streitgegenständlichen Chargenfreigabeprotokolle, das Zertifikat der Zulassungsbehörde(n), den Bescheid des PEI zur Freigabe der Chargen, die Zulassungsunterlagen des regulären Zulassungsverfahrens - Erstzulassung eventuell Rücknahme und erneute(n) Zulassung(en) und etwaigen Ergänzungen und aktuellen Ergänzungen, sowie die Ergebnisse physikalischer, chemischer, biologischer, mikrobiologischer Versuche ab Erstzulassung bis heute und die zur Entwicklung der streitgegenständlichen Impfstoff(e) angewandten Methoden (analytische Prüfung), nebst den Ergebnissen der pharmakologischen und toxikologischen Versuche, - sämtliche schwerwiegenden unerwünschten Ergebnisse SAEs (nach § 2 Nr. 5 MPSV), die im Zusammenhang der streitgegenständlichen Impfung(en) an das BfArM und PEI gemeldet worden seien, - sämtliche dem PEI bekannten und gemeldeten Einzelfallberichte (Kasuistiken) ab Erst- und Wiederzulassung der streitgegenständlichen Impfstoffe, sowie überprüfbare Daten aus klinischen Studien, epidemiologischen Untersuchungen, sowie aus den Post-Marketing-Beobachtungen.

Die Klägerin beantragt - so der Antrag in der mündlichen Verhandlung -,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 15.06.2011 sowie den Bescheid des Beklagten vom 08.05.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei der Klägerin ein Hirnkrampfleiden mit Entwicklungsretardierung als Impfschaden infolge der Impfungen vom 20.03.1995 und 04.05.1995 im Sinne des IfSG anzuerkennen und Versorgung zu gewähren,

hilfsweise den Sachverständigen Dr. H. wegen der Frage des Primärschadens erneut zu befragen und Herrn Dr. P. P. in Zusammenarbeit mit Herrn Dr. A. B. gutachtlich gemäß § 109 SGG zu hören.

Weitere Anträge hat die Klägerin nicht gestellt.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen, der beigezogenen Beklagtenakte, der beigezogenen Schwerbehindertenakte, der vom SG beigezogene Akte S 4 SF 19/10 und der Akten des LSG mit den Aktenzeichen L 20 SF 209/16 AB und L 20 VJ 4/17 RG Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), aber nicht begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 08.05.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2004, mit dem der Antrag auf Entschädigung wegen eines Impfschadens abgelehnt worden ist.

Die insoweit erhobene Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der angegriffene Bescheid ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 S. 1 IfSG liegen nicht vor, weil es vorliegend schon am Nachweis einer Impfkomplikation, aber auch an der Kausalität zwischen Impfung und gesundheitlicher Schädigung fehlt.

Das Begehren der Klägerin beurteilt sich dabei nach dem IfSG, weil der Antrag am 30.01.2001 und damit zu einem Zeitpunkt gestellt worden ist, als das - das BSeuchG ohne Übergangsvorschrift ablösende (siehe Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften vom 20.07.2000, BGBl. I, S. 1045) - IfSG (seit dem 01.01.2001) in Kraft war (siehe dazu auch Bundessozialgericht - BSG Urteil vom 20.07.2005, B 9a/9 VJ 2/04 R, juris).

Nach § 60 Abs. 1 S. 1 IfSG erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die 1. von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, 2. auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde, 3. gesetzlich vorgeschrieben war oder 4. auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.

Nach § 61 S. 1 IfSG genügt zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 1 IfSG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 1 IfSG anerkannt werden, wobei die Zustimmung allgemein erteilt werden kann (vgl. § 61 S. 2 und 3 IfSG). Der Impfschaden wird in § 2 Nr. 11 IfSG definiert als die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung, wobei ein Impfschaden auch vorliegt, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde.

Neben einer „Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe“, die die genannten Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 S. 1 IfSG erfüllen müssen (1. Glied), muss damit auch eine „gesundheitliche Schädigung“ (2. Glied) als Primärschädigung (d.h. Impfkomplikation) ebenso wie der „Impfschaden“ (3. Glied, d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also der Folgeschaden) im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sein (vgl. BSG Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 38).

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen (BSG Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 3/12 R, juris Rn. 34). Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen (vgl. BSG Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 3/12 R, juris Rn. 34; BSG Urteil vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R, juris). Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128 Rn. 3b m.w.N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 3/12 R, juris Rn. 34 m.w.N.). Eine Tatsache ist damit bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. BSG Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 3/12 R, juris Rn. 34; vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rn. 3b m.w.N.), wenn also eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Für die Kausalität als haftungsbegründende (zwischen Impfung und gesundheitlicher Schädigung) und haftungsausfüllende (zwischen gesundheitlicher Schädigung und Impfschaden) gilt dagegen ein gegenüber dem Vollbeweis abgeschwächter Beweismaßstab - nämlich der der Wahrscheinlichkeit im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. auch § 1 Abs. 3 BVG; siehe auch BSG Urteil vom 29.04.2010, B 9 VS 2/09 R, juris Rn. 46; BSG Urteil vom 13.12.2000, B 9 VS 1/00 R, juris Rn. 22f.; BSG Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 38 und Bayerisches Landessozialgericht - BayLSG Urteil vom 31.07.2012, L 15 VJ 9/09, juris Rn. 33 ff.). Gegenüber dem notwendigen Vollbeweis der o.g. drei Glieder reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang zwischen diesen aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität. Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung. Wahrscheinlichkeit bedeutet dabei, dass mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang spricht (vgl. BSG Urteil vom 19.03.1986, 9a RVi 2/84, juris; BSG Urteil vom 26.06.1985, 9a RVi 3/83, juris; BSG Urteil vom 19.03.1986, 9a RVi 4/84, juris; BSG Urteil vom 19.08.1981, 9 RVi 5/80, juris; BSG Urteil vom 27.08.1998, B 9 VJ 2/97 R, juris; BSG Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 38). Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (BSG Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 38).

Wie auch sonst im Versorgungsrecht gilt für beide Kausalverläufe die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. dazu BSG Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 37; siehe zum Ganzen auch BayLSG Urteil vom 31.07.2012, L 15 VJ 9/09, juris Rn. 34 ff.; dazu, dass auch nach Ablösung der entsprechenden Regelungen des BSeuchG durch §§ 60, 61 IfSG für beide Komponente der Kausalität der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit greift, siehe BayLSG Urteil vom 31.07.2012, L 15 VJ 9/09, juris Rn. 34 ff.). Im Rahmen der Kausalität ist eine Ursache dann rechtlich wesentlich, wenn sie wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat.

In einer neueren Entscheidung (Urteil vom 16.12.2014, B 9 V 6/13 R, juris) hat das BSG dies für den Fall, dass mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen haben, dahingehend präzisiert, dass diese rechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen sind, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs „annähernd gleichwertig“ sind. Danach ist, wenn neben einer Impfung mehrere weitere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen haben, die Impfung versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge dieser Impfung zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Impfung in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen.

Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer Ursache zum Erfolg sind neben der Ursache bzw. dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens (wobei eine Ursache nicht deswegen wesentlich ist, weil sie die letzte war), weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Geschädigten nach der Impfung, aus den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie aus der gesamten Krankengeschichte; ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein.

Dabei sind auch generelle und allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang zu berücksichtigen; die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wis-senschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen (vgl. BSG Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, juris Rn. 17).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist hier schon eine Impfkomplikation (gesundheitliche Schädigung, 2. Glied) nicht nachgewiesen. Es fehlt aber auch an der Kausalität zwischen den durchgeführten Impfungen und der gesundheitlichen Schädigung.

Der Senat stellt zunächst fest, dass die Klägerin am 04.05.1995 und 20.03.1995 jeweils eine Kombination von Injektion einer Ampulle DT-Impfstoff (im Impfling nicht vermehrungsfähige Antigene, Zusatz Thiomersal und Aluminimuhydroxid) plus Injektion einer Ampulle HiB-Impfstoff (nicht vermehrungsfähige Antigene, Zusatz Thiomersal) plus Impfung mit Polio-Schluckimpfung (alle drei Virus-Typen, abgeschwächt, aber lebend, im Impfling vermehrungsfähig, keine hier erwähnenswerten Zusätze) erhalten hat. Während es sich bei dem DT-Impfstoff und HiB-Impfstoff nach Auskunft der impfenden Ärztin gegenüber dem Landratsamt F-Stadt jeweils um Impfstoffe der Firma B. gehandelt hat, stammte der Impfstoff für die Polioimpfung von S.C.B …

Weiter ist festzustellen, dass bei der Klägerin eine zentralnervöse Funktionsstörung (Verarbeitungsstörung) mit zum Teil erheblichen Defiziten im Bereich der Hör-Verarbeitung, des Sprechens, der Kognition, der Intelligenz, des Verhaltens, der Feinmotorik und ein Anfallsleiden vorliegt.

Eine zeitnah nach der Impfung aufgetretene gesundheitliche Schädigung (d.h. die Impfkomplikation), die möglicherweise durch diese Impfungen bedingt sein könnte, ist hier aber nicht im notwendigen Vollbeweis nachgewiesen.

Aus den beigezogenen ärztlichen Unterlagen (insbesondere aus den Karteikartenauszügen der damals impfenden Ärztin) ergeben sich keine Angaben der Eltern der Klägerin zu einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (vgl. § 2 Nr. 11 IfSG).

Soweit die Eltern der Klägerin im Verwaltungsverfahren am 11.03.2002 gegenüber dem Beklagten insoweit erstmals nähere Angaben gemacht haben, haben sie selbst ausgeführt, dass es sowohl nach der Impfung am 20.03.1995 als auch am 04.05.1995 zu keiner Hautrötung an der Impfstelle oder zu Fieber gekommen sei.

Soweit die Eltern am 11.03.2002 weiter angegeben haben, dass es „Verhaltensauffälligkeiten“ wie auch „Schwierigkeiten beim Trinken“, einen veränderten Blickkontakt und vermehrten Speichelfluss gegeben habe, wobei aber aufgrund des Zeitablaufes keine exakten Angaben mehr gemacht werden könnten, sind diese Angaben zu vage, um im Vollbeweis den Nachweis einer Impfkomplikation erbringen zu können. Auch die insoweit von den Eltern verfasste Aufstellung der Verhaltensänderungen der Klägerin (Bl. 181 der Beklagtenakte) ist dafür nicht ausreichend, zumal dort auch keine zeitliche Zuordnung erfolgt. Auch haben die Eltern selbst vorgetragen, dass die Verhaltensänderungen nicht so extrem gewesen seien, dass ihnen dies sofort als abseits der Norm aufgefallen wäre und dass sie extra deswegen nach ärztlicher Hilfe nachgesucht hätten. Die von den Eltern insoweit beschriebenen Symptome nach den beiden Impfungen können - so auch zutreffend Prof. Dr. J. - daher noch durchaus als übliche Nebenwirkungen einer oder mehrerer der vier applizierten Impfungen angesehen werden.

Insoweit war auch nicht der in der mündlichen Verhandlung hilfsweise wegen der Frage des Primärschadens beantragten Befragung des Dr. H. Folge zu leisten. Zum Einen handelt es sich bzgl. dieser Frage nach dem Vorliegen eines Primärschadens, d.h. einer Impfkomplikation, um eine Frage, die unter Auswertung des vorliegenden Akteninhalts, d.h. den vorliegenden ärztlichen Befundberichten und Angaben der Eltern der Klägerin, auch von einem medizinischen Laien, d.h. dem Senat, vorgenommen werden kann. Zum Anderen hat sich Dr. H. in seinem Gutachten vom 28.05.2009 zur Frage des Vorliegens eines Primärschadens bereits - wenn auch ausweichend - geäußert, wenn er von den Eltern geschilderten (aber nicht ärztlich dokumentierten) Verhaltensauffälligkeiten spricht (s. Bl. 32 seines Gutachtens).

Aber auch soweit man dagegen - hilfsweise - den am 21.05.1995 (damit fast 2 Monate nach der 1. Impfung und 17 Tage nach der 2. Impfung) stattgefundenen Krampfanfall als Impfkomplikation sehen möchte, fehlt es insoweit an der Kausalität zwischen den Impfungen und einer solchen (unterstellten) Impfkomplikation (gesundheitlichen Schädigung). Der Senat schließt sich insoweit den überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr. C. in seinem Gutachten und ergänzenden Stellungnahme an, was auch durch das Gutachten des Prof. Dr. J. bestätigt wird.

Gegen einen Zusammenhang zwischen den Impfungen am 20.03.1995 und 04.05.1995 und dem (als potentieller Impfkomplikation) am 21.05.1995 stattgefundenen Krampfanfall spricht, dass die - nach dem medizinischen Wissensstand maßgebliche - postvakzinale Inkubationszeit überschritten ist. Diese beträgt nach den hier verwandten Totimpfstoffen (Tetanus, Diphtherie oder HiB-Impfstoff) 1-3 Tage und nach dem verwandten Le-bendimpfstoff gegen Poliomyelitis 3-14 Tage. Der Krampfanfall fand hier aber erst am 21.05.1995, also am 17. postvakzinalen Tag nach der 2. Impfung, statt.

Gegen das Vorliegen einer Enzephalitis als Folge der Impfungen spricht weiter, dass die Klägerin weder Fieber gehabt hat noch andere klinische Symptome einer Enzephalitis wie Kopfschmerzen, Nackenschmerzen, Nackensteifigkeit, Bewusstseinsstörungen bestanden haben. Auch laborchemisch hat es keinen Hinweis auf einen entzündlichen Prozess gegeben.

Gegen einen Zusammenhang spricht weiter, dass der Beginn der ersten zweifelsfreien Symptome zentralnervöser Funktionsstörung und verminderten Hirnwachstums bereits vor Beginn der Impfungen festzustellen war. So sind bereits (vor den Impfungen) am 05.12.1994 ein Opisthotonus und am 06.03.1995 eine Hörstörung festgestellt worden. Dass sich weder ein Opisthotonus noch eine Schwerhörigkeit diagnostisch haben bestätigen lassen, ist nicht entscheidend. Denn bei der Klägerin ist es tatsächlich zu einer - sowohl von Dr. H. als auch Herrn A. festgestellten - für einen Opisthotonus typischen Symptomatik, nämlich einer krampfhaften Überstreckung des Körpers, der sich bogenartig nach hinten biegt, gekommen. Wie diese Symptomatik diagnostisch zu bezeichnen ist, ist nicht entscheidend. Auch die Tatsache, dass sich eine Schwerhörigkeit bei der Klägerin im Folgenden und bis zum heutigen Tag nicht bestätigt hat, ist nicht entscheidend, weil es nicht um die Frage einer Hörstörung im Sinne einer Störung des Hörapparats geht, sondern generell um eine Störung in der Reizverarbeitung. Dass bei der Klägerin aber erhebliche Defizite im Bereich der Hör-Verarbeitung bestehen, ist unstreitig. Hinzu kommt, dass die in der Akte dokumentierten Kopfumfangswerte ein gegenüber der Norm vermindertes Hirnwachstum, dargestellt mit einer harmonisch fortschreitend absteigenden Verlaufskurve des Kopfumfangs ab 06.03.1995, belegen. Ebenso hat auch das MRT im Juni 1995 leicht erweiterte äußere Liquorräume im Sinne verminderten Hirnwachstums gezeigt. Die zahlreichen EEG-Ableitungen, in denen Theta-Rhythmen nicht nur 1995 und 1998 erwähnt sind, sondern die über das einschlägige Alter hinaus persistierend und wiederholt zwischen 2001 und 2013 ausdrücklich genannt sind, zeigen zudem einen Befund, der als Hinweis auf eine genetische Anfallsdisposition gilt.

Gegen einen Zusammenhang spricht weiter, dass im Falle der Klägerin ein Leiden mit Progredienz vorliegt, während es sich bei postvakzinalen Enzephalitiden/Enzephalopathien um zeitlich umschriebene, nicht progrediente Schäden handelt.

Auch soweit eine Poliolebendimpfung, wenn auch in sehr seltenen Fällen, eine impfassoziierte Poliomyelitis auslösen kann und dieses Krankheitsbild durch das klinische Bild mit anhaltenden schlaffen Lähmungen, typischerweise der unteren Extremitäten, aber auch anderer Muskelgruppen, zu erkennen ist, lag eine derartige Symptomatik bei der Klägerin zu keinem Untersuchungszeitpunkt vor.

Auch wenn anzuerkennen ist, dass extrem seltene Einzelfälle nach Diphtheriebzw. Tetanusimpfung auf einer impfbedingten immunvermittelten Vaskulitis (Innenhautentzündung) und damit Zirkulationsstörung von Hirngefäßen sowie daraus folgender Hirnzellschädigung basieren und dementsprechend neurologisch ebenso wie per MRT eine Symptomatik vom Typ Infarkt („Schlaganfall“) zeigen, so war auch dies vorliegend nicht der Fall.

Gegen eine - von Dr. H. in seinem Gutachten nach § 109 SGG angenommene - Verursachung durch die im Impfstoff enthaltenen Zusatzstoffe Thiomersal und Aluminiumverbindungen spricht, dass nach der derzeit herrschenden medizinischen Lehrmeinung (siehe Bulletin der STIKO vom 22.06.2007) zu Thiomersal in großen einschlägigen Studien kein Nachweis toxischer Schädigung des Menschen mit den minimalen, den Impfstoffen beigegebenen Mengen erbracht werden konnte. Angesichts des derzeitigen medizinischen Wissensstandes handelt es sich bei den Ausführungen Dr. H.s insoweit um reine Spekulation (so auch Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Urteil vom 12.05.2016, L 4 VJ 1/14, juris Rn. 58; siehe dazu auch BayLSG Urteil vom 14.02.2012, L 15 VJ 3/08, juris Rn. 54ff. und BayLSG Urteil vom 28.07.2011, L 15 VJ 8/09, juris Rn. 44ff.).

Gleiches gilt bzgl. der Aluminiumverbindungen. Bei Zusatzstoffen, die Aluminium enthalten, handelt es sich um minimale Mengen. Impfbedingte neurologische Schadens-vermutungen beim Menschen sind (bisher) reine Spekulation (so auch Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Urteil vom 12.05.2016, L 4 VJ 1/14, juris Rn. 58; siehe dazu auch BayLSG Urteil vom 14.02.2012, L 15 VJ 3/08, juris Rn. 54ff. und BayLSG Urteil vom 28.07.2011, L 15 VJ 8/09, juris Rn. 44ff.). Im Vergleich zur Aufnahme über Trinkwasser, Lebensmittel oder Antazida ist die Aufnahme von Aluminium mit Adjuvantien in Impfstoffen gering. Sie liegt deutlich unter dem TDI-Wert (tolerable daily intake) für Aluminium, der Menge, die täglich ein Leben lang ohne gesundheitsschädliche Wirkung aufgenommen werden kann. Im Bulletin vom 22.06.2007 hat sich die Ständige Impfkommission (STIKO) beim Robert-Koch-Institut (RKI) mit einer möglichen Verursachung von Impfschäden durch Aluminiumverbindungen als Adjuvantien in Impfstoffen befasst und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass im Vergleich zur Exposition über Trinkwasser, Lebensmittel oder Medikamente (Antacida) die Aluminium-Exposition durch aluminiumhaltige Adjuvantien in Impfstoffen gering ist. So nimmt der Mensch allein aus Nahrung und Trinkwasser unter normalen Bedingungen 3-5 mg Aluminium pro Tag auf. Bei einer im Mittel beobachteten 1-prozentigen Resorptionsquote bedeutet dies eine systemisch (d.h. den ganzen Organismus betreffend) verfügbare Menge von 0,03-0,05 mg Aluminium pro Tag durch die Nahrung. Größere Mengen von Aluminium enthalten Kaugummis, Zahnpasta und aluminiumhaltige Antacida. Als TDI-Wert gibt der Lebensmittelausschuss der EU-Kommission die Aluminiummenge, die ohne gesundheitsschädliche Wirkungen täglich ein Jahr lang peroral (d.h. durch eine Aufnahme über den Mund durch Nahrung und Trinkwasser) aufgenommen werden kann, mit 1 mg/kg Körpergewicht/Tag an. Bei einem durchschnittlichen Gewicht von 70 kg entspricht dies einer Menge von 70 mg Aluminium/Tag, die für einen Menschen als unbedenklich angesehen werden kann. Nach der Monographie „Impfstoffe für den Menschen“ der Europäischen Pharmakopöe ist der Aluminiumgehalt auf 1,25 mg pro Dosis beschränkt. Auch die im PEI im Jahr 2005 untersuchten Impfstoffchargen enthielten 0,25-0,55 mg/Impfstoffdosis. Damit ist im Vergleich zur Aufnahme über Trinkwasser, Lebensmittel oder Antacida die Aufnahme von Aluminium mit Adjuvantien in Impfstoffen gering, auch bei einem Kleinkind wie der Klägerin zum Zeitpunkt der Impfung. Sie liegt deutlich unter diesem TDI-Wert für Aluminium, der Menge, die täglich ein Leben lang ohne gesundheitsschädliche Wirkung aufgenommen werden kann. Hinzu kommt, dass bei der Exposition mit Aluminium durch Impfstoffe - gegenüber der peroralen Aufnahme - eine parenterale (d.h. am Darm vorbei) Applikation von schwerlöslichen, mit Antigenen beladenen Aluminiumhydroxid- oder Aluminiumphosphat-Partikeln erfolgt. Bei der Applikation einer Impfstoffdosis wird daher keinesfalls das gesamte Aluminium im Körper unmittelbar systemisch verfügbar. Zu berücksichtigen ist die Resorptionsgeschwindigkeit aus dem Muskel ins Blut. Die als Adjuvans eingesetzten Aluminiumsalze sind sehr schlecht wasserlöslich und werden deshalb sehr langsam resorbiert, gelangen also nur protrahiert (d.h. verzögert) in sehr kleinen Mengen in den Blutkreislauf. Vergleicht man daher die systemisch verfügbaren Mengen, ist für die in den Blutkreislauf gelangenden Mengen Aluminium aus Impfstoffen ein systemisches Toxizitätsrisiko auszuschließen.

Der Klägerin sind auch hier 1995 pro Impfung am 20.03.1995 und 04.05.1995 jeweils lediglich 1,5 mg Aluminiumhydroxid mit dem Impfstoff verabreicht worden ist, was zwar zu etwas erhöhten Werten der Haaranalyse (neben allen anderen alltäglichen Quellen der Aufnahme von Aluminium) führen mag, nicht aber zu toxischen Werten. Auch die der Klägerin 1995 verabreichte Menge von Thiomersal mit insgesamt 0,15 mg liegt weit unterhalb bekannter toxischer Grenzen.

Insoweit scheitert die von Dr. H. angenommene impfbedingte protrahierte Verursachung durch die Impfstoff-Beimischungen Thiomersal und Aluminiumverbindung im Wege der Kann-Versorgung schon daran, dass es sich insoweit um keine „gute Möglichkeit“, sondern angesichts derzeitigen Wissensstandes um reine Spekulation handelt. Dr. H. selbst hat im Rahmen der seitens des Beklagten eingeholten Stellungnahme des PEI am 02.04.2003 auch selbst geäußert, dass ein Kausalzusammenhang zwischen den Impfungen und dem klinischen Schädigungsbild lediglich „möglich“ erscheine. Im Übrigen hat H. selbst auf eine durch aktuelle (lediglich) „experimentelle“ Untersuchungen belegte neurotoxische Wirkung sowohl von Thiomersal als auch von aluminiumhaltigen Adjuvantien der Impfstoffe hingewiesen, die bei vorhandener Disposition der Klägerin eine langsam einsetzende Störung der Hirnentwicklung bewirkt hätten. Soweit die Klägerin eine durch Prof. Dr. C. nicht durchgeführte ambulante Untersuchung bemängelt, kann sie daraus nichts herleiten. Insbesondere ist von einer ambulanten Untersuchung auch keine weitere Sachverhaltsaufklärung zu erwarten. Wie Prof. Dr. C. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27.05.2016 zur Frage der Notwendigkeit einer ambulanten Untersuchung zutreffend ausgeführt hat, erhebt eine ambulante Untersuchung anlässlich Begutachtung nur die „Symptomatik“ eines neuralen Spätschadensbildes; es gibt hierbei jedoch kein einziges neurales Spätschadensbild, aus dessen Symptomatik sich überwiegend oder gar zwingend auf impfbedingte Verursachung schließen lässt. Auch der beantragten Ladung Prof. Dr. K. war nicht nachzukommen. Warum dies erfolgen sollte, hat die Klägerin selber nicht weiter ausgeführt. Die pauschale Behauptung, dass die in seinem Gutachten ausgeführten Inhalte dem Akteninhalt widersprächen, ist dafür nicht ausreichend, im Übrigen auch nicht richtig. Auch die weitere klägerische Behauptung, dass sie dessen Qualifikation als Gutachter in Fragen von Impfstoffen als nicht erwiesen ansehe, beschränkt sich auf die Aussage, dass es in keinem seiner Gutachten wissenschaftliche Quellen gebe, die seine Einzelmeinung untermauern würden. Dies begründet weder eine Ladung Prof. Dr. K. zum Termin noch teilt der Senat diese Auffassung. Sowohl aufgrund seiner jahrzehntelangen praktischen kinderklinischen Tätigkeit, zuletzt als Direktor der Landeskinderklinik N.-K., einem akademischen Lehrkrankenhaus, als auch aufgrund seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Impfschadensgutachter in zahlreichen gerichtlichen Verfahren hat der Senat keine Zweifel an der fachlichen Kompetenz von Prof. Dr. C … Dass im Gutachten Prof. Dr. C. keine „wissenschaftliche Quellen“ genannt werden, genügt nicht, um dessen fachliche Kompetenz in Frage zu stellen. Soweit die Klägerin eine neue Begutachtung nach § 109 SGG begehrt, ist das Antragsrecht insoweit durch das erstinstanzlich von Dr. H. eingeholte Gutachten verbraucht (siehe dazu auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 109 Rn. 10b, 11b). Besondere Gründe, bei deren Vorliegen ausnahmsweise ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG einzuholen wäre (vgl. Keller, a.a.O., Rn. 10b), liegen nicht vor.

Auch eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung hatte nicht zu erfolgen. Die verwandten Impfstoffe sind bekannt und den Begutachtungen zugrunde gelegt worden, was auch die enthaltenen Impfzusatzstoffe betrifft. Dabei ist von den befassten Gutachtern Prof. Dr. C. und Prof. Dr. J. der neueste medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisstand zugrunde gelegt worden.

Der Beiziehung von Zulassungsunterlagen bedarf es schon deshalb nicht, weil Impfschadensversorgung nach § 60 IfSG für eine nach den dortigen Voraussetzungen durchgeführte Impfung mit einem in der Regel zugelassenen (siehe dazu auch BSG Urteil vom 02.10.2008, B 9/9a VJ 1/07 R, juris Rn. 18; BSG Urteil vom 20.07.2005, B 9a/9 VJ 2/04 R, juris) Impfstoff gewährt werden kann. Warum die Zulassung erfolgt ist bzw. welche Nutzen-Lasten-Analyse dem zu Grunde lag, ist insoweit nicht von Relevanz bzw. deshalb im Falle eines Impfschadens ja gerade eine Versorgung nach dem IfSG zu leisten (siehe dazu auch BSG Urteil vom 20.07.2005, B 9a/9 VJ 2/04 R, juris 36, weil dem Einzelnen insoweit ein Sonderopfer abverlangt wird). Eine Nutzen-Lasten-Analyse ist allein Teil des strengen Zulassungsverfahrens für Impfstoffe, aber nicht maßgebend für die hier streitige Frage der Kausalität im konkreten Einzelfall (so auch Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 21.04.2015, L 6 VJ 1460/13, juris Rn. 83).

Gleiches gilt für den Antrag auf Beiziehung sämtlicher schwerwiegenden unerwünschten Ergebnisse nach § 2 Nr. 5 Verordnung über die Erfassung, Bewertung und Abwehr von Risiken bei Medizinprodukten (MPSV). Diese Verordnung regelt die Verfahren zur Erfassung, Bewertung und Abwehr von Risiken im Verkehr oder in Betrieb befindlicher Medizinprodukte (§ 1 MPSV) und begründet Meldepflichten Verantwortlicher (vgl. § 3 MPSV). Daraus kann die Klägerin für sich keine Rechte herleiten. Solange ein Impfstoff zugelassen ist, ist auch eine Versorgung nach § 60 IfSG möglich. Für die Beurteilung des insoweit maßgeblichen neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes werden in gerichtlichen Verfahren gerade Gutachten eingeholt, die auf dieser Grundlage gutachterliche Einschätzungen abgeben. Das gilt auch für die dem P.-E.-Institut gemeldeten Verdachtsfälle von Impfkomplikationen, die im Rahmen einer über das Internet öffentlich zugänglichen Datenbank auch den befassten Gutachtern zur Verfügung stehen, die aber auch nicht ohne Weiteres einen ursächlichen Zusammenhang belegen.

Auch weitere Zeugen waren nicht zu hören.

Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren vorgetragen hat, dass die Hebamme E. J. als Zeugin einzuvernehmen sei, kann diese - auch nach dem eigenen Vortrag der Klägerin - gerade nichts zu der hier fehlenden Impfkomplikation vortragen. Soweit weiter ausgeführt worden ist, dass diese über die Entwicklung und gesundheitliche Konstitution der Klägerin maßgeblich Auskunft geben könne, insbesondere darüber, dass die Klägerin sich normal entwickelt habe und keine gesundheitlichen Störungen vorgelegen hätten, widerspricht dies - abgesehen davon, dass die Eltern der Klägerin bei ihrer Einvernahme beim Beklagten am 11.03.2002 ohnehin nur angegeben haben, dass die Hebamme die Mutter der Klägerin nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nach der Geburt „etwa 10 Tage lang“ besucht habe, und damit durch die Hebamme ohnehin keine weitergehenden Aussagen zur Entwicklung der Klägerin möglich sein dürften - gerade dem Akteninhalt und dort enthaltenen ärztlichen Befunden, wo schon früh - nämlich bei der U2 am 05.12.1994 und damit durch einen Mediziner - bei der am 30.11.1994 geborenen Klägerin ein Opisthotonus erstmals beobachtet worden ist. Dabei ist dieser Verdacht nicht nur durch Dr. H., sondern in der Folgezeit auch durch den Arzt Herrn A. geäußert worden. Auch wenn sich dieser Verdacht im Weiteren nicht erhärtet hat, hat es in den ersten Lebensmonaten der Klägerin weitere Hinweise auf eine Entwicklungsstörung gegeben. So ist am 06.03.1995 wegen der dortigen Untersuchung beim Kinderarzt mit der Feststellung „Hochtonrassel beidseits negativ, Klatschen links besser als rechts“ der Verdacht auf Schwerhörigkeit geäußert worden, was zu einer weiteren diagnostischen Abklärung geführt hat. Im Rahmen der in der Uniklinik E-Stadt daraufhin erfolgten Untersuchung haben die Eltern der Klägerin im Rahmen der Anamnese am 14.05.1996 selbst einen seit einem Alter von 3 Monaten wechselnden Verdacht auf Schwerhörigkeit geäußert. Auch wenn sich eine Schwerhörigkeit bei der Klägerin im Folgenden und bis zum heutigen Tag nicht bestätigt hat, kommt es darauf nicht an, weil es nicht um die Frage einer Hörstörung im Sinne einer Störung des Hörapparats geht, sondern generell um eine gesundheitliche Störung. Aus diesem Grund war auch eine Zeugeneinvernahme des HNO-Arztes Dr. M. K. nicht angezeigt. Dass sich die Klägerin bis zu den Impfungen am 20.03.1995 und 04.05.1995 völlig normal entwickelt habe und keine gesundheitlichen Störungen vorgelegen hätten, ist auch durch die in der Akte dokumentierten Kopfumfangswerte widerlegt, die ein gegenüber der Norm vermindertes Hirnwachstum zeigen. Der weitere Verlauf hat dies, den Beginn der ersten Symptome zentralnervöser Funktionsstörung und verminderten Hirnwachstums bereits vor Beginn der Impfungen, bestätigt. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen (MRT im Juni 1995 mit leicht erweiterten äußeren Liquorräume im Sinne verminderten Hirnwachstums sowie die zahlreichen EEG-Ableitungen mit einem Befund als Hinweis auf eine genetische Anfallsdisposition).

Angesichts dessen sieht der Senat auch keine Veranlassung, die Hebamme J., die im Übrigen keine Ärztin ist, zu hören. Soweit die Klägerin weiter eine Zeugeneinvernahme der Ärzte J. A. und Dr. H. dazu angestrebt hat, dass diese einen Opisthotonus und ein cerebrales Leiden ausgeschlossen haben (Herr A.) bzw. die Verdachtsdiagnose Opisthotonushaltung nur ein Verdacht gewesen sei (Dr. H.), waren diese auch nicht als Zeugen zu hören. Denn die Frage, ob sich die Verdachtsdiagnose Opisthotonus bestätigt hat, ist vorliegend nicht entscheidend. Denn tatsächlich haben die damals behandelnden Ärzte - sowohl Dr. H. als auch Herr A. - bei der Klägerin eine für einen Opisthotonus typische Symptomatik, nämlich eine krampfhafte Überstreckung des Körpers, der sich bogenartig nach hinten biegt, gesehen. Wie diese Symptomatik diagnostisch zu bezeichnen ist, ist nicht entscheidend (siehe insoweit bereits oben).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.