Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 21. Apr. 2015 - L 15 VH 1/12

bei uns veröffentlicht am21.04.2015

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 20. August 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d :

Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob eine beim Kläger vorliegende Nierenerkrankung (Glomerulonephritis) und ein daraus resultierender Bluthochdruck als Schädigungsfolge nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) anzuerkennen sind.

Der Kläger ist im Jahr 1955 geboren und lebte bis 1979 in der ehemaligen DDR. Er wurde wegen zweier Versuche der illegalen Ausreise aus DDR strafrechtlich verurteilt.

Wegen des ersten Ausreiseversuchs im Jahr 1971 wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, wegen des zweiten Fluchtversuchs im Jahr 1973 mit Urteil des Bezirksgerichts G. vom 05.11.1973 wegen Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Er befand sich vom 29.07.1973 bis zum 17.10.1974 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft in der Jugendstrafanstalt I.. Dort war er in der Montage zunächst von Handwasserpumpen und anschließend von Wechselsprechanlagen für Büros eingesetzt, nachdem bei der ersten Tätigkeit gesundheitliche Probleme aufgetreten waren.

Im März 1975 ging beim Kläger ein Nierenstein ab, im Frühjahr 1977 wurde durch eine Nierenbiopsie eine Glomerulonephritis diagnostiziert; die einschlägigen medizinischen Untersuchungen und Behandlungen erfolgten zu einem Großteil in der Universitätsklinik J..

Am 29.04.1982 beantragte der Kläger eine Versorgung nach dem Häftlingshilfegesetz und dabei die Anerkennung einer chronischen Nierenbeckenentzündung als Schädigungsfolge. Zur Begründung gab er an, dass er nach einem Jahr Haft sehr starke Schmerzen in der rechten Hüfte gehabt habe und nur mangelhaft ärztlich versorgt worden sei. Die Ursache für die Erkrankung sehe er in der Unterkühlung und der schlechten Ernährung. Die Internistin Dr. W. berichtete dem damals zuständigen Versorgungsamt Ravensburg am 25.08.1982, dass ihr der Kläger seit Juni 1979 bekannt sei. Er befinde sich seit 1976 in ständiger ärztlicher Betreuung. 1975 sei ein Nierenstein festgestellt worden. Er leide unter einer chronischen glomerulären Nierenerkrankung. Die Erkrankung sei nicht aktiviert. Der Kläger sei leistungsfähig und beschwerdefrei. Die Blutdruckwerte - so Dr. W. - hätten stets im Normbereich gelegen. Der Urologe Dr. L. gab in seinem Arztbrief vom 02.11.1979 an, dass die Nieren beidseits in Form und Lage regelrecht seien. Im Schreiben des Landambulatoriums R. vom 27.08.1979 wurde berichtet, dass sich der Kläger seit drei Jahren in ständiger ärztlicher ambulanter Behandlung befinde. Beim Kläger liege eine durch eine Nierenbiopsie gesicherte mesangioproliverative Glomerulonephritis im Sinn einerTyp IgA-Nephropathie vor. Der Blutdruck habe im Durchschnitt 150/90 betragen. Zur Frage der Schädigungsfolgen erstellte Dr. B. am 22.12.1982 ein Gutachten nach Aktenlage sowie - nach Untersuchung des Klägers - am 27.01.1983 einen Nachtrag. Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der mesangioproliverativen Glomerulonephritis und den Haftbedingungen in der DDR sah der Sachverständige nicht. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 21.02.1983 wurde der Antrag des Klägers auf Versorgung nach dem Häftlingshilfegesetz abgelehnt.

Die gegen den Kläger in der DDR ergangenen strafgerichtlichen Urteile wurden mit Beschlüssen des Bezirksgerichts G. vom 12.03.1992 und 15.04.1992 aufgehoben und der Kläger rehabilitiert. Es wurde jeweils festgestellt, dass dem Kläger dem Grunde nach Ansprüche nach Maßgabe des Rehabilitierungsgesetzes zustünden.

Am 10.06.2008 beantragte der Kläger (beim damals zuständigen Versorgungsamt in Bayern) eine Versorgung nach dem StrRehaG. Er gab an, während der Haft einen Nierenstein mit der Folge einer chronischen Nierenbeckenentzündung gehabt zu haben und seitdem unter Bluthochdruck zu leiden. Während der Haft in I. habe er eine Tätigkeit ausüben müssen, bei der Gussteile abgeschliffen worden seien. Er habe sich wegen Hautausschlags im Februar 1974 in Behandlung begeben müssen. Im April habe er erstmals eine Nierenkolik erlitten. Die Koliken seien immer öfter aufgetreten und nach der Haftentlassung sei ein Nierenstein festgestellt worden, der nach einem halben Jahr durch Medikamente abgegangen sei.

Medizinische Unterlagen über die Behandlung in der Universitätsklinik J. waren wegen Ablauf der 30-jährigen Aufbewahrungsfrist (so die Auskunft der Uniklinik im sozialgerichtlichen Verfahren) nicht mehr ausfindig zu machen, insbesondere auch nicht der Bericht über die Nierenbiopsie von 1977. Später stellte sich heraus, dass Prof. Dr. F., der den Kläger bereits 1977 in der Universitätsklinik J. behandelt hatte, im Jahr 1990 dem Kläger den schriftlichen Befund seiner Nierenbiopsie ausgehändigt und dieser dann den Bericht seinem Hausarzt gebracht hatte (vgl. Ausführungen im Gutachten des Prof. Dr. D. vom 11.03.2012). Nach Aufgabe der Praxis ist dieser Befund heute nicht mehr auffindbar. Die Jugendstrafanstalt I. legte die vorhandenen Unterlagen über die dortige Unterbringung des Klägers mit Schreiben vom Juni 2008 vor. Darunter befanden sich auch die medizinischen Behandlungsunterlagen aus der Krankenanstalt in der Jugendstrafanstalt.

Im Verfahren nach dem StrRehaG hat der Kläger auch ein vom ihm verfasstes und an die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge gerichtetes Schreiben vom 24.03.1993 vorgelegt, in dem er Angaben zu seinen Lebensbedingungen von 1971 bis 1979 und seinem Gesundheitszustand von 1973 bis 1993 gemacht hatte. U. a. Folgendes ist daraus zu entnehmen:

* Im Spätherbst 1973 habe er - so der Kläger in diesem Schreiben - in der Jugendstrafanstalt I. vor allem im Gesicht und am Kopf Hautausschlag bekommen, der immer schlimmer geworden sei. Er habe zu dieser Zeit in der Wasserpumpenabteilung arbeiten müssen. Dabei sei durch Schleifarbeiten sehr viel Eisenstaub und Öl angefallen, was sein Körper nicht vertragen habe. Mehrmals habe er wochenlang auf der Krankenstation im Gefängnis gelegen, bis er in eine andere Abteilung verlegt worden sei. Dort habe er dann Wechselsprechanlagen für Büros montiert, das Krankheitsbild habe sich zusehends gebessert.

* Im Frühsommer 1974 habe er eines Nachts so heftige Schmerzen in der linken Hüfte bekommen, dass er weder stehen, sitzen noch liegen habe können. Er sei wieder für eine Woche auf die Krankenstation gekommen; ihm seien dort Eisbeutel auf den Bauch gelegt worden. Dies habe sich einige Male wiederholt. Man habe gedacht, er sei ein Simulant, und ihn nicht behandeln wollen. Als er vor Schmerzen wütend geworden sei, habe man ihn in eine schmale Einzelzelle gebracht. Dort habe er über einen Tag lang weder zu essen noch zu trinken bekommen. Die Schmerzen hätten sich bis zur Haftentlassung regelmäßig alle 2 - 3 Wochen wiederholt.

* Einige Tage nach der Haftentlassung habe er wieder einen derartigen Schmerzanfall bekommen, der sich kurze Zeit später wiederholt habe. Daraufhin sei er in der Universitätsklinik J. untersucht worden, wo ein Nierenstein festgestellt worden sei. Es sei weiter in medizinischer Behandlung gewesen; die medizinischen Werte hätten sich verbessert und stabilisiert, seien aber nicht mehr normal geworden. Er habe sehr oft an Schwäche und an Müdigkeit gelitten, dazu habe er sehr häufig eine Angina gehabt, wahrscheinlich bedingt durch seine Arbeit. Im Sommer 1976 seien die Mandeln entfernt worden, aber auch das habe den Gesundheitszustand nicht verbessert.

Der versorgungsärztliche Dienst wies in seiner Stellungnahme nach Aktenlage vom 24.02.2009 darauf hin, dass eine chronische Nierenbeckenentzündung nie vorgelegen habe, sondern eine derzeit nicht aktive IgA-Nephritis, die durch eine Biopsie gesichert sei. Bereits im Gutachten im Rahmen des Häftlingshilfegesetzes sei die Anerkennung der IgA-Nephritis als Schädigungsfolge nicht empfohlen worden. Während der Haft seien keine Erkrankungen aufgetreten, die gehäuft mit dem Erkrankungsbeginn einer IgA-Nephritis vergesellschaftet seien. Das Nierensteinleiden sei ausgeheilt. Dem Gutachten vom Dezember 1982 könne auch heute noch voll gefolgt werden. Da es keine als Schädigungsfolge anzuerkennende Nierenerkrankung gebe, könne auch keine Kausalkette konstruiert werden, in der der Bluthochdruck auf die Haftbedingungen zurückgeführt werden könnte.

Mit Bescheid vom 12.03.2009 lehnte das Versorgungsamt den Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem StrRehaG ab.

Dagegen legten die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 14.04.2009 Widerspruch ein und begründeten diesen wie folgt: Ein Krankenblatt aus der Haftzeit des Antragstellers vom 02.08.1974 zeige in der Fieberkurve zumindest eine erhöhte Temperatur. Im Krankheitsverlauf werde von heftigen Schmerzen im rechten Mittelbauch berichtet sowie von Erbrechen. Dies lasse den Verdacht eines fiebrigen Magen-Darm-Infekts durchaus zu. Man bedenke darüber hinaus auch die zusätzlichen psychologischen Belastungen während der Inhaftierung. Der Antragsteller leide seit seiner Haftzeit ständig an Nierenschmerzen. Dies würden auch die zeitlich nachfolgenden Befundberichte belegen. Damit seien die notwendigen Symptome für eine entschädigungspflichtige Erkrankung aufgezeigt.

Der versorgungsärztliche Dienst äußerte sich zu diesem Vorbringen mit Schreiben vom 06.05.2009 und 25.05.2009 wie folgt: Den vorliegenden Krankenblattunterlagen sei eine vorübergehende Behandlung wegen abdomineller Beschwerden im rechten Mittelbauch sowie wegen einer Dermatitis zu entnehmen. Soweit den Fieberkurven zu entnehmen sei, habe sich am 09.02.1974 eine Temperatur von 37,3°C und am 12.02.1974 von 37,2°C gefunden bei ansonsten dokumentierten Temperaturwerten von unter 37°C. Eine infektiöse fieberhafte Erkrankung sei somit aus den Unterlagen nicht ableitbar. An der bisherigen Beurteilung sei festzuhalten; die Haftbedingungen könnten nicht für die etwa zweieinhalb Jahre nach der Haftentlastung diagnostizierte IgA-Nephritis verantwortlich gemacht werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2009 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 17.06.2009, das sich mit dem Widerspruchsbescheid überschnitten hatte, legten die Bevollmächtigten des Klägers eine Kopie der Heilbehandlungsseiten aus dem Sozialversicherungsausweis des Klägers vor, woraus sich - so die Bevollmächtigten - ergebe, dass der Kläger unmittelbar nach seiner Haftentlassung im Januar 1975 mehrfach einen Facharzt für Innere Krankheiten wegen seines Nierenleidens aufsuchen habe müssen.

Mit Schreiben vom 30.07.2009 haben die Bevollmächtigten des Klägers Klage zum Sozialgericht (SG) Bayreuth erhoben. Sie haben die Klage damit begründet, dass der Kläger zu Unrecht inhaftiert gewesen sei und sich im Zeitraum der letzten Inhaftierung aufgrund schlechter Unterbringung und mangelnder ärztlicher Versorgung sowie anhaltender Nierenkoliken ein Nierensteinleiden, eine chronische Nierenbeckenentzündung und einen Bluthochdruck zugezogen habe. Unmittelbar nach der Haftentlassung sei beim Kläger ein Nierenstein festgestellt worden. 1977 sei dann eine IgA-Nephritis diagnostiziert worden. Die Blutdruckwerte des Klägers seien immer noch überhöht.

Unter dem Datum vom 25.03.2011 hat der Internist und Sozialmediziner Dr. T. sein im Auftrag des SG angefertigtes Gutachten vorgelegt. Er ist darin zu dem Ergebnis gekommen, dass die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen in keinem wahrscheinlichen Zusammenhang mit dem Haftaufenthalt des Klägers stünden. Auch die medizinischen Voraussetzungen für eine Kannversorgung lägen nicht vor.

Bei der Begutachtung - so der Sachverständige - habe der Kläger angegeben, während der Haft an einer Ölakne im Rahmen der Tätigkeit in der metallverarbeitenden Werkstätte erkrankt zu sein. Während der Haft sei die Ernährung einseitig gewesen (Margarine und Marmelade, einfaches Brot, nur sonntags Semmeln), 1975 sei spontan ein Nierenstein abgegangen. 1977 habe er einen schwarzen Urin bemerkt (Farbe wie Kaffee).

Zu der beim Kläger vorliegenden mesangioproliverativen Glomerulonephritis hat der Sachverständige Folgendes erläutert: Diese Erkrankung sei die häufigste Glomerulopathie bei jüngeren Menschen. Die Verursachung der IgA-Glomerulonephritis sei nicht endgültig aufgeklärt. Häufig würden die ersten Erscheinungen nach einem respiratorischen Infekt auftreten. Insgesamt bestehe bezüglich der Genese dieser Erkrankung in der medizinischen Wissenschaft weiterhin eine gewisse Unsicherheit. Dies habe dazu geführt, dass für diese Erkrankung nach den Anhaltspunkten das Institut der Kannversorgung in Anspruch genommen werde. Voraussetzung für die Annahme einer Kannversorgung sei eine enge zeitliche Verbindung mit körperlichen Belastungen und Witterungseinflüssen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet seien, die Resistenz erheblich herabzusetzen. Diese Voraussetzungen könnten beim Kläger nicht bejaht werden, da keine besonders beeinträchtigenden körperlichen Belastungen und Witterungseinflüsse vorgelegen hätten. Auch fehle der enge zeitliche Zusammenhang mit den Extrembelastungen. Nach den eigenen Angaben des Klägers sei die IgA-Glomerulonephritis 1977 durch eine Nierenbiopsie festgestellt worden. Für ein Bestehen bereits bei Haftentlassung ergebe sich aus den Aktenunterlagen kein Beweis. Die Angabe eines kaffeefarbenen Urins im Jahr 1977 könne auf den Beginn der Erkrankung zu diesem Zeitpunkt hinweisen.

Der Einschätzung des Sachverständigen haben sich die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 27.05.2011 nicht angeschlossen. Es sei davon auszugehen, dass die Kausalität der Erkrankung dadurch nachgewiesen werden könne, dass sich der Kläger bereits im Januar 1975, also lediglich zweieinhalb Monate nach Haftentlassung, in entsprechender Behandlung wegen einer chronischen Nierenbeckenentzündung (im Universitätsklinikum J.) befunden habe.

Der gerichtliche Sachverständige Dr. T. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 01.07.2011 darauf hingewiesen, dass eine Nierenbeckenentzündung in keinerlei Zusammenhang mit einer Glomerulonephritis stehe; es handle sich dabei um zwei völlig verschiedene Krankheitsbilder.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Internist und Nephrologe Prof. Dr. D. unter dem Datum vom 11.03.2012 ein Gutachten und am 17.04.2012 ein ergänzendes Schreiben erstellt. Er ist dabei zu der Einschätzung gekommen, dass die Voraussetzungen der Kannversorgung bei der Nierenerkrankung des Klägers erfüllt seien. Bei der Begutachtung - so der Sachverständige - habe der Kläger angegeben, dass im Rahmen der Haft blutiger Urin aufgetreten sei, der wie Coca-Cola oder Malzkaffee ausgesehen habe. Seine Annahme eines Zusammenhangs der Glomerulonephritis mit der Haft hat der Sachverständige wie folgt begründet: Der Kläger sei während der Haft an einer Nierenentzündung erkrankt, die übersehen worden sei. Dass hier eine Entzündung abgelaufen sei, sei durch die subfebrilen bis febrilen Temperaturen dokumentiert. Auch der Gewichtsverlust von 3 kg durch Nulldiät, keine Flüssigkeitszufuhr und Unterbringung bzw. Isolierung zeitweise in einer Einzelzelle würden dies belegen. IgA-Nierenentzündungen hätten, wie sich aus der Literatur ergebe, ein erhöhtes Risiko für umweltbedingte Faktoren wie Exposition zu Kohlenwasserstoffen, wie sie bestimmt in Schmierölen und den in der Haftanstalt verwendeten Substanzen vorhanden gewesen seien. Die Unterbringung auf der Krankenstation der Haftanstalt sei primär wegen einer durch Ölprodukte ausgelösten Hautentzündung mit Haarverlust erfolgt. Sie sei aber auch einhergegangen mit einer Schädigung innerer Organe, die von den behandelnden Ärzten übersehen worden sei. Dass die Histologie der Nierenbiopsie nicht mehr auffindbar sei, könne dem Kläger nicht vorgeworfen werden. Es sei nachgewiesen, dass die mesangioproliverative Glomerulonephritis bereits während des Haftaufenthalts begonnen habe.

Der versorgungsärztliche Dienst hat sich dieser Einschätzung nicht angeschlossen (Stellungnahme vom 08.05.2012). Er hat darauf hingewiesen, dass der Kläger bei der Begutachtung durch Prof. Dr. D. erstmals angegeben habe, dass er bereits während des Gefängnisaufenthalts Blut im Urin bemerkt habe. In den vom Gutachter genannten medizinischen Veröffentlichungen - so der versorgungsärztliche Dienst - werde keine mit der des Klägers vergleichbare Situation beschrieben. In diesen Artikeln seien Personengruppen untersucht worden, bei denen das Vorliegen einer glomerulären Nierenerkrankung durch eine Biopsie gesichert gewesen sei. Bei diesen Personen sei dann im weiteren Verlauf die Verschlechterung ihrer Nierenleistung in den nächsten Jahren in Bezug gesetzt worden zum Ausmaß der Exposition mit chemischen Substanzen wie Lösungsmitteln. Hierbei habe es sich um Personen gehandelt, die von Berufs wegen jahrelang mit entsprechenden Substanzen zu tun gehabt hätten. Eine Übertragung auf den Kläger, der nur wenige Monate Eisenstaub und Öl ausgesetzt gewesen sei, sei nicht gerechtfertigt. In der Gesamtschau könne der Einschätzung des Gutachters nicht zugestimmt werden. Der geschilderte Verlauf und insbesondere die vom Kläger geschilderte Schmerzsymptomatik während der Haft, die sich nach der Haft in gleicher Weise fortgesetzt habe, die schließlich zur Diagnose eines Nierensteins rechts geführt habe und nach Entfernung dieses Nierensteins ein Abklingen dieser Beschwerden zur Folge gehabt habe, stelle ein gewichtiges Kriterium gegen eine chronische Glomerulonephritis, aber für einen Nierenstein als Ursache dieser Beschwerden dar.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.08.2012 ist die Klage abgewiesen worden; das Gericht hat sich dabei dem Gutachten des Prof. Dr. D. nicht angeschlossen, sondern ist dem Sachverständigen Dr. T. gefolgt.

Mit Schreiben vom 17.09.2012 haben die Bevollmächtigten des Klägers Berufung eingelegt. Sie haben sich dabei auf das Gutachten des Prof. Dr. D. gestützt. Soweit das SG gerügt habe, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Haft und festgestellter Erkrankung nicht bestehe, habe sich der Gutachter mit dieser Frage sehr wohl auseinandergesetzt. Es wäre erforderlich gewesen, dass das SG den Sachverständigen noch einmal nachbefrage. Der Kläger lasse zudem ausführen, dass der bei ihm festgestellte Bluthochdruck seit der Haftentlassung durchgehend bestehe und damit ein eindeutiges Zeichen dafür darstelle, dass der Kläger sich die Erkrankung während der Haftzeit zugezogen habe.

Nach einem Erörterungstermin am 23.01.2014 und umfassender Erläuterung der medizinisch-rechtlichen Problematik und der rechtlichen Fachbegriffe hat sich Prof. Dr. D. in einer ergänzenden Stellungnahme vom 15.07.2014 wie folgt geäußert: Die mesangioproliverative Glomerulonephritis vom IgA-Typ entstehe durch Autoimmunprozesse, wobei grippale Infekte, insbesondere im HNO-Bereich, aber auch in den Lungen als Hauptauslöser bei dieser Konstellation aufgefasst würden. Die Entzündungsherde könnten aber auch in anderen Regionen des Körpers liegen. Aber auch andere Ursachen, wie Lösungsmittel, könnten eine ungünstige Auswirkung „auf die Progression (Verschlechterung bzw. Fortschreiten) der IgA-Nephritis“ haben. Auch eine vermehrte Kalziumausscheidung im Urin mit Nierensteinbildung könne gleichzeitig oder zeitverschoben auftreten und die Diagnose der IgA-Nephritis verschleiern oder erschweren. Zudem sei ein bislang nicht berücksichtigtes zweites Krankheitsgeschehen zu beachten, das mit einer IgA-Nephritis assoziiert sei, und zwar eine Purpura-Schönlein-Henoch. Dies sei eine systemische, auch immunologische Erkrankung mit renaler intermittierender Variante, die neben der Purpura (Hautausschlag mit punktuellen kleinen Einblutungen) auch mit gastrointestinalen Beschwerden wie Bauchbeschwerden und auch Gelenkbeschwerden einhergehe. Diese Symptome habe der Kläger bis auf die Gelenkbeschwerden aufgewiesen. Eine Nierenbeteiligung bei Purpura-Schönlein-Henoch trete bei Erwachsenen in 50 - 80% der Fälle auf, eine arterielle, in diesem Fall renale Hypertonie in 22%. Zum Nachteil des Klägers sei auch eine schlechte Dokumentation auf der Krankenstation ohne Durchführung einer Urinuntersuchung zu finden. Nicht im Widerspruch zur Annahme eines Zusammenhangs stehe die Tatsache, dass der Kläger nach Entlassung aus der Haft einen kalziumhaltigen Nierenstein ausgeschieden habe. Für ihn, den Sachverständigen, bestehe kein Zweifel an der Erstdiagnose einer mesangialen Glomerulonephritis vom IgA-Typ für die Haftzeit; es liege ein Vollbeweis vor. Dies schließe er aus der klinischen Symptomatik und der Vorgeschichte. Beim Kläger hätten subfebrile bis febrile Temperaturen um 37°C vorgelegen. Diese könnten ein „bedingter“ Hinweis auf eine Glomerulonephritis sein, die ohne größere Fieberschübe einhergehen könne. Der Kläger habe sich in einem schlechten Allgemein-und Ernährungszustand befunden, er habe zu wenig getrunken. Es sei wahrscheinlich ausgetrocknet gewesen und habe an Gewicht verloren, obwohl er wahrscheinlich Ödeme im Rahmen des Eiweißverlusts über die Nieren gehabt habe. Befragt zum medizinischen Kenntnisstand bezüglich der Entstehung einer Glumerolonephritis hat der Sachverständige ausgeführt, dass es sich bei den Probanden der von ihm angeführten Studien um Arbeiter gehandelt habe, die lange mit diesen Solventien gearbeitet hätten. Zum Glück für den Kläger habe dessen Exposition nur kurz (Wochen) gedauert.

Der versorgungsärztliche Dienst hat der Einschätzung des Prof. Dr. D. widersprochen und die Erkrankung an einer Purpura-Schönlein-Henoch während der Haft als unwahrscheinlich bezeichnet. Auch sei der Kläger nur wenige Wochen gegenüber Lösungsmitteln exponiert gewesen. Aus den in der Krankenakte enthaltenen Temperaturmessungen könne nicht auf ein febriles oder subfebriles Krankheitsgeschehen geschlossen werden. Die Annahme einer Austrocknung des Klägers sei eine Spekulation.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben dem mit Schreiben vom 14.10.2014 entgegengehalten, dass der Versorgungsarzt die Augen vor gegebenen Tatsachen verschließe. Selbstverständlich lasse sich bei jeder Erkrankung auch irgendwo eine Alternativursache finden. Maßgebend sei jedoch der Grad der Wahrscheinlichkeit.

Über den nach Umzug des Klägers kraft Gesetzes eingetretenen Beklagtenwechsel sind die Beteiligten mit gerichtlichem Schreiben vom 04.02.2015 informiert worden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Bayreuth vom 20.08.2012 aufzuheben, den Bescheid vom 12.03.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, als Folge der Inhaftierung vom 06.01.1971 bis 01.02.1971 und vom 20.07.1973 bis 19.10.1974 die Glomerulonephritis und den Bluthochdruck als Schädigungsfolgen festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Verwaltungsakten zu den Verfahren nach dem Häftlingshilfegesetz und dem StrRehaG sowie die Akten des SG Bayreuth beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Wegen des Wohnortwechsels des Klägers ist in diesem Verfahren, das keine reine Anfechtungsklage beinhaltet, ein Beklagtenwechsel kraft Gesetzes eingetretenen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 05.07.2007, Az.: B 9/9a SB 2/07 R), so dass das Land der richtige Beklagte ist.

Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen (Nierenleiden in Form einer mesangioproliverativen Glomerulonephritis, medikamentös gut eingestellter Bluthochdruck) sind nicht als Schädigungsfolgen anzuerkennen, da ein Zusammenhang mit der Haft nicht nachgewiesen ist.

1. Voraussetzungen einer Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge - Allgemeines

Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer für rechtsstaatswidrig erklärten und daher aufgehobenen Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 08.05.1945 bis zum 02.10.1990 von einer Freiheitsentziehung betroffen gewesen ist und infolge dessen eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes.

Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen schädigendem Tatbestand und Gesundheitsstörung. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt eine Anerkennung im Rahmen der sogenannten Kannversorgung gemäß § 21 Abs. 5 Satz 2 StrRehaG in Betracht.

Die Anerkennung von Schädigungsfolgen setzt - wie auch sonst im Versorgungsrecht - eine zumindest dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. BSG, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Ein mit der Freiheitsentziehung zusammenhängender schädigender Vorgang (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (2. Glied) geführt haben, die wiederum, ggf. über eine sog. Umwegskrankheit (mögliches 3. Glied) (vgl. BSG, Urteil vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06 R; Urteil des Senats vom 06.11.2012, Az.: L 15 VS 13/08 ZVW), die geltend gemachten Schädigungsfolgen (3. oder 4. Glied) bedingt. Auch wenn nach Ansicht des Senats eine trennscharfe Differenzierung zwischen dem 2. und dem 3. Glied oftmals praktisch nicht möglich und daher verzichtbar sein sollte (vgl. Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11), wie dies auch im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung praktiziert wird, scheint die versorgungsrechtliche Rechtsprechung des BSG „grundsätzlich“ auf der exakten Differenzierung zu bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06).

Die einzelnen Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92). Die bloße Wahrscheinlichkeit und erst recht nur die Möglichkeit genügen nicht.

Demgegenüber reicht es für den ursächlichen Zusammenhang der Glieder aus, wenn dieser jeweils mit (hinreichender) Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 6/13 R). Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66).

Lässt sich der rechtlich wesentliche Kausalzusammenhang zwischen der Freiheitsentziehung und einer Gesundheitsstörung nur deshalb nicht herstellen, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt gemäß § 21 Abs. 5 Satz 2 StrRehaG die sogenannte Kannversorgung in Betracht. Von Ungewissheit ist dann auszugehen, wenn es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, Az.: B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die bloße Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, Az.: 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, Az.: 9/9a RV 41/92).

Es muss daher für eine Versorgung im Sinn der Kannversorgung wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs positiv vertritt. Eine Kannversorgung ist daher dann zu bejahen, wenn nach dieser einen Lehrmeinung der Kausalzusammenhang im konkreten Fall positiv festzustellen ist, also nach den von dieser Meinung aufgestellten Kriterien von einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang auszugehen ist (vgl. Urteil des Senats vom 19.11.2014, Az.: L 15 VS 19/11).

In den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008 (AHP 2008) ist unter den Krankheiten, für die eine Kannversorgung nach Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Betracht zu ziehen ist - eine fehlende Zustimmung wäre im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung als lediglich verwaltungsinterner Vorgang ersetzbar (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1969, Az.: 8 RV 469/67; Landessozialgericht - LSG - Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.11.2001, Az.: L 10 VS 44/98; offengelassen: BSG, Urteil vom 16.03.1994, Az.: 9 RV 11/93) -, auch die chronische Glomerulonephritis genannt (vgl. AHP 2008 Nr. 39, Abs. 7 i. V. m. Nr. 111). In den AHP 2008, Nr. 111, ist dazu Folgendes ausgeführt:

„Die chronische Glomerulonephritis kann sich an eine akute Glomerulonephritis anschließen; die Kausalitätsbeurteilung richtet sich dann nach derjenigen des akuten Stadiums.

Bei der Mehrzahl der chronischen Glomerulonephritiden kann jedoch weder auf ein akutes Vorstadium noch auf eine vorangegangene Infektion geschlossen werden. Die Ätiologie dieser chronischen Glomerulonephritiden ist in der medizinischen Wissenschaft noch nicht ausreichend geklärt; Autoimmunvorgänge spielen eine Rolle. Dementsprechend ist eine Kannversorgung in Betracht zu ziehen, wenn ein Krankheitsbeginn in enger zeitlicher Verbindung mit körperlichen Belastungen und Witterungseinflüssen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet waren, die Resistenz erheblich herabzusetzen, angenommen werden kann.“

Von einem engen zeitlichen Zusammenhang kann gesprochen werden, wenn die Erkrankung spätestens innerhalb von sechs Monaten ab Ende der potenziell schädigenden Umstände aufgetreten ist (vgl. Pressevorbericht Nr. 9 des BSG vom 27.01.2000; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.11.2001, Az.: L 10 VS 44/98).

2. Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolge im zu entscheidenden Fall

Zwar liegt eine einen Versorgungsanspruch eröffnende Freiheitsentziehung im Sinn des § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG vor. Es lässt sich aber ein Zusammenhang der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen (mesangioproliverative Glomerulonephritis, Bluthochdruck) damit nicht herstellen.

2.1. Freiheitsentziehung

Der Kläger hat infolge des für rechtsstaatswidrig erklärten und daher aufgehobenen Urteils des Bezirksgerichts G. vom 05.11.1973 eine Freiheitsentziehung vom 20.07.1973 bis zum 19.10.1974 im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erlitten. Das Vorliegen einer Maßnahme nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG ist mit Beschluss des Bezirksgerichts G. vom 15.04.1992 verbindlich festgestellt worden.

2.2. Schädigungsfolgen

Ein Zusammenhang zwischen Freiheitsentziehung und den vom Kläger als Schädigungsfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen lässt sich nicht herstellen.

2.2.1. Geltend gemachte Gesundheitsstörungen

Als potentiell berücksichtigungsfähige Gesundheitsstörungen kommen in Betracht die mesangioproliverative Glomerulonephritis und ein daraus resultierender Bluthochdruck.

Keine Anerkennung finden kann die vom Kläger in der Vergangenheit angegebene Nierenbeckenentzündung, da eine derartige Erkrankung nie vorgelegen hat - der Kläger hat diesen Begriff wohl irrtümlich verwendet, weil er davon ausgegangen ist, dass eine mesangioproliverative Glomerulonephritis als Nierenkörperchenentzündung gleichzusetzen sei mit einer Nierenbeckenentzündung; der Kläger hat diesen ursprünglichen Antrag im Berufungsverfahren auch nicht weiter verfolgt.

Nicht anerkennungsfähig - darauf weist der Senat nur der Vollständigkeit halber hin - wäre auch ein Nierensteinleiden oder eine Neigung zu Nierensteinen, weil eine derartige Gesundheitsstörung seit vielen Jahren nicht mehr aufgetreten ist und das im zeitlichen Zusammenhang mit der Haft erlittene Nierensteinleiden vollständig und folgenlos verheilt ist.

2.2.2. Kein Zusammenhang im Sinn der Wahrscheinlichkeit des § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG

Keiner der mit der Erkrankung des Klägers befassten Ärzte und Sachverständigen, auch nicht der vom Kläger gemäß § 109 SGG benannte Gutachter, haben einen Zusammenhang zwischen der Nierenerkrankung des Klägers und den Haftbedingungen im Sinn der Wahrscheinlichkeit gesehen. Weitere Ausführungen des Senats erübrigen sich daher, zumal auch von Seiten des Klägers keine abweichende Auffassung vorgebracht worden ist.

2.2.3. Kein Zusammenhang im Sinn der Kannversorgung gemäß § 21 Abs. 5 Satz 2 StrRehaG

Im vorliegenden Fall scheitert eine Anerkennung der mesangioproliverativen Glomerulonephritis (und eines vermutlich daraus resultierenden Bluthochdrucks) als Schädigungsfolge schon daran, dass ein mit der Haft zusammenhängender potentiell schädigender Vorgang nicht nachgewiesen ist. Im Übrigen würde einer Anerkennung auch der dafür geforderte enge zeitliche Zusammenhang zwischen belastenden Umständen und Erkrankungsbeginn fehlen.

2.2.3.1. Potenziell schädigender Vorgang

Unter dem Aspekt potentiell schädigender Vorgänge während der Haft ist zu denken an schlechte Lebensbedingungen im weiteren Sinn verbunden mit schlechter Ernährung, haftbedingte infektiöse Erkrankungen und ein Kontakt mit Lösungsmitteln bzw. Ölen im Rahmen der Tätigkeit in der Wasserpumpenabteilung.

Unter allen Gesichtspunkten ist ein potentiell schädigender Vorgang nicht im Vollbeweis nachgewiesen

2.2.3.1.1.

Schlechte Lebensbedingungen

Derartige potentiell schadensverursachende Lebensbedingungen in der Haftanstalt sind nicht im Vollbeweis nachgewiesen; dies hat auch der gerichtliche Sachverständige Dr. T. erläutert, dessen Einschätzung sich der Senat zu eigen macht.

Wie den Anhaltspunkten 2008 (vgl. dort Nr. 111, Abs. 2) zu entnehmen ist, wird von der medizinischen Wissenschaft die Entstehung einer Glomerulonephritis vor allem postinfektiös insbesondere nach Atemwegserkrankungen (z. B. nach Angina, Scharlach, Grippe) oder parainfektiös herdförmig bzw. diffus z. B. im Verlauf eitrige Erkrankungen angenommen. Auch schwere körperliche Belastungen, u. U. in Verbindung mit Kälte- und Nässeeinflüssen, die nach Art und Dauer die Resistenz gegenüber Infekten erheblich herabzusetzen vermögen, können bei der Krankheitsmanifestation eine mitursächliche Bedeutung haben.

Es mag zwar durchaus so sein, dass die Ernährung während der Haftzeit des Klägers nicht hochwertig und ausgewogen, sondern eher wenig qualitätsvoll gewesen ist. Weitergehende, insbesondere erhebliche körperliche Belastungen, die die Art und Dauer der Resistenz gegenüber Infekten erheblich herabsetzen hätten können, sind aber vom Kläger nicht behauptet worden, geschweige denn im Vollbeweis nachgewiesen.

Eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr infolge der Haftbedingungen ist nicht nachgewiesen und auch so nicht vom Kläger vorgetragen worden. Fest steht - auch aufgrund der eigenen Angaben des Klägers -, dass er nur an einem einzigen Tag während der Haft nichts zum Trinken erhalten hat. Dies ist zweifellos, auch nach dem Vortrag des Prof. Dr. D., nicht dazu geeignet, die Resistenz gegenüber Infekten erheblich herabzusetzen. Dass über diesen Tag hinaus dem Kläger vorübergehend eine Nulldiät verordnet war, hat in diesem Zusammenhang keine Bedeutung, da eine derartige Diät einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr nicht entgegensteht. Wenn Prof. Dr. D. eine Austrocknung des Klägers vermutet, handelt es sich dabei lediglich um eine Spekulation, der keinerlei greifbare Fakten zugrunde liegen. Weder hat der Kläger dies behauptet noch lässt sich den Unterlagen irgendetwas entnehmen, was auf eine Austrocknung hindeuten könnte. Auch lässt sich eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr nicht mit der Entwicklung des Körpergewichts des Klägers begründen. Sofern Prof. Dr. D. hier zunächst von einer Gewichtsabnahme von 3 kg ausgegangen ist, hat er dies später selbst korrigieren müssen. Tatsächlich belegen die medizinischen Unterlagen aus der Haftzeit nämlich eine Gewichtszu-, nicht -abnahme von 3 kg. Die Gewichtsentwicklung steht auch einer erheblichen Beeinträchtigung durch unzureichende Nahrungszufuhr entgegen.

2.2.3.1.2. Kontakt mit Lösungsmitteln und Ölen

Der Kläger hat während seiner Haftzeit über mehrere Wochen in der Wasserpumpenabteilung der Haftanstalt gearbeitet. Dort ist er unstrittig mit Lösungsmitteln und Ölen in Kontakt gekommen.

Dieser Kontakt stellt im Fall des Klägers aber wegen zu geringer zeitlicher Ausprägung keine potentiell schadensverursachende Tätigkeit dar.

Der Senat geht zusammen mit dem Gutachter Prof. Dr. D. davon aus, dass die Verursachung einer Glomerulonephritis nicht nur aus den in den AHP aufgeführten Gründen im Sinn der Kannversorgung möglich ist, sondern auch infolge eines Kontakts mit Lösungsmitteln und Ölen.

Wie sich den Studien, die sowohl der Sachverständige Prof. Dr. D. als auch anschließend der Beklagte zitiert haben, entnehmen lässt, ist nach allen diesen Studien ein langjähriger Kontakt mit Lösungsmitteln erforderlich, um einen Zusammenhang mit einer Glomerulonephritis in Betracht ziehen zu können:

* Porro u. a. haben in einer Veröffentlichung aus dem Oktober 1992 einen Zusammenhang zwischen einer langjährigen beruflichen Exposition mit Lösungsmitteldämpfen und der Entwicklung einer chronischen Glomerulonephritis gesehen, wobei sie zu der Einschätzung gekommen sind, dass vermutlich viele weitere Faktoren zusammenkommen müssten.

* In der Studie von Stengel u. a. vom Oktober 1994 ist ein Zusammenhang zwischen einem ausgeprägten lebenslangen Lösungsmittelkontakt und der Entwicklung einer chronischen Glomerulonephritis mit Niereninsuffizienz gesehen worden.

* Jacob u. a. sind in einer Studie vom Januar 2007 zu dem Ergebnis gekommen, dass Lösungsmittel bei der Progression einer chronischen Nierenerkrankung eine wichtige Rolle spielen.

* In einer weiteren Veröffentlichung ebenfalls von Jacob u. a. im Juni 2007 ist ausgeführt, dass vor allem bestimmte Lösungsmittel das Fortschreiten einer Glomerulonephritis bis hin zur Dialysepflichtigkeit begünstigen würden.

Diese Einschätzung zum erforderlichen langen Expositionszeitraum entspricht auch der unfallversicherungsrechtlichen Rechtsprechung. So hat das LSG Niedersachsen-Bremen im Urteil vom 16.01. 2003, Az.: L 6 U 28/01, Folgendes ausgeführt:

„Nach der von allen Ärzten referierten Entwicklung hat sich der medizinisch-wissenschaftliche Kenntnisstand über die Verursachung von Glomerulonephritiden durch Lösungsmittel seit den 70er Jahren verdichtet. - Prof. Dr. D. hat im nephrologischen Gutachten vom 10. Februar 1992 im Einzelnen den Kenntnisgewinn seit einer Untersuchung von BEIRNE/BRENNAN (1972) dargestellt und auf die Zusammenfassung durch NELSON (1990) hingewiesen. - Daran hat Prof. Dr. Dr. N. im Gutachten vom 24. Mai 1993 angeknüpft und im Einzelnen dargelegt, dass diese Übersichtsarbeit für die Beurteilung der Erkrankung des Versicherten deshalb von besonderer Bedeutung ist, weil sie Einzelberichte über Zusammenhänge membranöser Glomerulonephritiden mit Lösungsmitteln darstellt. Die Einzelfallmitteilungen konzentrieren sich auf Fälle mit langjähriger Exposition gegenüber höherer Konzentration gemischter organischer Lösungsmittel, von der der Senat, wie dargelegt, auch im vorliegenden Fall ausgeht. Von besonderer Bedeutung ist auch die Aussage der Autoren dieser Studie, dass „chronische Glomerulonephritiden als lösungsmittelbedingte Krankheiten einzustufen sind“ (nephrologisches Gutachten des Prof. Dr. C., S. 12). - Der Sachverständige Prof. Dr. C. hat insbesondere auf die von HUBER (2000) durchgeführte Fall-Kontroll-Studie hingewiesen, die ein signifikant erhöhtes Risiko für die Erkrankung an Glomerulonephritis bei chronischem Kontakt mit Lösungsmitteln belegt. Dabei korreliert das relative Risiko zu Dauer und Dosis der Lösungsmittelexposition. Bei einer über 30jährigen Exposition, wie sie bei dem Versicherten vorlag, wird ein relatives Risiko deutlich über den Faktor 2 auf 10 berechnet (S. 19 f. des nephrologischen Gutachtens vom 4. Mai 2000). Auch die Fall-Kontroll-Studie von STENGEL (1996) beschreibt ein relatives Risiko einer eingeschränkten Nierenfunktion bei chronischer Lösungsmittelexposition in Abhängigkeit von der Expositionsdauer deutlich über dem Faktor 2 (3,5 bis 7,7 - S. 11 des nephrologischen Gutachtens vom 4. Mai 2000; vgl. auch das arbeitsmedizinische Gutachten des Dr. O., S. 34). Nephropathien als Folgen einer Lösungsmittelexposition sind auch von MUTTI (1996) beobachtet worden (ebd.). - Insgesamt überzeugt den Senat die Schlussfolgerung, dass eine sehr hohe berufliche Lösungsmittelexposition über eine lange Zeit zu einem erheblich höheren Risiko führt, an einer membranösen Glomerulonephritis zu erkranken. Davon geht mittlerweile wohl auch die Beklagte aus (S. 2 oben des Schriftsatzes vom 11. Oktober 2002). Allerdings trifft - wie oben bereits ausgeführt - ihr neuer Vortrag nicht zu, die berufliche Belastung des Versicherten sei nicht sehr hoch („nur geringfügige Überschreitungen der Grenzwerte“) und damit innerhalb eines Bereiches gewesen, dessen Bedeutung für die Entstehung von Glomerulonephritiden gering ist (S. 3 der ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme des Prof. Dr. Dr. N. an das LSG Nordrhein-Westfalen vom 23. März 1998; vgl. auch die - von dem Institut des Prof. Dr. M. mit erstellte - Heidelberger Malerstudie der Arbeitsgemeinschaft der Bau-BGen, Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. Sonderheft 23, 1997, 7.4.4).“

Entsprechendes zur Belastungsdauer ist auch dem Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 28.08.2001, Az.: L 2 U 367/99, zu entnehmen:

Von besonderer Bedeutung ist insoweit, dass sich durch die Untersuchung von Huber et al eine überzeugende Dosis-Wirkungs-Beziehung ableiten lässt. Diese Untersuchung ergab, dass nach 30 Expositionsjahren das geschätzte Risiko auf das Zehnfache des Ausgangswertes stieg. Die Arbeit von Brautbahr et al untersucht die Literaturdaten der letzten Jahre im Hinblick auf Lösungsmittel und chronische Nierenerkrankungen. Die Mehrheit der Einzelfallbeschreibungen, Fallstudien und epidemiologischen Studien zeigt Brautbahr et al zufolge einen Zusammenhang zwischen Langzeitlösemittelexposition und chronischer Glomerulonephritis. Die Studien belegen eine zeitliche Korrelation, eine Dosis-Wirkungs-Korrelation, eine biologische Plausibilität, eine Konsistenz sowie eine statistische Assoziation.“

An einem derartigen, lang andauernden Kontakt fehlt es im Fall des Klägers ohne jeden Zweifel, so dass potentiell erkrankungsauslösende Arbeitsbedingungen nicht im Vollbeweis nachgewiesen sind.

Eine belastende Tätigkeit in dem vom Kläger ausgeübten vergleichsweise kurzen zeitlichen Umfang von einigen Wochen, allenfalls ganz wenigen Monaten, stellt bereits keine potentiell schadensverursachende Tätigkeit dar.

Sofern Prof. Dr. D. davon ausgegangen ist, dass der Kontakt des Klägers während der Haft mit Lösungsmitteln eine geeignete Belastung zur Krankheitsauslösung gewesen sei, kann sich der Senat dem nicht anschließen. Denn diese Belastung hat keinesfalls lange angedauert, sondern war nur von ganz vorübergehender Art, nämlich bis zur Erkrankung des Klägers an den Hauterscheinungen und zur Einweisung in die Krankenabteilung, und hat sich auf einen Zeit von Wochen, allenfalls ganz wenigen Monaten beschränkt. Anschließend hat der Kläger Tätigkeiten in einer anderen Abteilung der Strafvollzugsanstalt ausgeübt, die mit derartigen Belastungen nicht mehr verbunden waren. Dies hat der Kläger selbst so angegeben. Im Übrigen muss dieser Gesichtspunkt auch dem Sachverständigen selbst bewusst gewesen sein, weil er explizit darauf hingewiesen hat, dass der Kläger glücklicherweise nur kurze Zeit unter entsprechenden Belastungen gearbeitet habe (S. 3 oben der Stellungnahme vom 15.07.2014 - Unterstreichungen durch den Sachverständigen: „Herr A. hatte hier insofern Glück, dass er nur wenige Wochen zu diesen Lösungsmitteln exponiert war.“). Insofern sind die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. D. in sich eklatant widersprüchlich, weil der Sachverständige einerseits darauf hingewiesen hat, dass nach den von ihm zitierten Studien ein langjähriger Kontakt mit Lösungsmitteln und Ölen erforderlich sei, und andererseits, ohne dies weiter zu hinterfragen, von einer im Fall des Klägers erkrankungsauslösenden Tätigkeit ausgeht, obwohl ihm der nur wenige Wochen andauernde Kontakt zu Lösungsmitteln bewusst ist.

Ob, wie der Beklagte unter Bezugnahme auf die Studienlage und zunächst auch der Sachverständige Prof. Dr. D. erläutert haben, langjähriger Kontakt mit Lösungsmitteln nur zu einer Beeinflussung einer Glomerulonephritis im Sinne einer Progression, also zu einer Verschlimmerung einer bereits vorliegenden Erkrankung, führen kann, nicht aber zur einer Verursachung im Sinne der Entstehung, kann letztlich dahingestellt bleiben. Jedenfalls die vom Sachverständigen angeführten und vom Beklagten vorgelegten Studien sprechen dafür, dass sich aus diesen Studien keine Kausalität im Sinn der Entstehung einer Glomerulonephritis ableiten lässt, sondern nur eine Beeinflussung des Fortschreitens einer bereits vorliegenden Erkrankung, also eine Kausalität im Sinn einer Verschlimmerung. Damit korrespondiert auch der Hinweis des Sachverständigen Prof. Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme, dass er nicht differenzieren könne zwischen einer Kausalität im Sinn der Entstehung einerseits und der Verschlimmerung andererseits. Da beim Kläger eine bereits vor der Haftzeit vorliegende Glomerulonephritis nicht nachgewiesen ist und nicht einmal behauptet wird, scheidet auch insofern eine Kausalität zwischen Belastung mit Lösungsmitteln und Ölen in der Haft und Erkrankung beim Kläger aus.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass eine Belastung, die einen potentiellen Auslöser für die beim Kläger vorliegende Erkrankung darstellen könnte, nicht nur nicht im Vollbeweis nachgewiesen, sondern weitgehend widerlegt ist.

2.2.3.1.3. Haftbedingter Infekt

Atemwegserkrankungen wie z. B. Angina, Scharlach oder Grippe, nach denen an eine postinfektiöse Entstehung einer Glomerulonephritis zu denken wäre, sind für die Haftzeit des Klägers nicht im Vollbeweis nachgewiesen.

Im Gefolge vorgenannter Erkrankungen wird von der medizinischen Wissenschaft die Entstehung einer Glomerulonephritis diskutiert. Um einen Zusammenhang im Sinn der Kannversorgung bejahen zu können, müssten derartige Erkrankungen während der Haftzeit im Vollbeweis nachgewiesen sein; zudem müsste ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der Haft und den Erkrankungen belegt sein, um eine Versorgung in Betracht zu ziehen.

Derartige Erkrankungen insbesondere der Atemwege während der Haftzeit des Klägers sind nicht nachgewiesen. Dabei stützt sich der Senat auf die vorliegenden Krankenunterlagen und auch die Feststellungen der Sachverständigen. Irgendwelche fundierten Hinweise auf eine solche Erkrankung enthalten die medizinischen Unterlagen aus der Haftzeit nicht. Es ist lediglich eine kurzzeitig über wenige Tage geringfügig erhöhte Körpertemperatur dokumentiert, mit der der Vollbeweis einer derartigen Erkrankung nicht zu führen ist.

2.2.3.1.4. Purpura-Schönlein-Henoch

Mit der vom Sachverständigen Prof. Dr. D. erstmals in seiner zuletzt angefertigten Stellungnahme von 15.07.2014 eingebrachten Hypothese, der Kläger sei während der Haft an einer Purpura-Schönlein-Henoch erkrankt, die bei Erwachsenen in 50 - 80% der Fälle mit einer Nierenbeteiligung einhergehe und mit einer IgA-Nephritis assoziiert sei, können potentiell eine Glumerolonephritis auslösende Bedingungen in Form einer Purpura-Schönlein-Henoch während der Haft nicht bewiesen werden.

Der Senat kann es dahingestellt lassen, ob der für eine Versorgung im Rahmen der Kausalitätskette erforderliche Zusammenhang zwischen der Haft und der Purpura-Schönlein-Henoch (im Sinn der Wahrscheinlichkeit bzw. der Kannversorgung) überhaupt in Betracht zu ziehen ist. Denn jedenfalls ist die Purpura-Schönlein-Henoch nicht in Vollbeweis nachgewiesen, der im Rahmen der Kausalitätskette auch für die (Umweg-)Erkrankung erforderlich ist. Sofern Prof. Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme für das LSG davon ausgeht, dass diese Erkrankung vorgelegen habe, weil bis auf die Gelenkbeschwerden alle Symptome der Purpura-Schönlein-Henoch vorgelegen hätten, beruht dies auf Spekulationen, nicht aber auf Tatsachen. Wie auch der versorgungsärztliche Dienst in seiner Stellungnahme vom 11.09.2014 nachvollziehbar erläutert hat, ist die Vermutung des Sachverständigen zum Vorliegen dieser Erkrankung vielmehr höchst zweifelhaft. Die in den Behandlungsunterlagen aus der Haftzeit enthaltenen Angaben zu einer Dermatitis bzw. wässrigen Ekzemen an Gesicht, Fingern, Kopf und Rücken entsprechen einer Purpura-Schönlein-Henoch eher nicht; neben dem Leitsymptom der für eine Purpura-Schönlein-Henoch typischen Hautveränderungen fehlen im Übrigen, was auch der Sachverständige zugestanden hat, die typischen Gelenkbeschwerden. Ein entscheidendes Argument gegen die Annahme des Sachverständigen bezüglich dieser Erkrankung ist auch die Tatsache, dass ein Haarausfall, wie ihn der Kläger beschrieben hat, bei dieser Erkrankung nicht bekannt ist. Es bestehen daher erheblich Zweifel daran, dass der Kläger während der Haft an einer Purpura-Schönlein-Henoch erkrankt ist. Vielmehr spricht vieles dafür, dass damals eine Dermatitis oder Ölakne vorgelegen hat. Der Vollbeweis einer Purpura-Schönlein-Henoch ist jedenfalls nicht geführt.

Eine Anerkennung der beim Kläger vorliegenden Glomerulonephritis als Schädigungsfolge scheitert daher schon daran, dass der Kläger während der Haft keinen Bedingungen ausgesetzt war, bei deren Vorliegen eine Anerkennung der Glomerulonephritis im Sinn der Kannversorgung in Betracht gezogen werden könnte. Eine Anerkennung des Bluthochdrucks wiederum scheitert daran, dass diese Gesundheitsstörung die Folge der Beeinträchtigung der Nieren infolge der Glomerulonephritis ist, die aber nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden kann.

Lediglich der Vollständigkeit halber wird noch darauf hingewiesen, dass auch der zeitliche Abstand zwischen Haftende und nachgewiesenem Auftreten der Glomerulonephritis von rund zweieinhalb Jahren gegen die Annahme eines Zusammenhangs im Sinn der Kannversorgung spricht.

Eine Anerkennung als Schädigungsfolge würde nach den Vorgaben der Anhaltspunkte und den übereinstimmenden sachverständigen Ausführungen voraussetzen, dass die Glomerulonephritis in engem zeitlichem Zusammenhang mit den potentiell belastenden Umständen in der Haft, also spätestens sechs Monate nach Ende der potenziell krankheitsauslösenden Belastung, aufgetreten ist (vgl. oben Ziff. 1). Vom Auftreten der Krankheit kann erst dann ausgegangen werden, wenn sie im Vollbeweis nachgewiesen ist.

Im vorliegenden Fall ist der Nachweis im Sinn des Vollbeweises erst für das Jahr 1977 geführt, allein die nicht auszuschließende Möglichkeit eines Auftretens innerhalb des Zeitraums von sechs Monaten ab Beendigung der Tätigkeit in der Wasserpumpenabteilung reicht nicht.

Sofern Prof. Dr. D. davon ausgeht, dass die Glomerulonephritis bereits während der Haft vorgelegen habe, ist dies für den Senat nach Abwägung aller Umstände nicht im Vollbeweis nachgewiesen; vielmehr verbleiben ganz erhebliche Zweifel. Diese Zweifel stützen sich auf folgende Umstände:

* Unzweifelhaft im Sinn des Vollbeweises nachgewiesen ist die Glomerulonephritis erstmals durch die Nierenbiopsie im Jahr 1977. Diese liegt mit rund zweieinhalb Jahren deutlich mehr als sechs Monate von der Haftzeit entfernt.

* Sofern der Sachverständige Prof. Dr. D. seine Annahme einer bereits während der Haftzeit entstandenen Glomerulonephritis u. a. darauf stützt, dass beim Kläger bereits während der Haftzeit ein verfärbter Urin als Hinweis auf diese Erkrankung aufgetreten sei, geht er von falschen Tatsachen aus. Denn ein bereits während der Haftzeit verfärbter Urin ist nicht im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen. Der Kläger hat erstmals beim Sachverständigen Prof. Dr. D. - zu einem Zeitpunkt, als ihm die Wichtigkeit des Zeitpunkts des erstmaligen Auftretens von verfärbtem Urin bekannt gewesen sein muss - angegeben, dass die Verfärbung bereits während der Haftzeit aufgetreten sei. Damit hat er sich in eklatanten Widerspruch zu seinen früheren Angaben gesetzt. So hat er noch bei der Begutachtung durch Dr. T. ausdrücklich angegeben, dass der blutige Urin erstmals im Jahr 1977 - und damit in einem deutlichen zeitlichen Abstand zur Haftzeit - aufgetreten sei. Dies dürfte auch den Angaben entsprechen, die der Kläger im Rahmen der Begutachtung im Jahr 1983 gegenüber Dr. .B. gemacht hat; die Ausführungen im Gutachten vom 27.01.1983 können nur so verstanden werden, dass erstmals im Januar 1977 der Urin schwärzlich verfärbt gewesen sei und darin auch der Anlass für die 1977 durchgeführte Nierenbiopsie gelegen habe, was dem Senat naheliegend und plausibel erscheint. Ob die vom Kläger später bei der Begutachtung durch Prof. Dr. D. gemachten Angaben zielgerichtet gegenüber seinen früheren Aussagen abgewandelt worden sind oder die Änderung der mangelnden Erinnerung geschuldet ist, kann letztlich dahingestellt bleiben. Denn der Nachweis, dass die zuletzt gemachten Angaben die richtigen wären, ist für den Senat angesichts der abweichenden Angaben des Klägers im zeitlichen Ablauf nicht geführt; vielmehr spricht alles dafür, dass die zuerst bei Dr. T. gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen.

* Wenn der Sachverständige Prof. Dr. D. argumentiert, dass eine IgA-Nephritis zunächst auch als sogenannte idiopathische (unklare) Hyperkalziurie auftreten könne und es kein Widerspruch sei, dass der Kläger zunächst im Rahmen einer akut aufgetretenen IgA-Nephritis mit entsprechender Symptomatik (dunkler Urin) und erstmals Grenzwerthypertonie, mit Perioden von febrilen Temperaturen und stark subjektiver Symptomatik (Bauchschmerzen, Abgeschlagenheit, Müdigkeit) erkrankt sei und es ihm nicht zum Nachteil des gereichen dürfte, dass auf der Krankenstation in der Haftanstalt eine schlechte Dokumentation erfolgt sei, ändert dies an der Beurteilung nichts. Denn auch wenn die Dokumentation während der Haft schlecht gewesen sein sollte - tatsächlich dürften schon die medizinischen Maßnahmen in der Haft von nur geringer Intensität gewesen sein, so dass letztlich keine Dokumentations-, sondern Untersuchungsmängel vorliegen -, lässt sich damit allenfalls nicht die Möglichkeit ausschließen, dass die Glomerulonephritis bereits während der Haftzeit vorgelegen hat. Es lässt sich damit aber nicht der positive Nachweis im Sinn des Vollbeweises führen, dass diese Erkrankung bereits während der Haft vorgelegen hat.

* Sofern Prof. Dr. D. den von ihn angenommenen Erkrankungsbeginn der Glomerulonephritis bereits während der Haft damit begründen will, dass die Erkrankung der inneren Organe (insbesondere Niere) während der Haftzeit übersehen worden sei, so ist dies nicht zur Nachweisführung geeignet. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine Spekulation des Sachverständigen, die allenfalls die Möglichkeit eines Erkrankungsbeginns bereits während der Haftzeit aufzeigt. Eine derartige Möglichkeit reicht aber nicht aus, um den Erkrankungsbeginn im Sinn des Vollbeweises auf die Haftzeit zu terminieren.

* Ein Erkrankungsbeginn der Glomerulonephritis während der Haft kann auch nicht durch die unstrittig bereits während der Haft aufgetretenen Beschwerden im Bauch-/Nierenbereich begründet werden. Denn die vom Kläger angegebenen kolikartigen Schmerzen, die sich - auch nach der Haft - wiederholt haben (in 2 -3-wöchigem Abstand), sind mit größter Wahrscheinlichkeit durch den Nierensteinen zu erklären, der dann im März 1975 abgegangen ist. Dafür spricht deutlich, dass nach den eigenen Angaben des Klägers diese Schmerzen nach dem Abgang des Nierensteins über rund zwei Jahre bis zur Nierenbiopsie nicht mehr aufgetreten sind. Dass diese offenbar heftigen Schmerzen durch eine Glomerulonephritis begründet gewesen wären, ist daher wegen ihres Endes durch den Nierensteinabgang unwahrscheinlich, zumal - nach den Ausführungen des Prof. Dr. D. - eine Glomerulonephritis oft auch am Anfang ohne größere Symptome und Schmerzen vorliegen kann.

* Auch der Hinweis des Prof. Dr. D. darauf, dass beim Kläger erstmals in der Haft ein erhöhter Blutdruck dokumentiert sei und dies einen Hinweis auf eine Glomerulonephritis darstelle, kann den Vollbeweis eines Erkrankungsbeginns bereits während der Haft nicht ermöglichen. Ganz abgesehen davon, dass lediglich eine einzige Blutdruckmessung mit leicht erhöhtem Blutdruck vorliegt, ist ein erhöhter Blutdruck kein zwingender Hinweis auf eine Glomerulonephritis. Zudem ist auch nicht nachgewiesen, dass ab diesem Zeitpunkt der Blutdruck durchgehend erhöht gewesen wäre. So liegen dazu widersprüchliche Arztberichte vor. So hat beispielsweise die Internistin Dr. W. im Arztbrief vom 25.08.1982 darauf hingewiesen, dass die Blutdruckwerte des Klägers stets im Normbereich gelegen hätten. Ob diese Angabe oder vielmehr die aus dem Landambulatorium R. vom 27.08.1979, wonach der Kläger seit drei Jahren behandelt worden sei und sich dabei im Durchschnitt ein erhöhter Blutdruck gezeigt habe, zutrifft, lässt sich nicht mehr aufklären. Jedenfalls verbleiben Zweifel daran, dass die Blutdruckwerte des Klägers bereits unmittelbar nach der Haftentlassung und dies durchgehend zu hoch gewesen sind, was dem Vollbeweis eines erhöhten Blutdrucks durchgehend ab der Haft entgegensteht.

* Die Annahme des Prof. Dr. D., der Kläger habe aufgrund der schlechten Haftbedingungen während der Haftzeit an Gewicht verloren, was er offenbar als Hinweis auf das erstmalige Auftreten der Glomerulonephritis sieht, steht in Widerspruch zu den vorliegenden Tatsachen. So hat der Kläger während der Haftzeit nicht abgenommen, sondern insgesamt 3 kg zugenommen. Dass zwischenzeitlich (erhebliche) Gewichtsschwankungen vorgelegen hätten, ist weder belegt noch vom Kläger behauptet worden. Insofern ist der Sachverständige offensichtlich von falschen Tatsachen ausgegangen.

* Sofern Prof. Dr. D. in seinem Gutachten darauf hingewiesen hat, dass sich bei Untersuchungen nach Abgang des Nierensteins im März 1975 ergeben habe, dass die rechte Niere kleiner als die linke sei, kann dies nicht als Zeichen für einen Erkrankungsbeginn der Glomerulonephritis während der Haft gedeutet werden. Einen derartigen Schluss hat auch Prof. Dr. D. nicht gezogen, sondern diese Feststellung zur Größe der rechten Niere nur ohne Wertung im Gutachten angeführt. Aber selbst wenn, was hier von keiner Seite geäußert worden ist, ein solcher Größenunterschied auf einen Erkrankungsbeginn während der Haft hindeuten könnte, würde sich im Fall des Klägers ein derartiger Schluss verbieten. Denn dass tatsächlich ein Größenunterschied der Nieren vorgelegen hat, ist nicht nachgewiesen, sondern vielmehr durch den Arztbrief des Urologen Dr. L. vom 02.11.1979 wiederlegt. Diesem Brief ist zu entnehmen, dass die Nieren beidseits in Form und Lage regelrecht gewesen sind. Im Übrigen ist für den Senat auch nicht ersichtlich, wie der Sachverständige Prof. Dr. D. überhaupt zu der Annahme gekommen ist, dass sich bei einer Nachuntersuchung nach Abgang des Nierensteins ein Größenunterschied der Nieren gezeigt habe. Denn Behandlungsunterlagen aus der Universitätsklinik J. sind nicht mehr vorhanden. Insofern kann sich der Senat nur vorstellen, dass der Sachverständige unreflektiert und ungeprüft eine Angabe des Klägers aus dessen Erinnerung heraus übernommen und dies als Tatsache unterstellt hat. Ein derartiges Vorgehen missachtet jedoch die Beweisvorgaben im sozialgerichtlichen Verfahren.

* Wenn Prof. Dr. D. in seinem Gutachten davon ausgeht, dass der Kläger seit 1974 im Landambulatorium R. in Behandlung gewesen sei und dort aufgefallen sei, dass der Urin nicht in Ordnung gewesen und Blut ausgeschieden worden sei, entspricht dies nicht den vorhandenen Unterlagen. Vielmehr sind keinerlei Urinuntersuchungen zeitnah nach der Haftentlassung belegt. Nach den zunächst erfolgten Angaben des Klägers, die der Senat für glaubhaft hält, ist vielmehr von einem verfärbten Urin erstmals im Jahre 1977 auszugehen. Auch sind zeitnah nach der Haft Behandlungen wegen Nierenbeschwerden nur im Zusammenhang mit dem Nierenstein belegt, wie die nach dem ICD 8 (Ost) verschlüsselten Eintragungen im Sozialversicherungsausweis des Klägers belegen.

* Es mag zwar zutreffen, dass die beim Kläger vorliegende und im Vollbeweis nachgewiesene Nierensteinerkrankung während der Haftzeit die Diagnose einer Glomerulonephritis grundsätzlich erschweren kann. Daraus kann aber nicht - zugunsten des Klägers - eine Beweiserleichterung oder gar Beweislastumkehr für den Nachweis der Glomerulonephritis abgeleitet werden. Dies stünde im Widerspruch zu den allgemeinen Beweisvorgaben im Sozialrecht.

* Auch der Hinweis des Klägers auf die Heilbehandlungsseiten in seinem Sozialversicherungsausweis belegt kein zeitnahes Auftreten der Glomerulonephritis nach der Haft. Es ist zwar richtig, dass der Kläger nach seiner Haftentlassung im Januar 1975 internistisch und urologisch behandelt worden ist. Bei Entschlüsselung der nach der ICD 8 (Ost) eingetragenen Diagnosen zeigt sich aber, dass die Behandlungen wegen eines Nieren- und Uretersteins erfolgt sind, der dann im Frühjahr 1975 auch abgegangen ist. Eine Glomerulonephritis ist durch diese Behandlungen nicht belegt.

* Falsch ist auch die zwischenzeitlich erfolgte Angabe des Klägers, er habe durchgehend seit der Haft unter Beschwerden im Nierenbereich gelitten. Er selbst hat zuvor angegeben, dass nach Abgang des Nierensteins im Frühjahr 1975 die massiven Nierenbeschwerden nicht mehr aufgetreten seien; durchgehende Beschwerden sind auch nicht in den Behandlungsunterlagen dokumentiert.

Für eine Beweiserleichterung gemäß § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) ist kein Raum. Da diese Regelung für die hier vorliegende Nachweisschwierigkeit, die aus möglicherweise unzureichenden medizinischen Untersuchungen resultiert, nicht aber aus einer unvollständigen oder verloren gegangenen Dokumentation, ohnehin keine Hilfestellung gibt, kann es dahingestellt bleiben, ob es sich der Kläger im Rahmen des § 15 KOVVfG entgegen halten lassen müsste, dass er mit seiner Antragstellung so lange gewartet hat, bis die Behandlungsunterlagen aus der Universitätsklinik J. mit dem Biopsiebericht bereits vernichtet waren. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 13.12.1994, Az.: 9/9a RV 9/92) stünde bei einer späten Antragstellung ein Verschulden im Raum, wenn kein Grund bestanden hat, den Antrag schon in einer Zeit zu stellen, als noch bessere Beweismöglichkeiten bestanden haben (vgl. Urteil des Senats vom 31.01.2013, Az.: L 15 VK 9/11). Von einem solchen Verschulden auszugehen, läge hier nahe. Ab den Beschlüssen des Bezirksgerichts G. vom 12.03.1992 und 15.04.1992, mit denen die gegen den Kläger in der DDR ergangenen strafgerichtlichen Urteile aufgehoben worden waren und der Kläger rehabilitiert worden war, hätte er den hier streitgegenständlichen Antrag auf Versorgung nach dem StrRehaG stellen können. Dies war ihm auch bekannt, da in den Beschlüssen des Bezirksgerichts G. auf die Möglichkeit der Geltendmachung derartiger Ansprüche hingewiesen worden war. Auch die gesundheitliche Schädigung und eine potentielle Verursachung durch die Haft waren dem Kläger seit langem bekannt, wie dies auch im Verfahren nach dem Häftlingshilfegesetz aus den 80er Jahren zum Ausdruck kommt.

Nicht Aufgabe des Senats ist es, dem Kläger die wahrscheinliche Ursache für die bei ihm vorliegende Glomerulonephritis zu liefern, da dies über den Prüf- und Entscheidungsauftrag des Gerichts hinausgehen würde. Die allein entscheidungserhebliche Frage, mit der sich der Senat zu befassen hat, ist, ob die haftbedingten Belastungen die Glomerulonephritis wahrscheinlich verursacht haben Ganz abgesehen und abseits der Entscheidungsrelevanz ist dem Senat aber gleichwohl aufgefallen, dass der Kläger nach der Entlassung aus der Haft wiederholt an Anginen erkrankt war und dies auf die damaligen ungünstigen Arbeitsbedingungen nach der Haft zurückgeführt hat. Letztlich haben die wiederholten Erkrankungen dann auch zur operativen Entfernung der Mandeln geführt. Da in der medizinischen Wissenschaft die Entstehung einer Glomerulonephritis auch postinfektiös insbesondere nach Atemwegserkrankungen, z. B. nach einer Angina, gesehen wird (vgl. oben Ziff. 2.2.3.1.1.), könnte hierin durchaus die - haftfremde - Ursache für die Erkrankung an der Glomerulonephritis liegen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die beim Kläger vorliegende Nierenerkrankung samt dem daraus resultierenden Bluthochdruck nicht als Schädigungsfolge nach dem StrRehaG anerkannt werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 21. Apr. 2015 - L 15 VH 1/12

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 21. Apr. 2015 - L 15 VH 1/12 zitiert 12 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 109


(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschieß

Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung - KOVVfG | § 15


Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verl

Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG | § 21 Beschädigtenversorgung


(1) Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorg

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 21. Apr. 2015 - L 15 VH 1/12 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 21. Apr. 2015 - L 15 VH 1/12 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 19. Nov. 2014 - L 15 VS 19/11

bei uns veröffentlicht am 19.11.2014

Tenor I. Der Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2011 und der Bescheid vom 17. April 2003 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 19. März 2008 werden aufgehoben. II. Die Beklagte wird verurteilt, das Nierenkarzinom und den aus
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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 11. Juli 2018 - L 20 VJ 7/15

bei uns veröffentlicht am 11.07.2018

Tenor I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 8. Juni 2015 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbes

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 26. März 2019 - L 15 VJ 9/16

bei uns veröffentlicht am 26.03.2019

Tenor I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24. Oktober 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wi

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 25. Juli 2017 - L 20 VJ 1/17

bei uns veröffentlicht am 25.07.2017

Tenor I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 6. Dezember 2016 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 15. Dez. 2015 - L 15 VS 19/09

bei uns veröffentlicht am 15.12.2015

Tenor I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 8. Dezember 2009 wird zurückgewiesen. Die Klage auf Versorgung ab Erkrankung des Ehemanns der Klägerin wird abgewiesen. II. Außergerichtliche K

Referenzen

(1) Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, erhält.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht eine gesundheitliche Schädigung gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden ist.

(3) Wer als Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 dieser Vorschrift oder § 22 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, als Pflegeperson oder als Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Beschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes eine gesundheitliche Schädigung erleidet, erhält Versorgung nach Absatz 1.

(4) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne der Absätze 1 bis 3 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(5) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges. Wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

Tenor

I.

Der Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2011 und der Bescheid vom 17. April 2003 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 19. März 2008 werden aufgehoben.

II.

Die Beklagte wird verurteilt, das Nierenkarzinom und den aus der operativen Behandlung resultierenden Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmteils infolge eines Nierenkarzinoms sowie das Schilddrüsenadenom und die Schilddrüsenüberfunktion als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen.

III.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig sind die nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) festzustellenden Schädigungsfolgen.

Der im Jahr 1951 geborene Kläger war bis zum März 2004 Berufssoldat bei der Bundeswehr.

Von 1971 bis 1987 arbeitete der Kläger zunächst als Radarmechaniker, zuletzt als Radarmechanikermeister am Flugzeug F-104 G (sog. Starfighter), das mit dem Vorwärtssichtradar NASARR ausgestattet war. Mit WDB-Blatt vom 05.11.2002 machte er eine Struma Grad II bis III und ein Nierenzellkarzinom als Schädigungsfolgen geltend. Die Erkrankungen waren im Jahr 1988 (teilweise Entfernung der Schilddrüse bei Adenom) bzw. 1995 operativ behandelt worden. Im Zusammenhang mit der Nephrektomie im November 1995 kam es zu einer im Januar 1996 diagnostizierten Darmperforation und zum Verlust der Milz.

Der Beklagte zog den Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR bei. Darin wurden Expositionswerte gegenüber ionisierender Strahlung im Bereich von Kopf und Oberkörper, Unterarmen und Händen aufgeführt.

Die Wehrbereichsverwaltung - öffentlichrechtliche Aufsicht für Arbeitssicherheit und technischen Umweltschutz - Bereich Bayern - äußerte sich mit Schreiben vom 25.02.2003 zu der beim Kläger stattgehabten Exposition wie folgt:

Die Emission der Röntgenstörstrahlung am Vorwärtssichtradar NASARR erfolge an der Mikrowellenauskopplung des Magnetrons in senkrechter Richtung nach oben in einem räumlich eng begrenzten Strahlenbündel, was durch Röntgenfilmbelichtungen festgestellt worden sei. Wegen der gleichen Anbauweise des NASARR in Radartestbänke finde sich diese nach oben gerichtete Abstrahlcharakteristik auch dort. Zusätzlich zu der Röntgenstörstrahlung habe noch eine Exposition gegenüber ionisierender Strahlung durch radioaktive Leuchtfarbe im Cockpit bestanden. Bei der Berechnung der Ersatzdosis sei unter Zuhilfenahme des Teilbereichs der Arbeitsgruppe strikt nach Aktenlage vorgegangen worden, da infolge der vorgegebenen Bearbeitungszeit ein Befragen des Betroffenen nicht möglich gewesen sei. Damit ergebe sich eine effektive Gesamtdosis für alle Berufsjahre (01.04.1971 bis 31.03.1987) von 5,9 mSv. Der Grenzwert für die allgemeine Bevölkerung sei damit nicht überschritten. Für nichtionisierende Strahlung lägen bislang keine wissenschaftlich allgemein anerkannten Erkenntnisse darüber vor, dass sie Krebserkrankungen auslösen könnten.

Das Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr führte in seiner versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 28.03.2003 aus, dass die ermittelte Gesamtdosis von 5,9 mSv zu gering sei, um in eine versorgungsmedizinische Diskussion über die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs oder über eine Kannversorgung einzutreten. Bei der Schilddrüsenerkrankung sei eine Strahlenverursachung nach dem derzeitigen Kenntnisstand von vornherein nicht anzunehmen.

Mit Bescheid vom 07.04.2003 lehnte es die Beklagte ab, den Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmanteils durch operative Entfernung aufgrund Nierenkarzinom und einen Schilddrüsenteilverlust durch operative Entfernung aufgrund Schilddrüsenerkrankung als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn des § 81 SVG anzuerkennen. Der Kläger sei zwar als Luftfahrzeugfeuerleitradarmechniker/-meister an dem Flugzeugradar NASARR Röntgenstrahlung und radioaktiver Leuchtfarbe ausgesetzt gewesen. Die Gesamtdosis von 5,9 mSv reiche aber für eine gesundheitliche Schädigung nicht aus, da eine den Grenzwert von 1 mSv pro Jahr übersteigende Lebenszeitdosis nicht erreicht werde. Ein ursächlicher Zusammenhang mit Strahlenbelastungen sei daher auszuschließen.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 05.05.2003 Beschwerde ein. Er bat, den Bescheid nach Vorlage des Ergebnisses der Radarkommission noch einmal zu prüfen und ggf. zu korrigieren.

Am 18.09.2003 äußerte sich Dr. J. vom Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr im Rahmen einer Überprüfung gemäß den Kriterien der Radarkommission - der Bericht war am 02.07.2003 vorgelegt worden - in einer ergänzenden versorgungsmedizinischen gutachtlichen Stellungnahme wie folgt: Der Kläger sei von 1971 bis 1987 an Radargeräten der Bundeswehr tätig gewesen. Es sei in Abänderung früherer Ausführungen nunmehr als glaubhaft zu unterstellen, dass er einer Belastung relevanten Ausmaßes durch ionisierende Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Diese sei grundsätzlich als kanzerogen anzusehen. In Abänderung der Stellungnahme vom 28.03.2003 werde daher vorgeschlagen, den Nierentumor als Schädigungsfolge anzuerkennen. Bei einem Schilddrüsenadenom sei gemäß den derzeitigen medizinischwissenschaftlichen Erkenntnissen eine Strahlenverursachung von vornherein nicht anzunehmen.

In einem ersten Entwurf des Beschwerdebescheids vom November 2003 wurde eine Anerkennung von Schädigungsfolgen entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. J. vom 18.09.2003 vorgeschlagen. Diesem Entwurf wurde jedoch durch die Wehrbereichsverwaltung Süd die Zustimmung versagt, weil nach dem Bericht der Radarkommission (dort S. 46) nur eine Teilkörperexposition des Oberkörpers in Betracht komme, nicht jedoch der Nieren.

Dazu befragt, ob bei einer Körpergröße des Klägers von 1,85 m und einer unterstellten Bestrahlung des Oberkörpers auch eine Bestrahlung des Beckenbereichs damit auch der Nieren in Betracht komme, hat die Strahlenmessstelle Nord der Bundeswehr, Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar (Dr. S.), mit Schreiben vom 04.09.2006 in einem Satz mitgeteilt, dass Einbauort der Störstrahler und Austrittsrichtung der Röntgenstörstrahlung am NASARR so seien, dass auch für einen körperlich größeren Techniker der Bereich des Beckens nicht gegenüber Röntgenstörstrahlung exponiert werden könne.

Mit Beschwerdebescheid vom 19.03.2008 wurde die Beschwerde des Klägers gegen den Bescheid vom 17.04.2003 zurückgewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der vom Kläger geltend gemachten Krebserkrankung und der Schilddrüsenerkrankung sei nicht wahrscheinlich. Zwar gehöre die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit zu den qualifizierenden Tätigkeiten im Sinn des Berichts der Radarkommission und es liege auch eine der qualifizierenden Erkrankungen aufgrund ionisierender Strahlung vor (maligne Tumore). Die Radarkommission habe jedoch in ihrem Bericht als weiteres Kriterium festgestellt, dass eine Anerkennung ausgeschlossen werden könne, falls die Bundeswehr nachweise, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten könnten, die das erkrankte Organ nicht betroffen hätten.

Dagegen hat der Kläger am 09.04.2008 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben. Die Klage ist wie folgt begründet worden: Im Rahmen seiner wehrdienstlichen Tätigkeit sei der Kläger einer ionisierenden Strahlung ausgesetzt gewesen, die als Röntgenstörstrahlung und/oder radioaktive Strahlung durch Leuchtfarben auftreten könne. Im vorliegenden Fall sei sowohl eine Röntgenstörstrahlung als auch eine radioaktive Strahlung aus Leuchtfarben zu berücksichtigen. Daneben sei der Kläger auch nichtionisierender Strahlung ausgesetzt gewesen. Die Bevollmächtigten haben auf den Bericht der Radarkommission vom 02.07.2003 hingewiesen. Die Beklagte könne gerade nicht nachweisen, dass nur Teilkörperexpositionen aufgetreten seien, die das erkrankte Organ nicht betroffen hätten. Damit sei eine Anerkennung als Wehrdienstbeschädigung auszusprechen. Die Radarkommission habe in ihrem Bericht vom 02.07.2003 gerade nicht bestätigt, dass vom NASARR ausschließlich an einer eng begrenzten Stelle Röntgenstörstrahlung ausgetreten sei. Die Beklagte habe vielmehr Messungen durchgeführt und dabei festgestellt, dass sich aufgrund der Vielzahl der Arbeiten, die am NASARR zu verrichten gewesen seien, gerade nicht ausschließen lasse, dass sich ein bestimmter Körperteil in der Röntgenstörstrahlung bewege. Dieses ergebe sich aus Messungen des Herrn G., der lange selbst am NASARR gearbeitet habe. Eine qualifizierende Erkrankung liege vor. Der Bericht der Radarkommission sei ein antizipiertes Sachverständigengutachten, welches bei Vorliegen der Kriterien für die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung eine Verpflichtung der Beklagten begründe, die Erkrankung des Klägers als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen. Einzige Öffnungsklausel für die Beklagte sei, wenn die Beklagte nachweise, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten könnten, die das erkrankte Organ nicht betreffen würden. Die Beklagte habe somit einen Entlastungsbeweis zu führen. Genau dieser Entlastungsbeweis sei der Beklagten nicht gelungen. Der Zusammenhang zwischen ionisierender Strahlung und der Krankheit des Klägers sei medizinisch anerkannt. Es sei eine WDB-Anerkennung zumindest im Sinn einer Kannversorgung auszusprechen.

Im Schreiben vom 26.11.2008 hat die Beklagte in Erwiderung zur Klagebegründung darauf hingewiesen, dass eine nichtionisierende Strahlung höchstens zu einer Trübung der Augenlinse führen könne. Durch radiumhaltige Leuchtfarbe könnten nur Knochenkrebs oder Lungenkrebs verursacht werden. Die Röntgenstörstrahlung des Radargeräts NASARR trete nur nach oben aus. Dies ergebe sich aus dem Bericht der Radarkommission, Seite 46, zudem aus der Stellungnahme des Dr. S.. Mit Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Prof. Dr. G., den der Kläger vorgeschlagen hatte, sei sie nicht einverstanden.

Mit Beschluss vom 28.11.2008 ist die Beiladung des Trägers der Versorgungsverwaltung erfolgt.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schreiben vom 06.02.2009 darauf hingewiesen, dass es falsch sei, dass die Röntgenstörstrahlung vom Radargerät NASARR nur nach oben austreten könne. Die bisherigen Feststellungen der Beklagten, auch des

Dr. S., seien falsch. Die Radarkommission habe auf Basis dieser Angaben den Bericht verfasst. Die Beklagte habe zwischenzeitlich Messungen mit Hilfe von Herrn G. durchführen lassen. Diese Messungen seien erst im Jahr 2008 durchgeführt worden und hätten ergeben, dass sich aufgrund der Vielzahl der Arbeiten, die am NASARR zu verrichten gewesen seien, gerade nicht ausschließen lasse, dass sich ein bestimmter Körperteil in der Röntgenstörstrahlung bewege.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 23.02.2009 mitgeteilt, dass sie aller Voraussicht nach einem Gutachten, das Herr Prof. Dr. G. erstellen würde, nicht folgen werde. Im Übrigen hat sie auf eine neue Stellungnahme des Dr. S. vom 19.02.2009 verwiesen, wonach weitere Messungen zur Emission von Röntgenstörstrahlung im Jahr 2008 nicht mehr stattgefunden hätten; es sei lediglich eine Diskussion verschiedener Arbeitsschritte erfolgt, ohne dass das Radargerät bei diesem Termin in Betrieb genommen worden wäre.

Mit Schreiben vom 16.06.2009 hat die Beklagte die Kopie einer - teilweise abgedeckten, also nicht lesbaren - Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung West - Strahlen - vom 09.06.2009 vorgelegt, wonach die Belastung durch radioaktive Leuchtfarbe ausgesprochen gering gewesen sei. Dem von den Bevollmächtigten des Klägers in den Raum gestellten Sachverständigen Prof. Dr. G. ist in dieser Stellungnahme vorgeworfen worden, dass er in einem anderen Verfahren „seine Kompetenzen als medizinischer Sachverständiger bei Weitem überschritten“ habe. Im Übrigen ist die Argumentation der Bevollmächtigten des Klägers teilweise als „unsinnig“ bezeichnet worden. Die teilweise Abdeckung der übersandten Stellungnahme hat die Beklagte damit begründet, dass darin eine Auseinandersetzung mit möglichen politischen Folgen von Fehlern enthalten sei.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 11.01.2010 einen Aktenvermerk vom 22.12.2009 übermittelt, dem u. a. zu entnehmen ist, dass eine Konfliktlösung bei Begutachtung durch Prof. Dr. G. nicht zu erwarten sei. In einem weiteren Aktenvermerk vom 16.06.2010. hat sich die Beklagte mit den Körperhaltungen bei der beruflichen Tätigkeit des Klägers auseinander gesetzt. Weiter hat sie sich dahingehend geäußert, dass der Gesundheitsschaden im „Unterleib“ vorliege. Schließlich hat sie sich erneut umfassend zu der aus ihrer Sicht fehlenden Kompetenz und Neutralität des Prof. Dr. G. geäußert.

Am 09.06.2011 hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Prof. Dr. G. ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage erstellt. Der Sachverständige hat darin Folgendes ausgeführt:

Beim Kläger sei im Oktober 1988 die Operation einer vergrößerten Schilddrüse durchgeführt worden; dabei habe sich ein sogenannter ausgebrannter kalter Knoten gefunden. Am 02.12.1995 sei eine Operation zur Entfernung der linken Niere wegen eines Tumors durchgeführt worden. Postoperativ seien Komplikationen entstanden, die in einem Bauchhöhlenabszess kumuliert hätten. Bei der deswegen erforderlichen Nachoperation am 08.01.1996 seien die Milz, der querliegende Schenkel des Dickdarms und der absteigende Schenkel des Dickdarms entfernt und ein künstlicher Darmausgang gelegt worden. Am 23.02.1996 sei der künstliche Darmausgang verschlossen worden. Aktuell habe der Kläger mitgeteilt, dass bei einer Kontrolluntersuchung im Bundeswehrkrankenhaus U. in der Schilddrüse ein sogenannter heißer Knoten entdeckt worden sei. Heiße Knoten in der Schilddrüse seien verdächtig auf ein Schilddrüsenkarzinom.

Zur Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung hat der Sachverständige Folgendes erläutert: Die Schwerpunktgruppe Radar habe am 16.06.2010 ausgeführt, dass zwar der Oberkörper gegenüber der Störstrahlung am NASARR exponiert gewesen sei, nicht jedoch der Bereich des Beckens, auch nicht bei einem körperlich größeren Techniker. Weiter sei von der Schwerpunktgruppe Radar ausgeführt worden, dass die „Nieren-Becken-Region“ nicht exponiert habe werden können. Der Begriff „Nieren-Becken-Region“ sei - so der Sachverständige - in der Medizin unbekannt. Es sei zu vermuten, dass die Lage der Nieren von der Schwerpunktgruppe Radar irgendwo im Bereich des menschlichen Beckens angenommen worden sei. Als Oberkörper des Menschen werde in der Medizin derjenige Teil des Körpers bezeichnet, der nach unten durch die Rippenbögen der 11. und 12. Rippe begrenzt werde. Bei der ärztlichen Untersuchung am stehenden Patienten sei es unmöglich, den oberen Nierenpol oder gar die Nebennieren zu tasten, weil lediglich der untere Teil der Niere nach unten die Rippenbögen überrage. Ganz zweifellos sei deshalb die Region des Körpers, in dem sich der obere Pol der Niere befinde, dem Oberkörper zuzurechnen. Die Lungenflügel würden nach unten zum Bauchraum durch das Zwerchfell abgegrenzt, das sich ähnlich einer Kuppel an die Unterseite der Lungenflügel anschmiege. Von unten würden in diese Kuppel die Bauchorgane hinein ragen, auf der rechten Seite die obere Hälfte der Niere hinten, auf der linken Seite hinten die oberen Teile der Niere und Milz. Die linke Niere des Menschen liege in der Regel höher als die rechte. Da der Tumor am oberen Pol der linken Niere entstanden sei, bestehe auch kein Zweifel, dass dieser Teil der linken Niere als Teil des Oberkörpers zu betrachten sei, obgleich er anatomisch zur Bauchhöhle gehöre. Bei der Beurteilung einer möglichen Strahlenexposition komme es nicht auf die Zugehörigkeit zur Brusthöhle oder zur Bauchhöhle an, sondern darauf, ob durch die Lokalisation des oberen Nierenpols eine Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung aus einen NASARR möglich gewesen sei oder nicht. Wenn bei den vom Kläger durchgeführten Tätigkeiten eine Exposition des Oberkörpers stattgefunden habe, wie von der Schwerpunktgruppe Radar offenkundig angenommen werde, dann sei der obere Pol der linken Niere des Klägers mit Sicherheit durch Röntgenstörstrahlung betroffen worden. Eine Diskussion einer möglichen Exposition gegenüber radioaktiver Leuchtfarbe sei nicht erforderlich, weil nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft kein Zusammenhang zu der Entwicklung eines Nierenzellkarzinoms angenommen werden könne. Der Kläger sei während der sogenannten Phase I (zwischen 1971 und 1975) in qualifizierender Tätigkeit an Radargeräten beschäftigt gewesen. Er sei damit einem höheren Risiko für Krebserkrankungen als die allgemeine Bevölkerung ausgesetzt gewesen. Wie ausgeführt, sei seine Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung als kausaler Risikofaktor für die Entstehung des bei ihm 1995 entdeckten Nierenzellkarzinoms zu betrachten. Das Nierenzellkarzinom sei hinreichend wahrscheinlich durch die Tätigkeit als Radarmechaniker verursacht.

Auch der Schilddrüsenbefund des Klägers sei der früheren Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung zuzuordnen. Es gebe eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, die als Folge der Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen das Auftreten von gutartigen Schilddrüsentumoren (sog. Adenome) gefunden hätten. Auf entsprechende Untersuchungen hat der Sachverständige hingewiesen. Da der Hals des Klägers zweifelsfrei der Röntgenstörstrahlung ausgesetzt gewesen sei, sei auch die Schilddrüsenerkrankung der Exposition zuzuordnen. Möglichen Einwänden, dass die Radarkommission sich nicht zu gutartigen Tumoren als Folge der Exposition gegenüber ionisierenden Strahlungen geäußert hätte, sei entgegen zu halten, dass sich die Radarkommission wegen des extremen Zeitdrucks vor allem den Krebserkrankungen gewidmet habe.

Als Schädigungsfolgen seien anzuerkennen: Nierenzellkarzinom, postoperative schwere Infektion der Bauchhöhle, Entfernung großer Teile des Dickdarms und der Milz, Schilddrüsenüberfunktion, heißer Knoten der Schilddrüse.

Die Beklagte hat sich zu diesem Gutachten mit einer (nichtärztlichen) Stellungnahme vom 01.09.2011 wie folgt geäußert: Die Ausführungen des Prof. Dr. G. zur Exposition des Oberkörpers seien nicht nachvollziehbar. Wenn auf Seite 46 des Berichts der Radarkommission „Kopf und Teile des Oberkörpers“ als vom direkt nach oben gerichteten Strahlenbündel erreichbar genannt würden, so seien damit ganz sicher nicht die untersten Teile des Oberkörpers gemeint. Somit sei die Nierenregion nicht als ein diesem Strahlenbündel exponierter Körperteil anzusehen, selbst wenn man sie noch zum Oberkörper zähle. Damit sei das Ausschlusskriterium „Teilkörperexposition, die das erkrankte Organ nicht betraf“ erfüllt. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen stochastischen Strahlenwirkungen und dem Auftreten des Schilddrüsenadenoms sei nicht gegeben. Zwar sei eine Anerkennung nach den Kann-Bestimmungen in Betracht zu ziehen, wenn zumindest eine qualifizierte Möglichkeit des ursächlichen Zusammenhangs bestehe. Hinsichtlich gutartiger Geschwülste heiße es jedoch in den Anhaltspunkten, dass diese im Allgemeinen nicht durch äußere Einwirkungen verursacht würden. Ausnahmen bezüglich der Schilddrüsenadenome würden in den Anhaltspunkten nicht genannt. Somit sei deren Ätiologie nicht ungeklärt und die Kann-Bestimmungen fänden keine Anwendung. Auch das Recht der Berufskrankheiten sehe die Anerkennung eines Schilddrüsenadenoms nicht vor. Der Bericht der Radarkommission sehe bezüglich nicht maligner Erkrankungen lediglich für Augenlinsentrübungen (Katarakte) eine Anerkennung wegen der Einwirkung ionisierender Strahlung vor. Die gutachterliche Bewertung des Prof. Dr. G. zum Schilddrüsenadenom beruhe nicht auf den Entscheidungsempfehlungen im Bericht der Radarkommission und sei auch nicht mit sonstigen im sozialen Entschädigungsrecht maßgeblichen antizipierten Gutachten (Anhaltspunkte, Berufskrankheiten-Verordnung) in Einklang zu bringen. Die vom Sachverständigen zitierten Studien an Überlebenden der Atombombenangriffe in Japan hätten für das vorliegende Verfahren überhaupt keine Bewandtnis. Die Studien seien schon lange vor der Radarkommission veröffentlich worden. Dem Gutachten würden jegliche Hinweise auf eine relevante Risikoerhöhung im vorliegenden Einzelfall fehlen. Bezüglich des heißen Knotens der Schilddrüse handle es sich nicht um eine Schilddrüsenvergrößerung durch das gutartige Adenom (kalter Knoten). Außer dem telefonischen Hinweis des Klägers gebe es überhaupt keinen Beweis für das Vorliegen weiterer Schilddrüsenveränderungen. Bereits im Beschwerdeverfahren sei geprüft worden, inwieweit eine auf einer Erhöhung stehende und sich dabei noch vorbeugende Person durch das Strahlenbündel des NASARR getroffen werden könne. Diese Prüfung habe ergeben, dass aufgrund biomechanischer Aspekte bei einer Vorbeugung von Kopf und Oberkörper der Bauchbereich daran gehindert sei, sich nennenswert in die gleiche Richtung zu bewegen. Somit bestehe bei dem Einbauort des Magnetrons und der Austrittseinrichtung seiner Störstrahlung selbst bei einem 1,85 m großen Techniker für den Thoraxbereich keine Expositionsmöglichkeit.

Einer weiteren (nichtärztlichen) Stellungnahme des Dr. S. vom 26.08.2011 ist die Ansicht zu entnehmen, dass selbst dann, wenn eine Bestrahlung des Beckenbereichs stattgefunden hätte, die Exposition der Nieren durch die Abschwächung der Strahlung durch das übrige Körpergewebe weitgehend reduziert gewesen wäre.

Ein heißer Knoten wurde - so auf Nachfrage des SG das Bundeswehrkrankenhaus U. - bei einer Untersuchung im Jahr 2011 nicht dokumentiert.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.10.2011 ist die Klage abgewiesen worden. Ein Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und Nierenzellkarzinom lasse sich nicht herstellen, da nach den Ergebnissen der Strahlenmessstelle der Bundeswehr der Kläger nur hinsichtlich des oberen Teils des Oberkörpers der Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Ein Gesundheitsschaden im Bereich der Nieren könne daher durch Strahlung nicht verursacht werden. Auch die gutartige Schilddrüsenerkrankung sei nicht als Folge einer Wehrdienstbeschädigung festzustellen.

Dagegen haben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 15.11.2011 Berufung eingelegt. Sie haben in ihrer Berufungsbegründung vom 08.03.2012 beanstandet, dass sich das SG im Wesentlichen auf die Ausführungen der Beklagten gestützt habe, ohne sich in ausreichender Weise mit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G. vom 09.06.2011 auseinander zu setzen. Im Übrigen seien die Ausführungen der Beklagten falsch. Auch der Versorgungsarzt Dr. J. sei in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003 davon ausgegangen, dass der Kläger einer Belastung relevanten Ausmaßes durch ionisierende Strahlung ausgesetzt gewesen sei und dadurch der Verlust der linken Niere, der Milz sowie eines Teils des Dickdarms nach der operativen Behandlung eines bösartigen Nierentumors als Wehrdienstbeschädigungsfolge anzuerkennen sei. Es sei auch schlichtweg falsch, wenn die Beklagte behaupte, die Nieren lägen nicht im Bereich des Oberkörpers, sondern im Becken. Die Bevollmächtigten haben dies mit Hinweis auf medizinische Literatur belegt. Damit sei die Behauptung der Beklagten, die Nieren des Klägers seien nicht von der ionisierenden Strahlung betroffen gewesen, nicht haltbar, weil sie anatomisch falsch sei. Prof. Dr. G. habe zudem darauf hingewiesen, dass der Tumor am oberen Pol der linken Niere entstanden sei, die sich im Oberkörper befinde und somit auch von der Röntgenstörstrahlung getroffen worden sei. Dies habe die Beklagte völlig unsubstantiiert bestritten. Bekannt sei, dass die Strahlung des Feuerleitradars des Starfighters F-104 sehr gefährlich gewesen sei. Es sei nicht möglich und auch nicht beweisbar, zentimetergenau die Abstrahlungscharakteristik der Strahlung zu definieren, wie dies der Beklagte behaupte. Die Röntgenstörstrahlung würde vom Entstehungsort ausstrahlen und sei kein streng gebündelter kontrollierter Laserstrahl. Außerdem habe der Beklagte verschwiegen, dass auch seitlich am Magnetron Röntgenstörstrahlung austrete, wie sich aus Seite 5, Tabelle II des Teilberichts NASARR vom 24.02.2002 ergebe. Am 18.07.1979 sei an einer Testbank in L. eine Messung durchgeführt worden, die die Abstrahlcharakteristik der Röntgenstrahlung am Krümmer des Magnetrons dargestellt habe. In diesem Bericht sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass diese Feststellungen nur für das untersuchte Gerät und das eingebaute Magnetron gelten würden, es aber bekannt sei, dass in NASARR verschiedene Magnetrons verwendet worden seien, die sich hinsichtlich der Störstrahlung erheblich unterscheiden würden. Eine Messung an einsatzklaren Luftfahrzeugen habe der Beklagte nie vorgenommen. Auch eine Messung am Starfighter, an dem der Kläger gearbeitet habe, könne der Beklagte nicht vorlegen. Aufgrund des Berichts vom 18.07.1979 sei jedoch eindeutig klar, dass einzelne Messergebnisse nicht verallgemeinert werden könnten, weil die Strahlung bei jedem Gerät anders gewesen sei. Das SG habe auch jede eigene Feststellung zu der Frage, wo sich die Niere befinde und ob diese beim Kläger von ionisierender Strahlung getroffen worden sei, unterlassen. Nach den eigenen Feststellungen der Beklagten wäre die Erkrankung des Klägers als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen; die einzige Ausrede des Beklagten sei, dass sich die Niere nicht im Oberkörper befinde. Diese Behauptung sei durch das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. G. eindeutig widerlegt. Das SG habe nicht erläutert, warum es dem eingeholten Gutachten nicht gefolgt sei. Bezüglich der Schilddrüsenerkrankung habe das SG eine Anerkennung abgelehnt mit Hinweis auf den Bericht der Radarkommission, wonach nur maligne Tumore als Wehrdienstbeschädigung in Frage kämen, die Schilddrüsenerkrankung des Klägers aber gutartig sei. Der Bericht der Radarkommission werde von der Beklagten lediglich so ausgelegt, als ob nur die darin genannten Erkrankungen von ionisierender oder nicht ionisierender Strahlung hervorgerufen werden könnten und alle weiteren Erkrankungen nicht. Dies sei so nicht richtig und auch nicht Gegenstand der Fragestellung an die Sachverständigenkommission gewesen. Die Ausführungen der Beklagten seien insofern unzutreffend und grob irreführend. Im Übrigen haben die Bevollmächtigten auf einen Vergleichsfall hingewiesen, bei dem ein Hodentumor anerkannt worden sei, obwohl der Betroffene ebenfalls am NASARR gearbeitet habe. Auch bei einem weiteren, namentlich genannten Bundeswehrsoldaten, der ebenfalls am NASARR gearbeitet habe, sei die selbe Erkrankung wie beim Kläger, nämlich der Verlust der rechten Niere nach einem Tumor, anerkannt worden. Der Rechtsstreit berühre Fragen, die in der sozialgerichtlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung noch ungeklärt seien (insbesondere die Frage, ob auch gutartige Tumorerkrankungen als Wehrdienstbeschädigung geeignet sein könnten). Die entsprechenden Bescheide aus den Vergleichsfällen haben die Bevollmächtigten beigelegt.

Zu den Arbeitsbedingungen am Luftfahrzeug haben sich die Bevollmächtigten des Klägers auf Nachfrage des Gerichts mit Schreiben vom 03.06.2013 detailliert geäußert und dargelegt, warum der Oberkörper einer Röntgenstörstrahlung ausgesetzt gewesen sei. Zudem haben sie noch auf weitere Strahlungsquellen hingewiesen, denen der Kläger bei der Arbeit ausgesetzt gewesen sei. So seien z. B. Oszilloskope das wichtigste Messgerät bei der Fehlersuche, Reparatur und Systemabgleichung von Radaranlagen gewesen und hätten eine Strahlenbelastung in Oberschenkelhöhe nach sich gezogen. Von der Gefährlichkeit der Strahlenbelastung habe das Radarpersonal keine Kenntnis gehabt.

Die Beklagte hat sich trotz wiederholter gerichtlicher Erinnerung, unter anderem unmittelbar an den Präsidenten des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr, zum klägerischen Schreiben vom 15.11.2011 erst nach über zwei Jahren mit Schreiben vom 13.03.2014 geäußert. Grund für die erhebliche Verzögerung dürfte nach dem Vortrag der Beklagten gewesen sein, dass die für die Bearbeitung derartiger Fälle gebildete „Schwerpunktgruppe Radar“ offenbar nur mit einem einzigen Fachmann besetzt gewesen war, wobei dieser von der Bundeswehrverwaltung zudem zwischenzeitlich mit einer Projektgruppe zu Organisationsfragen beauftragt worden war (Schreiben der Beklagten vom 20.01.2014).

Im Schreiben vom 13.03.2014 hat die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und auf die aus ihrer Sicht zutreffenden Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung hingewiesen. Zudem ist eine Stellungnahme der Strahlenmessstelle der Bundeswehr (Dr. S.) vom 21.02.2014 vorgelegt worden, in der dieser Folgendes ausgeführt hat: Dass Röntgenstrahlung oder Röntgenstörstrahlung nicht streng und definierbar gebündelt würden bzw. so auftreten könnten, sei ein Irrtum des Klägers. Ohne diese Möglichkeit gäbe es keine Computertomographie mit der heute erreichten Bildqualität. Die Radarkommission sei auf Seite 46 ihres Berichts davon ausgegangen, dass sich Kopf und Teile des Oberkörpers direkt im nach oben gerichteten Strahlenbündel befänden. Die Radarkommission gehe also nicht von einer Exposition des gesamten Oberkörpers aus. Eine Emission des Magnetrons auch in seitlicher Richtung sei nicht bewiesen. Ein Argument für eine Exposition der Nieren ergebe sich daher nicht. Die klägerseitige Behauptung, das Magnetron habe auch zur Seite abgestrahlt, sei nicht bewiesen. Aus der fehlenden Angabe der Emissionsrichtung in einem Messprotokoll ergebe sich nicht zwangsläufig die Emissionsrichtung zur Seite. Die Notwendigkeit, die Kontrolle der Bewegung der Antenne in unmittelbarer Nähe dazu ausführen zu müssen, erschließe sich nicht. An der Antenne befinde sich jedenfalls der Hinweis „HANDS OFF“. Es sei auch nicht ersichtlich, wieso diese Prüfung mit eingeschaltetem Magnetron erfolgen habe müssen. Wenn der Kläger angegeben habe, sich bei der Kontrolle der Dichtheit des Hohlleitersystems über den Radarsender gebeugt zu haben und dass sich dabei Arme und Körper über dem Magnetron befunden hätten, erschließe sich nicht, dass das Magnetron in Betrieb sein habe müssen. Aus den auch klägerseitig als bekannt vorgetragenen Warnungen sei eher zu schließen, dass das Magnetron noch gar nicht erst in Betrieb gewesen sei. Den vom Kläger vorgelegten Fotos sei insgesamt kein Beleg dafür zu entnehmen, dass die Nieren in das senkrecht nach oben austretende Röntgenstörstrahlungsbündel geraten könnten. Sofern im Bericht der Radarkommission die Exposition des Oberkörpers angesprochen sei, spiegle dies die Großzügigkeit der Erfassung der Arbeitsplatz- und Expositionsverhältnisse wider. Im Übrigen sei festzustellen, dass die Energie der Röntgenstrahlung des Magnetrons nicht ausreiche, an den Nieren eine Dosis zu erzielen.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben sich dazu mit Schreiben vom 26.06.2014 geäußert. U. a. haben sie darauf hingewiesen, dass sich der angesprochene Warnhinweis „HANDS OFF“ darauf bezogen habe, dass die Antenne nicht als Abstützung benutzt werde. Sie haben weiter darauf aufmerksam gemacht, dass im Verfahren eines namentlich benannten weiteren Soldaten Knochenkrebs (im Oberschenkel) als verursacht durch die Tätigkeit am NASARR betrachtet worden sei Zum Messbericht vom 07.05.1974 haben sie darauf aufmerksam gemacht, dass der verantwortliche Betriebsschutz der betroffenen Bundeswehr eine dringend erforderliche Nachmessung im Bereich des Magnetrons angemahnt habe. Entscheidend sei, wie die Arbeiten real ausgeführt worden seien und nicht, was technisch sinnvoller gewesen sei. Sie haben sich auch zur Lage der Nieren im Bereich des Oberkörpers geäußert.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 07.07.2014 ist der Beklagten die Abgabe eines Anerkenntnisses nahe gelegt worden. Auf Unstimmigkeiten in der Argumentation des Beklagten ist hingewiesen worden.

Mit Schreiben vom 21.07.2014 hat die Beklagte mitgeteilt, dass sie nicht bereit sei, ein Anerkenntnis abzugeben. Mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - der Senat hatte eine solche im Schreiben vom 07.07.2014 überhaupt nicht in den Raum gestellt - bestehe aber Einverständnis. Dazu haben auch die weiteren Beteiligten mit Schreiben vom 29.07.2014 bzw. 01.08.2014 ihr Einverständnis erklärt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 19.10.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 17.04.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.03.2008 festzustellen, dass das Nierenzellkarzinom und die Struma diffusa mit autonomem Adenom Folge einer Wehrdienstbeschädigung sind.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten, des Beigeladenen und des SG Augsburg beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Gründe

Der Senat hat gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, da die Beteiligten - die Beklagte (ungefragt) mit Schreiben vom 21.07.2014, der Kläger mit Schreiben vom 29.07.2014, der Beigeladene mit Schreiben vom 01.08.2014 - dazu ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Berufung ist zulässig und auch begründet.

Der Gerichtsbescheid des SG Augsburg, mit dem die Entscheidung der Beklagten, die Anerkennung von Schädigungsfolgen abzulehnen, bestätigt worden ist, ist ebenso wie der angegriffene Bescheid aufzuheben. Beim Kläger sind der Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmteils nach Nierenkarzinom sowie der Schilddrüsenteilverlust durch operative Entfernung aufgrund einer Schilddrüsenerkrankung im Sinne eines Adenoms und die Schilddrüsenüberfunktion als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen.

Bei seiner Entscheidung stützt sich der Senat auf das vom SG eingeholte Gutachten des Prof. Dr. G. vom 09.06.2011, der, was das Nierenkarzinom angeht, zu der selben Einschätzung gekommen ist wie der Versorgungsarzt der Beklagten Dr. J. in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003. Das Gutachten ist für den Senat überzeugend; er macht es sich zu eigen. Die sachverständige und die versorgungsärztliche Einschätzung zur Nierenerkrankung stehen auch in Einklang mit den Vorgaben des Berichts der Radarkommission. Auch was die Schilddrüsenerkrankung angeht, schließt sich der Senat der überzeugend begründeten Einschätzung des Prof. Dr. G. an.

Der Sachverständige Prof. Dr. G. hat nachvollziehbar erläutert, dass das Nierenzellkarzinom hinreichend wahrscheinlich auf die Strahlenexposition des Klägers als Radarmechaniker/-meister zurückzuführen ist und die Schilddrüsenerkrankung (Adenom) zumindest im Sinn einer Kannversorgung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen ist. Die sich aus der Behandlung dieser Erkrankungen ergebenden weiteren Gesundheitsschäden stellen mittelbare Folgen der Wehrdienstbeschädigung dar.

Wenn sich die Beklagte diesen sachverständigen bzw. versorgungsärztlichen Erkenntnissen verschließt und dies damit begründet, dass die berufliche Belastung des Klägers mit radioaktiver Strahlung nicht dazu geeignet sei, die vorliegenden Erkrankungen zu verursachen, kann dies nicht überzeugen.

1. Voraussetzungen für die Anerkennung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung - Allgemeines

Eine Wehrdienstbeschädigung ist gemäß § 81 Abs. 1 SVG eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.

Entsprechend den vorgenannten Bestimmungen setzt die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (= „Wehrdienstbeschädigung“) (2. Glied) geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen (= „Folge einer Wehrdienstbeschädigung“) (3. Glied) bedingt. Dabei ist eine trennscharfe Differenzierung zwischen dem 2. und dem 3. Glied oftmals praktisch nicht möglich und daher verzichtbar; auch im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung wird dies so praktiziert.

Die zwei bzw. drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Dies bedeutet, dass kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R). Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG). Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66). Haben mehrere Ursachen zu einem Schaden beigetragen, ist eine vom Schutzbereich des SVG umfasste Ursache dann rechtlich wesentlich, wenn nicht die andere(n), nicht dem Schutzbereich des SVG unterfallende(n) Ursache(n) eine überragende Bedeutung hat (haben) (vgl. Urteil des Senats vom 19.07.2011, Az.: L 15 VS 7/10 - m. w. N. zur Rechtsprechung des BSG) und die vom Schutzbereich des SVG umfasste Ursache nicht völlig in den Hintergrund drängt (drängen) (vgl. Urteil des Senats vom 02.07.2013, Az.: L 15 VS 9/10).

Für unfallunabhängige Gesundheitsstörungen, in denen wesensmäßig die Nachweisführung eines Zusammenhangs aufgrund eines konkreten Anlassereignisses erheblich erschwert ist, bestimmt sich der versorgungsrechtlich geschützte Bereich nach dem SVG nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Dieses unterliegt dem Listenprinzip mit der Öffnungsklausel des § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), wobei hierdurch nur ein Vorgriff auf eine Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) möglich ist (ständige Rspr., vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18.06.2013, Az.: B 2 U 3/12 R).

Bei der Beurteilung unfallunabhängiger Gesundheitsstörungen von Soldaten ist aber zu berücksichtigen, dass die Belastungen im Wehrdienst nicht selten solche sind, die in zivilen Berufen nicht auftreten. Daher wäre es zu kurz gegriffen, sich uneingeschränkt an den unfallversicherungsrechtlichen Vorgaben und Erkenntnissen zu Berufskrankheiten oder berufskrankheitenreifen Erkrankungen zu orientieren. Vielmehr ist der Rechtsgedanke des § 9 Abs. 2 SGB VII dahingehend aufzugreifen, dass von einer „Berufskrankheitenreife“ im soldatenversorgungsrechtlichen Sinn auch dann auszugehen ist, wenn die Krankheit zwar nicht in der Liste der BKV aufgenommen ist, der Dienstherr (= Bundeswehr) aber wegen einer erkannten Gefährdung der Soldaten handeln müsste, wenn es eine explizite Regelung wie die BKV auch für soldatenspezifische Erkrankungen gäbe. Davon ist dann auszugehen, wenn eine Situation gegeben ist, in der bekannt geworden ist, dass bestimmte Einwirkungen, denen Soldaten im Dienst in höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, zur Entwicklung bestimmter Krankheiten beitragen können, für die medizinstatistisch nachgewiesen ist, dass die Zahl der Erkrankungen von Soldaten signifikant höher als in der Allgemeinbevölkerung ist (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Wenn das BSG dies im Urteil vom 11.10.1994, Az.: 9 BV 55/94, dahingehend formuliert hat, dass dafür „besondere außerordentliche Belastungen, die typischerweise nur unter den Bedingungen des Krieges auftreten“, erforderlich wären, ist diese Formulierung missverständlich. Denn eine gesetzliche Grundlage für diese Orientierung am Krieg geben die Regelungen des SVG nicht her; vielmehr wird dort (§ 81 Abs.1 SVG) ausdrücklich auf „die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse“ abgestellt, womit eine Abgrenzung von auch im zivilen Leben vorkommenden Belastungen hergestellt wird. Wehrdiensteigentümliche Verhältnisse sind daher solche, die der Eigenart des militärischen Dienstes entsprechen und im Allgemeinen mit dem Dienst eng verbunden sind. Damit werden all die nicht weiter bestimmbaren Einflüsse des Wehrdienstes erfasst, die aus der besonderen Rechtsnatur des Wehrdienstverhältnisses und der daraus resultierenden Beschränkung der persönlichen Freiheit des Soldaten resultieren (vgl. Lilienfeld, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl. 2012, § 81 SVG, Rdnr. 29). Eine kriegsähnliche Belastung zu verlangen, würde zu weit gehen; ausreichend aber auch erforderlich ist eine Belastung, wie sie im zivilen Leben so nicht oder nicht in vergleichbarem Maß vorkommt. Bei der Abgrenzung zwischen wehrdiensteigentümlichen und zivilen Verhältnissen ist von den normalen Umständen und Verhaltensweisen sowie den durchschnittlichen Gefährdungen im Zivilleben auszugehen (vgl. Sailer, in: Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl. 1992, § 81 SVG, Rdnr. 27; Urteil des Senats vom 02.07.2013, Az.: L 15 VS 9/10).

Zu berücksichtigen als weitere Abweichung vom Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist zudem, dass im Versorgungsrecht der rechtlich wesentliche Kausalzusammenhang zwischen einer Gesundheitsstörung und einem dienstlichen Unfall oder wehrdiensteigentümlichen Belastungen nicht nur mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit hergestellt werden kann, sondern auch die Möglichkeit einer Kannversorgung gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG besteht. Es handelt sich dabei um Fälle, bei denen die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs nur deshalb nicht hergestellt werden kann, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Von Ungewissheit ist auszugehen, wenn es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, Az.: B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, Az.: 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, Az.: 9/9a RV 41/92).

Zusammengefasst bedeutet dies, dass ein unfallunabhängiger Gesundheitsschaden unter folgenden Gesichtspunkten als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden kann:

- Alternative 1: Die Gesundheitsstörung ist in der BKV als Berufskrankheit anerkannt.

- Alternative 2: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht eine sogenannte Berufskrankheitenreife im Sinn des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung.

- Alternative 3: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht eine Berufskrankheitenreife im oben aufgezeigten soldatenversorgungsrechtlichen Sinn.

- Alternative 4: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht über die Ursache des Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit, es gibt aber wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung, die die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs positiv vertritt.

2. Zu den hier im Raum stehenden Erkrankungen:

2.1. Nierenzellkarzinom mit Folgeerkrankungen

Das durchgemachte Nierenzellkarzinom mit den sich daraus ergebenden Folgeschäden (Verlust der linken Niere, Verlust der Milz und eines Teils des Dickdarms) ist als Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn der o. g. Alternative 1 anzuerkennen.

2.1.1. Potentiell schädigender Vorgang

Der Kläger war im Rahmen seines Wehrdienstes ionisierender Strahlung (Röntgenstörstrahlung) in einem Umfang ausgesetzt, der potentiell kanzerogene Wirkung hat.

Der Kläger arbeitete von 1971 bis 1987 zunächst als Radarmechaniker, dann als Radarmechanikermeister am Flugzeug F-104 G, das mit dem Vorwärtssichtradar NASARR ausgestattet war.

Bei dieser Tätigkeit war der Kläger in so erheblichem Umfang ionisierender Strahlung ausgesetzt, dass eine für die Verursachung einer Krebserkrankung als ausreichend anzusehende Strahlenbelastung im Sinn der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV vorgelegen hat. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus den Ausführungen des Berichts der vom Bundesministerium der Verteidigung auf Ersuchen des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags einberufenen Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der NVA (Radarkommission) vom 02.07.2003. Die strahlenbelastende Tätigkeit des Klägers fällt im Umfang von fast vier Jahren in den von der Radarkommission als Phase I (bis Ende 1975) bezeichneten Zeitraum, in dem „eine belastbare Dosisrekonstruktion aufgrund von Messdaten praktisch unmöglich ist“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23) und in der auch weitgehend keine Strahlenschutzmaßnahmen getroffen worden sind. Daran hat sich (ab 1976) eine Zeit angeschlossen, „in der die Zahl der Messungen deutlich anstieg und in der erste Strahlenschutzmaßnahmen durchgeführt wurden“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23), so dass ab dieser Zeit eine prinzipielle Dosisabschätzung möglich ist, sofern eine ausreichende Zahl von Messungen vorliegt, was aber vorliegend, d. h. betreffend das NASARR, nicht der Fall zu sein scheint, wenn die Angaben der Beklagten zugrunde gelegt werden, wonach nur eine einzige Messung durchgeführt worden sein soll. Dabei hat die Radarkommission aber auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in dieser zweiten Phase nach wie vor alte Systeme, d. h. ohne Strahlenschutz, weiter eingesetzt worden sind und dieser Zustand teilweise weit bis in die 80er Jahre hinein angehalten hat, was insbesondere auch für das NASARR gilt, an dem der Kläger eingesetzt war (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23). So gibt es offenbar nur ein einziges Messprotokoll zum NASARR aus dem Jahr 1974 (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 22). Die Radarkommission hat zudem darauf hingewiesen, dass gerade dann, wenn nur wenige Messwerte vorliegen, „eine Unterschätzung nicht auszuschließen ist“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 24).

Ausgehend von diesen Ausführungen im Bericht der Radarkommission, der als antizipiertes Sachverständigengutachten betrachtet werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 02.10.2008, Az.: B 9 VS 3/08 B - m. w. N.) ist eine potentiell schädigende Strahlenbelastung im Vollbeweis nachgewiesen.

Dies hat letztlich auch die Beklagte zugestanden, wenn sie ab der Überprüfung nach Vorlage des Berichts der Radarkommission im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ihre Ablehnung nicht mehr auf eine angeblich nicht ausreichende Strahlenbelastung gestützt hat, wie sie dies noch im Verwaltungsverfahren getan hat. Der Senat sieht daher auch keinen Anlass, sich mit der völlig unplausiblen Berechnung der Beklagten im Verwaltungsverfahren auseinanderzusetzen, in dem diese eine effektive Gesamtdosis von 5,9 mSv „berechnet“ hat und zu der Einschätzung gekommen ist, dass die Strahlenbelastung des Klägers nicht den für die allgemeine Bevölkerung geltenden Grenzwert übersteige. Denn für diese pseudogenaue Berechnung fehlen, wie dies der Bericht der Radarkommission überdeutlich klar gemacht hat, jegliche zuverlässigen Messwerte. Die von der Beklagten zulasten des Klägers eingebrachte Messung steht in eklatantem Widerspruch zu den Ausführungen der Radarkommission.

Keiner weiteren Erörterung bedarf die Frage weiterer potentieller Strahlenbelastungen des Klägers durch radioaktive Leuchtfarben oder die Verwendung von Oszilloskopen, die ebenfalls Röntgenstörstrahlung aussenden. Denn diese weiteren Belastungsfaktoren sind angesichts der durch die Arbeit am

NASARR nachgewiesenen Belastung durch Röntgenstörstrahlung nicht mehr entscheidungserheblich. Der Senat braucht sich daher auch nicht damit zu befassen, ob die Beklagte ordnungsgemäß ihrer Mitwirkungspflicht durch die Vorlage nur ihr bekannter Daten und Messwerte nachgekommen ist, was vom Kläger nicht unfundiert in Zweifel gezogen worden ist und auch angesichts des Prozessverhaltens der Beklagten (z. B. Vorlage der teilweise geschwärzten Stellungnahme vom 09.06.2009, Verschweigen von Messdaten, die sich aus dem in den Beklagtenakten enthaltenen Messprotokoll ergeben - Strahlung des Magnetrons auch zur Seite) fraglich erscheint, oder ob die Beklagte gezielt und ausgewählt nur solche Fakten dem Gericht angegeben hat, die sie dem Begehren des Klägers entgegen halten kann.

2.1.2.

Kausalität zwischen Belastung durch ionisierende Strahlung und Nierenzellkarzinom

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. G., der auch Mitglied der Radarkommission war, hat die vorliegenden Unterlagen sorgfältig ausgewertet und ist in seinem Gutachten vom 09.06.2011 mit nachvollziehbarer und überzeugender Begründung zu der Einschätzung gekommen, dass das Nierenzellkarzinom hinreichend wahrscheinlich auf die wehrdienstbedingte Strahlenbelastung des Klägers zurückzuführen ist. Dabei hat er sich u. a. auch mit möglichen Alternativursachen befasst und diese ausgeschlossen. Die aus der Behandlung des Karzinoms resultierenden weiteren Gesundheitsschäden (Entfernung eines Teils des Dickdarms und der Milz) stehen als mittelbare Folgeschäden ebenfalls in einen hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang mit der wehrdienstbedingten Strahlenbelastung.

Diese Beurteilung des Sachverständigen macht sich der Senat zu eigen. Sie steht in Übereinstimmung mit den Festlegungen im Bericht der Radarkommission und den Vorgaben im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 (vgl. Bek. des BMA vom 13.05.1991, BArbBl. 7-8/1991, S. 72 ff.) bzw. der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV (vgl. Bek. des BMAS vom 24.10.2011, Az.: IVa 4-45222-2402, GMBl. 2011, Nr. 49 - 51, S. 983 - 993).

Angesichts der klaren sachverständigen Ausführungen verzichtet der Senat auf weitere Ausführungen zum Gutachten und verweist auf die dortigen Erläuterungen. Die sachverständige Einschätzung wird im Übrigen auch vom versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten (Stellungnahme des Dr. J. vom 18.09.2003) geteilt und hat auch Eingang in den ersten Entwurf eines Beschwerdebescheids vom November 2003 gefunden, dem aus hier nicht nachvollziehbaren Gründen von der Wehrbereichsverwaltung Süd die Zustimmung versagt worden ist.

Sofern die Beklagte Einwendungen gegen dieses Gutachten erhebt, kann sich der Senat dem nicht anschließen:

- Wenn die Beklagte bereits vor Erteilung des Gutachtensauftrags

o dem Gericht mit Schreiben vom 26.11.2008 mitgeteilt hat, dass sie mit der Einholung eines Gutachtens bei Prof. Dr. G. „nicht einverstanden“ sei, da er „sehr spezielle Ansichten“ vertrete,

o zudem mit Schreiben vom 23.02.2009 das Gericht darüber informiert hat, dass die Bundeswehr „diesem Gutachten nicht folgen“ werde, und

o schließlich mit Schreiben der „Schwerpunktgruppe Radar“ vom 16.06.2010 diesem Sachverständigen pauschal jegliche fachliche Eignung abgesprochen hat,

sind diese Einwände nicht ansatzweise nachvollziehbar und nicht auf Fakten gestützt, sondern beruhen ausschließlich auf sachfremden Unterstellungen, Mutmaßungen und subjektiven Meinungsäußerungen von Vertretern der Beklagten, wie sie in einem gerichtlichen Verfahren keinen Raum haben können. Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass der Sachverständige Mitglied der Radarkommission war. Ihm angesichts dieser Berufung fehlende Sachkenntnis zu unterstellen, überrascht und würde auch die Kompetenz der Beklagten in Gestalt des Bundesministeriums der Verteidigung, das die Radarkommission eingesetzt hat, massiv in Frage stellen. Der Senat kann sich die unsachliche Vorabkritik der Beklagten am Sachverständigen daher nur so erklären, dass, soweit dem Senat bekannt ist, dieser im Zusammenhang mit der Erstellung des Berichts der Radarkommission bemängelt hat, dass die Bundeswehr nur unzureichend Materialien zur Verfügung gestellt habe. Allein aus dieser Kritik, die der Senat im Übrigen aufgrund der in diesem Verfahren gemachten Erfahrungen - so musste er auf eine am 15.03.2012 erbetene Stellungnahme zwei Jahre warten, wobei die Stellungnahme erst nach Einschaltung des Präsidenten des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr abgegeben worden ist und nicht einmal ganze sechs Seiten umfasst hat - nicht für fernliegend hält und die im Übrigen auch dem Bericht der Radarkommission selbst zu entnehmen ist (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 25: „Die von der Kommission erbetenen Informationen ... konnten von der Bundeswehr nicht geliefert werden.“), eine fehlende Sachkunde des Sachverständigen abzuleiten, ist mehr als fernliegend. Im Übrigen hat sich der von der Beklagten vorweg erhobene Vorwurf auch nicht nach Vorlage des Gutachtens bestätigt. Dafür, aus dem in diesem Verfahren erstellten Gutachten auf eine fehlende Sachkunde oder gar eine Parteilichkeit des Sachverständigen zu schließen, gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt. Die Vorwürfe und Vorhaltungen der Beklagten entbehren insofern jeglicher sachlicher Grundlage und können nur auf rein subjektiven Gründen beruhen. Ob und wenn ja welche weiteren Gründe für die objektiv nicht haltbare Ablehnung des Sachverständigen durch die Beklagte bestehen, hat die Beklagte nicht offengelegt, so dass nur unsachliche und damit nicht äußerungsfähige Gründe vermutet werden können. Bezeichnend ist jedenfalls, dass sich die Beklagte gehütet hat, den Sachverständigen formal wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, was sich aufgrund ihres Vortrags aufgedrängt hätte. Letztlich können die nicht offengelegten wahren Gründe der Beklagten mangels Entscheidungsrelevanz dahingestellt bleiben.

- Der Vortrag der Beklagten dahingehend, dass die Entstehung eines Nierentumors durch den Bericht der Radarkommission ausgeschlossen sei, findet in diesem Bericht keine Stütze; im Übrigen ist die Behauptung eines (generellen) Ausschlusses eines Ursachenzusammenhangs auch nachweislich falsch. An keiner Stelle in diesem Bericht ist ausgeführt, dass ein Nierenzellkarzinom nicht durch ionisierende Strahlung verursacht sein könnte. Vielmehr ist sowohl im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 1991 als auch in der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 die Niere ausdrücklich unter den strahlenempfindlichen Organen in Hinsicht auf die Verursachung maligner Erkrankungen aufgelistet.

- Sofern die Beklagte argumentiert, das Nierenzellkarzinom könne schon deshalb nicht durch die wehrdienstliche Tätigkeit des Klägers verursacht sein, weil sich die Nieren nicht in dem nach dem Bericht der Radarkommission strahlungsexponierten Körperbereich befunden hätten, ist dies falsch. Es liegt der Eindruck sehr nahe, dass die Beklagte die einschlägigen Vorgaben des Berichts der Radarkommission falsch darstellt, um berechtigte Ansprüche des Klägers abzuwehren.

Nach dem Bericht der Radarkommission ist bei der Tätigkeit am NASARR davon auszugehen, dass sich „Kopf und Teile des Oberkörpers direkt im nach oben gerichteten Strahlenbündel befanden“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 46). Diese Formulierungen können aber nicht - wie dies die Beklagte möchte - dahingehend interpretiert werden, dass bei der Arbeit am NASARR nur eine Exposition in den obersten Teilen des Oberkörpers vorgelegen haben kann. Ein derartiger Ausschluss lässt sich weder dem Bericht der Radarkommission entnehmen noch findet er eine Stütze im (detaillierteren) Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR. Im Übrigen verkennt die Beklagte auch, dass der Radarbericht die Formulierung „Teile des Oberkörpers“ nur in Zusammenhang mit einer ganz bestimmten Tätigkeit am NASARR verwendet, nämlich bei den „langwierigen Einstellarbeiten des Sender-Magnetrons“ (vgl. S. 46 des Berichts).

- Wenn die Beklagte durch den Leiter der Strahlenmessstelle Dr. S. in der Stellungnahme vom 21.02.2014 vorträgt, die Strahlung am NASARR sei einzig und allein nach oben gerichtet gewesen und es habe sich um ein eng umgrenztes Strahlenbündel gehandelt, was durch Röntgenfilme dokumentiert sei, ist auch diese Behauptung nachweislich falsch und verschweigt Erkenntnisse, wie sie die Beklagte selbst gewonnen, dokumentiert und vorgelegt hat.

Aus den Messwerten, wie sie im Teilbericht NASARR (dort Tabelle 2 auf S. 5) dokumentiert sind, ergibt sich zweifelsfrei eine nicht unerhebliche, vom Magnetron des NASARR zur Seite gerichtete Strahlung. Es mag zwar durchaus richtig sein, dass das Magnetron (gezielt) nach oben strahlt und dieses Strahlenbündel vergleichsweise punktgenau ist. Daneben kann aber nicht, wie dies durch die Beklagte erfolgt, verdrängt werden, dass auch zur Seite eine Strahlenbelastung erfolgt.

Auch der Bericht der Radarkommission widerlegt die Behauptung der Beklagten einer ausschließlich nach oben erfolgenden eng umgrenzten Strahlung. So wird dort (vgl. S. 59 des Berichts) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Arbeit auf der Testbank durch Reflexionen an metallischen Flächen (z. B. Fenster- und Türrahmen) erhebliche Strahlenbelastungen und Grenzwertüberschreitungen um 100% auftreten können, ohne dass dafür Fehler an den Radargeräten vorliegen hätten müssen. Gerade in Reparaturhallen ist nach dem Bericht der Radarkommission (vgl. S. 61 des Berichts) wegen der erhöhten Reflexion von einem hohen Risiko einer Überexposition auszugehen. Neben der seitlich aus dem Magnetron austretenden Strahlung gab es daher auch infolge Reflexionen erhebliche Strahlenbelastungen außerhalb des eng nach oben gerichteten Strahlenbündels des Magnetrons.

Wenn dazu der Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. mit Schreiben vom 21.02.2014 behauptet, dass die Annahme des Klägers, das Magnetron habe auch zur Seite gestrahlt, nicht bewiesen sei, kann dies in Anbetracht der vorgenannten Ausführungen sowohl im Bericht der Radarkommission als auch im Teilbericht NASARR nur als wahrheitswidriger Vortrag bezeichnet werden. Ob und inwieweit angesichts eines derartigen Verhaltens auch weitere Angaben der Beklagten nicht nur in diesem gerichtlichen Verfahren genauerer Nachprüfung bedürfen, sei an dieser Stelle mangels Entscheidungserheblichkeit dahingestellt.

Ebenso sieht es der Senat als irreführend und nachweislich falsch an, wenn durch den Leiter der Strahlenmessstelle vorgetragen wird, es sei ein Irrtum des Klägers, wenn dieser meine, dass die Röntgenstrahlung oder Röntgenstörstrahlung des NASARR nicht streng und definierbar gebündelt würde, und dies mit dem Hinweis darauf begründet wird, dass es ohne diese strenge Bündelung keine Computertomographie mit der heute erreichten Bildqualität gebe. Vom heutigen (!) Stand der Computertomographie auf die Belastung eines militärisch vor über 40 Jahren genutzten Geräts zu schließen, ist fernab jeglicher Nachvollziehbarkeit. Dies gilt umso mehr, als der erste kommerzielle Computertomograph zur klinischen Anwendung erst im Jahr 1972, also zu einer Zeit, als der Kläger schon als Radarmechaniker arbeitete, in Betrieb genommen worden ist (vgl. Jach, Einsatz der Dosismodulation in der Mehrschicht-Computertomographie der Kopf-/Halsregion, Diss. 2008, S. 13) und die damaligen Geräte im Vergleich zu heutigen Geräten eine nur sehr eingeschränkte Funktionalität hatten. Im Übrigen suggeriert der Vortrag des Dr. S., dass neben dieser gezielten Strahlung keine andere Strahlung vorhanden gewesen wäre. Dies ist aber - wie bereits erläutert - nachweislich nicht richtig.

- Fast grotesk mutet das Argument des Leiters der Strahlenmessstelle Dr. S. an, wenn er mit dem an der Antenne angebrachten Hinweis „HANDS OFF“ suggerieren will, dass damit die Gefährlichkeit des Geräts durch ionisierende Strahlung zum Ausdruck gebracht würde und daher die Arbeiten mit entsprechend großem Abstand zum Gerät durchgeführt worden wären. Der Hinweis „HANDS OFF“ kann sich nämlich nicht auf eine Strahlenexposition beziehen, sondern nur darauf, dass die Antenne aus mechanischen Gründen nicht zu berühren sei. Dies ergibt sich zwingend aus dem Inhalt des Warnhinweises, der ein Berühren verhindern will. Das Berühren der Antenne an sich ist aber völlig ungefährlich, solange der Kontakt nicht in dem Austrittsort der nach dem Vortrag des Dr. S. enggebündelten Strahlung erfolgt. Wenn schon ein Hinweis auf radioaktive Strahlung erfolgen hätte sollen, hätte dieser ganz anders lauten müssen; „HANDS OFF“ wäre in diesem Fall ein völlig untauglicher Hinweis gewesen. Im Übrigen - auch das ist dem Bericht der Radarkommission zu entnehmen - ist offenbar erst in der von der Radarkommission als zweite Phase ab 1976 bezeichneten Zeit dem bis dahin völlig vernachlässigten Strahlenschutz auch durch entsprechende Arbeitsanweisungen Rechnung getragen worden (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 9, 23, 130). Dies beweist, dass mit „HANDS OFF“ zumindest in der ersten Phase, in der der Kläger auch tätig war, keinesfalls vor Röntgenstörstrahlung gewarnt wurde. Im Übrigen hat die Bundeswehr zwar auch schon bis Mitte der 70er Jahre Strahlenwarnzeichen - die nicht mit dem Hinweis „HANDS OFF“ verwechselt werden dürfen - verwendet, wobei sich diese Warnzeichen nicht auf Röntgenstrahlung bezogen haben (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 9). Die Behauptungen des Dr. S. stehen zu diesen Ausführungen im Bericht der Radarkommission in einem konträren und sachlich nicht ansatzweise erklärbaren Widerspruch.

- Wenn der Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. die Strahlenexposition des Klägers dadurch als kleiner erscheinen lassen will, dass er es als nicht ersichtlich bezeichnet, warum bestimmte Arbeitsschritte mit eingeschaltetem Magnetron erfolgen hätten müssen, mag diese Fragestellung aus heutiger Sicht berechtigt sein. Zu der Zeit, in der der Kläger als Radarmechaniker tätig war (ab 1971), spielte der Strahlenschutz in der täglichen Praxis der Bundeswehr aber keine (wesentliche) Rolle (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 130). Auch die Radarkommission hat in diesem Zusammenhang bei der Ermittlung der Exposition bei Arbeiten am NASARR deshalb empfohlen, „vorrangig Angaben der Antragsteller zu ihren individuellen Tätigkeiten ... zugrunde zu legen“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 47). Der Senat folgt daher auch den Angaben des Klägers im Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 03.06.2013, in dem er sich dezidiert zu den Arbeitsbedingungen geäußert hat; irgendeinen Grund, den Angaben des Klägers nicht zu folgen, kann der Senat nicht erkennen, da die Angaben des Klägers in sich schlüssig und angesichts der zur Zeit der belastenden Tätigkeit vorliegenden Erkenntnisse zur Gefährlichkeit und dem damals auch von Seiten des Arbeitgebers Bundeswehr fehlenden Problembewusstseins zum Thema Röntgenstörstrahlung plausibel sind und nicht ansatzweise ein Hinweis darauf erkennbar ist, dass sich der Kläger durch falsche Angaben einen versorgungsrechtlichen Vorteil verschaffen möchte. Wenn die Beklagte suggerieren will, dass der Kläger die Arbeiten nicht bei eingeschaltetem Radarsender durchgeführt habe, steht dies im Übrigen auch im Widerspruch zu den Ausführungen im Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR (dort vgl. S. 9). Danach ist es für den Senat nachgewiesen, dass, um eine beste Einsatzfähigkeit des NASARR zu erhalten, die meiste Zeit mit hoher Sendeleistung gearbeitet worden ist, zumal von der Gefährlichkeit des Magnetrons damals nichts bekannt gewesen war.

- Das medizinische Argument, das die Beklagte durch einen Nichtmediziner vorgetragen hat, nämlich dass ein Nierentumor nicht strahlungsbedingt entstanden sein könne, weil die Niere nicht Teil des Oberkörpers sei, ist durch die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen und durch medizinische Standardwerke widerlegt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Nierentumor an der höher gelegenen linken Niere und dort am oberen Pol entstanden ist, also an der absolut betrachtet obersten, also kopfnächsten Stelle der Nieren.

Dass die Beklagte von der anatomisch unrichtigen Annahme ausgeht, dass die Nieren im Beckenbereich gelegen seien, entnimmt der Senat auch der Stellungnahme des Dr. S. vom 04.09.2006. Dieser hat im Rahmen der Frage, ob der Nierentumor des Klägers strahlenbedingt sein könne, darauf hingewiesen, dass auch bei einem körperlich größeren Techniker der Bereich des Beckens nicht gegenüber Röntgenstörstrahlung exponiert werden könne.

- Aber selbst dann, wenn dem Beklagten bezüglich seiner falschen Argumentation zur Niere gefolgt würde und damit davon auszugehen wäre, dass die Niere in einem grenzwertig strahlenexponierten Körperbereich liegen würde, würde dies nach den expliziten Feststellungen im Bericht der Radarkommission (vgl. dort S. 47) einer Anerkennung nicht entgegen stehen, da die Kommission der Auffassung ist, „dass für alle Tätigkeiten, für die eine Exposition aller Körperpartien geometrisch betrachtet nicht sicher auszuschließen ist, die Annahme, dass das erkrankte Organ einer Strahlenexposition ausgesetzt war, die durch die maximale Ortsdosisleistung bestimmt wird, die einzig mögliche Grundlage einer Dosisabschätzung darstellt.“ Da eine Nierenexposition - auch nach der Argumentation der Beklagten - nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist die maximale Ortsdosisleistung als Strahlungsbelastung zugrunde zu legen. Wenn dies die Beklagte dadurch in Abrede stellen will, dass sie den Bericht der Radarkommission insofern nicht zur Kenntnis nehmen will, wirkt dies zumindest befremdlich und legt - zum wiederholten Mal - den Eindruck nahe, dass der Tatsachenvortrag der Beklagten sehr selektiv und daran orientiert erfolgt, was ihr bei der Abwehr von Ansprüchen nützlich sein könnte.

- Wenn die Beklagte zum Ende des Berufungsverfahrens die Anerkennung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung dadurch abzuwehren versucht, dass sie durch den Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. mit Schreiben vom 21.02.2014, dessen Anfertigung rund zwei Jahre gedauert hat, vortragen lässt, dass die Energie der Röntgenstrahlung nicht ausreiche, an den Nieren eine Dosis zu erzielen, ist auf Folgendes hinzuweisen: Zunächst verwundert es, dass ein Nichtmediziner der Bundeswehr meint, über so große Fachkunde auf medizinischem Gebiet zu verfügen, dass er diese medizinische Frage zu beantworten vermag. Der ärztliche Sachverständige Prof. Dr. G., dessen medizinische Sachkunde für den Senat außer Zweifel steht, hat dies ganz anders eingeschätzt; diese ärztlichsachverständige Einschätzung macht sich der Senat zu eigen. Auch der Versorgungsarzt der Beklagten Dr. J. hat in einer vermeintlich nicht ausreichenden Eindringtiefe in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003 kein Problem gesehen. Insofern ist die (gewissermaßen fachfremde) Äußerung des Dr. S. ein erneuter Beleg für eine mit großen Vorbehalten zu sehende Vorgehensweise der Beklagten. Dass die Behauptung des Dr. S. auf der Basis medizinischer Erkenntnisse nicht nachvollziehbar ist, ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass die Nieren sowohl im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 1991 als auch in der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 ausdrücklich unter den strahlenempfindlichen Organen in Hinsicht auf die Verursachung maligner Erkrankungen aufgelistet wird.

- Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies noch Entscheidungsrelevanz hätte, weist der Senat darauf hin, dass es in vergleichbaren Fällen von Radarmechanikern am Flugzeug F-104 - von der Beklagten unwidersprochen - zu Anerkennung eines Nierentumors, eines Hodentumors und auch von Knochenkrebs am Oberschenkel gekommen ist. Würde der jetzigen Argumentation der Beklagten gefolgt, hätte es zu solchen Anerkennungen nie kommen können.

2.2. Schilddrüsenadenom mit daraus resultierender Teilentfernung der Schilddrüse und Schilddrüsenüberfunktion

Das Schilddrüsenadenom mit daraus resultierender Teilentfernung der Schilddrüse und die Schilddrüsenüberfunktion sind als Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn der o. g. Alternative 4 (vgl. oben Ziff. 1 a.E.) anzuerkennen.

2.2.1. Potentiell schädigender Vorgang

Die ionisierende Strahlung (Röntgenstörstrahlung), der der Kläger im Rahmen seines Wehrdienstes als Radarmechaniker/-meister ausgesetzt war (vgl. dazu oben Ziff. 2.1.1.), hat auch potentiell schädigende Wirkung auf die Schilddrüse in dem Sinn, dass dadurch die Bildung gutartiger Schilddrüsentumore (Adenome) verursacht werden kann, wie die im Gutachten des Prof. Dr. G. vom 09.06.2011 angeführten Studien zeigen.

2.2.2. Kausalität zwischen Belastung durch ionisierende Strahlung und Adenom der Schilddrüse

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. G. hat die vorliegenden Unterlagen sorgfältig ausgewertet und ist in seinem Gutachten vom 09.06.2011 mit nachvollziehbarer und überzeugender Begründung zu der Einschätzung gekommen, dass das Adenom sowie die Schilddrüsenüberfunktion zwar nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, aber doch im Sinn der Kannversorgung gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG auf die wehrdienstbedingte Strahlenbelastung des Klägers zurückzuführen sind. Der aus der Behandlung des Adenoms resultierende weitere Gesundheitsschaden (Teilentfernung der Schilddrüse) steht als mittelbarer Folgeschaden in einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang mit der Adenomoperation und damit mit der wehrdienstbedingten Strahlenbelastung.

Diese Beurteilung des Sachverständigen macht sich der Senat zu eigen. Sie steht in Einklang mit den rechtlichmedizinischen Voraussetzungen der Kannversorgung.

Es ist unstrittig, dass bezüglich der Entstehung gutartiger Tumore der Drüsen, hier des Schilddrüsenadenoms, in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit in dem Sinn besteht, dass es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern allenfalls verschiedene ärztliche Lehrmeinungen zur Entstehungsursache gibt. Dies ist auch dem Gutachten des Prof. Dr. G. zu entnehmen, wenn dieser potentielle Ursachen sowie zwei Studien benennt, die ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko des Auftretens von gutartigen Schilddrüsentumoren aufzeigen. Eine einheitliche Lehrmeinung hat sich bis heute nicht entwickelt. Aufgrund dieser Studien und den dort entwickelten Kriterien ist nach den Ausführungen des Sachverständigen davon auszugehen, dass das Adenom des Klägers infolge der Strahlenbelastung entstanden ist. Dies bedeutet, dass nach zumindest einer, den Studien zugrunde liegenden Lehrmeinung, die noch nicht als einheitliche Lehrmeinung anerkannt ist, das Adenom des Klägers und die Schilddrüsenüberfunktion hinreichend wahrscheinlich auf die wehrdienstliche Strahlenbelastung zurückzuführen sind. Die Voraussetzungen der Kannversorgung sind damit gegeben.

Bedenken, der Einschätzung des Sachverständigen zu folgen, hat der Senat nicht:

- Der Bewertung des Sachverständigen steht nicht entgegen, dass der Bericht der Radarkommission eine Anerkennung von gutartigen Tumoren nicht explizit vorsieht. Wenn die Beklagte suggeriert, dass durch die Nichterwähnung gutartiger Tumore im Bericht der Radarkommission belegt sei, dass eine Anerkennung derartiger Erkrankungen überhaupt nicht, auch nicht im Weg der Kannversorgung, in Betracht gezogen werden dürfe, ist diese Argumentation falsch und verschleiert den Grund, warum im Bericht der Radarkommission gutartige Tumore nicht thematisiert worden sind. Es ist allgemein bekannt, dass sich die Radarkommission angesichts des großen Zeitdrucks allein auf bösartige Tumore und Katarakte beschränkt hat, ohne damit irgendeine Aussage zur Kausalität anderer Erkrankungen zu treffen.

- Die Tatsache, dass in den früher geltenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in der letzten Fassung vom Jahr 2008 zu gutartigen Geschwülsten (vgl. AHP 2008 Nr. 142.5) darauf hingewiesen wird, dass diese „im allgemeinen nicht durch äußere Einwirkungen verursacht“ werden, steht der Anerkennung des Adenoms im Rahmen der Kannversorgung nicht entgegen. Ganz abgesehen davon, dass die AHP mangels Gesetzeskraft einen derartigen Ausschluss überhaupt nicht konstituieren hätten können, sind sie durch die jetzt geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen abgelöst worden, die überhaupt keine Auflistung von im Weg der Kannversorgung anerkennungsfähiger oder auszuschließender Erkrankungen enthalten. Zudem belegt gerade die Formulierung „im allgemeinen“ in den AHP, dass ein allumfassender Ausschluss einer Anerkennungsfähigkeit gerade nicht gegeben ist. Wenn die Beklagte in diesem Zusammenhang weiter mit Stellungnahme vom 01.09.2011 argumentiert, dass „Ausnahmen bzgl. der Schilddrüsenadenome ... in den AHP nicht genannt“ würden, daher deren Ätiologie nicht ungeklärt sei und daher die Kannversorgung keine Anwendung finde, gibt es für diese Begründung in den AHP nicht ansatzweise eine Stütze; vielmehr verfälscht diese Argumentation die Vorgaben der AHP eklatant. Die Beklagte verschweigt völlig, dass in den AHP für gutartige Geschwülste überhaupt keine Ausnahmen explizit aufgezeigt sind. Aus der fehlenden positiven Erwähnung eines Schilddrüsenadenoms kann daher nicht der Rückschluss gezogen werden, dass mit der Nichterwähnung ein Ausschluss verbunden wäre, wenn die AHP auf der anderen Seite auf die Möglichkeit hinweisen, dass eine Kannversorgung nur im Allgemeinen nicht in Betracht kommt, was aber gerade die Möglichkeit einer Anerkennung im - zugegebenermaßen eher seltenen - Einzelfall beinhaltet. Zudem darf auch nicht übersehen werden, dass die Formulierung in AHP 2008 Nr. 142.5 sämtliche „äußeren Einwirkungen“ umfasst, also neben der durch ionisierende Strahlung auch die zahlreichen anderen Möglichkeiten wie z. B. mechanischer Art. Dass es insofern „im allgemeinen“, d. h. zumindest in der deutlich überwiegenden Zahl der Fälle, nicht zu einer Anerkennung kommen dürfte, ist naheliegend, kann aber nicht dahingehend interpretiert werden, dass es bei Strahlenbelastung zu keiner Anerkennung als Schädigungsfolge im Rahmen der Kannversorgung kommen könne. Außerdem wird in der wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „auch benigne Tumore“ als strahlenbedingte Spätschäden in Betracht kommen. Dieser aktuellen, zumindest schon drei Jahre lang bundesministeriell „abgesegneten“ Erkenntnis verschließt sich die Beklagte.

- Der Sachverständige hat seine Annahme eines Zusammenhangs im Sinn der Kannversorgung durch die Angabe von Studien belegt, die ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für die Entstehung gutartiger Schilddrüsentumore durch ionisierende Strahlung belegen, und darauf hingewiesen, dass der Halsbereich des Klägers ohne jeden Zweifel - dies bestreitet selbst die Beklagte nicht - einer entsprechenden Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen ist. Diese wissenschaftlich fundierte und überzeugende Argumentation des Sachverständigen, die sich der Senat zu Eigen macht, erschüttern die dagegen mit Schreiben der Beklagten vom 01.09.2011 vorgebrachten Behauptungen nicht ansatzweise. Wenn dem Gutachter entgegen gehalten wird, dass er seine Beurteilung nicht „auf der Grundlage der von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese“ abgegeben, sondern sich nur auf zwei „vereinzelte Studien“ gestützt habe, in denen „Hinweise auf mögliche Zusammenhänge gegeben“ seien, und damit „methodische Fehler“ konstruiert werden sollen, gehen diese Vorwürfe als unzutreffend ins Leere. Die Beklagte verkennt völlig, dass es für die Heranziehung der Kannversorgung zwingende Grundvoraussetzung ist, dass sich eine herrschende wissenschaftliche Lehrmeinung noch nicht herausgebildet hat; denn anderenfalls dürfte die Zusammenhangsbeurteilung ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhangs erfolgen. Dem Sachverständigen, der aufgezeigt hat, dass es bezüglich der Entstehung gutartiger Tumore (noch) keine herrschende medizinische Lehrmeinung gibt, methodische Fehler zu unterstellen, kann daher nur mit einer elementaren Unkenntnis der Voraussetzungen der Kannversorgung oder einer gezielt irreführenden Argumentation, die der Senat der Beklagten nicht unterstellen möchte, begründet werden. Dass die Beklagte der vom Gesetzgeber eröffneten Kannversorgung grundsätzlich ablehnend gegenüber steht, möchte der Senat der Beklagten ebenfalls nicht unterstellen. Sollte dies gleichwohl der Fall sein, könnte der Interessenlage der Beklagten nur der Gesetzgeber durch die Abschaffung der Kannversorgung Rechnung tragen, nicht aber die Judikative im Rahmen der Anwendung geltender Gesetze.

Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies noch von weiterer Entscheidungsrelevanz wäre, weist der Senat darauf hin, dass auch im Internet für jedermann zugänglich Veröffentlichungen zu finden sind, die sich mit der bislang medizinisch nicht abschließend geklärten Frage der Verursachung gutartiger Tumore befassen und dabei auch auf die Studienlagen Bezug nehmen (vgl. z. B. die Hinweise von Schmitz-Feuerhake, Die Induktion gutartiger Tumore durch ionisierende Strahlung - ein vernachlässigtes Kapitel von Strahlenrisikobetrachtungen, in: Strahlentelex, Nr. 548-549, 05.11.2009), wobei es der Senat dahingestellt lässt, von welcher wissenschaftlichen Qualität die genannte Veröffentlichung ist.

Der Zustimmungsvorbehalt des § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG steht einer gerichtlichen Anerkennung auch ohne konkrete oder allgemeine Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nicht entgegen. Denn bei der Zustimmung handelt es sich lediglich um einen verwaltungsinternen Vorgaben, den das Gericht bei seiner Entscheidung zu prüfen oder zu ersetzen hat (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1969, Az.: 8 RV 469/67; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.11.2001, Az.: L 10 VS 44/98).

3. Der Vollständigkeit halber: Keine Verurteilung wegen eines heißen Knotens

Der Kläger verfolgt die Anerkennung eines heißen Knotens der Schilddrüse als Folge einer Wehrdienstbeschädigung nicht mehr weiter. Der Senat weist daher lediglich der Vollständigkeit halber auf Folgendes hin:

Eine Verurteilung der Beklagten wegen eines heißen Knotens der Schilddrüse käme schon deshalb nicht in Betracht; weil eine derartige Erkrankung lediglich in Form einer Verdachtsdiagnose in den Raum gestellt worden ist, nicht aber in dem für eine Anerkennung erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen ist. Dass insofern (derzeit noch) keine Zuständigkeit der Beklagten bestünde, da sich eine solche Erkrankung keinesfalls während der Dienstzeit manifestiert hätte (vgl. Urteil des Senats vom 26.01.2012, Az.: L 15 VS 10/08; BSG, Urteil vom 29.04.2010, Az.: B 9 VS 2/09 R), ist von keiner weiteren rechtlichen Bedeutung. Die Frage, ob der Beigeladene verurteilt werden könnte, würde sich daher ebenfalls nicht stellen.

4. Keine Feststellungen zum Grad der Schädigung

Feststellungen zum Grad der Schädigung hat der Senat nicht zu treffen, da sich der Antrag des rechtskundig vertretenen Klägers ausdrücklich auf die Anerkennung der Schädigungsfolgen beschränkt.

5. Keine weiteren Ermittlungen erforderlich

Weitere Ermittlungen, insbesondere eine Inaugenscheinnahme eines Luftfahrzeugs F-104 G waren nicht angezeigt. Mit dem Bericht der Radarkommission, den vorliegenden Angaben zur Tätigkeit des Klägers und dem eingeholten Gutachten ist eine umfassende Entscheidungsgrundlage zur Bewertung der Strahlenexposition des Klägers und der gesundheitlichen Auswirkungen gegeben.

Nicht für die Entscheidung relevant ist es daher, dass der Senat große Zweifel daran hat, dass die Durchführung von Messungen an einem Luftfahrzeug F-104 G, was beklagtenseits in der Stellungnahme des Dr. S. vom 21.02.2014 in den Raum gestellt worden ist, überhaupt gerichtsverwertbare Erkenntnisse bringen könnte. Soweit öffentlich zugänglichen Quellen zu entnehmen ist, wurde das Luftfahrzeug F-104 G bei der Bundeswehr am 22.05.1991 ausgemustert. Wenn in Ausbildungseinrichtungen oder Museen noch Exemplare dieses Flugzeugs vorhanden sind, dürften sich diese allesamt in einem demilitarisierten Zustand befinden. Dies würde bedeuten, dass vor der Durchführung von Messungen die im Rahmen der Demilitarisierung entfernten Bauteile, insbesondere auch das Magnetron, wieder in das Flugzeug einzubauen wären. Dass die anschließend angefertigte Konfiguration dem Zustand des Flugzeugstyps entsprechen würde, an dem der Kläger in den 1970er und 1980er Jahren tätig war, hält der Senat für sehr ungewiss. Denn es ist bekannt, dass es beispielsweise beim Magnetron, von dem der wesentliche Teil der (potentiell) schädigenden Strahlung ausgegangen ist, verschiedene Ausführungen mit sicherlich auch nicht immer identischen Strahlungsverhältnissen gegeben hat (vgl. S. 46 des Radarberichts). Da weder aus den Akten ersichtlich ist, an welchen Ausführungen des Magnetrons der Kläger gearbeitet hat, noch klar ist, ob die damaligen Ausführungen überhaupt noch verfügbar sind, zudem auch zu klären wäre, ob die heute noch vorhandenen Ausführungen des Magnetrons im Weg der frühestens ab Mitte der 1970er Jahr begonnenen Strahlenschutzmaßnahmen umgearbeitet worden sind, kann sich der Senat nur schwer vorstellen, dass sich die den Kläger betreffende Strahlenbelastung realitätsnah reproduzieren lassen würde. In diesem Zusammenhang muss der Senat auch darauf hinweisen, dass er jedenfalls wegen des Vorgehens des Beklagten, hier insbesondere in Form der Person des Leiters der Strahlenmessstelle der Bundeswehr, im vorliegenden Fall nicht unerhebliche Bedenken haben würde, sich auf alle Angaben des Beklagten bedenkenlos zu verlassen. Dazu würde insbesondere die Frage gehören, ob das für eine potentielle Messung von der Beklagten zur Verfügung gestellte Luftfahrzeug tatsächlich der Ausführung entsprechen würde, an dem der Kläger gearbeitet hat, auch wenn dies von Seiten der Strahlenmessstelle so behauptet würde.

Diese Bedenken begründen sich wie folgt:

Die Beklagte hat beispielsweise mit Schreiben vom 26.11.2008 an das SG Folgendes ausgeführt:

„... bleibe ich bei der schon bisher von der Wehrbereichsverwaltung Süd vertretenen Auffassung, dass von diesem Radargerät die Strahlung nur nach oben austreten konnte. ... Außerdem ergibt sich das aus der Stellungnahme des Herrn Dr. S., Leiter der Arbeitsgruppe Radar/Strahlenmessstelle der Bundeswehr ... vom 4. September 2006, in der Beschwerdeakte, Blatt 25.“

Ähnlich hat auch der Leiter der Strahlenmessstelle Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 21.02.2014 im Berufungsverfahren argumentiert, wenn er sich zum Einwand des Klägers, es habe auch eine Strahlung zur Seite gegeben, geäußert hat:

„Der Umkehrschluss, dass damit eine Emission des Magnetrons auch in seitlicher Richtung bewiesen wäre, gilt damit aber nicht. Die Radarkommission ... kam bei der Emissionsrichtung zum Ergebnis, dass die Emission der Röntgenstörstrahlung nach oben erfolgte.“

Der Senat kann, wie bereits oben erläutert, aufgrund des Akteninhalts nur davon ausgehen, dass diese Auskünfte falsch oder so verfälscht gegeben worden sind, dass entscheidende Gesichtspunkte von Seiten der Mitarbeiter der Beklagten verschwiegen worden sind. Dabei bezieht sich der Senat einerseits auf Unterlagen in den Verwaltungsakten der Beklagten, andererseits auf den Bericht der Radarkommission. So wird in der Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 25.02.2003 zwar auf die senkrecht nach oben austretende Röntgenstörstrahlung hingewiesen, gleichwohl ist bei den dokumentierten Messwerten auf S. 2 dieser Stellungnahme auch eine Röntgenstörstrahlung zur Seite (in einem Abstand von 5 cm zum Gerät - Anmerkung: einziger Messabstand) aufgeführt, wobei diese Strahlung der Höhe nach nicht vernachlässigbar ist, beträgt sie doch fast ein Drittel der Abstrahlung nach oben in derselben Entfernung und sogar das Neunfache im Vergleich zu der Abstrahlung nach oben in einer Entfernung von 30 cm. Entsprechendes ergibt sich auch aus dem Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR (vgl. dort S. 5, Tabelle 2). Schließlich wird im Radarbericht der Bundesregierung zum Radargerät NASARR darauf hingewiesen, dass bei den Wartungs- und Reparaturarbeitsplätzen durch Leckagen und auch durch Reflexionen der über die Antenne abgestrahlten Mikrowellen an metallischen Flächen erhebliche Grenzwertüberschreitungen auftreten können (vgl. S. 46 des Berichts); dies hat die Kommission durch eigene Messungen überprüft. Sowohl aus den eigenen Messungen der Beklagten als auch dem Bericht der Radarkommission ergibt sich damit die wiederholte Unrichtigkeit des Vortrags der Beklagten. Ausgehend von der nicht ganz fernliegenden Annahme, dass dies wider besseres Wissen erfolgt ist, wären Zweifel an der Richtigkeit der technisch zutreffenden Ausgangsbasis (rekonstruiertes Flugzeug für die Messungen) für weitere durchzuführende Messungen nicht völlig auszuschließen. Weitergehende Überlegungen und Ausführungen erübrigen sich jedoch, da es auf derartige Messungen im vorliegenden Verfahren überhaupt nicht mehr ankommt.

Mangels Entscheidungserheblichkeit muss sich der Senat auch nicht mit der Frage auseinander setzen, ob es tatsächlich nur eine einzige Messung zum NASARR gibt oder ob noch weitere Untersuchungen vorliegen, die von der Beklagten nur aus nicht näher nachvollziehbaren Gründen nicht vorgelegt werden, was im Rahmen der Beweislast zu würdigen wäre.

Zum Abschluss weist der Senat darauf hin, dass er sich sehr wohl des Gewichts und der Bedeutung der am prozessualen Vorgehen der Beklagten geübten Kritik bewusst ist, für das er gute Gründe gehabt hat. Er steht aber mit einer derartigen objektiven gerichtlichen Kritik nicht allein, wie sie beispielsweise auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein in seinem Beschluss vom 13.09.2012, Az.: 3 LB 21/11 - den das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 10.04.2014, Az.: 2 B 36/13, bestätigt hat - wie folgt zum Ausdruck gebracht hat:

„Hierüber hat die Beklagte jahrelang keine konsequente Überprüfung durchgeführt, den Kläger nicht informiert und auch der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Ermittlung erschwert.“

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG). Insbesondere sind keine Fragen grundsätzlicher Art zu klären. Vielmehr basiert die Entscheidung allein auf einer Einzelfallbeurteilung, die mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung des konkreten Falls zu treffen war.

(1) Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, erhält.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht eine gesundheitliche Schädigung gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden ist.

(3) Wer als Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 dieser Vorschrift oder § 22 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, als Pflegeperson oder als Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Beschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes eine gesundheitliche Schädigung erleidet, erhält Versorgung nach Absatz 1.

(4) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne der Absätze 1 bis 3 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(5) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges. Wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

Tenor

I.

Der Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2011 und der Bescheid vom 17. April 2003 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 19. März 2008 werden aufgehoben.

II.

Die Beklagte wird verurteilt, das Nierenkarzinom und den aus der operativen Behandlung resultierenden Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmteils infolge eines Nierenkarzinoms sowie das Schilddrüsenadenom und die Schilddrüsenüberfunktion als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen.

III.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig sind die nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) festzustellenden Schädigungsfolgen.

Der im Jahr 1951 geborene Kläger war bis zum März 2004 Berufssoldat bei der Bundeswehr.

Von 1971 bis 1987 arbeitete der Kläger zunächst als Radarmechaniker, zuletzt als Radarmechanikermeister am Flugzeug F-104 G (sog. Starfighter), das mit dem Vorwärtssichtradar NASARR ausgestattet war. Mit WDB-Blatt vom 05.11.2002 machte er eine Struma Grad II bis III und ein Nierenzellkarzinom als Schädigungsfolgen geltend. Die Erkrankungen waren im Jahr 1988 (teilweise Entfernung der Schilddrüse bei Adenom) bzw. 1995 operativ behandelt worden. Im Zusammenhang mit der Nephrektomie im November 1995 kam es zu einer im Januar 1996 diagnostizierten Darmperforation und zum Verlust der Milz.

Der Beklagte zog den Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR bei. Darin wurden Expositionswerte gegenüber ionisierender Strahlung im Bereich von Kopf und Oberkörper, Unterarmen und Händen aufgeführt.

Die Wehrbereichsverwaltung - öffentlichrechtliche Aufsicht für Arbeitssicherheit und technischen Umweltschutz - Bereich Bayern - äußerte sich mit Schreiben vom 25.02.2003 zu der beim Kläger stattgehabten Exposition wie folgt:

Die Emission der Röntgenstörstrahlung am Vorwärtssichtradar NASARR erfolge an der Mikrowellenauskopplung des Magnetrons in senkrechter Richtung nach oben in einem räumlich eng begrenzten Strahlenbündel, was durch Röntgenfilmbelichtungen festgestellt worden sei. Wegen der gleichen Anbauweise des NASARR in Radartestbänke finde sich diese nach oben gerichtete Abstrahlcharakteristik auch dort. Zusätzlich zu der Röntgenstörstrahlung habe noch eine Exposition gegenüber ionisierender Strahlung durch radioaktive Leuchtfarbe im Cockpit bestanden. Bei der Berechnung der Ersatzdosis sei unter Zuhilfenahme des Teilbereichs der Arbeitsgruppe strikt nach Aktenlage vorgegangen worden, da infolge der vorgegebenen Bearbeitungszeit ein Befragen des Betroffenen nicht möglich gewesen sei. Damit ergebe sich eine effektive Gesamtdosis für alle Berufsjahre (01.04.1971 bis 31.03.1987) von 5,9 mSv. Der Grenzwert für die allgemeine Bevölkerung sei damit nicht überschritten. Für nichtionisierende Strahlung lägen bislang keine wissenschaftlich allgemein anerkannten Erkenntnisse darüber vor, dass sie Krebserkrankungen auslösen könnten.

Das Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr führte in seiner versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 28.03.2003 aus, dass die ermittelte Gesamtdosis von 5,9 mSv zu gering sei, um in eine versorgungsmedizinische Diskussion über die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs oder über eine Kannversorgung einzutreten. Bei der Schilddrüsenerkrankung sei eine Strahlenverursachung nach dem derzeitigen Kenntnisstand von vornherein nicht anzunehmen.

Mit Bescheid vom 07.04.2003 lehnte es die Beklagte ab, den Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmanteils durch operative Entfernung aufgrund Nierenkarzinom und einen Schilddrüsenteilverlust durch operative Entfernung aufgrund Schilddrüsenerkrankung als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn des § 81 SVG anzuerkennen. Der Kläger sei zwar als Luftfahrzeugfeuerleitradarmechniker/-meister an dem Flugzeugradar NASARR Röntgenstrahlung und radioaktiver Leuchtfarbe ausgesetzt gewesen. Die Gesamtdosis von 5,9 mSv reiche aber für eine gesundheitliche Schädigung nicht aus, da eine den Grenzwert von 1 mSv pro Jahr übersteigende Lebenszeitdosis nicht erreicht werde. Ein ursächlicher Zusammenhang mit Strahlenbelastungen sei daher auszuschließen.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 05.05.2003 Beschwerde ein. Er bat, den Bescheid nach Vorlage des Ergebnisses der Radarkommission noch einmal zu prüfen und ggf. zu korrigieren.

Am 18.09.2003 äußerte sich Dr. J. vom Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr im Rahmen einer Überprüfung gemäß den Kriterien der Radarkommission - der Bericht war am 02.07.2003 vorgelegt worden - in einer ergänzenden versorgungsmedizinischen gutachtlichen Stellungnahme wie folgt: Der Kläger sei von 1971 bis 1987 an Radargeräten der Bundeswehr tätig gewesen. Es sei in Abänderung früherer Ausführungen nunmehr als glaubhaft zu unterstellen, dass er einer Belastung relevanten Ausmaßes durch ionisierende Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Diese sei grundsätzlich als kanzerogen anzusehen. In Abänderung der Stellungnahme vom 28.03.2003 werde daher vorgeschlagen, den Nierentumor als Schädigungsfolge anzuerkennen. Bei einem Schilddrüsenadenom sei gemäß den derzeitigen medizinischwissenschaftlichen Erkenntnissen eine Strahlenverursachung von vornherein nicht anzunehmen.

In einem ersten Entwurf des Beschwerdebescheids vom November 2003 wurde eine Anerkennung von Schädigungsfolgen entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. J. vom 18.09.2003 vorgeschlagen. Diesem Entwurf wurde jedoch durch die Wehrbereichsverwaltung Süd die Zustimmung versagt, weil nach dem Bericht der Radarkommission (dort S. 46) nur eine Teilkörperexposition des Oberkörpers in Betracht komme, nicht jedoch der Nieren.

Dazu befragt, ob bei einer Körpergröße des Klägers von 1,85 m und einer unterstellten Bestrahlung des Oberkörpers auch eine Bestrahlung des Beckenbereichs damit auch der Nieren in Betracht komme, hat die Strahlenmessstelle Nord der Bundeswehr, Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar (Dr. S.), mit Schreiben vom 04.09.2006 in einem Satz mitgeteilt, dass Einbauort der Störstrahler und Austrittsrichtung der Röntgenstörstrahlung am NASARR so seien, dass auch für einen körperlich größeren Techniker der Bereich des Beckens nicht gegenüber Röntgenstörstrahlung exponiert werden könne.

Mit Beschwerdebescheid vom 19.03.2008 wurde die Beschwerde des Klägers gegen den Bescheid vom 17.04.2003 zurückgewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der vom Kläger geltend gemachten Krebserkrankung und der Schilddrüsenerkrankung sei nicht wahrscheinlich. Zwar gehöre die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit zu den qualifizierenden Tätigkeiten im Sinn des Berichts der Radarkommission und es liege auch eine der qualifizierenden Erkrankungen aufgrund ionisierender Strahlung vor (maligne Tumore). Die Radarkommission habe jedoch in ihrem Bericht als weiteres Kriterium festgestellt, dass eine Anerkennung ausgeschlossen werden könne, falls die Bundeswehr nachweise, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten könnten, die das erkrankte Organ nicht betroffen hätten.

Dagegen hat der Kläger am 09.04.2008 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben. Die Klage ist wie folgt begründet worden: Im Rahmen seiner wehrdienstlichen Tätigkeit sei der Kläger einer ionisierenden Strahlung ausgesetzt gewesen, die als Röntgenstörstrahlung und/oder radioaktive Strahlung durch Leuchtfarben auftreten könne. Im vorliegenden Fall sei sowohl eine Röntgenstörstrahlung als auch eine radioaktive Strahlung aus Leuchtfarben zu berücksichtigen. Daneben sei der Kläger auch nichtionisierender Strahlung ausgesetzt gewesen. Die Bevollmächtigten haben auf den Bericht der Radarkommission vom 02.07.2003 hingewiesen. Die Beklagte könne gerade nicht nachweisen, dass nur Teilkörperexpositionen aufgetreten seien, die das erkrankte Organ nicht betroffen hätten. Damit sei eine Anerkennung als Wehrdienstbeschädigung auszusprechen. Die Radarkommission habe in ihrem Bericht vom 02.07.2003 gerade nicht bestätigt, dass vom NASARR ausschließlich an einer eng begrenzten Stelle Röntgenstörstrahlung ausgetreten sei. Die Beklagte habe vielmehr Messungen durchgeführt und dabei festgestellt, dass sich aufgrund der Vielzahl der Arbeiten, die am NASARR zu verrichten gewesen seien, gerade nicht ausschließen lasse, dass sich ein bestimmter Körperteil in der Röntgenstörstrahlung bewege. Dieses ergebe sich aus Messungen des Herrn G., der lange selbst am NASARR gearbeitet habe. Eine qualifizierende Erkrankung liege vor. Der Bericht der Radarkommission sei ein antizipiertes Sachverständigengutachten, welches bei Vorliegen der Kriterien für die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung eine Verpflichtung der Beklagten begründe, die Erkrankung des Klägers als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen. Einzige Öffnungsklausel für die Beklagte sei, wenn die Beklagte nachweise, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten könnten, die das erkrankte Organ nicht betreffen würden. Die Beklagte habe somit einen Entlastungsbeweis zu führen. Genau dieser Entlastungsbeweis sei der Beklagten nicht gelungen. Der Zusammenhang zwischen ionisierender Strahlung und der Krankheit des Klägers sei medizinisch anerkannt. Es sei eine WDB-Anerkennung zumindest im Sinn einer Kannversorgung auszusprechen.

Im Schreiben vom 26.11.2008 hat die Beklagte in Erwiderung zur Klagebegründung darauf hingewiesen, dass eine nichtionisierende Strahlung höchstens zu einer Trübung der Augenlinse führen könne. Durch radiumhaltige Leuchtfarbe könnten nur Knochenkrebs oder Lungenkrebs verursacht werden. Die Röntgenstörstrahlung des Radargeräts NASARR trete nur nach oben aus. Dies ergebe sich aus dem Bericht der Radarkommission, Seite 46, zudem aus der Stellungnahme des Dr. S.. Mit Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Prof. Dr. G., den der Kläger vorgeschlagen hatte, sei sie nicht einverstanden.

Mit Beschluss vom 28.11.2008 ist die Beiladung des Trägers der Versorgungsverwaltung erfolgt.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schreiben vom 06.02.2009 darauf hingewiesen, dass es falsch sei, dass die Röntgenstörstrahlung vom Radargerät NASARR nur nach oben austreten könne. Die bisherigen Feststellungen der Beklagten, auch des

Dr. S., seien falsch. Die Radarkommission habe auf Basis dieser Angaben den Bericht verfasst. Die Beklagte habe zwischenzeitlich Messungen mit Hilfe von Herrn G. durchführen lassen. Diese Messungen seien erst im Jahr 2008 durchgeführt worden und hätten ergeben, dass sich aufgrund der Vielzahl der Arbeiten, die am NASARR zu verrichten gewesen seien, gerade nicht ausschließen lasse, dass sich ein bestimmter Körperteil in der Röntgenstörstrahlung bewege.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 23.02.2009 mitgeteilt, dass sie aller Voraussicht nach einem Gutachten, das Herr Prof. Dr. G. erstellen würde, nicht folgen werde. Im Übrigen hat sie auf eine neue Stellungnahme des Dr. S. vom 19.02.2009 verwiesen, wonach weitere Messungen zur Emission von Röntgenstörstrahlung im Jahr 2008 nicht mehr stattgefunden hätten; es sei lediglich eine Diskussion verschiedener Arbeitsschritte erfolgt, ohne dass das Radargerät bei diesem Termin in Betrieb genommen worden wäre.

Mit Schreiben vom 16.06.2009 hat die Beklagte die Kopie einer - teilweise abgedeckten, also nicht lesbaren - Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung West - Strahlen - vom 09.06.2009 vorgelegt, wonach die Belastung durch radioaktive Leuchtfarbe ausgesprochen gering gewesen sei. Dem von den Bevollmächtigten des Klägers in den Raum gestellten Sachverständigen Prof. Dr. G. ist in dieser Stellungnahme vorgeworfen worden, dass er in einem anderen Verfahren „seine Kompetenzen als medizinischer Sachverständiger bei Weitem überschritten“ habe. Im Übrigen ist die Argumentation der Bevollmächtigten des Klägers teilweise als „unsinnig“ bezeichnet worden. Die teilweise Abdeckung der übersandten Stellungnahme hat die Beklagte damit begründet, dass darin eine Auseinandersetzung mit möglichen politischen Folgen von Fehlern enthalten sei.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 11.01.2010 einen Aktenvermerk vom 22.12.2009 übermittelt, dem u. a. zu entnehmen ist, dass eine Konfliktlösung bei Begutachtung durch Prof. Dr. G. nicht zu erwarten sei. In einem weiteren Aktenvermerk vom 16.06.2010. hat sich die Beklagte mit den Körperhaltungen bei der beruflichen Tätigkeit des Klägers auseinander gesetzt. Weiter hat sie sich dahingehend geäußert, dass der Gesundheitsschaden im „Unterleib“ vorliege. Schließlich hat sie sich erneut umfassend zu der aus ihrer Sicht fehlenden Kompetenz und Neutralität des Prof. Dr. G. geäußert.

Am 09.06.2011 hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Prof. Dr. G. ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage erstellt. Der Sachverständige hat darin Folgendes ausgeführt:

Beim Kläger sei im Oktober 1988 die Operation einer vergrößerten Schilddrüse durchgeführt worden; dabei habe sich ein sogenannter ausgebrannter kalter Knoten gefunden. Am 02.12.1995 sei eine Operation zur Entfernung der linken Niere wegen eines Tumors durchgeführt worden. Postoperativ seien Komplikationen entstanden, die in einem Bauchhöhlenabszess kumuliert hätten. Bei der deswegen erforderlichen Nachoperation am 08.01.1996 seien die Milz, der querliegende Schenkel des Dickdarms und der absteigende Schenkel des Dickdarms entfernt und ein künstlicher Darmausgang gelegt worden. Am 23.02.1996 sei der künstliche Darmausgang verschlossen worden. Aktuell habe der Kläger mitgeteilt, dass bei einer Kontrolluntersuchung im Bundeswehrkrankenhaus U. in der Schilddrüse ein sogenannter heißer Knoten entdeckt worden sei. Heiße Knoten in der Schilddrüse seien verdächtig auf ein Schilddrüsenkarzinom.

Zur Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung hat der Sachverständige Folgendes erläutert: Die Schwerpunktgruppe Radar habe am 16.06.2010 ausgeführt, dass zwar der Oberkörper gegenüber der Störstrahlung am NASARR exponiert gewesen sei, nicht jedoch der Bereich des Beckens, auch nicht bei einem körperlich größeren Techniker. Weiter sei von der Schwerpunktgruppe Radar ausgeführt worden, dass die „Nieren-Becken-Region“ nicht exponiert habe werden können. Der Begriff „Nieren-Becken-Region“ sei - so der Sachverständige - in der Medizin unbekannt. Es sei zu vermuten, dass die Lage der Nieren von der Schwerpunktgruppe Radar irgendwo im Bereich des menschlichen Beckens angenommen worden sei. Als Oberkörper des Menschen werde in der Medizin derjenige Teil des Körpers bezeichnet, der nach unten durch die Rippenbögen der 11. und 12. Rippe begrenzt werde. Bei der ärztlichen Untersuchung am stehenden Patienten sei es unmöglich, den oberen Nierenpol oder gar die Nebennieren zu tasten, weil lediglich der untere Teil der Niere nach unten die Rippenbögen überrage. Ganz zweifellos sei deshalb die Region des Körpers, in dem sich der obere Pol der Niere befinde, dem Oberkörper zuzurechnen. Die Lungenflügel würden nach unten zum Bauchraum durch das Zwerchfell abgegrenzt, das sich ähnlich einer Kuppel an die Unterseite der Lungenflügel anschmiege. Von unten würden in diese Kuppel die Bauchorgane hinein ragen, auf der rechten Seite die obere Hälfte der Niere hinten, auf der linken Seite hinten die oberen Teile der Niere und Milz. Die linke Niere des Menschen liege in der Regel höher als die rechte. Da der Tumor am oberen Pol der linken Niere entstanden sei, bestehe auch kein Zweifel, dass dieser Teil der linken Niere als Teil des Oberkörpers zu betrachten sei, obgleich er anatomisch zur Bauchhöhle gehöre. Bei der Beurteilung einer möglichen Strahlenexposition komme es nicht auf die Zugehörigkeit zur Brusthöhle oder zur Bauchhöhle an, sondern darauf, ob durch die Lokalisation des oberen Nierenpols eine Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung aus einen NASARR möglich gewesen sei oder nicht. Wenn bei den vom Kläger durchgeführten Tätigkeiten eine Exposition des Oberkörpers stattgefunden habe, wie von der Schwerpunktgruppe Radar offenkundig angenommen werde, dann sei der obere Pol der linken Niere des Klägers mit Sicherheit durch Röntgenstörstrahlung betroffen worden. Eine Diskussion einer möglichen Exposition gegenüber radioaktiver Leuchtfarbe sei nicht erforderlich, weil nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft kein Zusammenhang zu der Entwicklung eines Nierenzellkarzinoms angenommen werden könne. Der Kläger sei während der sogenannten Phase I (zwischen 1971 und 1975) in qualifizierender Tätigkeit an Radargeräten beschäftigt gewesen. Er sei damit einem höheren Risiko für Krebserkrankungen als die allgemeine Bevölkerung ausgesetzt gewesen. Wie ausgeführt, sei seine Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung als kausaler Risikofaktor für die Entstehung des bei ihm 1995 entdeckten Nierenzellkarzinoms zu betrachten. Das Nierenzellkarzinom sei hinreichend wahrscheinlich durch die Tätigkeit als Radarmechaniker verursacht.

Auch der Schilddrüsenbefund des Klägers sei der früheren Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung zuzuordnen. Es gebe eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, die als Folge der Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen das Auftreten von gutartigen Schilddrüsentumoren (sog. Adenome) gefunden hätten. Auf entsprechende Untersuchungen hat der Sachverständige hingewiesen. Da der Hals des Klägers zweifelsfrei der Röntgenstörstrahlung ausgesetzt gewesen sei, sei auch die Schilddrüsenerkrankung der Exposition zuzuordnen. Möglichen Einwänden, dass die Radarkommission sich nicht zu gutartigen Tumoren als Folge der Exposition gegenüber ionisierenden Strahlungen geäußert hätte, sei entgegen zu halten, dass sich die Radarkommission wegen des extremen Zeitdrucks vor allem den Krebserkrankungen gewidmet habe.

Als Schädigungsfolgen seien anzuerkennen: Nierenzellkarzinom, postoperative schwere Infektion der Bauchhöhle, Entfernung großer Teile des Dickdarms und der Milz, Schilddrüsenüberfunktion, heißer Knoten der Schilddrüse.

Die Beklagte hat sich zu diesem Gutachten mit einer (nichtärztlichen) Stellungnahme vom 01.09.2011 wie folgt geäußert: Die Ausführungen des Prof. Dr. G. zur Exposition des Oberkörpers seien nicht nachvollziehbar. Wenn auf Seite 46 des Berichts der Radarkommission „Kopf und Teile des Oberkörpers“ als vom direkt nach oben gerichteten Strahlenbündel erreichbar genannt würden, so seien damit ganz sicher nicht die untersten Teile des Oberkörpers gemeint. Somit sei die Nierenregion nicht als ein diesem Strahlenbündel exponierter Körperteil anzusehen, selbst wenn man sie noch zum Oberkörper zähle. Damit sei das Ausschlusskriterium „Teilkörperexposition, die das erkrankte Organ nicht betraf“ erfüllt. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen stochastischen Strahlenwirkungen und dem Auftreten des Schilddrüsenadenoms sei nicht gegeben. Zwar sei eine Anerkennung nach den Kann-Bestimmungen in Betracht zu ziehen, wenn zumindest eine qualifizierte Möglichkeit des ursächlichen Zusammenhangs bestehe. Hinsichtlich gutartiger Geschwülste heiße es jedoch in den Anhaltspunkten, dass diese im Allgemeinen nicht durch äußere Einwirkungen verursacht würden. Ausnahmen bezüglich der Schilddrüsenadenome würden in den Anhaltspunkten nicht genannt. Somit sei deren Ätiologie nicht ungeklärt und die Kann-Bestimmungen fänden keine Anwendung. Auch das Recht der Berufskrankheiten sehe die Anerkennung eines Schilddrüsenadenoms nicht vor. Der Bericht der Radarkommission sehe bezüglich nicht maligner Erkrankungen lediglich für Augenlinsentrübungen (Katarakte) eine Anerkennung wegen der Einwirkung ionisierender Strahlung vor. Die gutachterliche Bewertung des Prof. Dr. G. zum Schilddrüsenadenom beruhe nicht auf den Entscheidungsempfehlungen im Bericht der Radarkommission und sei auch nicht mit sonstigen im sozialen Entschädigungsrecht maßgeblichen antizipierten Gutachten (Anhaltspunkte, Berufskrankheiten-Verordnung) in Einklang zu bringen. Die vom Sachverständigen zitierten Studien an Überlebenden der Atombombenangriffe in Japan hätten für das vorliegende Verfahren überhaupt keine Bewandtnis. Die Studien seien schon lange vor der Radarkommission veröffentlich worden. Dem Gutachten würden jegliche Hinweise auf eine relevante Risikoerhöhung im vorliegenden Einzelfall fehlen. Bezüglich des heißen Knotens der Schilddrüse handle es sich nicht um eine Schilddrüsenvergrößerung durch das gutartige Adenom (kalter Knoten). Außer dem telefonischen Hinweis des Klägers gebe es überhaupt keinen Beweis für das Vorliegen weiterer Schilddrüsenveränderungen. Bereits im Beschwerdeverfahren sei geprüft worden, inwieweit eine auf einer Erhöhung stehende und sich dabei noch vorbeugende Person durch das Strahlenbündel des NASARR getroffen werden könne. Diese Prüfung habe ergeben, dass aufgrund biomechanischer Aspekte bei einer Vorbeugung von Kopf und Oberkörper der Bauchbereich daran gehindert sei, sich nennenswert in die gleiche Richtung zu bewegen. Somit bestehe bei dem Einbauort des Magnetrons und der Austrittseinrichtung seiner Störstrahlung selbst bei einem 1,85 m großen Techniker für den Thoraxbereich keine Expositionsmöglichkeit.

Einer weiteren (nichtärztlichen) Stellungnahme des Dr. S. vom 26.08.2011 ist die Ansicht zu entnehmen, dass selbst dann, wenn eine Bestrahlung des Beckenbereichs stattgefunden hätte, die Exposition der Nieren durch die Abschwächung der Strahlung durch das übrige Körpergewebe weitgehend reduziert gewesen wäre.

Ein heißer Knoten wurde - so auf Nachfrage des SG das Bundeswehrkrankenhaus U. - bei einer Untersuchung im Jahr 2011 nicht dokumentiert.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.10.2011 ist die Klage abgewiesen worden. Ein Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und Nierenzellkarzinom lasse sich nicht herstellen, da nach den Ergebnissen der Strahlenmessstelle der Bundeswehr der Kläger nur hinsichtlich des oberen Teils des Oberkörpers der Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Ein Gesundheitsschaden im Bereich der Nieren könne daher durch Strahlung nicht verursacht werden. Auch die gutartige Schilddrüsenerkrankung sei nicht als Folge einer Wehrdienstbeschädigung festzustellen.

Dagegen haben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 15.11.2011 Berufung eingelegt. Sie haben in ihrer Berufungsbegründung vom 08.03.2012 beanstandet, dass sich das SG im Wesentlichen auf die Ausführungen der Beklagten gestützt habe, ohne sich in ausreichender Weise mit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G. vom 09.06.2011 auseinander zu setzen. Im Übrigen seien die Ausführungen der Beklagten falsch. Auch der Versorgungsarzt Dr. J. sei in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003 davon ausgegangen, dass der Kläger einer Belastung relevanten Ausmaßes durch ionisierende Strahlung ausgesetzt gewesen sei und dadurch der Verlust der linken Niere, der Milz sowie eines Teils des Dickdarms nach der operativen Behandlung eines bösartigen Nierentumors als Wehrdienstbeschädigungsfolge anzuerkennen sei. Es sei auch schlichtweg falsch, wenn die Beklagte behaupte, die Nieren lägen nicht im Bereich des Oberkörpers, sondern im Becken. Die Bevollmächtigten haben dies mit Hinweis auf medizinische Literatur belegt. Damit sei die Behauptung der Beklagten, die Nieren des Klägers seien nicht von der ionisierenden Strahlung betroffen gewesen, nicht haltbar, weil sie anatomisch falsch sei. Prof. Dr. G. habe zudem darauf hingewiesen, dass der Tumor am oberen Pol der linken Niere entstanden sei, die sich im Oberkörper befinde und somit auch von der Röntgenstörstrahlung getroffen worden sei. Dies habe die Beklagte völlig unsubstantiiert bestritten. Bekannt sei, dass die Strahlung des Feuerleitradars des Starfighters F-104 sehr gefährlich gewesen sei. Es sei nicht möglich und auch nicht beweisbar, zentimetergenau die Abstrahlungscharakteristik der Strahlung zu definieren, wie dies der Beklagte behaupte. Die Röntgenstörstrahlung würde vom Entstehungsort ausstrahlen und sei kein streng gebündelter kontrollierter Laserstrahl. Außerdem habe der Beklagte verschwiegen, dass auch seitlich am Magnetron Röntgenstörstrahlung austrete, wie sich aus Seite 5, Tabelle II des Teilberichts NASARR vom 24.02.2002 ergebe. Am 18.07.1979 sei an einer Testbank in L. eine Messung durchgeführt worden, die die Abstrahlcharakteristik der Röntgenstrahlung am Krümmer des Magnetrons dargestellt habe. In diesem Bericht sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass diese Feststellungen nur für das untersuchte Gerät und das eingebaute Magnetron gelten würden, es aber bekannt sei, dass in NASARR verschiedene Magnetrons verwendet worden seien, die sich hinsichtlich der Störstrahlung erheblich unterscheiden würden. Eine Messung an einsatzklaren Luftfahrzeugen habe der Beklagte nie vorgenommen. Auch eine Messung am Starfighter, an dem der Kläger gearbeitet habe, könne der Beklagte nicht vorlegen. Aufgrund des Berichts vom 18.07.1979 sei jedoch eindeutig klar, dass einzelne Messergebnisse nicht verallgemeinert werden könnten, weil die Strahlung bei jedem Gerät anders gewesen sei. Das SG habe auch jede eigene Feststellung zu der Frage, wo sich die Niere befinde und ob diese beim Kläger von ionisierender Strahlung getroffen worden sei, unterlassen. Nach den eigenen Feststellungen der Beklagten wäre die Erkrankung des Klägers als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen; die einzige Ausrede des Beklagten sei, dass sich die Niere nicht im Oberkörper befinde. Diese Behauptung sei durch das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. G. eindeutig widerlegt. Das SG habe nicht erläutert, warum es dem eingeholten Gutachten nicht gefolgt sei. Bezüglich der Schilddrüsenerkrankung habe das SG eine Anerkennung abgelehnt mit Hinweis auf den Bericht der Radarkommission, wonach nur maligne Tumore als Wehrdienstbeschädigung in Frage kämen, die Schilddrüsenerkrankung des Klägers aber gutartig sei. Der Bericht der Radarkommission werde von der Beklagten lediglich so ausgelegt, als ob nur die darin genannten Erkrankungen von ionisierender oder nicht ionisierender Strahlung hervorgerufen werden könnten und alle weiteren Erkrankungen nicht. Dies sei so nicht richtig und auch nicht Gegenstand der Fragestellung an die Sachverständigenkommission gewesen. Die Ausführungen der Beklagten seien insofern unzutreffend und grob irreführend. Im Übrigen haben die Bevollmächtigten auf einen Vergleichsfall hingewiesen, bei dem ein Hodentumor anerkannt worden sei, obwohl der Betroffene ebenfalls am NASARR gearbeitet habe. Auch bei einem weiteren, namentlich genannten Bundeswehrsoldaten, der ebenfalls am NASARR gearbeitet habe, sei die selbe Erkrankung wie beim Kläger, nämlich der Verlust der rechten Niere nach einem Tumor, anerkannt worden. Der Rechtsstreit berühre Fragen, die in der sozialgerichtlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung noch ungeklärt seien (insbesondere die Frage, ob auch gutartige Tumorerkrankungen als Wehrdienstbeschädigung geeignet sein könnten). Die entsprechenden Bescheide aus den Vergleichsfällen haben die Bevollmächtigten beigelegt.

Zu den Arbeitsbedingungen am Luftfahrzeug haben sich die Bevollmächtigten des Klägers auf Nachfrage des Gerichts mit Schreiben vom 03.06.2013 detailliert geäußert und dargelegt, warum der Oberkörper einer Röntgenstörstrahlung ausgesetzt gewesen sei. Zudem haben sie noch auf weitere Strahlungsquellen hingewiesen, denen der Kläger bei der Arbeit ausgesetzt gewesen sei. So seien z. B. Oszilloskope das wichtigste Messgerät bei der Fehlersuche, Reparatur und Systemabgleichung von Radaranlagen gewesen und hätten eine Strahlenbelastung in Oberschenkelhöhe nach sich gezogen. Von der Gefährlichkeit der Strahlenbelastung habe das Radarpersonal keine Kenntnis gehabt.

Die Beklagte hat sich trotz wiederholter gerichtlicher Erinnerung, unter anderem unmittelbar an den Präsidenten des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr, zum klägerischen Schreiben vom 15.11.2011 erst nach über zwei Jahren mit Schreiben vom 13.03.2014 geäußert. Grund für die erhebliche Verzögerung dürfte nach dem Vortrag der Beklagten gewesen sein, dass die für die Bearbeitung derartiger Fälle gebildete „Schwerpunktgruppe Radar“ offenbar nur mit einem einzigen Fachmann besetzt gewesen war, wobei dieser von der Bundeswehrverwaltung zudem zwischenzeitlich mit einer Projektgruppe zu Organisationsfragen beauftragt worden war (Schreiben der Beklagten vom 20.01.2014).

Im Schreiben vom 13.03.2014 hat die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und auf die aus ihrer Sicht zutreffenden Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung hingewiesen. Zudem ist eine Stellungnahme der Strahlenmessstelle der Bundeswehr (Dr. S.) vom 21.02.2014 vorgelegt worden, in der dieser Folgendes ausgeführt hat: Dass Röntgenstrahlung oder Röntgenstörstrahlung nicht streng und definierbar gebündelt würden bzw. so auftreten könnten, sei ein Irrtum des Klägers. Ohne diese Möglichkeit gäbe es keine Computertomographie mit der heute erreichten Bildqualität. Die Radarkommission sei auf Seite 46 ihres Berichts davon ausgegangen, dass sich Kopf und Teile des Oberkörpers direkt im nach oben gerichteten Strahlenbündel befänden. Die Radarkommission gehe also nicht von einer Exposition des gesamten Oberkörpers aus. Eine Emission des Magnetrons auch in seitlicher Richtung sei nicht bewiesen. Ein Argument für eine Exposition der Nieren ergebe sich daher nicht. Die klägerseitige Behauptung, das Magnetron habe auch zur Seite abgestrahlt, sei nicht bewiesen. Aus der fehlenden Angabe der Emissionsrichtung in einem Messprotokoll ergebe sich nicht zwangsläufig die Emissionsrichtung zur Seite. Die Notwendigkeit, die Kontrolle der Bewegung der Antenne in unmittelbarer Nähe dazu ausführen zu müssen, erschließe sich nicht. An der Antenne befinde sich jedenfalls der Hinweis „HANDS OFF“. Es sei auch nicht ersichtlich, wieso diese Prüfung mit eingeschaltetem Magnetron erfolgen habe müssen. Wenn der Kläger angegeben habe, sich bei der Kontrolle der Dichtheit des Hohlleitersystems über den Radarsender gebeugt zu haben und dass sich dabei Arme und Körper über dem Magnetron befunden hätten, erschließe sich nicht, dass das Magnetron in Betrieb sein habe müssen. Aus den auch klägerseitig als bekannt vorgetragenen Warnungen sei eher zu schließen, dass das Magnetron noch gar nicht erst in Betrieb gewesen sei. Den vom Kläger vorgelegten Fotos sei insgesamt kein Beleg dafür zu entnehmen, dass die Nieren in das senkrecht nach oben austretende Röntgenstörstrahlungsbündel geraten könnten. Sofern im Bericht der Radarkommission die Exposition des Oberkörpers angesprochen sei, spiegle dies die Großzügigkeit der Erfassung der Arbeitsplatz- und Expositionsverhältnisse wider. Im Übrigen sei festzustellen, dass die Energie der Röntgenstrahlung des Magnetrons nicht ausreiche, an den Nieren eine Dosis zu erzielen.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben sich dazu mit Schreiben vom 26.06.2014 geäußert. U. a. haben sie darauf hingewiesen, dass sich der angesprochene Warnhinweis „HANDS OFF“ darauf bezogen habe, dass die Antenne nicht als Abstützung benutzt werde. Sie haben weiter darauf aufmerksam gemacht, dass im Verfahren eines namentlich benannten weiteren Soldaten Knochenkrebs (im Oberschenkel) als verursacht durch die Tätigkeit am NASARR betrachtet worden sei Zum Messbericht vom 07.05.1974 haben sie darauf aufmerksam gemacht, dass der verantwortliche Betriebsschutz der betroffenen Bundeswehr eine dringend erforderliche Nachmessung im Bereich des Magnetrons angemahnt habe. Entscheidend sei, wie die Arbeiten real ausgeführt worden seien und nicht, was technisch sinnvoller gewesen sei. Sie haben sich auch zur Lage der Nieren im Bereich des Oberkörpers geäußert.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 07.07.2014 ist der Beklagten die Abgabe eines Anerkenntnisses nahe gelegt worden. Auf Unstimmigkeiten in der Argumentation des Beklagten ist hingewiesen worden.

Mit Schreiben vom 21.07.2014 hat die Beklagte mitgeteilt, dass sie nicht bereit sei, ein Anerkenntnis abzugeben. Mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - der Senat hatte eine solche im Schreiben vom 07.07.2014 überhaupt nicht in den Raum gestellt - bestehe aber Einverständnis. Dazu haben auch die weiteren Beteiligten mit Schreiben vom 29.07.2014 bzw. 01.08.2014 ihr Einverständnis erklärt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 19.10.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 17.04.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.03.2008 festzustellen, dass das Nierenzellkarzinom und die Struma diffusa mit autonomem Adenom Folge einer Wehrdienstbeschädigung sind.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten, des Beigeladenen und des SG Augsburg beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Gründe

Der Senat hat gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, da die Beteiligten - die Beklagte (ungefragt) mit Schreiben vom 21.07.2014, der Kläger mit Schreiben vom 29.07.2014, der Beigeladene mit Schreiben vom 01.08.2014 - dazu ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Berufung ist zulässig und auch begründet.

Der Gerichtsbescheid des SG Augsburg, mit dem die Entscheidung der Beklagten, die Anerkennung von Schädigungsfolgen abzulehnen, bestätigt worden ist, ist ebenso wie der angegriffene Bescheid aufzuheben. Beim Kläger sind der Verlust der linken Niere, der Milz und eines Dickdarmteils nach Nierenkarzinom sowie der Schilddrüsenteilverlust durch operative Entfernung aufgrund einer Schilddrüsenerkrankung im Sinne eines Adenoms und die Schilddrüsenüberfunktion als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen.

Bei seiner Entscheidung stützt sich der Senat auf das vom SG eingeholte Gutachten des Prof. Dr. G. vom 09.06.2011, der, was das Nierenkarzinom angeht, zu der selben Einschätzung gekommen ist wie der Versorgungsarzt der Beklagten Dr. J. in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003. Das Gutachten ist für den Senat überzeugend; er macht es sich zu eigen. Die sachverständige und die versorgungsärztliche Einschätzung zur Nierenerkrankung stehen auch in Einklang mit den Vorgaben des Berichts der Radarkommission. Auch was die Schilddrüsenerkrankung angeht, schließt sich der Senat der überzeugend begründeten Einschätzung des Prof. Dr. G. an.

Der Sachverständige Prof. Dr. G. hat nachvollziehbar erläutert, dass das Nierenzellkarzinom hinreichend wahrscheinlich auf die Strahlenexposition des Klägers als Radarmechaniker/-meister zurückzuführen ist und die Schilddrüsenerkrankung (Adenom) zumindest im Sinn einer Kannversorgung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen ist. Die sich aus der Behandlung dieser Erkrankungen ergebenden weiteren Gesundheitsschäden stellen mittelbare Folgen der Wehrdienstbeschädigung dar.

Wenn sich die Beklagte diesen sachverständigen bzw. versorgungsärztlichen Erkenntnissen verschließt und dies damit begründet, dass die berufliche Belastung des Klägers mit radioaktiver Strahlung nicht dazu geeignet sei, die vorliegenden Erkrankungen zu verursachen, kann dies nicht überzeugen.

1. Voraussetzungen für die Anerkennung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung - Allgemeines

Eine Wehrdienstbeschädigung ist gemäß § 81 Abs. 1 SVG eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist.

Entsprechend den vorgenannten Bestimmungen setzt die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R): Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (= „Wehrdienstbeschädigung“) (2. Glied) geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen (= „Folge einer Wehrdienstbeschädigung“) (3. Glied) bedingt. Dabei ist eine trennscharfe Differenzierung zwischen dem 2. und dem 3. Glied oftmals praktisch nicht möglich und daher verzichtbar; auch im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung wird dies so praktiziert.

Die zwei bzw. drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Dies bedeutet, dass kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R). Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG). Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66). Haben mehrere Ursachen zu einem Schaden beigetragen, ist eine vom Schutzbereich des SVG umfasste Ursache dann rechtlich wesentlich, wenn nicht die andere(n), nicht dem Schutzbereich des SVG unterfallende(n) Ursache(n) eine überragende Bedeutung hat (haben) (vgl. Urteil des Senats vom 19.07.2011, Az.: L 15 VS 7/10 - m. w. N. zur Rechtsprechung des BSG) und die vom Schutzbereich des SVG umfasste Ursache nicht völlig in den Hintergrund drängt (drängen) (vgl. Urteil des Senats vom 02.07.2013, Az.: L 15 VS 9/10).

Für unfallunabhängige Gesundheitsstörungen, in denen wesensmäßig die Nachweisführung eines Zusammenhangs aufgrund eines konkreten Anlassereignisses erheblich erschwert ist, bestimmt sich der versorgungsrechtlich geschützte Bereich nach dem SVG nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Dieses unterliegt dem Listenprinzip mit der Öffnungsklausel des § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), wobei hierdurch nur ein Vorgriff auf eine Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) möglich ist (ständige Rspr., vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18.06.2013, Az.: B 2 U 3/12 R).

Bei der Beurteilung unfallunabhängiger Gesundheitsstörungen von Soldaten ist aber zu berücksichtigen, dass die Belastungen im Wehrdienst nicht selten solche sind, die in zivilen Berufen nicht auftreten. Daher wäre es zu kurz gegriffen, sich uneingeschränkt an den unfallversicherungsrechtlichen Vorgaben und Erkenntnissen zu Berufskrankheiten oder berufskrankheitenreifen Erkrankungen zu orientieren. Vielmehr ist der Rechtsgedanke des § 9 Abs. 2 SGB VII dahingehend aufzugreifen, dass von einer „Berufskrankheitenreife“ im soldatenversorgungsrechtlichen Sinn auch dann auszugehen ist, wenn die Krankheit zwar nicht in der Liste der BKV aufgenommen ist, der Dienstherr (= Bundeswehr) aber wegen einer erkannten Gefährdung der Soldaten handeln müsste, wenn es eine explizite Regelung wie die BKV auch für soldatenspezifische Erkrankungen gäbe. Davon ist dann auszugehen, wenn eine Situation gegeben ist, in der bekannt geworden ist, dass bestimmte Einwirkungen, denen Soldaten im Dienst in höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, zur Entwicklung bestimmter Krankheiten beitragen können, für die medizinstatistisch nachgewiesen ist, dass die Zahl der Erkrankungen von Soldaten signifikant höher als in der Allgemeinbevölkerung ist (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 25/92). Wenn das BSG dies im Urteil vom 11.10.1994, Az.: 9 BV 55/94, dahingehend formuliert hat, dass dafür „besondere außerordentliche Belastungen, die typischerweise nur unter den Bedingungen des Krieges auftreten“, erforderlich wären, ist diese Formulierung missverständlich. Denn eine gesetzliche Grundlage für diese Orientierung am Krieg geben die Regelungen des SVG nicht her; vielmehr wird dort (§ 81 Abs.1 SVG) ausdrücklich auf „die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse“ abgestellt, womit eine Abgrenzung von auch im zivilen Leben vorkommenden Belastungen hergestellt wird. Wehrdiensteigentümliche Verhältnisse sind daher solche, die der Eigenart des militärischen Dienstes entsprechen und im Allgemeinen mit dem Dienst eng verbunden sind. Damit werden all die nicht weiter bestimmbaren Einflüsse des Wehrdienstes erfasst, die aus der besonderen Rechtsnatur des Wehrdienstverhältnisses und der daraus resultierenden Beschränkung der persönlichen Freiheit des Soldaten resultieren (vgl. Lilienfeld, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl. 2012, § 81 SVG, Rdnr. 29). Eine kriegsähnliche Belastung zu verlangen, würde zu weit gehen; ausreichend aber auch erforderlich ist eine Belastung, wie sie im zivilen Leben so nicht oder nicht in vergleichbarem Maß vorkommt. Bei der Abgrenzung zwischen wehrdiensteigentümlichen und zivilen Verhältnissen ist von den normalen Umständen und Verhaltensweisen sowie den durchschnittlichen Gefährdungen im Zivilleben auszugehen (vgl. Sailer, in: Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl. 1992, § 81 SVG, Rdnr. 27; Urteil des Senats vom 02.07.2013, Az.: L 15 VS 9/10).

Zu berücksichtigen als weitere Abweichung vom Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist zudem, dass im Versorgungsrecht der rechtlich wesentliche Kausalzusammenhang zwischen einer Gesundheitsstörung und einem dienstlichen Unfall oder wehrdiensteigentümlichen Belastungen nicht nur mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit hergestellt werden kann, sondern auch die Möglichkeit einer Kannversorgung gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG besteht. Es handelt sich dabei um Fälle, bei denen die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs nur deshalb nicht hergestellt werden kann, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Von Ungewissheit ist auszugehen, wenn es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, Az.: B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, Az.: 9 RV 17/94, und vom 17.07.2008, Az.: B 9/9a VS 5/06). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, Az.: 9/9a RV 41/92).

Zusammengefasst bedeutet dies, dass ein unfallunabhängiger Gesundheitsschaden unter folgenden Gesichtspunkten als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden kann:

- Alternative 1: Die Gesundheitsstörung ist in der BKV als Berufskrankheit anerkannt.

- Alternative 2: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht eine sogenannte Berufskrankheitenreife im Sinn des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung.

- Alternative 3: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht eine Berufskrankheitenreife im oben aufgezeigten soldatenversorgungsrechtlichen Sinn.

- Alternative 4: Wenn die vorgenannte Bedingung nicht erfüllt ist: Es besteht über die Ursache des Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit, es gibt aber wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung, die die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs positiv vertritt.

2. Zu den hier im Raum stehenden Erkrankungen:

2.1. Nierenzellkarzinom mit Folgeerkrankungen

Das durchgemachte Nierenzellkarzinom mit den sich daraus ergebenden Folgeschäden (Verlust der linken Niere, Verlust der Milz und eines Teils des Dickdarms) ist als Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn der o. g. Alternative 1 anzuerkennen.

2.1.1. Potentiell schädigender Vorgang

Der Kläger war im Rahmen seines Wehrdienstes ionisierender Strahlung (Röntgenstörstrahlung) in einem Umfang ausgesetzt, der potentiell kanzerogene Wirkung hat.

Der Kläger arbeitete von 1971 bis 1987 zunächst als Radarmechaniker, dann als Radarmechanikermeister am Flugzeug F-104 G, das mit dem Vorwärtssichtradar NASARR ausgestattet war.

Bei dieser Tätigkeit war der Kläger in so erheblichem Umfang ionisierender Strahlung ausgesetzt, dass eine für die Verursachung einer Krebserkrankung als ausreichend anzusehende Strahlenbelastung im Sinn der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV vorgelegen hat. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus den Ausführungen des Berichts der vom Bundesministerium der Verteidigung auf Ersuchen des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags einberufenen Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der NVA (Radarkommission) vom 02.07.2003. Die strahlenbelastende Tätigkeit des Klägers fällt im Umfang von fast vier Jahren in den von der Radarkommission als Phase I (bis Ende 1975) bezeichneten Zeitraum, in dem „eine belastbare Dosisrekonstruktion aufgrund von Messdaten praktisch unmöglich ist“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23) und in der auch weitgehend keine Strahlenschutzmaßnahmen getroffen worden sind. Daran hat sich (ab 1976) eine Zeit angeschlossen, „in der die Zahl der Messungen deutlich anstieg und in der erste Strahlenschutzmaßnahmen durchgeführt wurden“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23), so dass ab dieser Zeit eine prinzipielle Dosisabschätzung möglich ist, sofern eine ausreichende Zahl von Messungen vorliegt, was aber vorliegend, d. h. betreffend das NASARR, nicht der Fall zu sein scheint, wenn die Angaben der Beklagten zugrunde gelegt werden, wonach nur eine einzige Messung durchgeführt worden sein soll. Dabei hat die Radarkommission aber auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in dieser zweiten Phase nach wie vor alte Systeme, d. h. ohne Strahlenschutz, weiter eingesetzt worden sind und dieser Zustand teilweise weit bis in die 80er Jahre hinein angehalten hat, was insbesondere auch für das NASARR gilt, an dem der Kläger eingesetzt war (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 23). So gibt es offenbar nur ein einziges Messprotokoll zum NASARR aus dem Jahr 1974 (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 22). Die Radarkommission hat zudem darauf hingewiesen, dass gerade dann, wenn nur wenige Messwerte vorliegen, „eine Unterschätzung nicht auszuschließen ist“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 24).

Ausgehend von diesen Ausführungen im Bericht der Radarkommission, der als antizipiertes Sachverständigengutachten betrachtet werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 02.10.2008, Az.: B 9 VS 3/08 B - m. w. N.) ist eine potentiell schädigende Strahlenbelastung im Vollbeweis nachgewiesen.

Dies hat letztlich auch die Beklagte zugestanden, wenn sie ab der Überprüfung nach Vorlage des Berichts der Radarkommission im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ihre Ablehnung nicht mehr auf eine angeblich nicht ausreichende Strahlenbelastung gestützt hat, wie sie dies noch im Verwaltungsverfahren getan hat. Der Senat sieht daher auch keinen Anlass, sich mit der völlig unplausiblen Berechnung der Beklagten im Verwaltungsverfahren auseinanderzusetzen, in dem diese eine effektive Gesamtdosis von 5,9 mSv „berechnet“ hat und zu der Einschätzung gekommen ist, dass die Strahlenbelastung des Klägers nicht den für die allgemeine Bevölkerung geltenden Grenzwert übersteige. Denn für diese pseudogenaue Berechnung fehlen, wie dies der Bericht der Radarkommission überdeutlich klar gemacht hat, jegliche zuverlässigen Messwerte. Die von der Beklagten zulasten des Klägers eingebrachte Messung steht in eklatantem Widerspruch zu den Ausführungen der Radarkommission.

Keiner weiteren Erörterung bedarf die Frage weiterer potentieller Strahlenbelastungen des Klägers durch radioaktive Leuchtfarben oder die Verwendung von Oszilloskopen, die ebenfalls Röntgenstörstrahlung aussenden. Denn diese weiteren Belastungsfaktoren sind angesichts der durch die Arbeit am

NASARR nachgewiesenen Belastung durch Röntgenstörstrahlung nicht mehr entscheidungserheblich. Der Senat braucht sich daher auch nicht damit zu befassen, ob die Beklagte ordnungsgemäß ihrer Mitwirkungspflicht durch die Vorlage nur ihr bekannter Daten und Messwerte nachgekommen ist, was vom Kläger nicht unfundiert in Zweifel gezogen worden ist und auch angesichts des Prozessverhaltens der Beklagten (z. B. Vorlage der teilweise geschwärzten Stellungnahme vom 09.06.2009, Verschweigen von Messdaten, die sich aus dem in den Beklagtenakten enthaltenen Messprotokoll ergeben - Strahlung des Magnetrons auch zur Seite) fraglich erscheint, oder ob die Beklagte gezielt und ausgewählt nur solche Fakten dem Gericht angegeben hat, die sie dem Begehren des Klägers entgegen halten kann.

2.1.2.

Kausalität zwischen Belastung durch ionisierende Strahlung und Nierenzellkarzinom

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. G., der auch Mitglied der Radarkommission war, hat die vorliegenden Unterlagen sorgfältig ausgewertet und ist in seinem Gutachten vom 09.06.2011 mit nachvollziehbarer und überzeugender Begründung zu der Einschätzung gekommen, dass das Nierenzellkarzinom hinreichend wahrscheinlich auf die wehrdienstbedingte Strahlenbelastung des Klägers zurückzuführen ist. Dabei hat er sich u. a. auch mit möglichen Alternativursachen befasst und diese ausgeschlossen. Die aus der Behandlung des Karzinoms resultierenden weiteren Gesundheitsschäden (Entfernung eines Teils des Dickdarms und der Milz) stehen als mittelbare Folgeschäden ebenfalls in einen hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang mit der wehrdienstbedingten Strahlenbelastung.

Diese Beurteilung des Sachverständigen macht sich der Senat zu eigen. Sie steht in Übereinstimmung mit den Festlegungen im Bericht der Radarkommission und den Vorgaben im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 (vgl. Bek. des BMA vom 13.05.1991, BArbBl. 7-8/1991, S. 72 ff.) bzw. der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKV (vgl. Bek. des BMAS vom 24.10.2011, Az.: IVa 4-45222-2402, GMBl. 2011, Nr. 49 - 51, S. 983 - 993).

Angesichts der klaren sachverständigen Ausführungen verzichtet der Senat auf weitere Ausführungen zum Gutachten und verweist auf die dortigen Erläuterungen. Die sachverständige Einschätzung wird im Übrigen auch vom versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten (Stellungnahme des Dr. J. vom 18.09.2003) geteilt und hat auch Eingang in den ersten Entwurf eines Beschwerdebescheids vom November 2003 gefunden, dem aus hier nicht nachvollziehbaren Gründen von der Wehrbereichsverwaltung Süd die Zustimmung versagt worden ist.

Sofern die Beklagte Einwendungen gegen dieses Gutachten erhebt, kann sich der Senat dem nicht anschließen:

- Wenn die Beklagte bereits vor Erteilung des Gutachtensauftrags

o dem Gericht mit Schreiben vom 26.11.2008 mitgeteilt hat, dass sie mit der Einholung eines Gutachtens bei Prof. Dr. G. „nicht einverstanden“ sei, da er „sehr spezielle Ansichten“ vertrete,

o zudem mit Schreiben vom 23.02.2009 das Gericht darüber informiert hat, dass die Bundeswehr „diesem Gutachten nicht folgen“ werde, und

o schließlich mit Schreiben der „Schwerpunktgruppe Radar“ vom 16.06.2010 diesem Sachverständigen pauschal jegliche fachliche Eignung abgesprochen hat,

sind diese Einwände nicht ansatzweise nachvollziehbar und nicht auf Fakten gestützt, sondern beruhen ausschließlich auf sachfremden Unterstellungen, Mutmaßungen und subjektiven Meinungsäußerungen von Vertretern der Beklagten, wie sie in einem gerichtlichen Verfahren keinen Raum haben können. Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass der Sachverständige Mitglied der Radarkommission war. Ihm angesichts dieser Berufung fehlende Sachkenntnis zu unterstellen, überrascht und würde auch die Kompetenz der Beklagten in Gestalt des Bundesministeriums der Verteidigung, das die Radarkommission eingesetzt hat, massiv in Frage stellen. Der Senat kann sich die unsachliche Vorabkritik der Beklagten am Sachverständigen daher nur so erklären, dass, soweit dem Senat bekannt ist, dieser im Zusammenhang mit der Erstellung des Berichts der Radarkommission bemängelt hat, dass die Bundeswehr nur unzureichend Materialien zur Verfügung gestellt habe. Allein aus dieser Kritik, die der Senat im Übrigen aufgrund der in diesem Verfahren gemachten Erfahrungen - so musste er auf eine am 15.03.2012 erbetene Stellungnahme zwei Jahre warten, wobei die Stellungnahme erst nach Einschaltung des Präsidenten des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr abgegeben worden ist und nicht einmal ganze sechs Seiten umfasst hat - nicht für fernliegend hält und die im Übrigen auch dem Bericht der Radarkommission selbst zu entnehmen ist (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 25: „Die von der Kommission erbetenen Informationen ... konnten von der Bundeswehr nicht geliefert werden.“), eine fehlende Sachkunde des Sachverständigen abzuleiten, ist mehr als fernliegend. Im Übrigen hat sich der von der Beklagten vorweg erhobene Vorwurf auch nicht nach Vorlage des Gutachtens bestätigt. Dafür, aus dem in diesem Verfahren erstellten Gutachten auf eine fehlende Sachkunde oder gar eine Parteilichkeit des Sachverständigen zu schließen, gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt. Die Vorwürfe und Vorhaltungen der Beklagten entbehren insofern jeglicher sachlicher Grundlage und können nur auf rein subjektiven Gründen beruhen. Ob und wenn ja welche weiteren Gründe für die objektiv nicht haltbare Ablehnung des Sachverständigen durch die Beklagte bestehen, hat die Beklagte nicht offengelegt, so dass nur unsachliche und damit nicht äußerungsfähige Gründe vermutet werden können. Bezeichnend ist jedenfalls, dass sich die Beklagte gehütet hat, den Sachverständigen formal wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, was sich aufgrund ihres Vortrags aufgedrängt hätte. Letztlich können die nicht offengelegten wahren Gründe der Beklagten mangels Entscheidungsrelevanz dahingestellt bleiben.

- Der Vortrag der Beklagten dahingehend, dass die Entstehung eines Nierentumors durch den Bericht der Radarkommission ausgeschlossen sei, findet in diesem Bericht keine Stütze; im Übrigen ist die Behauptung eines (generellen) Ausschlusses eines Ursachenzusammenhangs auch nachweislich falsch. An keiner Stelle in diesem Bericht ist ausgeführt, dass ein Nierenzellkarzinom nicht durch ionisierende Strahlung verursacht sein könnte. Vielmehr ist sowohl im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 1991 als auch in der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 die Niere ausdrücklich unter den strahlenempfindlichen Organen in Hinsicht auf die Verursachung maligner Erkrankungen aufgelistet.

- Sofern die Beklagte argumentiert, das Nierenzellkarzinom könne schon deshalb nicht durch die wehrdienstliche Tätigkeit des Klägers verursacht sein, weil sich die Nieren nicht in dem nach dem Bericht der Radarkommission strahlungsexponierten Körperbereich befunden hätten, ist dies falsch. Es liegt der Eindruck sehr nahe, dass die Beklagte die einschlägigen Vorgaben des Berichts der Radarkommission falsch darstellt, um berechtigte Ansprüche des Klägers abzuwehren.

Nach dem Bericht der Radarkommission ist bei der Tätigkeit am NASARR davon auszugehen, dass sich „Kopf und Teile des Oberkörpers direkt im nach oben gerichteten Strahlenbündel befanden“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 46). Diese Formulierungen können aber nicht - wie dies die Beklagte möchte - dahingehend interpretiert werden, dass bei der Arbeit am NASARR nur eine Exposition in den obersten Teilen des Oberkörpers vorgelegen haben kann. Ein derartiger Ausschluss lässt sich weder dem Bericht der Radarkommission entnehmen noch findet er eine Stütze im (detaillierteren) Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR. Im Übrigen verkennt die Beklagte auch, dass der Radarbericht die Formulierung „Teile des Oberkörpers“ nur in Zusammenhang mit einer ganz bestimmten Tätigkeit am NASARR verwendet, nämlich bei den „langwierigen Einstellarbeiten des Sender-Magnetrons“ (vgl. S. 46 des Berichts).

- Wenn die Beklagte durch den Leiter der Strahlenmessstelle Dr. S. in der Stellungnahme vom 21.02.2014 vorträgt, die Strahlung am NASARR sei einzig und allein nach oben gerichtet gewesen und es habe sich um ein eng umgrenztes Strahlenbündel gehandelt, was durch Röntgenfilme dokumentiert sei, ist auch diese Behauptung nachweislich falsch und verschweigt Erkenntnisse, wie sie die Beklagte selbst gewonnen, dokumentiert und vorgelegt hat.

Aus den Messwerten, wie sie im Teilbericht NASARR (dort Tabelle 2 auf S. 5) dokumentiert sind, ergibt sich zweifelsfrei eine nicht unerhebliche, vom Magnetron des NASARR zur Seite gerichtete Strahlung. Es mag zwar durchaus richtig sein, dass das Magnetron (gezielt) nach oben strahlt und dieses Strahlenbündel vergleichsweise punktgenau ist. Daneben kann aber nicht, wie dies durch die Beklagte erfolgt, verdrängt werden, dass auch zur Seite eine Strahlenbelastung erfolgt.

Auch der Bericht der Radarkommission widerlegt die Behauptung der Beklagten einer ausschließlich nach oben erfolgenden eng umgrenzten Strahlung. So wird dort (vgl. S. 59 des Berichts) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Arbeit auf der Testbank durch Reflexionen an metallischen Flächen (z. B. Fenster- und Türrahmen) erhebliche Strahlenbelastungen und Grenzwertüberschreitungen um 100% auftreten können, ohne dass dafür Fehler an den Radargeräten vorliegen hätten müssen. Gerade in Reparaturhallen ist nach dem Bericht der Radarkommission (vgl. S. 61 des Berichts) wegen der erhöhten Reflexion von einem hohen Risiko einer Überexposition auszugehen. Neben der seitlich aus dem Magnetron austretenden Strahlung gab es daher auch infolge Reflexionen erhebliche Strahlenbelastungen außerhalb des eng nach oben gerichteten Strahlenbündels des Magnetrons.

Wenn dazu der Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. mit Schreiben vom 21.02.2014 behauptet, dass die Annahme des Klägers, das Magnetron habe auch zur Seite gestrahlt, nicht bewiesen sei, kann dies in Anbetracht der vorgenannten Ausführungen sowohl im Bericht der Radarkommission als auch im Teilbericht NASARR nur als wahrheitswidriger Vortrag bezeichnet werden. Ob und inwieweit angesichts eines derartigen Verhaltens auch weitere Angaben der Beklagten nicht nur in diesem gerichtlichen Verfahren genauerer Nachprüfung bedürfen, sei an dieser Stelle mangels Entscheidungserheblichkeit dahingestellt.

Ebenso sieht es der Senat als irreführend und nachweislich falsch an, wenn durch den Leiter der Strahlenmessstelle vorgetragen wird, es sei ein Irrtum des Klägers, wenn dieser meine, dass die Röntgenstrahlung oder Röntgenstörstrahlung des NASARR nicht streng und definierbar gebündelt würde, und dies mit dem Hinweis darauf begründet wird, dass es ohne diese strenge Bündelung keine Computertomographie mit der heute erreichten Bildqualität gebe. Vom heutigen (!) Stand der Computertomographie auf die Belastung eines militärisch vor über 40 Jahren genutzten Geräts zu schließen, ist fernab jeglicher Nachvollziehbarkeit. Dies gilt umso mehr, als der erste kommerzielle Computertomograph zur klinischen Anwendung erst im Jahr 1972, also zu einer Zeit, als der Kläger schon als Radarmechaniker arbeitete, in Betrieb genommen worden ist (vgl. Jach, Einsatz der Dosismodulation in der Mehrschicht-Computertomographie der Kopf-/Halsregion, Diss. 2008, S. 13) und die damaligen Geräte im Vergleich zu heutigen Geräten eine nur sehr eingeschränkte Funktionalität hatten. Im Übrigen suggeriert der Vortrag des Dr. S., dass neben dieser gezielten Strahlung keine andere Strahlung vorhanden gewesen wäre. Dies ist aber - wie bereits erläutert - nachweislich nicht richtig.

- Fast grotesk mutet das Argument des Leiters der Strahlenmessstelle Dr. S. an, wenn er mit dem an der Antenne angebrachten Hinweis „HANDS OFF“ suggerieren will, dass damit die Gefährlichkeit des Geräts durch ionisierende Strahlung zum Ausdruck gebracht würde und daher die Arbeiten mit entsprechend großem Abstand zum Gerät durchgeführt worden wären. Der Hinweis „HANDS OFF“ kann sich nämlich nicht auf eine Strahlenexposition beziehen, sondern nur darauf, dass die Antenne aus mechanischen Gründen nicht zu berühren sei. Dies ergibt sich zwingend aus dem Inhalt des Warnhinweises, der ein Berühren verhindern will. Das Berühren der Antenne an sich ist aber völlig ungefährlich, solange der Kontakt nicht in dem Austrittsort der nach dem Vortrag des Dr. S. enggebündelten Strahlung erfolgt. Wenn schon ein Hinweis auf radioaktive Strahlung erfolgen hätte sollen, hätte dieser ganz anders lauten müssen; „HANDS OFF“ wäre in diesem Fall ein völlig untauglicher Hinweis gewesen. Im Übrigen - auch das ist dem Bericht der Radarkommission zu entnehmen - ist offenbar erst in der von der Radarkommission als zweite Phase ab 1976 bezeichneten Zeit dem bis dahin völlig vernachlässigten Strahlenschutz auch durch entsprechende Arbeitsanweisungen Rechnung getragen worden (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 9, 23, 130). Dies beweist, dass mit „HANDS OFF“ zumindest in der ersten Phase, in der der Kläger auch tätig war, keinesfalls vor Röntgenstörstrahlung gewarnt wurde. Im Übrigen hat die Bundeswehr zwar auch schon bis Mitte der 70er Jahre Strahlenwarnzeichen - die nicht mit dem Hinweis „HANDS OFF“ verwechselt werden dürfen - verwendet, wobei sich diese Warnzeichen nicht auf Röntgenstrahlung bezogen haben (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 9). Die Behauptungen des Dr. S. stehen zu diesen Ausführungen im Bericht der Radarkommission in einem konträren und sachlich nicht ansatzweise erklärbaren Widerspruch.

- Wenn der Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. die Strahlenexposition des Klägers dadurch als kleiner erscheinen lassen will, dass er es als nicht ersichtlich bezeichnet, warum bestimmte Arbeitsschritte mit eingeschaltetem Magnetron erfolgen hätten müssen, mag diese Fragestellung aus heutiger Sicht berechtigt sein. Zu der Zeit, in der der Kläger als Radarmechaniker tätig war (ab 1971), spielte der Strahlenschutz in der täglichen Praxis der Bundeswehr aber keine (wesentliche) Rolle (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 130). Auch die Radarkommission hat in diesem Zusammenhang bei der Ermittlung der Exposition bei Arbeiten am NASARR deshalb empfohlen, „vorrangig Angaben der Antragsteller zu ihren individuellen Tätigkeiten ... zugrunde zu legen“ (vgl. Bericht der Radarkommission, S. 47). Der Senat folgt daher auch den Angaben des Klägers im Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 03.06.2013, in dem er sich dezidiert zu den Arbeitsbedingungen geäußert hat; irgendeinen Grund, den Angaben des Klägers nicht zu folgen, kann der Senat nicht erkennen, da die Angaben des Klägers in sich schlüssig und angesichts der zur Zeit der belastenden Tätigkeit vorliegenden Erkenntnisse zur Gefährlichkeit und dem damals auch von Seiten des Arbeitgebers Bundeswehr fehlenden Problembewusstseins zum Thema Röntgenstörstrahlung plausibel sind und nicht ansatzweise ein Hinweis darauf erkennbar ist, dass sich der Kläger durch falsche Angaben einen versorgungsrechtlichen Vorteil verschaffen möchte. Wenn die Beklagte suggerieren will, dass der Kläger die Arbeiten nicht bei eingeschaltetem Radarsender durchgeführt habe, steht dies im Übrigen auch im Widerspruch zu den Ausführungen im Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR (dort vgl. S. 9). Danach ist es für den Senat nachgewiesen, dass, um eine beste Einsatzfähigkeit des NASARR zu erhalten, die meiste Zeit mit hoher Sendeleistung gearbeitet worden ist, zumal von der Gefährlichkeit des Magnetrons damals nichts bekannt gewesen war.

- Das medizinische Argument, das die Beklagte durch einen Nichtmediziner vorgetragen hat, nämlich dass ein Nierentumor nicht strahlungsbedingt entstanden sein könne, weil die Niere nicht Teil des Oberkörpers sei, ist durch die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen und durch medizinische Standardwerke widerlegt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Nierentumor an der höher gelegenen linken Niere und dort am oberen Pol entstanden ist, also an der absolut betrachtet obersten, also kopfnächsten Stelle der Nieren.

Dass die Beklagte von der anatomisch unrichtigen Annahme ausgeht, dass die Nieren im Beckenbereich gelegen seien, entnimmt der Senat auch der Stellungnahme des Dr. S. vom 04.09.2006. Dieser hat im Rahmen der Frage, ob der Nierentumor des Klägers strahlenbedingt sein könne, darauf hingewiesen, dass auch bei einem körperlich größeren Techniker der Bereich des Beckens nicht gegenüber Röntgenstörstrahlung exponiert werden könne.

- Aber selbst dann, wenn dem Beklagten bezüglich seiner falschen Argumentation zur Niere gefolgt würde und damit davon auszugehen wäre, dass die Niere in einem grenzwertig strahlenexponierten Körperbereich liegen würde, würde dies nach den expliziten Feststellungen im Bericht der Radarkommission (vgl. dort S. 47) einer Anerkennung nicht entgegen stehen, da die Kommission der Auffassung ist, „dass für alle Tätigkeiten, für die eine Exposition aller Körperpartien geometrisch betrachtet nicht sicher auszuschließen ist, die Annahme, dass das erkrankte Organ einer Strahlenexposition ausgesetzt war, die durch die maximale Ortsdosisleistung bestimmt wird, die einzig mögliche Grundlage einer Dosisabschätzung darstellt.“ Da eine Nierenexposition - auch nach der Argumentation der Beklagten - nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist die maximale Ortsdosisleistung als Strahlungsbelastung zugrunde zu legen. Wenn dies die Beklagte dadurch in Abrede stellen will, dass sie den Bericht der Radarkommission insofern nicht zur Kenntnis nehmen will, wirkt dies zumindest befremdlich und legt - zum wiederholten Mal - den Eindruck nahe, dass der Tatsachenvortrag der Beklagten sehr selektiv und daran orientiert erfolgt, was ihr bei der Abwehr von Ansprüchen nützlich sein könnte.

- Wenn die Beklagte zum Ende des Berufungsverfahrens die Anerkennung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung dadurch abzuwehren versucht, dass sie durch den Leiter der Strahlenmessstelle der Bundeswehr Dr. S. mit Schreiben vom 21.02.2014, dessen Anfertigung rund zwei Jahre gedauert hat, vortragen lässt, dass die Energie der Röntgenstrahlung nicht ausreiche, an den Nieren eine Dosis zu erzielen, ist auf Folgendes hinzuweisen: Zunächst verwundert es, dass ein Nichtmediziner der Bundeswehr meint, über so große Fachkunde auf medizinischem Gebiet zu verfügen, dass er diese medizinische Frage zu beantworten vermag. Der ärztliche Sachverständige Prof. Dr. G., dessen medizinische Sachkunde für den Senat außer Zweifel steht, hat dies ganz anders eingeschätzt; diese ärztlichsachverständige Einschätzung macht sich der Senat zu eigen. Auch der Versorgungsarzt der Beklagten Dr. J. hat in einer vermeintlich nicht ausreichenden Eindringtiefe in seiner Stellungnahme vom 18.09.2003 kein Problem gesehen. Insofern ist die (gewissermaßen fachfremde) Äußerung des Dr. S. ein erneuter Beleg für eine mit großen Vorbehalten zu sehende Vorgehensweise der Beklagten. Dass die Behauptung des Dr. S. auf der Basis medizinischer Erkenntnisse nicht nachvollziehbar ist, ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass die Nieren sowohl im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 1991 als auch in der sich anschließenden wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 ausdrücklich unter den strahlenempfindlichen Organen in Hinsicht auf die Verursachung maligner Erkrankungen aufgelistet wird.

- Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies noch Entscheidungsrelevanz hätte, weist der Senat darauf hin, dass es in vergleichbaren Fällen von Radarmechanikern am Flugzeug F-104 - von der Beklagten unwidersprochen - zu Anerkennung eines Nierentumors, eines Hodentumors und auch von Knochenkrebs am Oberschenkel gekommen ist. Würde der jetzigen Argumentation der Beklagten gefolgt, hätte es zu solchen Anerkennungen nie kommen können.

2.2. Schilddrüsenadenom mit daraus resultierender Teilentfernung der Schilddrüse und Schilddrüsenüberfunktion

Das Schilddrüsenadenom mit daraus resultierender Teilentfernung der Schilddrüse und die Schilddrüsenüberfunktion sind als Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinn der o. g. Alternative 4 (vgl. oben Ziff. 1 a.E.) anzuerkennen.

2.2.1. Potentiell schädigender Vorgang

Die ionisierende Strahlung (Röntgenstörstrahlung), der der Kläger im Rahmen seines Wehrdienstes als Radarmechaniker/-meister ausgesetzt war (vgl. dazu oben Ziff. 2.1.1.), hat auch potentiell schädigende Wirkung auf die Schilddrüse in dem Sinn, dass dadurch die Bildung gutartiger Schilddrüsentumore (Adenome) verursacht werden kann, wie die im Gutachten des Prof. Dr. G. vom 09.06.2011 angeführten Studien zeigen.

2.2.2. Kausalität zwischen Belastung durch ionisierende Strahlung und Adenom der Schilddrüse

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. G. hat die vorliegenden Unterlagen sorgfältig ausgewertet und ist in seinem Gutachten vom 09.06.2011 mit nachvollziehbarer und überzeugender Begründung zu der Einschätzung gekommen, dass das Adenom sowie die Schilddrüsenüberfunktion zwar nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, aber doch im Sinn der Kannversorgung gemäß § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG auf die wehrdienstbedingte Strahlenbelastung des Klägers zurückzuführen sind. Der aus der Behandlung des Adenoms resultierende weitere Gesundheitsschaden (Teilentfernung der Schilddrüse) steht als mittelbarer Folgeschaden in einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang mit der Adenomoperation und damit mit der wehrdienstbedingten Strahlenbelastung.

Diese Beurteilung des Sachverständigen macht sich der Senat zu eigen. Sie steht in Einklang mit den rechtlichmedizinischen Voraussetzungen der Kannversorgung.

Es ist unstrittig, dass bezüglich der Entstehung gutartiger Tumore der Drüsen, hier des Schilddrüsenadenoms, in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit in dem Sinn besteht, dass es keine einheitliche Lehrmeinung, sondern allenfalls verschiedene ärztliche Lehrmeinungen zur Entstehungsursache gibt. Dies ist auch dem Gutachten des Prof. Dr. G. zu entnehmen, wenn dieser potentielle Ursachen sowie zwei Studien benennt, die ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko des Auftretens von gutartigen Schilddrüsentumoren aufzeigen. Eine einheitliche Lehrmeinung hat sich bis heute nicht entwickelt. Aufgrund dieser Studien und den dort entwickelten Kriterien ist nach den Ausführungen des Sachverständigen davon auszugehen, dass das Adenom des Klägers infolge der Strahlenbelastung entstanden ist. Dies bedeutet, dass nach zumindest einer, den Studien zugrunde liegenden Lehrmeinung, die noch nicht als einheitliche Lehrmeinung anerkannt ist, das Adenom des Klägers und die Schilddrüsenüberfunktion hinreichend wahrscheinlich auf die wehrdienstliche Strahlenbelastung zurückzuführen sind. Die Voraussetzungen der Kannversorgung sind damit gegeben.

Bedenken, der Einschätzung des Sachverständigen zu folgen, hat der Senat nicht:

- Der Bewertung des Sachverständigen steht nicht entgegen, dass der Bericht der Radarkommission eine Anerkennung von gutartigen Tumoren nicht explizit vorsieht. Wenn die Beklagte suggeriert, dass durch die Nichterwähnung gutartiger Tumore im Bericht der Radarkommission belegt sei, dass eine Anerkennung derartiger Erkrankungen überhaupt nicht, auch nicht im Weg der Kannversorgung, in Betracht gezogen werden dürfe, ist diese Argumentation falsch und verschleiert den Grund, warum im Bericht der Radarkommission gutartige Tumore nicht thematisiert worden sind. Es ist allgemein bekannt, dass sich die Radarkommission angesichts des großen Zeitdrucks allein auf bösartige Tumore und Katarakte beschränkt hat, ohne damit irgendeine Aussage zur Kausalität anderer Erkrankungen zu treffen.

- Die Tatsache, dass in den früher geltenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in der letzten Fassung vom Jahr 2008 zu gutartigen Geschwülsten (vgl. AHP 2008 Nr. 142.5) darauf hingewiesen wird, dass diese „im allgemeinen nicht durch äußere Einwirkungen verursacht“ werden, steht der Anerkennung des Adenoms im Rahmen der Kannversorgung nicht entgegen. Ganz abgesehen davon, dass die AHP mangels Gesetzeskraft einen derartigen Ausschluss überhaupt nicht konstituieren hätten können, sind sie durch die jetzt geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen abgelöst worden, die überhaupt keine Auflistung von im Weg der Kannversorgung anerkennungsfähiger oder auszuschließender Erkrankungen enthalten. Zudem belegt gerade die Formulierung „im allgemeinen“ in den AHP, dass ein allumfassender Ausschluss einer Anerkennungsfähigkeit gerade nicht gegeben ist. Wenn die Beklagte in diesem Zusammenhang weiter mit Stellungnahme vom 01.09.2011 argumentiert, dass „Ausnahmen bzgl. der Schilddrüsenadenome ... in den AHP nicht genannt“ würden, daher deren Ätiologie nicht ungeklärt sei und daher die Kannversorgung keine Anwendung finde, gibt es für diese Begründung in den AHP nicht ansatzweise eine Stütze; vielmehr verfälscht diese Argumentation die Vorgaben der AHP eklatant. Die Beklagte verschweigt völlig, dass in den AHP für gutartige Geschwülste überhaupt keine Ausnahmen explizit aufgezeigt sind. Aus der fehlenden positiven Erwähnung eines Schilddrüsenadenoms kann daher nicht der Rückschluss gezogen werden, dass mit der Nichterwähnung ein Ausschluss verbunden wäre, wenn die AHP auf der anderen Seite auf die Möglichkeit hinweisen, dass eine Kannversorgung nur im Allgemeinen nicht in Betracht kommt, was aber gerade die Möglichkeit einer Anerkennung im - zugegebenermaßen eher seltenen - Einzelfall beinhaltet. Zudem darf auch nicht übersehen werden, dass die Formulierung in AHP 2008 Nr. 142.5 sämtliche „äußeren Einwirkungen“ umfasst, also neben der durch ionisierende Strahlung auch die zahlreichen anderen Möglichkeiten wie z. B. mechanischer Art. Dass es insofern „im allgemeinen“, d. h. zumindest in der deutlich überwiegenden Zahl der Fälle, nicht zu einer Anerkennung kommen dürfte, ist naheliegend, kann aber nicht dahingehend interpretiert werden, dass es bei Strahlenbelastung zu keiner Anerkennung als Schädigungsfolge im Rahmen der Kannversorgung kommen könne. Außerdem wird in der wissenschaftlichen Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 aus dem Jahr 2011 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „auch benigne Tumore“ als strahlenbedingte Spätschäden in Betracht kommen. Dieser aktuellen, zumindest schon drei Jahre lang bundesministeriell „abgesegneten“ Erkenntnis verschließt sich die Beklagte.

- Der Sachverständige hat seine Annahme eines Zusammenhangs im Sinn der Kannversorgung durch die Angabe von Studien belegt, die ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für die Entstehung gutartiger Schilddrüsentumore durch ionisierende Strahlung belegen, und darauf hingewiesen, dass der Halsbereich des Klägers ohne jeden Zweifel - dies bestreitet selbst die Beklagte nicht - einer entsprechenden Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen ist. Diese wissenschaftlich fundierte und überzeugende Argumentation des Sachverständigen, die sich der Senat zu Eigen macht, erschüttern die dagegen mit Schreiben der Beklagten vom 01.09.2011 vorgebrachten Behauptungen nicht ansatzweise. Wenn dem Gutachter entgegen gehalten wird, dass er seine Beurteilung nicht „auf der Grundlage der von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese“ abgegeben, sondern sich nur auf zwei „vereinzelte Studien“ gestützt habe, in denen „Hinweise auf mögliche Zusammenhänge gegeben“ seien, und damit „methodische Fehler“ konstruiert werden sollen, gehen diese Vorwürfe als unzutreffend ins Leere. Die Beklagte verkennt völlig, dass es für die Heranziehung der Kannversorgung zwingende Grundvoraussetzung ist, dass sich eine herrschende wissenschaftliche Lehrmeinung noch nicht herausgebildet hat; denn anderenfalls dürfte die Zusammenhangsbeurteilung ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhangs erfolgen. Dem Sachverständigen, der aufgezeigt hat, dass es bezüglich der Entstehung gutartiger Tumore (noch) keine herrschende medizinische Lehrmeinung gibt, methodische Fehler zu unterstellen, kann daher nur mit einer elementaren Unkenntnis der Voraussetzungen der Kannversorgung oder einer gezielt irreführenden Argumentation, die der Senat der Beklagten nicht unterstellen möchte, begründet werden. Dass die Beklagte der vom Gesetzgeber eröffneten Kannversorgung grundsätzlich ablehnend gegenüber steht, möchte der Senat der Beklagten ebenfalls nicht unterstellen. Sollte dies gleichwohl der Fall sein, könnte der Interessenlage der Beklagten nur der Gesetzgeber durch die Abschaffung der Kannversorgung Rechnung tragen, nicht aber die Judikative im Rahmen der Anwendung geltender Gesetze.

Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies noch von weiterer Entscheidungsrelevanz wäre, weist der Senat darauf hin, dass auch im Internet für jedermann zugänglich Veröffentlichungen zu finden sind, die sich mit der bislang medizinisch nicht abschließend geklärten Frage der Verursachung gutartiger Tumore befassen und dabei auch auf die Studienlagen Bezug nehmen (vgl. z. B. die Hinweise von Schmitz-Feuerhake, Die Induktion gutartiger Tumore durch ionisierende Strahlung - ein vernachlässigtes Kapitel von Strahlenrisikobetrachtungen, in: Strahlentelex, Nr. 548-549, 05.11.2009), wobei es der Senat dahingestellt lässt, von welcher wissenschaftlichen Qualität die genannte Veröffentlichung ist.

Der Zustimmungsvorbehalt des § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG steht einer gerichtlichen Anerkennung auch ohne konkrete oder allgemeine Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nicht entgegen. Denn bei der Zustimmung handelt es sich lediglich um einen verwaltungsinternen Vorgaben, den das Gericht bei seiner Entscheidung zu prüfen oder zu ersetzen hat (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1969, Az.: 8 RV 469/67; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.11.2001, Az.: L 10 VS 44/98).

3. Der Vollständigkeit halber: Keine Verurteilung wegen eines heißen Knotens

Der Kläger verfolgt die Anerkennung eines heißen Knotens der Schilddrüse als Folge einer Wehrdienstbeschädigung nicht mehr weiter. Der Senat weist daher lediglich der Vollständigkeit halber auf Folgendes hin:

Eine Verurteilung der Beklagten wegen eines heißen Knotens der Schilddrüse käme schon deshalb nicht in Betracht; weil eine derartige Erkrankung lediglich in Form einer Verdachtsdiagnose in den Raum gestellt worden ist, nicht aber in dem für eine Anerkennung erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen ist. Dass insofern (derzeit noch) keine Zuständigkeit der Beklagten bestünde, da sich eine solche Erkrankung keinesfalls während der Dienstzeit manifestiert hätte (vgl. Urteil des Senats vom 26.01.2012, Az.: L 15 VS 10/08; BSG, Urteil vom 29.04.2010, Az.: B 9 VS 2/09 R), ist von keiner weiteren rechtlichen Bedeutung. Die Frage, ob der Beigeladene verurteilt werden könnte, würde sich daher ebenfalls nicht stellen.

4. Keine Feststellungen zum Grad der Schädigung

Feststellungen zum Grad der Schädigung hat der Senat nicht zu treffen, da sich der Antrag des rechtskundig vertretenen Klägers ausdrücklich auf die Anerkennung der Schädigungsfolgen beschränkt.

5. Keine weiteren Ermittlungen erforderlich

Weitere Ermittlungen, insbesondere eine Inaugenscheinnahme eines Luftfahrzeugs F-104 G waren nicht angezeigt. Mit dem Bericht der Radarkommission, den vorliegenden Angaben zur Tätigkeit des Klägers und dem eingeholten Gutachten ist eine umfassende Entscheidungsgrundlage zur Bewertung der Strahlenexposition des Klägers und der gesundheitlichen Auswirkungen gegeben.

Nicht für die Entscheidung relevant ist es daher, dass der Senat große Zweifel daran hat, dass die Durchführung von Messungen an einem Luftfahrzeug F-104 G, was beklagtenseits in der Stellungnahme des Dr. S. vom 21.02.2014 in den Raum gestellt worden ist, überhaupt gerichtsverwertbare Erkenntnisse bringen könnte. Soweit öffentlich zugänglichen Quellen zu entnehmen ist, wurde das Luftfahrzeug F-104 G bei der Bundeswehr am 22.05.1991 ausgemustert. Wenn in Ausbildungseinrichtungen oder Museen noch Exemplare dieses Flugzeugs vorhanden sind, dürften sich diese allesamt in einem demilitarisierten Zustand befinden. Dies würde bedeuten, dass vor der Durchführung von Messungen die im Rahmen der Demilitarisierung entfernten Bauteile, insbesondere auch das Magnetron, wieder in das Flugzeug einzubauen wären. Dass die anschließend angefertigte Konfiguration dem Zustand des Flugzeugstyps entsprechen würde, an dem der Kläger in den 1970er und 1980er Jahren tätig war, hält der Senat für sehr ungewiss. Denn es ist bekannt, dass es beispielsweise beim Magnetron, von dem der wesentliche Teil der (potentiell) schädigenden Strahlung ausgegangen ist, verschiedene Ausführungen mit sicherlich auch nicht immer identischen Strahlungsverhältnissen gegeben hat (vgl. S. 46 des Radarberichts). Da weder aus den Akten ersichtlich ist, an welchen Ausführungen des Magnetrons der Kläger gearbeitet hat, noch klar ist, ob die damaligen Ausführungen überhaupt noch verfügbar sind, zudem auch zu klären wäre, ob die heute noch vorhandenen Ausführungen des Magnetrons im Weg der frühestens ab Mitte der 1970er Jahr begonnenen Strahlenschutzmaßnahmen umgearbeitet worden sind, kann sich der Senat nur schwer vorstellen, dass sich die den Kläger betreffende Strahlenbelastung realitätsnah reproduzieren lassen würde. In diesem Zusammenhang muss der Senat auch darauf hinweisen, dass er jedenfalls wegen des Vorgehens des Beklagten, hier insbesondere in Form der Person des Leiters der Strahlenmessstelle der Bundeswehr, im vorliegenden Fall nicht unerhebliche Bedenken haben würde, sich auf alle Angaben des Beklagten bedenkenlos zu verlassen. Dazu würde insbesondere die Frage gehören, ob das für eine potentielle Messung von der Beklagten zur Verfügung gestellte Luftfahrzeug tatsächlich der Ausführung entsprechen würde, an dem der Kläger gearbeitet hat, auch wenn dies von Seiten der Strahlenmessstelle so behauptet würde.

Diese Bedenken begründen sich wie folgt:

Die Beklagte hat beispielsweise mit Schreiben vom 26.11.2008 an das SG Folgendes ausgeführt:

„... bleibe ich bei der schon bisher von der Wehrbereichsverwaltung Süd vertretenen Auffassung, dass von diesem Radargerät die Strahlung nur nach oben austreten konnte. ... Außerdem ergibt sich das aus der Stellungnahme des Herrn Dr. S., Leiter der Arbeitsgruppe Radar/Strahlenmessstelle der Bundeswehr ... vom 4. September 2006, in der Beschwerdeakte, Blatt 25.“

Ähnlich hat auch der Leiter der Strahlenmessstelle Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 21.02.2014 im Berufungsverfahren argumentiert, wenn er sich zum Einwand des Klägers, es habe auch eine Strahlung zur Seite gegeben, geäußert hat:

„Der Umkehrschluss, dass damit eine Emission des Magnetrons auch in seitlicher Richtung bewiesen wäre, gilt damit aber nicht. Die Radarkommission ... kam bei der Emissionsrichtung zum Ergebnis, dass die Emission der Röntgenstörstrahlung nach oben erfolgte.“

Der Senat kann, wie bereits oben erläutert, aufgrund des Akteninhalts nur davon ausgehen, dass diese Auskünfte falsch oder so verfälscht gegeben worden sind, dass entscheidende Gesichtspunkte von Seiten der Mitarbeiter der Beklagten verschwiegen worden sind. Dabei bezieht sich der Senat einerseits auf Unterlagen in den Verwaltungsakten der Beklagten, andererseits auf den Bericht der Radarkommission. So wird in der Stellungnahme der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 25.02.2003 zwar auf die senkrecht nach oben austretende Röntgenstörstrahlung hingewiesen, gleichwohl ist bei den dokumentierten Messwerten auf S. 2 dieser Stellungnahme auch eine Röntgenstörstrahlung zur Seite (in einem Abstand von 5 cm zum Gerät - Anmerkung: einziger Messabstand) aufgeführt, wobei diese Strahlung der Höhe nach nicht vernachlässigbar ist, beträgt sie doch fast ein Drittel der Abstrahlung nach oben in derselben Entfernung und sogar das Neunfache im Vergleich zu der Abstrahlung nach oben in einer Entfernung von 30 cm. Entsprechendes ergibt sich auch aus dem Teilbericht NASARR der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar vom 24.02.2002 zum Starfighter F-104 G Radaranlage F 15 B-A/D NASARR (vgl. dort S. 5, Tabelle 2). Schließlich wird im Radarbericht der Bundesregierung zum Radargerät NASARR darauf hingewiesen, dass bei den Wartungs- und Reparaturarbeitsplätzen durch Leckagen und auch durch Reflexionen der über die Antenne abgestrahlten Mikrowellen an metallischen Flächen erhebliche Grenzwertüberschreitungen auftreten können (vgl. S. 46 des Berichts); dies hat die Kommission durch eigene Messungen überprüft. Sowohl aus den eigenen Messungen der Beklagten als auch dem Bericht der Radarkommission ergibt sich damit die wiederholte Unrichtigkeit des Vortrags der Beklagten. Ausgehend von der nicht ganz fernliegenden Annahme, dass dies wider besseres Wissen erfolgt ist, wären Zweifel an der Richtigkeit der technisch zutreffenden Ausgangsbasis (rekonstruiertes Flugzeug für die Messungen) für weitere durchzuführende Messungen nicht völlig auszuschließen. Weitergehende Überlegungen und Ausführungen erübrigen sich jedoch, da es auf derartige Messungen im vorliegenden Verfahren überhaupt nicht mehr ankommt.

Mangels Entscheidungserheblichkeit muss sich der Senat auch nicht mit der Frage auseinander setzen, ob es tatsächlich nur eine einzige Messung zum NASARR gibt oder ob noch weitere Untersuchungen vorliegen, die von der Beklagten nur aus nicht näher nachvollziehbaren Gründen nicht vorgelegt werden, was im Rahmen der Beweislast zu würdigen wäre.

Zum Abschluss weist der Senat darauf hin, dass er sich sehr wohl des Gewichts und der Bedeutung der am prozessualen Vorgehen der Beklagten geübten Kritik bewusst ist, für das er gute Gründe gehabt hat. Er steht aber mit einer derartigen objektiven gerichtlichen Kritik nicht allein, wie sie beispielsweise auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein in seinem Beschluss vom 13.09.2012, Az.: 3 LB 21/11 - den das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 10.04.2014, Az.: 2 B 36/13, bestätigt hat - wie folgt zum Ausdruck gebracht hat:

„Hierüber hat die Beklagte jahrelang keine konsequente Überprüfung durchgeführt, den Kläger nicht informiert und auch der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Ermittlung erschwert.“

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG). Insbesondere sind keine Fragen grundsätzlicher Art zu klären. Vielmehr basiert die Entscheidung allein auf einer Einzelfallbeurteilung, die mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung des konkreten Falls zu treffen war.

(1) Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, erhält.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht eine gesundheitliche Schädigung gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden ist.

(3) Wer als Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 dieser Vorschrift oder § 22 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, als Pflegeperson oder als Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Beschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes eine gesundheitliche Schädigung erleidet, erhält Versorgung nach Absatz 1.

(4) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne der Absätze 1 bis 3 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(5) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges. Wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, erhält.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht eine gesundheitliche Schädigung gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden ist.

(3) Wer als Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 dieser Vorschrift oder § 22 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, als Pflegeperson oder als Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Beschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes eine gesundheitliche Schädigung erleidet, erhält Versorgung nach Absatz 1.

(4) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne der Absätze 1 bis 3 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(5) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges. Wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.