Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2023 - 1 StR 126/23 von Dirk Streifler

published on 18/07/2024 15:17
Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2023 - 1 StR 126/23 von Dirk Streifler
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Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2023 - 1 StR 126/23

I. Hintergrund

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. Juni 2023 befasst sich mit einem Fall von Steuerhinterziehung und Vorenthalten von Arbeitsentgelt durch den Angeklagten. Das Landgericht Leipzig hatte den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertes der Taterträge angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten hob der BGH das Urteil im Ausspruch über die Einziehung auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung zurück.

 

II. Zentrale Punkte des Beschlusses

Bestimmung des Schuldumfangs der Beitragsvorenthaltung (§ 266a StGB): Der BGH stellt klar, dass der Schuldumfang im Rahmen von illegalen, aber versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen unter Berücksichtigung von § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV (Nettolohnfiktion) und § 28d SGB IV zu ermitteln ist. Die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge sind für jeden Fälligkeitszeitpunkt separat nach Anzahl der Arbeitnehmer, Beschäftigungszeiten, gezahlten Löhnen und Beitragssätzen der zuständigen Krankenkassen zu berechnen.

Schätzung bei fehlenden Erkenntnissen: Liegen keine ausreichenden Erkenntnisse über tatsächlich gezahlte Löhne oder Arbeitnehmer vor, ist eine Schätzung der nicht abgeführten Sozialabgaben und der Lohnsteuer unter Beachtung des Grundsatzes "in dubio pro reo" möglich. Unüberwindbare Zweifel müssen zugunsten des Täters wirken, sodass ggf. nur ein Mindestschuldumfang festzustellen ist.

Zweifelssatz bei Pflegeversicherung und Kirchensteuer: Der Zweifelssatz verbietet es, bei unbekannten Arbeitnehmern pauschal anzunehmen, dass alle kinderlos sind und der Beitragszuschlag für Kinderlose (§ 55 Abs. 3 SGB XI) zu zahlen ist. Ebenso darf nicht unterstellt werden, dass alle Arbeitnehmer kirchensteuerpflichtig sind.

Lohnsteuerklasse VI bei Schwarzlohnzahlungen: Bei vollständiger Schwarzlohnzahlung kann für die Berechnung der verkürzten Lohnsteuer der Eingangssteuersatz der Lohnsteuerklasse VI (§ 39c EStG) zugrunde gelegt werden.

Strafschärfung durch kollusives Zusammenwirken: Ein kollusives Zusammenwirken des Arbeitgebers mit den Arbeitnehmern zur Schädigung der Solidargemeinschaft ist Ausdruck gesteigerter krimineller Energie und wirkt strafschärfend.

Lohnsteuer-Anmeldezeiträume: Die Lohnsteuer ist abhängig von der Höhe der zu zahlenden Lohnsteuer des vorhergehenden Kalenderjahres grundsätzlich monatlich anzumelden (§ 41a Abs. 2 Satz 1 EStG).

Exakte Bestimmung des Einziehungsbetrags: Im Unterschied zur Strafzumessung muss der Einziehungsbetrag bei Taterträgen exakt nachvollziehbar und rechtsfehlerfrei bestimmt sein.

 

III. Gründe für die Entscheidung

Der BGH hat die Einziehungsanordnung des Landgerichts Leipzig aufgehoben, weil die Berechnungsgrundlagen und der Rechenweg nicht ausreichend dargelegt waren. Für die Einziehung ist eine exakte und nachvollziehbare Bestimmung des Einziehungsbetrags erforderlich, was im vorliegenden Fall nicht gegeben war. Hinsichtlich der Schätzung der nicht abgeführten Sozialabgaben und der Lohnsteuer bestätigt der BGH, dass diese unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes vorgenommen werden darf.

Der BGH betont die Bedeutung der genauen Ermittlung und Dokumentation der geschuldeten Beträge, um die Nachvollziehbarkeit und Rechtssicherheit zu gewährleisten. Insbesondere bei der Einziehung von Taterträgen muss der Betrag exakt und fehlerfrei bestimmt werden, um rechtskräftig zu sein.

 

IV. Fazit

Der Beschluss des BGH verdeutlicht die Anforderungen an die Ermittlung und Schätzung von nicht abgeführten Sozialabgaben und Lohnsteuern bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen. Er unterstreicht die Notwendigkeit, den Zweifelssatz zugunsten des Angeklagten zu beachten und die exakte Bestimmung des Einziehungsbetrags sicherzustellen. Die Entscheidung betont die Sorgfaltspflicht der Gerichte bei der Dokumentation und Nachvollziehbarkeit der Berechnungen, insbesondere im Kontext der Einziehung von Taterträgen.

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Annotations

(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber

1.
der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2.
die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.

(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.

(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält,
2.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält,
3.
fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet,
4.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder
5.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.

(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.

(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich

1.
die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und
2.
darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Arbeitsentgelt sind auch Entgeltteile, die durch Entgeltumwandlung nach § 1 Absatz 2 Nummer 3 des Betriebsrentengesetzes für betriebliche Altersversorgung in den Durchführungswegen Direktzusage oder Unterstützungskasse verwendet werden, soweit sie 4 vom Hundert der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung übersteigen.

(2) Ist ein Nettoarbeitsentgelt vereinbart, gelten als Arbeitsentgelt die Einnahmen des Beschäftigten einschließlich der darauf entfallenden Steuern und der seinem gesetzlichen Anteil entsprechenden Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung. Sind bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden, gilt ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart.

(3) Wird ein Haushaltsscheck (§ 28a Absatz 7) verwendet, bleiben Zuwendungen unberücksichtigt, die nicht in Geld gewährt worden sind.