Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2023 - 1 StR 126/23 von Dirk Streifler
Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2023 - 1 StR 126/23
Bundesgerichtshof
Beschluss vom 13. Juni 2023 - 1 StR 126/23
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 7. September 2022 im Ausspruch über die Einziehung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in sechs Fällen und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 30 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.505.374 € angeordnet.
Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte - und entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts zulässige - Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Sie ist im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts beschäftigte der Angeklagte als Einzelunternehmer eine Vielzahl nicht näher individualisierter Arbeitnehmer als Eisenflechter im (Trocken-)Baubereich, denen er ihren Lohn vollständig "schwarz" auszahlte und für die er keine Sozialabgaben und Lohnsteuer abführte. Um die geleisteten, im Einzelnen nicht feststellbaren Schwarzlohnzahlungen an die Arbeitnehmer zu verschleiern, kaufte er von drei - nur formal verschiedenen - "Servicegesellschaften" an seine Einzelfirma gerichtete Rechnungen für Subunternehmertätigkeiten an, denen tatsächlich keine Leistungen zu Grunde lagen. Die Rechnungen wurden jeweils zeitnahe nach Eingang per Überweisung oder in bar beglichen; nach Abzug einer Provision wurden die Beträge durch die "Servicegesellschaften" in bar an den Angeklagten zurückgezahlt. Hierdurch wurde in den verfahrensgegenständlichen Monaten Juli 2015 bis Dezember 2017 Lohnsteuer (Lohnsteuersatz von 14 %) und Solidaritätszuschlag (5,5 %) - nach den insoweit widersprüchlichen Feststellungen des Landgerichts - um insgesamt 293.549,19 € (UA S. 9) oder 293.165,82 € (UA S. 116) verkürzt; den Sozialversicherungsträgern wurden in diesem Zeitraum Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 1.211.825,29 € vorenthalten. Dem Angeklagten, der sich seiner steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen bewusst war und diese hätte erfüllen können, kam es darauf gerade an.
II.
1. Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung stand. Insbesondere erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 und vom 13. Juli 2016 - 1 StR 128/16 Rn. 21; Beschluss vom 26. Juli 2022 - 1 StR 11/22 Rn. 5) als rechtsfehlerfrei. Das Landgericht hat sich mit allen in Frage kommenden Umständen beschäftigt und ist aufgrund einer umfassenden Würdigung der Beweisergebnisse zu einem nachvollziehbaren Ergebnis gelangt.
2. Auch der Strafausspruch weist keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
a) In den Fällen 1 bis 30 der Urteilsgründe (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) hat das Landgericht die Höhe des strafrechtlich relevanten Beitragsschadens zwar nicht rechtsfehlerfrei bestimmt, denn es hat in die Beitragsanteile zur gesetzlichen Pflegeversicherung gemäß § 55 Abs. 1, § 58 Abs. 1 SGB XI den Beitragszuschlag für Kinderlose (§ 55 Abs. 3 SGB XI) eingerechnet. Darauf beruht das Urteil aber nicht (§ 337 Abs. 1 StPO).
aa) Der Schuldumfang bei Straftaten der Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a Abs. 1 und 2 StGB im Rahmen von illegalen, aber versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bestimmt sich nach dem nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben zu ermittelnden Bruttoentgelt und der hieran anknüpfenden Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge (§ 28d SGB IV). Vorenthalten im Sinne des § 266a StGB sind die nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften tatsächlich geschuldeten Beiträge (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 Rn. 14). Dem Tatgericht obliegt es deshalb, die geschuldeten Beiträge für die Fälligkeitszeitpunkte gesondert nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2018 - 1 StR 444/18 Rn. 21; Beschluss vom 5. Juli 2018 - 1 StR 111/18 Rn. 12, jew. mwN), weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2010 - 1 StR 199/10 Rn. 13; Beschluss vom 11. Januar 2022 - 2 StR 460/20 Rn. 7).
Liegen keine tragfähigen Erkenntnisse über die tatsächlich gezahlten Löhne und Gehälter sowie die schwarz beschäftigten Arbeitnehmer vor, steht aber nach der Überzeugung des Tatrichters ein strafbares Verhalten des Angeklagten fest, kann - wie auch sonst bei Vermögensdelikten - die Bestimmung des Schuldumfangs im Wege der Schätzung erfolgen. Die Grundsätze, die die Rechtsprechung bei Taten nach § 370 AO für die Darlegung der Berechnungsgrundlagen der verkürzten Steuern entwickelt hat, gelten insoweit entsprechend (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2017 - 1 StR 339/16 Rn. 46; Beschluss vom 20. April 2016 - 1 StR 1/16 Rn. 6, jew. mwN). Danach steht die Schätzung insbesondere unter dem Gebot, dass sich unüberwindbare Zweifel zu Gunsten des Angeklagten auswirken müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2020 - 1 StR 140/20 Rn. 4; Grötsch in: Joecks/Jäger/Randt, SteuerstrafR, 9. Aufl., § 370 Rn. 105). Erforderlichenfalls hat der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang festzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09 Rn. 15 und vom 16. September 2020 - 1 StR 140/20 Rn. 4; Jäger in: Klein, AO, 16. Aufl., § 370 Rn. 96 mwN). Im Rahmen der Gesamtwürdigung des Schätzergebnisses ist der Zweifelssatz zu beachten (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1994 - 5 StR 305/94, BGHSt 40, 374, 377; Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09 Rn. 13 mwN; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 266a Rn. 9d).
bb) Gemessen hieran bestehen gegen die vom Landgericht vorgenommene Schätzung dem Grunde nach keine Bedenken.
(1) Da der Angeklagte über die Beschäftigung der bei den Einzugsstellen nicht angemeldeten Arbeitnehmer keine Aufzeichnungen führte, durfte das Landgericht die Höhe der als Nettolöhne (§ 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV) gezahlten "Schwarzlöhne" in zulässiger Weise mit 90 % der festgestellten Scheinrechnungssummen veranschlagen. Die Annahme des Landgerichts, es habe sich bei den vorgenommenen Eisenflecht- und Trockenbauarbeiten fast ausschließlich um Lohnarbeiten gehandelt und das erforderliche Material sei von den Auftraggebern zur Verfügung gestellt worden, ist beweiswürdigend tragfähig unterlegt. Die Hochrechnung auf das Bruttoarbeitsentgelt konnte nach der Rechtsprechung des Senats aufgrund des Vorliegens vollumfänglich illegaler Beschäftigungsverhältnisse anhand des Eingangssteuersatzes der Lohnsteuerklasse VI (§ 39 c EStG) erfolgen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2011 - 1 StR 651/10, BGHSt 56, 153 Rn. 16 ff.; vom 8. August 2012 - 1 StR 296/12 und vom 24. September 2019 - 1 St1 StR 346/18 Rn. 37). Die vom Landgericht exemplarisch vorgenommene Hochrechnung der Netto- auf Bruttolöhne unter Angabe der jeweiligen Beitragssätze genügt auch noch den Darlegungsanforderungen (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2017 - 1 StR 310/16 Rn. 16 und vom 20. April 2023 - 1 StR 101/23 Rn. 5, jew. mwN), wenngleich sich grundsätzlich aus Gründen besserer Nachvollziehbarkeit eine tabellarische Auflistung der geschuldeten Beiträge - für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert - nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung empfiehlt.
(2) Die Berechnung erweist sich indes als rechtsfehlerhaft, soweit das Landgericht die Beitragsanteile zur gesetzlichen Pflegeversicherung gemäß § 55 Abs. 1, § 58 Abs. 1 SGB XI in der jeweils geltenden Fassung für alle Arbeitnehmer unter Hinzurechnung des Beitragszuschlags für Kinderlose (§ 55 Abs. 3 SGB XI) ermittelt hat. Anhaltspunkte für die zugrundeliegende Annahme, sämtliche der namentlich nicht bekannten Arbeitnehmer seien kinderlos und hätten bereits das 23. Lebensjahr vollendet, sind nicht ersichtlich. In Anwendung des Zweifelsgrundsatzes wäre geboten gewesen, von den für den Angeklagten günstigsten Umständen auszugehen. Personenbezogene Beitragszuschläge haben bei unbekannten Arbeitnehmern deshalb - wie vom Landgericht bezüglich der Kirchensteuer zutreffend bewertet - stets außer Ansatz zu bleiben. Der Senat schließt allerdings aus, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Die aus der Hinzurechnung des Beitragszuschlags für Kinderlose folgende Erhöhung sowohl des Beitragsschadens als auch des Hochrechnungsfaktors lässt in Anbetracht des nur geringfügigen Wertes (0,25 % im Tatzeitraum), der allein den Arbeitnehmerbeitrag betrifft, den zu bestimmenden Schuldumfang unberührt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2023 - 1 StR 201/22).
b) Auch die Strafzumessung in den Fällen 31 bis 36 der Urteilsgründe (Lohnsteuerhinterziehung) ist nicht durchgreifend rechtsfehlerhaft.
aa) Soweit das Landgericht hinsichtlich der durch unrichtige (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder fehlende (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) Abgabe von Lohnsteueranmeldungen begangenen Steuerhinterziehungen von lediglich einer Tat in den Veranlagungsjahren 2015 und 2016 und vier Taten im Veranlagungsjahr 2017 ausgegangen ist, hält dies rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Gemäß § 41a Abs. 2 Satz 1 EStG ist der Lohnsteuer-Anmeldezeitraum grundsätzlich der Kalendermonat. Wenn die abzuführende Lohnsteuer für das vorangegangene Kalenderjahr mehr als 1.080 €, aber nicht mehr als 4.000 € betragen hat, ist das Kalendervierteljahr der Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum (§ 41a Abs. 2 Satz 2 1. HS EStG aF [5.000 € gemäß § 41a Abs. 2 Satz 2 1. HS mWv 1.1.2017]). Lediglich dann, wenn die abzuführende Lohnsteuer für das vergangene Kalenderjahr nicht mehr als 1.080 € betragen hat, ist der Lohnsteueranmeldungszeitraum das Kalenderjahr (§ 41a Abs. 2 Satz 2 2. HS EStG aF). Da diese Grenzen im Tatzeitraum jeweils überschritten wurden, hätte der Angeklagte durchgehend monatliche Lohnsteueranmeldungen abgeben müssen. Die Nichtabgabe jeder einzelnen dieser Lohnsteueranmeldungen stellt eine eigenständige Steuerhinterziehung des Angeklagten durch Unterlassen dar (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Das Landgericht hätte deshalb die Besteuerungsgrundlagen für die jeweiligen monatlichen Anmeldezeiträume ermitteln und die verkürzte Lohnsteuer errechnen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2016 - 1 StR 122/16, BGHR AO § 370 Abs. 1 Konkurrenz 24 mwN).
Der Senat schließt jedoch aus, dass sich die rechtsfehlerhafte Zusammenfassung der 30 Einzeltaten zu sechs Taten zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Denn die unzutreffende Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses beeinflusst den materiellen Unrechts- und Schuldgehalt der Taten insgesamt nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. März 2004 - 2 BvR 2251/03, BVerfGK 3, 20; BGH, Beschluss vom 21. April 2016 - 1 StR 122/16, aaO mwN). Insbesondere hat das Landgericht für keine der Steuerhinterziehungen wegen Verkürzung von Steuern in großem Ausmaß gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO die Strafe dem Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO für besonders schwere Fälle entnommen.
bb) Keinen Bedenken begegnet auch die von dem Beschwerdeführer als "zu hoch" beanstandete Einsatzstrafe von einem Jahr und acht Monaten (Fall II.32 der Urteilsgründe). Dem Tatgericht ist insoweit von Rechts wegen ein weiter Entscheidungs- und Wertungsspielraum eingeräumt; es wäre vorliegend auch nicht gehindert gewesen, auf der Grundlage vieler jeweils niedrigerer Einzelstrafen eine Gesamtstrafe der festgesetzten Höhe zu bilden.
c) Entgegen dem Beschwerdevorbringen durfte das Landgericht schließlich das - sich aus den Feststellungen selbst erklärende - "kollusive Zusammenwirken" des Angeklagten mit den schwarz bezahlten Arbeitnehmern zu Lasten der Solidargemeinschaft strafschärfend berücksichtigen. Geschütztes Rechtsgut der Absätze 1 und 2 des § 266a StGB ist in erster Linie das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherungen (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2023 - 1 StR 188/22 Rn. 23 mwN). Kollusives Zusammenwirken von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu Lasten der Solidargemeinschaft - und mittelbar zum Nachteil abgaben- und steuerehrlicher Unternehmer - ergibt ein Tatbild, das durch ein gesteigertes Ausmaß an krimineller Energie geprägt ist (BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2009 - 1 StR 501/09 Rn. 20 mwN).
3. Die am angenommenen Sozialversicherungsschaden und an widersprüchliche Feststellungen zur Höhe der hinterzogenen Lohnsteuer anknüpfende Einziehungsanordnung hat hingegen insgesamt keinen Bestand. Anders als bei der Strafzumessung, für deren revisionsrechtliche Nachprüfung es ausreicht, dass sich aus dem Urteil ein den Angeklagten nicht beschwerender (Mindest-)Schuldumfang ergibt, muss der Einziehungsbetrag exakt nachvollziehbar und rechtsfehlerfrei bestimmt sein (vgl. auch BGH, Urteil vom 8. März 2023 - 1 StR 188/22 Rn. 28; Beschluss vom 13. Juni 2023 - 1 StR 53/23 Rn. 14). Dies setzt voraus, dass sowohl die Berechnungsgrundlagen als auch der Rechenweg im Urteil in einer Weise dargelegt werden, die aus sich heraus verständlich ist und eine Nachprüfung ohne weiteres ermöglicht. Eine eigene Sachentscheidung des Revisionsgerichts kommt insoweit nicht in Betracht.
I. Hintergrund
Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. Juni 2023 befasst sich mit einem Fall von Steuerhinterziehung und Vorenthalten von Arbeitsentgelt durch den Angeklagten. Das Landgericht Leipzig hatte den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertes der Taterträge angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten hob der BGH das Urteil im Ausspruch über die Einziehung auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung zurück.
II. Zentrale Punkte des Beschlusses
Bestimmung des Schuldumfangs der Beitragsvorenthaltung (§ 266a StGB): Der BGH stellt klar, dass der Schuldumfang im Rahmen von illegalen, aber versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen unter Berücksichtigung von § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV (Nettolohnfiktion) und § 28d SGB IV zu ermitteln ist. Die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge sind für jeden Fälligkeitszeitpunkt separat nach Anzahl der Arbeitnehmer, Beschäftigungszeiten, gezahlten Löhnen und Beitragssätzen der zuständigen Krankenkassen zu berechnen.
Schätzung bei fehlenden Erkenntnissen: Liegen keine ausreichenden Erkenntnisse über tatsächlich gezahlte Löhne oder Arbeitnehmer vor, ist eine Schätzung der nicht abgeführten Sozialabgaben und der Lohnsteuer unter Beachtung des Grundsatzes "in dubio pro reo" möglich. Unüberwindbare Zweifel müssen zugunsten des Täters wirken, sodass ggf. nur ein Mindestschuldumfang festzustellen ist.
Zweifelssatz bei Pflegeversicherung und Kirchensteuer: Der Zweifelssatz verbietet es, bei unbekannten Arbeitnehmern pauschal anzunehmen, dass alle kinderlos sind und der Beitragszuschlag für Kinderlose (§ 55 Abs. 3 SGB XI) zu zahlen ist. Ebenso darf nicht unterstellt werden, dass alle Arbeitnehmer kirchensteuerpflichtig sind.
Lohnsteuerklasse VI bei Schwarzlohnzahlungen: Bei vollständiger Schwarzlohnzahlung kann für die Berechnung der verkürzten Lohnsteuer der Eingangssteuersatz der Lohnsteuerklasse VI (§ 39c EStG) zugrunde gelegt werden.
Strafschärfung durch kollusives Zusammenwirken: Ein kollusives Zusammenwirken des Arbeitgebers mit den Arbeitnehmern zur Schädigung der Solidargemeinschaft ist Ausdruck gesteigerter krimineller Energie und wirkt strafschärfend.
Lohnsteuer-Anmeldezeiträume: Die Lohnsteuer ist abhängig von der Höhe der zu zahlenden Lohnsteuer des vorhergehenden Kalenderjahres grundsätzlich monatlich anzumelden (§ 41a Abs. 2 Satz 1 EStG).
Exakte Bestimmung des Einziehungsbetrags: Im Unterschied zur Strafzumessung muss der Einziehungsbetrag bei Taterträgen exakt nachvollziehbar und rechtsfehlerfrei bestimmt sein.
III. Gründe für die Entscheidung
Der BGH hat die Einziehungsanordnung des Landgerichts Leipzig aufgehoben, weil die Berechnungsgrundlagen und der Rechenweg nicht ausreichend dargelegt waren. Für die Einziehung ist eine exakte und nachvollziehbare Bestimmung des Einziehungsbetrags erforderlich, was im vorliegenden Fall nicht gegeben war. Hinsichtlich der Schätzung der nicht abgeführten Sozialabgaben und der Lohnsteuer bestätigt der BGH, dass diese unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes vorgenommen werden darf.
Der BGH betont die Bedeutung der genauen Ermittlung und Dokumentation der geschuldeten Beträge, um die Nachvollziehbarkeit und Rechtssicherheit zu gewährleisten. Insbesondere bei der Einziehung von Taterträgen muss der Betrag exakt und fehlerfrei bestimmt werden, um rechtskräftig zu sein.
IV. Fazit
Der Beschluss des BGH verdeutlicht die Anforderungen an die Ermittlung und Schätzung von nicht abgeführten Sozialabgaben und Lohnsteuern bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen. Er unterstreicht die Notwendigkeit, den Zweifelssatz zugunsten des Angeklagten zu beachten und die exakte Bestimmung des Einziehungsbetrags sicherzustellen. Die Entscheidung betont die Sorgfaltspflicht der Gerichte bei der Dokumentation und Nachvollziehbarkeit der Berechnungen, insbesondere im Kontext der Einziehung von Taterträgen.
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Annotations
(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber
- 1.
der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder - 2.
die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.
(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
- 1.
aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält, - 2.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält, - 3.
fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet, - 4.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder - 5.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.
(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.
(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.(1) Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Arbeitsentgelt sind auch Entgeltteile, die durch Entgeltumwandlung nach § 1 Absatz 2 Nummer 3 des Betriebsrentengesetzes für betriebliche Altersversorgung in den Durchführungswegen Direktzusage oder Unterstützungskasse verwendet werden, soweit sie 4 vom Hundert der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung übersteigen.
(2) Ist ein Nettoarbeitsentgelt vereinbart, gelten als Arbeitsentgelt die Einnahmen des Beschäftigten einschließlich der darauf entfallenden Steuern und der seinem gesetzlichen Anteil entsprechenden Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung. Sind bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden, gilt ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart.
(3) Wird ein Haushaltsscheck (§ 28a Absatz 7) verwendet, bleiben Zuwendungen unberücksichtigt, die nicht in Geld gewährt worden sind.