Leasing nach Verfahrenseröffnung: Grenzen der Doppelsicherheiten‑Lehre (BGH, IX ZR 203/23)

originally published: 19.09.2025 15:22, updated: 19.09.2025 15:26
Leasing nach Verfahrenseröffnung: Grenzen der Doppelsicherheiten‑Lehre (BGH, IX ZR 203/23)
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Bundesgerichtshof Urteil, 10. Apr. 2025 - IX ZR 203/23

Author’s summary by Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

Aufhänger. Der BGH hat mit Urteil vom 10. April 2025 (IX ZR 203/23) klargestellt: Verwertet der Leasinggeber nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den in seinem Eigentum stehenden Leasinggegenstand, greifen die Grundsätze zur rechtlichen Behandlung von Doppelsicherheiten nicht. Das betrifft Konstellationen, in denen ein Gläubiger zugleich über Sicherheiten am Gesellschafts‑ und am Gesellschaftervermögen verfügt – die sog. Doppelsicherheiten.

Sachverhalt (kurz)

Der Leasinggeber verwertete nach Verfahrenseröffnung den im Eigentum des Leasinggebers stehenden Gegenstand. Der Insolvenzverwalter stellte die Frage, ob und inwieweit die Doppelsicherheiten‑Rechtsprechung (insb. zum Erstattungsanspruch analog § 143 Abs. 3 InsO, gemessen an § 135 Abs. 2 InsO) auf solche nach Eröffnung liegenden Verwertungsvorgänge zu übertragen ist. Der BGH verneint eine solche Übertragung für die Leasingverwertung. 

Die Entscheidung

Der amtliche Leitsatz lautet, verkürzt: Die Verwertung eines im Eigentum des Leasinggebers stehenden Leasinggegenstands nach Verfahrenseröffnung führt nicht zur Anwendung der Grundsätze über die rechtliche Behandlung von Doppelsicherheiten. Die Entscheidung knüpft an die dogmatische Linie des IX. Zivilsenats zu § 143 Abs. 3 InsO an, ohne diese auf Leasingverhältnisse zu erstrecken. 

Bemerkenswert ist, dass der Senat ausdrücklich offenlässt, ob bestimmte Gedanken der Doppelsicherheiten‑Rechtsprechung (namentlich zur entsprechenden Anwendung von § 143 Abs. 3 S. 1, § 135 Abs. 2 InsO auf Rechtshandlungen nach Eröffnung) überhaupt übertragbar sind. Für die hier streitige Leasingverwertung wird dies jedenfalls verneint

Rechtliche Würdigung

  1. Eigentumsstruktur entscheidet. Der Kern liegt im Eigentum: Beim Leasing verbleibt – typologisch – das zivilrechtliche Eigentum am Gegenstand beim Leasinggeber. Dessen Verwertung ist regelmäßig keine Befriedigung aus Gesellschaftsvermögen, sondern eine Realisierung eigener Rechte. Damit fehlt das Anknüpfungsmoment der Doppelsicherheiten‑Lehre (Deckungszugriff auf Gesellschaftsvermögen zugunsten eines Gläubigers, der zugleich am Gesellschaftervermögen gesichert ist).

  2. Systematik § 143 Abs. 3 InsO. Der durch die Doppelsicherheiten‑Rechtsprechung entwickelte Erstattungsanspruch(analog § 143 Abs. 3 InsO) setzt in seiner Struktur eine Gläubigerbenachteiligung aus dem Gesellschaftsvermögen voraus. Diese Gläubigerschädlichkeit kann bei der Verwertung fremden Eigentums (Leasing) typischerweise nicht begründet werden. 

  3. Abgrenzung zu anderen Sicherungsmodellen. Anders kann es bei Sicherungsübereignung oder Sicherungsabtretung liegen, wenn gesellschaftseigene Vermögenswerte betroffen sind. Die Entscheidung mahnt jedoch, keine Automatismen von der Doppelsicherheiten‑Lehre auf alle nacheröffnungsrechtlichen Verwertungen zu übertragen.

Folgen für die Praxis

  • Leasinggeber: Rechtsklarheit bei nacheröffnungsrechtlicher Verwertung eigener Objekte. Gleichwohl Anfechtungsrisiken für vorgelagerte Rechtshandlungen (z. B. atypische Zahlungen kurz vor Eröffnung) prüfen.

  • Insolvenzverwalter: Sorgfältige Vermögenszuordnung (Eigen‑ vs. Gesellschaftsvermögen) vor Geltendmachung von Erstattungsansprüchen; keine schematische Berufung auf Doppelsicherheiten.

  • Finanzierer/Strukturierer: Bei strukturierter Finanzierung (Sale‑and‑Lease‑Back, Vendor Leasing) Verträge so gestalten, dass Eigentums‑/Besitz‑/Nutzungsrechte sauber trennscharf dokumentiert sind; Risikoklauseln zur Verfahrens‑/Anfechtungssituation vorsehen.

Take‑away: Der BGH begrenzt die Transferreichweite der Doppelsicherheiten‑Lehre. Leasing ist nicht Doppelsicherheit. Für die Vertrags‑ und Sicherheitenpraxis schafft das verbindliche Leitplanken.

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