Sommer der Insolvenzen: Was die aktuellen Zahlen für Berater bedeuten

originally published: 19.09.2025 15:11, updated: 19.09.2025 15:13
Sommer der Insolvenzen: Was die aktuellen Zahlen für Berater bedeuten
Artikel zu passenden Rechtsgebieten

Author’s summary by ra.de Redaktion

Das Statistische Bundesamt meldet für August 2025 einen Anstieg der beantragten Regelinsolvenzen um 11,6 %gegenüber dem Vorjahresmonat. Im 1. Halbjahr 2025 stiegen die Unternehmensinsolvenzen um 12,2 % (12 009 Verfahren), während die Summe der Gläubigerforderungen auf rund 28,2 Mrd. € zurückging (Vorjahr: 32,4 Mrd. €). Besonders betroffen: Verkehr & Lagerei, Gastgewerbe und Bau. Wichtig: Die monatlichen Regelinsolvenz‑Zahlen basieren als Frühindikator auf den Insolvenzbekanntmachungen; der Antragszeitpunkt liegt häufig rund drei Monate vorher.

Was bedeuten die Zahlen rechtlich und praktisch?

  1. Mehr Fälle, kleineres Ticket. Der gleichzeitige Rückgang der Forderungssummen bei steigenden Fallzahlen deutet auf eine Breitenwirkung bei kleineren und mittleren Schuldnern hin. Für die Prozess‑ und Verteilungsstrategien von Gläubigern bedeutet das: Standardisierte, kosteneffiziente Vorgehensweisen gewinnen an Bedeutung (frühe Forderungsanmeldung, stringente Masseprüfung, selektives Vorgehen gegen Organhaftung).

  2. Sektorale Hotspots adressieren. In den am stärksten betroffenen Branchen (Verkehr, Gastgewerbe, Bau) sind Sicherheitenketten (z. B. Eigentumsvorbehalt, Sicherungsabtretungen, Bauhandwerkersicherung) und leistungsstörungsnahe Themen (z. B. Baustellenstillstände, Subunternehmerketten, Lieferkettenrisiken) besonders praxisrelevant. Branchenspezifische Checklisten sollten in Kanzleien verfügbar sein. 

  3. Timing & Kommunikation. Aufgrund der statistischen Verzögerung zwischen Antragstellung und Erfassung (Frühindikator) lohnt der Blick auf eigene Frühwarnsysteme (Covenants, Zahlungsziele, DSO, Mahnläufe). Unternehmen sollten kommunikative Playbooks für Lieferanteninsolvenzen vorhalten (z. B. „10‑Tage‑Plan“: Bestände sichern, Eigentumsvorbehalt ziehen, Neuverträge auf Vorkasse umstellen). 

  4. Sanierungsoptionen strukturieren. Die Zunahme der Fälle erhöht den Bedarf an frühen Sanierungsgesprächen(z. B. Liquiditätsbrücke, Stillhalteabkommen, Covenants‑Waiver) und an prä‑insolvenzlichen Lösungen(Restrukturierungsrahmen, Bankenpool‑Koordination). Juristisch entscheidend sind klare Abgrenzungen zwischen Neu‑ und Altverbindlichkeiten (→ Masse vs. Insolvenzforderung) und saubere Vertragsarchitektur(Vorauszahlungs‑/Treuhandmodelle, Sicherungskonzepte).

Kernbotschaft für die Praxis

  • Gläubiger: Portfolien priorisieren, Massezugehörigkeit konsequent prüfen, Anfechtungsrisiken im Blick behalten; standardisierte Workflows bauen.

  • Schuldner/Organe: Frühwarnkennzahlen einziehen, Haftungsrisiken (insb. Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung) minimieren, Transparenz gegenüber Stakeholdern erhöhen.

  • Berater/Kanzleien: Branchen‑Checklisten aktualisieren (Sicherheiten, Eigentumsvorbehalt, Bau‑/Transport‑Spezifika), Kommunikations‑ und Eskalationspläne für die ersten 14 Tage bereitstellen.

(Datenquelle: Destatis‑Pressemitteilung Nr. 332 vom 11. September 2025)

Show what you know!
5 Artikel zu passenden Rechtsgebieten

moreResultsText

10.12.2024 15:19

Mit der Einführung des präventiven Restrukturierungsrahmens im Rahmen des StaRUG (Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen) hat Deutschland im Jahr 2021 ein modernes Instrument geschaffen, das Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten eine frühzeitige Sanierung ermöglicht. Ziel ist es, Insolvenzen zu vermeiden, Gläubigerinteressen zu schützen und Unternehmen eine Zukunft zu sichern. Doch wie funktioniert der präventive Restrukturierungsrahmen, und welche Vor- und Nachteile bringt er mit sich?
21.01.2025 13:15

Das Urteil des Kammergerichts (KG) vom 15. November 2022 (Az.: 21 U 55/21) markiert eine Wendung in der Diskussion um die Haftung von Steuerberatern und Abschlussprüfern bei Insolvenzverschleppung. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Jahresabschlüssen für die Entscheidungsfindung von Gläubigern und die Risikosteuerung durch Insolvenzverwalter verdeutlicht das Urteil die praktischen Konsequenzen für die Haftungsrisiken in der Praxis. Das KG hat sich erstmals explizit gegen die bisherige Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) gestellt, wonach Insolvenzverwalter Schadensersatzansprüche wegen der Vertiefung der Überschuldung der Insolvenzschuldnerin geltend machen können. Der Artikel untersucht die Entscheidung des KG, ihre Argumentation sowie die Frage, ob die abweichende Auffassung des BGH rechtlich überzeugend ist.
27.11.2023 21:58

Die höchstrichterliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat Klarheit darüber gebracht, ob ein sogenanntes Sammelklage-Inkasso im Kontext der Air Berlin-Insolvenz zulässig ist. Dirk Streifler - Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin
27.11.2023 21:41

Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass Betriebserwerber in Insolvenzfällen nicht für Betriebsrentenansprüche haften, die vor der Insolvenzeröffnung entstanden sind. Dirk Streifler - Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin 
Artikel zu Insolvenzrecht