Winterdienst: Nur Gehweg vor dem eigenen Grundstück muss geräumt werden

bei uns veröffentlicht am23.01.2014

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für Familien- und Erbrecht

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Zusammenfassung des Autors
Zum Winterdienst verpflichtete Anlieger müssen nur auf dem Gehweg vor dem eigenen Grundstück räumen und streuen. Zu mehr sind sie nicht verpflichtet.
Diese Klarstellung traf das Verwaltungsgericht (VG) Berlin im Falle einer Frau, vor deren Grundstück sich statt eines Gehwegs nur ein zum Parken genutzter unbefestigter Randstreifen befindet. Daran grenzt die Fahrbahn und der gegenüberliegende Gehweg an. Die Gemeinde verhängte ein Bußgeld gegen die Frau, weil sie ihren Winterdienstpflichten für den gegenüberliegenden Gehweg nicht nachgekommen sei. Ihre hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich.

Nach dem Berliner Straßenreinigungsgesetz seien die Anlieger zwar zum Winterdienst jeweils vor ihren Grundstücken auf den in gleicher oder ähnlicher Richtung verlaufenden nächstgelegenen Gehwegen verpflichtet. Der Begriff des nächstgelegenen Gehwegs sei aber nicht so weit zu verstehen, dass davon auch noch der Gehweg vor den Grundstücken auf der gegenüberliegenden Straßenseite erfasst werde. Liege - wie hier - eine Fahrbahn dazwischen, sei nächstgelegener Gehweg nur der, der sich zwischen dem Grundstück des Anliegers und der Fahrbahn der Straße befindet. Die Fahrbahnmitte bilde die natürliche Grenze für Reinigungs- bzw. Winterdienstpflichten (VG Berlin, VG 1 K 366.11).


Die Entscheidung im Einzelnen lautet:

VG Berlin Urteil vom 29.08.2013 (Az.: VG 1 K 366.11)

Es wird festgestellt, dass die Klägerin nicht zum Winterdienst auf dem Gehweg vor den ihrem eigenen Grundstück verpflichtet ist.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.


Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks D in Berlin-N. Am 17. Januar 2010 stellten Mitarbeiter des Ordnungsamts des Bezirks Neukölln bei einer Vor-Ort-Besichtigung fest, dass der Gehweg, der sich vor dem gegenüberliegenden Grundstück der Klägerin auf der anderen Straßenseite befindet, nicht ordnungsgemäß von Schnee und Eis beräumt war. Unmittelbar vor dem Grundstück der Klägerin befindet sich kein gesonderter Gehweg, sondern nur ein zum Parken genutzter unbefestigter Randstreifen, sodann folgt die Fahrbahn und der gegenüberliegende Gehweg.

Da das Bezirksamt N von Berlin die Klägerin als Winterdienstverpflichtete ansah, erließ es nach Anhörung am 8. Juli 2010 einen Bußgeldbescheid gegen die Klägerin über 150,00 Euro zzgl. 20,00 Euro Gebühren, da sie fahrlässig ihren Winterdienstpflichten auf dem Gehweg nicht nachgekommen sei. Auf den Einspruch der Klägerin änderte das Amtsgericht Tiergarten mit Urteil vom 12. Januar 2011 den Bußgeldbescheid und verhängte stattdessen eine Geldbuße in Höhe von 75,00 Euro. Am Vorwurf des fahrlässigen Verstoßes gegen § 4 Abs. 4 des Straßenreinigungsgesetzes hielt das Amtsgericht fest. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Rechtsbeschwerde verwarf das Kammergericht durch Beschluss vom 9. Mai 2011, führte darin aber aus, dass der Senat gehindert gewesen sei, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, da obergerichtlich nicht geklärt sei, ob die Eigentümer und Besitzer der einem einseitigen Gehweg gegenüberliegenden Grundstücke zum Winterdienst gemäß § 4 Abs. 4 StrReinG verpflichtet seien. Die Urteilsfeststellungen zu den Örtlichkeiten seien zu lückenhaft.

Mit Schreiben vom 22. Juli 2011 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beim Bezirksamt N eine rechtsmittelfähige feststellende Bescheidung des Inhalts, dass die Klägerin eine Winterdienstpflicht auf dem Gehweg vor dem gegenüberliegenden Grundstück mit ungerader Hausnummer nicht treffe. Dies lehnte das Bezirksamt mit Schreiben vom 29. September 2011 mit der Begründung ab, die Verpflichtung der Klägerin zum Winterdienst ergebe sich aus §§ 3 und 4 StrReinG. Ein zuvor beim Bezirksamt Lichtenberg von Berlin gestellter gleichlautender Antrag wurde ebenfalls abgelehnt.

Mit ihrer am 7. November 2011 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Feststellungsbegehren weiter. Zur Begründung trägt sie vor: Der Beklagte verkenne den Normadressaten des § 4 Abs. 4 StrReinG. Das Gesetz unterscheide genau zwischen Anliegern und Hinterliegern und definiere diese Begriffe. Zum Winterdienst verpflichtet seien nur die Anlieger jeweils auf den Gehwegen vor ihren Grundstücken. Die Annahme des Beklagten, auch sogenannte „Gegenüberlieger“, also die Eigentümer eines gegenüber einem Gehweg gelegenen Grundstücks, seien Anlieger, finde im Gesetz keine Stütze. Vielmehr habe der Gesetzgeber bereits bei der allgemeinen Straßenreinigungspflicht und dem Winterdienst zwischen Anlieger und Hinterlieger unterschieden. So seien zwar beide nach §§ 4 Abs. 1, 7 Abs. 2 StrReinG für die allgemeine Straßenreinigung mit den jeweiligen Kostenfolgen zuständig, für den Winterdienst jedoch gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 StrReinG nur die Anlieger. Es wäre aber unverständlich, wenn der Hinterlieger beim Winterdienst privilegiert werde, jedoch der „Gegenüberlieger“ herangezogen werden solle. Letztlich stehe auch § 4 Abs. 4 Satz 2 StrReinG, der in der Straßenmitte eine räumliche Grenze für den Winterdienst festlege, der Sicht des Beklagten entgegen. Für die Annahme, zwischen Anlieger und „Gegenüberlieger“ bestehe eine Gesamtschuldnerschaft, fehle eine gesetzliche Grundlage. Gerade wenn Pflichten straf- bzw. bußgeldbewehrt seien, bedürfe es eindeutiger Regelungen über den Umfang der den Einzelnen treffenden Pflichten. Fehle es daran, liege ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG vor.

Die Klägerin beantragt, festzustellen, dass sie nicht zum Winterdienst auf dem Gehweg vor ihrem eigenen Grundstück D, Berlin, gegenüberliegenden Grundstücken D mit ungeraden Hausnummern in Berlin-N verpflichtet ist.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Bußgeldbescheid vom 8. Juli 2010 und die Feststellungen des Amtsgerichts im Urteil vom 12. Januar 2011.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie den Bußgeldvorgang 3021 PLs 10744/10, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klage ist als sogenannte negative Feststellungsklage zulässig. Das Begehren der Klägerin ist gemäß § 43 VwGO auf die Feststellung gerichtet, dass das vom Beklagten behauptete Rechtsverhältnis, die Klägerin sei für den gegenüber ihrem Grundstück liegenden Gehweg winterdienstpflichtig, nicht besteht. An der begehrten Feststellung hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse, nachdem sie bereits einmal mit einem Bußgeld wegen nicht erfüllter Winterdienstpflicht belegt worden ist und der Beklagte weiter davon ausgeht, dass diese Winterdienstpflicht auch künftig besteht, mithin ihr Recht, den Winterdienst nicht vornehmen zu müssen, vom Beklagten bestritten wird. Die grundsätzliche Subsidiarität der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 VwGO steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen, denn die Klägerin kann nicht darauf verwiesen werden, eventuell künftig ihr gegenüber erlassene Verwaltungsakte wegen Geltendmachung von Ersatzvornahmekosten oder weitere Bußgeldbescheide jeweils einzeln anzufechten. Der durch eine Anfechtungsklage mögliche Rechtsschutz bliebe hier in seiner Reichweite gegenüber der Feststellungsklage zurück. Auch auf eine Verpflichtungsklage kann die Klägerin nicht verwiesen werden. Eine solche wäre zwar denkbar im Blick auf die Zulassung von Ausnahmen gemäß § 4 Abs. 5 oder § 5 Abs. 3 StrReinG. Dies wären aber jeweils Einzelfallentscheidungen, wenn unbillige bzw. unzumutbare Härten vermieden werden müssten. Vorliegend geht es aber nicht um die Klärung solcher Voraussetzungen, sondern um die Feststellung der von Gesetzes wegen bestehenden oder nicht bestehenden Winterdienstpflicht, also eines konkreten Rechtsverhältnisses. Insoweit ist auch der Beklagte der richtige Klagegegner, da dieser für die Anwendung des Straßenreinigungsgesetzes zuständig ist.

Die Klage ist auch begründet, denn die Klägerin ist zum Winterdienst auf dem Gehweg vor den ihrem eigenen Grundstück gegenüberliegenden Grundstücken D nicht verpflichtet. Die anderweitige Annahme des Beklagten steht im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Maßgeblich ist hier die Auslegung von § 4 Abs. 3 Satz 1 des Straßenreinigungsgesetzes vom 19. Dezember 1978 , zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. November 2010. Danach sind die Anlieger der in den Straßenreinigungsverzeichnissen A bis C aufgeführten Straßen zum Winterdienst jeweils vor ihren Grundstücken auf den in gleicher oder ähnlicher Richtung verlaufenen nächstgelegenen Gehwegen einschließlich der zu den Grundstücken abzweigenden oder im Bereich von Eckabstumpfungen befindlichen Gehwegabschnitten verpflichtet. Der D ist in das Straßenreinigungsverzeichnis C eingetragen.

Was unter dem Begriff der „jeweils vor ihren Grundstücken auf den in gleicher oder ähnlicher Richtung verlaufenen nächstgelegenen Gehwegen“ zu verstehen ist, lässt sich dem Wortlaut nicht eindeutig entnehmen und bedarf deshalb der Auslegung. Zwar könnte nach dem reinen Wortlaut der „nächstgelegene Gehweg“ auch noch derjenige sein, der sich vor den Grundstücken auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet. Eine solche weite Auslegung steht aber mit den sonstigen gesetzlichen Regelungen im Straßenreinigungsgesetz nicht im Einklang. Vielmehr muss der Begriff des „nächstgelegenen Gehwegs“ dahin verstanden werden, dass damit ein Gehweg gemeint ist, der sich zwischen dem Grundstück des jeweiligen Anliegers und der Fahrbahn der Straße befindet. Dies ergibt sich bereits aus einer Gesamtschau der Regelungen im Straßenreinigungsgesetz, denn nach mehreren Normen bildet die Fahrbahnmitte die natürliche Grenze für Reinigungs- bzw. Winterdienstpflichten.

So obliegt die ordnungsgemäße Reinigung der im Straßenreinigungsverzeichnis C aufgeführten Straßen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 StrReinG den Anliegern jeweils vor ihren Grundstücken bis zur Straßenmitte.

Des Weiteren bestimmt § 4 Abs. 4 Satz 2 StrReinG, dass auf Fahrbahnen der im Straßenreinigungsverzeichnis C aufgeführten Straßen an Straßenkreuzungen oder -einmündungen zusätzlich auf den Fortführungen der Gehwege oder Fußgängerbereiche über die Fahrbahn bis zur Straßenmitte Winterdienst durchzuführen ist. Damit wird sichergestellt, dass nicht nur der nächstgelegene Gehweg durch den Anlieger von Schnee und Eis beräumt wird, sondern auch dessen Fortsetzung auf der Fahrbahn, so dass ein durchgängiger, von Schnee und Eis freigeräumter Weg für Fußgänger besteht. Verpflichtet ist gemäß § 4 Abs. 4 Satz 3 StrReinG der Anlieger, dessen zu reinigender Gehweg oder Fußgängerbereich der Fortführung über die Fahrbahn am nächsten liegt, allerdings besteht die Verpflichtung zum Winterdienst eben nur bis zur Straßenmitte.

Auch die Verwendung des Begriffs „unmittelbar“ in § 4 Abs. 4 a Satz 1 StrReinG, wonach zum Winterdienst in den in der Anlage genannten Fußgängerzonen und auf den dort genannten öffentlichen Plätzen das Land Berlin verpflichtet ist mit Ausnahme der unmittelbar vor den Anliegergrundstücken verlaufenden Gehwege, weist auf einen engen räumlichen Bezug zwischen Anliegergrundstück und zu reinigenden Gehweg hin.

Auf den gleichen engen Zusammenhang zwischen Anliegergrundstück und dem zu reinigenden Gehweg weist auch der in § 4 Abs. 4 Satz 1 StrReinG vom Gesetzgeber benutzte Begriff des „Anliegers“ hin. Denn Anlieger sind die Eigentümer der an eine öffentliche Straße angrenzenden Grundstücke , wobei ein Grundstück dann an eine Straße grenzt, wenn es an Bestandteile einer Straße heranreicht. Als angrenzend gilt auch ein Grundstück gilt, wenn es durch Grün- oder Geländestreifen, die keiner selbstständigen Nutzung dienen, von der Straße getrennt ist. Dies bedeutet, dass auch der im Winterdienst zu reinigende Gehweg jeweils an das Grundstück angrenzen muss. Ein solch angrenzender Gehweg fehlt aber im vorliegenden Fall schon deshalb, weil der räumliche Bezug zum gegenüberliegenden Gehweg durch die vorhandene Fahrbahn aufgehoben bzw. unterbrochen ist.

Dieser Auslegung steht auch nicht entgegen, dass der Gesetzgeber nicht von dem „angrenzenden“, sondern von dem „nächstgelegenen Gehweg“ ausgeht. Denn im Verhältnis zu dem hier nächstgelegenen Gehweg ist die Klägerin eben nicht als Anliegerin anzusehen. Hätte der Gesetzgeber auch den gegenüberliegenden Grundstückseigentümer zum Winterdienst auf dem Gehweg heranziehen wollen, wäre der Begriff des Erschlossenseins der notwendig zu verwendende Begriff gewesen. Der „nächstgelegene Gehweg“ kann deshalb nur dahin zu verstehen sein, dass er in engem räumlichen Zusammenhang zum Grundstück des Anliegers stehen muss, es also keine anderen Straßenbestandteile wesentlichen Charakters, wie z. B. eine Fahrbahn, zwischen dem Grundstück und dem Gehweg geben darf.

Für diese Auslegung spricht auch die Gesetzesentwicklung. Bestimmte noch § 4 Abs. 1 Sätze 2 und 3 des Gesetzes über die Stadtreinigung vom 24. Juni 1969 nur allgemein, dass die Schnee- und Eisbeseitigung auf den Gehwegen den Anliegern obliegt, wurde mit dem Straßenreinigungsgesetz vom 19. Dezember 1978 erstmalig der Begriff des „in gleicher oder ähnlicher Richtung verlaufenden nächstgelegenen Gehwegs“ eingeführt. In der Gesetzesbegründung heißt es zu der bis heute geltenden Formulierung des § 4 Abs. 4 StrReinG:

„Absatz 4 dient der Klarstellung und entspricht in seinen Auswirkungen weitgehend der bisherigen Praxis. Da im Zuge moderner städtebaulicher Gestaltungen Straßen häufig so angelegt werden, dass der Gehweg nicht unmittelbar an der Straßenfrontlinie liegt, der Gehweg nicht parallel zur Straßenfrontlinie verläuft oder sich mehrere Gehwege mit eingeschlossenem Gelände zwischen Anliegergrundstück und Fahrbahn befinden, hat sich ein Bedürfnis nach Festlegung von Kriterien entwickelt, unter welchen Voraussetzungen und inwieweit dem Anlieger Verpflichtungen obliegen.“ Aus den Hinweis auf die Möglichkeit mehrerer Gehwege zwischen Anliegergrundstück und Fahrbahn folgt eindeutig, dass als „nächstgelegener Gehweg“ nur der anzusehen ist, der als erster zwischen Anliegergrundstück und Fahrbahn liegt, jedoch nicht der auf der der Fahrbahn gegenüberliegenden Seite befindliche Gehweg.

Der Gesetzgeber hat auch dadurch, dass bei Straßen mit einseitigem Gehweg nur die Eigentümer der an den Gehweg angrenzenden Grundstücke zum Winterdienst verpflichtet werden, nicht den Gleichheitssatz verletzt. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes liegt nur dann vor, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung von Sachverhalten nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wenn also ein einleuchtender Grund für die Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung fehlt und diese daher willkürlich wäre. Für den Fall eines einseitigen Gehwegs mit einhergehender Räumungspflicht hat das Bundesverwaltungsgericht hierzu folgendes ausgeführt:
„Eine in diesem Sinne willkürliche Ungleichbehandlung liegt jedoch nicht in der alleinigen Belastung des Anliegers, dessen Grundstück an den einseitigen Gehweg grenzt, mit der Sicherungspflicht für ihn. Denn der Angrenzer ist dem Gehweg nicht nur räumlich näher, sondern hat auch die größeren Vorteile durch ihn. Nur ihm, nicht dem Eigentümer oder Nutzungsberechtigten des gegenüberliegenden Grundstücks, bietet der Gehweg einen unmittelbaren Zugang zum Grundstück. Das bedeutet andererseits nicht - wie zur Vermeidung von Missverständnissen zu ergänzen ist -, dass es der Gemeinde verwehrt wäre, alle Straßenanlieger mit der Sicherungspflicht zu belasten. Auch hierin würde kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegen; denn schon das Erschlossensein durch die Straße stellt einen hinreichenden Anknüpfungspunkt für die Begründung von Straßenreinigungspflichten dar. In welcher Weise die Gemeinde vorgehen will, liegt - im Rahmen der jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen - in ihrem normativen Ermessen.“.

Aus den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts folgt zwar, dass es auch möglich wäre, bei einem nur einseitigen Gehweg neben dem unmittelbaren Anlieger auch den Grundstückseigentümer eines gegenüberliegenden Grundstücks mit der Winterdienstpflicht zu beauflagen. Allerdings - darauf weist der Begriff des normativen Ermessens hin - muss eine solche Regelung eindeutig und klar in der jeweiligen Norm selbst getroffen werden. Daran fehlt es im Berliner Straßenreinigungsgesetz. Dies ist aber schon deshalb notwendig, weil mit der Winterdienstpflicht auch Haftungsfragen verbunden sind. Es hätte deshalb einer eindeutigen Normierung bedurft, wobei u. a auch Bestimmungen enthalten hätten sein müssen, wer von gegebenenfalls zwei Verpflichteten wann für den Winterdienst zuständig ist oder ob - wie der Beklagte behauptet - eine Gesamtschuldnerschaft bestehen soll. Dass der Gesetzgeber bei der getroffenen Regelung von Letzterem ausgegangen sein soll, könnte rechtlich auch deshalb zweifelhaft sein, weil es danach allein den Verpflichteten selbst obliegen würde, ihre Pflichten unter sich, also zivilrechtlich, zu regeln; damit wäre aber die Eindeutigkeit der Verpflichtung nicht mehr gegeben. Aus diesem Grund enthalten vergleichbare Normen z. B. ein Regelungsmodell für eine entsprechende freiwillige Vereinbarung. Einige Ortssatzungen sehen vor, dass die unmittelbaren Anlieger in Jahren mit gerader Endziffer, die Gegenüberlieger in den Jahren mit ungerader Endziffer für den Winterdienst zuständig sind. Vergleichbares findet sich im Berliner Landesrecht nicht.

Zwar enthält das Straßenreinigungsgesetz einen Fall der Gesamtschuldnerschaft, normiert in § 5 Abs. 1 Satz 3 StrReinG, wonach, wenn an einem Grundstück ein Erbbaurecht, ein Nießbrauch oder ein sonstiges dingliches Nutzungsrecht besteht, auch der daraus Berechtigte Anlieger oder Hinterlieger ist, ohne dass hierzu nähere Regelungen der Verpflichtung zur Straßenreinigung bzw. zum Winterdienst zwischen den Verpflichteten im Gesetz selbst getroffen wurden. Der wesentliche Unterschied zum streitigen Fall besteht hier aber darin, dass eine Grundstücksidentität bezüglich des Eigentümers, Erbbauberechtigten etc. besteht, die im Fall eines Anliegers und Gegenüberliegers nicht gegeben ist.

Bei Schaffung des Straßenreinigungsgesetzes im Jahr 1978 war dem Gesetzgeber auch durchaus bewusst, dass ihm der oben dargelegte Ermessenspielraum zur Regelung des Winterdienstes auf einem einseitigen Gehweg zusteht. Dies ergibt sich aus der Einfügung des § 4 Abs. 3 StrReinG , der auch in den späteren und der jetzt geltenden Fassung unverändert geblieben ist. Danach sind, soweit eine öffentliche Straße hauptsächlich aus einem Gehweg besteht und die Anlieger zur Reinigung verpflichtet sind, allein die Anlieger verpflichtet, deren Grundstücke bebaut sind oder gewerblich genutzt werden, wenn die an die andere Straßenseite angrenzenden Grundstücke diese Merkmale nicht aufweisen. In der Gesetzesbegründung wird dazu folgendes ausgeführt:

„Absatz 3 geht davon aus, dass es in dem bezeichneten Fall nicht gerechtfertigt wäre, die Reinigungspflicht zu einer im wesentlichen nur aus einem Gehweg bestehenden Straße auf zwei Anlieger aufzuteilen bzw. die Reinigung von beiden zu verlangen, wenn die Vorteile auf dem Gehweg beim Eigentümer des bebauten oder gewerblich genutzten Grundstücks überwiegen. Dieser wird dadurch nicht unzumutbar belastet, da er, hätte die Straße auch eine Fahrbahn, auch für den vor seinem Grundstück liegenden Gehweg allein verpflichtet wäre.“

Daraus folgt, dass nur in den Fällen, in denen eine öffentliche Straße hauptsächlich aus einem Gehweg besteht und die zu beiden Seiten angrenzenden Grundstücke bebaut oder gewerblich genutzt sind, beide Anlieger verpflichtet werden sollten. Besteht aber daneben auch eine Fahrbahn, ist dieser Zusammenhang - wie oben bereits dargelegt - unterbrochen und nur derjenige allein verpflichtet, zwischen dessen Grundstück und der Fahrbahn der Gehweg verläuft.

Gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO war die Berufung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zuzulassen, denn die im vorliegenden Fall streitige Frage hat grundsätzliche Bedeutung und ist bislang obergerichtlich noch nicht geklärt.

Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
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3.
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4.
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8.
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9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.