Verfassungsrecht: § 2 Abs.4 des Hamburgischen Passivraucherschutzgesetz ist verfassungswidrig



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Rauchen in Gaststätten grundsätzlich verboten. Vom Rauchverbot
ausgenommen sind Einraumgaststätten mit einer Gastfläche von weniger als
75 m², die als reine Schankwirtschaften betrieben werden, d. h. in denen
keine zubereiteten Speisen angeboten werden und die nicht über eine
entsprechende gaststättenrechtliche Erlaubnis verfügen.
Des Weiteren erlaubt die im Vorlageverfahren maßgebliche Vorschrift des
§ 2 Abs. 4 HmbPSchG für alle übrigen (reinen) Schankgaststätten, nicht
aber für Speisegaststätten die Einrichtung von abgetrennten
Raucherräumen. Eine vergleichbare Regelung zur Zulassung von
Raucherräumen in Gaststätten findet sich auch in anderen Ländern nicht.
Entweder gilt dort ein striktes Rauchverbot oder die Einrichtung von
abgeschlossenen Raucherräumen wird unabhängig davon zugelassen, ob in
den jeweiligen Gaststätten zubereitete Speisen angeboten werden oder
nicht.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens betreibt eine an einer Autobahn
gelegene Gaststätte, die neben einer Gaststube einen „Clubraum“ umfasst.
Für diese Gaststätte ist die Klägerin im Besitz einer
gaststättenrechtlichen Erlaubnis zum Betrieb einer Schank- und
Speisewirtschaft. Ihr Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung vom
Rauchverbot, um den Clubraum als Raucherraum auszuweisen, lehnte die
zuständige Verwaltungsbehörde mit der Begründung ab, dass die
gesetzliche Regelung für Speisewirtschaften keine Ausnahme vom
Rauchverbot vorsehe. Die hiergegen erhobene Klage führte zur Vorlage
durch das Verwaltungsgericht, das die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 4
HmbPSchG für verfassungswidrig hält. Sie verstoße gegen die
Berufsausübungsfreiheit in Verbindung mit dem allgemeinen
Gleichheitssatz, weil danach ohne rechtfertigenden Grund
Speisewirtschaften anders als Schankwirtschaften die Möglichkeit versagt
bleibe, abgeschlossene Raucherräume einzurichten.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass § 2
Abs. 4 HmbPSchG mit der in Art. 12 Abs. 1 GG garantierten
Berufsausübungsfreiheit in Verbindung mit dem allgemeinen
Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar ist, als die
Regelung Betreibende von Speisewirtschaften anders als Betreibende von
Schankwirtschaften von der Möglichkeit ausschließt, in abgeschlossenen
Nebenräumen ihrer Gaststätten das Rauchen zu gestatten. Bis zu einer
gesetzlichen Neuregelung gilt die Vorschrift mit der Maßgabe fort, dass
auch für Speisewirtschaften abgeschlossene Raucherräume eingerichtet
werden dürfen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Wie der Senat im Grundsatz schon in seinem Urteil vom 30. Juli 2008 (1
BvR 3262/07 u. a., vgl. Pressemitteilung Nr. 78/2008 vom 30. Juli 2008)
entschieden hat, greift das Rauchverbot in Gaststätten in die
Berufsausübungsfreiheit der Betreiber ein. Die in § 2 Abs. 4 Satz 1
HmbPSchG bestimmte Unterscheidung zwischen Schank- und
Speisewirtschaften hat zur Folge, dass Betreibende von
Speisewirtschaften nicht in freier Ausübung ihres Berufs das Angebot
ihrer Gaststätten auch für rauchende Gäste attraktiv gestalten können,
was erhebliche wirtschaftliche Nachteile insbesondere für eher
getränkegeprägte Speisegaststätten nach sich ziehen kann. Diese
Ungleichbehandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt, weil es an einem
hinreichend gewichtigen Grund für die Differenzierung fehlt.
1. Als Differenzierungsgrund reicht nicht allein die Tatsache aus, dass
die unterschiedliche Regelung für Schank- und Speisewirtschaften das
Ergebnis eines politischen Kompromisses der damaligen
Regierungsfraktionen der Hamburgischen Bürgerschaft war.
2. Die unterschiedliche Behandlung lässt sich ferner nicht durch Gründe
des Gesundheitsschutzes rechtfertigen. Im Hinblick auf den Schutz der
Gesundheit des Gaststättenpersonals fehlt es an dem erforderlichen
Zusammenhang zwischen diesem Regelungsziel und der vom Gesetzgeber
gewählten Differenzierung zwischen Speise- und Schankgaststätten. Denn
nicht nur in Speise-, sondern auch in Schankwirtschaften sind
Angestellte beschäftigt, die die Gäste in dort zulässigen Raucherräumen
bedienen und hierbei den Gefahren des Passivrauchens ausgesetzt werden.
Mit dem Schutz der Gesundheit der nichtrauchenden Gäste kann die
Ungleichbehandlung ebenfalls nicht gerechtfertigt werden. Es wurden
keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vorgebracht, nach denen die
Verbindung von Essen und Passivrauchen zu einer besonderen
Schadstoffbelastung der nichtrauchenden Gäste führt. Aber selbst wenn
man dies unterstellte, ergäbe sich daraus keine Rechtfertigung, den
Betreibenden von Speisewirtschaften die für andere Gaststätten
bestehende Möglichkeit vorzuenthalten, Raucherräume einzurichten. Die
Gäste können sich zum Essen in Nichtraucherbereichen aufhalten, von
denen nach den gesetzlichen Vorgaben die Raucherräume so wirksam
abzutrennen sind, dass eine Gefährdung durch Passivrauchen
ausgeschlossen wird.
Die Erwägung, dass durch den Ausschluss von Raucherräumen in
Speisegaststätten eine größere Anzahl von Menschen den Gefahren des
Passivrauchens entzogen wird, könnte ebenfalls keinen sachlich
vertretbaren Differenzierungsgrund liefern. Denn das Regelungsziel, die
Anzahl der Gelegenheiten zum Rauchen zu reduzieren, stünde in keinem
inneren Zusammenhang mit der Unterscheidung von Speise- und
Schankwirtschaften.
3. Die Ungleichbehandlung von Speise- und Schankgaststätten ließe sich
auch nicht mit einer etwaigen unterschiedlichen wirtschaftlichen
Betroffenheit durch ein Rauchverbot rechtfertigen. Insoweit fehlt es
bereits an einer hinreichenden Tatsachengrundlage. Für den - allein von
der Regelung betroffenen - Bereich derjenigen Gaststätten, die über die
baulichen Möglichkeiten zur Einrichtung eines Nebenraums für rauchende
Gäste verfügen, lässt sich nicht feststellen, dass reine
Schankwirtschaften typischerweise in erheblichem Umfang wirtschaftlich
stärker durch ein Rauchverbot belastet würden als Gaststätten, in denen
auch zubereitete Speisen angeboten werden oder angeboten werden dürfen.
Die Annahme einer generell wirtschaftlich stärkeren Belastung der
Schankwirtschaften im Vergleich zu den Speisewirtschaften als
Differenzierungsgrund kann auch nicht auf das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juli 2008 gestützt werden, mit dem es
Regelungen über Rauchverbote in Gaststätten für unvereinbar mit der
Berufsausübungsfreiheit erklärt hatte, weil sie die getränkegeprägte
Kleingastronomie unverhältnismäßig belasteten. Maßgebend für die
Unterscheidung war ausdrücklich nicht die Ausrichtung solcher Eckkneipen
bzw. Einraumgaststätten als Schwankwirtschaften, sondern dieser
spezielle Gaststättentypus, der in besonderer Weise durch rauchende
Stammgäste geprägt ist und für den daher bei einem Rauchverbot
existentielle Umsatzeinbußen zu befürchten sind. Allein in diesem
Zusammenhang wurde das unterschiedliche gastronomische Angebot als eines
von mehreren Unterscheidungsmerkmalen herangezogen und bei der
Schilderung der Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers wieder
aufgenommen.
Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.01.12 (Nr. 11/2012)
Die Entscheidung im Einzelnen lautet:
BVerfG vom 24.01.12 – Az: 1 BvL 21/11
Es stellt einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss dar, wenn als Ausnahme von einem gesetzlichen Rauchverbot in Gaststätten abgeschlossene Raucherräume für Schankwirtschaften zugelassen, für Speisewirtschaften jedoch untersagt sind.
§ 2 Absatz 4 des Hamburgischen Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit (Hamburgisches Passivraucherschutzgesetz - HmbPSchG) vom 11. Juli 2007 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 211), zuletzt geändert am 15. Dezember 2009 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 506), ist mit Artikel 12 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit die Vorschrift Gaststätten, die zubereitete Speisen anbieten oder über eine entsprechende Erlaubnis nach § 3 des Gaststättengesetzes in der Fassung vom 20. November 1998 (Bundesgesetzblatt I Seite 3418), zuletzt geändert am 7. September 2007 (Bundesgesetzblatt I Seite 2246


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(2) Die Erlaubnis darf auf Zeit erteilt werden, soweit dieses Gesetz es zuläßt oder der Antragsteller es beantragt.
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