BGH: Cum-Ex-Aktiengeschäfte sind strafbar
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am Mittwoch, den 28.07.2021 das erste Urteil (1 StR 519/20) zu den lange Zeit umstrittenen „Cum-Ex-Aktiengeschäften“ gesprochen. Nach Ansicht der Karlsruher Richter handelt es sich bei den „Cum-Ex-Deals“ um strafbare Steuerhinterziehung gem. § 370 AO.
Streifler&Kollegen – Dirk Streifler – Rechtsanwälte Berlin
Die Geschäfte, bei denen Investoren, Banken und Aktienhändler Aktien vor und nach dem Dividendenstichtag hin und her geschoben haben und sich auf diese Weise unrechtmäßig mehrere Milliarden Euro nicht gezahlter Steuern haben auszahlen lassen, sind strafbar. Es handelt es sich weder um eine Gesetzeslücke noch um ein Steuerschlupfloch.
Lange herrschte Uneinigkeit darüber, ob die sogenannten Cum-Ex-Geschäften Steuerbetrug darstellen oder ob hierdurch lediglich eine Gesetzeslücke ausgenutzt wurde. Der Steuerschaden, der durch diese „Geschäftsstrategie“ entstanden ist, beträgt ca. 12 Milliarden Euro. Geld, das dem Steuerzahler gehört und das unrechtmäßig ausgezahlt wurde, so der BGH.
Was sind „Cum-Ex-Geschäfte“?
Bei den sogenannten Cum-Ex-Geschäften handelt es sich um Aktiengeschäfte, bei denen Aktien, kurz vor (cum) und kurz nach (ex) dem Dividendenstichtag gehandelt werden. Am Dividendenstichtag zahlen Unternehmen, die an der Börse notiert sind, Dividenden an ihre Aktionäre aus. Aktionäre erhalten mit der Auszahlung von Dividenden eine Beteiligung am Gewinn des Unternehmens, müssen diesen Gewinn jedoch versteuern. 25 % des Gewinns zahlt das Unternehmen als Steuer direkt an das Finanzamt. Zu diesem Zweck erhält jeder institutionelle Aktionär eine Steuerbescheinigung, die von der Bank ausgestellt wird. Diese Steuerbescheinigung dient dazu Steuern die an einer anderen Stelle aufgetreten sind, mit der gezahlten Kapitalertragssteuer zu verrechnen. Institutionelle Aktionäre wie Banken - nicht jedoch Private - haben also die Möglichkeit sich die Kapitalertragsteuer zurückzahlen zu lassen.
Eine entscheidende Rolle bei den „Cum-Ex-Geschäften“ nehmen Leerverkäufe ein. Als Beispiel soll im Folgenden eine Aktie im Wert von 100 Euro fungieren. Leerverkäufer A verkauft diese Aktie – ohne sie zu besitzen - an Bank B und erhält hierfür 100 Euro. Am Dividendenstichtag erhalten alle Investoren nun eine Dividende. Die Dividende im Beispiel soll 10 Euro betragen. Von diesen 10 Euro erhält der tatsächliche Aktieninhaber, im Folgenden Investor C, jedoch nur 7.5 Euro. Den Rest zahlt das Unternehmen an das Finanzamt. C erhält im Gegenzug dafür eine Steuerbescheinigung. B hat nun einen Anspruch sowohl auf die Aktie als auch auf die Dividende. Leerverkäufer A muss nun die Aktie inklusive Dividende liefern. Da er sie gar nicht besitzt, kauft er sie nach dem Dividendenstichtag bei C. Da der Dividendenstichtag nur einmal im Jahr ist, verliert die Aktie an Wert. C kann sie A zu einem Preis von 90 Euro verkaufen. A gibt die Aktie – allerdings ohne Dividendenanspruch, an B. Den restlichen Betrag in Höhe von 7.5 gibt er B zusätzlich dazu. Hätte B die Aktie gleich erhalten und nicht einen Tag später, würde er genau gleich stehen wie jetzt. Denn B hat nun die Aktie sowie den Dividendenzahlung erhalten. 2,5 Euro wären sowieso an das Finanzamt gezahlt worden. Da B am Dividendenstichtag Eigentümer der Aktie war, bekommt auch sie eine Steuerbescheinigung, mit der sie sich die Kapitalertragssteuer erstatten lassen kann. Die Steuer wurde also insgesamt nur einmal gezahlt, aber zweimal erstattet. Leerverkäufer A, der von B 100 Euro erhalten hat, jedoch nur 97,5 Euro insgesamt ausgegeben hat, teilt sich die 2,5 Euro mit Bank B und Investor C.
Damit sich der Aufwand für alle Beteiligten lohnt, sind die Aktien mit denen Cum-Ex-Geschäfte betrieben werden, in der Regel mehrere Milliarden Euro Wert und selbstverständlich nicht wie im Beispiel aufgeführt nur 10 Euro.
Aufgrund des Auseinanderfallens der steuerbetreibenden Behörde und derjenigen, die die Bescheinigung ausstellt, konnten die „Cum-Ex-Geschäfte“ gelingen. Finanzbehörden hatten keine Möglichkeit zu überprüfen, ob die Aktie mit oder ohne Dividendenanspruch veräußert wurde.
Was ist passiert?
Ähnlich wie im eben aufgeführten Beispiel verabredeten sich die Angeklagten S und Verantwortliche des Bankhauses (Privatbank M.M. Warburg), insbesondere die gesondert verfolgten Dr. O und Sc in den Zeitraum zwischen 2007 und 2011, zur Durchführung von Cum-Ex-Geschäften. Das Ziel war es, die deutschen Finanzbehörden durch wahrheitswidrige Erklärungen zur Erstattung der angeblich gezahlten Kapitalertragssteuer in Millionenhöhe zu veranlassen. Hierbei stellte sich das Bankhaus W selbst Steuerbescheinigungen aus. Auf diese Weise erreichten die Angeklagten, dass insgesamt über 166 Millionen Euro unrechtmäßig ausgezahlt wurden. Das Landgericht Bonn (LG Bonn) hatte sie wegen dieser Vorgehensweise bereits verurteilt. Hiergegen legten die Angeklagten Revisionen ein, die der BGH mit Urteil von 28.07.2021 verwarf. Das Urteil des LG Bonns ist damit rechtskräftig.
Was sagt der BGH?
Der BGH ist der Ansicht, dass die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragssteuer gegenüber den Finanzbehörden auf Grundlage solcher Cum-Ex-Geschäfte, den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt. Die Strafbarkeit von Cum-Ex-Geschäften decke sich mit dem Gerechtigkeitsempfindungen und ergebe sich zudem unmittelbar aus dem Gesetz. Dieses gibt vor, dass nur tatsächlich gezahlte Steuer zurückerstattet werden kann. Die Angeklagten hätten sich mit einem „blanken Griff in die Kasse, in die alle Steuerzahler normalerweise einzahlen“ vorsätzlich bereichert. Die Richter am BGH entschieden zudem, dass eine Einziehung der Gewinne aus den Cum-Ex-Geschäften der Jahre 2007-2011 nicht ausgeschlossen sei. Eine Verjährung komme, aufgrund einer am 21. 12. 2020 eingeführten Regelung (vgl. § 73e Abs. 1 S. 2 StGB) nicht in Betracht.
Die Haftstrafen für die Angeklagten fielen widererwartend mild aus. Grund dafür ist, dass beide Aktienhändler mit der Staatsanwaltschaft kooperiert haben, indem sie Ermittler ausführlich über ihre Vorgehensweise unterrichteten. Auf diese Weise haben sie dabei geholfen haben, dass weitere Verfahren eröffnet werden können. Der Angeklagte S. ist wegen Steuerhinterziehung in mehreren Fällen zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Der Mitangeklagte D. ist wegen Beihilfe zu Steuerhinterziehung ebenfalls zu einer Haftstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt worden.
Der Angeklagte S muss 14. Millionen Euro zurückzahlen. Von der Privatbank Warburg werden Gelder in Höhe von ca. 176 Millionen Euro eingezogen.
Haben Sie noch Fragen zum Thema Steuern allgemein oder zum Thema Steuerhinterziehung? Dann nehmen Sie Kontakt zu Streifler&Kollegen auf und lassen Sie sich fachkundig beraten.
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(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
- 1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht, - 2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder - 3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
- 1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt, - 2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht, - 3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht, - 4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt, - 5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder - 6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.
(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.
(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.
(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.
(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.
(1) Die Einziehung nach den §§ 73 bis 73c ist ausgeschlossen, soweit der Anspruch, der dem Verletzten aus der Tat auf Rückgewähr des Erlangten oder auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen ist, erloschen ist. Dies gilt nicht für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind.
(2) In den Fällen des § 73b, auch in Verbindung mit § 73c, ist die Einziehung darüber hinaus ausgeschlossen, soweit der Wert des Erlangten zur Zeit der Anordnung nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist, es sei denn, dem Betroffenen waren die Umstände, welche die Anordnung der Einziehung gegen den Täter oder Teilnehmer ansonsten zugelassen hätten, zum Zeitpunkt des Wegfalls der Bereicherung bekannt oder infolge von Leichtfertigkeit unbekannt.