Steuerrecht: EU-Mehrwertsteuerreform – Änderungen für international agierende Unternehmen
1. Innergemeinschaftliche Lieferungen
Bei innergemeinschaftlichen Lieferungen erfolgt eine grenzüberschreitende Lieferung innerhalb der Europäischen Union. Diese Lieferung ist grundsätzlich umsatzsteuerfrei, wenn gewisse Nachweise erbracht werden. Das spiegelbildliche Zusammenspiel von steuerbefreiter Lieferung und steuerpflichtigem innergemeinschaftlichen Erwerb stellt eine wesentliche Grundlage des derzeitigen Mehrwertsteuersystems dar.
Bisher hatte die Angabe der ausländischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) des Abnehmers „nur“ den Status einer formellen Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung durch den Lieferer. Dies hatte die Auswirkung, dass bei Nachweis der übrigen Voraussetzungen – vor allem der Warenbewegung in den anderen Mitgliedstaat – die Steuerbefreiung nicht wegen der unterbliebenen Angabe der USt-IdNr. versagt werden durfte.
Durch die Änderung der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) und des nationalen Umsatzsteuergesetzes (UStG) wird die Steuerbefreiung künftig nicht mehr gewährt, wenn die Zusammenfassende Meldung des liefernden Unternehmers unrichtig oder unvollständig ist. Darüber hinaus muss der Abnehmer gegenüber dem Lieferer eine gültige USt-IdNr. verwendet haben.
Beachten Sie: Damit erlangt sowohl die Zusammenfassende Meldung als auch die Angabe der USt-IdNr. des Abnehmers materiell-rechtlichen Charakter.
2. Konsignationslager
Umsatzsteuerlich ist unter einem Konsignationslager ein (vielfach) beim Kunden (Abnehmer) anzutreffendes Warenlager des Lieferanten zu verstehen. Aus diesem kann der Abnehmer dann bei Bedarf („just in time“) Waren entnehmen.
Bei einem Konsignationslager sind grundsätzlich zwei Formen zu unterscheiden:
Bei einem Call-off-Stock kann nur ein bestimmter Abnehmer Waren aus dem Lager entnehmen.
Bei einem Consigment-Stock haben mehrere Abnehmer die Möglichkeit, auf die Ware zurückzugreifen.
Bislang löst die grenzüberschreitende Bestückung des deutschen Konsignationslagers ein – grundsätzlich steuerfreies – innergemeinschaftliches Verbringen im Abgangsland und spiegelbildlich die Besteuerung eines innergemeinschaftlichen Erwerbs im Bestimmungsland aus. Die tatsächliche Entnahme der Waren aus dem Lager führt zu einer inländischen Lieferung. Demnach muss sich der Lieferer im Bestimmungsland für umsatzsteuerliche Zwecke registrieren.
Beachten Sie: Wird die Ware nur für kurze Zeit zwischengelagert und steht der Abnehmer der Ware bei Transportbeginn bereits fest, dann können Unternehmer von einer Vereinfachungsregelung profitieren: Bei Transport der Ware zum Konsignationslager wird eine direkte innergemeinschaftliche Lieferung im Abgangsland und spiegelbildlich ein innergemeinschaftlicher Erwerb durch den Abnehmer angenommen. Die sich daran anschließende Inlandslieferung fällt ebenso wie eine Registrierungspflicht im Bestimmungsland weg.
Diese Vereinfachungsregelung beruht auf zwei Urteilen des Bundesfinanzhofs aus 2016 und findet regelmäßig nur bei Call-off-Stocks Anwendung. Das Bundesfinanzministerium hat diese Grundsätze übernommen.
Durch die Quick-Fixes kommt es nun zu einer einheitlichen Regelung in der EU. Unter den Voraussetzungen des Art. 17a MwStSystRL erfolgt die innergemeinschaftliche Lieferung im Abgangsmitgliedstaat sowie der innergemeinschaftliche Erwerb erst im Zeitpunkt der Entnahme der Ware. Der Warentransport löst damit kein innergemeinschaftliches Verbringen aus. Eine Registrierungspflicht im Bestimmungsland entfällt. Diese Regelung soll mit der Einfügung des neuen § 6b im UStG in nationales Recht umgesetzt werden.
Die Voraussetzungen:
- Die Gegenstände werden in ein Konsignationslager in einem anderen Mitgliedstaat befördert oder versendet.
- Der Lieferer hat im Bestimmungsmitgliedstaat weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung.
- Der Erwerber muss gegenüber dem Lieferer bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung die ihm vom Bestimmungsmitgliedstaat erteilte USt-IdNr. verwendet haben. Zudem muss der Erwerber die Lieferung gesondert aufzeichnen und dabei zahlreiche gesetzliche Vorgaben beachten.
- Auch der Lieferer muss den Warentransport in den Bestimmungsmitgliedstaat nach gesetzlichen Vorgaben gesondert aufzeichnen. Die USt-IdNr. des Erwerbers muss er in die Zusammenfassende Meldung aufnehmen.
- Die Gegenstände müssen innerhalb von zwölf Monaten nach Einlagerung vom Abnehmer aus dem Lager entnommen werden.
- Werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt bzw. wird die Ware nicht innerhalb der Zwölf-Monatsfrist entnommen, ist grundsätzlich weiterhin ein innergemeinschaftliches Verbringen anzunehmen.
Beachten Sie: Wird die Ware jedoch innerhalb von zwölf Monaten zurück in den Abgangsmitgliedstaat transportiert und dieser Rücktransport gesondert aufgezeichnet, entfällt ein innergemeinschaftliches Verbringen. Dies gilt auch in den Fällen, in denen anstatt des ursprünglich vorgesehenen Erwerbers ein anderer Unternehmer die Ware innerhalb von zwölf Monaten entnimmt.
3. Reihengeschäft
Ein Reihengeschäft liegt vor, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und dieser Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer gelangt.
Folge des Reihengeschäfts ist es, dass die Warenbewegung nur einer der Lieferungen zuzuordnen ist. Nur diese Lieferung kommt in den Genuss der Steuerbefreiung.
Der neue Art. 36a MwStSystRL schaffterstmals eine EU-einheitliche Definition für Reihengeschäfte. Die Zuordnung der Warenbewegung wurde indes nur für die Fälle getroffen, in denen der mittlere Unternehmer (Zwischenhändler) befördert oder versendet. Im Ergebnis entspricht die Regelung der deutschen Vermutungsregelung, nach der die Warenbewegung grundsätzlich der Lieferung an den Zwischenhändler zuzuordnen ist. Damit ist diese Lieferung die bewegte und potenziell steuerbefreite. Abweichend hiervon gilt als bewegte Lieferung die Lieferung des Zwischenhändlers, wenn er mit der USt-IdNr. des Abgangsmitgliedstaats auftritt.
Nicht ausdrücklich geregelt sind die Fälle, in denen der erste oder der letzte Unternehmer die Gegenstände befördert. Nach dem UStG gilt Folgendes:
- Wird der Gegenstand der Lieferung durch den ersten Unternehmer in der Reihe befördert oder versendet, ist die Beförderung oder Versendung seiner Lieferung zuzuordnen.
- Wird der Gegenstand der Lieferung durch den letzten Abnehmer befördert oder versendet, ist die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzuordnen.
Fazit: Die Quick Fixes sind zu begrüßen, da die Vereinheitlichung für Rechtssicherheit sorgt. Allerdings wird der Nutzen, z. B. bei der Neuregelung für Konsignationslager, durch die Aufzeichnungspflichten geschmälert. Bei innergemeinschaftlichen Lieferungen bedeuten die verschärften Anforderungen Handlungsbedarf für betroffene Unternehmen. In Sachverhaltskonstellationen mit Drittstaaten (z. B. Schweiz) entfalten die Quick Fixes keine Wirkung; insoweit verbleibt es bei den bisher geltenden Regelungen.
Quelle: Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Referentenentwurf des BMF, Stand: 8.5.2019); BFH, Urteil vom 20.10.2016, V R 31/15; BFH, Urteil vom 16.11.2016, V R 1/16; BMF, Schreiben vom 10.10.2017, III C 3 - S 7103-a/15/10001
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Tenor
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Die Revision des Beklagten und die Anschlussrevision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 25. August 2015 1 K 2519/10 werden als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen; die Kosten der Anschlussrevision trägt die Klägerin.
Tatbestand
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I. Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionsklägerin (Klägerin) lieferte in den Streitjahren 2001 bis 2008 Waren an die Beigeladene.
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In den Streitjahren 2001 und 2002 erfolgten die Lieferungen über ein in S im Inland gelegenes Lager. Seit 2003 wurden die Lieferungen über ein in U im Inland gelegenes Lager ausgeführt, das von L betrieben wurde. Die Klägerin war Auftraggeberin des L.
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Die Warenlieferungen erfolgten auf der Grundlage sog. zentraler Lieferverträge. Diese regelten die zu liefernden Gegenstände, die Kaufpreise sowie die Zahlungs- und Lieferungsbedingungen. Die konkreten Liefermengen und Lieferdaten ergaben sich erst aus sog. Lieferabrufplänen, die die Beigeladene der Klägerin häufig täglich übersandte. Nach den zentralen Lieferverträgen war nur der Lieferabruf juristisch bindend und führte zu einem Kaufvertrag. Nach den zum Vertragsbestandteil gewordenen Allgemeinen Einkaufsbedingungen der Beigeladenen wurden Warenmenge und Liefertermin erst durch den Lieferabruf festgelegt. Die Klägerin hatte die erforderliche Kapazität sicherzustellen, um die Warenmengen einschließlich Vorschaumengen aus Lieferabrufen erfüllen zu können. Mit dem Lieferabruf und einem zeitlich nachfolgenden konkretisierten Feinabruf teilte die Beigeladene der Klägerin verbindlich mit, welche Warenmengen zu welchem Datum angeliefert werden mussten. Das Eigentum an den Waren sowie die Gefahr des zufälligen Untergangs sollten erst zu dem Zeitpunkt und an dem Lieferort übergehen, der im jeweiligen Liefervertrag bestimmt war. Die Beigeladene war aber verpflichtet, für die durch den Lagerhalter verursachten Schäden gegenüber der Klägerin einzustehen. Für den Fall einer Kündigung eines Lieferabrufs musste die Beigeladene die aufgrund des Abrufs bereits eingelagerten Waren bezahlen. Zahlungen waren jeweils zum 25. des auf die Lieferung folgenden Monats fällig. Die Lieferabrufe enthielten stets Freigaben für die nächsten zwölf Wochen und bestimmten für diesen Zeitraum Liefertermine in Abständen von regelmäßig ein bis zwei Wochen. Die in das Lager in U versandten Waren entsprachen mengenmäßig dem Bedarf der Beigeladenen in den nächsten Tagen und Wochen.
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Im Rahmen einer während des finanzgerichtlichen Verfahrens abgeschlossenen tatsächlichen Verständigung gingen die Klägerin und der Beklagte, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass für 95 % der Lieferungen bereits bei Beginn der Versendung in Spanien verbindliche Bestellungen der Beigeladenen vorlagen.
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Im Anschluss an ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche der Klägerin nahm das FA an, dass alle über das inländische Lager ausgeführten Lieferungen trotz der Versendung aus Spanien im Inland steuerpflichtig seien und erließ dem entsprechende Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.
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Demgegenüber gab das Finanzgericht (FG) der Klage überwiegend statt. Nach seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 2229 veröffentlichten Urteil setzt die Anwendung von § 3 Abs. 6 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in Übereinstimmung mit Art. 32 der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) und Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern vom 17. Mai 1977 (Richtlinie 77/388/EWG) ein Umsatzgeschäft und damit eine Lieferung gegen Entgelt voraus. Grundlage der Versendung müsse ein Umsatz sein. Es genüge nicht, dass eine Versendung erst bei Hinzutreten weiterer Umstände zu einem Umsatz führe. Auf der Grundlage der übereinstimmenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) könne eine Versendungslieferung auch bei einer kurzfristigen Einlagerung in ein Lager des Lieferanten vorliegen, wenn der Kunde als Abnehmer feststehe. Dies gelte aber nicht für Lieferungen, für die bei Beginn der Beförderung in Spanien noch kein Umsatzgeschäft vorgelegen habe, da es an einer verbindlichen Bestellung gefehlt habe. Ein im Zeitpunkt des Beginns der Beförderung nicht zur Abnahme verpflichteter und damit nur potentieller Abnehmer sei einem bereits feststehenden Abnehmer nicht gleichzustellen.
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Hiergegen wendet sich das FA mit seiner Revision. Von innergemeinschaftlichen Lieferungen aus Spanien sei nur auszugehen, wenn die Beigeladene bereits bei der Einlagerung in das Lieferantenlager die Verfügungsmacht i.S. von § 3 Abs. 1 UStG erhalten habe. Erlange die Beigeladene wie im Streitfall die Verfügungsmacht erst mit der Entnahme aus dem Lieferantenlager, liege ein innergemeinschaftliches Verbringen und eine Inlandslieferung vor. Die Beigeladene habe mit der Einlagerung in das Lieferantenlager nach ihrer Interessenlage auch noch keine Verfügungsmacht erlangen wollen.
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Das FA beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG aufzuheben, soweit es der Klage stattgegeben hat.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen
und im Wege der Anschlussrevision,
das Urteil des FG aufzuheben, soweit es die Klage abgewiesen hat, sowie die Umsatzsteuerbescheide 2001 bis 2006 vom 22. Juni 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. September 2010 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf jeweils 0 € herabgesetzt wird.
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Das FG habe der Klage zutreffend stattgegeben, da die Beigeladene die Verfügungsmacht bereits in Spanien erlangt habe. Zur Begründung ihrer Anschlussrevision macht sie geltend, dass die Beigeladene auch ohne verbindliche Bestellung als Abnehmerin festgestanden habe, wie sich aus den vertraglichen Vereinbarungen ergebe. Soweit das FG die Klage für Lieferungen ohne Produktionsfreigabe bei Beginn der Versendung abgewiesen habe, bestehe keine Vergleichbarkeit mit einem Kauf auf Probe, bei dem Ware unaufgefordert zugesandt werde. Denn die Versendung dieser Gegenstände sei auf der Grundlage der von der Beigeladenen mitgeteilten Bedarfsmengen erfolgt. In Bezug auf diese Vorschaumengen habe zwar keine Abnahmeverpflichtung bestanden, die Klägerin habe aber sicherstellen müssen, die als Vorschau mitgeteilten Mengen zeitgerecht liefern zu können. Bei realistischer Betrachtungsweise habe die Beigeladene auch insoweit als Abnehmerin festgestanden.
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Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision des FA und die Anschlussrevision der Klägerin sind unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass sich der Ort der von der Klägerin unstreitig ausgeführten Lieferungen nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG bestimmt, wenn die Person des Abnehmers bereits bei Beginn der Versendung feststeht.
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1. Die Ortsbestimmung als Versendungslieferung nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG setzt voraus, dass der Abnehmer bereits bei Beginn der Versendung feststeht. Unter dieser Bedingung kann eine Versendungslieferung auch dann vorliegen, wenn der Liefergegenstand nach dem Beginn der Versendung für kurze Zeit in einem Auslieferungslager gelagert wird.
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a) Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder vom Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet, gilt die Lieferung gemäß § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Diese Vorschrift beruht unionsrechtlich auf Art. 32 MwStSystRL (bis einschließlich 2006: Art. 8 Abs. 1 Buchst. a Richtlinie 77/388/EWG). Wird der Gegenstand vom Lieferer, vom Erwerber oder von einer dritten Person versandt oder befördert, gilt danach als Ort der Lieferung der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet.
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b) § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG setzt eine Versendung an den Abnehmer voraus. Dieser muss im Zeitpunkt der Versendung nach Maßgabe des der Lieferung zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses, aus dem sich die Person des Abnehmers ergibt (BFH-Urteil vom 25. April 2013 V R 28/11, BFHE 242, 77, BStBl II 2013, 656, unter II.2.c aa), feststehen. § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG erfordert in Übereinstimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben (Art. 32 MwStSystRL und zuvor Art. 8 Abs. 1 Buchst. a Richtlinie 77/388/EWG), dass "der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder vom Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet wird". Wie sich aus der Rechtsfolgenanordnung der Vorschrift ergibt, muss "die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer" erfolgen, der somit bereits beim Beginn der Versendung feststehen muss. Auch dies stimmt mit Art. 32 MwStSystRL überein. Danach befindet sich der Lieferort an dem "Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet".
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c) Kommt es für § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG auf die Versendung an einen bei ihrem Beginn bereits feststehenden Abnehmer an, setzt die Vorschrift auch voraus, dass die Versendung zu einem Gelangen des Liefergegenstandes an den Abnehmer führt. Die Versendung darf daher nicht abgebrochen werden. Dazu reicht eine nur kurzzeitige Lagerung nach dem Beginn der Versendung nicht aus.
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aa) Nach der Rechtsprechung des BFH gilt eine Lieferung auch dann gemäß § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG als bei Beginn der Versendung ausgeführt, wenn die Ware von dem mit der Versendung Beauftragten zunächst in ein inländisches Lager gebracht und erst nach Eingang der Zahlung durch eine Freigabeerklärung des Lieferanten an den Erwerber herausgegeben wird (BFH-Urteil vom 30. Juli 2008 XI R 67/07, BFHE 222, 138, BStBl II 2009, 552, Leitsätze 1 und 2). Der BFH hat dies insbesondere damit begründet, dass § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG auch anzuwenden ist, wenn es dem Lieferer nach Beginn der Beförderung oder Versendung noch möglich ist, über den Gegenstand der Lieferung neu zu disponieren und den Gegenstand wie im Fall einer sog. Umkartierung an einen anderen Abnehmer zu liefern (BFH-Urteil in BFHE 222, 138, BStBl II 2009, 552, unter II.1.b). Damit kommt es für die Anwendung dieser Vorschrift nicht darauf an, dass die Verfügungsmacht bereits mit dem Beginn der Versendung auf den Abnehmer übergeht, zumal sich der Lieferort dann nach § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG (Art. 31 MwStSystRL) bestimmt und die gesonderte Regelung zur Versendungslieferung gemäß § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG überflüssig wäre.
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bb) Dementsprechend ist die Einlagerung in ein Auslieferungslager nach dem Beginn der Versendung an den Abnehmer für die Anwendung von § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG ohne Bedeutung. Wie das FG insoweit zutreffend entschieden hat, steht der Umstand, dass die für einen von vornherein feststehenden Abnehmer bestimmten Waren noch für einen kurzen Zeitraum in einem auf Initiative des Abnehmers eingerichteten Lager zwischengelagert werden, zumindest unter Berücksichtigung eines dem Abnehmer vertraglich eingeräumten uneingeschränkten Zugriffsrechts der Annahme einer Versendung an den Abnehmer nicht entgegen.
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Eine Einlagerung für den beim Beginn der Versendung bereits feststehenden Abnehmer --wie im Streitfall-- nur für kurze Zeit, um den produktionsbedingt beim Abnehmer für die nächsten Tage und Wochen benötigten Warenbedarf zu decken, unterbricht noch nicht die im Streitfall in Spanien begonnenen Versendungen.
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cc) Dies stimmt mit der Rechtsprechung des EuGH überein. Der EuGH stellt für eine Versendungs- oder Beförderungslieferung, die zu einer innergemeinschaftlichen Lieferung und einem korrespondierenden innergemeinschaftlichen Erwerb führt, darauf ab, "ob ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Lieferung des in Rede stehenden Gegenstands und seiner Beförderung sowie ein kontinuierlicher Ablauf des Vorgangs gegeben sind" (EuGH-Urteil X vom 18. November 2010 C-84/09, EU:C:2010:693, Rz 33). Der danach erforderliche zeitliche und sachliche Zusammenhang als kontinuierlicher Ablauf wird durch eine von vornherein nur vorübergehende Einlagerung auf kurze Zeit wie im Streitfall nicht beeinträchtigt.
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dd) Soweit die Finanzverwaltung demgegenüber in Abschn. 1a.2 Abs. 6 Satz 1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (ebenso Oberfinanzdirektion Frankfurt a.M. vom 15. Dezember 2015, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2016, 454) davon ausgeht, dass anstelle einer entgeltlichen Lieferung aus dem Bestimmungsmitgliedstaat in das Inland eine nicht nur vorübergehende Verwendung und damit ein innergemeinschaftliches Verbringen i.S. von § 1a Abs. 2 UStG auch dann vorliege, wenn der Unternehmer den Gegenstand mit der konkreten Absicht in den Bestimmungsmitgliedstaat verbringt, ihn dort (unverändert) weiterzuliefern (z.B. Verbringen in ein Auslieferungs- oder Konsignationslager), schließt sich der erkennende Senat dem aus den vorstehend dargelegten Gründen nicht an.
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2. Danach kann das FA nicht mit Erfolg geltend machen, dass es für § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG erforderlich ist, dass der Abnehmer bereits mit der Einlagerung die Verfügungsmacht i.S. von § 3 Abs. 1 UStG erhält. Dies ist bereits deshalb unzutreffend, da es sich dann bei § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG um eine neben § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG überflüssige Regelung handeln würde (s. oben II.1.c aa).
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3. Auch das Vorbringen der Klägerin, mit dem sie geltend macht, dass die Person des Abnehmers nicht bereits bei Beginn der Versendung feststehen müsse, greift nicht durch. Die Versendungslieferung erfordert bereits nach dem Wortlaut von § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG und Art. 32 MwStSystRL eine Versendung aneinen Abnehmer. Die im Zeitpunkt der Versendung nur wahrscheinliche Begründung einer Abnehmerstellung ist einer tatsächlichen Abnehmerstellung nicht gleichzustellen. Ansonsten drohen Beurteilungsschwierigkeiten im Hinblick auf den Grad einer dann erforderlichen Wahrscheinlichkeitsprüfung. Derartige Nachteile lassen sich nicht durch einen im Schrifttum angenommenen Vereinfachungszweck (Frye, UR 2013, 889 ff., und Stadie, in Rau/Dürrwächter, UStG, § 1a Rz 63 ff.) ausgleichen. Ob es bei Beginn der Versendung an einem feststehenden Abnehmer fehlt, da eine unaufgeforderte Warenzusendung im Rahmen eines zu diesem Zeitpunkt lediglich vom Versender einseitig beabsichtigten Kaufs auf Probe vorliegt (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 2007 V R 24/05, BFHE 219, 476, BStBl II 2009, 490), oder ob der Abnehmer wie im Streitfall aus anderen Gründen bei Beginn der Versendung noch nicht verbindlich feststeht, ist ohne Bedeutung.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Tenor
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Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 6. November 2015 1 K 1983/13 U, die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 13. Mai 2013, die Umsatzsteuerbescheide 2005 bis 2010 vom 6. Januar 2012 sowie die jeweils dazu ergangenen Zinsbescheide 2005 bis 2009 aufgehoben.
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Die Umsatzsteuer wird unter Abänderung der Umsatzsteuerbescheide 2005 bis 2010 des Beklagten vom 6. Januar 2012 auf den Betrag festgesetzt, der sich ergibt, wenn die von der Beigeladenen gezahlten Beträge in die (Netto )Bemessungsgrundlage und die Umsatzsteuer aufgeteilt werden.
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Die Zinsfestsetzungen werden unter Änderung der Bescheide 2005 bis 2009 vom 6. Januar 2012 insoweit herabgesetzt, als Zinsen nur auf die herabgesetzte Umsatzsteuer erhoben werden.
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Die Berechnung der Steuer und der Zinsen wird dem Beklagten übertragen.
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Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Klägerin zu 4/5 und der Beklagte zu 1/5 zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob über ein sog. Konsignationslager ausgeführte Lieferungen der in den Niederlanden ansässigen Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) an die im Inland ansässige Beigeladene in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) steuerbar und steuerpflichtig sind oder in den Niederlanden steuerbare, aber steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen darstellen.
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Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts (B.V.) mit Sitz in den Niederlanden. Gegenstand ihres Unternehmens ist der Entwurf, die Herstellung und der Vertrieb von Computern, der Handel mit Computern, elektronischen Produkten, Zubehör und Peripheriegeräten sowie die Erteilung von Dienstleistungen in diesem Zusammenhang.
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Die Klägerin ist Geschäftspartnerin der Beigeladenen, einer Großhändlerin der Informations- und Kommunikationstechnologie mit Sitz in Deutschland. In den Streitjahren (2005 bis 2010) lieferte die Klägerin Waren (Bildschirme) an die Beigeladene. Die Waren wurden dabei von der Klägerin aus den Niederlanden in ein auf dem Betriebsgelände der Beigeladenen befindliches Konsignationslager verbracht. Grundlage war ein zwischen der Klägerin und der Beigeladenen getroffenes "Consignment Distribution Agreement" (CDA) vom 14. April 2003. Die Beigeladene war gemäß des CDA verpflichtet, den von der Klägerin angelieferten Konsignationsbestand in einem gesonderten von ihr betriebenen Lager zu lagern, zu dem allein die Beigeladene Zugang hatte. Die Klägerin war nur nach einer angemessenen Vorankündigung berechtigt, das Lager zum Zwecke einer Inventur zu betreten. Die Beigeladene war dazu berechtigt, den Konsignationsbestand im Rahmen des üblichen Geschäftsbetriebs an ihre Kunden zu veräußern. Die Klägerin blieb solange Eigentümerin des Konsignationsbestandes, bis die Beigeladene der Klägerin --einmal wöchentlich-- eine Aufstellung des in der Vorwoche an ihre Kunden verkauften Konsignationsbestandes übermittelt hatte. Der Verkaufspreis der Klägerin an die Beigeladene wurde an dem Tag, an dem die Beigeladene den Konsignationsbestand weiter veräußerte, bestimmt. Der Konsignationsbestand wurde von der Beigeladenen bei der Klägerin auf Grundlage der gemeinsam vereinbarten Einlagerungsrichtlinien bestellt. Die Klägerin war verpflichtet, den Konsignationsbestand mindestens drei Wochen im Lager zu belassen; nach Ende dieses Zeitraumes war die Beigeladene berechtigt, den gesamten Bestand oder einen Teil davon an die Klägerin zurückzusenden.
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Die Klägerin behandelte die Veräußerungen an die Beigeladene als in Deutschland nicht steuerbar und erklärte diese in den Niederlanden als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen. Damit korrespondierend erklärte die Beigeladene innergemeinschaftliche Erwerbe in entsprechender Höhe in Deutschland und zog die darauf entfallende Umsatzsteuer als Vorsteuer ab.
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Dem folgte der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) nicht und behandelte in den geänderten Umsatzsteuerbescheiden 2005 bis 2010 vom 6. Januar 2012 die Lieferungen der Klägerin an die Beigeladene als steuerbar und steuerpflichtig und setzte Nachzahlungszinsen fest. Der Einspruch war erfolglos.
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Die Klage hatte insoweit Erfolg, als das FA die Bemessungsgrundlage der von der Klägerin an die Beigeladene ausgeführten Lieferungen nicht um die Umsatzsteuer, die in den vereinnahmten Beträgen enthalten war, gemindert hatte. Im Übrigen wies das Finanzgericht (FG) die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 234 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab.
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Soweit die Klägerin sich gesondert gegen die Festsetzung von Nachzahlungszinsen wende, sei die Klage schon mangels fristgemäß eingelegten Einspruchs unbegründet.
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Auch im Übrigen sei die Klage im Wesentlichen unbegründet, weil die Lieferungen am Ort des streitgegenständlichen Konsignationslagers in Deutschland ausgeführt worden seien. Bei dem Transport der Waren aus den Niederlanden in das deutsche Konsignationslager habe es sich nicht um eine Beförderung oder Versendung an den Abnehmer i.S. von § 3 Abs. 6 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (UStG) gehandelt, sondern um ein in den Niederlanden steuerbares, aber steuerbefreites innergemeinschaftliches Verbringen, das mit einem in Deutschland steuerbaren und steuerpflichtigen und zum Vorsteuerabzug berechtigenden innergemeinschaftlichen Erwerb der Beigeladenen korrespondiere. Erst mit der Veräußerung der in dem Konsignationslager befindlichen Ware durch die Beigeladene an ihre Kunden sei eine zeitgleiche Lieferung der Klägerin an die Beigeladene am Ort des Konsignationslagers erfolgt.
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Das Verbringen von Ware in ein Konsignationslager führe nur dann zu einer am Ort des Beginns der Beförderung oder Versendung erfolgenden Lieferung an den Abnehmer, wenn der Abnehmer die Ware zum Zeitpunkt des Beginns der Beförderung oder Versendung in das Konsignationslager bereits verbindlich bestellt habe.
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Der Klage sei aber im Umfang der in den von der Klägerin vereinnahmten Beträgen enthaltenen Umsatzsteuer stattzugeben, denn Bemessungsgrundlage sei der vereinnahmte Nettopreis abzüglich der Umsatzsteuer. Denn aufgrund des Irrtums über die Steuerpflicht der Lieferungen sei das vereinbarte Entgelt teilweise uneinbringlich i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG geworden.
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Hiergegen haben sowohl die Klägerin als auch das FA Revision eingelegt.
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Die Klägerin trägt vor, § 3 Abs. 6 UStG knüpfe zwar an eine konkrete Lieferung an, aus dem Wortlaut, der systematischen Stellung, der Entstehungsgeschichte und dem Zweck der Norm ergebe sich aber, dass es für die Anwendung der Lieferortfiktion nicht auf den Zeitpunkt der Lieferung ankomme; diese könne der Beförderung oder Versendung auch vor- oder nachgelagert sein. Für die tatbestandliche Verknüpfung der Lieferung mit der Beförderung oder Versendung sei es ausreichend, dass der Gegenstand der Lieferung mit dem Gegenstand der Beförderung oder Versendung identisch sei. Eine zeitliche Verknüpfung von Beförderung oder Versendung einerseits und Lieferung andererseits sehe § 3 Abs. 6 UStG nicht vor. Ob und zu welchem Zeitpunkt eine Lieferung vorliege, sei vielmehr in § 3 Abs. 1 UStG geregelt.
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Das entspreche auch Sinn und Zweck von § 3 Abs. 6 UStG, der darin bestehe, die Umsatzbesteuerung von grenzüberschreitenden Warenlieferungen zu vereinfachen. Durch die einheitliche Festlegung eines Lieferorts für sämtliche Beförderungs- und Versendungslieferungen werde es dem Unternehmer ermöglicht, die umsatzsteuerrechtliche Abwicklung unabhängig vom Bestimmungsland in seinem Heimatland vorzunehmen.
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Selbst wenn man demgegenüber von der Notwendigkeit eines im Zeitpunkt der Beförderung oder Versendung bereits ausgeführten Umsatzgeschäftes ausgehe, sei diese Voraussetzung vorliegend erfüllt. Denn durch die Konsignationsvereinbarung sei die Beigeladene befähigt gewesen, wie ein Eigentümer frei über die Konsignationsware zu verfügen. Die Beigeladene habe die Gefahr des Untergangs oder der Beschädigung der Konsignationsware getragen und folglich mit der Einbringung der Waren in das Konsignationslager Verfügungsmacht daran erlangt.
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Die Klägerin beantragt,
1.
unter teilweiser Aufhebung des FG-Urteils die Umsatzsteuerbescheide 2005 bis 2010 vom 6. Januar 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 13. Mai 2013 mit der Maßgabe zu ändern, dass die Umsatzsteuer
um ... € für 2005,
... € für 2006,
... € für 2007,
... € für 2008,
... € für 2009 und
... € für 2010
herabgesetzt und die Festsetzung von Nachzahlungszinsen aufgehoben wird;
2.
die Revision des FA zurückzuweisen.
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Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Das FG sei zu Unrecht von der Uneinbringlichkeit der Umsatzsteuer ausgegangen.
Entscheidungsgründe
-
II.
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Die Revision der Klägerin ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Änderung der Zinsbescheide, soweit das FA Zinsen auch auf den Differenzbetrag erhoben hat, der sich bei Berechnung der Umsatzsteuer aufgrund der vom FA angenommenen Bemessungsgrundlage in Höhe der vollen von der Beigeladenen gezahlten Beträge und der um die darin enthalte-nen Umsatzsteuer reduzierten Bemessungsgrundlage ergibt (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) --zu 3.--. Im Übrigen ist die Revision der Klägerin unbegründet, weil das FG zu Recht entschieden hat, dass die streitigen Umsätze der Klägerin im Inland der Umsatzsteuer unterliegen (zu 1.).
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Die Revision des FA ist unbegründet und wird deshalb zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO). Im Ergebnis hat das FG zu Recht entschieden, dass die Bemessungsgrundlage durch Herausrechnen der Umsatzsteuer aus den von der Beigeladenen gezahlten Beträgen festzusetzen ist (zu 2.).
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1. Die streitigen Umsätze der Klägerin sind im Inland steuerbar, weil sich der Ort der Lieferungen der Klägerin an die Beigeladene nach § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG und nicht nach § 3 Abs. 6 UStG bestimmt. Da das Umsatzsteuerrecht kein Sonderrecht für Konsignationslager kennt, richtet sich die Bestimmung des Leistungsorts nach den allgemeinen Grundsätzen (Böttner, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2010, 299, 302).
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a) Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder vom Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet, gilt die Lieferung gemäß § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Wird der Gegenstand der Lieferung nicht befördert oder versendet, wird die Lieferung dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet (§ 3 Abs. 7 Satz 1 UStG).
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b) Diese Regelungen beruhen unionsrechtlich auf Art. 8 Abs. 1 Buchst. a und Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG; ab 1. Januar 2007 Art. 31, 32 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem --MwStSystRL--).
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c) § 3 Abs. 6 UStG setzt eine Versendung an den Abnehmer voraus. Dieser muss daher im Zeitpunkt der Versendung feststehen (zur näheren Begründung s. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. Oktober 2016 V R 31/15, zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen; BFH-Urteile vom 6. Dezember 2007 V R 24/05, BFHE 219, 476, BStBl II 2009, 490, Rz 44; vom 30. Juli 2008 XI R 67/07, BFHE 222, 138, BStBl II 2009, 552, Rz 13; wohl auch BFH-Urteil vom 25. Februar 2015 XI R 15/14, BFHE 249, 343, Rz 56 f.; Birkenfeld in Birkenfeld/Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch I, Rz 864; Flückiger in Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, § 3 Abs. 6 Rz 48; Hahn in Weymüller, UStG, München 2015, § 3 Rz 332.1, 341, 342; Heuermann in Sölch/Ringleb, § 3 Rz 459, 474; Lippross, Umsatzsteuer, S. 188; Michl in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 3 Rz 118; Nieskens in Rau/Dürrwächter, UStG, § 3 Rz 3430 ff.; Schilcher in Hartmann/Metzenmacher, § 3 Abs. 6 Rz 40; ebenso Abschn. 1a.2 Abs. 6, Abschn. 3.1 Abs. 3 Satz 5 sowie Abschn. 3.12 Abs. 3 Satz 7 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses; a.A. Fritsch in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 3 Rz 604 ff.; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 13 Rz 17 ff.; Stadie, Umsatzsteuergesetz, 3. Aufl., § 3 Rz 124 ff.; Stöcker in Küffner/Stöcker/Zugmaier, UStG, § 3 Rz 587 ff.; Frye, UR 2013, 889; Hummel, UR 2007, 757).
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d) Nach diesen Grundsätzen befand sich der Ort der streitigen Lieferungen am Ort des Konsignationslagers im Inland, weil bei Versendung der Waren der Abnehmer noch nicht feststand. Erst mit der Entnahme der Waren aus dem Konsignationslager war sicher, dass die Beigeladene die Gegenstände behalten werde und bereit war, hierfür den Kaufpreis zu entrichten. Nach den zwischen der Klägerin und der Beigeladenen in dem CDA getroffenen Regelungen wurde ein verbindlicher Kaufvertrag zwischen den Vertragsbeteiligten erst nach der Einlagerung der Waren geschlossen, weil die Beigeladene nicht von vornherein dazu verpflichtet war, die von der Klägerin in das Lager verbrachten Waren abzunehmen. Die Beigeladene war auch erst nach der Entnahme der Waren aus dem Konsignationslager zur Zahlung verpflichtet (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFHE 219, 476, BStBl II 2009, 490, Rz 47).
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Die Einlagerung in das Konsignationslager der Beigeladenen führte deshalb nicht lediglich zu einer nur kurzen Unterbrechung der begonnenen Versendung an den bereits feststehenden Abnehmer (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 20. Oktober 2016 V R 31/15; Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union X vom 18. November 2010 C-84/09, EU:C:2010:693, Rz 33).
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2. Das FG hat im Ergebnis auch zu Recht entschieden, dass die von der Klägerin zugrunde zu legende Bemessungsgrundlage durch Herausrechnen der Umsatzsteuer aus den von der Beigeladenen gezahlten Beträgen zu ermitteln ist.
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Das ist allerdings --im Gegensatz zu der vom FG vertretenen Auffassung-- nicht auf eine (teilweise) Uneinbringlichkeit des Entgeltes gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zurückzuführen. Denn für Umsätze, die ein Steuerpflichtiger in seinen Steuererklärungen nicht angibt --auch bei Rechtsirrtum über deren Steuerbarkeit--, entsteht die Umsatzsteuer ebenso wie bei ordnungsgemäß erklärten Umsätzen (BFH-Urteil vom 20. Januar 1997 V R 28/95, BFHE 183, 353, BStBl II 1997, 716, Rz 24). Auch bei einem Rechtsirrtum über die Steuerbarkeit von Lieferungen und sonstigen Leistungen wird der Umsatz gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG nach dem Entgelt bemessen. Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Das gilt auch, wenn die Beteiligten rechtsirrtümlich die Gegenleistung ohne Umsatzsteuer vereinbaren. Der vereinbarte Betrag ist danach in Entgelt und darauf entfallende Umsatzsteuer aufzuteilen (vgl. BFH-Urteile vom 22. April 2015 XI R 43/11, BFHE 249, 315, BStBl II 2015, 755, Rz 37; in BFHE 183, 353, BStBl II 1997, 716, unter II.2.d).
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3. Das FG verletzt aber § 233a Abs. 5 der Abgabenordnung (AO), indem es die Festsetzung von Nachzahlungszinsen bestätigt hat.
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a) Obwohl gemäß § 233a Abs. 4 AO die Festsetzung von Zinsen mit der Steuerfestsetzung verbunden werden soll, bleiben Zinsfestsetzung und Steuerfestsetzung eigenständige Bescheide (BFH-Beschluss vom 23. Dezember 2002 IV B 13/02, BStBl II 2003, 737, Rz 5). Das FG hat deshalb zu Recht erkannt, dass die Frist (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO) für den gesonderten Einspruch gegen die Zinsfestsetzung im Zeitpunkt der Einlegung des Einspruchs am 22. März 2012 abgelaufen war. Die am 6. Januar 2012 per Post an eine ausländische Anschrift übermittelten Zinsbescheide galten gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 2 AO am 6. Februar 2012 als bekannt gegeben. Die Einspruchsfrist war daher gemäß § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO), §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) am 6. März 2012 (Dienstag) abgelaufen.
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b) Das FG hat allerdings verkannt, dass Zinsen als steuerliche Nebenleistung grundsätzlich das Schicksal der ihnen zugrunde liegenden Hauptforderung teilen (Heuermann in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 233a AO Rz 66). Aus diesem Grund ist gemäß § 233a Abs. 5 AO die bisherige Zinsfestsetzung zu ändern, wenn die Steuerfestsetzung aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt wird. Ohne Belang ist, auf welcher Rechtsgrundlage die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung beruht. Erfasst sind deshalb auch Änderungen und Aufhebungen im Rechtsbehelfsverfahren und im finanzgerichtlichen Verfahren, soweit das Gericht in der Sache selbst entscheidet (Loose in Tipke/Kruse, § 233a AO Rz 50, 51). Das FG hätte deshalb aus seiner Sicht entsprechend der Herabsetzung der Umsatzsteuer auch die Zinsfestsetzung ändern müssen.
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4. Die Übertragung der Berechnung der Nachzahlungszinsen auf das FA beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2, § 121 FGO.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1, § 136 Abs. 1 FGO.