Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25. August 2004 - A 18 K 11963/04 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten, die dieser auf sich behält.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der Kläger wurde am ... in B.../Nord-Kasachstan geboren. Er ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volks- und moslemischer Glaubenszugehörigkeit. Nach seinen Angaben hielt sich die Kläger zuletzt in Grosny auf und reiste zusammen mit seinen Söhnen D... (geb. am ...) und M... K... (geb. am ...) am 20.10.2003 auf dem Landweg nach Deutschland ein. Er stellte am 21.10.2003 einen Asylantrag.
Der Kläger ist verheiratet mit P... H..., die am 31.03.1968 geboren wurde. Sie war zusammen mit zwei Kindern (geb. am ...) bereits im Jahr 2000 aus Grosny kommend nach Deutschland ausgereist. Die Asylanträge der Ehefrau und der Kinder des Klägers sind seit 2004 unanfechtbar abgelehnt.
Der Kläger wurde am 30.10.2003 beim Bundesamt zu seinen Asylgründen angehört. Zusammengefasst erklärte der Kläger, im Februar 1996 sei er mit seinem Bruder festgenommen worden, danach nicht mehr. Sein Bruder M... sei im März 1996 verstorben. Seine Brüder S... und R... seien im August 1996 spurlos verschwunden. Er habe die Fachschule des Innenministeriums 1988 in Charkow mit dem Diplom als Techniker für Spezialtechnik abgeschlossen. Er sei von 1994 bis 1999 beim Innenministerium in Grosny beschäftigt gewesen. Er habe für die tschetschenische Regierung bei Dudajew gearbeitet. Es seien Kollegen verschwunden. Dann habe er begriffen, dass alle Angehörigen des Innenministeriums beseitigt werden sollten. Von wem er verfolgt worden sei, habe er nicht gewusst. Aber dies sei zielgerichtet gemacht worden. Seine Familie habe er im Juli 2000 zuletzt gesehen. Auf Nachfrage erklärte er, die Verfolgung komme aus den Kreisen des FSB, der nationalen Sicherheit. Er habe Aufklärung geleistet. Man habe ihn zum Major ernannt, aber den Dienstausweis habe er schon nicht mehr umtauschen können. Von 1999 bis zu seiner Ausreise 2003 habe er sich in Grosny versteckt.
Wegen seiner weiteren Angaben wird auf die darüber gefertigte Niederschrift verwiesen.
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 11.05.2004 den Asylantrag des Klägers ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise die Abschiebung in die Russische Föderation an.
Die vom Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart am 09.06.2004 erhobene Klage hat dieses nach Anhörung des Klägers und der Vernehmung seiner Ehefrau als Zeugin in der mündlichen Verhandlung mit Urteil vom 25.08.2004 - A 18 K 11963/04 - abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Angaben des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal seien nicht glaubhaft. Zwar sei dem Kläger eine Rückkehr nach Tschetschenien nicht zumutbar. Ihm stehe aber in anderen Teilen der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung.
Der Senat hat mit Beschluss vom 01.02.2005 - A 3 S 1228/04 - die Berufung gegen das Verwaltungsgericht Stuttgart zugelassen, soweit es die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (§ 60 Abs. 1 AufenthG) betrifft. Der Beschluss wurde dem Kläger am 07.02.2005 zugestellt.
Der Kläger hat die Berufung am 07.03.2005 begründet. Er beantragt,
10 
1. das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25.08.2004 - A 18 K 11963/04 - insoweit zu ändern, als es die Klage gegen Nr. 2 bis 4 des Bescheids des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.05.2004 abweist, und die Beklagte unter Aufhebung von Nr. 2 bis 4 des Bescheids des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.05.2004 zu verpflichten festzustellen, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich der Russischen Föderation vorliegen;
11 
2. hilfsweise festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG vorliegen;
12 
3. höchsthilfsweise festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG vorliegen;
13 
4. hilfsweise Beweis entsprechend den in den als Anlage zur Niederschrift genommenen Schriftsätzen des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012 aufgeführten vier Beweisanträgen zu erheben
14 
Zur Begründung trägt der Kläger zusammengefasst vor, er habe mehrere Ausbildungen absolviert. Zunächst habe er die Fachschule des Innenministeriums in Charkow und sodann ein Hochschulstudium (Philologie) absolviert. Daneben habe er sich zum Fahrlehrer ausbilden lassen und eine Fahrschule in Grosny betrieben. Bis Mai 1999 habe er im tschetschenischen Innenministerium als „Kurator“ im Bereich Aufsicht über Feuerwehren und Gefängnisse gearbeitet. Er habe dann im ersten Tschetschenienkrieg auf Seiten der tschetschenischen Truppen in einer Einheit gekämpft, die für Aufklärungsarbeit zuständig gewesen sei. Nach dem Ende dieses Krieges sei er von seinem Dienstherrn mit Aufklärungsarbeiten betraut worden. Spätestens seit Frühjahr 1999 habe er Anlass für die Befürchtung gehabt, dass er als Angehöriger des tschetschenischen Innenministeriums liquidiert werden solle. Vorausgegangen seien Säuberungsaktionen, die mit „Verschwinden“ einiger Kollegen aus dem tschetschenischen Innenministerium einhergegangen seien. In einem Fall habe er erfahren, dass die Leiche des Betreffenden in einem Waldstück mit Folterspuren aufgefunden worden sei. Er habe diese Information u.a. von den Familienangehörigen der verschwundenen Kollegen erhalten. Er habe deshalb allen Anlass gehabt für die Annahme, dass der russische Geheimdienst FSB hinter diesen professionellen Säuberungsaktionen stehe - ggf. unterstützt durch islamistische „Wahabisten“ -. er habe deshalb annehmen müssen, dass auch sein Leben in Gefahr sei, zumal er erfahren habe, dass die verschwundenen Kollegen nicht etwa mit Sonderaufgaben betraut worden seien. Er sei deshalb im Frühjahr 1999 zunächst untergetaucht. Seine Familie habe er zu Verwandten gebracht, bis er deren Ausreise im Sommer 2000 habe organisieren können. Weder in Tschetschenien noch in der Russischen Föderation bestehe ein interner Schutz. Die russischen Behörden wüssten über sein Asylverfahren und über die Asylantragstellung sowie über den Aufenthalt seiner Familie in Deutschland Bescheid. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass das Regierungspräsidium Stuttgart beim Konsul des russischen Generalkonsulats über die Umstände einer Passbeschaffung für die gesamte Familie nachgefragt habe. Seine damalige Stellung in Tschetschenien und die Tatsache der Asylantragstellung und des jahrelangen Auslandsaufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland seien für die russischen Behörden Grund genug, ihn bei einer Rückkehr zu verfolgen. Außerdem leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörung und deshalb würde bei einer Rückkehr ein sog. Wiederholungstrauma die derzeitige psychische Erkrankung akut verschlimmern.
15 
Die Beklagte beantragt,
16 
die Berufung zurückzuweisen.
17 
Zur Begründung weist er daraufhin, dass die Angaben des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal nicht überzeugten; im Übrigen stehe dem Kläger jedenfalls in anderen Teilen der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung.
18 
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat keinen Antrag gestellt. Zusammengefasst hat er ausgeführt, Tschetschenen seien in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens von keiner Verfolgung betroffen.
19 
Mit Beschluss vom 01.08.2007 - A 3 S 104/05 - hat der Senat auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Berufungsverfahrens angeordnet. Die Wiederanrufung des Verfahrens erfolgte durch das Bundesamt am 20.08.2009.
20 
In der mündlichen Verhandlung ist der Kläger zu den Gründen seines Asylantrags angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die darüber gefertigte Niederschrift verwiesen.
21 
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, wegen der sonstigen Einzelheiten auf die einschlägigen Akten der Beklagten, auch soweit sie P... H... betreffen, und die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart A 18 K 11963/04 und A 18 12023/03 (P... H... betreffend) und des Senats A 3 S 625/04 (gleichfalls P... H... betreffend) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
22 
Der Senat kann trotz Nichterscheinens des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten entscheiden, da dieser mit der Ladung nach § 102 Abs. 2 VwGO auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
23 
Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige - insbesondere mit ihrer Begründung den Vorgaben des § 124a Abs. 6 VwGO entsprechende - Berufung des Klägers ist unbegründet.
24 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist - entgegen der Zulassung der Berufung durch den Senat nicht nur der Anspruch des Klägers auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person hinsichtlich der Russischen Föderation und damit der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.02.2010 - 10 C 7.09 -, NVwZ 2010, 974), sondern auch sein hilfsweise geltend gemachter Anspruch auf Feststellung unionsrechtlicher und nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes von 2007 bilden die auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG 2004 zum einen und die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG 2004 zum anderen jeweils eigenständige Streitgegenstände, wobei die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote vorrangig vor dem nationalen Abschiebungsverbot u.a. nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG 2004 zu prüfen sind. Damit sind die auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG 2004 in dem Verfahren angewachsen (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198; Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360; Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226; Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris = DVBl 2011, 1565 [Ls.]; Beschluss vom 10.10.2011 - 10 B 24/11-, juris; Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 -, NVwZ 2012, 244). Für die nationalen Abschiebungsverbote gilt nichts anderes.
25 
Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO; I.). In der Person des Klägers liegen ferner weder unionsrechtliche (II.) noch nationalrechtliche (III.) Abschiebungsverbote vor. Die Abschiebungsandrohung ist gleichfalls rechtlich nicht zu beanstanden (IV.).
I.
26 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich der Russischen Föderation nicht vorliegen.
27 
Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12) - RL 2004/83/EG - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). Die RL 2004/83/EG ist vorliegend auch noch maßgeblich, da nach Art. 40 RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung der RL 2004/83/EG) diese Richtlinie erst mit Wirkung vom 21.12.2013 aufgehoben wird.
28 
Nach Art. 2 Buchst. c) RL 2004/83/EG ist Flüchtling unter anderem derjenige Drittstaatsangehörige, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
29 
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist beziehungsweise dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG).
30 
Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181-, BVerfGE 54, 341; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237.80 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (BVerwG, Urteil vom 27.04.1982 - 9 C 308.81 -, BVerwGE 65, 250). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997, a.a.O. S. 99).
31 
Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL 2004/83/EG erlitten hat (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377; Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, InfAuslR 2011, 408; vgl. auch EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505). Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ des Art. 2 Buchst. e) RL 2004/83/EG enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, NVwZ 2008, 1330); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 18.04.1996 - 9 C 77.95 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, ZAR 2008, 192). Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten beziehungsweise Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung beziehungsweise einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla, NVwZ 2010, 505). Dadurch wird der Vorverfolgte beziehungsweise Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden beziehungsweise schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, NVwZ 2008, 1330). Demjenigen, der im Herkunftsstaat Verfolgung erlitten hat oder dort unmittelbar von Verfolgung bedroht war, kommt die Beweiserleichterung unabhängig davon zugute, ob er zum Zeitpunkt der Ausreise in einem anderen Teil seines Heimatlandes hätte Zuflucht finden können; der Verweis auf eine inländische Fluchtalternative vor der Ausreise ist nicht mehr zulässig (BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55 = NVwZ 2009, 982).
32 
Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung beziehungsweise des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09, BVerwGE 136, 377 = NVwZ 2011, 51). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (BVerwG, Beschluss vom 23.11.2011- 10 B 32/11 -, juris).
33 
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Buchst. a)) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchst. a) beschrieben Weise betroffen ist (Buchst. b)). Beim Flüchtlingsschutz bedeutet allein die Gefahr krimineller Übergriffe ohne Anknüpfung an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund keine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG (BVerwG, Beschluss vom 23.11.2011- 10 B 32/11 -, juris). Art. 9 Abs. 3 RL 2004/83/EG bestimmt, dass eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 RL 2004/83/EG genannten Verfolgungsgründen und den in Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG als Verfolgung eingestuften Handlungen bestehen muss.
34 
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243; Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30, jeweils m.w.N.). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200) - ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006, a.a.O.). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994, a.a.O.). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, das heißt wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
35 
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a) und b) AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237).
36 
Die dargelegten Maßstäbe für die Gruppenverfolgung beanspruchen auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG Gültigkeit. Das Konzept der Gruppenverfolgung stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Richtlinie 2004/83/EG in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 RL 2004/83/EG definiert (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009, - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237; vgl. zur Gruppenverfolgung zuletzt auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 -, juris; Urteil vom 09.11.2010 - A 4 S 703/10 -, juris; Beschluss vom 04.08.2011 - A 2 S 1381/11 -, juris).
37 
Die Bundesrepublik Deutschland hat in § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG von der den Mitgliedstaaten in Art. 8 RL 2004/83/EG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, internen Schutz im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG verlangt von den Mitgliedstaaten bei Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und der persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Gemäß Absatz 3 kann Absatz 1 auch angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen (BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 20.08 -, juris).
38 
1. In Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben war der Kläger zum Zeitpunkt seiner Ausreise keiner anlassgeprägten Einzelverfolgung ausgesetzt, weshalb ihm insoweit die Privilegierung aus Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zu Gute kommt.
39 
Das Vorbringen des Klägers zu seinem behaupteten Verfolgungsschicksal ist wegen erheblicher Widersprüchen, insbesondere wegen deutlich gesteigerten Vorbringens sowie wegen stereotyper Angaben insgesamt nicht glaubhaft. Beim Bundesamt hat der Kläger vorgetragen, er sei beim Innenministerium tätig gewesen und zwar in einer Sonderabteilung. Sie hätten operative Aufgaben durchgeführt. Sie hätten Informationen über die Bewegung der Truppen, ihre Bewaffnung und ihre Zahl gesammelt. Er sei zum Major befördert worden. Substantiierte Angaben zu seiner Tätigkeit im Innenministerium hat der Kläger beim Bundesamt nicht gemacht. Bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart hat er erstmals angegeben, nach dem Kriegsende sei er wieder beim Innenministerium als Aufsicht über Feuerwehr und Gefängnisse eingesetzt worden. Daneben sei er noch in einer Aufklärungstruppe tätig gewesen. Seine Gruppe sei u.a. bei den Kämpfen gegen Wahabiten beteiligt gewesen. Dieses aber hat der Kläger beim Bundesamt nicht erwähnt. Auf die Frage beim Bundesamt, von wem er denn verfolgt worden sei, hat der Kläger geantwortet, wenn er das gewusst hätte. Aber das werde zielgerichtet gemacht. Auf Nachfrage hat er angegeben, er glaube, dass dies aus den Kreisen des FSB, der Nationalen Sicherheit komme. Demgegenüber hat der Kläger in seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart erklärt, er vermute, dass es die Wahabiten gewesen seien, die sie verfolgt hätten. Nicht nachvollziehbar ist auch die Aussage des Klägers beim Bundesamt, er habe von 1994 bis 1999 für die tschetschenische Regierung bei Dudajew gearbeitet. Denn Dschochar Mussajewitsch Dudajew starb bereits im April 1996. Sein Nachfolger im Amt des Präsidenten wurde 1997 Aslan Maschadow. Zu seinen Aufgaben beim Innenministerium hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine weiteren substantiierten Angaben gemacht. Völlig widersprüchlich sind auch die Angaben des Klägers zu seiner Ausbildung. Auf entsprechende Frage beim Bundesamt hat der Kläger angegeben, er habe die Fachschule des Innenministeriums 1988 in Charkov abgeschlossen und zwar mit einem Diplom als Techniker für Spezialtechnik. Auf Nachfrage hat er erklärt, es habe sich um Waffen- und Fahrzeugtechnik, spezielle Technik für das Innenministerium gehandelt. Demgegenüber hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart angegeben, er habe in Grosny im Jahre 1994 mit dem Hochschulabschluss als Philologe abgeschlossen. Über seine Ausbildung als Fahrlehrer und das Betreiben einer Fahrschule in Grosny hat der Kläger weder beim Bundesamt noch beim Verwaltungsgericht berichtet. Das Vorbringen des Klägers steht ferner auch im Widerspruch zu den Angaben seiner Ehefrau. Diese hat bereits bei ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 25.08.2000 im Rahmen ihres eigenen Asylverfahrens erklärt, die Russen hätten ihren Ehemann im Winter 1999/2000 bei ihr gesucht. Bei ihrer Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung hat sie dies bestätigt und ergänzt, die Männer hätten ihr gesagt, sie seien von der Rayon-Abteilung für Inneres, also der Miliz. Sie habe ihrem Mann nichts davon erzählt. Später hat sie dann ausgeführt, Soldaten seien mit einem Panzer gekommen und hätten ihr Haus, in dem inzwischen eine Nachbarin gewohnt habe, in die Luft gejagt. Das habe sie ihrem Mann erzählt, als sie ihn das letzte Mal gesehen habe. Dies hat der Kläger indessen weder beim Bundesamt noch bei seiner gerichtlichen Anhörung beim Verwaltungsgericht Stuttgart noch bei seiner Anhörung vor dem Senat erwähnt. Auch der Senat hält es nicht für glaubhaft, dass die Ehefrau ihrem Mann nichts davon erzählt hätte, wenn russische Milizionäre nach ihm gesucht hätten. Widersprüchlich sind weiterhin die Angaben zu den Umständen der Flucht der Ehefrau des Klägers. Der Kläger hat beim Bundesamt erklärt, die Ausreise seiner Frau hätten seine Schwiegereltern organisiert und auch finanziert. Demgegenüber hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart angegeben, zwei Freunde von ihm hätten auf seine Bitte das Ganze über weitere Bekannte organisiert. Bereits diese dargestellten Widersprüche zeigen die Unglaubhaftigkeit der Angaben des Klägers. Diese wird durch seine weiteren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt. Hier hat der Kläger nunmehr erstmals angegeben, er habe, während er sich in der Zeit von 1999 bis 2003 versteckt bzw. im Untergrund aufgehalten habe, mit Menschenrechtsorganisationen zusammengearbeitet. Er habe mit seinem Freund R... Meetings organisiert und an Demonstrationen teilgenommen, allerdings nicht offiziell. Er habe Fälle von Misshandlungen und Angriffe an R... weitergegeben, die dieser dann wiederum an I... E... weitergeleitet habe. Auf Nachfrage gab der Kläger dann an, an Demonstrationen habe er nicht teilgenommen. Er habe aus dem Untergrund Informationen gesammelt. I... E... habe er erst im August 2003 kennengelernt. Aber auch dieses Vorbringen bleibt, abgesehen davon, dass der Kläger diese für ihn wichtige Tätigkeit erstmals vor dem Senat schildert, im Ungefähren. Dem Kläger war es nicht möglich anzugeben, für welche Menschenrechtsorganisationen er angeblich Informationen gesammelt habe, obwohl I... E... - wie der Kläger weiter behauptet hat - Vorsitzender und Leiter der Organisation gewesen sei. Auf Frage, wer ihn verfolgt habe, gibt der Kläger nun wieder an, er sei von russischen Streitkräften verfolgt worden, nicht so sehr von Wahabiten. Eine Erklärung für die Behauptung, es sei herausgekommen, dass er Informationen an I... E... geliefert habe, konnte der Kläger nicht geben. Aufgrund all dessen konnte sich der Senat nicht von der Wahrheit der Angaben des Klägers überzeugen.
40 
Vor diesem Hintergrund war dem hilfsweise gestellten Antrag Ziffer 4 (vgl. den als Anhang zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung genommenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012) zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger im Rang eines Majors im Innenministerium in Grosny gearbeitet habe, dass er festgenommen, gefoltert, misshandelt und erniedrigt worden sei, dass man ihn getötet hätte, wenn er nicht geflohen wäre, I... E... als Zeuge zu vernehmen, nicht nachzugehen. Darüber hinaus hat der Kläger angegeben, er habe I... E... erst im August 2003 persönlich kennengelernt, wobei das Treffen ca. 10 bis 30 Minuten gedauert habe. Aus eigener Kenntnis könnte I... E... daher zu den unter Beweis gestellten Umständen, soweit es sich überhaupt um Tatsachen und nicht nur um Mutmaßungen - wie z.B. hinsichtlich der Tötung des Klägers - handelt, keine Angaben machen. Im Übrigen ist das Vorbringen des Klägers zu I... E... ebenfalls widersprüchlich. Vor dem Senat hat der Kläger angegeben, I... E... habe keinen regulären Beruf gehabt. Zur Begründung des hilfsweise gestellten Beweisantrags hat der Kläger aber angegeben, der Zeuge sei früheres Mitglied der tschetschenischen Regierung gewesen und kenne ihn aus früheren Zeiten. Er arbeite jetzt für amnesty international. Demgegenüber hat der Kläger - wie oben bereits ausgeführt - keine Angaben dazu machen können, für welche Menschenrechtsorganisationen er und I... E... gearbeitet habe.
41 
2. Ob der Kläger zum Zeitpunkt seiner Ausreise einer - regionalen - Gruppenverfolgung in Tschetschenien ausgesetzt war und noch ist (letzteres verneinend OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.03.2009 - OVG 3 B 16.08 -, juris; BayVGH, Urteil vom 29.01.2010 - 11 B 07.30343 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 – 11 B 09.30087 -, juris; OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20) bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn dem Kläger steht jedenfalls in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens eine inländische Fluchtalternative nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG und damit ein interner Schutz im Sinne des Art. 8 RL 2004/83/EG zur Verfügung. Es ist ihm zuzumuten und kann von ihm daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er seinen Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nimmt, an dem er vor Verfolgung sicher ist und wo sein soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist.
42 
Der Senat geht zugunsten des Klägers davon aus, dass die Bewohner Tschetscheniens im Zeitpunkt seiner Ausreise einer regionalen Gruppenverfolgung ausgesetzt waren. Ob dies tatsächlich der Fall war - ob mithin tschetschenische Volkszugehörige aus Tschetschenien dort aus asylerheblichen Gründen (wegen ihres Volkstums oder ihrer politischen Überzeugung) in der erforderlichen Verfolgungsdichte und -intensität von staatlichen russischen [oder der tschetschenischen Republik zuzuordnenden] Stellen verfolgt wurden - braucht demgemäß nicht entschieden zu werden. Die Gefahr einer künftigen Verfolgung des Klägers ist deshalb zwar unter Zubilligung der sich aus Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ergebenden Beweiserleichterung zu prüfen. Es sprechen im Sinn dieser Bestimmung jedoch stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger gegenwärtig jedenfalls in den übrigen Teilen der Russischen Föderation von irgendeiner Art von Verfolgung betroffen sein wird oder dass eine tatsächliche Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden (Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art. 15 RL 2004/83/EG). Das gilt auch für Vorfälle, denen sich die Bevölkerung Tschetscheniens bis zur Ausreise des Kläger allgemein ausgesetzt gesehen hat.
43 
Auch unter Zugrundelegung der Maßstäbe des Art. 8 RL 2004/83/EG, an denen die Zumutbarkeit einer inländischen Fluchtalternative zu messen ist (BVerwG vom 1.2.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007,590), steht politisch unverdächtigen und erwerbsfähigen Tschetschenen in den meisten Teilen der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative bzw. interner Schutz im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 RL 2004/83/EG zur Verfügung (vgl. BayVGH, Urteil vom 29.01.2010 - 11 B 07.30343 -, juris; Urteil vom 21.06.2010 – 11 B 08.30103 -, juris; Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 – 11 B 09.30087 -, juris; OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20; OVG Hamburg, Beschluss vom 27.11.2009 - 2 Bf 337/02.A -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.03.2009 - OVG 3 B 16.08 -, juris; OVG Sachen-Anhalt, Urteil vom 31.07.2008 - 2 L 23/06 -, juris; HessVGH, Urteil vom 21.02.2008 - 3 UE 191/07.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.10.2006 - A 3 S 46/06 -, juris; OVG Saarland, Beschluss vom 29.05.2006 - 3 Q 1/06 -; juris; NdsOVG, Beschluss vom 16.01.2007 - 13 LA 67/06 -, juris; Sächsisches OVG, Beschluss vom 07.02.2011 - A 5 A 152/09 -). Davon ist auch für den Fall des Klägers auszugehen.
44 
a.) Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger politisch unverdächtig ist. Eine politisch relevante gegen die tschetschenische Republik, gegen Russland und die Russische Föderation insgesamt gerichtete Tätigkeit hat der Kläger nicht glaubhaft dargelegt. Dies gilt insbesondere - wie der Senat oben aufgezeigt hat - für die Behauptung des Klägers, er habe in den Jahren 1999 bis 2003 für Menschenrechtsorganisationen Informationen gesammelt. Den Angaben des Klägers, soweit sie überhaupt glaubhaft sind, ist auch nichts für ein Strafverfahren gegen ihn zu entnehmen. Ebenso wenig führt allein der Umstand, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, dazu, dass er nach seiner Rückkehr in die Russische Föderation - jedenfalls außerhalb Tschetscheniens - deshalb staatlich verfolgt wird (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2011). Vor diesem Hintergrund hat der Senat keinen Anlass, entsprechend den in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Anträgen Ziff. 1 und Ziff. 2 (vgl. den als Anhang zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung genommenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012) Beweis zu erheben. Weder die vom Senat als widersprüchlich erachteten Angaben des Klägers noch seine Asylantragstellung und sein langjähriger Auslandsaufenthalt vermögen die in den hilfsweise gestellten Beweisanträgen aufgestellte Behauptung zu begründen, er könnte bei einer Rückkehr als Verräter und Spion oder als tschetschenischer Terrorist angesehen werden.
45 
b.) Dem Kläger ist es auch möglich, sich in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens niederzulassen.
46 
Art. 27 der russischen Verfassung von 1993 garantiert die Niederlassungsfreiheit. Dieses Recht ist allerdings strikt begrenzt durch regionale und lokale Bestimmungen und durch das de facto vielerorts noch gültige Propiska-System, das vor dem mit dem Föderationsgesetz im Jahre 1993 eingeführten Registrierungssystem galt und das nicht nur eine Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vorsah. Nach dem Registrierungssystem ist Voraussetzung für eine dauerhafte Registrierung, dass der Antragsteller einen Wohnraumnachweis führen kann und über einen russischen Inlandspass verfügt. Ein in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht für eine dauerhafte Registrierung nicht aus (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26). Trotz der Systemumstellung durch das Föderationsgesetz wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an, weshalb Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens erhebliche Schwierigkeiten haben, eine offizielle Registrierung zu erhalten. Besonders in Moskau haben zurückgeführte Tschetschenen in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt Aufnahme zu finden, wenn sie über genügend Geld verfügen oder auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können.
47 
Die genannten Registrierungsvoraussetzungen gelten im ganzen Land. Gleichwohl ist eine offizielle Registrierung in anderen Regionen der Russischen Föderation, vor allem in Südrussland, grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil Wohnraum - eine der Registrierungsvoraussetzungen - dort erheblich billiger ist als in der russischen Hauptstadt mit ihren hohen Mieten. Neben Moskau, wo etwa 200.000 Tschetschenen leben, ist es Tschetschenen auch gelungen, sich in den Gebieten Rostow, Wolgograd, Stawropol, Krasnodar, Astrachan, Nordossetien und in Karatschajewo-Tscherkessien anzusiedeln (AA, Lagebericht vom 07.03.2011; Memorial-Bericht Oktober 2007, Hrsg. Svetlana Gannuschkina, „ Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, August 2006 - Oktober 2007 - im Folgenden: Memorial-Bericht Oktober 2007).
48 
Der für die Registrierung erforderliche Inlandspass kann nach der Verordnung der Regierung der Russischen Föderation Nr. 779 vom 20.12.2006 „am Wohnort, Aufenthaltsort oder dem Ort der Antragstellung“ und damit auch außerhalb Tschetschenien beantragt werden (AA, Lagebericht vom 07.03.2011). Ethnische Tschetschenen, die sich außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation niederlassen wollen, müssen zwar damit rechnen, dass ihnen die Bestätigung der Anmeldung (die sog. "Registrierung") verweigert werden könnte (vgl. dazu die Abschnitte II.4 und IV.2 des Lageberichts vom 04.04.2010 und vom 07.03.2011). Diese - rechtswidrige - Praxis ist unter dem Blickwinkel des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 RL 2004/83/EG indessen nicht erheblich, da das Vorenthalten der Einstempelung in den Inlandspass, durch den die erfolgte Anmeldung einer Person beurkundet wird, als solches nicht mit einer Verletzung der in § 60 Abs. 1 AufenthG erwähnten Schutzgüter "Leben", "körperliche Unversehrtheit" und "Freiheit" einhergeht. Auch werden durch ein derartiges behördliches Verhalten nicht grundlegende Menschenrechte im Sinn von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/83/EG schwerwiegend beeinträchtigt. Zwar legalisiert erst eine Registrierung den Aufenthalt des Betroffenen; zudem ist sie Voraussetzung für den Zugang zur Sozialhilfe, zu staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, zum offiziellen Arbeitsmarkt sowie für den Bezug von Kindergeld und Rente (vgl. AA, Lagebericht vom 4.4.2010 und vom 07.03.2011; Memorial-Bericht Oktober 2007). Mit der Nichterteilung einer Zuzugsgenehmigung in eine bestimmte Gemeinde oder Stadt ist nach dem Charakter der Maßnahme aber nicht ein - zielgerichteter - Eingriff in das Leben oder die Gesundheit intendiert, sondern lediglich eine Aufenthaltsnahme in anderen Landesteilen (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2011; BVerwG, 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55 = NVwZ 2009, 982). Ferner ergibt sich aufgrund der Erkenntnislage, dass gerade in bestimmten Großstädten der Russischen Föderation, teilweise aber auch darüber hinaus die Registrierungsverweigerung der lokalen Behörden nicht an die tschetschenische Volkszugehörigkeit oder die Herkunft aus dem Nordkaukasus anknüpft, sondern sämtliche Zuzugswilligen in gleicher Weise betrifft (vgl. etwa Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 16.01.2007 - 13 LA 67/06 -, juris; Beschluss vom 24.06.2006 - 13 LA 398/05 -, juris ; OVG Bremen, Urteil vom 31.05.2006 - 2 A 112/06.A -, juris). Schließlich wird die Ausgrenzung aus der staatlichen Rechtsgemeinschaft, die der Nichtbesitz einer Registrierung in Bezug auf wichtige Lebensbereiche deshalb nach sich ziehen kann, dadurch spürbar gemildert, dass die Registrierungspflicht - nach Änderung der Registrierungsvorschrift am 22.12. 2004 - nunmehr erst nach 90 Tagen ab dem Beginn des Aufenthalts an einem Ort Platz greift (Memorial-Bericht Oktober 2007; OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20; BayVGH, Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris). Anhaltspunkte dafür, dass diese Regelung tatsächlich keine Anwendung findet, sind nicht ersichtlich.
49 
Ungeachtet dessen können sich Tschetschenen mit sehr guten Erfolgsaussichten gegen derartige Rechtsverstöße zur Wehr setzen, ohne dass sie vorübergehend nach Tschetschenien zurückkehren müssten. In den zum Gegenstand dieses Verfahrens gemachten, seit 2002 erschienenen Berichten der Menschenrechtsorganisation "Memorial" sind zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen es durch die Einschaltung von Abgeordneten, Journalisten, Menschenrechtsorganisationen oder Rechtsanwälten sowie erforderlichenfalls durch das Beschreiten des Rechtswegs gelungen ist, Tschetschenen eine Registrierung zu verschaffen. In Gestalt der 58 Beratungsstellen, über die die Organisation "Migration und Recht" verfügt, steht Betroffenen ein russlandweites Netz zur Verfügung, in dem jährlich mehr als 20.000 Menschen beraten werden. Soweit nicht bereits mit außerprozessualen Mitteln Abhilfe geschaffen werden kann, darf zumindest in aller Regel davon ausgegangen werden, dass der Betroffene vor Gericht Recht erhalten wird. Denn die russischen Gerichte üben Verwaltungskontrolle nach US-Vorbild aus; behördliche Bescheide können vor dem örtlich zuständigen Bezirksgericht angefochten werden. Die Gerichte sind die einzigen staatlichen Institutionen in Russland, die Tschetschenen Rechtsschutz gewähren. Da stattgebende gerichtliche Entscheidungen im Durchschnitt nach einigen Monaten ab Verfahrenseinleitung ergehen, kann ungeachtet des Umstandes, dass die Verwaltung fallweise rechtswidrige Bescheide trotz ihrer Aufhebung mehrmals erlassen hat, nicht davon gesprochen werden, eine Verweigerung der Registrierung stelle einen Eingriff in nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/83/EG geschützte Rechte dar, der zudem die nach diesen Bestimmungen erforderliche Schwere erreicht. Soweit es einige Monate dauern sollte, bis der Kläger eine Registrierung erhält, kann dieser Zeitraum durch Rückkehrhilfen nach dem REAG/GARP-Programm und durch Aushilfstätigkeiten überbrückt werden (vgl. BayVGH, Urteil vom 11.11.2010 - 11 B 09.30087 -, juris).
50 
c.) Bei einer Niederlassung in anderen Teilen der Russischen Föderation als Tschetschenien hätte der Kläger auch keine asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Verfolgung im Hinblick auf ihm dort etwa drohende polizeiliche Maßnahmen zu befürchten.
51 
Auch wenn der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen etwas abgenommen hat, berichten russische Menschenrechtsorganisationen nach wie vor von einem willkürlichen Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit; die Angehörigen dieses Personenkreises stünden unter einer Art Generalverdacht (AA, Lageberichte vom 04.04.2010 und vom 07.03.2011). Personenkontrollen auf der Straße oder in der U-Bahn sowie Hausdurchsuchungen fänden weiterhin statt, hätten jedoch an Intensität nachgelassen; Anweisungen russischer Innenbehörden zur spezifischen erkennungsdienstlichen Behandlung von Tschetschenen seien nicht bekannt (AA, Lageberichte vom 4.4.2010 und vom 07.03.2011).
52 
Auch derartige Vorgänge sind indessen unter dem Blickwinkel des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 RL 2004/83/EG grundsätzlich noch nicht rechtserheblich. Muss ein Tschetschene häufiger seinen Ausweis vorzeigen oder sieht er sich öfter mit Durchsuchungsmaßnahmen konfrontiert, als das bei sonstigen Bewohnern der Russischen Föderation der Fall ist, so mag diese Schlechterstellung zwar an die Volkszugehörigkeit, das körperliche Erscheinungsbild oder die regionale Herkunft - und damit an ein Merkmal im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bzw. Art. 10 Abs. 1 RL 2004/83/EG - anknüpfen. Da solche polizeiliche Handlungen indes weder die in § 60 Abs. 1 AufenthG erwähnten Schutzgüter "Leben", "körperliche Unversehrtheit" oder "Freiheit" noch grundlegende Menschenrechte (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/83/EG) verletzen und sie die Betroffenen auch nicht im Sinn von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/83/EG in ähnlich gravierender Weise beeinträchtigen, kommt diesen Praktiken - ungeachtet ihres diskriminierenden Charakters - im Regelfall keine flüchtlingsrechtliche Relevanz zu.
53 
Eine hiervon abweichende Betrachtung wäre dann geboten, wenn es bei derartigen Kontroll- oder Durchsuchungsmaßnahmen zu Übergriffen auf Leib oder Leben der Betroffenen käme oder sie mit einem Freiheitsentzug einhergehen würden, der von seiner zeitlichen Länge her den Rahmen übersteigt, innerhalb dessen eine Person auch in einem Rechtsstaat durch die vollziehende Gewalt vorübergehend festgehalten werden darf. Dass sich der Kläger solchen Praktiken ausgesetzt sehen wird, lässt sich jedoch mit praktischer Sicherheit ausschließen. Gleiches gilt für die Besorgnis, ihm könnten gefälschte Beweismittel untergeschoben werden, um ihn ungerechtfertigt mit einem Strafverfahren zu überziehen. Denn eine Auswertung der einschlägigen Erkenntnismittel ergibt, dass jedenfalls solche Tschetschenen, bei denen es sich nicht um junge Männer handelt, die sich - unmittelbar aus dem früheren Bürgerkriegsgebiet kommend - in andere Teile der Russischen Föderation begeben haben, und die auch nicht durch individuelles rechtswidriges Vorverhalten Anlass für ein polizeiliches Einschreiten gegeben haben, bei Kontakten mit den staatlichen Sicherheitsorganen keine Übergriffe befürchten müssen, denen flüchtlingsrechtliche Relevanz zukommt. So liegt der Fall beim Kläger. Zum einen hat er etwa neun Jahre im Ausland verbracht, so dass keine Rede davon sein kann, dass er direkt aus dem Bürgerkriegsgebiet in andere Gebiete der Russischen Föderation eingereist ist. Zum anderen hat er auch nicht glaubhaft angegeben, in einer militärisch organisierten Rebelleneinheit gekämpft zu haben. Aus den Erkenntnismitteln geht hervor, dass bei Tschetschenen, die nicht die vorbezeichneten Ausnahmekriterien erfüllen, stichhaltige Gründe dagegen sprechen, sie könnten mit ungerechtfertigten strafrechtlichen Vorwürfen überzogen werden (vgl. hierzu BayVGH, Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 - 11 B 09.30087 -, juris).
54 
d.) Die in der Russischen Föderation zu beobachtenden Vorkommnisse, deren Ursache in rassistischen oder fremdenfeindlichen Motiven zu suchen sind, stehen der Annahme einer inländischen Fluchtalternative bzw. eines internen Schutzes nach § 60 Abs. 1 Satz 4 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 RL 2004/83/EG gleichfalls nicht entgegen.
55 
Der Senat übersieht nicht, dass Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens in gesteigertem Maße Anfeindungen und Misstrauen begegnen. M. Grob (SFH vom 12.09.2011) spricht davon, dass Rassismus gegenüber Kaukasiern in Russland weit verbreitet sei und auch gewalttätigen Charakter habe. Hierbei handelt es sich allerdings lediglich um eine allgemeine Aussage; nachvollziehbare Einzelheiten werden nicht angegeben. Auch R. Mattern (SFH vom 03.06.2010) berichtet von Rassismus als gesellschaftliches Problem. Gefährdungen bestünden für Ausländer mit dunkler Hautfarbe. Allerdings würden russische Sicherheitskräfte versuchen, rassistische Gewalt mit repressiven Methoden zu bekämpfen. Allein im ersten Quartal 2010 seien in 18 Urteilen 74 Personen wegen rassistischer Gewalt verurteilt worden. Im Lagebericht des AA vom 07.03.2011 werden keine asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Rassismusvorfälle gegenüber Tschetschenen berichtet, die nicht nach Tschetschenien, sondern in andere Teile der Russischen Föderation zurückkehren. Im Bericht von U. Rybi (FFH vom 25.11.2009) finden sich hierzu gleichfalls keine Angaben. Zwar spricht auch der Memorial-Bericht April 2009 (Hrsg. Svetlana Gannuschkina, „ Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, Oktober 2007 - April 2009 - im Folgenden: Memorial-Bericht April 2009) von einem „neuen“ Feindbild in Russland, das sich gegen Tschetschenen richte. Die Berichterstattung beschreibt aber im Wesentlichen ein geistiges Klima. Gewalttätige Übergriffe rechtsradikaler russischer Kräfte auf Tschetschenen, die staatlicherseits initiiert oder geduldet würden, werden in einem asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Ausmaß hingegen - auch im vorausgehenden Memorial-Bericht Oktober 2007, - nicht geschildert. Soweit es Mitte August 2005 im südrussischen Jandyki und in Naltschik - der Hauptstadt der Republik Kabardino-Balkarien - zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Tschetschenen und Angehörigen anderer Volksgruppen gekommen ist (vgl. Memorial-Bericht 2006 [Juli 2005 - Juli 2006]), sind solche Vorkommnisse, bei denen die Gewalttätigkeiten im Übrigen auch von der tschetschenischen Seite ausgingen, in jüngerer Zeit nicht mehr bekannt geworden (vgl. hierzu BayVGH, Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 - 11 B 09.30087 -, juris). Den Erkenntnismitteln kann bei der gebotenen Objektivität nicht entnommen werden, dass ethnische Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich Opfer gewalttätiger Übergriffe aus fremdenfeindlichen Beweggründen werden. Angesichts der Vielzahl von in der Russischen Föderation sowohl als Binnenflüchtlinge als auch als Migranten lebenden Tschetschenen bieten die nicht mit näherer Quantifizierung verbundenen Angaben über gegen sie gerichteten Maßnahmen keine zureichenden Anhaltspunkte für die Annahme einer auch nur geringen Wahrscheinlichkeit einer eigenen asyl- bzw. flüchtlingserheblichen Verfolgungsbetroffenheit (vgl. auch OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20. Die Frage, inwieweit sich der russische Staat solche von gesellschaftlichen Kräften ausgehenden Übergriffe gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG zurechnen lassen muss, kann deshalb auf sich beruhen.
56 
e.) Dem Kläger droht aufgrund seines Alters von 55 Jahren auch nicht mehr die Einberufung zum Wehrdienst in der russische Armee (vgl. Lagebericht vom 4.4.2010, wonach die allgemeine Wehrpflicht nur für Männer zwischen 18 und 28 Jahren besteht).
57 
f.) Dem Auswärtigen Amt sind ferner keine Fälle bekannt geworden, in denen tschetschenische Volkszugehörige bei oder nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt waren (Lageberichte vom 4.4.2010 und vom 07.03.2011). Zwar geht das Auswärtige Amt davon aus, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren; diese Befürchtung bezieht sich jedoch insbesondere auf solche Personen, die sich in der Tschetschenienfrage besonders engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren (Lageberichte vom 4.4.2010 und vom 07.03.201; vgl. insoweit auch BayVGH, Urteil vom 11.11.2010 – 11 B 09.30087 -, juris). Zu diesen besonderen Risikogruppen gehört der Kläger indessen nicht.
58 
g.) Dem Kläger ist auch mit Blick auf die Gewährleistung des Existenzminimums eine Aufenthaltsnahme in den übrigen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zumutbar.
59 
Eine interne Fluchtalternative im Sinne von Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG setzt neben der - oben dargelegten - Verfolgungssicherheit voraus, dass von dem Kläger vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Maßgeblich ist insofern, ob der Kläger im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative existentiellen Bedrohungen ausgesetzt sein wird, wobei es im Hinblick auf die Neufassung des § 60 AufenthG zur Umsetzung der RL 2004/83/EG nicht (mehr) darauf ankommt, ob diese Gefahren am Herkunftsort ebenso bestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11/07 -, BVerwGE 131, 186). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände im Sinne des Art. 8 Abs. RL 2004/83/EG kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2004/83/EG zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist, dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben.
60 
Eine existentielle Bedrohung ist gegeben, wenn das Existenzminimum nicht gesichert ist. Erwerbsfähigen Personen bietet ein verfolgungssicherer Ort das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel, wenn sie dort - was grundsätzlich zumutbar ist - durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer "Schatten- oder Nischenwirtschaft" stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen „mafiöser“ Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 17.05.2005 - 1 B 100/05 -, juris). Maßgeblich ist grundsätzlich auch nicht, ob der Staat den Flüchtlingen einen durchgehend legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde, vielmehr ist in tatsächlicher Hinsicht zu fragen, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96.06 -, juris; Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590), d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit bestritten werden können. Ein Leben in der Illegalität, das den Kläger jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, stellt demgegenüber keine zumutbare Fluchtalternative dar (BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590).
61 
Gemessen an diesen Grundsätzen ist es dem Kläger - nach der gegenwärtigen Sachlage (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG sowie Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG) - zuzumuten und kann von ihm daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er seinen Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nimmt, in dem er vor Verfolgung sicher ist und wo sein soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist.
62 
Wie bereits ausgeführt erweitert die Verordnung der Regierung der Russischen Föderation Nr. 779 vom 20.12.2006 die Möglichkeit zur Beantragung und Ausstellung des Inlandspasses in räumlicher Hinsicht. Dieser kann nunmehr am Wohnort, Aufenthaltsort oder dem Ort der Antragstellung ausgestellt werden (vgl. AA, Lageberichte vom 22.11.2008 und vom 07.03.2011; ebenso Memorial-Bericht Oktober 2007). Die Innehabung eines gültigen Inlandspasses ist ihrerseits Voraussetzung für die in diesen Pass zu stempelnde Wohnsitzregistrierung. Die Registrierung, die dem Kläger - wie oben ausgeführt - wenn auch ggf. mit leichter Verzögerung ebenso wie seiner Ehefrau möglich ist, legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2011; Memorial-Bericht, Oktober 2007). Mit der Registrierung besteht auch für die Kinder des Klägers Zugang zur Bildung (Memorial-Bericht Oktober 2007). Svetlana Gannuschkina berichtet im Memorial-Bericht Oktober 2007, dass im vergangenen Jahr keine Klagen von Menschen aus Tschetschenien über Diskriminierung bei der Arbeitsaufnahme vorlägen.
63 
Die persönlichen Umstände des Klägers rechtfertigen keine andere Einschätzung. Der Kläger ist mit 55 Jahren noch in einem arbeitsfähigen Alter. Hinzu kommt, dass seine Ehefrau mit 44 Jahren deutlich jünger ist und damit ebenfalls durch legale Arbeit infolge Registrierung zum notwendigen Lebensunterhalt beitragen kann. So berichtet Svetlana Gannuschkina, dass tschetschenische Frauen auf der Straße und den Märkten durch Handel ihr Geld verdienen können (Memorial-Bericht Oktober 2007). Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch keine seine Arbeitsfähigkeit wesentlich einschränkende Erkrankung substantiiert dargelegt. Dem Senat liegt zwar das psychologische Gutachten des Evangelischen Migrationsdienstes in Württemberg e.V. vom 26.10.2006 über den Kläger vor. Darin wird angegeben, der Kläger leide an einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung. Zusätzlich bestehe eine Teilsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger indessen lediglich angegeben, er gehe ein- bis zweimal im Monat zum Arzt. Er leide an Bluthochdruck. Er sei auch in Behandlung wegen der Nerven und wegen Operationen. Weitere detaillierte Angaben hat der Kläger nicht gemacht. Vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass für den Kläger infolge der Registrierung ein Zugang zum kostenlosen Gesundheitssystem besteht und posttraumatische Belastungsstörungen in der Russischen Föderation in großen und größeren Städten grundsätzlich behandelt werden können (vgl. R. Mattern, SFH, Auskunft vom 20.04.2009), kann vom Kläger vernünftigerweise erwartet werden, in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens Aufenthalt zusammen mit seiner Ehefrau und seinen Kindern zu nehmen. Angesichts dessen, dass der Kläger zu seiner psychischen Erkrankung, wie sie im psychologischen Gutachten vom 26.10.2006 - also vor mehr als sechs Jahren - dargestellt wird, keine weiteren substantiierten Angaben gemacht hat, insbesondere dem Senat nicht erläutert hat, ob die seinerzeit diagnostizierte psychische Erkrankung überhaupt noch besteht und wenn ja, welche Behandlungsmaßnahmen erfolgen, war dem vom Kläger hilfsweise gestellten Beweisantrag Ziff. 3 (vgl. den als Anhang zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung genommenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012) auf Einholung eines Gutachtens von Herrn Dr. T... S... zum Beweis der Tatsache, dass „der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, an einer jetzt schon chronifizierten Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, dass diese psychische Erkrankung bereits jetzt schon chronifiziert ist aufgrund der Dauer des Verfahrens, dass diese psychische Erkrankung auch Auswirkungen auf sein Aussageverhalten hat im Sinne eines Verdrängungsmechanismus, so dass bei einer Rückkehr oder Abschiebung der Kläger ein akutes Wiederholungstrauma erleiden würde, eine sog. Retraumatisierung in jedem Fall jedoch diese Erkrankung behandlungsbedürftig ist und zwar in einem sicheren Rahmen in der Bundesrepublik Deutschland, ansonsten sich die Erkrankung akut verschlimmert“, nicht nachzugehen. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sind keine zureichenden Anhaltspunkte für eine akute posttraumatische Belastungsstörung und erst recht nicht für eine chronifizierte Persönlichkeitsänderung zu entnehmen. Die entsprechenden Behauptungen im Beweisantrag werden daher nicht durch tatsächliche Indizien gestützt. Sie erscheinen vielmehr als „ins Blaue hinein“ erhoben; der Beweisantrag ist daher als Ausforschungsbeweisantrag unzulässig. Für den Senat kommt hinzu, dass - wie bereits aufgezeigt - in der Russischen Föderation posttraumatische Belastungsstörungen behandelt werden können. Weiterhin wird in dem psychologischen Gutachten vom 26.10.2006 ausgeführt, dass die Sorge um die Rückkehr aufgrund massiver Ängste vor einer möglichen Folterung und/oder Ermordung zwar die Symptomatik verstärke, jedoch nicht die Ursache der Erkrankung sei. Die Symptomatik und die Verhaltensweisen könnten zudem nicht durch eine Sorge vor einer möglichen Rückkehr erklärt werden. Auch könne die Entwurzelung im Exilland (Unkenntnis der Landessprache, sozialer Abstieg, Arbeitslosigkeit, enge Wohnverhältnisse) als Ursache der bestehenden psychischen Störung ausgeschlossen werden. In diesem Zusammenhang ist allerdings zusätzlich festzustellen, dass das Gutachten von einer Rückkehr nach Tschetschenien ausgegangen ist. Da der Kläger sowohl tschetschenisch als auch russisch versteht und spricht, kann von einer Unkenntnis der Landessprache wohl nicht ausgegangen werden. Auch besteht angesichts der fehlenden inhaltlich aussagekräftigen Angaben des Klägers zu seiner derzeitigen psychischen Verfassung keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass er bei einer Niederlassung in einem anderen Teil der Russischen Föderation als Tschetschenien eine Registrierung erst nach dem Ablauf einer Zeitspanne erhalten wird, die so lange ist, dass sich ein aus seiner psychischen Verfassung ergebendes Lebens- bzw. Gesundheitsrisiko - wie im Beweisantrag behauptet - bis dahin realisieren könnte.
64 
In Würdigung all dessen kann vom Kläger vernünftigerweise verlangt werden, dass er sich in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens aufhält. Nach den eben beschriebenen dortigen allgemeinen Gegebenheiten besteht für den Kläger weder eine begründete Furcht vor Verfolgung noch die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.
II.
65 
Der Kläger erfüllt ferner nicht die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 sowie Abs. 7 Satz 2 AufenthG (i.V.m. Abs. 11 und Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 sowie Art. 6 bis 8 RL 2004/83/EG).
66 
Über die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 sowie Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist auch in den Fällen zu entscheiden, in denen das Bundesamt - wie vorliegend - vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes über das (Nicht-)Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten entschieden hat und hiergegen Klage erhoben worden ist. In den anhängigen gerichtlichen Verfahren wächst der am 28.08.2007 neu hinzugetretene unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz automatisch an und ist damit zwingend zu prüfen. Über dieses Prüfprogramm können die Verfahrensbeteiligten nicht disponieren und damit in Übergangsfällen das Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes während des gerichtlichen Verfahrens nicht verhindern. In diesen Fällen bedarf es keiner ausdrücklichen Einbeziehung des neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsschutzes in das anhängige gerichtliche Verfahren durch einen der Verfahrensbeteiligten (zur prozessrechtlichen Bedeutung dieser Abschiebungsverbote und zu ihrem Verhältnis zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 3 AufenthG sowie zum Streitgegenstand im asylrechtlichen Verwaltungsprozess vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198; Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360; Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226; Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris = DVBl 2011, 1565 [Ls.]; Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 -, NVwZ 2012, 244).
67 
1. Die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG (i.V.m. Art. 15 Buchst. b RL 2004/83/EG und Art. 3 EMRK) liegen nicht vor.
68 
Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Die Regelung des § 60 Abs. 2 AufenthG dient der Umsetzung von Artikel 15 Buchst. b) RL 2004/83/EG, der seinerseits im Wesentlichen dem Grundrecht aus Art. 3 EMRK entspricht (vgl. EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 – Elgafaji, InfAuslR 2009, 138 = NVwZ 2009, 705). Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen in der Person des Klägers insbesondere auch deshalb keine zureichenden Anhaltspunkte, weil kein Strafverfahren gegen ihn anhängig ist oder ihm droht.
69 
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG liegt gleichfalls nicht vor.
70 
Nach § 60 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. a RL 2004/83/EG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht. Im vorliegenden Fall gibt es keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen Gefahr.
71 
3. Die Voraussetzungen für eine Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben.
72 
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685 - EMRK -) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Für das Vorliegen eines solchen Abschiebungsverbotes ist nichts ersichtlich, insbesondere muss der Kläger - wie oben ausgeführt - nicht befürchten, außerhalb Tschetscheniens in unmenschlicher oder erniedrigender Weise behandelt oder gar gefoltert zu werden (Art. 3 EMRK). Andere Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention sind im Fall des Klägers tatbestandlich nicht einschlägig. Dies gilt auch mit Blick auf Art. 8 EMRK. Denn die Asylanträge seiner Ehefrau und seiner Kinder bleiben gleichfalls ohne Erfolg; ein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik Deutschland besteht nicht.
73 
4. Auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c RL 2004/83/EG sind nicht erfüllt.
74 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, durch den die sich aus Art. 18 in Verbindung mit Art. 15 Buchst. c und Art. 2 Buchst. e RL 2004/83/EG ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung eines „subsidiären Schutzstatus“ bzw. „subsidiären Schutzes“ in nationales Recht umgesetzt werden, ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris).
75 
Es kann vorliegend dahinstehen, ob in Tschetschenien derzeit noch ein - regional begrenzter (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008, - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198) - innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht und ob deshalb in dieser Region auch eine individuelle Bedrohung des Klägers wegen eines außergewöhnlich hohen Niveaus allgemeiner Gefahren im Rahmen des bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56 Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris ) unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG i.V.m. § 60 Abs. 11 AufenthG (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris; Beschluss vom 23.11.2011- 10 B 32/11 -, juris) anzunehmen ist. Denn ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG besteht bei einem - nur - regional begrenzten Konflikt dann nicht, wenn dem Betroffenen ein interner Schutz nach Art. 8 RL 2004/83/EG (i.V.m. § 60 Abs. 11 AufenthG) zur Verfügung steht, weil außerhalb der Region keine Gefahrenlage im oben dargestellten Sinn besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.07.2009, - 10 C 9.08 -, BVerwGE 134, 188; Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 -, BVerwGE 131, 186; vgl. ferner EuGH, Urteil vom 17.02.2009, - C-465/07 - Elgafaji, InfAuslR 2009, 138 = NVwZ 2009, 705). Dies ist vorliegend der Fall. Denn dem Kläger steht nach den obigen Ausführungen in anderen Teilen der Russischen Föderation eine zumutbare interne Schutzalternative zur Verfügung. Diese ist auch erreichbar und es kann von ihm - wie dargelegt - auch unter Würdigung seiner persönlichen Belange und bei Bewertung der gesamten Umstände vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält.
III.
76 
In der Person des Klägers liegen schließlich auch nicht die Voraussetzungen für die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einschließlich der verfassungskonformen Anwendung von Satz 1 und 3 (vgl. zum einheitlichen Streitgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen BVerwG, Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris) vor.
77 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn diesem dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Dies setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer hingegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG, die nicht nur ihn persönlich, sondern zugleich die gesamte Bevölkerung oder seine Bevölkerungsgruppe allgemein treffen, wird - abgesehen von Fällen der richtlinienkonformen Auslegung bei Anwendung von Art. 15 Buchst. c RL 2004/83/EG für internationale oder innerstaatliche bewaffnete Konflikte - der Abschiebungsschutz grundsätzlich nur durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt.
78 
Beim Fehlen einer solchen Regelung kommt die Feststellung eines Abschiebungsverbots nur bei Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke (Art. 1, Art. 2 Abs. 2 GG) in Betracht, d.h. nur zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage in dem Sinne, dass dem Ausländer sehenden Auges der sichere Tod droht oder er schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07-, BVerwGE 131, 198). Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
79 
Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360 = InfAuslR 2010, 404 = NVwZ 2011, 56; Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 = AuAS 2010, 249 = InfAuslR 2010, 458 = NVwZ 2011, 48; Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris; Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 -, NVwZ 2012, 244).
80 
In Anwendung dieser Grundsätze besteht, wie der Senat unter I. 2. festgestellt hat, eine solche extreme konkrete Gefahrenlage für den Kläger in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens nicht.
IV.
81 
Die in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts vom 11.05.2004 enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung entspricht den gesetzlichen Vorschriften (vgl. § 34 und § 38 Abs. 1 AsylVfG) und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
82 
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
83 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entsprach nicht der Billigkeit (§ 154 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung), dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten aufzuerlegen, da dieser keinen Antrag gestellt und somit auch kein Kostenrisiko übernommen hat (§ 162 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung).
84 
Gerichtskosten werden nach § 83b AsylVfG nicht erhoben.
85 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Gründe

 
22 
Der Senat kann trotz Nichterscheinens des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten entscheiden, da dieser mit der Ladung nach § 102 Abs. 2 VwGO auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
23 
Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige - insbesondere mit ihrer Begründung den Vorgaben des § 124a Abs. 6 VwGO entsprechende - Berufung des Klägers ist unbegründet.
24 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist - entgegen der Zulassung der Berufung durch den Senat nicht nur der Anspruch des Klägers auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person hinsichtlich der Russischen Föderation und damit der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.02.2010 - 10 C 7.09 -, NVwZ 2010, 974), sondern auch sein hilfsweise geltend gemachter Anspruch auf Feststellung unionsrechtlicher und nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes von 2007 bilden die auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG 2004 zum einen und die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG 2004 zum anderen jeweils eigenständige Streitgegenstände, wobei die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote vorrangig vor dem nationalen Abschiebungsverbot u.a. nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG 2004 zu prüfen sind. Damit sind die auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG 2004 in dem Verfahren angewachsen (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198; Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360; Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226; Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris = DVBl 2011, 1565 [Ls.]; Beschluss vom 10.10.2011 - 10 B 24/11-, juris; Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 -, NVwZ 2012, 244). Für die nationalen Abschiebungsverbote gilt nichts anderes.
25 
Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO; I.). In der Person des Klägers liegen ferner weder unionsrechtliche (II.) noch nationalrechtliche (III.) Abschiebungsverbote vor. Die Abschiebungsandrohung ist gleichfalls rechtlich nicht zu beanstanden (IV.).
I.
26 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich der Russischen Föderation nicht vorliegen.
27 
Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12) - RL 2004/83/EG - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). Die RL 2004/83/EG ist vorliegend auch noch maßgeblich, da nach Art. 40 RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung der RL 2004/83/EG) diese Richtlinie erst mit Wirkung vom 21.12.2013 aufgehoben wird.
28 
Nach Art. 2 Buchst. c) RL 2004/83/EG ist Flüchtling unter anderem derjenige Drittstaatsangehörige, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
29 
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist beziehungsweise dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG).
30 
Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181-, BVerfGE 54, 341; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237.80 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (BVerwG, Urteil vom 27.04.1982 - 9 C 308.81 -, BVerwGE 65, 250). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997, a.a.O. S. 99).
31 
Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL 2004/83/EG erlitten hat (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377; Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, InfAuslR 2011, 408; vgl. auch EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505). Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ des Art. 2 Buchst. e) RL 2004/83/EG enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, NVwZ 2008, 1330); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 18.04.1996 - 9 C 77.95 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, ZAR 2008, 192). Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten beziehungsweise Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung beziehungsweise einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla, NVwZ 2010, 505). Dadurch wird der Vorverfolgte beziehungsweise Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden beziehungsweise schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, NVwZ 2008, 1330). Demjenigen, der im Herkunftsstaat Verfolgung erlitten hat oder dort unmittelbar von Verfolgung bedroht war, kommt die Beweiserleichterung unabhängig davon zugute, ob er zum Zeitpunkt der Ausreise in einem anderen Teil seines Heimatlandes hätte Zuflucht finden können; der Verweis auf eine inländische Fluchtalternative vor der Ausreise ist nicht mehr zulässig (BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55 = NVwZ 2009, 982).
32 
Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung beziehungsweise des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09, BVerwGE 136, 377 = NVwZ 2011, 51). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (BVerwG, Beschluss vom 23.11.2011- 10 B 32/11 -, juris).
33 
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Buchst. a)) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchst. a) beschrieben Weise betroffen ist (Buchst. b)). Beim Flüchtlingsschutz bedeutet allein die Gefahr krimineller Übergriffe ohne Anknüpfung an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund keine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG (BVerwG, Beschluss vom 23.11.2011- 10 B 32/11 -, juris). Art. 9 Abs. 3 RL 2004/83/EG bestimmt, dass eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 RL 2004/83/EG genannten Verfolgungsgründen und den in Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG als Verfolgung eingestuften Handlungen bestehen muss.
34 
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243; Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30, jeweils m.w.N.). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200) - ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006, a.a.O.). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994, a.a.O.). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, das heißt wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
35 
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a) und b) AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237).
36 
Die dargelegten Maßstäbe für die Gruppenverfolgung beanspruchen auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG Gültigkeit. Das Konzept der Gruppenverfolgung stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Richtlinie 2004/83/EG in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 RL 2004/83/EG definiert (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009, - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237; vgl. zur Gruppenverfolgung zuletzt auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 -, juris; Urteil vom 09.11.2010 - A 4 S 703/10 -, juris; Beschluss vom 04.08.2011 - A 2 S 1381/11 -, juris).
37 
Die Bundesrepublik Deutschland hat in § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG von der den Mitgliedstaaten in Art. 8 RL 2004/83/EG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, internen Schutz im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG verlangt von den Mitgliedstaaten bei Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und der persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Gemäß Absatz 3 kann Absatz 1 auch angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen (BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 20.08 -, juris).
38 
1. In Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben war der Kläger zum Zeitpunkt seiner Ausreise keiner anlassgeprägten Einzelverfolgung ausgesetzt, weshalb ihm insoweit die Privilegierung aus Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zu Gute kommt.
39 
Das Vorbringen des Klägers zu seinem behaupteten Verfolgungsschicksal ist wegen erheblicher Widersprüchen, insbesondere wegen deutlich gesteigerten Vorbringens sowie wegen stereotyper Angaben insgesamt nicht glaubhaft. Beim Bundesamt hat der Kläger vorgetragen, er sei beim Innenministerium tätig gewesen und zwar in einer Sonderabteilung. Sie hätten operative Aufgaben durchgeführt. Sie hätten Informationen über die Bewegung der Truppen, ihre Bewaffnung und ihre Zahl gesammelt. Er sei zum Major befördert worden. Substantiierte Angaben zu seiner Tätigkeit im Innenministerium hat der Kläger beim Bundesamt nicht gemacht. Bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart hat er erstmals angegeben, nach dem Kriegsende sei er wieder beim Innenministerium als Aufsicht über Feuerwehr und Gefängnisse eingesetzt worden. Daneben sei er noch in einer Aufklärungstruppe tätig gewesen. Seine Gruppe sei u.a. bei den Kämpfen gegen Wahabiten beteiligt gewesen. Dieses aber hat der Kläger beim Bundesamt nicht erwähnt. Auf die Frage beim Bundesamt, von wem er denn verfolgt worden sei, hat der Kläger geantwortet, wenn er das gewusst hätte. Aber das werde zielgerichtet gemacht. Auf Nachfrage hat er angegeben, er glaube, dass dies aus den Kreisen des FSB, der Nationalen Sicherheit komme. Demgegenüber hat der Kläger in seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart erklärt, er vermute, dass es die Wahabiten gewesen seien, die sie verfolgt hätten. Nicht nachvollziehbar ist auch die Aussage des Klägers beim Bundesamt, er habe von 1994 bis 1999 für die tschetschenische Regierung bei Dudajew gearbeitet. Denn Dschochar Mussajewitsch Dudajew starb bereits im April 1996. Sein Nachfolger im Amt des Präsidenten wurde 1997 Aslan Maschadow. Zu seinen Aufgaben beim Innenministerium hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine weiteren substantiierten Angaben gemacht. Völlig widersprüchlich sind auch die Angaben des Klägers zu seiner Ausbildung. Auf entsprechende Frage beim Bundesamt hat der Kläger angegeben, er habe die Fachschule des Innenministeriums 1988 in Charkov abgeschlossen und zwar mit einem Diplom als Techniker für Spezialtechnik. Auf Nachfrage hat er erklärt, es habe sich um Waffen- und Fahrzeugtechnik, spezielle Technik für das Innenministerium gehandelt. Demgegenüber hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart angegeben, er habe in Grosny im Jahre 1994 mit dem Hochschulabschluss als Philologe abgeschlossen. Über seine Ausbildung als Fahrlehrer und das Betreiben einer Fahrschule in Grosny hat der Kläger weder beim Bundesamt noch beim Verwaltungsgericht berichtet. Das Vorbringen des Klägers steht ferner auch im Widerspruch zu den Angaben seiner Ehefrau. Diese hat bereits bei ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 25.08.2000 im Rahmen ihres eigenen Asylverfahrens erklärt, die Russen hätten ihren Ehemann im Winter 1999/2000 bei ihr gesucht. Bei ihrer Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung hat sie dies bestätigt und ergänzt, die Männer hätten ihr gesagt, sie seien von der Rayon-Abteilung für Inneres, also der Miliz. Sie habe ihrem Mann nichts davon erzählt. Später hat sie dann ausgeführt, Soldaten seien mit einem Panzer gekommen und hätten ihr Haus, in dem inzwischen eine Nachbarin gewohnt habe, in die Luft gejagt. Das habe sie ihrem Mann erzählt, als sie ihn das letzte Mal gesehen habe. Dies hat der Kläger indessen weder beim Bundesamt noch bei seiner gerichtlichen Anhörung beim Verwaltungsgericht Stuttgart noch bei seiner Anhörung vor dem Senat erwähnt. Auch der Senat hält es nicht für glaubhaft, dass die Ehefrau ihrem Mann nichts davon erzählt hätte, wenn russische Milizionäre nach ihm gesucht hätten. Widersprüchlich sind weiterhin die Angaben zu den Umständen der Flucht der Ehefrau des Klägers. Der Kläger hat beim Bundesamt erklärt, die Ausreise seiner Frau hätten seine Schwiegereltern organisiert und auch finanziert. Demgegenüber hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart angegeben, zwei Freunde von ihm hätten auf seine Bitte das Ganze über weitere Bekannte organisiert. Bereits diese dargestellten Widersprüche zeigen die Unglaubhaftigkeit der Angaben des Klägers. Diese wird durch seine weiteren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt. Hier hat der Kläger nunmehr erstmals angegeben, er habe, während er sich in der Zeit von 1999 bis 2003 versteckt bzw. im Untergrund aufgehalten habe, mit Menschenrechtsorganisationen zusammengearbeitet. Er habe mit seinem Freund R... Meetings organisiert und an Demonstrationen teilgenommen, allerdings nicht offiziell. Er habe Fälle von Misshandlungen und Angriffe an R... weitergegeben, die dieser dann wiederum an I... E... weitergeleitet habe. Auf Nachfrage gab der Kläger dann an, an Demonstrationen habe er nicht teilgenommen. Er habe aus dem Untergrund Informationen gesammelt. I... E... habe er erst im August 2003 kennengelernt. Aber auch dieses Vorbringen bleibt, abgesehen davon, dass der Kläger diese für ihn wichtige Tätigkeit erstmals vor dem Senat schildert, im Ungefähren. Dem Kläger war es nicht möglich anzugeben, für welche Menschenrechtsorganisationen er angeblich Informationen gesammelt habe, obwohl I... E... - wie der Kläger weiter behauptet hat - Vorsitzender und Leiter der Organisation gewesen sei. Auf Frage, wer ihn verfolgt habe, gibt der Kläger nun wieder an, er sei von russischen Streitkräften verfolgt worden, nicht so sehr von Wahabiten. Eine Erklärung für die Behauptung, es sei herausgekommen, dass er Informationen an I... E... geliefert habe, konnte der Kläger nicht geben. Aufgrund all dessen konnte sich der Senat nicht von der Wahrheit der Angaben des Klägers überzeugen.
40 
Vor diesem Hintergrund war dem hilfsweise gestellten Antrag Ziffer 4 (vgl. den als Anhang zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung genommenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012) zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger im Rang eines Majors im Innenministerium in Grosny gearbeitet habe, dass er festgenommen, gefoltert, misshandelt und erniedrigt worden sei, dass man ihn getötet hätte, wenn er nicht geflohen wäre, I... E... als Zeuge zu vernehmen, nicht nachzugehen. Darüber hinaus hat der Kläger angegeben, er habe I... E... erst im August 2003 persönlich kennengelernt, wobei das Treffen ca. 10 bis 30 Minuten gedauert habe. Aus eigener Kenntnis könnte I... E... daher zu den unter Beweis gestellten Umständen, soweit es sich überhaupt um Tatsachen und nicht nur um Mutmaßungen - wie z.B. hinsichtlich der Tötung des Klägers - handelt, keine Angaben machen. Im Übrigen ist das Vorbringen des Klägers zu I... E... ebenfalls widersprüchlich. Vor dem Senat hat der Kläger angegeben, I... E... habe keinen regulären Beruf gehabt. Zur Begründung des hilfsweise gestellten Beweisantrags hat der Kläger aber angegeben, der Zeuge sei früheres Mitglied der tschetschenischen Regierung gewesen und kenne ihn aus früheren Zeiten. Er arbeite jetzt für amnesty international. Demgegenüber hat der Kläger - wie oben bereits ausgeführt - keine Angaben dazu machen können, für welche Menschenrechtsorganisationen er und I... E... gearbeitet habe.
41 
2. Ob der Kläger zum Zeitpunkt seiner Ausreise einer - regionalen - Gruppenverfolgung in Tschetschenien ausgesetzt war und noch ist (letzteres verneinend OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.03.2009 - OVG 3 B 16.08 -, juris; BayVGH, Urteil vom 29.01.2010 - 11 B 07.30343 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 – 11 B 09.30087 -, juris; OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20) bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn dem Kläger steht jedenfalls in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens eine inländische Fluchtalternative nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG und damit ein interner Schutz im Sinne des Art. 8 RL 2004/83/EG zur Verfügung. Es ist ihm zuzumuten und kann von ihm daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er seinen Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nimmt, an dem er vor Verfolgung sicher ist und wo sein soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist.
42 
Der Senat geht zugunsten des Klägers davon aus, dass die Bewohner Tschetscheniens im Zeitpunkt seiner Ausreise einer regionalen Gruppenverfolgung ausgesetzt waren. Ob dies tatsächlich der Fall war - ob mithin tschetschenische Volkszugehörige aus Tschetschenien dort aus asylerheblichen Gründen (wegen ihres Volkstums oder ihrer politischen Überzeugung) in der erforderlichen Verfolgungsdichte und -intensität von staatlichen russischen [oder der tschetschenischen Republik zuzuordnenden] Stellen verfolgt wurden - braucht demgemäß nicht entschieden zu werden. Die Gefahr einer künftigen Verfolgung des Klägers ist deshalb zwar unter Zubilligung der sich aus Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ergebenden Beweiserleichterung zu prüfen. Es sprechen im Sinn dieser Bestimmung jedoch stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger gegenwärtig jedenfalls in den übrigen Teilen der Russischen Föderation von irgendeiner Art von Verfolgung betroffen sein wird oder dass eine tatsächliche Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden (Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art. 15 RL 2004/83/EG). Das gilt auch für Vorfälle, denen sich die Bevölkerung Tschetscheniens bis zur Ausreise des Kläger allgemein ausgesetzt gesehen hat.
43 
Auch unter Zugrundelegung der Maßstäbe des Art. 8 RL 2004/83/EG, an denen die Zumutbarkeit einer inländischen Fluchtalternative zu messen ist (BVerwG vom 1.2.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007,590), steht politisch unverdächtigen und erwerbsfähigen Tschetschenen in den meisten Teilen der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative bzw. interner Schutz im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 RL 2004/83/EG zur Verfügung (vgl. BayVGH, Urteil vom 29.01.2010 - 11 B 07.30343 -, juris; Urteil vom 21.06.2010 – 11 B 08.30103 -, juris; Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 – 11 B 09.30087 -, juris; OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20; OVG Hamburg, Beschluss vom 27.11.2009 - 2 Bf 337/02.A -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.03.2009 - OVG 3 B 16.08 -, juris; OVG Sachen-Anhalt, Urteil vom 31.07.2008 - 2 L 23/06 -, juris; HessVGH, Urteil vom 21.02.2008 - 3 UE 191/07.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.10.2006 - A 3 S 46/06 -, juris; OVG Saarland, Beschluss vom 29.05.2006 - 3 Q 1/06 -; juris; NdsOVG, Beschluss vom 16.01.2007 - 13 LA 67/06 -, juris; Sächsisches OVG, Beschluss vom 07.02.2011 - A 5 A 152/09 -). Davon ist auch für den Fall des Klägers auszugehen.
44 
a.) Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger politisch unverdächtig ist. Eine politisch relevante gegen die tschetschenische Republik, gegen Russland und die Russische Föderation insgesamt gerichtete Tätigkeit hat der Kläger nicht glaubhaft dargelegt. Dies gilt insbesondere - wie der Senat oben aufgezeigt hat - für die Behauptung des Klägers, er habe in den Jahren 1999 bis 2003 für Menschenrechtsorganisationen Informationen gesammelt. Den Angaben des Klägers, soweit sie überhaupt glaubhaft sind, ist auch nichts für ein Strafverfahren gegen ihn zu entnehmen. Ebenso wenig führt allein der Umstand, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, dazu, dass er nach seiner Rückkehr in die Russische Föderation - jedenfalls außerhalb Tschetscheniens - deshalb staatlich verfolgt wird (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2011). Vor diesem Hintergrund hat der Senat keinen Anlass, entsprechend den in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Anträgen Ziff. 1 und Ziff. 2 (vgl. den als Anhang zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung genommenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012) Beweis zu erheben. Weder die vom Senat als widersprüchlich erachteten Angaben des Klägers noch seine Asylantragstellung und sein langjähriger Auslandsaufenthalt vermögen die in den hilfsweise gestellten Beweisanträgen aufgestellte Behauptung zu begründen, er könnte bei einer Rückkehr als Verräter und Spion oder als tschetschenischer Terrorist angesehen werden.
45 
b.) Dem Kläger ist es auch möglich, sich in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens niederzulassen.
46 
Art. 27 der russischen Verfassung von 1993 garantiert die Niederlassungsfreiheit. Dieses Recht ist allerdings strikt begrenzt durch regionale und lokale Bestimmungen und durch das de facto vielerorts noch gültige Propiska-System, das vor dem mit dem Föderationsgesetz im Jahre 1993 eingeführten Registrierungssystem galt und das nicht nur eine Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vorsah. Nach dem Registrierungssystem ist Voraussetzung für eine dauerhafte Registrierung, dass der Antragsteller einen Wohnraumnachweis führen kann und über einen russischen Inlandspass verfügt. Ein in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht für eine dauerhafte Registrierung nicht aus (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26). Trotz der Systemumstellung durch das Föderationsgesetz wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an, weshalb Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens erhebliche Schwierigkeiten haben, eine offizielle Registrierung zu erhalten. Besonders in Moskau haben zurückgeführte Tschetschenen in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt Aufnahme zu finden, wenn sie über genügend Geld verfügen oder auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können.
47 
Die genannten Registrierungsvoraussetzungen gelten im ganzen Land. Gleichwohl ist eine offizielle Registrierung in anderen Regionen der Russischen Föderation, vor allem in Südrussland, grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil Wohnraum - eine der Registrierungsvoraussetzungen - dort erheblich billiger ist als in der russischen Hauptstadt mit ihren hohen Mieten. Neben Moskau, wo etwa 200.000 Tschetschenen leben, ist es Tschetschenen auch gelungen, sich in den Gebieten Rostow, Wolgograd, Stawropol, Krasnodar, Astrachan, Nordossetien und in Karatschajewo-Tscherkessien anzusiedeln (AA, Lagebericht vom 07.03.2011; Memorial-Bericht Oktober 2007, Hrsg. Svetlana Gannuschkina, „ Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, August 2006 - Oktober 2007 - im Folgenden: Memorial-Bericht Oktober 2007).
48 
Der für die Registrierung erforderliche Inlandspass kann nach der Verordnung der Regierung der Russischen Föderation Nr. 779 vom 20.12.2006 „am Wohnort, Aufenthaltsort oder dem Ort der Antragstellung“ und damit auch außerhalb Tschetschenien beantragt werden (AA, Lagebericht vom 07.03.2011). Ethnische Tschetschenen, die sich außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation niederlassen wollen, müssen zwar damit rechnen, dass ihnen die Bestätigung der Anmeldung (die sog. "Registrierung") verweigert werden könnte (vgl. dazu die Abschnitte II.4 und IV.2 des Lageberichts vom 04.04.2010 und vom 07.03.2011). Diese - rechtswidrige - Praxis ist unter dem Blickwinkel des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 RL 2004/83/EG indessen nicht erheblich, da das Vorenthalten der Einstempelung in den Inlandspass, durch den die erfolgte Anmeldung einer Person beurkundet wird, als solches nicht mit einer Verletzung der in § 60 Abs. 1 AufenthG erwähnten Schutzgüter "Leben", "körperliche Unversehrtheit" und "Freiheit" einhergeht. Auch werden durch ein derartiges behördliches Verhalten nicht grundlegende Menschenrechte im Sinn von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/83/EG schwerwiegend beeinträchtigt. Zwar legalisiert erst eine Registrierung den Aufenthalt des Betroffenen; zudem ist sie Voraussetzung für den Zugang zur Sozialhilfe, zu staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, zum offiziellen Arbeitsmarkt sowie für den Bezug von Kindergeld und Rente (vgl. AA, Lagebericht vom 4.4.2010 und vom 07.03.2011; Memorial-Bericht Oktober 2007). Mit der Nichterteilung einer Zuzugsgenehmigung in eine bestimmte Gemeinde oder Stadt ist nach dem Charakter der Maßnahme aber nicht ein - zielgerichteter - Eingriff in das Leben oder die Gesundheit intendiert, sondern lediglich eine Aufenthaltsnahme in anderen Landesteilen (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2011; BVerwG, 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55 = NVwZ 2009, 982). Ferner ergibt sich aufgrund der Erkenntnislage, dass gerade in bestimmten Großstädten der Russischen Föderation, teilweise aber auch darüber hinaus die Registrierungsverweigerung der lokalen Behörden nicht an die tschetschenische Volkszugehörigkeit oder die Herkunft aus dem Nordkaukasus anknüpft, sondern sämtliche Zuzugswilligen in gleicher Weise betrifft (vgl. etwa Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 16.01.2007 - 13 LA 67/06 -, juris; Beschluss vom 24.06.2006 - 13 LA 398/05 -, juris ; OVG Bremen, Urteil vom 31.05.2006 - 2 A 112/06.A -, juris). Schließlich wird die Ausgrenzung aus der staatlichen Rechtsgemeinschaft, die der Nichtbesitz einer Registrierung in Bezug auf wichtige Lebensbereiche deshalb nach sich ziehen kann, dadurch spürbar gemildert, dass die Registrierungspflicht - nach Änderung der Registrierungsvorschrift am 22.12. 2004 - nunmehr erst nach 90 Tagen ab dem Beginn des Aufenthalts an einem Ort Platz greift (Memorial-Bericht Oktober 2007; OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20; BayVGH, Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris). Anhaltspunkte dafür, dass diese Regelung tatsächlich keine Anwendung findet, sind nicht ersichtlich.
49 
Ungeachtet dessen können sich Tschetschenen mit sehr guten Erfolgsaussichten gegen derartige Rechtsverstöße zur Wehr setzen, ohne dass sie vorübergehend nach Tschetschenien zurückkehren müssten. In den zum Gegenstand dieses Verfahrens gemachten, seit 2002 erschienenen Berichten der Menschenrechtsorganisation "Memorial" sind zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen es durch die Einschaltung von Abgeordneten, Journalisten, Menschenrechtsorganisationen oder Rechtsanwälten sowie erforderlichenfalls durch das Beschreiten des Rechtswegs gelungen ist, Tschetschenen eine Registrierung zu verschaffen. In Gestalt der 58 Beratungsstellen, über die die Organisation "Migration und Recht" verfügt, steht Betroffenen ein russlandweites Netz zur Verfügung, in dem jährlich mehr als 20.000 Menschen beraten werden. Soweit nicht bereits mit außerprozessualen Mitteln Abhilfe geschaffen werden kann, darf zumindest in aller Regel davon ausgegangen werden, dass der Betroffene vor Gericht Recht erhalten wird. Denn die russischen Gerichte üben Verwaltungskontrolle nach US-Vorbild aus; behördliche Bescheide können vor dem örtlich zuständigen Bezirksgericht angefochten werden. Die Gerichte sind die einzigen staatlichen Institutionen in Russland, die Tschetschenen Rechtsschutz gewähren. Da stattgebende gerichtliche Entscheidungen im Durchschnitt nach einigen Monaten ab Verfahrenseinleitung ergehen, kann ungeachtet des Umstandes, dass die Verwaltung fallweise rechtswidrige Bescheide trotz ihrer Aufhebung mehrmals erlassen hat, nicht davon gesprochen werden, eine Verweigerung der Registrierung stelle einen Eingriff in nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/83/EG geschützte Rechte dar, der zudem die nach diesen Bestimmungen erforderliche Schwere erreicht. Soweit es einige Monate dauern sollte, bis der Kläger eine Registrierung erhält, kann dieser Zeitraum durch Rückkehrhilfen nach dem REAG/GARP-Programm und durch Aushilfstätigkeiten überbrückt werden (vgl. BayVGH, Urteil vom 11.11.2010 - 11 B 09.30087 -, juris).
50 
c.) Bei einer Niederlassung in anderen Teilen der Russischen Föderation als Tschetschenien hätte der Kläger auch keine asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Verfolgung im Hinblick auf ihm dort etwa drohende polizeiliche Maßnahmen zu befürchten.
51 
Auch wenn der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen etwas abgenommen hat, berichten russische Menschenrechtsorganisationen nach wie vor von einem willkürlichen Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit; die Angehörigen dieses Personenkreises stünden unter einer Art Generalverdacht (AA, Lageberichte vom 04.04.2010 und vom 07.03.2011). Personenkontrollen auf der Straße oder in der U-Bahn sowie Hausdurchsuchungen fänden weiterhin statt, hätten jedoch an Intensität nachgelassen; Anweisungen russischer Innenbehörden zur spezifischen erkennungsdienstlichen Behandlung von Tschetschenen seien nicht bekannt (AA, Lageberichte vom 4.4.2010 und vom 07.03.2011).
52 
Auch derartige Vorgänge sind indessen unter dem Blickwinkel des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 RL 2004/83/EG grundsätzlich noch nicht rechtserheblich. Muss ein Tschetschene häufiger seinen Ausweis vorzeigen oder sieht er sich öfter mit Durchsuchungsmaßnahmen konfrontiert, als das bei sonstigen Bewohnern der Russischen Föderation der Fall ist, so mag diese Schlechterstellung zwar an die Volkszugehörigkeit, das körperliche Erscheinungsbild oder die regionale Herkunft - und damit an ein Merkmal im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bzw. Art. 10 Abs. 1 RL 2004/83/EG - anknüpfen. Da solche polizeiliche Handlungen indes weder die in § 60 Abs. 1 AufenthG erwähnten Schutzgüter "Leben", "körperliche Unversehrtheit" oder "Freiheit" noch grundlegende Menschenrechte (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/83/EG) verletzen und sie die Betroffenen auch nicht im Sinn von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/83/EG in ähnlich gravierender Weise beeinträchtigen, kommt diesen Praktiken - ungeachtet ihres diskriminierenden Charakters - im Regelfall keine flüchtlingsrechtliche Relevanz zu.
53 
Eine hiervon abweichende Betrachtung wäre dann geboten, wenn es bei derartigen Kontroll- oder Durchsuchungsmaßnahmen zu Übergriffen auf Leib oder Leben der Betroffenen käme oder sie mit einem Freiheitsentzug einhergehen würden, der von seiner zeitlichen Länge her den Rahmen übersteigt, innerhalb dessen eine Person auch in einem Rechtsstaat durch die vollziehende Gewalt vorübergehend festgehalten werden darf. Dass sich der Kläger solchen Praktiken ausgesetzt sehen wird, lässt sich jedoch mit praktischer Sicherheit ausschließen. Gleiches gilt für die Besorgnis, ihm könnten gefälschte Beweismittel untergeschoben werden, um ihn ungerechtfertigt mit einem Strafverfahren zu überziehen. Denn eine Auswertung der einschlägigen Erkenntnismittel ergibt, dass jedenfalls solche Tschetschenen, bei denen es sich nicht um junge Männer handelt, die sich - unmittelbar aus dem früheren Bürgerkriegsgebiet kommend - in andere Teile der Russischen Föderation begeben haben, und die auch nicht durch individuelles rechtswidriges Vorverhalten Anlass für ein polizeiliches Einschreiten gegeben haben, bei Kontakten mit den staatlichen Sicherheitsorganen keine Übergriffe befürchten müssen, denen flüchtlingsrechtliche Relevanz zukommt. So liegt der Fall beim Kläger. Zum einen hat er etwa neun Jahre im Ausland verbracht, so dass keine Rede davon sein kann, dass er direkt aus dem Bürgerkriegsgebiet in andere Gebiete der Russischen Föderation eingereist ist. Zum anderen hat er auch nicht glaubhaft angegeben, in einer militärisch organisierten Rebelleneinheit gekämpft zu haben. Aus den Erkenntnismitteln geht hervor, dass bei Tschetschenen, die nicht die vorbezeichneten Ausnahmekriterien erfüllen, stichhaltige Gründe dagegen sprechen, sie könnten mit ungerechtfertigten strafrechtlichen Vorwürfen überzogen werden (vgl. hierzu BayVGH, Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 - 11 B 09.30087 -, juris).
54 
d.) Die in der Russischen Föderation zu beobachtenden Vorkommnisse, deren Ursache in rassistischen oder fremdenfeindlichen Motiven zu suchen sind, stehen der Annahme einer inländischen Fluchtalternative bzw. eines internen Schutzes nach § 60 Abs. 1 Satz 4 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 RL 2004/83/EG gleichfalls nicht entgegen.
55 
Der Senat übersieht nicht, dass Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens in gesteigertem Maße Anfeindungen und Misstrauen begegnen. M. Grob (SFH vom 12.09.2011) spricht davon, dass Rassismus gegenüber Kaukasiern in Russland weit verbreitet sei und auch gewalttätigen Charakter habe. Hierbei handelt es sich allerdings lediglich um eine allgemeine Aussage; nachvollziehbare Einzelheiten werden nicht angegeben. Auch R. Mattern (SFH vom 03.06.2010) berichtet von Rassismus als gesellschaftliches Problem. Gefährdungen bestünden für Ausländer mit dunkler Hautfarbe. Allerdings würden russische Sicherheitskräfte versuchen, rassistische Gewalt mit repressiven Methoden zu bekämpfen. Allein im ersten Quartal 2010 seien in 18 Urteilen 74 Personen wegen rassistischer Gewalt verurteilt worden. Im Lagebericht des AA vom 07.03.2011 werden keine asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Rassismusvorfälle gegenüber Tschetschenen berichtet, die nicht nach Tschetschenien, sondern in andere Teile der Russischen Föderation zurückkehren. Im Bericht von U. Rybi (FFH vom 25.11.2009) finden sich hierzu gleichfalls keine Angaben. Zwar spricht auch der Memorial-Bericht April 2009 (Hrsg. Svetlana Gannuschkina, „ Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, Oktober 2007 - April 2009 - im Folgenden: Memorial-Bericht April 2009) von einem „neuen“ Feindbild in Russland, das sich gegen Tschetschenen richte. Die Berichterstattung beschreibt aber im Wesentlichen ein geistiges Klima. Gewalttätige Übergriffe rechtsradikaler russischer Kräfte auf Tschetschenen, die staatlicherseits initiiert oder geduldet würden, werden in einem asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Ausmaß hingegen - auch im vorausgehenden Memorial-Bericht Oktober 2007, - nicht geschildert. Soweit es Mitte August 2005 im südrussischen Jandyki und in Naltschik - der Hauptstadt der Republik Kabardino-Balkarien - zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Tschetschenen und Angehörigen anderer Volksgruppen gekommen ist (vgl. Memorial-Bericht 2006 [Juli 2005 - Juli 2006]), sind solche Vorkommnisse, bei denen die Gewalttätigkeiten im Übrigen auch von der tschetschenischen Seite ausgingen, in jüngerer Zeit nicht mehr bekannt geworden (vgl. hierzu BayVGH, Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 - 11 B 09.30087 -, juris). Den Erkenntnismitteln kann bei der gebotenen Objektivität nicht entnommen werden, dass ethnische Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich Opfer gewalttätiger Übergriffe aus fremdenfeindlichen Beweggründen werden. Angesichts der Vielzahl von in der Russischen Föderation sowohl als Binnenflüchtlinge als auch als Migranten lebenden Tschetschenen bieten die nicht mit näherer Quantifizierung verbundenen Angaben über gegen sie gerichteten Maßnahmen keine zureichenden Anhaltspunkte für die Annahme einer auch nur geringen Wahrscheinlichkeit einer eigenen asyl- bzw. flüchtlingserheblichen Verfolgungsbetroffenheit (vgl. auch OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20. Die Frage, inwieweit sich der russische Staat solche von gesellschaftlichen Kräften ausgehenden Übergriffe gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG zurechnen lassen muss, kann deshalb auf sich beruhen.
56 
e.) Dem Kläger droht aufgrund seines Alters von 55 Jahren auch nicht mehr die Einberufung zum Wehrdienst in der russische Armee (vgl. Lagebericht vom 4.4.2010, wonach die allgemeine Wehrpflicht nur für Männer zwischen 18 und 28 Jahren besteht).
57 
f.) Dem Auswärtigen Amt sind ferner keine Fälle bekannt geworden, in denen tschetschenische Volkszugehörige bei oder nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt waren (Lageberichte vom 4.4.2010 und vom 07.03.2011). Zwar geht das Auswärtige Amt davon aus, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren; diese Befürchtung bezieht sich jedoch insbesondere auf solche Personen, die sich in der Tschetschenienfrage besonders engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren (Lageberichte vom 4.4.2010 und vom 07.03.201; vgl. insoweit auch BayVGH, Urteil vom 11.11.2010 – 11 B 09.30087 -, juris). Zu diesen besonderen Risikogruppen gehört der Kläger indessen nicht.
58 
g.) Dem Kläger ist auch mit Blick auf die Gewährleistung des Existenzminimums eine Aufenthaltsnahme in den übrigen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zumutbar.
59 
Eine interne Fluchtalternative im Sinne von Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG setzt neben der - oben dargelegten - Verfolgungssicherheit voraus, dass von dem Kläger vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Maßgeblich ist insofern, ob der Kläger im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative existentiellen Bedrohungen ausgesetzt sein wird, wobei es im Hinblick auf die Neufassung des § 60 AufenthG zur Umsetzung der RL 2004/83/EG nicht (mehr) darauf ankommt, ob diese Gefahren am Herkunftsort ebenso bestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11/07 -, BVerwGE 131, 186). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände im Sinne des Art. 8 Abs. RL 2004/83/EG kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2004/83/EG zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist, dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben.
60 
Eine existentielle Bedrohung ist gegeben, wenn das Existenzminimum nicht gesichert ist. Erwerbsfähigen Personen bietet ein verfolgungssicherer Ort das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel, wenn sie dort - was grundsätzlich zumutbar ist - durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer "Schatten- oder Nischenwirtschaft" stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen „mafiöser“ Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 17.05.2005 - 1 B 100/05 -, juris). Maßgeblich ist grundsätzlich auch nicht, ob der Staat den Flüchtlingen einen durchgehend legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde, vielmehr ist in tatsächlicher Hinsicht zu fragen, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96.06 -, juris; Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590), d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit bestritten werden können. Ein Leben in der Illegalität, das den Kläger jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, stellt demgegenüber keine zumutbare Fluchtalternative dar (BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590).
61 
Gemessen an diesen Grundsätzen ist es dem Kläger - nach der gegenwärtigen Sachlage (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG sowie Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG) - zuzumuten und kann von ihm daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er seinen Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nimmt, in dem er vor Verfolgung sicher ist und wo sein soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist.
62 
Wie bereits ausgeführt erweitert die Verordnung der Regierung der Russischen Föderation Nr. 779 vom 20.12.2006 die Möglichkeit zur Beantragung und Ausstellung des Inlandspasses in räumlicher Hinsicht. Dieser kann nunmehr am Wohnort, Aufenthaltsort oder dem Ort der Antragstellung ausgestellt werden (vgl. AA, Lageberichte vom 22.11.2008 und vom 07.03.2011; ebenso Memorial-Bericht Oktober 2007). Die Innehabung eines gültigen Inlandspasses ist ihrerseits Voraussetzung für die in diesen Pass zu stempelnde Wohnsitzregistrierung. Die Registrierung, die dem Kläger - wie oben ausgeführt - wenn auch ggf. mit leichter Verzögerung ebenso wie seiner Ehefrau möglich ist, legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2011; Memorial-Bericht, Oktober 2007). Mit der Registrierung besteht auch für die Kinder des Klägers Zugang zur Bildung (Memorial-Bericht Oktober 2007). Svetlana Gannuschkina berichtet im Memorial-Bericht Oktober 2007, dass im vergangenen Jahr keine Klagen von Menschen aus Tschetschenien über Diskriminierung bei der Arbeitsaufnahme vorlägen.
63 
Die persönlichen Umstände des Klägers rechtfertigen keine andere Einschätzung. Der Kläger ist mit 55 Jahren noch in einem arbeitsfähigen Alter. Hinzu kommt, dass seine Ehefrau mit 44 Jahren deutlich jünger ist und damit ebenfalls durch legale Arbeit infolge Registrierung zum notwendigen Lebensunterhalt beitragen kann. So berichtet Svetlana Gannuschkina, dass tschetschenische Frauen auf der Straße und den Märkten durch Handel ihr Geld verdienen können (Memorial-Bericht Oktober 2007). Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch keine seine Arbeitsfähigkeit wesentlich einschränkende Erkrankung substantiiert dargelegt. Dem Senat liegt zwar das psychologische Gutachten des Evangelischen Migrationsdienstes in Württemberg e.V. vom 26.10.2006 über den Kläger vor. Darin wird angegeben, der Kläger leide an einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung. Zusätzlich bestehe eine Teilsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger indessen lediglich angegeben, er gehe ein- bis zweimal im Monat zum Arzt. Er leide an Bluthochdruck. Er sei auch in Behandlung wegen der Nerven und wegen Operationen. Weitere detaillierte Angaben hat der Kläger nicht gemacht. Vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass für den Kläger infolge der Registrierung ein Zugang zum kostenlosen Gesundheitssystem besteht und posttraumatische Belastungsstörungen in der Russischen Föderation in großen und größeren Städten grundsätzlich behandelt werden können (vgl. R. Mattern, SFH, Auskunft vom 20.04.2009), kann vom Kläger vernünftigerweise erwartet werden, in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens Aufenthalt zusammen mit seiner Ehefrau und seinen Kindern zu nehmen. Angesichts dessen, dass der Kläger zu seiner psychischen Erkrankung, wie sie im psychologischen Gutachten vom 26.10.2006 - also vor mehr als sechs Jahren - dargestellt wird, keine weiteren substantiierten Angaben gemacht hat, insbesondere dem Senat nicht erläutert hat, ob die seinerzeit diagnostizierte psychische Erkrankung überhaupt noch besteht und wenn ja, welche Behandlungsmaßnahmen erfolgen, war dem vom Kläger hilfsweise gestellten Beweisantrag Ziff. 3 (vgl. den als Anhang zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung genommenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012) auf Einholung eines Gutachtens von Herrn Dr. T... S... zum Beweis der Tatsache, dass „der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, an einer jetzt schon chronifizierten Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, dass diese psychische Erkrankung bereits jetzt schon chronifiziert ist aufgrund der Dauer des Verfahrens, dass diese psychische Erkrankung auch Auswirkungen auf sein Aussageverhalten hat im Sinne eines Verdrängungsmechanismus, so dass bei einer Rückkehr oder Abschiebung der Kläger ein akutes Wiederholungstrauma erleiden würde, eine sog. Retraumatisierung in jedem Fall jedoch diese Erkrankung behandlungsbedürftig ist und zwar in einem sicheren Rahmen in der Bundesrepublik Deutschland, ansonsten sich die Erkrankung akut verschlimmert“, nicht nachzugehen. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sind keine zureichenden Anhaltspunkte für eine akute posttraumatische Belastungsstörung und erst recht nicht für eine chronifizierte Persönlichkeitsänderung zu entnehmen. Die entsprechenden Behauptungen im Beweisantrag werden daher nicht durch tatsächliche Indizien gestützt. Sie erscheinen vielmehr als „ins Blaue hinein“ erhoben; der Beweisantrag ist daher als Ausforschungsbeweisantrag unzulässig. Für den Senat kommt hinzu, dass - wie bereits aufgezeigt - in der Russischen Föderation posttraumatische Belastungsstörungen behandelt werden können. Weiterhin wird in dem psychologischen Gutachten vom 26.10.2006 ausgeführt, dass die Sorge um die Rückkehr aufgrund massiver Ängste vor einer möglichen Folterung und/oder Ermordung zwar die Symptomatik verstärke, jedoch nicht die Ursache der Erkrankung sei. Die Symptomatik und die Verhaltensweisen könnten zudem nicht durch eine Sorge vor einer möglichen Rückkehr erklärt werden. Auch könne die Entwurzelung im Exilland (Unkenntnis der Landessprache, sozialer Abstieg, Arbeitslosigkeit, enge Wohnverhältnisse) als Ursache der bestehenden psychischen Störung ausgeschlossen werden. In diesem Zusammenhang ist allerdings zusätzlich festzustellen, dass das Gutachten von einer Rückkehr nach Tschetschenien ausgegangen ist. Da der Kläger sowohl tschetschenisch als auch russisch versteht und spricht, kann von einer Unkenntnis der Landessprache wohl nicht ausgegangen werden. Auch besteht angesichts der fehlenden inhaltlich aussagekräftigen Angaben des Klägers zu seiner derzeitigen psychischen Verfassung keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass er bei einer Niederlassung in einem anderen Teil der Russischen Föderation als Tschetschenien eine Registrierung erst nach dem Ablauf einer Zeitspanne erhalten wird, die so lange ist, dass sich ein aus seiner psychischen Verfassung ergebendes Lebens- bzw. Gesundheitsrisiko - wie im Beweisantrag behauptet - bis dahin realisieren könnte.
64 
In Würdigung all dessen kann vom Kläger vernünftigerweise verlangt werden, dass er sich in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens aufhält. Nach den eben beschriebenen dortigen allgemeinen Gegebenheiten besteht für den Kläger weder eine begründete Furcht vor Verfolgung noch die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.
II.
65 
Der Kläger erfüllt ferner nicht die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 sowie Abs. 7 Satz 2 AufenthG (i.V.m. Abs. 11 und Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 sowie Art. 6 bis 8 RL 2004/83/EG).
66 
Über die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 sowie Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist auch in den Fällen zu entscheiden, in denen das Bundesamt - wie vorliegend - vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes über das (Nicht-)Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten entschieden hat und hiergegen Klage erhoben worden ist. In den anhängigen gerichtlichen Verfahren wächst der am 28.08.2007 neu hinzugetretene unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz automatisch an und ist damit zwingend zu prüfen. Über dieses Prüfprogramm können die Verfahrensbeteiligten nicht disponieren und damit in Übergangsfällen das Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes während des gerichtlichen Verfahrens nicht verhindern. In diesen Fällen bedarf es keiner ausdrücklichen Einbeziehung des neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsschutzes in das anhängige gerichtliche Verfahren durch einen der Verfahrensbeteiligten (zur prozessrechtlichen Bedeutung dieser Abschiebungsverbote und zu ihrem Verhältnis zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 3 AufenthG sowie zum Streitgegenstand im asylrechtlichen Verwaltungsprozess vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198; Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360; Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226; Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris = DVBl 2011, 1565 [Ls.]; Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 -, NVwZ 2012, 244).
67 
1. Die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG (i.V.m. Art. 15 Buchst. b RL 2004/83/EG und Art. 3 EMRK) liegen nicht vor.
68 
Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Die Regelung des § 60 Abs. 2 AufenthG dient der Umsetzung von Artikel 15 Buchst. b) RL 2004/83/EG, der seinerseits im Wesentlichen dem Grundrecht aus Art. 3 EMRK entspricht (vgl. EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 – Elgafaji, InfAuslR 2009, 138 = NVwZ 2009, 705). Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen in der Person des Klägers insbesondere auch deshalb keine zureichenden Anhaltspunkte, weil kein Strafverfahren gegen ihn anhängig ist oder ihm droht.
69 
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG liegt gleichfalls nicht vor.
70 
Nach § 60 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. a RL 2004/83/EG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht. Im vorliegenden Fall gibt es keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen Gefahr.
71 
3. Die Voraussetzungen für eine Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben.
72 
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685 - EMRK -) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Für das Vorliegen eines solchen Abschiebungsverbotes ist nichts ersichtlich, insbesondere muss der Kläger - wie oben ausgeführt - nicht befürchten, außerhalb Tschetscheniens in unmenschlicher oder erniedrigender Weise behandelt oder gar gefoltert zu werden (Art. 3 EMRK). Andere Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention sind im Fall des Klägers tatbestandlich nicht einschlägig. Dies gilt auch mit Blick auf Art. 8 EMRK. Denn die Asylanträge seiner Ehefrau und seiner Kinder bleiben gleichfalls ohne Erfolg; ein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik Deutschland besteht nicht.
73 
4. Auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c RL 2004/83/EG sind nicht erfüllt.
74 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, durch den die sich aus Art. 18 in Verbindung mit Art. 15 Buchst. c und Art. 2 Buchst. e RL 2004/83/EG ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung eines „subsidiären Schutzstatus“ bzw. „subsidiären Schutzes“ in nationales Recht umgesetzt werden, ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris).
75 
Es kann vorliegend dahinstehen, ob in Tschetschenien derzeit noch ein - regional begrenzter (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008, - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198) - innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht und ob deshalb in dieser Region auch eine individuelle Bedrohung des Klägers wegen eines außergewöhnlich hohen Niveaus allgemeiner Gefahren im Rahmen des bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56 Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris ) unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG i.V.m. § 60 Abs. 11 AufenthG (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris; Beschluss vom 23.11.2011- 10 B 32/11 -, juris) anzunehmen ist. Denn ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG besteht bei einem - nur - regional begrenzten Konflikt dann nicht, wenn dem Betroffenen ein interner Schutz nach Art. 8 RL 2004/83/EG (i.V.m. § 60 Abs. 11 AufenthG) zur Verfügung steht, weil außerhalb der Region keine Gefahrenlage im oben dargestellten Sinn besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.07.2009, - 10 C 9.08 -, BVerwGE 134, 188; Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 -, BVerwGE 131, 186; vgl. ferner EuGH, Urteil vom 17.02.2009, - C-465/07 - Elgafaji, InfAuslR 2009, 138 = NVwZ 2009, 705). Dies ist vorliegend der Fall. Denn dem Kläger steht nach den obigen Ausführungen in anderen Teilen der Russischen Föderation eine zumutbare interne Schutzalternative zur Verfügung. Diese ist auch erreichbar und es kann von ihm - wie dargelegt - auch unter Würdigung seiner persönlichen Belange und bei Bewertung der gesamten Umstände vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält.
III.
76 
In der Person des Klägers liegen schließlich auch nicht die Voraussetzungen für die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einschließlich der verfassungskonformen Anwendung von Satz 1 und 3 (vgl. zum einheitlichen Streitgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen BVerwG, Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris) vor.
77 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn diesem dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Dies setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer hingegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG, die nicht nur ihn persönlich, sondern zugleich die gesamte Bevölkerung oder seine Bevölkerungsgruppe allgemein treffen, wird - abgesehen von Fällen der richtlinienkonformen Auslegung bei Anwendung von Art. 15 Buchst. c RL 2004/83/EG für internationale oder innerstaatliche bewaffnete Konflikte - der Abschiebungsschutz grundsätzlich nur durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt.
78 
Beim Fehlen einer solchen Regelung kommt die Feststellung eines Abschiebungsverbots nur bei Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke (Art. 1, Art. 2 Abs. 2 GG) in Betracht, d.h. nur zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage in dem Sinne, dass dem Ausländer sehenden Auges der sichere Tod droht oder er schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07-, BVerwGE 131, 198). Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
79 
Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360 = InfAuslR 2010, 404 = NVwZ 2011, 56; Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 = AuAS 2010, 249 = InfAuslR 2010, 458 = NVwZ 2011, 48; Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris; Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 -, NVwZ 2012, 244).
80 
In Anwendung dieser Grundsätze besteht, wie der Senat unter I. 2. festgestellt hat, eine solche extreme konkrete Gefahrenlage für den Kläger in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens nicht.
IV.
81 
Die in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts vom 11.05.2004 enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung entspricht den gesetzlichen Vorschriften (vgl. § 34 und § 38 Abs. 1 AsylVfG) und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
82 
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
83 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entsprach nicht der Billigkeit (§ 154 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung), dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten aufzuerlegen, da dieser keinen Antrag gestellt und somit auch kein Kostenrisiko übernommen hat (§ 162 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung).
84 
Gerichtskosten werden nach § 83b AsylVfG nicht erhoben.
85 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 15. Feb. 2012 - A 3 S 1876/09

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 15. Feb. 2012 - A 3 S 1876/09

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 15. Feb. 2012 - A 3 S 1876/09 zitiert 11 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 162


(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. (2) Die Gebühren und Auslage

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 1


(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen G

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60a Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)


(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 102


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 15. Feb. 2012 - A 3 S 1876/09 zitiert oder wird zitiert von 12 Urteil(en).

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 15. Feb. 2012 - A 3 S 1876/09 zitiert 6 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 23. Nov. 2011 - 10 B 32/11

bei uns veröffentlicht am 23.11.2011

Gründe 1 Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat Erfolg. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 09. Nov. 2010 - A 4 S 703/10

bei uns veröffentlicht am 09.11.2010

Tenor Soweit der Kläger die Berufung zurückgenommen hat, wird das Berufungsverfahren eingestellt.Im Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 07. August 2009 - A 1 K 401/09 - zurückgewiesen.Die Ansc

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 27. Sept. 2010 - A 10 S 689/08

bei uns veröffentlicht am 27.09.2010

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. September 2007 - A 6 K 43/07 - wird zurückgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.Die Revision wird nicht zugelasse

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 25. Okt. 2006 - A 3 S 46/06

bei uns veröffentlicht am 25.10.2006

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05. Oktober 2005 - A 11 K 11032/05 - geändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Recht

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 29. Mai 2006 - 3 Q 1/06

bei uns veröffentlicht am 29.05.2006

Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. März 2005 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes – 12 K 117/04.A – wird zurückgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten
6 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 15. Feb. 2012 - A 3 S 1876/09.

Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 22. Juni 2017 - Au 2 K 17.32253

bei uns veröffentlicht am 22.06.2017

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu je einem Viertel zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Tatbestand Der am ... 1976 in ... (Russische Föderatio

Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 06. Feb. 2018 - Au 2 K 17.30712

bei uns veröffentlicht am 06.02.2018

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Tatbestand

Verwaltungsgericht Regensburg Urteil, 27. Mai 2016 - RO 9 K 16.30509

bei uns veröffentlicht am 27.05.2016

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Tatbestand

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 03. Jan. 2018 - 11 ZB 17.31234

bei uns veröffentlicht am 03.01.2018

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag der Kläger auf Zula

Referenzen

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Gründe

A. Beschwerde des Klägers zu 3

1

Der Kläger zu 3 hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Er beanstandet zu Recht, dass der Verwaltungsgerichtshof nur über ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entschieden, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG aber offengelassen hat (Beschwerdebegründung S. 1 f.). Die aus Sicht der Beschwerde fehlerhafte Bestimmung des Streitgegenstandes fasst die Beschwerde zwar in eine Grundsatzrüge im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Sache nach rügt sie damit zugleich jedoch einen Verfahrensmangel gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

2

Im vorliegenden Verfahren hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - in seinem Bescheid vom 11. Februar 2003 die Anträge der Kläger auf Asyl und Flüchtlingsanerkennung abgelehnt und das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG 1990 verneint. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 18. Mai 2004 zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990 verpflichtet, die Klage aber im Übrigen abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat auf die zugelassene Berufung der Beklagten gegen den Verpflichtungsausspruch zu § 53 Abs. 6 AuslG 1990 das Urteil des Verwaltungsgerichts teilweise geändert und die Klage (nunmehr beurteilt nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) vollumfänglich abgewiesen. Er hat für alle drei Kläger gemeinsam eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei Rückführung in die Russische Föderation verneint, weil sie sich in zumutbarer Weise in anderen Landesteilen - außerhalb von Tschetschenien - niederlassen könnten. Für den Kläger zu 3, der im Verlauf des Berufungsverfahrens das 18. Lebensjahr vollendet hatte und damit in der Russischen Föderation wehrpflichtig geworden war, wurde vom Verwaltungsgerichtshof zusätzlich die ihm während der Ableistung des Wehrdienstes in den russischen Streitkräften drohenden Gefahren am Maßstab einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG geprüft, im Ergebnis aber eine danach erforderliche Extremgefahr verneint. An einer Entscheidung der Frage, ob die dem Kläger zu 3 bei Einberufung zum Wehrdienst drohenden Gefahren ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG begründen, hat sich der Verwaltungsgerichtshof gehindert gesehen, weil er davon ausging, dass der Streitgegenstand im Berufungsverfahren auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschränkt gewesen sei (UA Rn. 29).

3

Der Senat legt die Beschwerde dahin aus, dass sie insoweit nur im Namen des Klägers zu 3, nicht hingegen auch im Namen der Kläger zu 1 und 2 erhoben wurde. Denn Bestandteil der von ihr als klärungsbedürftig formulierten Frage ist die Fallgestaltung, dass das Berufungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint, aber der Meinung ist, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 und/oder Abs. 5 AufenthG vorliege (Beschwerdebegründung S. 2 unten). Eine solche Entscheidung des Berufungsgerichts trägt die Beschwerde nur für den Kläger zu 3 vor (Beschwerdebegründung S. 2 Mitte). Der Beschwerde lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und/oder Abs. 5 AufenthG auch für die Kläger zu 1 und 2 vom Berufungsgericht angenommen worden sein sollen. Bezieht sich die als Grundsatzrüge formulierte Beschwerde nur auf den Kläger zu 3, hat dies auch für ihre Auslegung als Verfahrensrüge zu gelten.

4

Mit Recht rügt die Beschwerde, dass das Berufungsgericht im Fall des Klägers zu 3 keine Entscheidung über unionsrechtlich begründete Abschiebungsverbote, insbesondere nach § 60 Abs. 2 AufenthG getroffen hat. Zwar hat das Verwaltungsgericht in seinem im Jahr 2004 gefällten Urteil die Klage hinsichtlich der vorrangig vor § 53 Abs. 6 AuslG 1990 zu prüfenden Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG 1990 abgewiesen, ohne dass der Kläger zu 3 dagegen Rechtsmittel eingelegt hat. Dadurch ist der seinerzeit abtrennbare Streitgegenstand, ob einer Abschiebung zwingende Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG 1990 entgegenstehen, nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Er war auch nicht wegen der nachträglich eingetretenen Tatsache, dass der Kläger zu 3 wehrdienstfähig geworden ist, in das Berufungsverfahren einzubeziehen. Eine neue Rechtslage hat sich aber mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I 2007, 1970) ergeben. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 24. Juni 2008 entschieden hat, bilden seitdem die auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zum einen und die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zum anderen jeweils eigenständige Streitgegenstände, wobei die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote vorrangig vor dem nationalen Abschiebungsverbot u.a. nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfen sind (vgl. BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 13 - 15). Diese neue Rechtslage war gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG der Entscheidung des Berufungsgerichts vom 4. März 2011 zugrunde zu legen. Danach sind mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes von 2007 die auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG in dem Verfahren angewachsen. Wie der Senat mit Urteil vom 27. April 2010 (BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 16) entschieden hat, kann ein Kläger jedenfalls dann, wenn das Bundesamt in dem Widerrufsbescheid - wie hier - über sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden hat, die neuen, auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbeziehen (bestätigt mit Urteilen vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 Rn. 6 und vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 u. a.). Damit wird auch der den Asylprozess beherrschenden Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime Rechnung getragen, nach der am Ende eines gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich geklärt sein soll, ob und welchen (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsschutz der Kläger zu diesem Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) genießt. Das Berufungsgericht hat es daher unter Verstoß gegen Verfahrensrecht unterlassen, das Vorbringen des Klägers zu 3 zu den ihm bei Einberufung zum Wehrdienst drohenden Gefahren auch darauf zu prüfen, ob es einen der Tatbestände des angewachsenen unionsrechtlichen Abschiebungsverbots erfüllt.

5

Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit, soweit er den Kläger zu 3 betrifft, gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

6

Über die weiteren vom Kläger zu 3 erhobenen Revisionsrügen brauchte nicht mehr entschieden zu werden. Allerdings bemerkt der Senat, dass diese voraussichtlich ohne Erfolg geblieben wären.

B. Beschwerden der Kläger zu 1 und 2

7

Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützten Beschwerden der Kläger zu 1 und 2 sind unzulässig. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

8

1. Die Beschwerden sehen die Frage als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig an, "ob und inwieweit im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG bereits erlittene körperliche Misshandlungen und Übergriffe zu berücksichtigen sind" (Beschwerdebegründung S. 2 oben). Von Bedeutung sei die Frage deshalb, weil zumindest die Kläger zu 1 und 3 mehrfach verhaftet und der Kläger zu 1 verhört und geschlagen worden sei. Dies sei unter dem Verdacht der Zusammenarbeit mit tschetschenischen Rebellen geschehen. Daher sei von einer Erfassung der Kläger als verdächtige Personen auszugehen, was bei der Frage zu berücksichtigen sei, ob sich die Kläger in übrigen Teilen der Russischen Föderation niederlassen können, insbesondere die notwendige Registrierung erhalten, um der ihnen in Tschetschenien drohenden Gefahr zu entgehen.

9

Die Grundsatzrüge ist unzulässig, weil der erforderliche Klärungsbedarf für die aufgeworfene Frage nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt wird. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits geklärt, dass beim Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG 1990 nicht auf einen abgesenkten Wahrscheinlichkeitsmaßstab abzustellen ist, wenn der Ausländer bereits vor der Einreise ins Bundesgebiet Eingriffe in Leib, Leben und Freiheit erlitten hat. Denn der Begriff der "konkreten Gefahr" enthält nicht das sich aus dem besonderen humanitären Charakter des Asylrechts ergebende Element der Zumutbarkeit der Rückkehr (vgl. Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330>). Das gilt auch für das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. Beschlüsse vom 21. Februar 2006 - BVerwG 1 B 107.05 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 323 Rn. 3 und vom 29. Juni 2009 - BVerwG 10 B 60.08 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 35 Rn. 7). Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2004/83/EG findet gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG nur auf die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote Anwendung, nicht jedoch auf das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Weitergehenden Klärungsbedarf zeigen die Beschwerden nicht auf.

10

2. Die Beschwerden rügen des Weiteren eine Verletzung des Anspruchs der Kläger zu 1 und 2 auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Diese soll sich daraus ergeben, dass der Verwaltungsgerichtshof die sich aus den früheren Verhaftungen und Misshandlungen der Kläger (siehe oben Ziffer 1) ergebende Gefahr des Erleidens weiterer Verfolgungsmaßnahmen im Rahmen der Prüfung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unberücksichtigt gelassen habe (Beschwerdebegründung S. 3 Mitte).

11

Mit ihren Darlegungen zeigen die Kläger zu 1 und 2 die geltend gemachte Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs jedoch nicht auf. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts ist grundsätzlich - und so auch hier - davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben; die Gerichte brauchen sich dabei nicht mit jedem Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Aus einem Schweigen der Urteilsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs allein kann noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe diese nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann daher nur dann festgestellt werden, wenn es sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen der Beteiligten nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. etwa Beschluss vom 5. Februar 1999 - BVerwG 9 B 797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4 unter Hinweis auf BVerfGE 96, 205<216 f.>). Solche besonderen Umstände zeigt die Beschwerde nicht auf. Vielmehr findet sich im Berufungsurteil die Feststellung, dass persönliche Umstände, die eine erhöhte Gefährdung der Kläger gegenüber anderen aus Tschetschenien stammenden russischen Staatsangehörigen erkennen lassen, weder vorgetragen noch ersichtlich seien (UA S. 9 oben). Das spricht dafür, dass sich der Verwaltungsgerichtshof mit besonderen gefahrerhöhenden Umständen in der Person der Kläger zu 1 und 2 befasst, sie im Ergebnis aber verneint hat.

12

Im Übrigen ergibt sich aus dem Vorbringen der Kläger auch nicht, dass sie "unter dem Verdacht der Zusammenarbeit mit tschetschenischen Rebellen" verhört und verhaftet worden seien, wie die Beschwerde vorträgt. Vielmehr hat der Kläger zu 1 in seiner Anhörung durch den Verwaltungsgerichtshof am 20. April 2009 lediglich ausgesagt, er sei nach Kontakten zu tschetschenischen Rebellen gefragt worden, habe das aber verneint. Später sei er aufgefordert worden, den Russen Beobachtungen über Rebellen mitzuteilen. Die Beschwerden legen nicht dar, wieso das Berufungsgericht auf der Grundlage dieses Vorbringens von einer "Registrierung der Kläger zumindest als verdächtige Personen" hätte ausgehen müssen.

13

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Gründe

1

Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat Erfolg. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils an das Berufungsgericht zurück.

2

Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seiner Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Frage einer fortbestehenden Verfolgungsgefahr des Klägers in Tschetschenien und dem Fehlen einer zumutbaren internen Fluchtalternative in anderen Teilen der Russischen Föderation nicht in der gebotenen Weise nachgekommen ist. Hierzu macht sie geltend, das Berufungsgericht habe sich in den Entscheidungsgründen nicht mit der abweichenden Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte auseinandergesetzt, auf die sich der am Verfahren beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten ausdrücklich berufen habe. Dieser hat im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 6. April 2011 unter Bezugnahme auf im Einzelnen nach Aktenzeichen und Entscheidungsdatum spezifizierte Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte darauf hingewiesen, dass Tschetschenen bei einer Rückkehr nach Tschetschenien hinreichend sicher seien bzw. im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG stichhaltige Gründe dagegen sprächen, dass ihnen Verfolgung oder sonstiger ernsthafter Schaden drohe, soweit sie keine besonderen Gefährdungsfaktoren aufwiesen. Außerdem hat er geltend gemacht, dass Tschetschenen nach allgemeiner Spruchpraxis selbst bei Annahme einer weiter andauernden Verfolgungsgefahr in Tschetschenien zumindest eine inländische Ausweichmöglichkeit bzw. im Sinne von Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG interner Schutz in den übrigen Gebieten der Russischen Föderation zustehe.

3

Mit den in diesen obergerichtlichen Entscheidungen vertretenen Auffassungen setzt sich das Berufungsgericht inhaltlich nicht auseinander. Es erwähnt in seiner Entscheidung zwar eine der vom Bundesbeauftragten angeführten Entscheidungen als Beleg für eine von seiner eigenen Einschätzung abweichende Auffassung zur aktuellen Lage in Tschetschenien, ohne jedoch weiter auf das Vorbringen des Bundesbeauftragten einzugehen und sich mit der abweichenden tatsächlichen und rechtlichen Würdigung der anderen Oberverwaltungsgerichte zur Lage in Tschetschenien und dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative näher zu befassen. Das lässt angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nur den Schluss zu, dass es dieses Vorbringen nicht in Erwägung gezogen hat. Das Berufungsgericht führt zur Begründung seiner Entscheidung zwar auch neuere Erkenntnismittel an, die den vom Bundesbeauftragten angeführten Entscheidungen der anderen Oberverwaltungsgerichte nicht vorlagen. Diesen entnimmt das Berufungsgericht aber keine grundlegende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, sondern verweist ausdrücklich darauf, dass seine aktuelle Lageeinschätzung älteren - von den anderen Oberverwaltungsgerichten bei ihren Entscheidungen mitberücksichtigten - Erkenntnissen entspreche (UA S. 11) und deshalb "weiterhin" für die in Tschetschenien lebenden Personen eine tatsächliche Gefahr bestehe (UA S. 12). Bei dieser Sachlage verletzt das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung den Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs; darin liegt zugleich ein formeller Begründungsmangel im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

4

Zwar ist die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gebotene Auseinandersetzung mit der abweichenden Würdigung verallgemeinerungsfähiger Tatsachen im Asylrechtsstreit durch andere Oberverwaltungsgerichte grundsätzlich Teil der dem materiellen Recht zuzuordnenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung, so dass eine fehlende Auseinandersetzung mit abweichender obergerichtlicher Rechtsprechung als solche in aller Regel nicht als Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügt werden kann (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 1. März 2006 - BVerwG 1 B 85.05 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 324 und - BVerwG 1 B 86.05). Etwas anderes muss jedoch dann gelten, wenn sich ein Beteiligter - wie hier - einzelne tatrichterliche Feststellungen eines Oberverwaltungsgerichts als Parteivortrag zu eigen macht und es sich dabei um ein zentrales und entscheidungserhebliches Vorbringen handelt. Geht das Berufungsgericht hierauf in den Urteilsgründen nicht ein und lässt sich auch sonst aus dem gesamten Begründungszusammenhang nicht erkennen, dass und in welcher Weise es diesen Vortrag zur Kenntnis genommen und erwogen hat, liegt in der unterlassenen Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung eines anderen Oberverwaltungsgerichts ausnahmsweise auch ein rügefähiger Verfahrensmangel (vgl. in diesem Sinne schon Beschluss vom 21. Mai 2003 - BVerwG 1 B 298.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 270).

5

Auf diesen Verfahrensmangel kann sich jedenfalls in der vorliegenden prozessualen Konstellation auch die Beklagte berufen. Denn sie ist der Berufung des Klägers entgegengetreten und hat sich damit das in die gleiche Richtung zielende Vorbringen des Beteiligten zumindest konkludent zu eigen gemacht.

6

Wie die Beschwerde zutreffend darlegt, kann die Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zu einer anderen Entscheidung hinsichtlich der vom Bundesbeauftragten angesprochenen Frage der Gefährdung in Tschetschenien und des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative gelangt wäre. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben sich insbesondere keine Anhaltspunkte für ein besonderes Gefährdungspotential des Klägers, bei dessen Vorliegen auch andere Oberverwaltungsgerichte eine Gefährdung bzw. das Fehlen einer inländischen Fluchtalternative annehmen.

7

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht auch zu berücksichtigen haben, dass beim Flüchtlingsschutz allein die Gefahr krimineller Übergriffe ohne Anknüpfung an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund keine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG bedeutet. Auch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde.

8

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. September 2007 - A 6 K 43/07 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger erstrebt im Wege des Asylfolgeverfahrens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der am …1974 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an. Er hat zum Nachweis seiner Glaubenszugehörigkeit Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 30.07.2001 und 20.01.2010 vorgelegt.
Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 03.06.2001 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 12.06.2001 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) am 30.08.2001 brachte er im Wesentlichen vor, er sei von Geburt an Ahmadi und habe bestimmte Funktionen in seiner örtlichen Glaubensgemeinschaft ausgeübt. Zuletzt habe er seit dem Jahre 1998 das Amt eines Saik innegehabt. Weiter berief er sich auf mehrere Übergriffe aus den Jahren 1998 und 1999 sowie auf Strafanzeigen gegen Verwandte und deren Inhaftierung. Zentraler Gegenstand des Vorbringens war ein Vorfall am 08.06.2000, bei dem ein Onkel des Klägers durch einen Schuss getötet und auch der Bruder des Klägers durch einen Schuss verletzt worden sein soll, sowie die sich daran anschließenden Ermittlungsverfahren gegen den Kläger und weitere ortsansässige Ahmadis. Am 28.10.2000 sei der Name des Klägers in einer weiteren Strafanzeige gemäß § 302 des Pakistanischen Strafgesetzbuches erwähnt worden. Aufgrund dieser Anzeige seien sein Bruder und sein Neffe festgenommen worden. Zum Beleg seines Verfolgungsvorbringens legte der Kläger bei seiner Bundesamtsanhörung zahlreiche Unterlagen, insbesondere Strafanzeigen und Zeitungsberichte über die Tötung seines Onkels sowie ein ärztliches Attest über von seinem Bruder erlittene Verletzungen, in Kopie vor.
Mit Bescheid vom 26.11.2003 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen, die mit Urteil vom 28.10.2005 (Az.: A 6 K 12413/03) abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es fehle an einem beachtlichen individuellen Vorverfolgungsschicksal des Klägers. Die von ihm im Behördenverfahren vorgelegten FIRs (First Information Reports) seien nach der durchgeführten Beweisaufnahme durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes mit großer Wahrscheinlichkeit gefälscht. Jedenfalls bestehe im Falle einer Rückkehr des Klägers keine individuelle Verfolgungsgefahr, weil die Gerichtsverfahren betreffend den Vorfall am 08.06.2000 ausweislich der Beweisaufnahme eingestellt worden seien. Eine Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan sei nicht gegeben, auch nicht unter Berücksichtigung der Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie, durch die sich an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff des religiösen Existenzminimums und des sog. „forum internum“ nichts ändere. Dahingestellt könne deshalb bleiben, ob der Gesetzgeber mit dem Zuwanderungsgesetz bereits die Qualifikationsrichtlinie mit der Folge umgesetzt habe, dass diese nunmehr im Rahmen von § 60 Abs. 1 AufenthG trotz der noch nicht abgelaufenen Umsetzungsfrist Anwendung finde. Das Urteil wurde durch Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss des Senats vom 31.05.2006 (Az.: A 10 S 25/06) rechtskräftig.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 05.01.2007 - bei der Außenstelle Reutlingen des Bundesamtes persönlich abgegeben am 10.01.2007 - stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mit umfasst seien. Damit sei unter anderem auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne vor dem veränderten europarechtlichen Hintergrund nicht mehr aufrecht erhalten werden. Darüber hinaus legte der Kläger einen Antrag an den Lahore High Court - Criminal Appeal Nr. 3/3/2003 - als neues Beweismittel vor, den er von Verwandten in Kopie erhalten habe. Damit könne nunmehr belegt werden, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts in seinem klageabweisenden Urteil vom 28.10.2005 das im Asylerstverfahren thematisierte Gerichtsverfahren bei dem Lahore High Court fortgeführt werde und nicht bereits von dem Untergericht endgültig eingestellt worden sei. Es handle sich dabei um ein sog. Gegenverfahren der Ahmadis gegen die sunnitischen Moslems; aus diesem Grund müsse der Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan mit Verfolgung durch fanatische Moslems rechnen.
Mit Bescheid vom 22.01.2007 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und auf Abänderung des Bescheids vom 26.11.2003 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG ab.
Am 24.01.2007 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung hat er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug genommen und zur Frage von Rechtsänderungen durch die Richtlinie 2004/83/EG vorgetragen.
Mit Urteil vom 28.09.2007 - A 6 K 43/07 - hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Klage insgesamt abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Eine staatliche oder nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan könne derzeit nicht angenommen werden und drohe auch nicht in absehbarer Zukunft. Das Gericht folge dabei der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und der übereinstimmenden obergerichtlichen Rechtsprechung. Insoweit habe sich an der Sachlage bis zum heutigen Zeitpunkt nichts Relevantes geändert. Auch das Inkrafttreten von § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union rechtfertige keine abweichende Beurteilung der Sachlage aus Rechtsgründen. Die Neubestimmung des Flüchtlingsbegriffs in Anwendung der Genfer Konvention führe nicht zur Annahme einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan. Weder die Qualifikationsrichtlinie noch die Genfer Flüchtlingskonvention forderten inhaltlich eine wesentlich andere Betrachtungsweise, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob nach Inkrafttreten der neuen Rechtslage die bisherige Rechtsprechung zum sog. „forum internum“ und zur Gewährleistung des asylrechtlich erforderlichen religiösen Existenzminimums weiterhin fortbestehen könne und inwieweit dies Folgen für die Annahme einer Gruppenverfolgung von Ahmadis habe.
Jedenfalls erreichten die im Hinblick auf Ahmadis in Pakistan dokumentierten Verfolgungsfälle, selbst wenn man den Kreis der einzubeziehenden Referenzfälle erweitere, auch zum derzeitigen Zeitpunkt nicht die zur Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte. Nach Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie könnten nur schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte die Flüchtlingseigenschaft begründen. Deshalb seien nicht sämtliche Beeinträchtigungen der Religionsfreiheit bei der Auswahl der zu berücksichtigenden Referenzfälle einzubeziehen. Unter Beachtung der Rechtsanwendungspraxis in Pakistan sei weiter darauf abzustellen, welche Referenzfälle zu Gefahren für Leib, Leben oder die physische Freiheit führten. Hinsichtlich der Frage der öffentlichen Religionsausübung sei darauf hinzuweisen, dass den Ahmadis eine öffentliche Religionsausübung nicht völlig unmöglich sei. Das Auswärtige Amt weise in seinem Lagebericht vom 18.05.2007 beispielhaft darauf hin, dass es Gotteshäuser gebe, in denen Ahmadis trotz der bestehenden Strafvorschriften öffentlich ihren Glauben ausüben könnten. Ahmadis sei es auch nicht untersagt, sich öffentlich zum Quadianismus oder Ahmadiismus als ihrer Religion zu bekennen. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 24.10.2007 zugestellt.
10 
Am 24.11.2007 hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt.
11 
Mit Beschluss vom 07.03.2008 - dem Kläger am 14.03.2008 zugestellt - hat der Senat die Berufung zugelassen, soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt. Im Übrigen blieb der Antrag bezogen auf die Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ohne Erfolg.
12 
Am 14.04.2008 hat der Kläger die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Zulassungsantrag begründet.
13 
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Als Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a QRL gälten nunmehr Handlungen, die sich nach ihrer Art oder Wiederholung als eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellten. Als Verfolgung seien aber nach Buchst. b auch Maßnahmen anzusehen, die so gravierend seien, dass eine Person auf eine ähnliche Weise wie nach Buchst. a betroffen sei. Die Religionsfreiheit stelle ein Menschenrecht im Sinne dieser Vorschrift dar, was sich insbesondere aus Art. 18 Abs. 1 und 27 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie aus Art. 9 Abs. 1 EMRK ergebe. Vor diesem Hintergrund sei ein Rückgriff auf die Rechtsprechung zum Begriff der politischen Verfolgung im Sinne des Art. 16 a GG nicht zulässig. Vielmehr dürften Einschränkungen der Religionsfreiheit nur unter Beachtung von Art. 18 Abs. 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie Art. 9 Abs. 2 EMRK vorgenommen werden. Die hiernach erforderlichen Gesetze müssten allgemeiner Natur sein, d. h. für alle Staatsbürger, egal welcher religiösen Ausrichtung sie angehörten, gelten. Bezogen auf die Ahmadis in Pakistan bedeute dies, dass sämtliche gegen diese Bevölkerungsgruppe gerichteten Strafgesetze offensichtlich nicht den vorgenannten Anforderungen genügten. Bereits diese Regelungen seien für sich genommen daher geeignet, als schwerwiegende Verletzung eines Menschenrechts zu gelten.
14 
Mit einzubeziehen seien auch die staatlichen Regelungen, wonach Ahmadis, um einen Nationalpass ausgestellt zu bekommen, ihre Glaubensgrundsätze dadurch verleugnen müssten, dass sie sich schriftlich auf einem Sonderformular als Nicht-Moslems bezeichnen müssten. Weiter seien die diskriminierenden Regelungen des Wahlrechts zu berücksichtigen, die es Ahmadis seit längerem unmöglich machten, sich auf normalen Wahllisten als Kandidat aufstellen zu lassen oder die normalen Kandidaten zu wählen, was zur Folge habe, dass Ahmadis an den Parlamentswahlen nicht mehr teilnähmen und daher im Parlament auch nicht mehr vertreten seien. Zu verweisen sei in diesem Zusammenhang auf den sog. Präsidentenerlass Nr. 15 vom 17.06.2002 zur Ergänzung des Erlasses über die allgemeinen Wahlen 2002. Nach dieser Regelung bleibe der Status von Ahmadis unverändert, nach Ziff. 7 c der Regelung müssten aber Personen, die sich als Wähler registrieren lassen wollten, für den Fall, dass Einspruch eingelegt werde, innerhalb von 15 Tagen bei der Aufsichtsbehörde erscheinen und ein Formular mit einer Erklärung über die Finalität des Propheten unterzeichnen. Falls der Betreffende sich weigere, werde er als Nicht-Muslim betrachtet und sein Name werde aus dem allgemeinen Wahlverzeichnis gestrichen und der Zusatzliste für Nicht-Muslime zugeteilt. Damit werde sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht deutlich eingeschränkt. Ferner müssten auch die Regelungen bei der Registrierung von Geburten in Betracht gezogen werden, da bei den öffentlichen Registrierungsstellen die Religion des Kindes bzw. der Eltern angegeben werden müsse. Ahmadis müssten dort „Ahmadi“ angeben und dürften nicht entsprechend ihrem Selbstverständnis „Moslem“ eintragen lassen. Dies führe in Pakistan faktisch zu einer stigmatisierenden Ausgrenzung.
15 
Im Übrigen seien die faktischen Beeinträchtigungen im Schul-, Hochschul- und Ausbildungsbereich sowie die Benachteiligungen bei der Einstellung bzw. Beförderung im öffentlichen Dienst zu berücksichtigen. Benachteiligungen bestünden auch in Bezug auf das Bildungswesen, weil die Studenten auf den Antragsformularen ihre Religionszugehörigkeit angeben müssten. Bezeichneten die Ahmadis sich auf diesem Formular entsprechend ihrem Selbstverständnis als „Moslem“, riskierten sie eine Freiheitsstrafe. Bezeichneten sie sich hingegen als „Ahmadi“, müssten sie mit einer Verweigerung des Zugangs rechnen. Im Fall einer Zulassung dürften sie in der Regel nicht am Pflichtfach „Islamiyat“ teilnehmen, was zur Benachteiligung beim Schulabschluss führe. Hinzuweisen sei auf die weit verbreiteten Entweihungen der ahmadischen Grab- und Gebetsstätten, den Ausschluss von der Beerdigung auf den meisten Friedhöfen, die Beschränkung der Rede- und Versammlungsfreiheit sowie die Beschränkungen im Bereich der Publizistik. Betrachte man dieses Bündel von diskriminierenden und ausgrenzenden Maßnahmen unterschiedlichen Charakters einerseits sowie andererseits die Tatsache, dass bei einer Gesamtzahl von ca. zwei bis vier Millionen Ahmadis in Pakistan nur noch ca. 500.000 sog. bekennende Ahmadis lebten, so liege es nahe, dass die weit überwiegende Anzahl der Ahmadis sich nur deshalb nicht traue, sich in der Öffentlichkeit zu ihrem Glauben zu bekennen, um dem auf ihnen lastenden Ausgrenzungsdruck zu entgehen, wobei auch die Existenz und der Vollzug der religiösen Strafgesetze berücksichtigt werden müsse. Auch die Anzahl der tätlichen Übergriffe von privaten Dritten in Bezug auf religiöses Verhalten der Ahmadis müsse in die Gesamtbetrachtung einbezogen werden.
16 
Mit Schriftsätzen vom 09.03.2009 und 27.07.2010 ließ der Kläger ergänzend vortragen, dass sich nach der neueren Erkenntnislage die Situation der Ahmadis in Pakistan hinsichtlich ihrer Religionsausübungsmöglichkeiten erneut wesentlich verschlechtert habe. Ausweislich eines Berichts der Human Rights Commission of Pakistan vom 09.07.2008 sei gegen die ganze ahmadische Bevölkerung von Rabwah ein religiös motiviertes Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, nachdem die ahmadische Bevölkerung das 100-jährige Kalifat ihrer Gemeinde gefeiert habe. Ausgehend von der Einwohnerzahl von Rabwah und dem Anteil der Ahmadis hieran könne geschlossen werden, dass sich dieses Ermittlungsverfahren auf mindestens 50.000 Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde beziehe; die vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 22.10.2008 genannte Zahl von lediglich „über tausend“ Strafverfahren gegen Ahmadis nach § 289c des Pakistanischen Strafgesetzbuches sei deshalb deutlich zu niedrig geschätzt. Auch hätten in einer Fernsehsendung vom 07.09.2008 pakistanische Mullahs unwidersprochen die Auffassung vertreten, dass Ahmadis aus religiösen Gründen zu töten seien; in der Folgezeit seien daraufhin zwei bekannte ahmadische Persönlichkeiten ermordet worden. Seit dieser Sendung habe sich das Klima zwischen Ahmadis und Nichtahmadis in Pakistan weiter verschlechtert, so dass Ahmadis landesweit von Tötung bedroht seien. Am 28.01.2009 seien fünf Ahmadis, davon vier Jugendliche im Alter zwischen 14 und 16 Jahren, nach § 295c des Pakistanischen Strafgesetzbuches wegen Blasphemie angezeigt worden, der Vorwurf habe auf Beleidigung des Propheten mittels verunglimpfender Graffiti in einer Toilette gelautet.
17 
Der Kläger beantragt,
18 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. September 2007 - A 6 K 43/07 - zu ändern und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides vom 22. Januar 2007 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen.
19 
Die Beklagte beantragt,
20 
die Berufung zurückzuweisen.
21 
Zur Begründung verweist sie auf den angefochtenen Bescheid und führt im Übrigen aus, § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QRL führe zu keiner grundsätzlich abweichenden Bewertung. Entgegen der vom Senat in seinem Urteil vom 20.05.2008 (Az.: A 10 S 72/08) vertretenen Auffassung habe sich der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie nicht wesentlich erweitert; an der Rechtsprechung des Senats könne im Hinblick auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2009 (Az.:10 C 51.07) nicht uneingeschränkt festgehalten werden. Denn das Bundesverwaltungsgericht habe in diesem Urteil klargestellt, dass auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG nicht jede Einschränkung der Religionsfreiheit zu einer Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsrechts führe. Ob ein Ausländer als Flüchtling anzuerkennen sei, müsse vielmehr nach höchstrichterlicher Sicht maßgeblich nach Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie beurteilt werden, denn dieser Bestimmung sei zu entnehmen, welches Rechtsgut in welchem Ausmaß geschützt sei. Entscheidend sei auf die Gefährdungslage abzustellen, die aus einer aktiven Wahrnehmung des Menschenrechts auf Religionsfreiheit durch einen Ahmadi resultiere, die also aufgrund einer öffentlichkeitswirksamen Betätigung eintrete. Einschränkungen der religiösen Betätigung als solche stellten nur dann hinreichend schwere Eingriffe dar, wenn die Religionsausübung grundsätzlich unterbunden werde oder sie zu einer Beeinträchtigung eines unabdingbaren Teils des religiösen Selbstverständnisses des Gläubigen führen würde und daher ein Verzicht nicht zugemutet werden könne. Nur dieser Kernbereich der Religionsausübung sei nach ständiger Rechtsprechung unveräußerlich und nach Art. 9 Abs. 2 EMRK nicht einschränkbar. Unabhängig hiervon habe die Qualifikationsrichtlinie keine Veränderung insoweit erbracht, als Schutzbedarf notwendigerweise eine individuelle Betroffenheit voraussetze. Selbst wenn zugunsten des Klägers von einer Rechtsänderung durch die Qualifikationsrichtlinie ausgegangen werde, bedürfe es tragfähiger Feststellungen dazu, wie er seinen Glauben bisher gelebt habe und eine Prognose, ob er dies auch bei Rückkehr entsprechend fortsetzen wolle. Im Übrigen spreche jedoch die Entstehungsgeschichte und die bisherige Rechtslage nicht für die Auffassung des Klägers, dass mit Umsetzung der Vorgaben aus der Richtlinie 2004/83/EG eine erhebliche Rechtsänderung eingetreten sei.
22 
Der Senat hat den Kläger und seine Lebensgefährtin, Frau A. S., in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört; wegen der dabei getätigten Angaben wird auf die gefertigte Anlage zur Niederschrift verwiesen.
23 
Dem Senat liegen die Asylverfahrensakten des Bundesamts sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen hinsichtlich des Erst- und des gegenständlichen Folgeverfahrens vor.

Entscheidungsgründe

 
24 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts stellt sich im Ergebnis als richtig dar. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22.01.2007 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Verpflichtung zur Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 Buchst. c der zur Auslegung heranzuziehenden Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -) im Wege des Asylfolgeverfahrens.
25 
Entsprechend der Berufungszulassung ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur noch die von dem Kläger begehrte Verpflichtung zur Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG, nicht auch die im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.
26 
Da der erste Asylantrag des Klägers bereits im Jahre 2006 bestandskräftig abgelehnt wurde, handelt es sich bei dem gegenständlichen Asylantrag um einen Folgeantrag. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vor (1.). Auch hat sich unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG sowohl der flüchtlingsrechtliche Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit als auch der anwendbare Prognosemaßstab für eine festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit im Vergleich zu den im Asylerstverfahren einschlägigen Vorgaben verändert (2.). Jedoch kann sich der Kläger auch bei Anwendung dieses günstigeren Maßstabs für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf den Gesichtspunkt einer Gruppenverfolgung der Ahmadis berufen (3.). Eine - grundsätzlich denkbare - individuelle flüchtlingsrelevante Rückkehrgefährdung scheidet mangels hinreichender Glaubensgebundenheit des Klägers aus (4.).
27 
1. Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auf einen nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags gestellten Folgeantrag ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Hiernach setzt ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens insbesondere voraus, dass eine Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist oder neue Beweismittel vorliegen und dass die Geeignetheit dieser Umstände für eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung schlüssig dargelegt wird. Der Folgeantrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene Kenntnis von dem Wiederaufgreifensgrund hat (§ 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG). Diese einschränkenden Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG finden auch dann Anwendung, wenn der Antragsteller in einem weiteren Verfahren eine ihm günstige Rechtsänderung unter Hinweis auf die nunmehr eingetretene unmittelbare Wirkung der Richtlinie 2004/83/EG geltend macht (vgl. hierzu Urteil des Senats vom heutigen Tage im Verfahren Az.: A 10 S 688/08).
28 
a) Entgegen der vom Bundesamt in seinem Bescheid vom 22.01.2007 vertretenen Auffassung ist mit Rücksicht auf die Qualifikationsrichtlinie und in Bezug auf die Beurteilung der maßgeblichen Lage der Ahmadis in Pakistan eine relevante Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. näher Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris). Ob für den Betroffenen tatsächlich eine günstigere Entscheidung im Einzelfall in Betracht kommt, muss der Prüfung in dem durchzuführenden Asylfolgeverfahren vorbehalten bleiben; das Bundesamt hat zu Unrecht in dem versagenden Bescheid eine Vollprüfung am Maßstab der Richtlinie vorgenommen und mit diesen Überlegungen einen Wiederaufgreifensgrund im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG verneint. Nach der Konzeption des Asylverfahrensgesetzes ist jedoch eine abschließende Prüfung der Erheblichkeit der geltend gemachten Sachverhalts- oder Rechtsänderung auf einer zweiten Stufe erst dem weiteren Asylverfahren vorbehalten, sofern eine günstige Entscheidung aufgrund der geänderten Umstände jedenfalls möglich erscheint. Deshalb muss es auch ausreichen, wenn der Betroffene innerhalb der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG sich auf die mögliche Rechtsänderung durch das Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie berufen hat; der Vortrag weiterer Tatsachen, die einen Rückschluss darauf zulassen, dass ein Ahmadi mit seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie aktuell aktiv ausgeübt hat, ist demgegenüber keine Zulässigkeitsvoraussetzung (a. A. VG des Saarlandes, Urteil vom 20.01.2010 - 5 K 621/08 - juris).
29 
b) Wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht erkannt hat, steht einem Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG unter dem Gesichtspunkt der Rechtsänderung auch nicht entgegen, dass es bereits in seinem das Erstverfahren abschließenden Urteil vom 28.10.2005 (Az.: A 6 K 12413/03) die materiellen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie zumindest hilfsweise seiner inhaltlichen Prüfung zugrunde gelegt hat. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Urteil offen gelassen, ob der Gesetzgeber mit dem Zuwanderungsgesetz bereits einen Teil der Qualifikationsrichtlinie umgesetzt hat und bereits zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kraft nationalen Rechts im Lichte von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG auszulegen ist. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang dann im Einzelnen näher dargelegt, dass selbst bei Anwendung der Maßstäbe der Qualifikationsrichtlinie nicht von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan ausgegangen werden könne, da Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG eine mit dem nationalen Recht vergleichbare Struktur aufweise und den Schutzbereich der Religionsausübung nicht über die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze zum „forum internum“ hinaus erweitert habe.
30 
Diese vom Verwaltungsgericht der Sache nach vorgenommene Überprüfung des Asylbegehrens anhand der Maßstäbe der Qualifikationsrichtlinie steht der Annahme einer Rechtsänderung nicht entgegen. Maßgeblich ist allein, dass erst mit Ablauf des 10.10.2006 (Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie und Eintritt deren unmittelbarer Anwendbarkeit, vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) objektiv-rechtlich eine Rechtsänderung eingetreten ist. Für dieses Verständnis sprechen nicht zuletzt Gesichtspunkte des effektiven Rechtsschutzes. Da der Senat in seinem die Zulassung der Berufung ablehnenden Beschluss vom 31.05.2006 (Az.: A 10 S 25/06) die vom Verwaltungsgericht erwogene Vorwirkung bzw. vorzeitige Umsetzung des Richtlinienentwurfs in nationales Recht abgelehnt hat, war dem Kläger eine obergerichtliche Überprüfung des vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Verständnisses der Qualifikationsrichtlinie verwehrt. Der Kläger konnte daher im Asylerstverfahren nicht mit Erfolg geltend machen, dass sich unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG gerade im Hinblick auf die Religionsausübungsfreiheit eine Erweiterung des Schutzbereichs ergeben hat.
31 
c) Der Kläger hat auch die maßgebliche Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten, ohne dass es darauf ankommt, wann der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter positive Kenntnis von der Rechtsänderung erlangt hat. Da der Kläger seinen Asylfolgeantrag persönlich bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamtes bereits am 10.01.2007 gestellt hat, wird auch die denkbar kürzeste Frist (drei Monate ab Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie) gewahrt.
32 
Nach alledem liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vor. Was die unanfechtbare negative Entscheidung des Erstverfahrens und die dort gewürdigten individuellen Vorfluchtgründe betrifft, ist jedoch eine erneute Überprüfung und Bewertung im weiteren Asylverfahren nicht eröffnet. Denn die Qualifikationsrichtlinie misst sich keine Geltung auch für Sachverhalte bei, über die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens oder bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist unanfechtbar entschieden wurde (vgl. näher Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris ). Im Folgenden ist deshalb lediglich zu überprüfen, ob bei Anwendung der Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie bzw. deren Umsetzung durch § 60 Abs. 1 AufenthG eine flüchtlingsrechtlich relevante individuelle oder gruppenbezogene Rückkehrgefährdung des Klägers besteht.
33 
2. Der Senat geht im Anschluss an sein Urteil vom 20.05.2008 (- A 10 S 3032/07 - a.a.O.) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert hat.
34 
2.1.a) Art. 10 QRL definiert in Anknüpfung an Art. 2 Buchst. c QRL die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe. Im vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere der Schutz der Religionsausübung gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QRL maßgeblich. Danach umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Die Bestimmung des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie definiert, was unter dem Verfolgungsgrund der Religion zu verstehen ist, d. h. an welche religiösen Einstellungen oder Betätigungen eine Verfolgungshandlung anknüpfen muss, um flüchtlingsrechtlich beachtlich zu sein. Die Vorschrift gewährleistet dabei bereits nach ihrem Wortlaut für den Einzelnen einen sehr weitgehenden Schutz, wenn sie sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jede religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen bekennen darf, insbesondere auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst wird.
35 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (- A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, dürfte die Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinausgehen, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16 a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt wurde, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede steht (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehört somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung sind nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst wird schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen (vgl. Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032.07 - a.a.O. sowie Bay. VGH, Urteil vom 23.10.2007 - 14 B 06.30315 - InfAuslR 2008, 101).
36 
b) Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setzt darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt wird, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmacht (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL), wobei in Art. 9 Abs. 2 QRL beispielhaft verschiedene in Betracht zu ziehende Verfolgungshandlungen benannt werden. Erst an dieser Stelle erweist sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden kann, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitzt.
37 
Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit liegt in jedem Falle dann vor, wenn der Gläubige so schwerwiegend an der Ausübung seines Glaubens gehindert wird, dass das Recht auf Religionsfreiheit in seinem Kernbereich verletzt wird. Der Kern der Religionsfreiheit ist für die personale Würde und Entfaltung eines jeden Menschen unverzichtbar und gehört damit zum menschenrechtlichen Mindeststandard. Er ist nach ständiger Rechtsprechung unveräußerlich und nach Art. 9 Abs. 2 EMRK nicht einschränkbar (vgl. zu den Einzelheiten etwa BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <158 ff.>; sowie BVerwG, Urteile vom 20.01.2004 - 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 und vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - a.a.O.). Wird dieser Kernbereich verletzt, ist in jedem Fall eine schwerwiegende Rechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu bejahen und dementsprechend Flüchtlingsschutz zu gewähren.
38 
Der in Art. 9 Abs. 2 QRL entfaltete beispielhafte Katalog (insbesondere Buchst. b und d) möglicher Verfolgungshandlungen macht jedoch deutlich, dass eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nicht nur dann gegeben ist, wenn durch die Verfolgungshandlung - von Eingriffen in Leib oder Leben abgesehen - in die physische Bewegungsfreiheit eingegriffen wird, und dass der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verwendete Begriff der Freiheit nicht in diesem engen Sinne verstanden werden kann. Vielmehr können erhebliche Einschränkungen oder Verbote öffentlicher Glaubensbetätigung, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religion oder dem - nicht notwendigerweise völlig identischen - glaubhaft dargelegten Verständnisses des einzelnen Flüchtlings von grundlegender Bedeutung sind, zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen, sofern sie nicht in völkerrechtskonformer Ausübung der jeweiligen Schrankenregelungen erfolgen. Insbesondere kann hiernach den Betroffenen nicht angesonnen werden, diese zu unterlassen, um keine entsprechend vorgesehenen Sanktionen herauszufordern.
39 
2.2.a) Wie vom Senat bereits in seinem Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07- a.a.O.) näher dargestellt, hat sich unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie auch der Prognosemaßstab für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert. Nach Art. 4 Abs. 3 QRL ist - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung - eine strikt einzelfallbezogene Betrachtung vorzunehmen. Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung für die Beurteilung der Frage, ob einem Flüchtling nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz zu gewähren ist, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen waren, je nachdem, ob dieser seinen Heimatstaat auf der Flucht vor bereits eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 <344 ff.>; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237.80 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; st. Rspr.), trifft die Qualifikationsrichtlinie eine entsprechende Unterscheidung ebenfalls. So ist Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgericht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenziert zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht. Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen, zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (vgl. zusammenfassend BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
40 
b) Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden i.S.d. Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 - Abdulla -). Der in dem Tatbestandsmerkmal „…tatsächlich Gefahr liefe…“ des Art. 2 Buchst. e QRL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 -, NVwZ 2008, 1330, RdNr. 125 ff. - Saadi -); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, ZAR 2008, 192).
41 
Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden; die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 - a.a.O). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände der Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - a.a.O.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
42 
2.3. Nicht anders als im Falle des Asylgrundrechts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143) gilt auch hier, dass eine pauschale und rein formale Betrachtung aller Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nicht sachgerecht sein kann und daher ausscheiden muss. Es leuchtet unmittelbar ein, dass nach Maßgabe der jeweiligen religiösen Bindungen des einzelnen Asylsuchenden und abhängig von den Verhältnissen im Herkunftsland die Betroffenheit in dem Menschenrecht und daher dessen Beeinträchtigung überhaupt, jedenfalls aber deren Schwere völlig unterschiedliches Gewicht haben können. Allerdings ist an den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben für eine Gruppenverfolgung auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG festzuhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 sowie Beschluss vom 02.02.2010 - 10 B 18.09 -, juris).
43 
a) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243 und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines staatlichen Verfolgungspogroms - (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200) ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200).
44 
b) Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Bezug gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, a.a.O.). An diesem Grundkonzept hat sich nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG nichts geändert. Es stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Qualifikationsrichtlinie in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie definiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, a.a.O.).
45 
3. Der Kläger kann sich bei Anwendung dieser Grundsätze für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung der Gruppe der Ahmadis (oder der Untergruppe der ihren Glauben aktiv ausübenden Ahmadis) berufen.
46 
3.1 Die Lage in Pakistan - soweit sie für die Beurteilung des Schutzgesuchs des Klägers von Bedeutung ist - stellt sich auch im September 2010 im Wesentlichen so wie bereits im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) geschildert dar. Der Senat hat in diesem Urteil folgendes ausgeführt:
47 
„Nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel stellt sich vermutlich die Lage der Ahmadis in Pakistan für den Senat, wie folgt, dar:
48 
1. Zur Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya und ihrer Entstehung hat der HessVGH im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A – juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
49 
„.Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
50 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubens-gemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
51 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bayer. VGH am 22.01.1985, S. 7).
52 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
53 
Auch die aktuellen Zahlen sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern und diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.41). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 18.05.2007, S. 16) nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien.
54 
2. Die Lage der Ahmadis wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
55 
a) Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist allerdings von Verfassungs wegen garantiert (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
56 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren können und nur solche wählen können. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.34 ff.). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16).
57 
b) Seit 1984 bzw.1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und diese gewissermaßen zur Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung in den Blick nehmen.
58 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <146>):
59 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
60 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ameerui Mumineen', 'Khalifar-ul-Mimineem', 'Shaabi' oder 'Razi-Allah-Anho' bezeichnet oder anredet;
61 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ummul-Mumineen' bezeichnet oder anredet;
62 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ahle-bait' bezeichnet oder anredet;
63 
d) sein Gotteshaus als 'Masjid' bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
64 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als 'Azan' bezeichnet oder den 'Azan' so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
65 
Sec. 298 C lautet:
66 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
67 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
68 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
69 
Die genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch ausführlich HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 92 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerb. v. 21.12.1992 – 2 BvR 1263/92 - juris m.w.N.; BVerwG, U.v. 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; v. 25.01.1995 – 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere auch zur Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen diskriminierenden, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, U.v. 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960 – Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/ -, wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, „die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind“ (so BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts). Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden hier einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen nicht von ihnen ausgehen, sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 und 10; vgl. auch HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 34).
70 
Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung von sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, sollen etwa 2000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56; vgl. aber auch Ziffer 19.55 mit etwas niedrigeren Zahlen von ausdrücklich und im Einzelnen von der Glaubensgemeinschaft selbst dokumentierten Fällen); allein im Jahre 2006 soll es zu 21 Anklagen gegen Ahmadis gekommen sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 15, das im Übrigen ausdrücklich die steigende Tendenz als besorgniserregend qualifiziert, vgl. dort S. 5; vgl. auch Freedom House 2007, mit dem Hinweis auf eine Zunahme in den jüngsten Jahren; vgl. auch zu ähnlichen Zahlen Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.51; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 123 ff., wonach seit 1988 von 647 Fällen allein in den Medien berichtet worden sei). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären. Weitere Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz häufig nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt darauf beruht, dass sie zum Teil durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 9 f.). In der Regel werden die Betroffenen bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (U.S. Department of State, a.a.O., S. 10). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt (vgl. U.S. Department of State, a.a.O., S. 16 f.). Die Bestimmung der sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten (vgl. hierzu im Einzelnen HessVGH, U. v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 46 und 69).
71 
Was die Strafbestimmungen der sec. 298 B und C betrifft, sollen gegenwärtig etwa 1000 Verfahren anhängig sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; vgl. auch zu Zahlen der insgesamt durchgeführten Verfahren Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.55 f.), wobei hier die Angeklagten sich zumeist auf freiem Fuß befinden (vgl. zu den Hintergründen und Motiven für die Einleitung von Verfahren auch AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.57).
72 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen, in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn deren Gefühle durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2).
73 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte. Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten d).
74 
c) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf den öffentlich gebetet wird (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.53). Hingegen wird es Ahmadis nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird (AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird, während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können, sowie Gebetshäuser oder Versammlungsstätten immer wieder von Extremisten überfallen werden (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.).
75 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
76 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
77 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten im weitesten Sinn sind verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus größere Verbreitung (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 4).
78 
d) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligen Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen untätig zugesehen und diese geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah, jetzt Chenab Nagar (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006). Zu in den 70-er Jahre vorgefallenen pogromartigen Ausschreitungen vergleichbaren Aktionen ist es jedoch nicht mehr gekommen.
79 
e) Nur der Vollständigkeit halber soll noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden, der allerdings das vom Senat für richtig gehaltene Ergebnis nicht entscheidend beeinflusst, sondern allenfalls zur Abrundung des Bildes beiträgt und geeignet ist: Die frühere überdurchschnittliche Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.62; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 114; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 16 f.). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65).
80 
3. Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) im Januar 2005 in der Weise zusammenfassend charakterisiert wurde, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellt für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung jedenfalls im Sinne einer kumulierenden Betrachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL darstellen. Der Präsident von amnesty international Pakistan wird dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführt, dass es – anders als bei Christen – niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.)
81 
Von zentraler Bedeutung für diese Schlussfolgerung des Senats ist dabei das gegen die Ahmadis gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung möglich sind.
82 
Bei diesem Ausgangspunkt kann nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung rechtfertigen würden. Denn es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen es der gesunde Menschenverstand nahe legen, wenn nicht gar gebieten wird, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Diese seit nunmehr weit über 20 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und –bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die bereits eingangs festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Insoweit muss die absolute Zahl der Strafverfahren und ihr Verhältnis zu der Zahl der gläubigen Ahmadis daher isoliert betrachtet notwendigerweise ein unzutreffendes Bild abgeben. Würden die gläubigen Ahmadis ihr selbstverständliches Menschenrecht aktiv wahrnehmen, so müssten sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen und nach Art und Zahl zunehmenden Reaktionen von staatlicher Seite bzw. auch von Dritten rechnen. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für die Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, dass das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks ist.“
83 
3.2. Auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beansprucht die vom Senat in seinem Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) dargestellte Einschätzung der Lage weiterhin uneingeschränkte Gültigkeit. Nach aktueller Erkenntnislage kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich das Risiko für einfache Ahmadi, mit einem Strafverfahren nach dem Blasphemieparagrafen sec. 295c des pakistanischen Strafgesetzbuches oder den sonstigen sogenannten „Ahmadi-Paragrafen“ überzogen zu werden, signifikant erhöht hätte. Die vom Senat in dem genannten Urteil zugrunde gelegten Zahlenverhältnisse (vgl. insbesondere Randziffer 102 bis 104 im UA bei juris) treffen nach wie vor zu; allenfalls ist eine leichte Besserung der Verhältnisse eingetreten. So führt das Auswärtige Amt im seinem Lagebericht vom 22.10.2008 (Stand: September 2008) aus, dass im Jahre 2007 gegen 23 Ahmadis Anklage in Blasphemiefällen erhoben worden sei; die erhoffte Verbesserung der Lage sei deshalb nicht eingetreten. Die Zahl der Neufälle insgesamt stagniere bei ca. 50 pro Jahr und steige nicht weiter an. In seinem aktuellen Lagebericht vom 17.03.2010 (Stand: März 2010) geht das Auswärtige Amt für den Beurteilungszeitraum 2008 davon aus, dass gegen 14 Ahmadis wegen Blasphemie Anklage erhoben worden sei, mithin ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr beobachtet werden könne.
84 
Insgesamt gesehen steht diese zahlenmäßige Entwicklung mit den sonstigen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismitteln in Einklang, auch wenn darin teilweise von leicht abweichenden Zahlen ausgegangen wird. So geht etwa das U.S. Department of State in seinem International Religious Freedom Report 2009 (Stand: 26. Oktober 2009) davon aus, dass nach eigenen Angaben von Organisationen der Ahmadiyya in Rabwah gegen insgesamt 88 Ahmadis wegen Verstößen gegen die Religionsgesetze Strafverfahren eingeleitet worden seien, darunter in 18 Fällen wegen Blasphemievorwürfen und in 68 Fällen wegen Verstoßes gegen die sog. „Ahmadi-Gesetze“. Zu ähnlichen Zahlen gelangte das Home Office in seinem Country of Origin Report Pakistan vom 18.01.2010. Dort wird unter Berufung auf Ahmadi-Quellen davon ausgegangen, dass von Juni 2008 bis April 2009 gegen insgesamt 88 Ahmadis wegen religiöser Gründe Strafverfahren eingeleitet worden seien, wobei eine genaue Unterscheidung der Vorwürfe und der Verfahrensstadien nicht erfolgt (vgl. Ziffer 19.63 des Reports). Ferner wird darin auch auf den vom Prozessbevollmächtigten des Klägers angeführten Vorfall vom 8. Juni 2008 verwiesen, wonach ein FIR (First Information Report) gegen die gesamte Ahmadi-Bevölkerung von Rabwah erstellt worden sei; dieser Vorfall wird vom U.S. Department of State in seinem Human Rights Report Pakistan 2009 (11. März 2010) bestätigt (S. 15). Entgegen der Meinung des Klägers kann aus letztgenanntem Vorfall jedoch nicht geschlossen werden, dass die vom Auswärtigen Amt wiedergegebenen Zahlen nicht mehr zutreffend sind. Wie sich insbesondere dem Human Rights Report Pakistan des U.S. Departement of State (S. 15) entnehmen lässt, hat das mit dem genannten FIR eingeleitete Verfahren bis zum dort genannten Zeitpunkt noch keinen Fortgang genommen. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass dieser pauschale Vorwurf gegen die gesamte Ahmadi-Bevölkerung von Rabwah Anlass für weitergehende strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen gegen einzelne Ahmadis bietet. Für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung können deshalb nur die Fälle berücksichtigt werden, in denen es tatsächlich zu individuellen Ermittlungsverfahren oder gar Anklagen gekommen ist. Neueres oder umfassenderes Zahlenmaterial, das eine abweichende Gefährdungsprognose ermöglichen könnte, liegt dem Senat nicht vor.
85 
3.3. Dafür, dass generell jeder pakistanische Staatsangehörige allein wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Verfolgung zu gegenwärtigen hätte, bestehen nach den obigen Ausführungen und den dort verwerteten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte. Soweit eine innere und verpflichtende Verbundenheit nicht festgestellt werden kann, sind die Betreffenden, selbst wenn man die vorgenannten rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben zur Auslegung der Qualifikationsrichtlinie und deren Anwendung auf die Lage der Ahmadis in Pakistan zu ihren Gunsten unterstellt, nicht in dem erforderlichen Maße von den im Einzelnen festgestellten Verfolgungshandlungen betroffen. Insbesondere stellt es nach Überzeugung des Senats keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar, wenn sich dieser Personenkreis in der Öffentlichkeit nicht als Muslim bezeichnen kann und darf. Die vom Senat verwerteten aktuellen Erkenntnismittel zeichnen, vor allem was den hier in erster Linie in den Blick zu nehmenden Aspekt der Verfolgungsdichte betrifft, kein grundlegend anderes Bild als dies in der Vergangenheit der Fall war (vgl. zu weiteren Nachweisen aus der auch älteren Rechtsprechung Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 -, a.a.O.). Nachdem nach wie vor die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan selbst davon ausgeht, dass sie insgesamt etwa 4 Millionen Angehörige zählt, darunter etwa 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder (vgl. Lagebericht des Antragsteller vom 17.03.2010, S. 13), sieht der Senat gegenwärtig keine ausreichende Grundlage dafür, dass die aktuelle Zahl in einem so signifikanten Maße darunter liegen könnte, dass eine vollständige Neubewertung des Bedrohungsszenarios erfolgen müsste.
86 
Dies gilt selbst dann, wenn in der Betrachtung allein die Zahl der aktiv ihren Glauben ausübenden Ahmadis, also die oben genannten 500.000 bis 600.000 Mitglieder, zugrunde gelegt wird. Auch bei dieser Untergruppe ergibt sich nicht die hinreichende Verfolgungsdichte, die eine Gruppenverfolgung nach dem oben Gesagten voraussetzt. Diese Betrachtung wird, soweit ersichtlich, im Übrigen von der sonstigen oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geteilt (vgl. Sächs. OVG, Urteil vom 13.11.2008 - A 1 B 550/07 -, juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29.06.2005 - 2 L 208/01 -, juris).
87 
4. Der Senat konnte, insbesondere aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre.
88 
a) Der Senat vermochte dabei die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschilderte Ausübung seiner Religion in Pakistan und die von ihm in der Heimatgemeinde angeblich wahrgenommenen Funktionen weitgehend nicht zu glauben. Seine Angaben hierzu wichen nicht nur in teils erheblichem Maße von seinen Schilderungen im Asylerstverfahren ab, sie waren vor allem auch mit der vom Verwaltungsgericht eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.06.2005 nicht in Einklang zu bringen. So gab der Kläger etwa in der mündlichen Verhandlung an, er habe in seiner Heimatgemeinde die Funktion eines „Saik“ inne gehabt, neben ihm habe nur noch eine weitere Person dieses Amt ausgeübt. Seine Aufgabe habe darin bestanden, sämtliche Mitglieder der Ahmadyyia-Gemeinde im Heimatdorf fünf Mal täglich von den Gebetszeiten zu unterrichten und dazu zu bewegen, in die Moschee zu kommen. Dabei ist es für den Senat bereits schwer nachzuvollziehen, wie der Kläger angesichts der Größe seines Heimatortes mit ca. 30.000 Einwohnern fünf Mal am Tag im Stadtgebiet verstreut wohnende 70 bis 80 Familien aufgesucht haben will. Entscheidend für die fehlende Glaubhaftigkeit ist jedoch, dass diese Angaben nicht mit der in sich stimmigen, auf den Erklärungen zahlreicher Vertrauenspersonen beruhenden Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.06.2006 in Einklag stehen, an deren Richtigkeit der Senat keine Zweifel hat. Zwar bestätigte das Auswärtige Amt die Angaben des Klägers, wonach er die Funktion eines Saiks in seinem Heimatdorf Chak Nr. 18 inne hatte; er sei jedoch lediglich einer von acht bis zehn Saiks gewesen. Auch ist die Funktion eines Saik nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eher mit der eines freiwilligen Gemeindehelfers zu vergleichen, der die Jugendlichen näher an die Religion heranbringen und sie auf ihre Pflichten aufmerksam machen soll. Dieser Widerspruch konnte auch durch entsprechende Vorhalte an den Kläger nicht aufgeklärt werden. Vielmehr relativierte der Kläger seine Angaben dann teilweise dahingehend, dass das Amt eines Saik durchaus erzieherische Elemente habe, nämlich durch die Motivation der Jugendlichen zur Teilnahme am Gebet. Ferner blieben die Einlassungen des Klägers in der mündlichen Berufungsverhandlung erheblich hinter den Schilderungen seiner in der Heimatgemeinde wahrgenommenen Ämter im Asylerstverfahren zurück, etwa was die angebliche stellvertretende Leitungsfunktion betrifft.
89 
b) Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angeht, so waren diese zumindest überwiegend glaubhaft. Der Senat glaubt dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2001 in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis in Balingen betätigt, regelmäßig zum Gebet in die dortige Moschee geht und verschiedene Funktionen ausübt. So schilderte der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft, wie er für die Gemeinde Fahrdienste leistet, an Informationsveranstaltungen mitwirkt und sich in sonstiger Weise vielfältig sozial und kulturell für seine Gemeinde engagiert. Auffällig war in diesem Zusammenhang jedoch, dass der Kläger spontan von sich aus vor allem kulturelle und soziale Aktivitäten schilderte, die mit dem Kernbereich der Glaubensausübung nur wenig zu tun haben. Vor allem entfaltete der Kläger nach seinen eigenen Angaben keine nennenswerten missionarischen Aktivitäten, obwohl es eine zentrale Intention seiner Glaubensgemeinschaft ist, eigene Landsleute vom Glauben zu überzeugen. Erst auf Nachfrage gab der Kläger in diesem Zusammenhang an, er unterhalte sich mit anderen Moslems in seiner Unterkunft bzw. am Arbeitsplatz genauso wie mit Christen über Glaubensinhalte. Diese Gespräche waren nach seinen eigenen Angaben jedoch von dem Bemühen geprägt, sich für Verständigung und ein gutes Zusammenleben zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften einzusetzen bzw. bestehende Missverständnisse und Animositäten zwischen den Glaubensgemeinschaften auszuräumen. Aktive Missionierungsbemühungen, also Versuche, Andersgläubige von der Richtigkeit des eigenen Glaubens zu überzeugen, wurden von dem Kläger auch auf Nachfrage nicht geschildert. Dies wurde im Übrigen auch durch die informatorische Befragung der Lebensgefährtin des Klägers verdeutlicht, wonach er ihr gegenüber ebenfalls keinerlei Missionierungsbemühungen entfalte.
90 
Schließlich waren die Angaben des Klägers zu den maßgeblichen Glaubensinhalten und deren Bedeutung für sein Leben relativ undifferenziert, wenn er etwa auf die Frage nach den wesentlichen Unterschieden zu dem Glauben der Mehrheit der Muslime lediglich ausführen konnte, dass die Ahmadis glaubten, der Messias sei schon gekommen und die anderen dies nicht glauben würden. Auch auf Nachfrage konnte er lediglich angeben, dass die Ahmadis an ihre Kalifen, die anderen jedoch nicht daran glaubten. Ebenso vage blieben die Angaben des Klägers, wie er seinen Glauben bei einer unterstellten Rückkehr nach Pakistan auszuüben gedenke.
91 
Nach alledem vermochte der Senat nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass der Kläger in einer wirklich engen und verpflichtenden Beziehung zum Glauben der Ahmadis steht und es insbesondere als für sich verpflichtend ansieht, in irgendeiner Weise auch für diesen Glauben öffentlich einzutreten.
92 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
93 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Gründe

 
24 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts stellt sich im Ergebnis als richtig dar. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22.01.2007 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Verpflichtung zur Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 Buchst. c der zur Auslegung heranzuziehenden Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -) im Wege des Asylfolgeverfahrens.
25 
Entsprechend der Berufungszulassung ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur noch die von dem Kläger begehrte Verpflichtung zur Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG, nicht auch die im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.
26 
Da der erste Asylantrag des Klägers bereits im Jahre 2006 bestandskräftig abgelehnt wurde, handelt es sich bei dem gegenständlichen Asylantrag um einen Folgeantrag. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vor (1.). Auch hat sich unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG sowohl der flüchtlingsrechtliche Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit als auch der anwendbare Prognosemaßstab für eine festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit im Vergleich zu den im Asylerstverfahren einschlägigen Vorgaben verändert (2.). Jedoch kann sich der Kläger auch bei Anwendung dieses günstigeren Maßstabs für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf den Gesichtspunkt einer Gruppenverfolgung der Ahmadis berufen (3.). Eine - grundsätzlich denkbare - individuelle flüchtlingsrelevante Rückkehrgefährdung scheidet mangels hinreichender Glaubensgebundenheit des Klägers aus (4.).
27 
1. Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auf einen nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags gestellten Folgeantrag ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Hiernach setzt ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens insbesondere voraus, dass eine Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist oder neue Beweismittel vorliegen und dass die Geeignetheit dieser Umstände für eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung schlüssig dargelegt wird. Der Folgeantrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene Kenntnis von dem Wiederaufgreifensgrund hat (§ 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG). Diese einschränkenden Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG finden auch dann Anwendung, wenn der Antragsteller in einem weiteren Verfahren eine ihm günstige Rechtsänderung unter Hinweis auf die nunmehr eingetretene unmittelbare Wirkung der Richtlinie 2004/83/EG geltend macht (vgl. hierzu Urteil des Senats vom heutigen Tage im Verfahren Az.: A 10 S 688/08).
28 
a) Entgegen der vom Bundesamt in seinem Bescheid vom 22.01.2007 vertretenen Auffassung ist mit Rücksicht auf die Qualifikationsrichtlinie und in Bezug auf die Beurteilung der maßgeblichen Lage der Ahmadis in Pakistan eine relevante Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. näher Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris). Ob für den Betroffenen tatsächlich eine günstigere Entscheidung im Einzelfall in Betracht kommt, muss der Prüfung in dem durchzuführenden Asylfolgeverfahren vorbehalten bleiben; das Bundesamt hat zu Unrecht in dem versagenden Bescheid eine Vollprüfung am Maßstab der Richtlinie vorgenommen und mit diesen Überlegungen einen Wiederaufgreifensgrund im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG verneint. Nach der Konzeption des Asylverfahrensgesetzes ist jedoch eine abschließende Prüfung der Erheblichkeit der geltend gemachten Sachverhalts- oder Rechtsänderung auf einer zweiten Stufe erst dem weiteren Asylverfahren vorbehalten, sofern eine günstige Entscheidung aufgrund der geänderten Umstände jedenfalls möglich erscheint. Deshalb muss es auch ausreichen, wenn der Betroffene innerhalb der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG sich auf die mögliche Rechtsänderung durch das Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie berufen hat; der Vortrag weiterer Tatsachen, die einen Rückschluss darauf zulassen, dass ein Ahmadi mit seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie aktuell aktiv ausgeübt hat, ist demgegenüber keine Zulässigkeitsvoraussetzung (a. A. VG des Saarlandes, Urteil vom 20.01.2010 - 5 K 621/08 - juris).
29 
b) Wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht erkannt hat, steht einem Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG unter dem Gesichtspunkt der Rechtsänderung auch nicht entgegen, dass es bereits in seinem das Erstverfahren abschließenden Urteil vom 28.10.2005 (Az.: A 6 K 12413/03) die materiellen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie zumindest hilfsweise seiner inhaltlichen Prüfung zugrunde gelegt hat. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Urteil offen gelassen, ob der Gesetzgeber mit dem Zuwanderungsgesetz bereits einen Teil der Qualifikationsrichtlinie umgesetzt hat und bereits zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kraft nationalen Rechts im Lichte von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG auszulegen ist. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang dann im Einzelnen näher dargelegt, dass selbst bei Anwendung der Maßstäbe der Qualifikationsrichtlinie nicht von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan ausgegangen werden könne, da Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG eine mit dem nationalen Recht vergleichbare Struktur aufweise und den Schutzbereich der Religionsausübung nicht über die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze zum „forum internum“ hinaus erweitert habe.
30 
Diese vom Verwaltungsgericht der Sache nach vorgenommene Überprüfung des Asylbegehrens anhand der Maßstäbe der Qualifikationsrichtlinie steht der Annahme einer Rechtsänderung nicht entgegen. Maßgeblich ist allein, dass erst mit Ablauf des 10.10.2006 (Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie und Eintritt deren unmittelbarer Anwendbarkeit, vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) objektiv-rechtlich eine Rechtsänderung eingetreten ist. Für dieses Verständnis sprechen nicht zuletzt Gesichtspunkte des effektiven Rechtsschutzes. Da der Senat in seinem die Zulassung der Berufung ablehnenden Beschluss vom 31.05.2006 (Az.: A 10 S 25/06) die vom Verwaltungsgericht erwogene Vorwirkung bzw. vorzeitige Umsetzung des Richtlinienentwurfs in nationales Recht abgelehnt hat, war dem Kläger eine obergerichtliche Überprüfung des vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Verständnisses der Qualifikationsrichtlinie verwehrt. Der Kläger konnte daher im Asylerstverfahren nicht mit Erfolg geltend machen, dass sich unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG gerade im Hinblick auf die Religionsausübungsfreiheit eine Erweiterung des Schutzbereichs ergeben hat.
31 
c) Der Kläger hat auch die maßgebliche Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten, ohne dass es darauf ankommt, wann der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter positive Kenntnis von der Rechtsänderung erlangt hat. Da der Kläger seinen Asylfolgeantrag persönlich bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamtes bereits am 10.01.2007 gestellt hat, wird auch die denkbar kürzeste Frist (drei Monate ab Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie) gewahrt.
32 
Nach alledem liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vor. Was die unanfechtbare negative Entscheidung des Erstverfahrens und die dort gewürdigten individuellen Vorfluchtgründe betrifft, ist jedoch eine erneute Überprüfung und Bewertung im weiteren Asylverfahren nicht eröffnet. Denn die Qualifikationsrichtlinie misst sich keine Geltung auch für Sachverhalte bei, über die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens oder bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist unanfechtbar entschieden wurde (vgl. näher Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris ). Im Folgenden ist deshalb lediglich zu überprüfen, ob bei Anwendung der Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie bzw. deren Umsetzung durch § 60 Abs. 1 AufenthG eine flüchtlingsrechtlich relevante individuelle oder gruppenbezogene Rückkehrgefährdung des Klägers besteht.
33 
2. Der Senat geht im Anschluss an sein Urteil vom 20.05.2008 (- A 10 S 3032/07 - a.a.O.) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert hat.
34 
2.1.a) Art. 10 QRL definiert in Anknüpfung an Art. 2 Buchst. c QRL die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe. Im vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere der Schutz der Religionsausübung gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QRL maßgeblich. Danach umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Die Bestimmung des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie definiert, was unter dem Verfolgungsgrund der Religion zu verstehen ist, d. h. an welche religiösen Einstellungen oder Betätigungen eine Verfolgungshandlung anknüpfen muss, um flüchtlingsrechtlich beachtlich zu sein. Die Vorschrift gewährleistet dabei bereits nach ihrem Wortlaut für den Einzelnen einen sehr weitgehenden Schutz, wenn sie sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jede religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen bekennen darf, insbesondere auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst wird.
35 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (- A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, dürfte die Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinausgehen, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16 a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt wurde, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede steht (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehört somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung sind nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst wird schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen (vgl. Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032.07 - a.a.O. sowie Bay. VGH, Urteil vom 23.10.2007 - 14 B 06.30315 - InfAuslR 2008, 101).
36 
b) Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setzt darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt wird, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmacht (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL), wobei in Art. 9 Abs. 2 QRL beispielhaft verschiedene in Betracht zu ziehende Verfolgungshandlungen benannt werden. Erst an dieser Stelle erweist sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden kann, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitzt.
37 
Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit liegt in jedem Falle dann vor, wenn der Gläubige so schwerwiegend an der Ausübung seines Glaubens gehindert wird, dass das Recht auf Religionsfreiheit in seinem Kernbereich verletzt wird. Der Kern der Religionsfreiheit ist für die personale Würde und Entfaltung eines jeden Menschen unverzichtbar und gehört damit zum menschenrechtlichen Mindeststandard. Er ist nach ständiger Rechtsprechung unveräußerlich und nach Art. 9 Abs. 2 EMRK nicht einschränkbar (vgl. zu den Einzelheiten etwa BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <158 ff.>; sowie BVerwG, Urteile vom 20.01.2004 - 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 und vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - a.a.O.). Wird dieser Kernbereich verletzt, ist in jedem Fall eine schwerwiegende Rechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu bejahen und dementsprechend Flüchtlingsschutz zu gewähren.
38 
Der in Art. 9 Abs. 2 QRL entfaltete beispielhafte Katalog (insbesondere Buchst. b und d) möglicher Verfolgungshandlungen macht jedoch deutlich, dass eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nicht nur dann gegeben ist, wenn durch die Verfolgungshandlung - von Eingriffen in Leib oder Leben abgesehen - in die physische Bewegungsfreiheit eingegriffen wird, und dass der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verwendete Begriff der Freiheit nicht in diesem engen Sinne verstanden werden kann. Vielmehr können erhebliche Einschränkungen oder Verbote öffentlicher Glaubensbetätigung, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religion oder dem - nicht notwendigerweise völlig identischen - glaubhaft dargelegten Verständnisses des einzelnen Flüchtlings von grundlegender Bedeutung sind, zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen, sofern sie nicht in völkerrechtskonformer Ausübung der jeweiligen Schrankenregelungen erfolgen. Insbesondere kann hiernach den Betroffenen nicht angesonnen werden, diese zu unterlassen, um keine entsprechend vorgesehenen Sanktionen herauszufordern.
39 
2.2.a) Wie vom Senat bereits in seinem Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07- a.a.O.) näher dargestellt, hat sich unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie auch der Prognosemaßstab für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert. Nach Art. 4 Abs. 3 QRL ist - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung - eine strikt einzelfallbezogene Betrachtung vorzunehmen. Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung für die Beurteilung der Frage, ob einem Flüchtling nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz zu gewähren ist, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen waren, je nachdem, ob dieser seinen Heimatstaat auf der Flucht vor bereits eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 <344 ff.>; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237.80 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; st. Rspr.), trifft die Qualifikationsrichtlinie eine entsprechende Unterscheidung ebenfalls. So ist Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgericht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenziert zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht. Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen, zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (vgl. zusammenfassend BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
40 
b) Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden i.S.d. Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 - Abdulla -). Der in dem Tatbestandsmerkmal „…tatsächlich Gefahr liefe…“ des Art. 2 Buchst. e QRL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 -, NVwZ 2008, 1330, RdNr. 125 ff. - Saadi -); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, ZAR 2008, 192).
41 
Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden; die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 - a.a.O). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände der Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - a.a.O.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
42 
2.3. Nicht anders als im Falle des Asylgrundrechts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143) gilt auch hier, dass eine pauschale und rein formale Betrachtung aller Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nicht sachgerecht sein kann und daher ausscheiden muss. Es leuchtet unmittelbar ein, dass nach Maßgabe der jeweiligen religiösen Bindungen des einzelnen Asylsuchenden und abhängig von den Verhältnissen im Herkunftsland die Betroffenheit in dem Menschenrecht und daher dessen Beeinträchtigung überhaupt, jedenfalls aber deren Schwere völlig unterschiedliches Gewicht haben können. Allerdings ist an den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben für eine Gruppenverfolgung auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG festzuhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 sowie Beschluss vom 02.02.2010 - 10 B 18.09 -, juris).
43 
a) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243 und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines staatlichen Verfolgungspogroms - (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200) ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200).
44 
b) Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Bezug gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, a.a.O.). An diesem Grundkonzept hat sich nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG nichts geändert. Es stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Qualifikationsrichtlinie in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie definiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, a.a.O.).
45 
3. Der Kläger kann sich bei Anwendung dieser Grundsätze für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung der Gruppe der Ahmadis (oder der Untergruppe der ihren Glauben aktiv ausübenden Ahmadis) berufen.
46 
3.1 Die Lage in Pakistan - soweit sie für die Beurteilung des Schutzgesuchs des Klägers von Bedeutung ist - stellt sich auch im September 2010 im Wesentlichen so wie bereits im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) geschildert dar. Der Senat hat in diesem Urteil folgendes ausgeführt:
47 
„Nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel stellt sich vermutlich die Lage der Ahmadis in Pakistan für den Senat, wie folgt, dar:
48 
1. Zur Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya und ihrer Entstehung hat der HessVGH im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A – juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
49 
„.Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
50 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubens-gemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
51 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bayer. VGH am 22.01.1985, S. 7).
52 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
53 
Auch die aktuellen Zahlen sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern und diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.41). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 18.05.2007, S. 16) nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien.
54 
2. Die Lage der Ahmadis wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
55 
a) Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist allerdings von Verfassungs wegen garantiert (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
56 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren können und nur solche wählen können. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.34 ff.). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16).
57 
b) Seit 1984 bzw.1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und diese gewissermaßen zur Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung in den Blick nehmen.
58 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <146>):
59 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
60 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ameerui Mumineen', 'Khalifar-ul-Mimineem', 'Shaabi' oder 'Razi-Allah-Anho' bezeichnet oder anredet;
61 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ummul-Mumineen' bezeichnet oder anredet;
62 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ahle-bait' bezeichnet oder anredet;
63 
d) sein Gotteshaus als 'Masjid' bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
64 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als 'Azan' bezeichnet oder den 'Azan' so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
65 
Sec. 298 C lautet:
66 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
67 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
68 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
69 
Die genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch ausführlich HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 92 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerb. v. 21.12.1992 – 2 BvR 1263/92 - juris m.w.N.; BVerwG, U.v. 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; v. 25.01.1995 – 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere auch zur Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen diskriminierenden, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, U.v. 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960 – Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/ -, wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, „die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind“ (so BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts). Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden hier einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen nicht von ihnen ausgehen, sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 und 10; vgl. auch HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 34).
70 
Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung von sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, sollen etwa 2000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56; vgl. aber auch Ziffer 19.55 mit etwas niedrigeren Zahlen von ausdrücklich und im Einzelnen von der Glaubensgemeinschaft selbst dokumentierten Fällen); allein im Jahre 2006 soll es zu 21 Anklagen gegen Ahmadis gekommen sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 15, das im Übrigen ausdrücklich die steigende Tendenz als besorgniserregend qualifiziert, vgl. dort S. 5; vgl. auch Freedom House 2007, mit dem Hinweis auf eine Zunahme in den jüngsten Jahren; vgl. auch zu ähnlichen Zahlen Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.51; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 123 ff., wonach seit 1988 von 647 Fällen allein in den Medien berichtet worden sei). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären. Weitere Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz häufig nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt darauf beruht, dass sie zum Teil durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 9 f.). In der Regel werden die Betroffenen bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (U.S. Department of State, a.a.O., S. 10). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt (vgl. U.S. Department of State, a.a.O., S. 16 f.). Die Bestimmung der sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten (vgl. hierzu im Einzelnen HessVGH, U. v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 46 und 69).
71 
Was die Strafbestimmungen der sec. 298 B und C betrifft, sollen gegenwärtig etwa 1000 Verfahren anhängig sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; vgl. auch zu Zahlen der insgesamt durchgeführten Verfahren Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.55 f.), wobei hier die Angeklagten sich zumeist auf freiem Fuß befinden (vgl. zu den Hintergründen und Motiven für die Einleitung von Verfahren auch AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.57).
72 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen, in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn deren Gefühle durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2).
73 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte. Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten d).
74 
c) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf den öffentlich gebetet wird (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.53). Hingegen wird es Ahmadis nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird (AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird, während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können, sowie Gebetshäuser oder Versammlungsstätten immer wieder von Extremisten überfallen werden (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.).
75 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
76 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
77 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten im weitesten Sinn sind verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus größere Verbreitung (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 4).
78 
d) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligen Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen untätig zugesehen und diese geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah, jetzt Chenab Nagar (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006). Zu in den 70-er Jahre vorgefallenen pogromartigen Ausschreitungen vergleichbaren Aktionen ist es jedoch nicht mehr gekommen.
79 
e) Nur der Vollständigkeit halber soll noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden, der allerdings das vom Senat für richtig gehaltene Ergebnis nicht entscheidend beeinflusst, sondern allenfalls zur Abrundung des Bildes beiträgt und geeignet ist: Die frühere überdurchschnittliche Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.62; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 114; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 16 f.). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65).
80 
3. Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) im Januar 2005 in der Weise zusammenfassend charakterisiert wurde, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellt für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung jedenfalls im Sinne einer kumulierenden Betrachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL darstellen. Der Präsident von amnesty international Pakistan wird dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführt, dass es – anders als bei Christen – niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.)
81 
Von zentraler Bedeutung für diese Schlussfolgerung des Senats ist dabei das gegen die Ahmadis gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung möglich sind.
82 
Bei diesem Ausgangspunkt kann nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung rechtfertigen würden. Denn es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen es der gesunde Menschenverstand nahe legen, wenn nicht gar gebieten wird, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Diese seit nunmehr weit über 20 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und –bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die bereits eingangs festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Insoweit muss die absolute Zahl der Strafverfahren und ihr Verhältnis zu der Zahl der gläubigen Ahmadis daher isoliert betrachtet notwendigerweise ein unzutreffendes Bild abgeben. Würden die gläubigen Ahmadis ihr selbstverständliches Menschenrecht aktiv wahrnehmen, so müssten sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen und nach Art und Zahl zunehmenden Reaktionen von staatlicher Seite bzw. auch von Dritten rechnen. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für die Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, dass das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks ist.“
83 
3.2. Auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beansprucht die vom Senat in seinem Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) dargestellte Einschätzung der Lage weiterhin uneingeschränkte Gültigkeit. Nach aktueller Erkenntnislage kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich das Risiko für einfache Ahmadi, mit einem Strafverfahren nach dem Blasphemieparagrafen sec. 295c des pakistanischen Strafgesetzbuches oder den sonstigen sogenannten „Ahmadi-Paragrafen“ überzogen zu werden, signifikant erhöht hätte. Die vom Senat in dem genannten Urteil zugrunde gelegten Zahlenverhältnisse (vgl. insbesondere Randziffer 102 bis 104 im UA bei juris) treffen nach wie vor zu; allenfalls ist eine leichte Besserung der Verhältnisse eingetreten. So führt das Auswärtige Amt im seinem Lagebericht vom 22.10.2008 (Stand: September 2008) aus, dass im Jahre 2007 gegen 23 Ahmadis Anklage in Blasphemiefällen erhoben worden sei; die erhoffte Verbesserung der Lage sei deshalb nicht eingetreten. Die Zahl der Neufälle insgesamt stagniere bei ca. 50 pro Jahr und steige nicht weiter an. In seinem aktuellen Lagebericht vom 17.03.2010 (Stand: März 2010) geht das Auswärtige Amt für den Beurteilungszeitraum 2008 davon aus, dass gegen 14 Ahmadis wegen Blasphemie Anklage erhoben worden sei, mithin ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr beobachtet werden könne.
84 
Insgesamt gesehen steht diese zahlenmäßige Entwicklung mit den sonstigen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismitteln in Einklang, auch wenn darin teilweise von leicht abweichenden Zahlen ausgegangen wird. So geht etwa das U.S. Department of State in seinem International Religious Freedom Report 2009 (Stand: 26. Oktober 2009) davon aus, dass nach eigenen Angaben von Organisationen der Ahmadiyya in Rabwah gegen insgesamt 88 Ahmadis wegen Verstößen gegen die Religionsgesetze Strafverfahren eingeleitet worden seien, darunter in 18 Fällen wegen Blasphemievorwürfen und in 68 Fällen wegen Verstoßes gegen die sog. „Ahmadi-Gesetze“. Zu ähnlichen Zahlen gelangte das Home Office in seinem Country of Origin Report Pakistan vom 18.01.2010. Dort wird unter Berufung auf Ahmadi-Quellen davon ausgegangen, dass von Juni 2008 bis April 2009 gegen insgesamt 88 Ahmadis wegen religiöser Gründe Strafverfahren eingeleitet worden seien, wobei eine genaue Unterscheidung der Vorwürfe und der Verfahrensstadien nicht erfolgt (vgl. Ziffer 19.63 des Reports). Ferner wird darin auch auf den vom Prozessbevollmächtigten des Klägers angeführten Vorfall vom 8. Juni 2008 verwiesen, wonach ein FIR (First Information Report) gegen die gesamte Ahmadi-Bevölkerung von Rabwah erstellt worden sei; dieser Vorfall wird vom U.S. Department of State in seinem Human Rights Report Pakistan 2009 (11. März 2010) bestätigt (S. 15). Entgegen der Meinung des Klägers kann aus letztgenanntem Vorfall jedoch nicht geschlossen werden, dass die vom Auswärtigen Amt wiedergegebenen Zahlen nicht mehr zutreffend sind. Wie sich insbesondere dem Human Rights Report Pakistan des U.S. Departement of State (S. 15) entnehmen lässt, hat das mit dem genannten FIR eingeleitete Verfahren bis zum dort genannten Zeitpunkt noch keinen Fortgang genommen. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass dieser pauschale Vorwurf gegen die gesamte Ahmadi-Bevölkerung von Rabwah Anlass für weitergehende strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen gegen einzelne Ahmadis bietet. Für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung können deshalb nur die Fälle berücksichtigt werden, in denen es tatsächlich zu individuellen Ermittlungsverfahren oder gar Anklagen gekommen ist. Neueres oder umfassenderes Zahlenmaterial, das eine abweichende Gefährdungsprognose ermöglichen könnte, liegt dem Senat nicht vor.
85 
3.3. Dafür, dass generell jeder pakistanische Staatsangehörige allein wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Verfolgung zu gegenwärtigen hätte, bestehen nach den obigen Ausführungen und den dort verwerteten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte. Soweit eine innere und verpflichtende Verbundenheit nicht festgestellt werden kann, sind die Betreffenden, selbst wenn man die vorgenannten rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben zur Auslegung der Qualifikationsrichtlinie und deren Anwendung auf die Lage der Ahmadis in Pakistan zu ihren Gunsten unterstellt, nicht in dem erforderlichen Maße von den im Einzelnen festgestellten Verfolgungshandlungen betroffen. Insbesondere stellt es nach Überzeugung des Senats keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar, wenn sich dieser Personenkreis in der Öffentlichkeit nicht als Muslim bezeichnen kann und darf. Die vom Senat verwerteten aktuellen Erkenntnismittel zeichnen, vor allem was den hier in erster Linie in den Blick zu nehmenden Aspekt der Verfolgungsdichte betrifft, kein grundlegend anderes Bild als dies in der Vergangenheit der Fall war (vgl. zu weiteren Nachweisen aus der auch älteren Rechtsprechung Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 -, a.a.O.). Nachdem nach wie vor die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan selbst davon ausgeht, dass sie insgesamt etwa 4 Millionen Angehörige zählt, darunter etwa 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder (vgl. Lagebericht des Antragsteller vom 17.03.2010, S. 13), sieht der Senat gegenwärtig keine ausreichende Grundlage dafür, dass die aktuelle Zahl in einem so signifikanten Maße darunter liegen könnte, dass eine vollständige Neubewertung des Bedrohungsszenarios erfolgen müsste.
86 
Dies gilt selbst dann, wenn in der Betrachtung allein die Zahl der aktiv ihren Glauben ausübenden Ahmadis, also die oben genannten 500.000 bis 600.000 Mitglieder, zugrunde gelegt wird. Auch bei dieser Untergruppe ergibt sich nicht die hinreichende Verfolgungsdichte, die eine Gruppenverfolgung nach dem oben Gesagten voraussetzt. Diese Betrachtung wird, soweit ersichtlich, im Übrigen von der sonstigen oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geteilt (vgl. Sächs. OVG, Urteil vom 13.11.2008 - A 1 B 550/07 -, juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29.06.2005 - 2 L 208/01 -, juris).
87 
4. Der Senat konnte, insbesondere aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre.
88 
a) Der Senat vermochte dabei die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschilderte Ausübung seiner Religion in Pakistan und die von ihm in der Heimatgemeinde angeblich wahrgenommenen Funktionen weitgehend nicht zu glauben. Seine Angaben hierzu wichen nicht nur in teils erheblichem Maße von seinen Schilderungen im Asylerstverfahren ab, sie waren vor allem auch mit der vom Verwaltungsgericht eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.06.2005 nicht in Einklang zu bringen. So gab der Kläger etwa in der mündlichen Verhandlung an, er habe in seiner Heimatgemeinde die Funktion eines „Saik“ inne gehabt, neben ihm habe nur noch eine weitere Person dieses Amt ausgeübt. Seine Aufgabe habe darin bestanden, sämtliche Mitglieder der Ahmadyyia-Gemeinde im Heimatdorf fünf Mal täglich von den Gebetszeiten zu unterrichten und dazu zu bewegen, in die Moschee zu kommen. Dabei ist es für den Senat bereits schwer nachzuvollziehen, wie der Kläger angesichts der Größe seines Heimatortes mit ca. 30.000 Einwohnern fünf Mal am Tag im Stadtgebiet verstreut wohnende 70 bis 80 Familien aufgesucht haben will. Entscheidend für die fehlende Glaubhaftigkeit ist jedoch, dass diese Angaben nicht mit der in sich stimmigen, auf den Erklärungen zahlreicher Vertrauenspersonen beruhenden Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.06.2006 in Einklag stehen, an deren Richtigkeit der Senat keine Zweifel hat. Zwar bestätigte das Auswärtige Amt die Angaben des Klägers, wonach er die Funktion eines Saiks in seinem Heimatdorf Chak Nr. 18 inne hatte; er sei jedoch lediglich einer von acht bis zehn Saiks gewesen. Auch ist die Funktion eines Saik nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eher mit der eines freiwilligen Gemeindehelfers zu vergleichen, der die Jugendlichen näher an die Religion heranbringen und sie auf ihre Pflichten aufmerksam machen soll. Dieser Widerspruch konnte auch durch entsprechende Vorhalte an den Kläger nicht aufgeklärt werden. Vielmehr relativierte der Kläger seine Angaben dann teilweise dahingehend, dass das Amt eines Saik durchaus erzieherische Elemente habe, nämlich durch die Motivation der Jugendlichen zur Teilnahme am Gebet. Ferner blieben die Einlassungen des Klägers in der mündlichen Berufungsverhandlung erheblich hinter den Schilderungen seiner in der Heimatgemeinde wahrgenommenen Ämter im Asylerstverfahren zurück, etwa was die angebliche stellvertretende Leitungsfunktion betrifft.
89 
b) Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angeht, so waren diese zumindest überwiegend glaubhaft. Der Senat glaubt dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2001 in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis in Balingen betätigt, regelmäßig zum Gebet in die dortige Moschee geht und verschiedene Funktionen ausübt. So schilderte der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft, wie er für die Gemeinde Fahrdienste leistet, an Informationsveranstaltungen mitwirkt und sich in sonstiger Weise vielfältig sozial und kulturell für seine Gemeinde engagiert. Auffällig war in diesem Zusammenhang jedoch, dass der Kläger spontan von sich aus vor allem kulturelle und soziale Aktivitäten schilderte, die mit dem Kernbereich der Glaubensausübung nur wenig zu tun haben. Vor allem entfaltete der Kläger nach seinen eigenen Angaben keine nennenswerten missionarischen Aktivitäten, obwohl es eine zentrale Intention seiner Glaubensgemeinschaft ist, eigene Landsleute vom Glauben zu überzeugen. Erst auf Nachfrage gab der Kläger in diesem Zusammenhang an, er unterhalte sich mit anderen Moslems in seiner Unterkunft bzw. am Arbeitsplatz genauso wie mit Christen über Glaubensinhalte. Diese Gespräche waren nach seinen eigenen Angaben jedoch von dem Bemühen geprägt, sich für Verständigung und ein gutes Zusammenleben zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften einzusetzen bzw. bestehende Missverständnisse und Animositäten zwischen den Glaubensgemeinschaften auszuräumen. Aktive Missionierungsbemühungen, also Versuche, Andersgläubige von der Richtigkeit des eigenen Glaubens zu überzeugen, wurden von dem Kläger auch auf Nachfrage nicht geschildert. Dies wurde im Übrigen auch durch die informatorische Befragung der Lebensgefährtin des Klägers verdeutlicht, wonach er ihr gegenüber ebenfalls keinerlei Missionierungsbemühungen entfalte.
90 
Schließlich waren die Angaben des Klägers zu den maßgeblichen Glaubensinhalten und deren Bedeutung für sein Leben relativ undifferenziert, wenn er etwa auf die Frage nach den wesentlichen Unterschieden zu dem Glauben der Mehrheit der Muslime lediglich ausführen konnte, dass die Ahmadis glaubten, der Messias sei schon gekommen und die anderen dies nicht glauben würden. Auch auf Nachfrage konnte er lediglich angeben, dass die Ahmadis an ihre Kalifen, die anderen jedoch nicht daran glaubten. Ebenso vage blieben die Angaben des Klägers, wie er seinen Glauben bei einer unterstellten Rückkehr nach Pakistan auszuüben gedenke.
91 
Nach alledem vermochte der Senat nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass der Kläger in einer wirklich engen und verpflichtenden Beziehung zum Glauben der Ahmadis steht und es insbesondere als für sich verpflichtend ansieht, in irgendeiner Weise auch für diesen Glauben öffentlich einzutreten.
92 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
93 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

Soweit der Kläger die Berufung zurückgenommen hat, wird das Berufungsverfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 07. August 2009 - A 1 K 401/09 - zurückgewiesen.

Die Anschlussberufung der Beklagten gegen das genannte Urteil wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt 2/3 und die Beklagte 1/3 der Kosten des - gerichtskostenfreien - Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt (zwischenzeitlich nur noch) die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der Kläger, nach eigenen Angaben am … 1979 geboren, ist ein sri-lankischer Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit. Er reiste - ebenfalls nach eigenen Angaben - am 03.11.2007 auf dem Luftweg aus einem ihm nicht bekannten Land in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14.11.2007 einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter.
Er wurde am 28.11.2007 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu seinem Begehren angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die Niederschrift über die Anhörung verwiesen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter mit Bescheid vom 17.02.2009 ab (Nr. 1). Ferner stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (Nr. 2) noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen (Nr. 3). Es drohte dem Kläger für den Fall der Nichtbeachtung einer einmonatigen Ausreisefrist die Abschiebung nach Sri Lanka an (Nr. 4).
Mit seiner am 26.02.2009 vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe - A 1 K 401/09 - erhobenen Klage hat der Kläger die Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.02.2009 und die Verpflichtung der Beklagten begehrt, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, hilfsweise die Verpflichtung zur Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 07.08.2009 die Nummern 3 und 4 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.02.2009 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass beim Kläger hinsichtlich Sri Lanka ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung der Klageabweisung hat es u.a. ausgeführt, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Kläger in Sri Lanka vor seiner Ausreise politisch verfolgt worden sei und bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit solcher Verfolgung rechnen müsse. Der Einzelentscheider beim Bundesamt sei nachvollziehbar davon ausgegangen, dass der Kläger ein Verfolgungsschicksal wegen seiner politischen Überzeugung oder seiner Volkszugehörigkeit in Sri Lanka nicht hinreichend überzeugend dargelegt habe. Dieser Bewertung folge das Gericht, denn der Kläger habe eingeräumt, sich in seiner Heimat nie politisch betätigt zu haben. Nachdem er nach eigener Aussage im Oktober 2005 wegen einer angeblichen Beteiligung an einem Mordanschlag auf einen Nachbarn verschleppt und misshandelt worden sei, sei er keinen asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen mehr ausgesetzt gewesen. Er habe nur die üblichen Nachfragen und Bedrohungen ertragen, sich als Geschäftsmann nicht mit der LTTE einzulassen. Der Grund, zwischen die Fronten der Bürgerkriegsparteien zu geraten, entfalle nun, denn die LTTE existiere seit Ende Mai 2009 nicht mehr. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass Reste der Rebellen auf der Jaffna Halbinsel weiterhin die dortige Bevölkerung drangsalierten. Jedenfalls nach 2005 sei auch von den sri-lankischen Sicherheitskräften nicht mehr angenommen worden, dass der Kläger sich als Anhänger der LTTE betätige. Er gebe an, Jaffna im September 2007 wegen der dortigen Unsicherheit verlassen zu haben, die durch die Willkürherrschaft der singhalesischen Besatzungsarmee entstanden und der sein Freund offenbar zum Opfer gefallen sei. Drohende politische Verfolgung sei dies nicht.
Auf Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung gegen das Urteil mit Beschluss vom 06.04.2010 - A 4 S 2088/09 - zugelassenen, soweit die Verpflichtungsklage, gerichtet auf seine Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, abgewiesen worden ist. In seinem Schriftsatz vom 14.04.2010, der der Beklagten formlos übersandt worden ist, hat der Kläger den Antrag gestellt, die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 07.08.2009 (A 1 K 401/09) sowie unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheids der Beklagten vom 17.02.2009 zu verpflichten festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Staates Sri Lanka vorliegen. Er hat weiter unter anderem ausgeführt, dass die Begründung des Antrags mit gesondertem Schriftsatz erfolge. Mit Schriftsatz vom 05.05.2010, der Beklagten zugestellt am 10.05.2010, hat der Kläger seine Berufung - ohne Wiederholung des Antrags aus dem Schriftsatz vom 14.04.2010 - begründet und hierzu auf sein erstinstanzliches Vorbringen zu den geltend gemachten persönlichen Verfolgungsgründen Bezug genommen. - Darüber hinaus gehe er von einer Gruppenverfolgung der tamilischen Minderheit in Sri Lanka aus - jedenfalls hinsichtlich der Untergruppe der jüngeren Tamilinnen und Tamilen im Alter von 15 bis 40 Jahren. Auch das Auswärtige Amt gehe jedenfalls seit dem Wiederaufflammen des Bürgerkriegs im Jahr 2006/2007 davon aus, dass Angehörige der tamilischen Minderheit einem generellen Verdacht unterlägen, Unterstützer der LTTE zu sein, und deshalb mit Gefahren für Leib und Leben stets rechnen müssten. Diese Situation habe sich alsdann im Zuge der Verschärfung des Bürgerkrieges weiter zugespitzt. Sie sei dadurch gekennzeichnet gewesen, dass Angehörigen der tamilischen Minderheit und insbesondere solchen Tamilinnen und Tamilen, die im Rekrutierungsalter der LTTE gestanden hätten, pauschal vorgeworfen worden sei, Unterstützer der LTTE gewesen zu sein, ohne dass insoweit belastbare Beweismittel hätten vorhanden gewesen sein müssen. Es sei zu einer Vielzahl von willkürlichen Inhaftierungen, Folterungen und extralegalen Tötungen gekommen. Verantwortlich seien nicht nur Angehörige der sri-lankischen Sicherheitskräfte direkt, sondern - von diesen geduldet, wenn nicht gar angeleitet - tamilische Gruppierungen, etwa die Karuna-Gruppe. Alle diese Fälle seien unaufgeklärt geblieben. Es sei keinerlei Bemühen des Staates festzustellen, Angehörige der eigenen Sicherheitskräfte oder der erwähnten Gruppierungen für ihre zahlreichen Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. Es herrsche ein Klima allgemeiner Furcht und einer völligen Rechtlosigkeit, da Tamilen und Tamilinnen, die unter dem vorgenannten Verdacht verhaftet würden, keine Rechtsschutzgarantien besessen hätten und besäßen. Effektiver Schutz vor Übergriffen existiere noch nicht einmal rudimentär. Soweit das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in seiner Rechtsprechung darauf abstelle, dass vom quantitativen Ausmaß her eine Gruppenverfolgung nicht festzustellen sei, begegne dies durchgreifenden Bedenken. Das Oberverwaltungsgericht übersehe nahezu vollständig, dass bereits die Eruierung entsprechender Zahlen auf die völlige Unmöglichkeit geführt habe, derartige Zahlen halbwegs verlässlich festzustellen. Hierzu hätten die sri-lankischen Behörden entscheidend beigetragen, indem sie etwa unabhängige Untersuchungen verunmöglicht hätten. Zum anderen werde übersehen, dass die Frage einer Gruppenverfolgung oder einer Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer Untergruppe nicht allein eine quantitative Betrachtungsweise erfordere, vielmehr auch qualitative Momente beinhalte. Es müsse insbesondere darauf ankommen, dass der Verfolgerstaat eine nach asylrechtlichen Kriterien abgrenzbare Personenmehrheit systematisch und gewollt von dem staatlichen Rechtsschutz und dem entsprechenden Friedensgebot ausschließe, das ein Staat seinen Staatsbürgern grundsätzlich schulde. Gerade die von Seiten des Auswärtigen Amts beschriebene Situation eines Generalverdachts habe dazu geführt und führe immer noch dazu, dass die tamilische Bevölkerungsgruppe sich als systematisch ausgegrenzt verstehen müsse und ständig Gefahr gelaufen sei und laufe, asylrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen unterworfen zu sein, wobei es bezeichnend sei, dass es insbesondere zu einer Vielzahl von Fällen des Verschwindenlassens gekommen sei. Eine allein quantitative Betrachtungsweise würde eine Gruppenverfolgung erst dann begründen, wenn es quasi schon zu Akten von Repressionsmaßnahmen käme, die als Genozid zu bezeichnen wären. Damit würde der Begriff der Gruppenverfolgung einen zu engen Inhalt bekommen, es solle mit ihm gerade ein Schutz für Personen gewährleistet werden, die generell in einem Klima völliger Rechtlosigkeit und Unsicherheit in ihrem Herkunftsland lebten, allein weil sie zu einer bestimmten, nach asylerheblichen Kriterien abgrenzbaren Personenmehrheit gehörten. Die Situation in Sri Lanka nach dem Ende des bewaffneten Kampfs der LTTE im Mai/Juni 2009 zeige nunmehr in aller Deutlichkeit, dass eine derartige Gruppenverfolgung vorliege und eine systematische Ausgrenzung der tamilischen Minderheit in Sri Lanka gewollt sei. Als „Entschuldigung“ könne der Bürgerkrieg nicht mehr dienen, so dass der Vorwand der „Bekämpfung des Terrorismus“ nicht mehr durchgreifen könne. Bezeichnend sei, dass nach dem Ende des Bürgerkriegs die sri-lankischen Behörden keine Maßnahmen unternommen hätten, um die tamilische Minderheit zu schützen. Aus dem Bericht der „International Crisis Group“ vom 17.02.2010 ergebe sich vielmehr, dass die Regierung keine Anstrengungen unternehme, der tamilischen Minderheit entgegenzukommen oder ihr Schutz zu gewähren. Nach wie vor sei von einer faktischen Willkürherrschaft der Armee, der Sicherheitsbehörden und der mit ihnen verbündeten tamilischen Gruppierungen insbesondere in den tamilischen Siedlungsgebieten im Norden und Osten Sri Lankas auszugehen. Dies werde erst recht deutlich, wenn man den ausführlichen Bericht „Legal Limbo, The Uncertain Fate of Detained LTTE Suspects in Sri Lanka“ von Human Rights Watch betrachte. Dort werde etwa festgestellt, dass es eine Vielzahl von willkürlichen Verhaftungen insbesondere jüngerer Tamilinnen und Tamilen - oft noch Kinder - gegeben habe. Diese Personen seien sämtlich unter dem pauschalen Verdacht der Unterstützung der LTTE festgenommen worden, dabei sei es zu einer Vielzahl von Fällen des Verschwindenlassens gekommen. Ende des Jahres 2009 hätten diese Fälle sogar zugenommen. In dem Bericht heiße es unter anderem, dass die völlig fehlende Transparenz hinsichtlich der Festnahmen dazu führe, dass es sich um Fälle des erzwungenen Verschwindenlassens gehandelt habe. Weiter heiße es, dass die Anzahl der Personen, deren Verbleib nach der Festnahme an Kontrollpunkten oder in den Lagern unbekannt sei, nicht festgestellt werden könne. Die sri-lankischen Behörden hätten selbst zugegeben, dass Tausende von Personen nicht registriert seien. Die Besorgnisse würden verstärkt durch die Weigerung der Behörden, humanitäre Organisationen oder irgendwelche anderen, unabhängigen Beobachter in den Vorgang der Untersuchung und Inhaftierung einzubeziehen. Schließlich heiße es in dem Bericht von Human Rights Watch: „Die einfachsten Schutzbestimmungen würden routinemäßig ignoriert, insbesondere das Recht, die Beschuldigung zu erfahren, das Recht, die Verhaftung vor einem Gericht anzufechten, und das Recht auf rechtliche Beratung.“ Bedenken hinsichtlich schlechter Behandlung würden ebenso aufgestellt. Demgemäß müsse - so der Kläger - von einer Gruppenverfolgung ausgegangen werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 07. August 2009 - A 1 K 401/09 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung von Nr. 2 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.02.2009 zu verpflichten festzustellen, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Staats Sri Lanka vorliegen.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
die Berufung zurückzuweisen.
12 
Die Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung der tamilischen Bevölkerung allein auf Grund der Volkszugehörigkeit seien nicht gegeben. Eine solche Bewertung scheitere wie schon in der Vergangenheit bereits an der fehlenden Verfolgungsdichte. Insoweit sei auf die Grundsatzentscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29.04.2009 - 3 A 627/07 - zu verweisen. Ebenso wenig sei von der Existenz eines staatlichen Verfolgungsprogramms auszugehen. Eine beachtlich wahrscheinliche Rückkehrgefährdung allein wegen der Volkszugehörigkeit sei zu verneinen. Nach Angaben des UNHCR habe die sri-lankische Regierung wieder begonnen, Vertriebene in ihre Heimatregion zurückzuführen. Durch die Kämpfe im Frühjahr 2009 seien 280.000 Menschen im Norden und Osten Sri Lankas auf der Flucht. Viele von ihnen hätten in einem der 40 Flüchtlingscamps Zuflucht gefunden. Seit Beginn der organisierten Rückkehr im August 2009 sollen über 200.000 Menschen die Lager wieder verlassen haben. Anfang Mai 2010 sei gemeldet worden, die sri-lankische Regierung wolle knapp ein Jahr nach dem Ende des Bürgerkriegs die Notstandsgesetze entschärfen. Die bestehenden Regelungen sollten Schritt für Schritt aufgehoben werden. Außerdem wolle die Regierung mögliche Menschenrechtsverletzungen aus der Zeit des Konflikts untersuchen lassen. Es sei zwar nicht auszuschließen, dass in Einzelfällen Übergriffe auf die tamilische Bevölkerung erfolgten. Keinesfalls sei jedoch davon auszugehen, dass die Behelligungen flächendeckend und mit einer solchen Dichte geschehen würden, dass nahezu jeder tamilische Volkszugehörige wegen seiner Abstammung von Verfolgung bedroht sei.
13 
Die Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 27.09.2010 der Berufung angeschlossen. Die Anschlussberufung sei zulässig. Nach § 127 Abs. 2 Satz 1 VwGO sei die Anschließung selbst dann noch statthaft, wenn der Beteiligte auf die Berufung verzichtet habe oder unabhängig von den Gründen dafür die Frist für seinen Zulassungsantrag verstrichen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei die Anschlussberufung auch nicht auf den prozessualen Anspruch beschränkt, der mit der Zulassung der Berufung in die zweite Instanz gelangt sei. Sie könne sich weiter gegen den erstinstanzlich angenommenen Anspruch auf Abschiebungsschutz richten. Zwar müsse sie gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift eingelegt sein. Eine diesen Fristenlauf wirksam auslösende Zustellung sei im vorliegenden Verfahren indes nicht erfolgt. Berufungsbegründungsschrift im Sinn der Vorschrift könne allein ein Schriftsatz sein, der alle unverzichtbaren Anforderungen gemäß § 124a VwGO erfülle, der insbesondere neben den Berufungsgründen einen bestimmten Antrag enthalten müsse. Fänden sich die unverzichtbaren Angaben in verschiedenen Schriftsätzen, bedürfe es zwangsläufig der Zustellung jedes dieser Schriftsätze, um die Frist in Lauf zu setzen. Zugestellt sei zwar der Schriftsatz vom 05.05.2010, mit dem die Berufungsgründe ausgeführt worden seien, der aber weder einen ausdrücklich formulierten noch einen durch Inbezugnahme bestimmten Berufungsantrag enthalte. Der mit Schriftsatz vom 14.04.2010 formulierte Antrag sei hingegen nicht zugestellt worden. Damit habe insgesamt keine Frist für die Anschlussberufung ausgelöst werden können. - Subsidiäre Schutzansprüche im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ließen sich nicht feststellen. Das gelte insbesondere hinsichtlich eines Schutzanspruchs im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Soweit das Verwaltungsgericht eine solche Gefahrenlage angenommen habe, habe es schon die Tatbestandsvoraussetzungen offenkundig unzutreffend ausgelegt bzw. auch für eine Situation als erfüllt erachtet, die erkennbar nicht in den einschlägigen Schutzbereich fallen solle. Eine Nachkriegssituation stelle typischerweise gerade keinen noch anhaltenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikt mehr dar.
14 
Die Beklagte beantragt,
15 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 07. August 2009 - A 1 K 401/09 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
16 
Der Kläger beantragt,
17 
die Anschlussberufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie zurückzuweisen
18 
Sie sei nicht innerhalb der Frist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO eingelegt worden. Widereinsetzungsgründe seien von der Beklagten nicht geltend gemacht worden und auch sonst nicht ersichtlich. Die von der Beklagten herangezogene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 127 VwGO beziehe sich auf die alte Fassung der Norm. Die Anschlussberufung sei nicht binnen eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift eingelegt und begründet worden. Hieran ändere der Umstand nichts, dass die Berufungsbegründung mit gesondertem Schriftsatz vorgelegt worden sei, nachdem zuvor der Sachantrag - beides innerhalb der Berufungsbegründungsfrist - mit gesondertem Schriftsatz gestellt worden sei. Insoweit sei aus der Formulierung in der Berufungsbegründungsschrift ersichtlich, dass auf die vorherigen Schriftsätze Bezug genommen worden sei. Aus ihrem Inhalt sei auch ersichtlich, in welchem Umfang das erstinstanzliche Urteil angegriffen worden sei, nämlich hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung politischer Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Damit seien sämtliche Zulassungsvoraussetzungen für eine Berufungsbegründungsschrift erfüllt. Die Anschlussberufung sei daher verspätet und damit unzulässig.
19 
Der Kläger ist im Termin zur mündlichen Verhandlung zu seinem Schutzbegehren angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
20 
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, wegen der sonstigen Einzelheiten auf die einschlägigen Akten der Beklagten und die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
21 
Die durch den Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist - soweit sie nicht zurückgenommen worden ist - unbegründet (I.). Die Anschlussberufung der Beklagten ist unzulässig (II.).
I.
22 
Die Berufung des Klägers ist teilweise zurückgenommen worden und im Übrigen nicht begründet.
23 
1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist (nur noch) der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person hinsichtlich des Staats Sri Lanka und damit der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.02.2010 - 10 C 7.09 -, NVwZ 2010, 974 RdNr. 12). Zugelassen hatte der Senat die Berufung allerdings auch hinsichtlich der erstinstanzlich begehrten und mit dem Berufungszulassungsantrag zunächst weiterverfolgten Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG. Der Kläger hat dieses Begehren jedoch - bestätigt durch die Erklärung seines Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - bereits mit der Stellung des Berufungsantrags (Schriftsatz vom 14.04.2010), der sich allein auf § 60 Abs. 1 AufenthG bezieht, nicht mehr weiterverfolgt. Darin ist eine teilweise Berufungsrücknahme zu sehen mit der Folge, dass insoweit die Einstellung des Berufungsverfahrens auszusprechen ist (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 1 und 3 VwGO).
24 
2. Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht entschieden hat, kommt dem Kläger kein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person hinsichtlich Sri Lankas und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
25 
a) Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen.
26 
b) Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12) - RL 2004/83/EG - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
27 
Nach Art. 2 Buchstabe c) RL 2004/83/EG ist Flüchtling unter anderem derjenige Drittstaatsangehörige, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
28 
c) Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird, Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG. Auf den Kläger findet diese Beweiserleichterung keine Anwendung. Er ist schon nicht im Sinne der Vorschrift verfolgt worden. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
29 
aa) Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 -, BVerfGE 54, 341, 360 f.; BVerwG, Urteil vom 31.03.981 - 9 C 237.80 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97, 101 ff.), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (BVerwG, Urteil vom 27.04.1982 - 9 C 308.81 -, BVerwGE 65, 250, 252). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997, a.a.O. S. 99).
30 
Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL 2004/83/EG erlitten hat (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, Juris RdNr. 22; vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505 RdNr. 84 ff.). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchstabe e) RL 2004/83/EG enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, NVwZ 2008, 1330, RdNr. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 18.04.1996 - 9 C 77.95 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4 und Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, ZAR 2008, 192).
31 
Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, a.a.O., RdNr. 92 ff). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, a.a.O., RdNr. 128 -). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, InfAuslR 2010, 410 RdNr. 23).
32 
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Buchstabe a)) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschrieben Weise betroffen ist (Buchstabe b)).
33 
bb) Die Einlassungen des Klägers lassen keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG erkennen.
34 
(1) Dies gilt zunächst hinsichtlich der Behauptungen zu den unmittelbar vor seiner Ausreise liegenden Geschehnissen im Oktober 2007.
35 
Er will nach eigenen Angaben mit Gefängnis bedroht worden sein, nachdem er bei einer Razzia im Oktober 2007 in Colombo aufgegriffen worden sei. Er will vier bis fünf Stunden festgehalten und dann nach einer Schmiergeldzahlung seiner Mutter freigelassen worden sein. Da er entgegen den gesetzlichen Bestimmungen nicht gemeldet gewesen sei, habe er einer wöchentlichen Meldepflicht nachkommen müssen. Er habe seine Ausreise angekündigt, ohne dass dies zu weiteren Maßnahmen der Polizei geführt habe.
36 
Weder die kurzzeitige Inhaftierung des Klägers, mag sie möglicherweise auch allein aufgrund seiner Volkszugehörigkeit und damit diskriminierend (Art. 9 Abs. 2 Buchstabe b) RL 2004/83/EG) erfolgt sein, noch die Drohung mit weiterer Inhaftierung noch die polizeiliche Meldeauflage erreichen jedoch für sich oder kumuliert ein Maß, das einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung gleichkäme. Daher kann die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers dahinstehen.
37 
(2) Die Gründe, die der Kläger gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als - unmittelbares - Motiv für seine Ausreise angegeben hat, sind ebenfalls nicht geeignet, eine erlittene Verfolgung oder eine ernsthafte Bedrohung mit Verfolgung darzutun. Er hat dort angegeben, dass die Tötung seines besten Freundes im August 2007 Anlass für die Ausreise gewesen sei. Dieser sei von Unbekannten erschossen worden. Sein Vater habe bereits 2006, als ein anderer Freund bei der Explosion einer Bombe ums Leben gekommen sei, jemanden beauftragt, einen Pass zu besorgen. Beide Anlässe können unter dem Gesichtspunkt des § 60 Abs. 7 Satz 1 oder 2 AufenthG relevant sein, mangels erkennbarer Zielgerichtetheit aber nicht bei der Prüfung des § 60 Abs. 1 AufenthG.
38 
(3) Die vom Kläger geschilderten Ereignisse aus den Jahren 1997 und 2005 - ihre Wahrheit unterstellt - sind ebenfalls nicht geeignet, den Tatbestand des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG zu erfüllen. Dies gilt schon deswegen, weil sie für den Kläger nicht fluchtauslösend gewesen sind. In der Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG bzw. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. und zu § 51 Abs. 1 AuslG 1990 war anerkannt, dass für die dem Vorverfolgten zu gewährende Nachweiserleichterung - im Bereich des Asyls durch die Anwendung des Maßstabs der herabgestuften Wahrscheinlichkeit - dann die innere Rechtfertigung nicht mehr vorliegt, wenn der Asylbewerber den Heimatstaat aus Gründen verlassen hat, auf die die früher bestehende Verfolgungssituation ohne Einfluss gewesen ist (BVerwG, Urteil vom 26.03.1985 - 9 C 107.84 -, BVerwGE 71, 175). § 60 Abs. 1 AufenthG wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.04.2009 - 3 A 627/07.A -, Juris; OVG Niedersachsen, Urteil vom 18.07.2006 - 11 LB 75/06 -, Juris) und in der Literatur (Hailbronner, AuslR, § 60 AufenthG RdNr. 31 ff.; Treiber, in: GK-AufenthG, § 60 AufenthG, RdNr. 120) zutreffend ebenso ausgelegt, da der Zufluchtgedanke auch die Genfer Flüchtlingskonvention beherrscht. Diese wiederum gelangt über § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und die wiederholten Bezugnahmen in der Richtlinie 2004/83/EG zur Anwendung.
39 
Allerdings zwingt der Wortlaut des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zu dieser Auslegung. So hat der Gerichtshof der Europäischen Union - allerdings bezüglich der Anwendung der Norm in Widerrufsverfahren - entschieden, dass frühere Verfolgungshandlungen dann zur Anwendung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG führen können, wenn eine Verknüpfung mit der ursprünglichen, zur Anerkennung führenden Verfolgungshandlung vorliegt (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a.- Abdulla -, a.a.O., RdNr. 96 ff.). Fordert man einen Kausalzusammenhang zwischen erlittener Verfolgungsmaßnahme und Flucht für die Anwendung von Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht, gelangt der Kläger gleichwohl nicht in den Genuss der dort festgeschriebenen Beweiserleichterung, da in diesem Fall stichhaltige Gründe gegen eine erneute Bedrohung von solcher Verfolgung sprechen.
40 
Der Kläger ist nach den von ihm geschilderten Vorfällen im Jahr 1997 und im Oktober 2005 in Sri Lanka verblieben. Armeeangehörige fragten zwar wiederholt nach ihm, entwickelten aber keine besonderen Bemühungen, seiner habhaft zu werden. Insbesondere gingen die Bemühungen nach seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nur von einzelnen Soldaten aus, da er - vor allem in seinem Geschäft - nicht mehr aufgesucht worden ist, als diese Soldaten versetzt worden sind, und die Nachfragen nach ihm erst 2007 wieder angefangen haben sollen, als diese Soldaten „wieder in seine Gegend gekommen“ sind. Andere Soldaten hätten ihn nicht identifizieren und erkennen können. Dafür spricht auch, dass der Kläger im Oktober 2007, als er wegen des fehlenden „police reports“, den er als aus dem Norden stammender Tamile in Colombo hätte vorweisen müssen, in Gewahrsam genommen worden ist, ohne dass die Sicherheitskräfte ein weitergehendes Interesse an ihm, insbesondere wegen der Vorkommnisse im Oktober 2005, gehabt hätten. Vielmehr ließen sie ihn gegen eine Schmiergeldzahlung seitens seiner Mutter frei und zwar - so der Kläger in der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - sogar in dem Wissen, dass er das Land verlassen wollte. Dies sind stichhaltige Gründe im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG, die zur Rückausnahme von der Beweiserleichterung führen, da trotz angenommener erlittener Verfolgung durch sri-lankische Behörden deren fehlendes Interesse an weiteren Verfolgungsmaßnahmen gegen den Kläger in einem - auch weit gefassten - Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen des Mordes an dem Juwelier im Oktober 2005 oder auch in einem anderen Zusammenhang belegt ist.
41 
cc) Zum Zeitpunkt seiner Ausreise war der Kläger auch keiner Gruppenverfolgung aufgrund seiner tamilischen Volkszugehörigkeit ausgesetzt. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zugutekommen.
42 
(1) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243, 249 RdNr. 20 ff. und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30, jeweils m.w.N.). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200, 204) - ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 a.a.O. RdNr. 20). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994, a.a.O.). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
43 
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237, RdNr. 15).
44 
Die dargelegten Maßstäbe für die Gruppenverfolgung beanspruchen auch nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG Gültigkeit. Das Konzept der Gruppenverfolgung stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Qualifikationsrichtlinie in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie definiert (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009, a.a.O., RdNr. 16).
45 
(2) Im Jahr 2007 unterlagen die Volkszugehörigen der Tamilen keiner Gruppenverfolgung. Dies gilt auch für die Untergruppe der im wehrfähigen Alter befindlichen Tamilen, der der Kläger angehört.
46 
(a) Die Lage in Sri Lanka stellte sich 2007 nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen wie folgt dar:
47 
In Sri Lanka lebten 2007 geschätzt 20,01 Millionen Menschen. Der Anteil der tamilischen Bevölkerung lag ungefähr bei 10 % (Fischer-Weltalmanach 2010, S. 474). Nach den Angaben des Ministeriums für Volkszählung und Statistik lebten 2006 im Großraum Colombo 2.251.274 Einwohner, davon waren 247.739 tamilische Volkszugehörige sri-lankischer Staatsangehörigkeit und 24.821 indische Tamilen (vgl. UK Home Office, Country of Origin Report Sri Lanka vom 15.11.2007, S. 122, Nr. 20.13).
48 
Die innenpolitische Lage Sri Lankas war von dem jahrzehntelangen ethnischen Konflikt zwischen Singhalesen und Tamilen bestimmt. Das Waffenstillstandsabkommen zwischen der Regierung der tamilischen Rebellenorganisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) aus dem Februar 2002 war von Präsident Rajapakse im Januar 2008 offiziell aufgekündigt worden, nachdem es von beiden Seiten seit langem nicht mehr eingehalten worden war. Bereits ab November 2005 war es zu einer drastischen Zunahme von Waffenstillstandsverletzungen durch die LTTE und die im Jahr zuvor von ihr abgespaltene, mit der Regierung kollaborierende Karuna-Gruppe unter „Oberst Karuna“ (Muralitharan Vinayagamurthi), einem ehemaligen Vertrauten des LTTE-Führers Prabahakaran, gekommen. Seit April 2006 hatte die Regierung versucht, die LTTE, die zu diesem Zeitpunkt noch den Norden und Osten des Landes kontrollierte, mit offensiven Maßnahmen zurückzudrängen. Ab Mitte 2006 war es dann zu großflächigen, längeren Kampfhandlungen gekommen. Unterstützt von den paramilitärischen Einheiten der Karuna-Gruppe, die sich als Vertretung der Ost-Tamilen verstand, konnten die Streitkräfte im Juli 2007 nach den vorhergehenden Rückzug der LTTE-Soldaten die letzten von der LTTE gehaltenen Stellungen im Osten Sri Lankas einnehmen (Lagebericht des AA vom 07.04.2009, Stand März 2009, S. 5).
49 
Eine systematische und direkte Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen wegen Rasse, Nationalität oder politischer Überzeugung von Seiten der Regierung fand seit dem Waffenstillstandsabkommen von 2002 nicht statt (Lageberichte des AA vom 26.06.2007, Stand Juni 2007, S. 6 und vom 05.02.2008, Stand Februar 2008, S. 7). Allerdings standen Tamilen im Generalverdacht, die LTTE zu unterstützen, und mussten mit staatlichen Repressionen rechnen. Sie wurden nicht allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit systematisch verfolgt. Sie sind aber - durch ihre tamilische Sprache und die entsprechenden Einträge in Ausweiskarten für die Sicherheitskräfte leicht identifizierbar - in eine Art Generalverdacht der Sicherheitskräfte geraten. Die ständigen Razzien, Pkw-Kontrollen und Verhaftungen bei Vorliegen schon geringster Verdachtsmomente richteten sich vor allem gegen Tamilen. Durch die Wiedereinführung des „Terrorism Prevention Act“ Ende 2006 - ein Notstandsgesetz, das Verhaftungen ohne Haftbefehl und eine Inhaftierung bis zu 18 Monaten erlaubt, wenn die Behörden insbesondere den Verdacht terroristischer Aktivitäten haben (vgl. SFH, Sri Lanka, Aktuelle Situation, Update vom 11.12.2008, S. 3) - war die richterliche Kontrolle solcher Verhaftungen kaum mehr gewährleistet. Wer verhaftet wurde, musste mit längerer Inhaftierung rechnen, ohne dass es zu weiteren Verfahrensschritten oder gar einer Anklageerhebung hat kommen müssen (Lagebericht des AA vom 05.02.2008, Stand Februar 2008, S. 8). So wurden am 30. und 31.12.2005 im Rahmen der von Militär und Polizei in Colombo durchgeführten Operation „Strangers Night III.“ 920 Personen, die weit überwiegende Mehrheit Tamilen, verhaftet (Human Rights Watch, Return to War - Human Rights under Siege - August 2007, S. 74).
50 
Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) hat in seiner Stellungnahme zum Bedarf an internationalem Schutz von Asylsuchenden aus Sri Lanka vom 01.02.2007, die eine Zusammenfassung und Teilübersetzung der „UNHCR Position on the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Sri Lanka (December 2006)“ enthält, unter anderem ausgeführt, dass von der sich dramatisch verschlechternden Menschenrechtslage im besonderem Maße Tamilen aus dem Norden und Osten des Landes betroffen seien. Aus der Stellungnahme ergibt sich, dass bei dem Verdacht, dass sie Verbindungen zur LTTE unterhalten, Menschenrechtsverletzungen durch die staatlichen Behörden oder mutmaßlich von der Regierung gestützte Paramilitärs drohten (S. 2). Für Tamilen aus Colombo bestand aufgrund der im April bzw. Dezember 2006 drastisch verschärften Sicherheitsbestimmungen ein erhöhtes Risiko, willkürlichen, missbräuchlichen Polizeimaßnahmen - insbesondere Sicherheitskontrollen, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Hausdurchsuchungen oder Leibesvisitationen - unterworfen zu werden. Tamilen aus Colombo waren darüber hinaus besonders gefährdet, Opfer von Entführungen, Verschleppungen oder Tötungen zu werden. Zwischen dem 20.08.2006 und dem 02.09.2006 waren Presseberichten zufolge mehr als 25 Tamilen entführt worden, nur zwei Personen waren bis zum Dezember 2006 wieder freigekommen (S. 2 f.). Diese Maßnahmen zur Bekämpfung der dauernden Bedrohung durch terroristische Attacken im Großraum Colombo waren teilweise für die gesamte tamilische Minderheit bedrohlich und stellten ihre Sicherheit in Frage. Extralegale Tötungen, die seit jeher Teil des Konflikts gewesen waren, wurden seit Dezember 2005 auch in signifikanter Zahl von Regierungsseite verübt. Viele Taten sind an gewöhnlichen Personen begangen worden, die kaum erkennbar in Verbindung zu dem Konflikt standen. Teilweise handelte es sich um Teile eines Musters, die LTTE anzugreifen, teilweise geschahen sie aus politischen Motiven. Sie konnten aber auch einen kriminellen Hintergrund haben (Asylsuchende aus Sri Lanka, Position der SFH vom 01.02.2007 S. 5).
51 
Die International Crisis Group hat in ihrem Bericht vom 14.06.2007 (Sri Lanka’s Human Rights Crisis, Asia Report N. 135) unter anderem festgehalten, dass die Anzahl der Verschwundenen in den letzten achtzehn Monaten nur schwerlich mit Sicherheit festzustellen sei. Verschiedene verlässliche Quellen berichteten von mehr als 1.500 Betroffenen, wobei das Schicksal von mindestens 1.000 Personen unklar gewesen sei. Die höchste Anzahl von Betroffenen sei in den von der Regierung kontrollierten Bereichen Jaffnas festzustellen gewesen. Dort seien 731 Fälle registriert worden, in 512 Fällen gebe es noch keine Aufklärung. Im Großraum Colombo sei es zu mehr als 70 berichteten Fällen von Entführungen und des Verschwindenlassens gekommen. Die meisten der Betroffenen seien junge tamilische Volkszugehörige gewesen, die der Zusammenarbeit mit der LTTE verdächtigt worden seien. Auch eine Vielzahl von Personen ohne Verbindung zur LTTE seien Opfer dieses Verschwindenlassens geworden.
52 
Human Rights Watch (HRW) geht in seinem Bericht aus dem August 2007 (Return to War - Human Rights under Siege - ) davon aus, dass Entführungen und Fälle des Verschwindenlassens seit August 2006 auch in Colombo zu einer weitverbreiteten Erscheinung geworden seien. Die Organisation gelangt auf der Grundlage von Gesprächen mit 26 Familien von verschwundenen Personen zu dieser Aussage (S. 53 f.). Landesweit geht HRW für den Zeitraum vom 14.09.2006 bis zum 25.02.2007 von 2.020 Fällen Entführter oder sonst verschwundener Personen aus. „Ungefähr 1.134 Personen“ seien lebend wieder aufgefunden worden, die anderen seien weiterhin vermisst (S. 7).
53 
Nach dem Country Report on Human Rights Practices zu Sri Lanka des U.S. Department of State 2007 vom 11.03.2008 waren extralegale Tötungen in Jaffna an der Tagesordnung. Zwischen dem 30.11.2007 und dem 02.12.2007 sind nach zwei Bombenangriffen der LTTE in und um Colombo beinahe 2.500 tamilische Volkszugehörige in der Hauptstadt und geschätzte 3.500 Tamilen im ganzen Land verhaftet worden. Die Inhaftierten, überwiegend männliche tamilische Zivilisten sollen allein aufgrund ihrer tamilischen Nachnamen verhaftet worden sein. Die überwiegende Mehrheit von ihnen wurde bald wieder freigelassen. Zum Jahreswechsel waren nur noch zwölf von 372 im Boosa detention camp Inhaftierten in Gewahrsam.
54 
(b) Aus diesen Erkenntnissen lässt sich selbst dann, wenn alle Angaben zutreffen sollten, zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers Ende November 2007 nicht auf eine Gruppenverfolgung der Gruppe der (jüngeren männlichen) Tamilen schließen. Ein staatliches Verfolgungsprogramm lässt sich nicht feststellen. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts wurde keine Volksgruppe gezielt allein wegen eines unveränderlichen Merkmals verfolgt. Die Anzahl der festzustellenden Übergriffe lässt nicht ohne weiteres auf die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit eines jeden Gruppenmitglieds schließen. Selbst wenn alle Übergriffe im Großraum Colombo zwischen November 2005 und Dezember 2007 dem sri-lankischen Staat zuzurechnen wären - tatsächlich sind dabei auch Übergriffe der LTTE und „rein kriminelle Übergriffe“ mit dem Ziel der Lösegelderpressung unter den registrierten Fällen - und alle Inhaftierungen - auch die von bloß kurzer Dauer von nicht mehr als drei Tagen - gezählt werden, ist das Verhältnis von 3.400 Verhaftungen zu mehr als 240.000 tamilischen Einwohnern angesichts des Zeitraums von zwei Jahren nicht geeignet, eine Regelvermutung der Gefährdung eines jeden Gruppenmitglieds zu rechtfertigen. Zieht man darüber hinaus in Betracht, dass 2.500 der Inhaftierten nach kurzer Zeit wieder freigelassen worden sind und damit keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 RL 2004/83/EG erdulden mussten, ergibt sich eine Betroffenheit von 0,3 % der gesamten tamilischen Bevölkerung. Dieser - für die Bewertung des Standards der Achtung der Menschenrechte insoweit gleichwohl hohe - Prozentsatz der Betroffenen innerhalb eines Zweijahreszeitraums führt nicht zum Schluss auf die erforderliche aktuelle Gefahr der Betroffenheit jedes Gruppenmitglieds.
55 
d) Der Kläger kann sich für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer derzeit bestehenden Gruppenverfolgung von Tamilen (oder der Untergruppe der im wehrfähigen Alter befindlichen Tamilen) berufen.
56 
aa) Die Lage in Sri Lanka - soweit sie für die Beurteilung des Schutzgesuchs des Klägers von Bedeutung ist - stellt sich im November 2010 nach den dem Senat vorliegenden Quellen und Erkenntnissen wie folgt dar:
57 
Am 19.05.2009 hat der sri-lankische Staatspräsident Mahinda Rajapakse in einer Parlamentsansprache den Sieg der Regierungstruppen über die tamilische Separatistenorganisation LTTE verkündet. Tags zuvor war nach den Angaben des Militärs bei einem der letzten Gefechte der LTTE-Anführer Velupillai Prabhakaran ums Leben gekommen, nachdem zuvor fast die gesamte militärische und politische Führung der LTTE umgekommen war. Der seit 1983 mit Unterbrechungen währende Bürgerkrieg war damit beendet (Lagebericht des AA vom 02.09.2009, Stand: August 2009, S. 6). Hunderttausende Menschen mussten während des Bürgerkriegs ihre Heimatorte im tamilischen Norden und Osten des Landes verlassen. Als Binnenvertriebene suchten sie Zuflucht in weniger gefährdeten Gebieten des Landes. Viele entschieden sich auch dafür, ins Ausland zu gehen. In der Ostprovinz konnten die Binnenvertriebenen inzwischen bis auf einige Ausnahmen in ihre Heimatgemeinden zurückkehren (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 8). Rund 300.000 Zivilpersonen waren in den letzten Monaten des Bürgerkriegs im von der LTTE gehaltenen, kontinuierlich schrumpfenden Gebiet eingeschlossen. Notgedrungen zogen sie mit den LTTE-Verbänden mit und waren in der zuletzt nur wenige Quadratkilometer ausmachenden Kampfzone im Nordwesten des Landes allen Schrecken dieser Kämpfe ausgesetzt. Nach deren Beendigung brachte sie die Armee in geschlossenen Lagern hauptsächlich in Vavuniya im nördlichen Vanni unter, zu denen nationale und internationale Hilfsorganisationen lange nur eingeschränkt Zugang hatten. Die Regierung begründete diese Lagerunterbringung mit der Notwendigkeit, sich unter den Binnenvertriebenen verbergende ehemalige LTTE-Kämpfer herauszufiltern, und der Unmöglichkeit, die Betroffenen in noch verminte Heimatorte zurückkehren zu lassen. Einigen wenigen wurde die Rücksiedlung im Juni 2009 gestattet. Im August 2009 begann dann sehr zögerlich ein Rücksiedlungsprozess, der im Oktober größeren Umfang annahm und sich ab Dezember wieder verlangsamte, da die Herkunftsorte der Verbliebenen (im Juni 2010 waren noch knapp 60.000 Personen in Lagern untergebracht) noch erheblich zerstört und vermint sind. Einem gesonderten Regime unterliegen die geschlossenen, so genannten „Rehabilitationslager“, in denen rund 8.000 ehemalige LTTE-Kämpfer (bzw. Personen, die insoweit verdächtigt werden) untergebracht sind. Zu diesen Lagern haben weder das IKRK noch Hilfsorganisationen Zugang. Die Antiterrorgesetze von 1979 (Prevention of Terrorism Act) haben weiter Bestand. Die umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen insbesondere in Colombo, einschließlich der zahlreichen Kontrollpunkte von Polizei und Militär, werden aufrecht erhalten (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 9 f.).
58 
Zu den Insassen der „Rehabilitationslager“ hat Human Rights Watch festgestellt, dass zwar die meisten der Verdächtigten in den letzten Wochen der Kampfhandlungen und in der Zeit unmittelbar danach inhaftiert worden seien, dass aber auch neue Inhaftierungen, nämlich im Oktober 2009, erfolgt seien (Human Rights Watch, Legal Limbo - The Uncertain Fate of Detained LTTE Suspects in Sri Lanka, Februar 2010, S. 6).
59 
In unterschiedlichen Bereichen kommt es zu staatlichen repressiven Maßnahmen, die Anzeichen für eine systematische Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Nationalität, Religion oder politischer Überzeugung aufweisen. Davon sind nicht nur Tamilen betroffen, sondern auch regierungskritische Singhalesen. So werden oppositionelle Parlamentsabgeordnete, die der Regierung gefährlich werden können, unter fadenscheinigen Vorwürfen verhört, verhaftet oder bedroht. Der Generalverdacht, dass jeder Tamile ein Anhänger, Unterstützer oder gar Mitglied der LTTE war und ist, wird im singhalesischen Teil der Gesellschaft von vielen geteilt, insbesondere bei den staatlichen Sicherheitskräften (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 10 f. ).
60 
Für eine systematische Verfolgung von Tamilen allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit gibt es keine Anhaltspunkte, sie müssen aber - durch ihre tamilische Sprache und die entsprechenden Einträge in Ausweiskarten für die Sicherheitskräfte leicht identifizierbar - jederzeit mit staatlichen Repressionen rechnen. Die ständigen Razzien und Hausdurchsuchungen, schikanösen Behandlungen (Beleidigungen, langes Warten, exzessive Kontrolle von Fahrzeugen, Erpressung von Geldbeträgen) bei den zahlreichen Polizeikontrollen im Straßenverkehr und Verhaftungen richten sich vor allem gegen Tamilen, wobei aus dem Norden und Osten stammende Tamilen darunter noch in höherem Maße zu leiden haben. Durch Anwendung des Prevention of Terrorism Act ist die richterliche Kontrolle solcher Verhaftungen kaum mehr gewährleistet. Wer verhaftet wird, muss mit längerer Inhaftierung rechnen, ohne dass es zu weiteren Verfahrensschritten oder einer Anklageerhebung kommen muss. Die Situation hat sich seit Beendigung der Kampfhandlungen nicht verbessert (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 11).
61 
Ein Asylantrag im Ausland, der von vielen in Sri Lanka als legitimer Versuch angesehen wird, sich einen Aufenthaltsstatus zu verschaffen, begründet in aller Regel noch keinen Verdacht, der LTTE nahe zu stehen. Rückkehrer, die aus den nördlichen oder östlichen Landesteilen stammen und sich nun erstmals in Sri Lanka niederlassen wollen, müssen indes einen Anfangsverdacht und entsprechendes Misstrauen bis zu Schikanen durch die Sicherheitsorgane gegenwärtigen. Mindestens ebenso stark steht unter Verdacht, wer bereits früher als Anhänger der LTTE auffällig geworden war. Das Ende der Kampfhandlungen hat diesbezüglich nicht zu einer Entspannung geführt. Am 26.05.2010 wurde am Flughafen Colombo bei der Einreise eine in Deutschland ansässige Sri-Lankerin unter dem Verdacht der LTTE-Unterstützung festgenommen, die nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in Deutschland für die LTTE Gelder eingesammelt und im Frühjahr letzten Jahres Demonstrationen organisiert haben soll. Belastbaren Berichten anderer Botschaften zufolge gibt es Einzelfälle, in denen zurückgeführte Tamilen nach Ankunft in Colombo unter LTTE-Verdacht festgenommen wurden (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 24).
62 
Aus dem „Report of Information Gathering Visit to Colombo, Sri Lanka, 23. bis 29. August 2009“ vom 22.10.2009 des „U.K. Foreign and Commonwealth Office Migration Directorate“ (FCO), für den sowohl staatliche sri-lankische Stellen als auch Nichtregierungsorganisationen befragt wurden, ergibt sich, dass unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit nicht freiwillig nach Sri Lanka zurückkehrende Personen dem Criminal Investigation Department zur Feststellung der Staatsangehörigkeit und Kontrolle des Vorstrafenregisters überstellt werden. Die Befragung kann mehr als 24 Stunden dauern. Die Betroffenen werden erkennungsdienstlich behandelt. Abhängig vom Einzelfall ist eine Überstellung an den Geheimdienst (State Intelligence Service) oder das Terrorist Investigation Department zum Zwecke der Befragung denkbar. Jeder, der wegen eines Vergehens gesucht wird, muss mit seiner Verhaftung rechnen. Vorbestrafte oder Personen mit Verbindungen zur LTTE werden weitergehend befragt und gegebenenfalls in Gewahrsam genommen. Laut Nichtregierungsorganisationen würden Tamilen aus dem Norden und Osten des Landes einer genaueren Überprüfung als andere unterzogen. Verschiedene Faktoren, nämlich ein offener Haftbefehl, Vorstrafen, Verbindungen zur LTTE, eine illegale Ausreise, Verbindungen zu Medien oder Nichtregierungsorganisationen und das Fehlen eines Ausweises (ID Card) oder anderer Personaldokumente, erhöhten das Risiko, Schwierigkeiten bei der Einreise zu bekommen, einschließlich einer möglichen Ingewahrsamnahme (S. 5). Hingegen konnte keine der befragte Quellen angeben, dass sichtbare Narben einen Einfluss auf die Behandlung bei der Einreise haben könnten. Im Falle, dass der Verdacht einer Verbindung zur LTTE bestünde, könnten solche Narben Anlass zu einer Befragung sein, jedoch würden diesbezüglich keine körperlichen Untersuchungen durchgeführt (S. 16).
63 
Überwiegend hätten die Befragten angegeben, dass die Anzahl der Razzien (cordon and search operations) in den letzten Monaten nicht zurückgegangen sei. Es gebe keine Informationen zu der Anzahl möglicher Festnahmen. Grundsätzlich seien junge männliche Tamilen, die aus dem Norden oder Osten des Landes stammten, im Zuge von Razzien einem besonderen Festnahmerisiko ausgesetzt. Die bereits genannten Faktoren erhöhten das Risiko. Tamilen ohne Beschäftigung oder „legitimen Aufenthaltsgrund“ würden ebenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit als verdächtig angesehen (S. 5).
64 
Nach ganz überwiegender Meinung der Befragten hat es - wenn überhaupt - seit Juni 2009 nur noch sehr wenige Entführungen / Fälle des Verschwindenlassens gegeben. Die Entführungen erfolgten demzufolge sowohl zur Lösegelderpressung als auch aus politischen Gründen. Die Nichtregierungsquellen stimmten weitgehend darin überein, dass die Sicherheitskräfte in den meisten Fällen in gewisser Weise beteiligt seien und die Polizei keine ernsthaften Ermittlungen durchführe (S. 5 f.). Bei den Straßenkontrollen im Großraum Colombo, die nach Angabe der meisten Befragten nicht nennenswert reduziert worden seien, würde es nur sehr selten zu Festnahmen kommen. Seit Juni 2009 seien keine bekannt geworden.
65 
bb) Der Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 16.06.2010 und der (ältere) Bericht des U.K. Foreign and Commonwealth Office Migration Directorate ergänzen sich. Jedenfalls die hier zitierten allgemeinen Feststellungen (S. 5 f.), die auf mindestens weit überwiegend übereinstimmenden Angaben der Befragten beruhen, sind geeignet, die insoweit knapper gehaltenen Aussagen der Lageberichte zu den Gefährdungen von Tamilen zu illustrieren. Eine Gruppenverfolgung der Gruppe der (jüngeren männlichen) Tamilen (im wehrfähigen Alter) lässt sich auf der Basis der wiedergegebenen Erkenntnisse nicht feststellen. Insbesondere angesichts des Umstands, dass Verhaftungen bei Razzien ebenso selten geworden sind wie an Straßenkontrollpunkten und Fälle des Verschwindenlassens ebenfalls kaum mehr vorkommen, lässt sich eine generelle staatliche oder staatlich tolerierte Verfolgung der Gruppe der Tamilen nicht feststellen. Anderes lässt sich auch nicht aus dem Fortbestehen der „rehabilitation camps“ schließen. Denn jedenfalls gibt es keine Hinweise darauf, dass nach deren Begründung noch Personen in einer für die Annahme einer Gruppenverfolgung aller - jedenfalls der im wehrfähigen Alter befindlichen - Tamilen relevanten Größenordnung in diese Lager verbracht worden sind. Aus dem vom Kläger zitierten Bericht von Human Rights Watch, Legal Limbo, The Uncertain Fate of Detained LTTE Suspects in Sri Lanka, ergibt sich unter Bezugnahme auf den „Indian Express“ vom 28. Oktober 2009, dass mindestens 300 LTTE Kader, die sich unter den Binnenvertriebenen versteckt hätten, verhaftet worden seien. Damit ist weder ein Bezug zu der Gruppe aller Tamilen oder jedenfalls derjenigen im wehrfähigen Alter aufgezeigt noch ergibt sich aus den berichteten Vorkommnissen, dass diese bis zum Tag der mündlichen Verhandlung gleichsam an der Tagesordnung gewesen wären.
66 
Die Einlassung des Klägers, aus dem zitierten Bericht von Human Rights Watch ergebe sich eine Zunahme der Fälle des Verschwindenlassens, vermag stichhaltige Indizien für eine Gruppenverfolgung aller (wehrfähigen) Tamilen nicht darzutun. Den dortigen Ausführungen im Unterkapitel „Concerns about Possible Enforced Disappearances“ sind vielmehr zunächst zwei Einzelfälle des Verschwindens nach Ende des Bürgerkriegs zu entnehmen. Darüber hinaus wird über eine Internierung von Dutzenden von Personen aus dem Lager „Menik Farm“ berichtet. Es wird weiter geschildert, dass das Schicksal der internierten Personen häufig - bis zum Tag des Berichts - unklar geblieben sei. Daraus lässt sich ein erhöhtes Risiko für solche Personen ableiten, die aus Sicht der Behörden im Verdacht stehen, mit der LTTE zusammengearbeitet haben, nicht jedoch eine Gruppenverfolgung aller (jungen männlichen) Tamilen. Der gegen alle Tamilen gerichtete so genannte „Generalverdacht“ führt offenkundig für sich genommen noch nicht regelmäßig zu Übergriffen der Sicherheitsbehörden. Vielmehr kommt es auf individuell gefahrerhöhende Umstände an, bei deren Vorliegen im Einzelfall eine begründete Furcht vor Verfolgung anzunehmen sein kann.
67 
Auch aus dem vom Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegten Gutachten des European Center for Constitutional and Human Rights „Study on Criminal Accoutability in Sri Lanka as of January 2009“ aus dem Juni 2010 lässt sich die von ihm behauptete Gruppenverfolgung nicht ableiten. Dem Bericht lässt sich entnehmen, dass die Anzahl der in den „welfare centers“ in Gewahrsam gehaltenen Personen von 280.000 (zwischen März 2008 und Juni 2009) bis in den Januar 2010 auf rund 80.000 abgenommen hat. Dem Bericht, der sich mit den Zuständen in den Lagern beschäftigt, ist nicht zu entnehmen, dass sri-lankische Staatsangehörige nach ihrer Wiedereinreise dazu gezwungen worden wären, in solchen Lagern zu leben. Weiter beschäftigt sich das Gutachten unter Zitierung des bereits erwähnten Berichts von Human Rights Watch aus dem Februar 2010 mit der Behandlung von der LTTE-Mitgliedschaft Verdächtigten. Auch diesen Ausführungen ist nichts zu einer anhaltenden Verhaftungswelle - wie sie für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendig wäre - nach Beendigung des Bürgerkriegs und in den folgenden Monaten im Jahr 2009 zu entnehmen.
68 
Schließlich führt insoweit der Verweis des Klägers auf die Lageeinschätzung der International Crisis Group vom 17.02.2010, die sein Prozessbevollmächtigter im „Parallelverfahren“ (A 4 S 693/10) vorgelegt hat, nicht zum Erfolg seiner Klage. Dem Bericht ist zwar zu entnehmen, dass das Vorgehen der Regierung im Norden und Osten des Landes zur Verängstigung und Entfremdung der Minderheiten führe. Das aus dieser Behandlung aber ein systematisches Ausgrenzen der tamilischen Minderheit aus der staatlichen, übergreifenden Friedensordnung im Sinne einer Entrechtung abzuleiten wäre, ergibt sich weder aus diesem Bericht noch aus der Gesamtschau. Ebenso wenig lässt sich ein staatliches Verfolgungsprogramm hinsichtlich aller Tamilen oder auch nur der im wehrfähigen Alter befindlichen Gruppenmitglieder feststellen. Anderes kann möglicherweise für die im Zuge der Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen unmittelbar in den rehabilitation camps Inhaftierten oder die aus den Flüchtlingslagern „herausgefilterten“, in rehabilitation camps verbrachten Personen gelten. Jedoch ist ein solches systematisches Vorgehen gegenüber etwa in Colombo lebenden Tamilen nicht feststellbar.
69 
Die rechtliche Einschätzung zur fehlenden begründeten Furcht vor einer Gruppenverfolgung entspricht auch der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteile vom 08.07.2009 - 3 A 3295/07.A - und vom 24.08.2010 - 3 A 864/09.A -) und - der Sache nach - des UK Asylum and Immigration Tribunal (TK (Tamils - LP updated) Sri Lanka CG [2009]UKAIT 00049 RdNr. 73).
70 
e) Der Kläger kann sich auch nicht aus individuellen Gründen auf eine begründete Furcht vor Verfolgung berufen.
71 
aa) Eine Gefahr der - auch längeren, gerichtlich nicht kontrollierten - Inhaftierung bei der Rückkehr - insbesondere bei der Einreise über den Flughafen in Colombo - besteht, wenn die zurückkehrende Person bei den Sicherheitskräften in den Verdacht gerät, der LTTE anzugehören oder ihr nahe zu stehen (SFH, Asylsuchende aus Sri Lanka, vom 08.12.2009, S. 1 f.). Dieser Standpunkt wird unter anderem auch vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 08.07.2009 - 3 A 3295/07.A -), dem UK Asylum and Immigration Tribunal (TK (Tamils - LP updated) Sri Lanka CG [2009]UKAIT 00049 RdNr. 134) und der Refugee Status Appeals Authority New Zealand (Refugee Appeal No 76502, 76503, 76504, Entscheidung vom 29.06.2010 RdNr. 84) geteilt. Risikoerhöhend für eine Festnahme ist - natürlich - ein offener Haftbefehl. Hier kann auch eine Flucht nach Aussetzung der Haft auf der Grundlage einer Kautionszahlung von Relevanz sein, da dies zu einer Registrierung in den diversen Fahndungssystemen führen dürfte. Weiter sind Vorstrafen und Verbindungen zu Medien und Nichtregierungsorganisationen individuell gefahrerhöhend. Andere Umstände lassen sich abstrakt nicht als gefahrerhöhend feststellen. Insbesondere führt eine Asylantragstellung im Ausland nicht für sich allein zu einer solchen Gefahrerhöhung (vgl. Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010 ,S. 24 und FCO-Bericht vom 22.10.2009 S. 17).
72 
Trotz des vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 16.06.2010 weiterhin beschriebenen Generalverdachts der LTTE-Zugehörigkeit, dem alle Tamilen unterfallen, und der gegenüber Tamilen angespannten Lage, wie sie sich in den schweren Menschenrechtsverletzungen zum Ende des Bürgerkriegs, in der Internierung der Binnenvertriebenen und in der Inhaftierung einer Vielzahl von der Zusammenarbeit mit der LTTE mehr oder minder verdächtigen Personen ohne gerichtliche Kontrolle und ohne Zugang zu Hilfsorganisationen zeigt, lässt sich für den Kläger ein Risiko der Festnahme im Fall seiner Rückkehr aufgrund seiner Volkszugehörigkeit oder aufgrund einer vermuteten Nähe zur LTTE aufgrund seiner Angaben im Verwaltungsverfahren und vor dem Senat nicht feststellen. So spricht im Fall des Klägers nichts dafür, dass seine Inhaftierung im Jahr 2005 registriert worden und für die sri-lankische Armee und Verwaltung noch von Interesse sein könnte. Er selbst hat angegeben, dass andere als die Soldaten, die ihn damals festgenommen hätten, ihn nicht hätten erkennen bzw. identifizieren können. Auch war die Inhaftierung für die Polizei am 22.10.2007, als sie den Kläger mangels „police report“ und gültiger Identitätskarte festhielt, nicht von Interesse. Sie hat ihn sogar freigelassen, obwohl er angekündigt hat, ins Ausland zu wollen. Diese Umstände sprechen eindeutig dafür, dass ein Interesse der sri-lankischen Sicherheitsbehörden am Kläger wegen einer vermutetem Zusammenarbeit mit der LTTE nicht bestand und über ihn in dieser Hinsicht keine Eintragungen vorhanden sind. Er ist im Oktober 2007 auch nicht etwa aufgrund einer Kautionszahlung freigekommen, was für ihn nunmehr gefahrerhöhend wäre. Vielmehr hat er vor dem Senat - ohne Nachfrage - von sich aus (glaubhaft) angegeben, dass seine Mutter ein Schmiergeld entrichtet habe.
73 
Nach alledem lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Er ist kein Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylVfG.
II.
74 
Die Anschlussberufung der Beklagten erweist sich als unzulässig, so dass sie zu verwerfen ist (§ 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
75 
Sie ist erst am 27.09.2010 und damit nach Ablauf der Monatsfrist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO eingelegt und begründet worden. Nach dieser Vorschrift ist die Anschließung an die Berufung bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zulässig. Die Frist hat mit Zustellung der Begründung der Berufung (Schriftsatz des Klägers vom 05.05.2010) an die Beklagte am 10.05.2010 zu laufen begonnen und endete danach mit Ablauf des 10.06.2010. Die Zustellung (auch) des Schriftsatzes des Klägers vom 14.04.2010 war entgegen der Auffassung der Beklagten nicht erforderlich, um die Frist in Lauf zu setzen.
76 
Die Bestimmung des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO und mit ihr der Begriff der Berufungsbegründungsschrift sind mit Art. 1 Nr. 16 des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20.12.2001 (BGBl. I S. 3987) in die Verwaltungsgerichtsordnung eingefügt worden. Damit nimmt die Regelung inhaltlich - ohne dass es eine Legaldefinition gäbe - auf § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO Bezug. Dort ist bestimmt, dass die Begründung der Berufung einen bestimmten Antrag sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten muss. Es wird - anders als in § 127 Abs. 3 Satz 1 VwGO für die Anschlussberufung - jedoch nicht bestimmt, dass die Begründung der Berufung in einem Schriftsatz erfolgen müsste.
77 
Für den Fall, dass die Berufungsgründe in mehreren Schriftsätzen enthalten sind - wie hier der Antrag in Schriftsatz vom 14.04.2010 und die Begründung erst im Schriftsatz vom 05.05.2010 -, kommt es auf die Zustellung des ersten innerhalb der Frist des § 124a Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 6 Satz 1 VwGO bzw. innerhalb der nach § 124a Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 Satz 3 VwGO verlängerten Frist eingereichten Begründungsschriftsatzes an, mit dessen Eingang bei Gericht die Voraussetzungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO (vollständig) erfüllt werden (Mayer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 127 VwGO RdNr. 7d). Es reicht für das Auslösen der Frist für die Einlegung und Begründung der Anschlussberufung aus, wenn nur dieser Schriftsatz dem Berufungsbeklagten zugestellt wird. Die anderen, zuvor bereits bei Gericht eingegangen Schriftsätze - als weitere Teile der Berufungsbegründungsschrift - müssen nicht zugestellt werden.
78 
Zweck der Anschlussberufung ist es nämlich, eine Waffengleichheit zwischen den Beteiligten im Berufungsverfahren herzustellen. Sie erlaubt dem Berufungsbeklagten, eine eigene Berufung auch dann noch einzulegen, wenn die Hauptberufung erst kurz vor Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist eingelegt wird. Das Berufungsgericht kann dann auch zum Nachteil des Berufungsklägers entscheiden, was dem Grundsatz der Billigkeit entspricht (Blanke, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. § 127 RdNr. 2). Die Anschlussberufung dient auch der Prozessökonomie, da sich der Beteiligte nicht im Hinblick auf eventuelle Rechtsmittel des Prozessgegners genötigt sehen muss, vorsorglich Berufung einzulegen (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. § 127 RdNr. 1). Sieht nämlich ein Beteiligter ungeachtet der ihm von der erstinstanzlichen Entscheidung auferlegten Beschwer zunächst in der Hoffnung darauf, dass ein Rechtsmittel von einem anderen Beteiligten nicht eingelegt werde, von einer Berufung oder von einem Antrag auf Zulassung der Berufung ab und wird er in dieser Hoffnung enttäuscht, soll ihm die Anschlussberufung die Gelegenheit geben, die Entscheidung auch zu seinen Gunsten überprüfen zu lassen.
79 
Sobald der Umfang der und die Gründe für die Berufung dem Berufungsbeklagten bekannt sind, kann dieser entscheiden, ob - und ggf. in welchem Umfang - er sich selbst gegen sein Teilunterliegen in erster Instanz zur Wehr setzen will. Die Einlegungsfrist für die Anschlussberufung wird mit der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift ausgelöst. Es besteht keine Notwendigkeit dafür, in selbstständigen Schriftsätzen enthaltene Teile der Begründung vorab ebenfalls zuzustellen. Mit der Zustellung soll die Frist in Lauf gesetzt werden (vgl. auch die allgemeine Regelung in § 56 Abs. 1 VwGO). Würden bei einer in verschiedene Schriftsätze „aufgeteilten“ Berufungsbegründungsschrift die verschiedenen Teile - hier also zunächst der „Antragsschriftsatz“ und nachfolgend der die Berufungsgründe im materiellen Sinne enthaltende „Begründungsschriftsatz“ - jeweils zugestellt, führte dies zu einer erheblichen Unsicherheit hinsichtlich des tatsächlichen Fristbeginns, ohne dass damit ein inhaltlicher Gewinn verbunden wäre. Eine Zustellung des bereits übersandten und dem Gegner somit bekannten Teils der Berufungsbegründung vermag ebenfalls keinen solchen Gewinn zu erbringen. Sinn der Zustellung ist nur, den Beteiligten Sicherheit über den Lauf der Einlegungs- und Begründungsfrist für die Anschlussberufung zu verschaffen. Nur dann, wenn ein Teil der Berufungsbegründung dem Berufungsbeklagten gar nicht übermittelt worden sein sollte - was hier nicht der Fall ist -, könnte die Zustellung nur eines Teils der Begründungsschrift die Frist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht auslösen.
80 
Dem Beginn des Laufs der Anschließungsfrist am 10.05.2010 steht die Bestimmung des § 58 Abs. 1 VwGO nicht entgegen. Danach beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Die - unselbstständige - Anschlussberufung ist jedoch kein Rechtsmittel im Sinne von § 58 Abs. 1 VwGO. Sie räumt dem Berufungsbeklagten nur die Möglichkeit ein, innerhalb der Berufung des Prozessgegners angriffsweise Anträge zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 23.05.1957 - II ZR 250/55 -, BGHZ 24, 279; BAG, Urteile vom 14.05.1976 - 2 AZR 539/75 -, BAGE 28, 107 und vom 20.02.1997 - 8 AZR 15/96 -, BAGE 85, 178), und ist vom Fortbestand des (Haupt-)Rechtsmittels und damit vom Willen des Berufungsklägers abhängig. Über sie muss nicht belehrt werden (vgl. zur Anschlussrevision: Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl., § 141 RdNr. 12; aA. Seibert, NVwZ 2002, 265, 268; unklar: Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/v. Albedyll, VwGO, 4. Aufl., § 127 RdNr. 23).
81 
Die Kostenentscheidung beruht § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83b AsylVfG.
82 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Gründe

 
21 
Die durch den Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist - soweit sie nicht zurückgenommen worden ist - unbegründet (I.). Die Anschlussberufung der Beklagten ist unzulässig (II.).
I.
22 
Die Berufung des Klägers ist teilweise zurückgenommen worden und im Übrigen nicht begründet.
23 
1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist (nur noch) der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person hinsichtlich des Staats Sri Lanka und damit der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.02.2010 - 10 C 7.09 -, NVwZ 2010, 974 RdNr. 12). Zugelassen hatte der Senat die Berufung allerdings auch hinsichtlich der erstinstanzlich begehrten und mit dem Berufungszulassungsantrag zunächst weiterverfolgten Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG. Der Kläger hat dieses Begehren jedoch - bestätigt durch die Erklärung seines Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - bereits mit der Stellung des Berufungsantrags (Schriftsatz vom 14.04.2010), der sich allein auf § 60 Abs. 1 AufenthG bezieht, nicht mehr weiterverfolgt. Darin ist eine teilweise Berufungsrücknahme zu sehen mit der Folge, dass insoweit die Einstellung des Berufungsverfahrens auszusprechen ist (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 1 und 3 VwGO).
24 
2. Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht entschieden hat, kommt dem Kläger kein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person hinsichtlich Sri Lankas und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
25 
a) Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen.
26 
b) Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12) - RL 2004/83/EG - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
27 
Nach Art. 2 Buchstabe c) RL 2004/83/EG ist Flüchtling unter anderem derjenige Drittstaatsangehörige, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
28 
c) Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird, Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG. Auf den Kläger findet diese Beweiserleichterung keine Anwendung. Er ist schon nicht im Sinne der Vorschrift verfolgt worden. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
29 
aa) Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 -, BVerfGE 54, 341, 360 f.; BVerwG, Urteil vom 31.03.981 - 9 C 237.80 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97, 101 ff.), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (BVerwG, Urteil vom 27.04.1982 - 9 C 308.81 -, BVerwGE 65, 250, 252). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997, a.a.O. S. 99).
30 
Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL 2004/83/EG erlitten hat (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, Juris RdNr. 22; vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505 RdNr. 84 ff.). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchstabe e) RL 2004/83/EG enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, NVwZ 2008, 1330, RdNr. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 18.04.1996 - 9 C 77.95 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4 und Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, ZAR 2008, 192).
31 
Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, a.a.O., RdNr. 92 ff). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, a.a.O., RdNr. 128 -). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, InfAuslR 2010, 410 RdNr. 23).
32 
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Buchstabe a)) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschrieben Weise betroffen ist (Buchstabe b)).
33 
bb) Die Einlassungen des Klägers lassen keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG erkennen.
34 
(1) Dies gilt zunächst hinsichtlich der Behauptungen zu den unmittelbar vor seiner Ausreise liegenden Geschehnissen im Oktober 2007.
35 
Er will nach eigenen Angaben mit Gefängnis bedroht worden sein, nachdem er bei einer Razzia im Oktober 2007 in Colombo aufgegriffen worden sei. Er will vier bis fünf Stunden festgehalten und dann nach einer Schmiergeldzahlung seiner Mutter freigelassen worden sein. Da er entgegen den gesetzlichen Bestimmungen nicht gemeldet gewesen sei, habe er einer wöchentlichen Meldepflicht nachkommen müssen. Er habe seine Ausreise angekündigt, ohne dass dies zu weiteren Maßnahmen der Polizei geführt habe.
36 
Weder die kurzzeitige Inhaftierung des Klägers, mag sie möglicherweise auch allein aufgrund seiner Volkszugehörigkeit und damit diskriminierend (Art. 9 Abs. 2 Buchstabe b) RL 2004/83/EG) erfolgt sein, noch die Drohung mit weiterer Inhaftierung noch die polizeiliche Meldeauflage erreichen jedoch für sich oder kumuliert ein Maß, das einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung gleichkäme. Daher kann die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers dahinstehen.
37 
(2) Die Gründe, die der Kläger gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als - unmittelbares - Motiv für seine Ausreise angegeben hat, sind ebenfalls nicht geeignet, eine erlittene Verfolgung oder eine ernsthafte Bedrohung mit Verfolgung darzutun. Er hat dort angegeben, dass die Tötung seines besten Freundes im August 2007 Anlass für die Ausreise gewesen sei. Dieser sei von Unbekannten erschossen worden. Sein Vater habe bereits 2006, als ein anderer Freund bei der Explosion einer Bombe ums Leben gekommen sei, jemanden beauftragt, einen Pass zu besorgen. Beide Anlässe können unter dem Gesichtspunkt des § 60 Abs. 7 Satz 1 oder 2 AufenthG relevant sein, mangels erkennbarer Zielgerichtetheit aber nicht bei der Prüfung des § 60 Abs. 1 AufenthG.
38 
(3) Die vom Kläger geschilderten Ereignisse aus den Jahren 1997 und 2005 - ihre Wahrheit unterstellt - sind ebenfalls nicht geeignet, den Tatbestand des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG zu erfüllen. Dies gilt schon deswegen, weil sie für den Kläger nicht fluchtauslösend gewesen sind. In der Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG bzw. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. und zu § 51 Abs. 1 AuslG 1990 war anerkannt, dass für die dem Vorverfolgten zu gewährende Nachweiserleichterung - im Bereich des Asyls durch die Anwendung des Maßstabs der herabgestuften Wahrscheinlichkeit - dann die innere Rechtfertigung nicht mehr vorliegt, wenn der Asylbewerber den Heimatstaat aus Gründen verlassen hat, auf die die früher bestehende Verfolgungssituation ohne Einfluss gewesen ist (BVerwG, Urteil vom 26.03.1985 - 9 C 107.84 -, BVerwGE 71, 175). § 60 Abs. 1 AufenthG wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.04.2009 - 3 A 627/07.A -, Juris; OVG Niedersachsen, Urteil vom 18.07.2006 - 11 LB 75/06 -, Juris) und in der Literatur (Hailbronner, AuslR, § 60 AufenthG RdNr. 31 ff.; Treiber, in: GK-AufenthG, § 60 AufenthG, RdNr. 120) zutreffend ebenso ausgelegt, da der Zufluchtgedanke auch die Genfer Flüchtlingskonvention beherrscht. Diese wiederum gelangt über § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und die wiederholten Bezugnahmen in der Richtlinie 2004/83/EG zur Anwendung.
39 
Allerdings zwingt der Wortlaut des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zu dieser Auslegung. So hat der Gerichtshof der Europäischen Union - allerdings bezüglich der Anwendung der Norm in Widerrufsverfahren - entschieden, dass frühere Verfolgungshandlungen dann zur Anwendung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG führen können, wenn eine Verknüpfung mit der ursprünglichen, zur Anerkennung führenden Verfolgungshandlung vorliegt (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a.- Abdulla -, a.a.O., RdNr. 96 ff.). Fordert man einen Kausalzusammenhang zwischen erlittener Verfolgungsmaßnahme und Flucht für die Anwendung von Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht, gelangt der Kläger gleichwohl nicht in den Genuss der dort festgeschriebenen Beweiserleichterung, da in diesem Fall stichhaltige Gründe gegen eine erneute Bedrohung von solcher Verfolgung sprechen.
40 
Der Kläger ist nach den von ihm geschilderten Vorfällen im Jahr 1997 und im Oktober 2005 in Sri Lanka verblieben. Armeeangehörige fragten zwar wiederholt nach ihm, entwickelten aber keine besonderen Bemühungen, seiner habhaft zu werden. Insbesondere gingen die Bemühungen nach seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nur von einzelnen Soldaten aus, da er - vor allem in seinem Geschäft - nicht mehr aufgesucht worden ist, als diese Soldaten versetzt worden sind, und die Nachfragen nach ihm erst 2007 wieder angefangen haben sollen, als diese Soldaten „wieder in seine Gegend gekommen“ sind. Andere Soldaten hätten ihn nicht identifizieren und erkennen können. Dafür spricht auch, dass der Kläger im Oktober 2007, als er wegen des fehlenden „police reports“, den er als aus dem Norden stammender Tamile in Colombo hätte vorweisen müssen, in Gewahrsam genommen worden ist, ohne dass die Sicherheitskräfte ein weitergehendes Interesse an ihm, insbesondere wegen der Vorkommnisse im Oktober 2005, gehabt hätten. Vielmehr ließen sie ihn gegen eine Schmiergeldzahlung seitens seiner Mutter frei und zwar - so der Kläger in der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - sogar in dem Wissen, dass er das Land verlassen wollte. Dies sind stichhaltige Gründe im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG, die zur Rückausnahme von der Beweiserleichterung führen, da trotz angenommener erlittener Verfolgung durch sri-lankische Behörden deren fehlendes Interesse an weiteren Verfolgungsmaßnahmen gegen den Kläger in einem - auch weit gefassten - Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen des Mordes an dem Juwelier im Oktober 2005 oder auch in einem anderen Zusammenhang belegt ist.
41 
cc) Zum Zeitpunkt seiner Ausreise war der Kläger auch keiner Gruppenverfolgung aufgrund seiner tamilischen Volkszugehörigkeit ausgesetzt. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zugutekommen.
42 
(1) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243, 249 RdNr. 20 ff. und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30, jeweils m.w.N.). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200, 204) - ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 a.a.O. RdNr. 20). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994, a.a.O.). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
43 
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237, RdNr. 15).
44 
Die dargelegten Maßstäbe für die Gruppenverfolgung beanspruchen auch nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG Gültigkeit. Das Konzept der Gruppenverfolgung stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Qualifikationsrichtlinie in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie definiert (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009, a.a.O., RdNr. 16).
45 
(2) Im Jahr 2007 unterlagen die Volkszugehörigen der Tamilen keiner Gruppenverfolgung. Dies gilt auch für die Untergruppe der im wehrfähigen Alter befindlichen Tamilen, der der Kläger angehört.
46 
(a) Die Lage in Sri Lanka stellte sich 2007 nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen wie folgt dar:
47 
In Sri Lanka lebten 2007 geschätzt 20,01 Millionen Menschen. Der Anteil der tamilischen Bevölkerung lag ungefähr bei 10 % (Fischer-Weltalmanach 2010, S. 474). Nach den Angaben des Ministeriums für Volkszählung und Statistik lebten 2006 im Großraum Colombo 2.251.274 Einwohner, davon waren 247.739 tamilische Volkszugehörige sri-lankischer Staatsangehörigkeit und 24.821 indische Tamilen (vgl. UK Home Office, Country of Origin Report Sri Lanka vom 15.11.2007, S. 122, Nr. 20.13).
48 
Die innenpolitische Lage Sri Lankas war von dem jahrzehntelangen ethnischen Konflikt zwischen Singhalesen und Tamilen bestimmt. Das Waffenstillstandsabkommen zwischen der Regierung der tamilischen Rebellenorganisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) aus dem Februar 2002 war von Präsident Rajapakse im Januar 2008 offiziell aufgekündigt worden, nachdem es von beiden Seiten seit langem nicht mehr eingehalten worden war. Bereits ab November 2005 war es zu einer drastischen Zunahme von Waffenstillstandsverletzungen durch die LTTE und die im Jahr zuvor von ihr abgespaltene, mit der Regierung kollaborierende Karuna-Gruppe unter „Oberst Karuna“ (Muralitharan Vinayagamurthi), einem ehemaligen Vertrauten des LTTE-Führers Prabahakaran, gekommen. Seit April 2006 hatte die Regierung versucht, die LTTE, die zu diesem Zeitpunkt noch den Norden und Osten des Landes kontrollierte, mit offensiven Maßnahmen zurückzudrängen. Ab Mitte 2006 war es dann zu großflächigen, längeren Kampfhandlungen gekommen. Unterstützt von den paramilitärischen Einheiten der Karuna-Gruppe, die sich als Vertretung der Ost-Tamilen verstand, konnten die Streitkräfte im Juli 2007 nach den vorhergehenden Rückzug der LTTE-Soldaten die letzten von der LTTE gehaltenen Stellungen im Osten Sri Lankas einnehmen (Lagebericht des AA vom 07.04.2009, Stand März 2009, S. 5).
49 
Eine systematische und direkte Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen wegen Rasse, Nationalität oder politischer Überzeugung von Seiten der Regierung fand seit dem Waffenstillstandsabkommen von 2002 nicht statt (Lageberichte des AA vom 26.06.2007, Stand Juni 2007, S. 6 und vom 05.02.2008, Stand Februar 2008, S. 7). Allerdings standen Tamilen im Generalverdacht, die LTTE zu unterstützen, und mussten mit staatlichen Repressionen rechnen. Sie wurden nicht allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit systematisch verfolgt. Sie sind aber - durch ihre tamilische Sprache und die entsprechenden Einträge in Ausweiskarten für die Sicherheitskräfte leicht identifizierbar - in eine Art Generalverdacht der Sicherheitskräfte geraten. Die ständigen Razzien, Pkw-Kontrollen und Verhaftungen bei Vorliegen schon geringster Verdachtsmomente richteten sich vor allem gegen Tamilen. Durch die Wiedereinführung des „Terrorism Prevention Act“ Ende 2006 - ein Notstandsgesetz, das Verhaftungen ohne Haftbefehl und eine Inhaftierung bis zu 18 Monaten erlaubt, wenn die Behörden insbesondere den Verdacht terroristischer Aktivitäten haben (vgl. SFH, Sri Lanka, Aktuelle Situation, Update vom 11.12.2008, S. 3) - war die richterliche Kontrolle solcher Verhaftungen kaum mehr gewährleistet. Wer verhaftet wurde, musste mit längerer Inhaftierung rechnen, ohne dass es zu weiteren Verfahrensschritten oder gar einer Anklageerhebung hat kommen müssen (Lagebericht des AA vom 05.02.2008, Stand Februar 2008, S. 8). So wurden am 30. und 31.12.2005 im Rahmen der von Militär und Polizei in Colombo durchgeführten Operation „Strangers Night III.“ 920 Personen, die weit überwiegende Mehrheit Tamilen, verhaftet (Human Rights Watch, Return to War - Human Rights under Siege - August 2007, S. 74).
50 
Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) hat in seiner Stellungnahme zum Bedarf an internationalem Schutz von Asylsuchenden aus Sri Lanka vom 01.02.2007, die eine Zusammenfassung und Teilübersetzung der „UNHCR Position on the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Sri Lanka (December 2006)“ enthält, unter anderem ausgeführt, dass von der sich dramatisch verschlechternden Menschenrechtslage im besonderem Maße Tamilen aus dem Norden und Osten des Landes betroffen seien. Aus der Stellungnahme ergibt sich, dass bei dem Verdacht, dass sie Verbindungen zur LTTE unterhalten, Menschenrechtsverletzungen durch die staatlichen Behörden oder mutmaßlich von der Regierung gestützte Paramilitärs drohten (S. 2). Für Tamilen aus Colombo bestand aufgrund der im April bzw. Dezember 2006 drastisch verschärften Sicherheitsbestimmungen ein erhöhtes Risiko, willkürlichen, missbräuchlichen Polizeimaßnahmen - insbesondere Sicherheitskontrollen, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Hausdurchsuchungen oder Leibesvisitationen - unterworfen zu werden. Tamilen aus Colombo waren darüber hinaus besonders gefährdet, Opfer von Entführungen, Verschleppungen oder Tötungen zu werden. Zwischen dem 20.08.2006 und dem 02.09.2006 waren Presseberichten zufolge mehr als 25 Tamilen entführt worden, nur zwei Personen waren bis zum Dezember 2006 wieder freigekommen (S. 2 f.). Diese Maßnahmen zur Bekämpfung der dauernden Bedrohung durch terroristische Attacken im Großraum Colombo waren teilweise für die gesamte tamilische Minderheit bedrohlich und stellten ihre Sicherheit in Frage. Extralegale Tötungen, die seit jeher Teil des Konflikts gewesen waren, wurden seit Dezember 2005 auch in signifikanter Zahl von Regierungsseite verübt. Viele Taten sind an gewöhnlichen Personen begangen worden, die kaum erkennbar in Verbindung zu dem Konflikt standen. Teilweise handelte es sich um Teile eines Musters, die LTTE anzugreifen, teilweise geschahen sie aus politischen Motiven. Sie konnten aber auch einen kriminellen Hintergrund haben (Asylsuchende aus Sri Lanka, Position der SFH vom 01.02.2007 S. 5).
51 
Die International Crisis Group hat in ihrem Bericht vom 14.06.2007 (Sri Lanka’s Human Rights Crisis, Asia Report N. 135) unter anderem festgehalten, dass die Anzahl der Verschwundenen in den letzten achtzehn Monaten nur schwerlich mit Sicherheit festzustellen sei. Verschiedene verlässliche Quellen berichteten von mehr als 1.500 Betroffenen, wobei das Schicksal von mindestens 1.000 Personen unklar gewesen sei. Die höchste Anzahl von Betroffenen sei in den von der Regierung kontrollierten Bereichen Jaffnas festzustellen gewesen. Dort seien 731 Fälle registriert worden, in 512 Fällen gebe es noch keine Aufklärung. Im Großraum Colombo sei es zu mehr als 70 berichteten Fällen von Entführungen und des Verschwindenlassens gekommen. Die meisten der Betroffenen seien junge tamilische Volkszugehörige gewesen, die der Zusammenarbeit mit der LTTE verdächtigt worden seien. Auch eine Vielzahl von Personen ohne Verbindung zur LTTE seien Opfer dieses Verschwindenlassens geworden.
52 
Human Rights Watch (HRW) geht in seinem Bericht aus dem August 2007 (Return to War - Human Rights under Siege - ) davon aus, dass Entführungen und Fälle des Verschwindenlassens seit August 2006 auch in Colombo zu einer weitverbreiteten Erscheinung geworden seien. Die Organisation gelangt auf der Grundlage von Gesprächen mit 26 Familien von verschwundenen Personen zu dieser Aussage (S. 53 f.). Landesweit geht HRW für den Zeitraum vom 14.09.2006 bis zum 25.02.2007 von 2.020 Fällen Entführter oder sonst verschwundener Personen aus. „Ungefähr 1.134 Personen“ seien lebend wieder aufgefunden worden, die anderen seien weiterhin vermisst (S. 7).
53 
Nach dem Country Report on Human Rights Practices zu Sri Lanka des U.S. Department of State 2007 vom 11.03.2008 waren extralegale Tötungen in Jaffna an der Tagesordnung. Zwischen dem 30.11.2007 und dem 02.12.2007 sind nach zwei Bombenangriffen der LTTE in und um Colombo beinahe 2.500 tamilische Volkszugehörige in der Hauptstadt und geschätzte 3.500 Tamilen im ganzen Land verhaftet worden. Die Inhaftierten, überwiegend männliche tamilische Zivilisten sollen allein aufgrund ihrer tamilischen Nachnamen verhaftet worden sein. Die überwiegende Mehrheit von ihnen wurde bald wieder freigelassen. Zum Jahreswechsel waren nur noch zwölf von 372 im Boosa detention camp Inhaftierten in Gewahrsam.
54 
(b) Aus diesen Erkenntnissen lässt sich selbst dann, wenn alle Angaben zutreffen sollten, zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers Ende November 2007 nicht auf eine Gruppenverfolgung der Gruppe der (jüngeren männlichen) Tamilen schließen. Ein staatliches Verfolgungsprogramm lässt sich nicht feststellen. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts wurde keine Volksgruppe gezielt allein wegen eines unveränderlichen Merkmals verfolgt. Die Anzahl der festzustellenden Übergriffe lässt nicht ohne weiteres auf die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit eines jeden Gruppenmitglieds schließen. Selbst wenn alle Übergriffe im Großraum Colombo zwischen November 2005 und Dezember 2007 dem sri-lankischen Staat zuzurechnen wären - tatsächlich sind dabei auch Übergriffe der LTTE und „rein kriminelle Übergriffe“ mit dem Ziel der Lösegelderpressung unter den registrierten Fällen - und alle Inhaftierungen - auch die von bloß kurzer Dauer von nicht mehr als drei Tagen - gezählt werden, ist das Verhältnis von 3.400 Verhaftungen zu mehr als 240.000 tamilischen Einwohnern angesichts des Zeitraums von zwei Jahren nicht geeignet, eine Regelvermutung der Gefährdung eines jeden Gruppenmitglieds zu rechtfertigen. Zieht man darüber hinaus in Betracht, dass 2.500 der Inhaftierten nach kurzer Zeit wieder freigelassen worden sind und damit keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 RL 2004/83/EG erdulden mussten, ergibt sich eine Betroffenheit von 0,3 % der gesamten tamilischen Bevölkerung. Dieser - für die Bewertung des Standards der Achtung der Menschenrechte insoweit gleichwohl hohe - Prozentsatz der Betroffenen innerhalb eines Zweijahreszeitraums führt nicht zum Schluss auf die erforderliche aktuelle Gefahr der Betroffenheit jedes Gruppenmitglieds.
55 
d) Der Kläger kann sich für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer derzeit bestehenden Gruppenverfolgung von Tamilen (oder der Untergruppe der im wehrfähigen Alter befindlichen Tamilen) berufen.
56 
aa) Die Lage in Sri Lanka - soweit sie für die Beurteilung des Schutzgesuchs des Klägers von Bedeutung ist - stellt sich im November 2010 nach den dem Senat vorliegenden Quellen und Erkenntnissen wie folgt dar:
57 
Am 19.05.2009 hat der sri-lankische Staatspräsident Mahinda Rajapakse in einer Parlamentsansprache den Sieg der Regierungstruppen über die tamilische Separatistenorganisation LTTE verkündet. Tags zuvor war nach den Angaben des Militärs bei einem der letzten Gefechte der LTTE-Anführer Velupillai Prabhakaran ums Leben gekommen, nachdem zuvor fast die gesamte militärische und politische Führung der LTTE umgekommen war. Der seit 1983 mit Unterbrechungen währende Bürgerkrieg war damit beendet (Lagebericht des AA vom 02.09.2009, Stand: August 2009, S. 6). Hunderttausende Menschen mussten während des Bürgerkriegs ihre Heimatorte im tamilischen Norden und Osten des Landes verlassen. Als Binnenvertriebene suchten sie Zuflucht in weniger gefährdeten Gebieten des Landes. Viele entschieden sich auch dafür, ins Ausland zu gehen. In der Ostprovinz konnten die Binnenvertriebenen inzwischen bis auf einige Ausnahmen in ihre Heimatgemeinden zurückkehren (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 8). Rund 300.000 Zivilpersonen waren in den letzten Monaten des Bürgerkriegs im von der LTTE gehaltenen, kontinuierlich schrumpfenden Gebiet eingeschlossen. Notgedrungen zogen sie mit den LTTE-Verbänden mit und waren in der zuletzt nur wenige Quadratkilometer ausmachenden Kampfzone im Nordwesten des Landes allen Schrecken dieser Kämpfe ausgesetzt. Nach deren Beendigung brachte sie die Armee in geschlossenen Lagern hauptsächlich in Vavuniya im nördlichen Vanni unter, zu denen nationale und internationale Hilfsorganisationen lange nur eingeschränkt Zugang hatten. Die Regierung begründete diese Lagerunterbringung mit der Notwendigkeit, sich unter den Binnenvertriebenen verbergende ehemalige LTTE-Kämpfer herauszufiltern, und der Unmöglichkeit, die Betroffenen in noch verminte Heimatorte zurückkehren zu lassen. Einigen wenigen wurde die Rücksiedlung im Juni 2009 gestattet. Im August 2009 begann dann sehr zögerlich ein Rücksiedlungsprozess, der im Oktober größeren Umfang annahm und sich ab Dezember wieder verlangsamte, da die Herkunftsorte der Verbliebenen (im Juni 2010 waren noch knapp 60.000 Personen in Lagern untergebracht) noch erheblich zerstört und vermint sind. Einem gesonderten Regime unterliegen die geschlossenen, so genannten „Rehabilitationslager“, in denen rund 8.000 ehemalige LTTE-Kämpfer (bzw. Personen, die insoweit verdächtigt werden) untergebracht sind. Zu diesen Lagern haben weder das IKRK noch Hilfsorganisationen Zugang. Die Antiterrorgesetze von 1979 (Prevention of Terrorism Act) haben weiter Bestand. Die umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen insbesondere in Colombo, einschließlich der zahlreichen Kontrollpunkte von Polizei und Militär, werden aufrecht erhalten (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 9 f.).
58 
Zu den Insassen der „Rehabilitationslager“ hat Human Rights Watch festgestellt, dass zwar die meisten der Verdächtigten in den letzten Wochen der Kampfhandlungen und in der Zeit unmittelbar danach inhaftiert worden seien, dass aber auch neue Inhaftierungen, nämlich im Oktober 2009, erfolgt seien (Human Rights Watch, Legal Limbo - The Uncertain Fate of Detained LTTE Suspects in Sri Lanka, Februar 2010, S. 6).
59 
In unterschiedlichen Bereichen kommt es zu staatlichen repressiven Maßnahmen, die Anzeichen für eine systematische Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Nationalität, Religion oder politischer Überzeugung aufweisen. Davon sind nicht nur Tamilen betroffen, sondern auch regierungskritische Singhalesen. So werden oppositionelle Parlamentsabgeordnete, die der Regierung gefährlich werden können, unter fadenscheinigen Vorwürfen verhört, verhaftet oder bedroht. Der Generalverdacht, dass jeder Tamile ein Anhänger, Unterstützer oder gar Mitglied der LTTE war und ist, wird im singhalesischen Teil der Gesellschaft von vielen geteilt, insbesondere bei den staatlichen Sicherheitskräften (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 10 f. ).
60 
Für eine systematische Verfolgung von Tamilen allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit gibt es keine Anhaltspunkte, sie müssen aber - durch ihre tamilische Sprache und die entsprechenden Einträge in Ausweiskarten für die Sicherheitskräfte leicht identifizierbar - jederzeit mit staatlichen Repressionen rechnen. Die ständigen Razzien und Hausdurchsuchungen, schikanösen Behandlungen (Beleidigungen, langes Warten, exzessive Kontrolle von Fahrzeugen, Erpressung von Geldbeträgen) bei den zahlreichen Polizeikontrollen im Straßenverkehr und Verhaftungen richten sich vor allem gegen Tamilen, wobei aus dem Norden und Osten stammende Tamilen darunter noch in höherem Maße zu leiden haben. Durch Anwendung des Prevention of Terrorism Act ist die richterliche Kontrolle solcher Verhaftungen kaum mehr gewährleistet. Wer verhaftet wird, muss mit längerer Inhaftierung rechnen, ohne dass es zu weiteren Verfahrensschritten oder einer Anklageerhebung kommen muss. Die Situation hat sich seit Beendigung der Kampfhandlungen nicht verbessert (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 11).
61 
Ein Asylantrag im Ausland, der von vielen in Sri Lanka als legitimer Versuch angesehen wird, sich einen Aufenthaltsstatus zu verschaffen, begründet in aller Regel noch keinen Verdacht, der LTTE nahe zu stehen. Rückkehrer, die aus den nördlichen oder östlichen Landesteilen stammen und sich nun erstmals in Sri Lanka niederlassen wollen, müssen indes einen Anfangsverdacht und entsprechendes Misstrauen bis zu Schikanen durch die Sicherheitsorgane gegenwärtigen. Mindestens ebenso stark steht unter Verdacht, wer bereits früher als Anhänger der LTTE auffällig geworden war. Das Ende der Kampfhandlungen hat diesbezüglich nicht zu einer Entspannung geführt. Am 26.05.2010 wurde am Flughafen Colombo bei der Einreise eine in Deutschland ansässige Sri-Lankerin unter dem Verdacht der LTTE-Unterstützung festgenommen, die nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in Deutschland für die LTTE Gelder eingesammelt und im Frühjahr letzten Jahres Demonstrationen organisiert haben soll. Belastbaren Berichten anderer Botschaften zufolge gibt es Einzelfälle, in denen zurückgeführte Tamilen nach Ankunft in Colombo unter LTTE-Verdacht festgenommen wurden (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 24).
62 
Aus dem „Report of Information Gathering Visit to Colombo, Sri Lanka, 23. bis 29. August 2009“ vom 22.10.2009 des „U.K. Foreign and Commonwealth Office Migration Directorate“ (FCO), für den sowohl staatliche sri-lankische Stellen als auch Nichtregierungsorganisationen befragt wurden, ergibt sich, dass unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit nicht freiwillig nach Sri Lanka zurückkehrende Personen dem Criminal Investigation Department zur Feststellung der Staatsangehörigkeit und Kontrolle des Vorstrafenregisters überstellt werden. Die Befragung kann mehr als 24 Stunden dauern. Die Betroffenen werden erkennungsdienstlich behandelt. Abhängig vom Einzelfall ist eine Überstellung an den Geheimdienst (State Intelligence Service) oder das Terrorist Investigation Department zum Zwecke der Befragung denkbar. Jeder, der wegen eines Vergehens gesucht wird, muss mit seiner Verhaftung rechnen. Vorbestrafte oder Personen mit Verbindungen zur LTTE werden weitergehend befragt und gegebenenfalls in Gewahrsam genommen. Laut Nichtregierungsorganisationen würden Tamilen aus dem Norden und Osten des Landes einer genaueren Überprüfung als andere unterzogen. Verschiedene Faktoren, nämlich ein offener Haftbefehl, Vorstrafen, Verbindungen zur LTTE, eine illegale Ausreise, Verbindungen zu Medien oder Nichtregierungsorganisationen und das Fehlen eines Ausweises (ID Card) oder anderer Personaldokumente, erhöhten das Risiko, Schwierigkeiten bei der Einreise zu bekommen, einschließlich einer möglichen Ingewahrsamnahme (S. 5). Hingegen konnte keine der befragte Quellen angeben, dass sichtbare Narben einen Einfluss auf die Behandlung bei der Einreise haben könnten. Im Falle, dass der Verdacht einer Verbindung zur LTTE bestünde, könnten solche Narben Anlass zu einer Befragung sein, jedoch würden diesbezüglich keine körperlichen Untersuchungen durchgeführt (S. 16).
63 
Überwiegend hätten die Befragten angegeben, dass die Anzahl der Razzien (cordon and search operations) in den letzten Monaten nicht zurückgegangen sei. Es gebe keine Informationen zu der Anzahl möglicher Festnahmen. Grundsätzlich seien junge männliche Tamilen, die aus dem Norden oder Osten des Landes stammten, im Zuge von Razzien einem besonderen Festnahmerisiko ausgesetzt. Die bereits genannten Faktoren erhöhten das Risiko. Tamilen ohne Beschäftigung oder „legitimen Aufenthaltsgrund“ würden ebenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit als verdächtig angesehen (S. 5).
64 
Nach ganz überwiegender Meinung der Befragten hat es - wenn überhaupt - seit Juni 2009 nur noch sehr wenige Entführungen / Fälle des Verschwindenlassens gegeben. Die Entführungen erfolgten demzufolge sowohl zur Lösegelderpressung als auch aus politischen Gründen. Die Nichtregierungsquellen stimmten weitgehend darin überein, dass die Sicherheitskräfte in den meisten Fällen in gewisser Weise beteiligt seien und die Polizei keine ernsthaften Ermittlungen durchführe (S. 5 f.). Bei den Straßenkontrollen im Großraum Colombo, die nach Angabe der meisten Befragten nicht nennenswert reduziert worden seien, würde es nur sehr selten zu Festnahmen kommen. Seit Juni 2009 seien keine bekannt geworden.
65 
bb) Der Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 16.06.2010 und der (ältere) Bericht des U.K. Foreign and Commonwealth Office Migration Directorate ergänzen sich. Jedenfalls die hier zitierten allgemeinen Feststellungen (S. 5 f.), die auf mindestens weit überwiegend übereinstimmenden Angaben der Befragten beruhen, sind geeignet, die insoweit knapper gehaltenen Aussagen der Lageberichte zu den Gefährdungen von Tamilen zu illustrieren. Eine Gruppenverfolgung der Gruppe der (jüngeren männlichen) Tamilen (im wehrfähigen Alter) lässt sich auf der Basis der wiedergegebenen Erkenntnisse nicht feststellen. Insbesondere angesichts des Umstands, dass Verhaftungen bei Razzien ebenso selten geworden sind wie an Straßenkontrollpunkten und Fälle des Verschwindenlassens ebenfalls kaum mehr vorkommen, lässt sich eine generelle staatliche oder staatlich tolerierte Verfolgung der Gruppe der Tamilen nicht feststellen. Anderes lässt sich auch nicht aus dem Fortbestehen der „rehabilitation camps“ schließen. Denn jedenfalls gibt es keine Hinweise darauf, dass nach deren Begründung noch Personen in einer für die Annahme einer Gruppenverfolgung aller - jedenfalls der im wehrfähigen Alter befindlichen - Tamilen relevanten Größenordnung in diese Lager verbracht worden sind. Aus dem vom Kläger zitierten Bericht von Human Rights Watch, Legal Limbo, The Uncertain Fate of Detained LTTE Suspects in Sri Lanka, ergibt sich unter Bezugnahme auf den „Indian Express“ vom 28. Oktober 2009, dass mindestens 300 LTTE Kader, die sich unter den Binnenvertriebenen versteckt hätten, verhaftet worden seien. Damit ist weder ein Bezug zu der Gruppe aller Tamilen oder jedenfalls derjenigen im wehrfähigen Alter aufgezeigt noch ergibt sich aus den berichteten Vorkommnissen, dass diese bis zum Tag der mündlichen Verhandlung gleichsam an der Tagesordnung gewesen wären.
66 
Die Einlassung des Klägers, aus dem zitierten Bericht von Human Rights Watch ergebe sich eine Zunahme der Fälle des Verschwindenlassens, vermag stichhaltige Indizien für eine Gruppenverfolgung aller (wehrfähigen) Tamilen nicht darzutun. Den dortigen Ausführungen im Unterkapitel „Concerns about Possible Enforced Disappearances“ sind vielmehr zunächst zwei Einzelfälle des Verschwindens nach Ende des Bürgerkriegs zu entnehmen. Darüber hinaus wird über eine Internierung von Dutzenden von Personen aus dem Lager „Menik Farm“ berichtet. Es wird weiter geschildert, dass das Schicksal der internierten Personen häufig - bis zum Tag des Berichts - unklar geblieben sei. Daraus lässt sich ein erhöhtes Risiko für solche Personen ableiten, die aus Sicht der Behörden im Verdacht stehen, mit der LTTE zusammengearbeitet haben, nicht jedoch eine Gruppenverfolgung aller (jungen männlichen) Tamilen. Der gegen alle Tamilen gerichtete so genannte „Generalverdacht“ führt offenkundig für sich genommen noch nicht regelmäßig zu Übergriffen der Sicherheitsbehörden. Vielmehr kommt es auf individuell gefahrerhöhende Umstände an, bei deren Vorliegen im Einzelfall eine begründete Furcht vor Verfolgung anzunehmen sein kann.
67 
Auch aus dem vom Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegten Gutachten des European Center for Constitutional and Human Rights „Study on Criminal Accoutability in Sri Lanka as of January 2009“ aus dem Juni 2010 lässt sich die von ihm behauptete Gruppenverfolgung nicht ableiten. Dem Bericht lässt sich entnehmen, dass die Anzahl der in den „welfare centers“ in Gewahrsam gehaltenen Personen von 280.000 (zwischen März 2008 und Juni 2009) bis in den Januar 2010 auf rund 80.000 abgenommen hat. Dem Bericht, der sich mit den Zuständen in den Lagern beschäftigt, ist nicht zu entnehmen, dass sri-lankische Staatsangehörige nach ihrer Wiedereinreise dazu gezwungen worden wären, in solchen Lagern zu leben. Weiter beschäftigt sich das Gutachten unter Zitierung des bereits erwähnten Berichts von Human Rights Watch aus dem Februar 2010 mit der Behandlung von der LTTE-Mitgliedschaft Verdächtigten. Auch diesen Ausführungen ist nichts zu einer anhaltenden Verhaftungswelle - wie sie für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendig wäre - nach Beendigung des Bürgerkriegs und in den folgenden Monaten im Jahr 2009 zu entnehmen.
68 
Schließlich führt insoweit der Verweis des Klägers auf die Lageeinschätzung der International Crisis Group vom 17.02.2010, die sein Prozessbevollmächtigter im „Parallelverfahren“ (A 4 S 693/10) vorgelegt hat, nicht zum Erfolg seiner Klage. Dem Bericht ist zwar zu entnehmen, dass das Vorgehen der Regierung im Norden und Osten des Landes zur Verängstigung und Entfremdung der Minderheiten führe. Das aus dieser Behandlung aber ein systematisches Ausgrenzen der tamilischen Minderheit aus der staatlichen, übergreifenden Friedensordnung im Sinne einer Entrechtung abzuleiten wäre, ergibt sich weder aus diesem Bericht noch aus der Gesamtschau. Ebenso wenig lässt sich ein staatliches Verfolgungsprogramm hinsichtlich aller Tamilen oder auch nur der im wehrfähigen Alter befindlichen Gruppenmitglieder feststellen. Anderes kann möglicherweise für die im Zuge der Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen unmittelbar in den rehabilitation camps Inhaftierten oder die aus den Flüchtlingslagern „herausgefilterten“, in rehabilitation camps verbrachten Personen gelten. Jedoch ist ein solches systematisches Vorgehen gegenüber etwa in Colombo lebenden Tamilen nicht feststellbar.
69 
Die rechtliche Einschätzung zur fehlenden begründeten Furcht vor einer Gruppenverfolgung entspricht auch der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteile vom 08.07.2009 - 3 A 3295/07.A - und vom 24.08.2010 - 3 A 864/09.A -) und - der Sache nach - des UK Asylum and Immigration Tribunal (TK (Tamils - LP updated) Sri Lanka CG [2009]UKAIT 00049 RdNr. 73).
70 
e) Der Kläger kann sich auch nicht aus individuellen Gründen auf eine begründete Furcht vor Verfolgung berufen.
71 
aa) Eine Gefahr der - auch längeren, gerichtlich nicht kontrollierten - Inhaftierung bei der Rückkehr - insbesondere bei der Einreise über den Flughafen in Colombo - besteht, wenn die zurückkehrende Person bei den Sicherheitskräften in den Verdacht gerät, der LTTE anzugehören oder ihr nahe zu stehen (SFH, Asylsuchende aus Sri Lanka, vom 08.12.2009, S. 1 f.). Dieser Standpunkt wird unter anderem auch vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 08.07.2009 - 3 A 3295/07.A -), dem UK Asylum and Immigration Tribunal (TK (Tamils - LP updated) Sri Lanka CG [2009]UKAIT 00049 RdNr. 134) und der Refugee Status Appeals Authority New Zealand (Refugee Appeal No 76502, 76503, 76504, Entscheidung vom 29.06.2010 RdNr. 84) geteilt. Risikoerhöhend für eine Festnahme ist - natürlich - ein offener Haftbefehl. Hier kann auch eine Flucht nach Aussetzung der Haft auf der Grundlage einer Kautionszahlung von Relevanz sein, da dies zu einer Registrierung in den diversen Fahndungssystemen führen dürfte. Weiter sind Vorstrafen und Verbindungen zu Medien und Nichtregierungsorganisationen individuell gefahrerhöhend. Andere Umstände lassen sich abstrakt nicht als gefahrerhöhend feststellen. Insbesondere führt eine Asylantragstellung im Ausland nicht für sich allein zu einer solchen Gefahrerhöhung (vgl. Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010 ,S. 24 und FCO-Bericht vom 22.10.2009 S. 17).
72 
Trotz des vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 16.06.2010 weiterhin beschriebenen Generalverdachts der LTTE-Zugehörigkeit, dem alle Tamilen unterfallen, und der gegenüber Tamilen angespannten Lage, wie sie sich in den schweren Menschenrechtsverletzungen zum Ende des Bürgerkriegs, in der Internierung der Binnenvertriebenen und in der Inhaftierung einer Vielzahl von der Zusammenarbeit mit der LTTE mehr oder minder verdächtigen Personen ohne gerichtliche Kontrolle und ohne Zugang zu Hilfsorganisationen zeigt, lässt sich für den Kläger ein Risiko der Festnahme im Fall seiner Rückkehr aufgrund seiner Volkszugehörigkeit oder aufgrund einer vermuteten Nähe zur LTTE aufgrund seiner Angaben im Verwaltungsverfahren und vor dem Senat nicht feststellen. So spricht im Fall des Klägers nichts dafür, dass seine Inhaftierung im Jahr 2005 registriert worden und für die sri-lankische Armee und Verwaltung noch von Interesse sein könnte. Er selbst hat angegeben, dass andere als die Soldaten, die ihn damals festgenommen hätten, ihn nicht hätten erkennen bzw. identifizieren können. Auch war die Inhaftierung für die Polizei am 22.10.2007, als sie den Kläger mangels „police report“ und gültiger Identitätskarte festhielt, nicht von Interesse. Sie hat ihn sogar freigelassen, obwohl er angekündigt hat, ins Ausland zu wollen. Diese Umstände sprechen eindeutig dafür, dass ein Interesse der sri-lankischen Sicherheitsbehörden am Kläger wegen einer vermutetem Zusammenarbeit mit der LTTE nicht bestand und über ihn in dieser Hinsicht keine Eintragungen vorhanden sind. Er ist im Oktober 2007 auch nicht etwa aufgrund einer Kautionszahlung freigekommen, was für ihn nunmehr gefahrerhöhend wäre. Vielmehr hat er vor dem Senat - ohne Nachfrage - von sich aus (glaubhaft) angegeben, dass seine Mutter ein Schmiergeld entrichtet habe.
73 
Nach alledem lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Er ist kein Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylVfG.
II.
74 
Die Anschlussberufung der Beklagten erweist sich als unzulässig, so dass sie zu verwerfen ist (§ 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
75 
Sie ist erst am 27.09.2010 und damit nach Ablauf der Monatsfrist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO eingelegt und begründet worden. Nach dieser Vorschrift ist die Anschließung an die Berufung bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zulässig. Die Frist hat mit Zustellung der Begründung der Berufung (Schriftsatz des Klägers vom 05.05.2010) an die Beklagte am 10.05.2010 zu laufen begonnen und endete danach mit Ablauf des 10.06.2010. Die Zustellung (auch) des Schriftsatzes des Klägers vom 14.04.2010 war entgegen der Auffassung der Beklagten nicht erforderlich, um die Frist in Lauf zu setzen.
76 
Die Bestimmung des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO und mit ihr der Begriff der Berufungsbegründungsschrift sind mit Art. 1 Nr. 16 des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20.12.2001 (BGBl. I S. 3987) in die Verwaltungsgerichtsordnung eingefügt worden. Damit nimmt die Regelung inhaltlich - ohne dass es eine Legaldefinition gäbe - auf § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO Bezug. Dort ist bestimmt, dass die Begründung der Berufung einen bestimmten Antrag sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten muss. Es wird - anders als in § 127 Abs. 3 Satz 1 VwGO für die Anschlussberufung - jedoch nicht bestimmt, dass die Begründung der Berufung in einem Schriftsatz erfolgen müsste.
77 
Für den Fall, dass die Berufungsgründe in mehreren Schriftsätzen enthalten sind - wie hier der Antrag in Schriftsatz vom 14.04.2010 und die Begründung erst im Schriftsatz vom 05.05.2010 -, kommt es auf die Zustellung des ersten innerhalb der Frist des § 124a Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 6 Satz 1 VwGO bzw. innerhalb der nach § 124a Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 Satz 3 VwGO verlängerten Frist eingereichten Begründungsschriftsatzes an, mit dessen Eingang bei Gericht die Voraussetzungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO (vollständig) erfüllt werden (Mayer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 127 VwGO RdNr. 7d). Es reicht für das Auslösen der Frist für die Einlegung und Begründung der Anschlussberufung aus, wenn nur dieser Schriftsatz dem Berufungsbeklagten zugestellt wird. Die anderen, zuvor bereits bei Gericht eingegangen Schriftsätze - als weitere Teile der Berufungsbegründungsschrift - müssen nicht zugestellt werden.
78 
Zweck der Anschlussberufung ist es nämlich, eine Waffengleichheit zwischen den Beteiligten im Berufungsverfahren herzustellen. Sie erlaubt dem Berufungsbeklagten, eine eigene Berufung auch dann noch einzulegen, wenn die Hauptberufung erst kurz vor Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist eingelegt wird. Das Berufungsgericht kann dann auch zum Nachteil des Berufungsklägers entscheiden, was dem Grundsatz der Billigkeit entspricht (Blanke, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. § 127 RdNr. 2). Die Anschlussberufung dient auch der Prozessökonomie, da sich der Beteiligte nicht im Hinblick auf eventuelle Rechtsmittel des Prozessgegners genötigt sehen muss, vorsorglich Berufung einzulegen (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. § 127 RdNr. 1). Sieht nämlich ein Beteiligter ungeachtet der ihm von der erstinstanzlichen Entscheidung auferlegten Beschwer zunächst in der Hoffnung darauf, dass ein Rechtsmittel von einem anderen Beteiligten nicht eingelegt werde, von einer Berufung oder von einem Antrag auf Zulassung der Berufung ab und wird er in dieser Hoffnung enttäuscht, soll ihm die Anschlussberufung die Gelegenheit geben, die Entscheidung auch zu seinen Gunsten überprüfen zu lassen.
79 
Sobald der Umfang der und die Gründe für die Berufung dem Berufungsbeklagten bekannt sind, kann dieser entscheiden, ob - und ggf. in welchem Umfang - er sich selbst gegen sein Teilunterliegen in erster Instanz zur Wehr setzen will. Die Einlegungsfrist für die Anschlussberufung wird mit der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift ausgelöst. Es besteht keine Notwendigkeit dafür, in selbstständigen Schriftsätzen enthaltene Teile der Begründung vorab ebenfalls zuzustellen. Mit der Zustellung soll die Frist in Lauf gesetzt werden (vgl. auch die allgemeine Regelung in § 56 Abs. 1 VwGO). Würden bei einer in verschiedene Schriftsätze „aufgeteilten“ Berufungsbegründungsschrift die verschiedenen Teile - hier also zunächst der „Antragsschriftsatz“ und nachfolgend der die Berufungsgründe im materiellen Sinne enthaltende „Begründungsschriftsatz“ - jeweils zugestellt, führte dies zu einer erheblichen Unsicherheit hinsichtlich des tatsächlichen Fristbeginns, ohne dass damit ein inhaltlicher Gewinn verbunden wäre. Eine Zustellung des bereits übersandten und dem Gegner somit bekannten Teils der Berufungsbegründung vermag ebenfalls keinen solchen Gewinn zu erbringen. Sinn der Zustellung ist nur, den Beteiligten Sicherheit über den Lauf der Einlegungs- und Begründungsfrist für die Anschlussberufung zu verschaffen. Nur dann, wenn ein Teil der Berufungsbegründung dem Berufungsbeklagten gar nicht übermittelt worden sein sollte - was hier nicht der Fall ist -, könnte die Zustellung nur eines Teils der Begründungsschrift die Frist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht auslösen.
80 
Dem Beginn des Laufs der Anschließungsfrist am 10.05.2010 steht die Bestimmung des § 58 Abs. 1 VwGO nicht entgegen. Danach beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Die - unselbstständige - Anschlussberufung ist jedoch kein Rechtsmittel im Sinne von § 58 Abs. 1 VwGO. Sie räumt dem Berufungsbeklagten nur die Möglichkeit ein, innerhalb der Berufung des Prozessgegners angriffsweise Anträge zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 23.05.1957 - II ZR 250/55 -, BGHZ 24, 279; BAG, Urteile vom 14.05.1976 - 2 AZR 539/75 -, BAGE 28, 107 und vom 20.02.1997 - 8 AZR 15/96 -, BAGE 85, 178), und ist vom Fortbestand des (Haupt-)Rechtsmittels und damit vom Willen des Berufungsklägers abhängig. Über sie muss nicht belehrt werden (vgl. zur Anschlussrevision: Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl., § 141 RdNr. 12; aA. Seibert, NVwZ 2002, 265, 268; unklar: Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/v. Albedyll, VwGO, 4. Aufl., § 127 RdNr. 23).
81 
Die Kostenentscheidung beruht § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83b AsylVfG.
82 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05. Oktober 2005 - A 11 K 11032/05 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger zu 1 ist am ....1977 in Atsch’Choi-Martan (südlich von Grosny) geboren und nach seinen Angaben ein tschetschenischer Volkszugehöriger. Seine Ehefrau, die Klägerin zu 2 ist am ....1982 ebenfalls in Atsch’Choi-Martan geboren, wo die Eheleute nach ihren Angaben zuletzt auch ihren Wohnort hatten. Am 20.01.2004 reisten die Kläger zusammen mit der Klägerin zu 3, ihrer am ....2003 geborenen Tochter, aus. Am 27.01.2004 wurden sie um 2.05 Uhr, versehen mit einer Bahnfahrkarte nach Belgien, in Dortmund aufgegriffen und suchten um Asyl nach.
Die Klägerin zu 2 war im Besitz eines am 08.05.2003 ausgestellten russischen Inlandspasses (neu). Der Kläger führte hingegen keinen neuen russischen Inlandspass mit, sondern nur eine vorläufige Bescheinigung, eine Art Passersatz, die ihm der Schlepper abgenommen hatte. Ansonsten hatte der Kläger an Dokumenten einen Führerschein, ein Schulzeugnis, eine Heiratsurkunde, die Geburtsurkunde seiner Tochter sowie eine Bescheinigung über die bestandene Fahrprüfung dabei.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt gab der Kläger an, er habe von Herbst/Winter 1996 bis Juni 1997 in einer Spezialeinheit von Maschadow gedient, die in einer ehemaligen Bleistiftfabrik in Atsch’Choi-Martan untergebracht gewesen sei. Danach sei er zur Bahnpolizei gekommen und habe dort bis 1999 in Grosny gearbeitet. Im letzten Jahr habe er von der Landwirtschaft gelebt. Im Sommer 2001 habe er eine Vorladung zur Miliz in Atsch’Choi-Martan erhalten. Er habe ein Gespräch mit drei russischen Milizoffizieren geführt, die von ihm verlangt hätten, wieder bei der Miliz zu arbeiten. Außerdem hätten sie Informationen darüber gefordert, wer noch Waffen besitzen könnte und wer früher noch bei der Miliz gearbeitet habe. Er habe zahlreiche Formulare mitgenommen und sei ohne sich festzulegen gegangen. Sein Vater habe ihm danach geraten, diese Sache bleiben zu lassen, obwohl er 1.000 Dollar bekommen hätte. Im September 2001 sei es nachts zu einer Säuberungsaktion gekommen, bei der einige Personen festgenommen worden seien, darunter auch er. Sie hätten nach Alchasur Dasajew gesucht, ihn dabei auch gefasst und in einem anderen Zimmer verhört. Er - der Kläger - sei erniedrigt, beschimpft, geschlagen und nach Waffen befragt worden. Danach sei er mit 10 Leuten in eine Zelle gesperrt worden. Auch die drei Brüder D. seien bei ihm in der Zelle gewesen. Diese seien abgeholt, schwer misshandelt und dann wieder zurück in die Zelle gebracht worden. Ihn selbst habe man in Ruhe gelassen, weil er sich beim Treppensteigen die Rippen gebrochen habe. Drei Nächte habe er in dieser Zelle verbracht, dann habe ihn sein Vater freigekauft. In der Zeit danach habe er ein einigermaßen friedliches Leben geführt, im Garten und der Landwirtschaft gearbeitet und auch Kontakte zu seinen ehemaligen Kameraden aufrechterhalten. Am 12.12.2003 seien gegen 10.00 Uhr oder 11.00 Uhr vormittags zwei ehemalige Kameraden, Leibwächter von Dudajew, zu ihm nach Hause gekommen. Sie hätten ihn gebeten, ihr Motorrad mit Beiwagen zu verstecken, in dem sich vermutlich Utensilien zum Bau einer Bombe befunden hätten. Er habe nicht Nein sagen können. Nachmittags gegen 3.00 Uhr oder 4.00 Uhr habe er seine Frau zu seinen Schwiegereltern geschickt, weil er ein komisches Gefühl gehabt habe. Er habe an diesem Abend lange gewartet, aber seine Kameraden seien nicht zurückgekommen. Um 0.00 Uhr sei er ins Bett gegangen, gegen 3.00 Uhr oder 4.00 Uhr morgens seien die Militärs gekommen, einige maskiert, und hätten das Haus gestürmt. Ihn hätten sie verprügelt und festgenommen. Auch sein Vater und sein Bruder M. seien verprügelt worden, das Motorrad hätten sie beschlagnahmt. Wohin ihn die Militärs gebracht hätten, wisse er nicht, er sei dort in einer Zelle sieben bis acht Tage eingesperrt gewesen. Ca. 5 bis 6 Tage nach seiner Inhaftierung habe man ihn nach einer halbstündigen Fahrt an einen Ort, nicht weit von Schami-Jurt, einem Nachbardorf, gebracht. Dort habe er die beiden Freunde R. N. und H. Z. getroffen. Alle drei hätten sie Handschellen getragen und seien mit einer Video-Kamera aufgenommen worden, was wohl als Beweis dafür habe dienen sollen, dass sie an dieser Stelle hätten eine Bombe zünden wollen. Nachdem er 8 Tage beim Militär inhaftiert gewesen sei, habe man ihn für 15 Tage zur Miliz gebracht, bevor ihn sein Vater wiederum habe freikaufen können. Dies sei am 04.01.2004 vormittags gewesen. Am 05.01. habe ihn ein Cousin zu der Verwandtschaft seiner Frau für acht Tage nach Walerik gebracht, anschließend sei er noch ein paar Tage bei seiner Tante in Walerik geblieben. Vom 17.01. bis zum 20.01. habe er sich bei seinem Cousin in Atsch’Choi-Martan aufgehalten. Seine Ausreise habe sein Vater organisiert.
Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt bestätigte die Klägerin zu 2, dass der Kläger zu 1 am 12.12.2003 festgenommen worden sei. Sie sei nicht zu Hause gewesen, denn ihr Mann habe sie nachmittags zu ihren Eltern geschickt. Er sei dann am 04.01.2004 wieder freigekommen, nachdem ihn ihr Schwiegervater freigekauft habe. Weiter berichtete sie, dass der Kläger nicht immer zu Hause gewesen sei, sondern mal in Inguschetien und in Walerik gelebt habe. Vom September bis Dezember 2003 habe er in Inguschetien eine Wohnung gemietet gehabt, eigentlich schon von Juni ab, und sei dort in Nasran als Bauarbeiter beschäftigt gewesen.
Mit Bescheid vom 18.07.2005 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylanträge ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 des AufenthG nicht vorliegen. Außerdem wurden die Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Im Falle einer nicht freiwilligen Ausreise wurde ihre Abschiebung in die Russische Föderation oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet ist, angedroht. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Asylanerkennung gem. Art. 16 a Abs. 1 GG scheitere schon daran, dass die Kläger das Bundesgebiet auf dem Landweg erreicht hätten. Es bestünde aber auch kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG, denn die Kläger seien nicht individuell vorverfolgt ausgereist. Die vom Kläger vorgetragene Verfolgungsgeschichte sei nicht glaubhaft. Wenn es tatsächlich zugetroffen hätte, dass sich in dem bei ihm untergestellten Motorrad samt Beiwagen Utensilien für den Bau einer Bombe befunden hätten, wäre er mit Sicherheit von der russischen Armee nicht mehr auf freien Fuß gesetzt worden. Ein weiteres Indiz dafür, dass er nicht die Wahrheit gesagt habe, sei seine Aussage, wonach er im letzten Jahr von der Landwirtschaft gelebt habe, während seine Ehefrau angegeben habe, er sei von September bis Dezember 2003 in Inguschetien gewesen, habe dort eine Wohnung gemietet und sei einer Beschäftigung als Bauarbeiter nachgegangen. Offenbar habe er von Inguschetien aus seine Ausreise betrieben. Dass diese längerfristig geplant gewesen sei, beweise die Vielzahl der Unterlagen, besonders sein Schulzeugnis, das er mitgeführt habe. Seine Festnahme im Rahmen einer Säuberungsaktion im Jahr 2001 könne als wahr unterstellt werden, stehe jedoch nicht mehr im kausalen Zusammenhang mit der Ausreise. Nach seinen eigenen Angabe habe er danach längere Zeit unbehelligt leben können. Auch die allgemeine Lage in der russischen Teilrepublik Tschetschenien führe zu keiner anderen Einschätzung des Asylantrags. Es werde nicht verkannt, dass eine Rückkehr in die russische Teilrepublik Tschetschenien auf Grund der derzeitigen allgemeinen Lage den Ausländern nur schwerlich zugemutet werden könne. Die Kläger könnten ihren Aufenthalt aber in anderen Teilen der Russischen Föderation nehmen. Vor allem in Südrussland sei eine Registrierung und der für die Registrierung notwendige Wohnraum eher möglich als in den großen Städten, wie etwa in den Regionen Stawropol oder der Wolgaregion. Da die Familie nicht in das Blickfeld der russischen Sicherheitsorgane geraten sei und die Kläger somit auch nicht als potentielle Unterstützer der tschetschenischen Sache angesehen würden, sei eine Wohnsitznahme außerhalb Tschetscheniens durchaus möglich, wie vom Kläger bereits unter Beweis gestellt worden sei. Dieser könne durch Arbeiten am Bau oder durch Mitarbeit in der Landwirtschaft den Lebensunterhalt seiner Familie sicherstellen. Gründe für ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG seien ebenfalls nicht ersichtlich. Der schwierige Prozess des Wiederaufbaus einer funktionstüchtigen Wirtschaft habe in den neunziger Jahren zu einem sinkenden Lebensstandard und einer angespannten sozialen Lage in der Russischen Föderation geführt. Der 1999 einsetzende Wirtschaftsaufschwung habe eine allmähliche Verbesserung bewirkt. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sei vom Nahrungsmittelangebot her gewährleistet und es gebe staatliche Unterstützung, z.B. Sozialhilfe für bedürftige Personen auf sehr niedrigem Niveau (AA, Lagebericht vom 26.03.2004). Dieser Bescheid wurde den Klägern am 20.07.2005 zugestellt.
Bereits am 19.07.2005 haben die Kläger Klage erhoben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht haben sie am 05.10.2005 ihr Klagebegehren dahingehend beschränkt, dass sie nunmehr unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 18.07.2005 die Feststellung begehren, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind; hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG vorliegen, weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG gegeben sind.
Mit Urteil vom 05.10.2005 - A 11 K 11032/05 - hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe der Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Gericht sei davon überzeugt, dass die Kläger tschetschenische Volkszugehörige seien. Es habe zwar nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Kläger individuell vorverfolgt ausgereist seien, indessen sei die Kriegsführung der russischen Seite im und seit dem 2. Tschetschenienkrieg sowie die Übergriffe der in Tschetschenien stationierten russischen Streitkräfte und der pro-russischen Sicherheitskräfte zur Überzeugung des Gerichts gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung als Gruppenverfolgung zu bewerten, von der die in Tschetschenien verbliebene tschetschenische Bevölkerung betroffen sei. Auf eine inländische Fluchtalternative in den restlichen Gebieten der russischen Föderation könnten die Kläger nicht verwiesen werden, denn ihnen drohe im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens ebenfalls mit hinreichender Sicherheit politische Verfolgung, nämlich durch die in ihrem Fall zu erwartende Verweigerung der Registrierung und deren Folgen. Weder in Inguschetien, noch in Kabardino-Balkarien oder Krasnador und Stawropol sei hinreichend gewährleistet, dass die Kläger dort einen legalen Aufenthalt begründen könnten. Auch in den übrigen Teilen der Russischen Föderation könne nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Kläger eine Registrierung fänden, und dass sie ohne registriert zu sein, nicht in eine ausweglose Lage gerieten. Das Fehlen der Registrierung sperre den Zugang zum Gesundheits- und Schulwesen, zum freien Wohnungs- und in der Regel auch zum Arbeitsmarkt für unselbständige Tätigkeiten. Ein Aufenthalt in der Russischen Föderation, ohne registriert zu sein, sei generell geeignet, die Kläger aus der Rechtsgemeinschaft des Staates, auszugrenzen und in eine ausweglose Lage zu bringen. Eine solche Maßnahme sei asylerheblich. Ob den Klägern ein Leben in der Illegalität zumutbar sei, hänge von der Prognose über die zu erwartenden Folgen und Beeinträchtigungen ab. Maßgebend hierfür seien etwa die Vermögensverhältnisse des Betroffenen und seiner Familie und seine Fähigkeiten, etwa erlernte Berufe und bisherige Beschäftigungen sowie Kontakte zu ansässig gewordenen Tschetschenen, mittels denen der Betreffende seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Solche Besonderheiten seien für die gesamte Familie vorliegend nicht gegeben. Diese existenzielle Gefährdung sei auch verfolgungsbedingt, denn die Kläger hätten sich in Tschetschenien, wenn sie es nicht verfolgungsbedingt hätten verlassen müssen, weiterhin und wie bisher in dem vertrauten Umfeld ihrer Heimat mit dem Existenznotwendigen versorgen können.
Gegen das ihr am 17.10.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19.10.2005 beim Verwaltungsgericht die Zulassung der Berufung beantragt.
Mit Beschluss vom 11.01.2006 - A 3 S 990/05 - hat der Senat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der (Tatsachen)Frage zugelassen, ob tschetschenische Volkszugehörige in Tschetschenien einer Gruppenverfolgung unterliegen und ob für sie in den restlichen Gebieten der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative besteht. Der Beschluss ist der Beklagten am 19.01.2006 zugestellt worden.
10 
Am 07.02.2006 hat die Beklagte die Berufung begründet, in dem sie auf die Ausführungen in der Antragsschrift auf Zulassung der Berufung vom 19.10.2005 sowie auf die Ausführungen im Zulassungsbeschluss vom 11.01.2006 verwiesen hat.
11 
Die Beklagte beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05.10.2005 - A 11 K 11032/05 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
13 
Die Kläger beantragen,
14 
die Berufung zurückzuweisen,
15 
hilfsweise, zusätzlich festzustellen, dass die Voraussetzungen des Art. 15 c RL 2004/83/EG vorliegen.
16 
Zur Begründung beziehen sie sich auf die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts.
17 
In der mündlichen Verhandlung ist der Kläger zu den Gründen seines Asylantrags angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die darüber gefertigte Niederschrift verwiesen.
18 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Behördenakten und die Erkenntnismittel, aufgelistet in der den Beteiligten mit Schreiben vom 28.09.2006 übermittelten Erkenntnisquellenliste Russische Föderation (Stand: 28.09.2006) sowie die Gerichts- und Behördenakten im Verfahren der Tochter der Kläger zu 1 und 2 (- A 3 S 48/06 -). Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung, ebenso wie der Bericht von MEMORIAL „Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation, Juli 2005 bis Juli 2006“.

Entscheidungsgründe

 
I.
19 
Die Berufung des Beklagten ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 3, Abs. 3 Satz 4 VwGO erfüllt, wonach die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Berufungsgründe enthalten muss. Welche Mindestanforderungen danach an die Berufungsbegründung zu stellen sind, hängt wesentlich von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Das gesetzliche Erfordernis der Einreichung eines Schriftsatzes zur Berufungsbegründung kann grundsätzlich auch eine auf die erfolgreiche Begründung des Zulassungsantrags verweisende Begründung erfüllen, wenn damit hinreichend zum Ausdruck gebracht werden kann, dass und weshalb das erstinstanzliche Urteil weiterhin angefochten wird. In asylrechtlichen Streitigkeiten genügt eine Berufungsbegründung den Anforderungen des § 124 a Abs. 6 VwGO regelmäßig etwa dann, wenn sie zu einer entscheidungserheblichen Frage ihre von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich macht, was auch durch die Bezugnahme auf die Begründung des insoweit erfolgreichen Zulassungsantrags und auf den Zulassungsbeschluss geschehen kann (st. Rechtspr. des BVerwG, z.B. Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - ; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.11.1997 - A 16 S 193/97 -, NVwZ 1998, 1089 f.). Dem wird die auf den Berufungszulassungsantrag sowie den Zulassungsbeschluss des erkennenden Senats verweisende Berufungsbegründung der Beklagten vom 02.02.2006 gerecht.
II.
20 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind und daher auch zu Unrecht den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Den Klägern steht nämlich der mit der Berufung weiterverfolgte Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu, und die Beklagte kann auch nicht zur (hilfsweise beantragten) Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG, § 60 Abs. 7 AufenthG und Art. 15 c RL 2004/83/EG verpflichtet werden (siehe § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
1. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (Abkommen vom 28.07.1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge, BGBl. 1953 II, S. 559 - GFK -) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Nach Satz 4 dieser Bestimmung kann eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 ausgehen vom Staat selbst, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatliche Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten; dies gilt nach der gesetzlichen Regelung unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Eine Verfolgung liegt vor, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an eines der genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (siehe grundsätzlich: BVerfG, Urteil vom 10.07.1989 - 2 BvR 502, 1000 und 961/86 -, BVerfGE 80, 315, S. 339 und Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Stand Oktober 2006, RdNr. 41 zu § 60 AufenthG).
22 
Bei Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG ist die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004, ABl. vom 30.09.2004 L 304/12 (Qualifikationsrichtlinie) zu berücksichtigen, denn am 10.10.2006 ist gemäß Art. 38 Abs. 1 RL 2004/83/EG die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie abgelaufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kommt nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien im Recht der Mitgliedstaaten eine unmittelbare Wirkung zu, wenn die Richtlinie von ihrem Inhalt her unbedingt und hinreichend bestimmt ist, um im Einzelfall angewandt zu werden, und sie dem Einzelnen subjektiv-öffentliche Rechte einräumt oder jedenfalls seine rechtlichen Interessen schützen will (vgl. EuGH, Urteile vom 05.04.1979 - Rs. 148/78 - , Slg. 1979, 1629 Rn. 23; Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Kommentar, 2. Aufl. (2002), Art. 249 EGV RdNr. 73 ff.). Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Qualifikationsrichtlinie vor; die darin enthaltenen Regelungen erfüllen zum ganz überwiegenden Teil diese Voraussetzungen. Dies hat zur Folge, dass die nationalen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Richtlinienbestimmung richtlinienkonform auszulegen sind, und im Falle des Entgegenstehens der nationalen Bestimmung die Richtlinienbestimmung unmittelbare Anwendung findet (vgl. auch Hinweise des Bundesministerium des Innern vom 13.09.2006 zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG, S. 2 - künftig: Hinweise des BMI -). Hierbei sind die Anforderungen an die Verfolgungsmotivation und an die in Betracht kommenden (staatlichen und nichtstaatlichen) Verfolgungssubjekte in der RL 2004/83/EG und in dem ihr insoweit nachgebildeten § 60 Abs. 1 AufenthG deckungsgleich geregelt.
23 
Ob und inwieweit sich bei anderen Verfolgungsmerkmalen Abweichungen bei den Voraussetzungen und beim Verfolgungsmaßstab zwischen § 60 Abs. 1 AufenthG und der RL 2004/83/EG ergeben könnten, kann der Senat weitgehend offen lassen. Denn auch wenn von der für die Kläger jeweils günstigsten tatsächlichen und rechtlichen Konstellation hinsichtlich einer Vorverfolgung in Tschetschenien vor der Ausreise ausgegangen wird (dazu 1.) und der Senat zudem auch ihre Verfolgung in Tschetschenien im Falle der Rückkehr unterstellt , können sie Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AuslG und nach der RL 2004/83/EG jedenfalls deswegen nicht erhalten, weil ihnen jedenfalls eine inländische Fluchtalternative i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG bzw. interner Schutz im Sinne von Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie in Gebieten außerhalb Tschetscheniens zur Verfügung steht (dazu 2.).
24 
1. Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kommt nach nationalem Recht wie nach der RL 2004/83/EG ein herabgestufter Verfolgungsmaßstab zugute. Nach nationalem Recht kann ihm eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. BVerwGE 70, 169 <170 f.>). Nach diesem Maßstab wird nicht verlangt, dass die Gefahr erneuter Übergriffe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist - über die theoretische Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden, hinaus - erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.1992 - 9 C 62/91 -, NVwZ 1993 S. 191). Dem entspricht im Ergebnis Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, wonach die Tatsache einer bereits eingetretenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung als ernsthafter Hinweis darauf zu werten ist, dass die Furcht des Schutzsuchenden vor Verfolgung begründet ist.
25 
Der Senat unterstellt zugunsten der Kläger, dass sie vor der Ausreise aus Tschetschenien dort von einer derartigen Verfolgung in Form einer regionalen Gruppenverfolgung betroffen waren. Ob dies tatsächlich der Fall war - ob mithin tschetschenische Volkszugehörige aus Tschetschenien dort aus asylerheblichen Gründen (wegen ihres Volkstums oder ihrer politischen Überzeugung) in der erforderlichen Verfolgungsdichte und -intensität von staatlichen russischen Stellen verfolgt wurden - braucht demgemäß nicht entschieden zu werden. Allerdings folgt der Senat dem Verwaltungsgericht darin, dass die Kläger jedenfalls eine individuelle Vorverfolgung nicht belegen können. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann zunächst auf die überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu verwiesen werden. Auch der Senat hat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger jedenfalls hinsichtlich des Vorfalls im Jahre 2003, der Auslöser für seine Flucht gewesen sein soll, von Geschehnissen berichtet hat, die er nicht selbst erlebt hat. Zu oberflächlich und unbeteiligt geriet seine Schilderung. Auch soweit er erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat von sexuellen Erniedrigungen und Demütigungen berichtet hat, zeigte er keine Emotionen und vermittelte dem Senat einen durchweg unbeteiligten Eindruck. Hinzu kommt, dass es sich hierbei um eine deutliche Steigerung seines Vorbringens handelt, und er nicht plausibel erklären konnte, weshalb er diese Geschehnisse nicht bereits bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt oder dem Verwaltungsgericht offenbart hat. Seine Einlassung auf den Vorhalt des Gerichts, es sei ihm schwer gefallen, die sexuellen Demütigungen und Erniedrigungen einem Richter gegenüber zu bekunden, weil es sich bei den Soldaten ja um Männer gehandelt habe, überzeugen den Senat schon deshalb nicht, weil der Kläger sich in einer Art und Weise geäußert hat, die eine wirkliche Betroffenheit vermissen ließ.
26 
2. Auf der Grundlage der (unterstellten) (Gruppen-) Vorverfolgung der Kläger wäre ein Anspruch auf Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG dann gegeben, wenn sie zum einen auch bei einer Rückkehr nach Tschetschenien wegen ihrer tschetschenischen Volkszugehörigkeit einer (regionalen) Gruppenverfolgung - mit der erforderlichen Verfolgungsmotivation und Verfolgungsdichte - unterlägen, wobei sie sich auf einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab berufen könnten, und wenn ihnen zum anderen eine zumutbare inländische Flüchtalternative in anderen Landesteilen Russlands nicht zur Verfügung stünde. Ob die erstgenannte Voraussetzung (Gruppenverfolgung in Tschetschenien, hinreichende Sicherheit) gegeben ist, braucht der Senat ebenfalls nicht zu entscheiden. Denn auch wenn er diesen Verfolgungssachverhalt zu Gunsten der Kläger unterstellt, können sich die Kläger jedenfalls an einen Ort innerhalb der Russischen Föderation begeben, an dem sie eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG nach Maßgabe der Auslegungskriterien nach Art. 8 RL 2004/83/EG (interner Schutz) finden können.
27 
a) Gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) können die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht, und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Gemäß Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG berücksichtigen die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Art. 8 RL 2004/83/EG ermächtigt die Mitgliedsstaaten zunächst grundsätzlich, den internationalen Schutz einzuschränken, wenn die betreffende Person in einem Teil des Herkunftslandes unter zumutbaren Umständen Schutz vor Verfolgung gefunden hat oder findet. Wie Art. 1 Nr. 38 a) bb) und cc) des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (Stand: 13.03.2006) zeigt, werden diese Vorgaben in der Neufassung des § 60 Abs. 1 AufenthG aufgegriffen und umgesetzt.
28 
Nach Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG kommt es nunmehr auf die am Ort des internen Schutzes bestehenden „allgemeinen Gegebenheiten“ und zusätzlich auch auf die „persönlichen Umstände“ des Asylsuchenden im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag an (so auch die Begründung des oben genannten Gesetz-Entwurfs zu Art. 1, Nr. 38 zur Auslegung von Art. 8 RL 2004/83/EG, S. 193 f.). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2004/83/EG zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist , dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben.
29 
Dies entspricht im Kern der geltenden Rechtsprechung zu den Mindestanforderungen einer inländischen Fluchtalternative. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierbei auch bisher schon die individuellen Umstände des Asylsuchenden in den Blick genommen. So hat es eine inländische Fluchtalternative beispielsweise dann verneint, wenn für einen vorverfolgten Flüchtling am Zufluchtsort das wirtschaftliche Existenzminimum wegen in seiner Person liegender Merkmale - etwa wegen Behinderung oder wegen hohen Alters - nicht gewährleistet ist oder wenn der Vorverfolgte am Ort der Fluchtalternative keine Verwandten oder Freunde hat, bei denen er Obdach oder Unterstützung finden könnte, und ohne eine solche Unterstützung dort kein Leben über dem Existenzminimum möglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1993 - 9 C 45.92 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166). In einer neuen Entscheidung hat sich das Bundesverwaltungsgericht ferner mit der Frage auseinandergesetzt, was dem Betroffenen am Ort der Fluchtalternative an Tätigkeiten zumutbar ist, um seinen Lebensunterhalt zu sichern (Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - ) und hat damit Erwägungen angestellt, die auch den Anforderungen des Art. 8 RL 2004/83/EG Rechnung tragen. Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, denen der Senat folgt, bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich dann, wenn sie dort - was grundsätzlich zumutbar ist - durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer "Schatten- oder Nischenwirtschaft" stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen „mafiöser“ Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 17.05.2005 - 1 B 100/05 - ). Maßgeblich ist grundsätzlich auch nicht, ob der Staat den Flüchtlingen einen durchgehend legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde, vielmehr ist in tatsächlicher Hinsicht zu fragen, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - a.a.O.; a.A. OVG Magdeburg, Urteil v. 31.03.2006 - 2 L 40/06 - , d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit aufgebracht werden können.
30 
b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist es den Klägern - nach der gegenwärtigen Sachlage (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG sowie Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG) - zuzumuten und kann von ihnen daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass sie ihren Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nehmen, an dem sie vor Verfolgung sicher sind und wo ihr soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist. Selbst wenn dabei mit dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A - ) und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Bay.VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597 - ) die Regionen Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Krasnodar und Stawropol als Orte/Räume einer inländischen Fluchtalternative ebenso ausgenommen werden wie die russische Hauptstadt Moskau und Petersburg, hat zumindest die Klägerin zu 2 gegenwärtig die Möglichkeit, in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands eine Registrierung zu erhalten und mit ihrer Registrierung für die ganze Familie das soziale und wirtschaftliche Existenzminimum zu sichern, denn sie verfügt über einen neuen gültigen russischen Inlandspass, der u.a. Voraussetzung für eine Registrierung ist. Hierzu ist im Einzelnen folgendes auszuführen:
31 
Art. 27 der russischen Verfassung von 1993 garantiert zwar die Niederlassungsfreiheit. Dieses Recht ist indessen strikt begrenzt durch regionale und lokale Bestimmungen und durch das de facto vielerorts noch gültige Propiska-System, das vor dem mit dem Föderationsgesetz im Jahre 1993 eingeführten Registrierungssystem galt und das nicht nur eine Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vorsah. Nach dem Registrierungssystem ist nunmehr Voraussetzung für eine dauerhafte Registrierung, dass der Antragsteller einen Wohnraumnachweis führen kann und über einen russischen Inlandspass verfügt. Ein in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht für eine dauerhafte Registrierung nicht aus (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26). Trotz der Systemumstellung durch das Föderationsgesetz wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an, weshalb Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens erhebliche Schwierigkeiten haben, eine offizielle Registrierung zu erhalten. Besonders in Moskau haben zurückgeführte Tschetschenen in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt Aufnahme zu finden, wenn sie über genügend Geld verfügen oder auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können. Hierbei haben sich die administrativen Schwierigkeiten und auch die Behördenwillkür nach der Geiselnahme im Oktober 2002 gegenüber - besonderes auch rückkehrenden - Tschetschenen verstärkt; daran dürfte sich auf absehbare Zeit angesichts der weiterhin fortbestehenden Terrorgefahr auch nichts ändern (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26).
32 
Die genannten Registrierungsvoraussetzungen gelten im ganzen Land. Gleichwohl ist eine offizielle Registrierung in anderen Regionen der Russischen Föderation, vor allem in Südrussland, grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil Wohnraum - eine der Registrierungsvoraussetzungen - dort erheblich billiger ist als in der russischen Hauptstadt mit ihren hohen Mieten. Neben Moskau, wo etwa 200.000 Tschetschenen leben und den oben genannten, als Ort des internen Schutzes möglicherweise nicht in Betracht kommenden Regionen, ist es Tschetschenen auch gelungen, sich im Gebiet Rostow (70.000), in der Wolgaregion (50.000), in Nordossetien (4.000) und in Karatschajewo-Tscherkessien (23.000) anzusiedeln (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 18).
33 
c) Zur Überzeugung des Senats wird es auch der Klägerin zu 2, die im Besitz eines neuen gültigen russischen Inlandspasses ist, gelingen, in diesen tschetschenischen Siedlungsgebieten Wohnraum für sich und ihre Familie zu erlangen und damit grundsätzlich die geforderten Rechtsvoraussetzungen für eine Registrierung zu erfüllen. Im Hinblick auf die Möglichkeit, eine Registrierung zu erhalten bzw. ohne eine solche zu leben, führt MEMORIAL in seinem Schreiben vom 16.10.2005 allerdings aus, dass es sich auch an kleinen Orten nicht ohne Registrierung leben lasse, denn diese werde an jedem Ort benötigt. Hinzu komme, dass in kleinen Ortschaften alles sichtbar sei und man nicht „mit der großen Masse verschmelzen“ könne. Der Senat geht gleichwohl nicht davon aus, dass die Klägerin zu 2 an einem solchen Ort ohne Registrierung wird leben müssen. Trotz aller Schwierigkeiten, vor die sich die Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe bei Registrierungen gestellt sehen, ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eine Registrierung in vielen Landesteilen möglich, wenn auch oft erst nach Intervention von Nicht-Regierungsorganisationen, Duma-Abgeordneten oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten oder durch Bestechung (Lagebericht des AA vom 18.08.2006, Stand Juli 2006, S. 27). Bei ihren diesbezüglichen Bemühungen kann die Klägerin zu 2 auch auf die Unterstützung ihres Ehemannes zählen. Auch wenn dieser selbst über keinen gültigen Inlandspass verfügt und damit die Registrierungsvoraussetzungen für seine Person nicht erfüllt, wird es ihm gelingen, in der stark männlich dominierten tschetschenischen Diaspora Wohnraum zu organisieren und für sich selbst - auch ohne eigene Registrierung (dazu sogleich) - zumindest in der so genannten „Schattenwirtschaft“ eine Arbeit zu finden, die es ihm ermöglicht, das wirtschaftliche Existenzminimum für sich und seine Familie zu sichern. Darauf, ob er sich selbst registrieren lassen kann - wofür mangels eines gültigen Passes wenig spricht - und ob es ihm zumutbar wäre, zunächst nach Tschetschenien zurückzukehren, um sich einen neuen Pass zu beschaffen (dazu AA vom 22.11.2005 an VG Berlin), kommt es vorliegend nicht an. Denn für ihn als Angehörigen einer grundsätzlich registrierungsberechtigten Ehefrau ist auch ohne gültigen Pass eine Aufenthaltsnahme in einer als Ort des internen Schutzes in Betracht kommenden anderen Region der Russischen Föderation möglich und zumutbar (vgl. hierzu auch Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A- Nr. 53 des Dokuments; für den Fall eines 35jährigen allein stehenden Mannes).
34 
Der Senat verkennt nicht, dass die Konsequenzen einer Nichtregistrierung gravierend sind und Rechtspositionen sowie eine Reihe sozialer Leistungen von der Registrierung abhängen, so das Recht auf Beschäftigung, auf medizinische Versorgung und Ausbildung. Gleichwohl werden sich die Kläger nach den besonderen Umständen des Falles in den Zufluchtgebieten mit zumutbaren Anstrengungen eine ausreichende Lebensgrundlage schaffen können ( zu den generellen Verhältnissen nicht registrierter Tschetschenen vgl. zuletzt AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 27). Entscheidend ist, dass die Klägerin zu 2 über einen gültigen russischen Inlandspass verfügt. Damit wird es ihr nach Einschätzung des Senats möglich sein, in der Russischen Föderation - außerhalb der oben angeführten Regionen, die als Orte des internen Schutzes nicht in Betracht kommen - eine Registrierung zu erhalten. Jedenfalls auf Grundlage dieser Registrierung wird es den Klägern im Familienverbund gelingen, sich durch eine Tätigkeit des Klägers in der in der Russischen Föderation weit verbreiteten sog. „Schattenwirtschaft“ eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen. Der Kläger ist ersichtlich gesund und zu körperlicher Arbeit in der Lage. Er hat auch bereits in der Landwirtschaft gearbeitet und beim Bau mitgeholfen. Darauf, ob der Familie auch ohne Registrierung „vernünftigerweise“ angesonnen werden könnte, sich in einer der Zufluchtsregionen aufzuhalten - laut MEMORIAL („Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation, Juli 2005 bis Juli 2006“, S. 35) ist seit Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 122 der Empfang von staatlichen Unterstützungsgeldern und Renten bei fehlender Registrierung nicht möglich und wird der Besuch des Kindergartens und manchmal sogar der Schulbesuch erschwert - kommt es nicht an.
III.
35 
Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG vor, wobei für die Auslegung Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 RL 2004/83/EG jeweils heranzuziehen sind (vgl. Hinweise des BMI, S.15). Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern bei einer Rückkehr in die Russische Föderation Folter (§ 60 Abs. 2 AufenthG), die Todesstrafe (§ 60 Abs. 3 AufenthG) oder insbesondere eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 der EMRK (§ 60 Abs. 5 AufenthG) droht. Art. 2 e RL 2004/83/EG definiert die „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ als Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der bei einer Rückkehr Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie zu erleiden. Auch für diese Personen sieht Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG vor, dass für sie - falls sie bereits vor ihrer Ausreise einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten haben -, der herab gestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab Anwendung findet. Auch wenn der Senat dessen Vorliegen auch hier bei den Klägern unterstellt, scheidet ein Anspruch aus den oben genannten Gründen aus.
36 
Auch für eine Schutzgewährung nach § 60 Abs. 7 AufenthG gilt entsprechendes. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Mit Blick auf die Qualifikationsrichtlinie ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt ist. Bei der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG gelten Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 der Richtlinie 2004/83/EG. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Hinblick auf die Tatsache, dass die Umsetzungsfrist für die Qualifikationsrichtlinie mittlerweile abgelaufen ist, hilfsweise beantragt haben, zusätzlich festzustellen, dass die Voraussetzungen des Art. 15 c RL 2004/83/EG vorliegen, können sie damit gleichfalls nicht durchdringen, denn Art. 15 c RL 2004/83/EG ist ein Unterfall des § 60 Abs. 7 AufenthG und regelt die subsidiäre Schutzgewährung in Fällen willkürlicher Gewalt im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall auf die Situation in Tschetschenien zutreffen, kann dahinstehen, denn auch hier gilt, dass den Klägern nach den obigen Ausführungen eine zumutbare interne Schutzalternative zur Verfügung steht, diese auch erreichbar ist und von ihnen vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich dort aufhalten.
IV.
37 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
38 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist. Insbesondere kommt es auf die Frage, ob (und welche) tschetschenische Volkszugehörige in Tschetschenien einer (regionalen) Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht an.

Gründe

 
I.
19 
Die Berufung des Beklagten ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 3, Abs. 3 Satz 4 VwGO erfüllt, wonach die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Berufungsgründe enthalten muss. Welche Mindestanforderungen danach an die Berufungsbegründung zu stellen sind, hängt wesentlich von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Das gesetzliche Erfordernis der Einreichung eines Schriftsatzes zur Berufungsbegründung kann grundsätzlich auch eine auf die erfolgreiche Begründung des Zulassungsantrags verweisende Begründung erfüllen, wenn damit hinreichend zum Ausdruck gebracht werden kann, dass und weshalb das erstinstanzliche Urteil weiterhin angefochten wird. In asylrechtlichen Streitigkeiten genügt eine Berufungsbegründung den Anforderungen des § 124 a Abs. 6 VwGO regelmäßig etwa dann, wenn sie zu einer entscheidungserheblichen Frage ihre von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich macht, was auch durch die Bezugnahme auf die Begründung des insoweit erfolgreichen Zulassungsantrags und auf den Zulassungsbeschluss geschehen kann (st. Rechtspr. des BVerwG, z.B. Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - ; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.11.1997 - A 16 S 193/97 -, NVwZ 1998, 1089 f.). Dem wird die auf den Berufungszulassungsantrag sowie den Zulassungsbeschluss des erkennenden Senats verweisende Berufungsbegründung der Beklagten vom 02.02.2006 gerecht.
II.
20 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind und daher auch zu Unrecht den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Den Klägern steht nämlich der mit der Berufung weiterverfolgte Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu, und die Beklagte kann auch nicht zur (hilfsweise beantragten) Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG, § 60 Abs. 7 AufenthG und Art. 15 c RL 2004/83/EG verpflichtet werden (siehe § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
1. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (Abkommen vom 28.07.1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge, BGBl. 1953 II, S. 559 - GFK -) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Nach Satz 4 dieser Bestimmung kann eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 ausgehen vom Staat selbst, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatliche Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten; dies gilt nach der gesetzlichen Regelung unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Eine Verfolgung liegt vor, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an eines der genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (siehe grundsätzlich: BVerfG, Urteil vom 10.07.1989 - 2 BvR 502, 1000 und 961/86 -, BVerfGE 80, 315, S. 339 und Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Stand Oktober 2006, RdNr. 41 zu § 60 AufenthG).
22 
Bei Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG ist die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004, ABl. vom 30.09.2004 L 304/12 (Qualifikationsrichtlinie) zu berücksichtigen, denn am 10.10.2006 ist gemäß Art. 38 Abs. 1 RL 2004/83/EG die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie abgelaufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kommt nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien im Recht der Mitgliedstaaten eine unmittelbare Wirkung zu, wenn die Richtlinie von ihrem Inhalt her unbedingt und hinreichend bestimmt ist, um im Einzelfall angewandt zu werden, und sie dem Einzelnen subjektiv-öffentliche Rechte einräumt oder jedenfalls seine rechtlichen Interessen schützen will (vgl. EuGH, Urteile vom 05.04.1979 - Rs. 148/78 - , Slg. 1979, 1629 Rn. 23; Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Kommentar, 2. Aufl. (2002), Art. 249 EGV RdNr. 73 ff.). Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Qualifikationsrichtlinie vor; die darin enthaltenen Regelungen erfüllen zum ganz überwiegenden Teil diese Voraussetzungen. Dies hat zur Folge, dass die nationalen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Richtlinienbestimmung richtlinienkonform auszulegen sind, und im Falle des Entgegenstehens der nationalen Bestimmung die Richtlinienbestimmung unmittelbare Anwendung findet (vgl. auch Hinweise des Bundesministerium des Innern vom 13.09.2006 zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG, S. 2 - künftig: Hinweise des BMI -). Hierbei sind die Anforderungen an die Verfolgungsmotivation und an die in Betracht kommenden (staatlichen und nichtstaatlichen) Verfolgungssubjekte in der RL 2004/83/EG und in dem ihr insoweit nachgebildeten § 60 Abs. 1 AufenthG deckungsgleich geregelt.
23 
Ob und inwieweit sich bei anderen Verfolgungsmerkmalen Abweichungen bei den Voraussetzungen und beim Verfolgungsmaßstab zwischen § 60 Abs. 1 AufenthG und der RL 2004/83/EG ergeben könnten, kann der Senat weitgehend offen lassen. Denn auch wenn von der für die Kläger jeweils günstigsten tatsächlichen und rechtlichen Konstellation hinsichtlich einer Vorverfolgung in Tschetschenien vor der Ausreise ausgegangen wird (dazu 1.) und der Senat zudem auch ihre Verfolgung in Tschetschenien im Falle der Rückkehr unterstellt , können sie Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AuslG und nach der RL 2004/83/EG jedenfalls deswegen nicht erhalten, weil ihnen jedenfalls eine inländische Fluchtalternative i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG bzw. interner Schutz im Sinne von Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie in Gebieten außerhalb Tschetscheniens zur Verfügung steht (dazu 2.).
24 
1. Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kommt nach nationalem Recht wie nach der RL 2004/83/EG ein herabgestufter Verfolgungsmaßstab zugute. Nach nationalem Recht kann ihm eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. BVerwGE 70, 169 <170 f.>). Nach diesem Maßstab wird nicht verlangt, dass die Gefahr erneuter Übergriffe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist - über die theoretische Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden, hinaus - erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.1992 - 9 C 62/91 -, NVwZ 1993 S. 191). Dem entspricht im Ergebnis Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, wonach die Tatsache einer bereits eingetretenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung als ernsthafter Hinweis darauf zu werten ist, dass die Furcht des Schutzsuchenden vor Verfolgung begründet ist.
25 
Der Senat unterstellt zugunsten der Kläger, dass sie vor der Ausreise aus Tschetschenien dort von einer derartigen Verfolgung in Form einer regionalen Gruppenverfolgung betroffen waren. Ob dies tatsächlich der Fall war - ob mithin tschetschenische Volkszugehörige aus Tschetschenien dort aus asylerheblichen Gründen (wegen ihres Volkstums oder ihrer politischen Überzeugung) in der erforderlichen Verfolgungsdichte und -intensität von staatlichen russischen Stellen verfolgt wurden - braucht demgemäß nicht entschieden zu werden. Allerdings folgt der Senat dem Verwaltungsgericht darin, dass die Kläger jedenfalls eine individuelle Vorverfolgung nicht belegen können. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann zunächst auf die überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu verwiesen werden. Auch der Senat hat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger jedenfalls hinsichtlich des Vorfalls im Jahre 2003, der Auslöser für seine Flucht gewesen sein soll, von Geschehnissen berichtet hat, die er nicht selbst erlebt hat. Zu oberflächlich und unbeteiligt geriet seine Schilderung. Auch soweit er erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat von sexuellen Erniedrigungen und Demütigungen berichtet hat, zeigte er keine Emotionen und vermittelte dem Senat einen durchweg unbeteiligten Eindruck. Hinzu kommt, dass es sich hierbei um eine deutliche Steigerung seines Vorbringens handelt, und er nicht plausibel erklären konnte, weshalb er diese Geschehnisse nicht bereits bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt oder dem Verwaltungsgericht offenbart hat. Seine Einlassung auf den Vorhalt des Gerichts, es sei ihm schwer gefallen, die sexuellen Demütigungen und Erniedrigungen einem Richter gegenüber zu bekunden, weil es sich bei den Soldaten ja um Männer gehandelt habe, überzeugen den Senat schon deshalb nicht, weil der Kläger sich in einer Art und Weise geäußert hat, die eine wirkliche Betroffenheit vermissen ließ.
26 
2. Auf der Grundlage der (unterstellten) (Gruppen-) Vorverfolgung der Kläger wäre ein Anspruch auf Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG dann gegeben, wenn sie zum einen auch bei einer Rückkehr nach Tschetschenien wegen ihrer tschetschenischen Volkszugehörigkeit einer (regionalen) Gruppenverfolgung - mit der erforderlichen Verfolgungsmotivation und Verfolgungsdichte - unterlägen, wobei sie sich auf einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab berufen könnten, und wenn ihnen zum anderen eine zumutbare inländische Flüchtalternative in anderen Landesteilen Russlands nicht zur Verfügung stünde. Ob die erstgenannte Voraussetzung (Gruppenverfolgung in Tschetschenien, hinreichende Sicherheit) gegeben ist, braucht der Senat ebenfalls nicht zu entscheiden. Denn auch wenn er diesen Verfolgungssachverhalt zu Gunsten der Kläger unterstellt, können sich die Kläger jedenfalls an einen Ort innerhalb der Russischen Föderation begeben, an dem sie eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG nach Maßgabe der Auslegungskriterien nach Art. 8 RL 2004/83/EG (interner Schutz) finden können.
27 
a) Gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) können die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht, und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Gemäß Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG berücksichtigen die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Art. 8 RL 2004/83/EG ermächtigt die Mitgliedsstaaten zunächst grundsätzlich, den internationalen Schutz einzuschränken, wenn die betreffende Person in einem Teil des Herkunftslandes unter zumutbaren Umständen Schutz vor Verfolgung gefunden hat oder findet. Wie Art. 1 Nr. 38 a) bb) und cc) des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (Stand: 13.03.2006) zeigt, werden diese Vorgaben in der Neufassung des § 60 Abs. 1 AufenthG aufgegriffen und umgesetzt.
28 
Nach Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG kommt es nunmehr auf die am Ort des internen Schutzes bestehenden „allgemeinen Gegebenheiten“ und zusätzlich auch auf die „persönlichen Umstände“ des Asylsuchenden im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag an (so auch die Begründung des oben genannten Gesetz-Entwurfs zu Art. 1, Nr. 38 zur Auslegung von Art. 8 RL 2004/83/EG, S. 193 f.). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2004/83/EG zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist , dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben.
29 
Dies entspricht im Kern der geltenden Rechtsprechung zu den Mindestanforderungen einer inländischen Fluchtalternative. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierbei auch bisher schon die individuellen Umstände des Asylsuchenden in den Blick genommen. So hat es eine inländische Fluchtalternative beispielsweise dann verneint, wenn für einen vorverfolgten Flüchtling am Zufluchtsort das wirtschaftliche Existenzminimum wegen in seiner Person liegender Merkmale - etwa wegen Behinderung oder wegen hohen Alters - nicht gewährleistet ist oder wenn der Vorverfolgte am Ort der Fluchtalternative keine Verwandten oder Freunde hat, bei denen er Obdach oder Unterstützung finden könnte, und ohne eine solche Unterstützung dort kein Leben über dem Existenzminimum möglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1993 - 9 C 45.92 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166). In einer neuen Entscheidung hat sich das Bundesverwaltungsgericht ferner mit der Frage auseinandergesetzt, was dem Betroffenen am Ort der Fluchtalternative an Tätigkeiten zumutbar ist, um seinen Lebensunterhalt zu sichern (Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - ) und hat damit Erwägungen angestellt, die auch den Anforderungen des Art. 8 RL 2004/83/EG Rechnung tragen. Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, denen der Senat folgt, bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich dann, wenn sie dort - was grundsätzlich zumutbar ist - durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer "Schatten- oder Nischenwirtschaft" stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen „mafiöser“ Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 17.05.2005 - 1 B 100/05 - ). Maßgeblich ist grundsätzlich auch nicht, ob der Staat den Flüchtlingen einen durchgehend legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde, vielmehr ist in tatsächlicher Hinsicht zu fragen, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - a.a.O.; a.A. OVG Magdeburg, Urteil v. 31.03.2006 - 2 L 40/06 - , d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit aufgebracht werden können.
30 
b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist es den Klägern - nach der gegenwärtigen Sachlage (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG sowie Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG) - zuzumuten und kann von ihnen daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass sie ihren Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nehmen, an dem sie vor Verfolgung sicher sind und wo ihr soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist. Selbst wenn dabei mit dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A - ) und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Bay.VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597 - ) die Regionen Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Krasnodar und Stawropol als Orte/Räume einer inländischen Fluchtalternative ebenso ausgenommen werden wie die russische Hauptstadt Moskau und Petersburg, hat zumindest die Klägerin zu 2 gegenwärtig die Möglichkeit, in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands eine Registrierung zu erhalten und mit ihrer Registrierung für die ganze Familie das soziale und wirtschaftliche Existenzminimum zu sichern, denn sie verfügt über einen neuen gültigen russischen Inlandspass, der u.a. Voraussetzung für eine Registrierung ist. Hierzu ist im Einzelnen folgendes auszuführen:
31 
Art. 27 der russischen Verfassung von 1993 garantiert zwar die Niederlassungsfreiheit. Dieses Recht ist indessen strikt begrenzt durch regionale und lokale Bestimmungen und durch das de facto vielerorts noch gültige Propiska-System, das vor dem mit dem Föderationsgesetz im Jahre 1993 eingeführten Registrierungssystem galt und das nicht nur eine Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vorsah. Nach dem Registrierungssystem ist nunmehr Voraussetzung für eine dauerhafte Registrierung, dass der Antragsteller einen Wohnraumnachweis führen kann und über einen russischen Inlandspass verfügt. Ein in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht für eine dauerhafte Registrierung nicht aus (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26). Trotz der Systemumstellung durch das Föderationsgesetz wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an, weshalb Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens erhebliche Schwierigkeiten haben, eine offizielle Registrierung zu erhalten. Besonders in Moskau haben zurückgeführte Tschetschenen in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt Aufnahme zu finden, wenn sie über genügend Geld verfügen oder auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können. Hierbei haben sich die administrativen Schwierigkeiten und auch die Behördenwillkür nach der Geiselnahme im Oktober 2002 gegenüber - besonderes auch rückkehrenden - Tschetschenen verstärkt; daran dürfte sich auf absehbare Zeit angesichts der weiterhin fortbestehenden Terrorgefahr auch nichts ändern (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26).
32 
Die genannten Registrierungsvoraussetzungen gelten im ganzen Land. Gleichwohl ist eine offizielle Registrierung in anderen Regionen der Russischen Föderation, vor allem in Südrussland, grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil Wohnraum - eine der Registrierungsvoraussetzungen - dort erheblich billiger ist als in der russischen Hauptstadt mit ihren hohen Mieten. Neben Moskau, wo etwa 200.000 Tschetschenen leben und den oben genannten, als Ort des internen Schutzes möglicherweise nicht in Betracht kommenden Regionen, ist es Tschetschenen auch gelungen, sich im Gebiet Rostow (70.000), in der Wolgaregion (50.000), in Nordossetien (4.000) und in Karatschajewo-Tscherkessien (23.000) anzusiedeln (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 18).
33 
c) Zur Überzeugung des Senats wird es auch der Klägerin zu 2, die im Besitz eines neuen gültigen russischen Inlandspasses ist, gelingen, in diesen tschetschenischen Siedlungsgebieten Wohnraum für sich und ihre Familie zu erlangen und damit grundsätzlich die geforderten Rechtsvoraussetzungen für eine Registrierung zu erfüllen. Im Hinblick auf die Möglichkeit, eine Registrierung zu erhalten bzw. ohne eine solche zu leben, führt MEMORIAL in seinem Schreiben vom 16.10.2005 allerdings aus, dass es sich auch an kleinen Orten nicht ohne Registrierung leben lasse, denn diese werde an jedem Ort benötigt. Hinzu komme, dass in kleinen Ortschaften alles sichtbar sei und man nicht „mit der großen Masse verschmelzen“ könne. Der Senat geht gleichwohl nicht davon aus, dass die Klägerin zu 2 an einem solchen Ort ohne Registrierung wird leben müssen. Trotz aller Schwierigkeiten, vor die sich die Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe bei Registrierungen gestellt sehen, ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eine Registrierung in vielen Landesteilen möglich, wenn auch oft erst nach Intervention von Nicht-Regierungsorganisationen, Duma-Abgeordneten oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten oder durch Bestechung (Lagebericht des AA vom 18.08.2006, Stand Juli 2006, S. 27). Bei ihren diesbezüglichen Bemühungen kann die Klägerin zu 2 auch auf die Unterstützung ihres Ehemannes zählen. Auch wenn dieser selbst über keinen gültigen Inlandspass verfügt und damit die Registrierungsvoraussetzungen für seine Person nicht erfüllt, wird es ihm gelingen, in der stark männlich dominierten tschetschenischen Diaspora Wohnraum zu organisieren und für sich selbst - auch ohne eigene Registrierung (dazu sogleich) - zumindest in der so genannten „Schattenwirtschaft“ eine Arbeit zu finden, die es ihm ermöglicht, das wirtschaftliche Existenzminimum für sich und seine Familie zu sichern. Darauf, ob er sich selbst registrieren lassen kann - wofür mangels eines gültigen Passes wenig spricht - und ob es ihm zumutbar wäre, zunächst nach Tschetschenien zurückzukehren, um sich einen neuen Pass zu beschaffen (dazu AA vom 22.11.2005 an VG Berlin), kommt es vorliegend nicht an. Denn für ihn als Angehörigen einer grundsätzlich registrierungsberechtigten Ehefrau ist auch ohne gültigen Pass eine Aufenthaltsnahme in einer als Ort des internen Schutzes in Betracht kommenden anderen Region der Russischen Föderation möglich und zumutbar (vgl. hierzu auch Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A- Nr. 53 des Dokuments; für den Fall eines 35jährigen allein stehenden Mannes).
34 
Der Senat verkennt nicht, dass die Konsequenzen einer Nichtregistrierung gravierend sind und Rechtspositionen sowie eine Reihe sozialer Leistungen von der Registrierung abhängen, so das Recht auf Beschäftigung, auf medizinische Versorgung und Ausbildung. Gleichwohl werden sich die Kläger nach den besonderen Umständen des Falles in den Zufluchtgebieten mit zumutbaren Anstrengungen eine ausreichende Lebensgrundlage schaffen können ( zu den generellen Verhältnissen nicht registrierter Tschetschenen vgl. zuletzt AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 27). Entscheidend ist, dass die Klägerin zu 2 über einen gültigen russischen Inlandspass verfügt. Damit wird es ihr nach Einschätzung des Senats möglich sein, in der Russischen Föderation - außerhalb der oben angeführten Regionen, die als Orte des internen Schutzes nicht in Betracht kommen - eine Registrierung zu erhalten. Jedenfalls auf Grundlage dieser Registrierung wird es den Klägern im Familienverbund gelingen, sich durch eine Tätigkeit des Klägers in der in der Russischen Föderation weit verbreiteten sog. „Schattenwirtschaft“ eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen. Der Kläger ist ersichtlich gesund und zu körperlicher Arbeit in der Lage. Er hat auch bereits in der Landwirtschaft gearbeitet und beim Bau mitgeholfen. Darauf, ob der Familie auch ohne Registrierung „vernünftigerweise“ angesonnen werden könnte, sich in einer der Zufluchtsregionen aufzuhalten - laut MEMORIAL („Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation, Juli 2005 bis Juli 2006“, S. 35) ist seit Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 122 der Empfang von staatlichen Unterstützungsgeldern und Renten bei fehlender Registrierung nicht möglich und wird der Besuch des Kindergartens und manchmal sogar der Schulbesuch erschwert - kommt es nicht an.
III.
35 
Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG vor, wobei für die Auslegung Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 RL 2004/83/EG jeweils heranzuziehen sind (vgl. Hinweise des BMI, S.15). Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern bei einer Rückkehr in die Russische Föderation Folter (§ 60 Abs. 2 AufenthG), die Todesstrafe (§ 60 Abs. 3 AufenthG) oder insbesondere eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 der EMRK (§ 60 Abs. 5 AufenthG) droht. Art. 2 e RL 2004/83/EG definiert die „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ als Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der bei einer Rückkehr Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie zu erleiden. Auch für diese Personen sieht Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG vor, dass für sie - falls sie bereits vor ihrer Ausreise einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten haben -, der herab gestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab Anwendung findet. Auch wenn der Senat dessen Vorliegen auch hier bei den Klägern unterstellt, scheidet ein Anspruch aus den oben genannten Gründen aus.
36 
Auch für eine Schutzgewährung nach § 60 Abs. 7 AufenthG gilt entsprechendes. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Mit Blick auf die Qualifikationsrichtlinie ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt ist. Bei der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG gelten Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 der Richtlinie 2004/83/EG. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Hinblick auf die Tatsache, dass die Umsetzungsfrist für die Qualifikationsrichtlinie mittlerweile abgelaufen ist, hilfsweise beantragt haben, zusätzlich festzustellen, dass die Voraussetzungen des Art. 15 c RL 2004/83/EG vorliegen, können sie damit gleichfalls nicht durchdringen, denn Art. 15 c RL 2004/83/EG ist ein Unterfall des § 60 Abs. 7 AufenthG und regelt die subsidiäre Schutzgewährung in Fällen willkürlicher Gewalt im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall auf die Situation in Tschetschenien zutreffen, kann dahinstehen, denn auch hier gilt, dass den Klägern nach den obigen Ausführungen eine zumutbare interne Schutzalternative zur Verfügung steht, diese auch erreichbar ist und von ihnen vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich dort aufhalten.
IV.
37 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
38 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist. Insbesondere kommt es auf die Frage, ob (und welche) tschetschenische Volkszugehörige in Tschetschenien einer (regionalen) Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht an.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. März 2005 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes – 12 K 117/04.A – wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Antragsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren im zweiten Rechtszug wird abgelehnt.

Gründe

Dem Antrag des im Jahre 2002 in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten Klägers, der Staatsangehöriger der russischen Föderation tschetschenischer Volkszugehörigkeit ist, auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 18.3.2005, mit dem das Verwaltungsgericht seine Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Bestehens von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 1 bis 7 AufenthaltsG abgewiesen hat, kann nicht entsprochen werden.

Das Vorbringen des Klägers in der Begründung seines Zulassungsantrages, das den gerichtlichen Prüfungsumfang in dem vorliegenden Verfahren begrenzt, rechtfertigt nicht die erstrebte Berufungszulassung wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG).

Soweit der Kläger die Frage als grundsätzlich bedeutsam aufwirft, ob tschetschenische Volkszugehörige als solche in der russischen Föderation einer Verfolgung ausgesetzt sind, ist diese Frage in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes geklärt,

hierzu Entscheidungen vom 23.6.2005 – 2 R 4/04 -, 2 R 17/03 -, - 2 R 16/03 - und - 2 R 11/03 – sowie vom 21.4.2005 – 2 Q 46/04 -.

Dort ist ausgeführt, dass eine landesweite Kollektivverfolgung aller tschetschenischen Volkszugehörigen im (gesamten) Staatsgebiet der Russischen Föderation bei Anlegung der hierzu in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten strengen Maßstäbe ungeachtet der sich im Gefolge von Terroranschlägen in der jüngeren Vergangenheit verschärfenden Spannungen und Vorbehalte nicht festgestellt werden kann. Insofern lasse sich nach dem vorliegenden Auskunftsmaterial weder ein staatliches (russisches) Verfolgungsprogramm mit dem Ziel einer physischen Vernichtung und/oder der gewaltsamen Vertreibung aller Tschetschenen aus dem Staatsgebiet nachweisen, noch ließen bekannt gewordene Einzelverfolgungsmaßnahmen mit Blick auf die zahlenmäßige Größe der die bei weitem größte der im Nordkaukasus beheimateten Ethnien stellenden Volksgruppe der Tschetschenen die Feststellung einer die Annahme einer landesweiten Gruppenverfolgung gebietenden Verfolgungsdichte zu.

Ob bezogen auf das Territorium von Tschetschenien das Vorliegen der genannten Voraussetzungen für die Annahme einer „regionalen Gruppenverfolgung“ anzunehmen ist, bleibt in den zitierten Entscheidungen offen. Selbst bei Anlegung des in der Rechtsprechung für die Fälle der so genannten Vorverfolgung im Heimatland entwickelten „herabgestuften“ Prognosemaßstabs für die Feststellung einer Rückkehrgefährdung stehe aber nach der o.g. Rechtsprechung den aus Tschetschenien stammenden Bürgern der Russischen Föderation russischer Volkzugehörigkeit aber auch ethnischen Tschetschenen in anderen Regionen der Russischen Föderation eine auch unter wirtschaftlichen Aspekten zumutbare für die Betroffenen tatsächlich erreichbare inländische Fluchtalternative zur Verfügung, die mit Blick auf den im Flüchtlingsrecht geltenden Grundsatz der Subsidiarität des Schutze vor politischer Verfolgung im Zufluchtsstaat, hier in der Bundesrepublik Deutschland, einen Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling nach § 60 Abs. 1 AufenthaltsG ausschließe.

Auch die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthaltsG könnten nicht angenommen werden. Insoweit sei, was die Geltendmachung einer Gefährdung durch die allgemeine wirtschaftliche Versorgungslage angehe, zusätzlich die vom Bundesgesetzgeber beibehaltene Sperrwirkung nach den §§ 60 Abs. 7 Satz 2, 60a AufenthaltsG für die Berücksichtigungsfähigkeit von so genannten Allgemeingefahren für die Bevölkerung oder auch nur Bevölkerungsgruppen im Herkunftsstaat zu beachten. Darüber hinausgehende humanitäre Gesichtspunkte, wie sie beispielsweise den Empfehlungen verschiedener Menschenrechtsgruppen, gegenwärtig auf eine Rückführung von tschetschenischen Volkszugehörigen in die Russische Föderation zu verzichten, zugrunde lägen, habe der Bundesgesetzgeber danach auch am Maßstab des Verfassungsrechts in zulässiger Weise den hierfür zuständigen politischen Entscheidungsträgern überantwortet.

Der mittlerweile für das Herkunftsland des Klägers zuständig gewordene 3. Senat schließt sich, da durchgreifende gegenteilige Erkenntnisse bislang nicht vorliegen, dieser überzeugend begründeten Auffassung an. Der Durchführung eines weiteren Berufungsverfahrens vor dem OVG des Saarlandes zur Klärung der bezeichneten Grundsatzfrage bedarf es mithin nicht.

Soweit der Kläger meint, es sei grundsätzlich klärungsbedürftig, ob frühere Angehörige der Sicherheitskräfte der tschetschenischen Republik Itschkerija einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, rechtfertigt dies ebenfalls die begehrte Rechtsmittelzulassung nicht. Denn das Verwaltungsgericht hat die Abweisung des Begehrens des Klägers in erster Linie darauf gestützt, dass dessen Vortrag wegen nicht nachvollziehbarer und sich in wesentlicher Hinsicht widersprechender Angaben im Verwaltungs- und Klageverfahren unglaubhaft sei und dies im Einzelnen, teilweise unter Bezugnahme auf diesbezügliche Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 20.4.2004 dargelegt. Es gelangt zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass dem Kläger, der sein Amt als einfacher Polizist bereits 3 Jahre vor der Ausreise aufgegeben habe, das mit Blick auf seine Gefährdung wegen Polizeidiensttätigkeit vorgetragene Verfolgungsschicksal nicht abgenommen werden kann.

Hiervon ausgehend stellt sich die von dem Kläger als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage bereits deshalb nicht, weil sie von dem insoweit maßgeblichen rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts her nicht entscheidungserheblich ist

vgl. zum Beispiel Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage, § 78 AsylVfG Rdnr. 16; Marx, AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 78 Rdnr. 153; Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, § 78 Rdnr. 153 m.w.N. 169; siehe etwa auch Beschluss des Senats vom 5.5.2006 – 3 Q 22/06 -.

Von einer weiteren Begründung der Nichtzulassungsentscheidung wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG).

Für die erstrebte Rechtsmittelzulassung ist nach allem kein Raum.

Aus vorstehendem ergibt sich, dass die beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung zu versagen (§§ 166 VwGO, 114 ZPO) ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG.

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Gründe

1

Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat Erfolg. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils an das Berufungsgericht zurück.

2

Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seiner Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Frage einer fortbestehenden Verfolgungsgefahr des Klägers in Tschetschenien und dem Fehlen einer zumutbaren internen Fluchtalternative in anderen Teilen der Russischen Föderation nicht in der gebotenen Weise nachgekommen ist. Hierzu macht sie geltend, das Berufungsgericht habe sich in den Entscheidungsgründen nicht mit der abweichenden Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte auseinandergesetzt, auf die sich der am Verfahren beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten ausdrücklich berufen habe. Dieser hat im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 6. April 2011 unter Bezugnahme auf im Einzelnen nach Aktenzeichen und Entscheidungsdatum spezifizierte Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte darauf hingewiesen, dass Tschetschenen bei einer Rückkehr nach Tschetschenien hinreichend sicher seien bzw. im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG stichhaltige Gründe dagegen sprächen, dass ihnen Verfolgung oder sonstiger ernsthafter Schaden drohe, soweit sie keine besonderen Gefährdungsfaktoren aufwiesen. Außerdem hat er geltend gemacht, dass Tschetschenen nach allgemeiner Spruchpraxis selbst bei Annahme einer weiter andauernden Verfolgungsgefahr in Tschetschenien zumindest eine inländische Ausweichmöglichkeit bzw. im Sinne von Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG interner Schutz in den übrigen Gebieten der Russischen Föderation zustehe.

3

Mit den in diesen obergerichtlichen Entscheidungen vertretenen Auffassungen setzt sich das Berufungsgericht inhaltlich nicht auseinander. Es erwähnt in seiner Entscheidung zwar eine der vom Bundesbeauftragten angeführten Entscheidungen als Beleg für eine von seiner eigenen Einschätzung abweichende Auffassung zur aktuellen Lage in Tschetschenien, ohne jedoch weiter auf das Vorbringen des Bundesbeauftragten einzugehen und sich mit der abweichenden tatsächlichen und rechtlichen Würdigung der anderen Oberverwaltungsgerichte zur Lage in Tschetschenien und dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative näher zu befassen. Das lässt angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nur den Schluss zu, dass es dieses Vorbringen nicht in Erwägung gezogen hat. Das Berufungsgericht führt zur Begründung seiner Entscheidung zwar auch neuere Erkenntnismittel an, die den vom Bundesbeauftragten angeführten Entscheidungen der anderen Oberverwaltungsgerichte nicht vorlagen. Diesen entnimmt das Berufungsgericht aber keine grundlegende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, sondern verweist ausdrücklich darauf, dass seine aktuelle Lageeinschätzung älteren - von den anderen Oberverwaltungsgerichten bei ihren Entscheidungen mitberücksichtigten - Erkenntnissen entspreche (UA S. 11) und deshalb "weiterhin" für die in Tschetschenien lebenden Personen eine tatsächliche Gefahr bestehe (UA S. 12). Bei dieser Sachlage verletzt das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung den Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs; darin liegt zugleich ein formeller Begründungsmangel im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

4

Zwar ist die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gebotene Auseinandersetzung mit der abweichenden Würdigung verallgemeinerungsfähiger Tatsachen im Asylrechtsstreit durch andere Oberverwaltungsgerichte grundsätzlich Teil der dem materiellen Recht zuzuordnenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung, so dass eine fehlende Auseinandersetzung mit abweichender obergerichtlicher Rechtsprechung als solche in aller Regel nicht als Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügt werden kann (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 1. März 2006 - BVerwG 1 B 85.05 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 324 und - BVerwG 1 B 86.05). Etwas anderes muss jedoch dann gelten, wenn sich ein Beteiligter - wie hier - einzelne tatrichterliche Feststellungen eines Oberverwaltungsgerichts als Parteivortrag zu eigen macht und es sich dabei um ein zentrales und entscheidungserhebliches Vorbringen handelt. Geht das Berufungsgericht hierauf in den Urteilsgründen nicht ein und lässt sich auch sonst aus dem gesamten Begründungszusammenhang nicht erkennen, dass und in welcher Weise es diesen Vortrag zur Kenntnis genommen und erwogen hat, liegt in der unterlassenen Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung eines anderen Oberverwaltungsgerichts ausnahmsweise auch ein rügefähiger Verfahrensmangel (vgl. in diesem Sinne schon Beschluss vom 21. Mai 2003 - BVerwG 1 B 298.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 270).

5

Auf diesen Verfahrensmangel kann sich jedenfalls in der vorliegenden prozessualen Konstellation auch die Beklagte berufen. Denn sie ist der Berufung des Klägers entgegengetreten und hat sich damit das in die gleiche Richtung zielende Vorbringen des Beteiligten zumindest konkludent zu eigen gemacht.

6

Wie die Beschwerde zutreffend darlegt, kann die Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zu einer anderen Entscheidung hinsichtlich der vom Bundesbeauftragten angesprochenen Frage der Gefährdung in Tschetschenien und des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative gelangt wäre. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben sich insbesondere keine Anhaltspunkte für ein besonderes Gefährdungspotential des Klägers, bei dessen Vorliegen auch andere Oberverwaltungsgerichte eine Gefährdung bzw. das Fehlen einer inländischen Fluchtalternative annehmen.

7

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht auch zu berücksichtigen haben, dass beim Flüchtlingsschutz allein die Gefahr krimineller Übergriffe ohne Anknüpfung an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund keine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG bedeutet. Auch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde.

8

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Gründe

A. Beschwerde des Klägers zu 3

1

Der Kläger zu 3 hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Er beanstandet zu Recht, dass der Verwaltungsgerichtshof nur über ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entschieden, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG aber offengelassen hat (Beschwerdebegründung S. 1 f.). Die aus Sicht der Beschwerde fehlerhafte Bestimmung des Streitgegenstandes fasst die Beschwerde zwar in eine Grundsatzrüge im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Sache nach rügt sie damit zugleich jedoch einen Verfahrensmangel gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

2

Im vorliegenden Verfahren hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - in seinem Bescheid vom 11. Februar 2003 die Anträge der Kläger auf Asyl und Flüchtlingsanerkennung abgelehnt und das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG 1990 verneint. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 18. Mai 2004 zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990 verpflichtet, die Klage aber im Übrigen abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat auf die zugelassene Berufung der Beklagten gegen den Verpflichtungsausspruch zu § 53 Abs. 6 AuslG 1990 das Urteil des Verwaltungsgerichts teilweise geändert und die Klage (nunmehr beurteilt nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) vollumfänglich abgewiesen. Er hat für alle drei Kläger gemeinsam eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei Rückführung in die Russische Föderation verneint, weil sie sich in zumutbarer Weise in anderen Landesteilen - außerhalb von Tschetschenien - niederlassen könnten. Für den Kläger zu 3, der im Verlauf des Berufungsverfahrens das 18. Lebensjahr vollendet hatte und damit in der Russischen Föderation wehrpflichtig geworden war, wurde vom Verwaltungsgerichtshof zusätzlich die ihm während der Ableistung des Wehrdienstes in den russischen Streitkräften drohenden Gefahren am Maßstab einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG geprüft, im Ergebnis aber eine danach erforderliche Extremgefahr verneint. An einer Entscheidung der Frage, ob die dem Kläger zu 3 bei Einberufung zum Wehrdienst drohenden Gefahren ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG begründen, hat sich der Verwaltungsgerichtshof gehindert gesehen, weil er davon ausging, dass der Streitgegenstand im Berufungsverfahren auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschränkt gewesen sei (UA Rn. 29).

3

Der Senat legt die Beschwerde dahin aus, dass sie insoweit nur im Namen des Klägers zu 3, nicht hingegen auch im Namen der Kläger zu 1 und 2 erhoben wurde. Denn Bestandteil der von ihr als klärungsbedürftig formulierten Frage ist die Fallgestaltung, dass das Berufungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint, aber der Meinung ist, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 und/oder Abs. 5 AufenthG vorliege (Beschwerdebegründung S. 2 unten). Eine solche Entscheidung des Berufungsgerichts trägt die Beschwerde nur für den Kläger zu 3 vor (Beschwerdebegründung S. 2 Mitte). Der Beschwerde lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und/oder Abs. 5 AufenthG auch für die Kläger zu 1 und 2 vom Berufungsgericht angenommen worden sein sollen. Bezieht sich die als Grundsatzrüge formulierte Beschwerde nur auf den Kläger zu 3, hat dies auch für ihre Auslegung als Verfahrensrüge zu gelten.

4

Mit Recht rügt die Beschwerde, dass das Berufungsgericht im Fall des Klägers zu 3 keine Entscheidung über unionsrechtlich begründete Abschiebungsverbote, insbesondere nach § 60 Abs. 2 AufenthG getroffen hat. Zwar hat das Verwaltungsgericht in seinem im Jahr 2004 gefällten Urteil die Klage hinsichtlich der vorrangig vor § 53 Abs. 6 AuslG 1990 zu prüfenden Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG 1990 abgewiesen, ohne dass der Kläger zu 3 dagegen Rechtsmittel eingelegt hat. Dadurch ist der seinerzeit abtrennbare Streitgegenstand, ob einer Abschiebung zwingende Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG 1990 entgegenstehen, nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Er war auch nicht wegen der nachträglich eingetretenen Tatsache, dass der Kläger zu 3 wehrdienstfähig geworden ist, in das Berufungsverfahren einzubeziehen. Eine neue Rechtslage hat sich aber mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I 2007, 1970) ergeben. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 24. Juni 2008 entschieden hat, bilden seitdem die auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zum einen und die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zum anderen jeweils eigenständige Streitgegenstände, wobei die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote vorrangig vor dem nationalen Abschiebungsverbot u.a. nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfen sind (vgl. BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 13 - 15). Diese neue Rechtslage war gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG der Entscheidung des Berufungsgerichts vom 4. März 2011 zugrunde zu legen. Danach sind mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes von 2007 die auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG in dem Verfahren angewachsen. Wie der Senat mit Urteil vom 27. April 2010 (BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 16) entschieden hat, kann ein Kläger jedenfalls dann, wenn das Bundesamt in dem Widerrufsbescheid - wie hier - über sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden hat, die neuen, auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbeziehen (bestätigt mit Urteilen vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 Rn. 6 und vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 u. a.). Damit wird auch der den Asylprozess beherrschenden Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime Rechnung getragen, nach der am Ende eines gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich geklärt sein soll, ob und welchen (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsschutz der Kläger zu diesem Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) genießt. Das Berufungsgericht hat es daher unter Verstoß gegen Verfahrensrecht unterlassen, das Vorbringen des Klägers zu 3 zu den ihm bei Einberufung zum Wehrdienst drohenden Gefahren auch darauf zu prüfen, ob es einen der Tatbestände des angewachsenen unionsrechtlichen Abschiebungsverbots erfüllt.

5

Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit, soweit er den Kläger zu 3 betrifft, gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

6

Über die weiteren vom Kläger zu 3 erhobenen Revisionsrügen brauchte nicht mehr entschieden zu werden. Allerdings bemerkt der Senat, dass diese voraussichtlich ohne Erfolg geblieben wären.

B. Beschwerden der Kläger zu 1 und 2

7

Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützten Beschwerden der Kläger zu 1 und 2 sind unzulässig. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

8

1. Die Beschwerden sehen die Frage als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig an, "ob und inwieweit im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG bereits erlittene körperliche Misshandlungen und Übergriffe zu berücksichtigen sind" (Beschwerdebegründung S. 2 oben). Von Bedeutung sei die Frage deshalb, weil zumindest die Kläger zu 1 und 3 mehrfach verhaftet und der Kläger zu 1 verhört und geschlagen worden sei. Dies sei unter dem Verdacht der Zusammenarbeit mit tschetschenischen Rebellen geschehen. Daher sei von einer Erfassung der Kläger als verdächtige Personen auszugehen, was bei der Frage zu berücksichtigen sei, ob sich die Kläger in übrigen Teilen der Russischen Föderation niederlassen können, insbesondere die notwendige Registrierung erhalten, um der ihnen in Tschetschenien drohenden Gefahr zu entgehen.

9

Die Grundsatzrüge ist unzulässig, weil der erforderliche Klärungsbedarf für die aufgeworfene Frage nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt wird. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits geklärt, dass beim Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG 1990 nicht auf einen abgesenkten Wahrscheinlichkeitsmaßstab abzustellen ist, wenn der Ausländer bereits vor der Einreise ins Bundesgebiet Eingriffe in Leib, Leben und Freiheit erlitten hat. Denn der Begriff der "konkreten Gefahr" enthält nicht das sich aus dem besonderen humanitären Charakter des Asylrechts ergebende Element der Zumutbarkeit der Rückkehr (vgl. Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330>). Das gilt auch für das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. Beschlüsse vom 21. Februar 2006 - BVerwG 1 B 107.05 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 323 Rn. 3 und vom 29. Juni 2009 - BVerwG 10 B 60.08 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 35 Rn. 7). Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2004/83/EG findet gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG nur auf die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote Anwendung, nicht jedoch auf das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Weitergehenden Klärungsbedarf zeigen die Beschwerden nicht auf.

10

2. Die Beschwerden rügen des Weiteren eine Verletzung des Anspruchs der Kläger zu 1 und 2 auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Diese soll sich daraus ergeben, dass der Verwaltungsgerichtshof die sich aus den früheren Verhaftungen und Misshandlungen der Kläger (siehe oben Ziffer 1) ergebende Gefahr des Erleidens weiterer Verfolgungsmaßnahmen im Rahmen der Prüfung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unberücksichtigt gelassen habe (Beschwerdebegründung S. 3 Mitte).

11

Mit ihren Darlegungen zeigen die Kläger zu 1 und 2 die geltend gemachte Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs jedoch nicht auf. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts ist grundsätzlich - und so auch hier - davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben; die Gerichte brauchen sich dabei nicht mit jedem Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Aus einem Schweigen der Urteilsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs allein kann noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe diese nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann daher nur dann festgestellt werden, wenn es sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen der Beteiligten nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. etwa Beschluss vom 5. Februar 1999 - BVerwG 9 B 797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4 unter Hinweis auf BVerfGE 96, 205<216 f.>). Solche besonderen Umstände zeigt die Beschwerde nicht auf. Vielmehr findet sich im Berufungsurteil die Feststellung, dass persönliche Umstände, die eine erhöhte Gefährdung der Kläger gegenüber anderen aus Tschetschenien stammenden russischen Staatsangehörigen erkennen lassen, weder vorgetragen noch ersichtlich seien (UA S. 9 oben). Das spricht dafür, dass sich der Verwaltungsgerichtshof mit besonderen gefahrerhöhenden Umständen in der Person der Kläger zu 1 und 2 befasst, sie im Ergebnis aber verneint hat.

12

Im Übrigen ergibt sich aus dem Vorbringen der Kläger auch nicht, dass sie "unter dem Verdacht der Zusammenarbeit mit tschetschenischen Rebellen" verhört und verhaftet worden seien, wie die Beschwerde vorträgt. Vielmehr hat der Kläger zu 1 in seiner Anhörung durch den Verwaltungsgerichtshof am 20. April 2009 lediglich ausgesagt, er sei nach Kontakten zu tschetschenischen Rebellen gefragt worden, habe das aber verneint. Später sei er aufgefordert worden, den Russen Beobachtungen über Rebellen mitzuteilen. Die Beschwerden legen nicht dar, wieso das Berufungsgericht auf der Grundlage dieses Vorbringens von einer "Registrierung der Kläger zumindest als verdächtige Personen" hätte ausgehen müssen.

13

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Gründe

1

Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat Erfolg. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils an das Berufungsgericht zurück.

2

Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seiner Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Frage einer fortbestehenden Verfolgungsgefahr des Klägers in Tschetschenien und dem Fehlen einer zumutbaren internen Fluchtalternative in anderen Teilen der Russischen Föderation nicht in der gebotenen Weise nachgekommen ist. Hierzu macht sie geltend, das Berufungsgericht habe sich in den Entscheidungsgründen nicht mit der abweichenden Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte auseinandergesetzt, auf die sich der am Verfahren beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten ausdrücklich berufen habe. Dieser hat im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 6. April 2011 unter Bezugnahme auf im Einzelnen nach Aktenzeichen und Entscheidungsdatum spezifizierte Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte darauf hingewiesen, dass Tschetschenen bei einer Rückkehr nach Tschetschenien hinreichend sicher seien bzw. im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG stichhaltige Gründe dagegen sprächen, dass ihnen Verfolgung oder sonstiger ernsthafter Schaden drohe, soweit sie keine besonderen Gefährdungsfaktoren aufwiesen. Außerdem hat er geltend gemacht, dass Tschetschenen nach allgemeiner Spruchpraxis selbst bei Annahme einer weiter andauernden Verfolgungsgefahr in Tschetschenien zumindest eine inländische Ausweichmöglichkeit bzw. im Sinne von Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG interner Schutz in den übrigen Gebieten der Russischen Föderation zustehe.

3

Mit den in diesen obergerichtlichen Entscheidungen vertretenen Auffassungen setzt sich das Berufungsgericht inhaltlich nicht auseinander. Es erwähnt in seiner Entscheidung zwar eine der vom Bundesbeauftragten angeführten Entscheidungen als Beleg für eine von seiner eigenen Einschätzung abweichende Auffassung zur aktuellen Lage in Tschetschenien, ohne jedoch weiter auf das Vorbringen des Bundesbeauftragten einzugehen und sich mit der abweichenden tatsächlichen und rechtlichen Würdigung der anderen Oberverwaltungsgerichte zur Lage in Tschetschenien und dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative näher zu befassen. Das lässt angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nur den Schluss zu, dass es dieses Vorbringen nicht in Erwägung gezogen hat. Das Berufungsgericht führt zur Begründung seiner Entscheidung zwar auch neuere Erkenntnismittel an, die den vom Bundesbeauftragten angeführten Entscheidungen der anderen Oberverwaltungsgerichte nicht vorlagen. Diesen entnimmt das Berufungsgericht aber keine grundlegende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, sondern verweist ausdrücklich darauf, dass seine aktuelle Lageeinschätzung älteren - von den anderen Oberverwaltungsgerichten bei ihren Entscheidungen mitberücksichtigten - Erkenntnissen entspreche (UA S. 11) und deshalb "weiterhin" für die in Tschetschenien lebenden Personen eine tatsächliche Gefahr bestehe (UA S. 12). Bei dieser Sachlage verletzt das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung den Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs; darin liegt zugleich ein formeller Begründungsmangel im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

4

Zwar ist die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gebotene Auseinandersetzung mit der abweichenden Würdigung verallgemeinerungsfähiger Tatsachen im Asylrechtsstreit durch andere Oberverwaltungsgerichte grundsätzlich Teil der dem materiellen Recht zuzuordnenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung, so dass eine fehlende Auseinandersetzung mit abweichender obergerichtlicher Rechtsprechung als solche in aller Regel nicht als Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügt werden kann (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 1. März 2006 - BVerwG 1 B 85.05 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 324 und - BVerwG 1 B 86.05). Etwas anderes muss jedoch dann gelten, wenn sich ein Beteiligter - wie hier - einzelne tatrichterliche Feststellungen eines Oberverwaltungsgerichts als Parteivortrag zu eigen macht und es sich dabei um ein zentrales und entscheidungserhebliches Vorbringen handelt. Geht das Berufungsgericht hierauf in den Urteilsgründen nicht ein und lässt sich auch sonst aus dem gesamten Begründungszusammenhang nicht erkennen, dass und in welcher Weise es diesen Vortrag zur Kenntnis genommen und erwogen hat, liegt in der unterlassenen Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung eines anderen Oberverwaltungsgerichts ausnahmsweise auch ein rügefähiger Verfahrensmangel (vgl. in diesem Sinne schon Beschluss vom 21. Mai 2003 - BVerwG 1 B 298.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 270).

5

Auf diesen Verfahrensmangel kann sich jedenfalls in der vorliegenden prozessualen Konstellation auch die Beklagte berufen. Denn sie ist der Berufung des Klägers entgegengetreten und hat sich damit das in die gleiche Richtung zielende Vorbringen des Beteiligten zumindest konkludent zu eigen gemacht.

6

Wie die Beschwerde zutreffend darlegt, kann die Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zu einer anderen Entscheidung hinsichtlich der vom Bundesbeauftragten angesprochenen Frage der Gefährdung in Tschetschenien und des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative gelangt wäre. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben sich insbesondere keine Anhaltspunkte für ein besonderes Gefährdungspotential des Klägers, bei dessen Vorliegen auch andere Oberverwaltungsgerichte eine Gefährdung bzw. das Fehlen einer inländischen Fluchtalternative annehmen.

7

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht auch zu berücksichtigen haben, dass beim Flüchtlingsschutz allein die Gefahr krimineller Übergriffe ohne Anknüpfung an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund keine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG bedeutet. Auch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde.

8

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. September 2007 - A 6 K 43/07 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger erstrebt im Wege des Asylfolgeverfahrens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der am …1974 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an. Er hat zum Nachweis seiner Glaubenszugehörigkeit Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 30.07.2001 und 20.01.2010 vorgelegt.
Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 03.06.2001 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 12.06.2001 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) am 30.08.2001 brachte er im Wesentlichen vor, er sei von Geburt an Ahmadi und habe bestimmte Funktionen in seiner örtlichen Glaubensgemeinschaft ausgeübt. Zuletzt habe er seit dem Jahre 1998 das Amt eines Saik innegehabt. Weiter berief er sich auf mehrere Übergriffe aus den Jahren 1998 und 1999 sowie auf Strafanzeigen gegen Verwandte und deren Inhaftierung. Zentraler Gegenstand des Vorbringens war ein Vorfall am 08.06.2000, bei dem ein Onkel des Klägers durch einen Schuss getötet und auch der Bruder des Klägers durch einen Schuss verletzt worden sein soll, sowie die sich daran anschließenden Ermittlungsverfahren gegen den Kläger und weitere ortsansässige Ahmadis. Am 28.10.2000 sei der Name des Klägers in einer weiteren Strafanzeige gemäß § 302 des Pakistanischen Strafgesetzbuches erwähnt worden. Aufgrund dieser Anzeige seien sein Bruder und sein Neffe festgenommen worden. Zum Beleg seines Verfolgungsvorbringens legte der Kläger bei seiner Bundesamtsanhörung zahlreiche Unterlagen, insbesondere Strafanzeigen und Zeitungsberichte über die Tötung seines Onkels sowie ein ärztliches Attest über von seinem Bruder erlittene Verletzungen, in Kopie vor.
Mit Bescheid vom 26.11.2003 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen, die mit Urteil vom 28.10.2005 (Az.: A 6 K 12413/03) abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es fehle an einem beachtlichen individuellen Vorverfolgungsschicksal des Klägers. Die von ihm im Behördenverfahren vorgelegten FIRs (First Information Reports) seien nach der durchgeführten Beweisaufnahme durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes mit großer Wahrscheinlichkeit gefälscht. Jedenfalls bestehe im Falle einer Rückkehr des Klägers keine individuelle Verfolgungsgefahr, weil die Gerichtsverfahren betreffend den Vorfall am 08.06.2000 ausweislich der Beweisaufnahme eingestellt worden seien. Eine Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan sei nicht gegeben, auch nicht unter Berücksichtigung der Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie, durch die sich an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff des religiösen Existenzminimums und des sog. „forum internum“ nichts ändere. Dahingestellt könne deshalb bleiben, ob der Gesetzgeber mit dem Zuwanderungsgesetz bereits die Qualifikationsrichtlinie mit der Folge umgesetzt habe, dass diese nunmehr im Rahmen von § 60 Abs. 1 AufenthG trotz der noch nicht abgelaufenen Umsetzungsfrist Anwendung finde. Das Urteil wurde durch Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss des Senats vom 31.05.2006 (Az.: A 10 S 25/06) rechtskräftig.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 05.01.2007 - bei der Außenstelle Reutlingen des Bundesamtes persönlich abgegeben am 10.01.2007 - stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mit umfasst seien. Damit sei unter anderem auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne vor dem veränderten europarechtlichen Hintergrund nicht mehr aufrecht erhalten werden. Darüber hinaus legte der Kläger einen Antrag an den Lahore High Court - Criminal Appeal Nr. 3/3/2003 - als neues Beweismittel vor, den er von Verwandten in Kopie erhalten habe. Damit könne nunmehr belegt werden, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts in seinem klageabweisenden Urteil vom 28.10.2005 das im Asylerstverfahren thematisierte Gerichtsverfahren bei dem Lahore High Court fortgeführt werde und nicht bereits von dem Untergericht endgültig eingestellt worden sei. Es handle sich dabei um ein sog. Gegenverfahren der Ahmadis gegen die sunnitischen Moslems; aus diesem Grund müsse der Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan mit Verfolgung durch fanatische Moslems rechnen.
Mit Bescheid vom 22.01.2007 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und auf Abänderung des Bescheids vom 26.11.2003 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG ab.
Am 24.01.2007 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung hat er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug genommen und zur Frage von Rechtsänderungen durch die Richtlinie 2004/83/EG vorgetragen.
Mit Urteil vom 28.09.2007 - A 6 K 43/07 - hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Klage insgesamt abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Eine staatliche oder nichtstaatliche Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan könne derzeit nicht angenommen werden und drohe auch nicht in absehbarer Zukunft. Das Gericht folge dabei der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und der übereinstimmenden obergerichtlichen Rechtsprechung. Insoweit habe sich an der Sachlage bis zum heutigen Zeitpunkt nichts Relevantes geändert. Auch das Inkrafttreten von § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union rechtfertige keine abweichende Beurteilung der Sachlage aus Rechtsgründen. Die Neubestimmung des Flüchtlingsbegriffs in Anwendung der Genfer Konvention führe nicht zur Annahme einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan. Weder die Qualifikationsrichtlinie noch die Genfer Flüchtlingskonvention forderten inhaltlich eine wesentlich andere Betrachtungsweise, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob nach Inkrafttreten der neuen Rechtslage die bisherige Rechtsprechung zum sog. „forum internum“ und zur Gewährleistung des asylrechtlich erforderlichen religiösen Existenzminimums weiterhin fortbestehen könne und inwieweit dies Folgen für die Annahme einer Gruppenverfolgung von Ahmadis habe.
Jedenfalls erreichten die im Hinblick auf Ahmadis in Pakistan dokumentierten Verfolgungsfälle, selbst wenn man den Kreis der einzubeziehenden Referenzfälle erweitere, auch zum derzeitigen Zeitpunkt nicht die zur Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte. Nach Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie könnten nur schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte die Flüchtlingseigenschaft begründen. Deshalb seien nicht sämtliche Beeinträchtigungen der Religionsfreiheit bei der Auswahl der zu berücksichtigenden Referenzfälle einzubeziehen. Unter Beachtung der Rechtsanwendungspraxis in Pakistan sei weiter darauf abzustellen, welche Referenzfälle zu Gefahren für Leib, Leben oder die physische Freiheit führten. Hinsichtlich der Frage der öffentlichen Religionsausübung sei darauf hinzuweisen, dass den Ahmadis eine öffentliche Religionsausübung nicht völlig unmöglich sei. Das Auswärtige Amt weise in seinem Lagebericht vom 18.05.2007 beispielhaft darauf hin, dass es Gotteshäuser gebe, in denen Ahmadis trotz der bestehenden Strafvorschriften öffentlich ihren Glauben ausüben könnten. Ahmadis sei es auch nicht untersagt, sich öffentlich zum Quadianismus oder Ahmadiismus als ihrer Religion zu bekennen. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 24.10.2007 zugestellt.
10 
Am 24.11.2007 hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt.
11 
Mit Beschluss vom 07.03.2008 - dem Kläger am 14.03.2008 zugestellt - hat der Senat die Berufung zugelassen, soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt. Im Übrigen blieb der Antrag bezogen auf die Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ohne Erfolg.
12 
Am 14.04.2008 hat der Kläger die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Zulassungsantrag begründet.
13 
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Als Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a QRL gälten nunmehr Handlungen, die sich nach ihrer Art oder Wiederholung als eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellten. Als Verfolgung seien aber nach Buchst. b auch Maßnahmen anzusehen, die so gravierend seien, dass eine Person auf eine ähnliche Weise wie nach Buchst. a betroffen sei. Die Religionsfreiheit stelle ein Menschenrecht im Sinne dieser Vorschrift dar, was sich insbesondere aus Art. 18 Abs. 1 und 27 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie aus Art. 9 Abs. 1 EMRK ergebe. Vor diesem Hintergrund sei ein Rückgriff auf die Rechtsprechung zum Begriff der politischen Verfolgung im Sinne des Art. 16 a GG nicht zulässig. Vielmehr dürften Einschränkungen der Religionsfreiheit nur unter Beachtung von Art. 18 Abs. 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie Art. 9 Abs. 2 EMRK vorgenommen werden. Die hiernach erforderlichen Gesetze müssten allgemeiner Natur sein, d. h. für alle Staatsbürger, egal welcher religiösen Ausrichtung sie angehörten, gelten. Bezogen auf die Ahmadis in Pakistan bedeute dies, dass sämtliche gegen diese Bevölkerungsgruppe gerichteten Strafgesetze offensichtlich nicht den vorgenannten Anforderungen genügten. Bereits diese Regelungen seien für sich genommen daher geeignet, als schwerwiegende Verletzung eines Menschenrechts zu gelten.
14 
Mit einzubeziehen seien auch die staatlichen Regelungen, wonach Ahmadis, um einen Nationalpass ausgestellt zu bekommen, ihre Glaubensgrundsätze dadurch verleugnen müssten, dass sie sich schriftlich auf einem Sonderformular als Nicht-Moslems bezeichnen müssten. Weiter seien die diskriminierenden Regelungen des Wahlrechts zu berücksichtigen, die es Ahmadis seit längerem unmöglich machten, sich auf normalen Wahllisten als Kandidat aufstellen zu lassen oder die normalen Kandidaten zu wählen, was zur Folge habe, dass Ahmadis an den Parlamentswahlen nicht mehr teilnähmen und daher im Parlament auch nicht mehr vertreten seien. Zu verweisen sei in diesem Zusammenhang auf den sog. Präsidentenerlass Nr. 15 vom 17.06.2002 zur Ergänzung des Erlasses über die allgemeinen Wahlen 2002. Nach dieser Regelung bleibe der Status von Ahmadis unverändert, nach Ziff. 7 c der Regelung müssten aber Personen, die sich als Wähler registrieren lassen wollten, für den Fall, dass Einspruch eingelegt werde, innerhalb von 15 Tagen bei der Aufsichtsbehörde erscheinen und ein Formular mit einer Erklärung über die Finalität des Propheten unterzeichnen. Falls der Betreffende sich weigere, werde er als Nicht-Muslim betrachtet und sein Name werde aus dem allgemeinen Wahlverzeichnis gestrichen und der Zusatzliste für Nicht-Muslime zugeteilt. Damit werde sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht deutlich eingeschränkt. Ferner müssten auch die Regelungen bei der Registrierung von Geburten in Betracht gezogen werden, da bei den öffentlichen Registrierungsstellen die Religion des Kindes bzw. der Eltern angegeben werden müsse. Ahmadis müssten dort „Ahmadi“ angeben und dürften nicht entsprechend ihrem Selbstverständnis „Moslem“ eintragen lassen. Dies führe in Pakistan faktisch zu einer stigmatisierenden Ausgrenzung.
15 
Im Übrigen seien die faktischen Beeinträchtigungen im Schul-, Hochschul- und Ausbildungsbereich sowie die Benachteiligungen bei der Einstellung bzw. Beförderung im öffentlichen Dienst zu berücksichtigen. Benachteiligungen bestünden auch in Bezug auf das Bildungswesen, weil die Studenten auf den Antragsformularen ihre Religionszugehörigkeit angeben müssten. Bezeichneten die Ahmadis sich auf diesem Formular entsprechend ihrem Selbstverständnis als „Moslem“, riskierten sie eine Freiheitsstrafe. Bezeichneten sie sich hingegen als „Ahmadi“, müssten sie mit einer Verweigerung des Zugangs rechnen. Im Fall einer Zulassung dürften sie in der Regel nicht am Pflichtfach „Islamiyat“ teilnehmen, was zur Benachteiligung beim Schulabschluss führe. Hinzuweisen sei auf die weit verbreiteten Entweihungen der ahmadischen Grab- und Gebetsstätten, den Ausschluss von der Beerdigung auf den meisten Friedhöfen, die Beschränkung der Rede- und Versammlungsfreiheit sowie die Beschränkungen im Bereich der Publizistik. Betrachte man dieses Bündel von diskriminierenden und ausgrenzenden Maßnahmen unterschiedlichen Charakters einerseits sowie andererseits die Tatsache, dass bei einer Gesamtzahl von ca. zwei bis vier Millionen Ahmadis in Pakistan nur noch ca. 500.000 sog. bekennende Ahmadis lebten, so liege es nahe, dass die weit überwiegende Anzahl der Ahmadis sich nur deshalb nicht traue, sich in der Öffentlichkeit zu ihrem Glauben zu bekennen, um dem auf ihnen lastenden Ausgrenzungsdruck zu entgehen, wobei auch die Existenz und der Vollzug der religiösen Strafgesetze berücksichtigt werden müsse. Auch die Anzahl der tätlichen Übergriffe von privaten Dritten in Bezug auf religiöses Verhalten der Ahmadis müsse in die Gesamtbetrachtung einbezogen werden.
16 
Mit Schriftsätzen vom 09.03.2009 und 27.07.2010 ließ der Kläger ergänzend vortragen, dass sich nach der neueren Erkenntnislage die Situation der Ahmadis in Pakistan hinsichtlich ihrer Religionsausübungsmöglichkeiten erneut wesentlich verschlechtert habe. Ausweislich eines Berichts der Human Rights Commission of Pakistan vom 09.07.2008 sei gegen die ganze ahmadische Bevölkerung von Rabwah ein religiös motiviertes Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, nachdem die ahmadische Bevölkerung das 100-jährige Kalifat ihrer Gemeinde gefeiert habe. Ausgehend von der Einwohnerzahl von Rabwah und dem Anteil der Ahmadis hieran könne geschlossen werden, dass sich dieses Ermittlungsverfahren auf mindestens 50.000 Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde beziehe; die vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 22.10.2008 genannte Zahl von lediglich „über tausend“ Strafverfahren gegen Ahmadis nach § 289c des Pakistanischen Strafgesetzbuches sei deshalb deutlich zu niedrig geschätzt. Auch hätten in einer Fernsehsendung vom 07.09.2008 pakistanische Mullahs unwidersprochen die Auffassung vertreten, dass Ahmadis aus religiösen Gründen zu töten seien; in der Folgezeit seien daraufhin zwei bekannte ahmadische Persönlichkeiten ermordet worden. Seit dieser Sendung habe sich das Klima zwischen Ahmadis und Nichtahmadis in Pakistan weiter verschlechtert, so dass Ahmadis landesweit von Tötung bedroht seien. Am 28.01.2009 seien fünf Ahmadis, davon vier Jugendliche im Alter zwischen 14 und 16 Jahren, nach § 295c des Pakistanischen Strafgesetzbuches wegen Blasphemie angezeigt worden, der Vorwurf habe auf Beleidigung des Propheten mittels verunglimpfender Graffiti in einer Toilette gelautet.
17 
Der Kläger beantragt,
18 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. September 2007 - A 6 K 43/07 - zu ändern und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides vom 22. Januar 2007 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen.
19 
Die Beklagte beantragt,
20 
die Berufung zurückzuweisen.
21 
Zur Begründung verweist sie auf den angefochtenen Bescheid und führt im Übrigen aus, § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QRL führe zu keiner grundsätzlich abweichenden Bewertung. Entgegen der vom Senat in seinem Urteil vom 20.05.2008 (Az.: A 10 S 72/08) vertretenen Auffassung habe sich der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie nicht wesentlich erweitert; an der Rechtsprechung des Senats könne im Hinblick auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2009 (Az.:10 C 51.07) nicht uneingeschränkt festgehalten werden. Denn das Bundesverwaltungsgericht habe in diesem Urteil klargestellt, dass auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG nicht jede Einschränkung der Religionsfreiheit zu einer Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsrechts führe. Ob ein Ausländer als Flüchtling anzuerkennen sei, müsse vielmehr nach höchstrichterlicher Sicht maßgeblich nach Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie beurteilt werden, denn dieser Bestimmung sei zu entnehmen, welches Rechtsgut in welchem Ausmaß geschützt sei. Entscheidend sei auf die Gefährdungslage abzustellen, die aus einer aktiven Wahrnehmung des Menschenrechts auf Religionsfreiheit durch einen Ahmadi resultiere, die also aufgrund einer öffentlichkeitswirksamen Betätigung eintrete. Einschränkungen der religiösen Betätigung als solche stellten nur dann hinreichend schwere Eingriffe dar, wenn die Religionsausübung grundsätzlich unterbunden werde oder sie zu einer Beeinträchtigung eines unabdingbaren Teils des religiösen Selbstverständnisses des Gläubigen führen würde und daher ein Verzicht nicht zugemutet werden könne. Nur dieser Kernbereich der Religionsausübung sei nach ständiger Rechtsprechung unveräußerlich und nach Art. 9 Abs. 2 EMRK nicht einschränkbar. Unabhängig hiervon habe die Qualifikationsrichtlinie keine Veränderung insoweit erbracht, als Schutzbedarf notwendigerweise eine individuelle Betroffenheit voraussetze. Selbst wenn zugunsten des Klägers von einer Rechtsänderung durch die Qualifikationsrichtlinie ausgegangen werde, bedürfe es tragfähiger Feststellungen dazu, wie er seinen Glauben bisher gelebt habe und eine Prognose, ob er dies auch bei Rückkehr entsprechend fortsetzen wolle. Im Übrigen spreche jedoch die Entstehungsgeschichte und die bisherige Rechtslage nicht für die Auffassung des Klägers, dass mit Umsetzung der Vorgaben aus der Richtlinie 2004/83/EG eine erhebliche Rechtsänderung eingetreten sei.
22 
Der Senat hat den Kläger und seine Lebensgefährtin, Frau A. S., in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört; wegen der dabei getätigten Angaben wird auf die gefertigte Anlage zur Niederschrift verwiesen.
23 
Dem Senat liegen die Asylverfahrensakten des Bundesamts sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen hinsichtlich des Erst- und des gegenständlichen Folgeverfahrens vor.

Entscheidungsgründe

 
24 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts stellt sich im Ergebnis als richtig dar. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22.01.2007 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Verpflichtung zur Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 Buchst. c der zur Auslegung heranzuziehenden Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -) im Wege des Asylfolgeverfahrens.
25 
Entsprechend der Berufungszulassung ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur noch die von dem Kläger begehrte Verpflichtung zur Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG, nicht auch die im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.
26 
Da der erste Asylantrag des Klägers bereits im Jahre 2006 bestandskräftig abgelehnt wurde, handelt es sich bei dem gegenständlichen Asylantrag um einen Folgeantrag. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vor (1.). Auch hat sich unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG sowohl der flüchtlingsrechtliche Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit als auch der anwendbare Prognosemaßstab für eine festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit im Vergleich zu den im Asylerstverfahren einschlägigen Vorgaben verändert (2.). Jedoch kann sich der Kläger auch bei Anwendung dieses günstigeren Maßstabs für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf den Gesichtspunkt einer Gruppenverfolgung der Ahmadis berufen (3.). Eine - grundsätzlich denkbare - individuelle flüchtlingsrelevante Rückkehrgefährdung scheidet mangels hinreichender Glaubensgebundenheit des Klägers aus (4.).
27 
1. Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auf einen nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags gestellten Folgeantrag ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Hiernach setzt ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens insbesondere voraus, dass eine Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist oder neue Beweismittel vorliegen und dass die Geeignetheit dieser Umstände für eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung schlüssig dargelegt wird. Der Folgeantrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene Kenntnis von dem Wiederaufgreifensgrund hat (§ 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG). Diese einschränkenden Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG finden auch dann Anwendung, wenn der Antragsteller in einem weiteren Verfahren eine ihm günstige Rechtsänderung unter Hinweis auf die nunmehr eingetretene unmittelbare Wirkung der Richtlinie 2004/83/EG geltend macht (vgl. hierzu Urteil des Senats vom heutigen Tage im Verfahren Az.: A 10 S 688/08).
28 
a) Entgegen der vom Bundesamt in seinem Bescheid vom 22.01.2007 vertretenen Auffassung ist mit Rücksicht auf die Qualifikationsrichtlinie und in Bezug auf die Beurteilung der maßgeblichen Lage der Ahmadis in Pakistan eine relevante Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. näher Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris). Ob für den Betroffenen tatsächlich eine günstigere Entscheidung im Einzelfall in Betracht kommt, muss der Prüfung in dem durchzuführenden Asylfolgeverfahren vorbehalten bleiben; das Bundesamt hat zu Unrecht in dem versagenden Bescheid eine Vollprüfung am Maßstab der Richtlinie vorgenommen und mit diesen Überlegungen einen Wiederaufgreifensgrund im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG verneint. Nach der Konzeption des Asylverfahrensgesetzes ist jedoch eine abschließende Prüfung der Erheblichkeit der geltend gemachten Sachverhalts- oder Rechtsänderung auf einer zweiten Stufe erst dem weiteren Asylverfahren vorbehalten, sofern eine günstige Entscheidung aufgrund der geänderten Umstände jedenfalls möglich erscheint. Deshalb muss es auch ausreichen, wenn der Betroffene innerhalb der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG sich auf die mögliche Rechtsänderung durch das Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie berufen hat; der Vortrag weiterer Tatsachen, die einen Rückschluss darauf zulassen, dass ein Ahmadi mit seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie aktuell aktiv ausgeübt hat, ist demgegenüber keine Zulässigkeitsvoraussetzung (a. A. VG des Saarlandes, Urteil vom 20.01.2010 - 5 K 621/08 - juris).
29 
b) Wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht erkannt hat, steht einem Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG unter dem Gesichtspunkt der Rechtsänderung auch nicht entgegen, dass es bereits in seinem das Erstverfahren abschließenden Urteil vom 28.10.2005 (Az.: A 6 K 12413/03) die materiellen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie zumindest hilfsweise seiner inhaltlichen Prüfung zugrunde gelegt hat. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Urteil offen gelassen, ob der Gesetzgeber mit dem Zuwanderungsgesetz bereits einen Teil der Qualifikationsrichtlinie umgesetzt hat und bereits zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kraft nationalen Rechts im Lichte von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG auszulegen ist. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang dann im Einzelnen näher dargelegt, dass selbst bei Anwendung der Maßstäbe der Qualifikationsrichtlinie nicht von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan ausgegangen werden könne, da Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG eine mit dem nationalen Recht vergleichbare Struktur aufweise und den Schutzbereich der Religionsausübung nicht über die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze zum „forum internum“ hinaus erweitert habe.
30 
Diese vom Verwaltungsgericht der Sache nach vorgenommene Überprüfung des Asylbegehrens anhand der Maßstäbe der Qualifikationsrichtlinie steht der Annahme einer Rechtsänderung nicht entgegen. Maßgeblich ist allein, dass erst mit Ablauf des 10.10.2006 (Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie und Eintritt deren unmittelbarer Anwendbarkeit, vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) objektiv-rechtlich eine Rechtsänderung eingetreten ist. Für dieses Verständnis sprechen nicht zuletzt Gesichtspunkte des effektiven Rechtsschutzes. Da der Senat in seinem die Zulassung der Berufung ablehnenden Beschluss vom 31.05.2006 (Az.: A 10 S 25/06) die vom Verwaltungsgericht erwogene Vorwirkung bzw. vorzeitige Umsetzung des Richtlinienentwurfs in nationales Recht abgelehnt hat, war dem Kläger eine obergerichtliche Überprüfung des vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Verständnisses der Qualifikationsrichtlinie verwehrt. Der Kläger konnte daher im Asylerstverfahren nicht mit Erfolg geltend machen, dass sich unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG gerade im Hinblick auf die Religionsausübungsfreiheit eine Erweiterung des Schutzbereichs ergeben hat.
31 
c) Der Kläger hat auch die maßgebliche Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten, ohne dass es darauf ankommt, wann der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter positive Kenntnis von der Rechtsänderung erlangt hat. Da der Kläger seinen Asylfolgeantrag persönlich bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamtes bereits am 10.01.2007 gestellt hat, wird auch die denkbar kürzeste Frist (drei Monate ab Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie) gewahrt.
32 
Nach alledem liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vor. Was die unanfechtbare negative Entscheidung des Erstverfahrens und die dort gewürdigten individuellen Vorfluchtgründe betrifft, ist jedoch eine erneute Überprüfung und Bewertung im weiteren Asylverfahren nicht eröffnet. Denn die Qualifikationsrichtlinie misst sich keine Geltung auch für Sachverhalte bei, über die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens oder bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist unanfechtbar entschieden wurde (vgl. näher Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris ). Im Folgenden ist deshalb lediglich zu überprüfen, ob bei Anwendung der Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie bzw. deren Umsetzung durch § 60 Abs. 1 AufenthG eine flüchtlingsrechtlich relevante individuelle oder gruppenbezogene Rückkehrgefährdung des Klägers besteht.
33 
2. Der Senat geht im Anschluss an sein Urteil vom 20.05.2008 (- A 10 S 3032/07 - a.a.O.) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert hat.
34 
2.1.a) Art. 10 QRL definiert in Anknüpfung an Art. 2 Buchst. c QRL die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe. Im vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere der Schutz der Religionsausübung gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QRL maßgeblich. Danach umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Die Bestimmung des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie definiert, was unter dem Verfolgungsgrund der Religion zu verstehen ist, d. h. an welche religiösen Einstellungen oder Betätigungen eine Verfolgungshandlung anknüpfen muss, um flüchtlingsrechtlich beachtlich zu sein. Die Vorschrift gewährleistet dabei bereits nach ihrem Wortlaut für den Einzelnen einen sehr weitgehenden Schutz, wenn sie sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jede religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen bekennen darf, insbesondere auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst wird.
35 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (- A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, dürfte die Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinausgehen, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16 a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt wurde, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede steht (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehört somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung sind nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst wird schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen (vgl. Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032.07 - a.a.O. sowie Bay. VGH, Urteil vom 23.10.2007 - 14 B 06.30315 - InfAuslR 2008, 101).
36 
b) Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setzt darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt wird, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmacht (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL), wobei in Art. 9 Abs. 2 QRL beispielhaft verschiedene in Betracht zu ziehende Verfolgungshandlungen benannt werden. Erst an dieser Stelle erweist sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden kann, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitzt.
37 
Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit liegt in jedem Falle dann vor, wenn der Gläubige so schwerwiegend an der Ausübung seines Glaubens gehindert wird, dass das Recht auf Religionsfreiheit in seinem Kernbereich verletzt wird. Der Kern der Religionsfreiheit ist für die personale Würde und Entfaltung eines jeden Menschen unverzichtbar und gehört damit zum menschenrechtlichen Mindeststandard. Er ist nach ständiger Rechtsprechung unveräußerlich und nach Art. 9 Abs. 2 EMRK nicht einschränkbar (vgl. zu den Einzelheiten etwa BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <158 ff.>; sowie BVerwG, Urteile vom 20.01.2004 - 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 und vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - a.a.O.). Wird dieser Kernbereich verletzt, ist in jedem Fall eine schwerwiegende Rechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu bejahen und dementsprechend Flüchtlingsschutz zu gewähren.
38 
Der in Art. 9 Abs. 2 QRL entfaltete beispielhafte Katalog (insbesondere Buchst. b und d) möglicher Verfolgungshandlungen macht jedoch deutlich, dass eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nicht nur dann gegeben ist, wenn durch die Verfolgungshandlung - von Eingriffen in Leib oder Leben abgesehen - in die physische Bewegungsfreiheit eingegriffen wird, und dass der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verwendete Begriff der Freiheit nicht in diesem engen Sinne verstanden werden kann. Vielmehr können erhebliche Einschränkungen oder Verbote öffentlicher Glaubensbetätigung, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religion oder dem - nicht notwendigerweise völlig identischen - glaubhaft dargelegten Verständnisses des einzelnen Flüchtlings von grundlegender Bedeutung sind, zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen, sofern sie nicht in völkerrechtskonformer Ausübung der jeweiligen Schrankenregelungen erfolgen. Insbesondere kann hiernach den Betroffenen nicht angesonnen werden, diese zu unterlassen, um keine entsprechend vorgesehenen Sanktionen herauszufordern.
39 
2.2.a) Wie vom Senat bereits in seinem Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07- a.a.O.) näher dargestellt, hat sich unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie auch der Prognosemaßstab für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert. Nach Art. 4 Abs. 3 QRL ist - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung - eine strikt einzelfallbezogene Betrachtung vorzunehmen. Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung für die Beurteilung der Frage, ob einem Flüchtling nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz zu gewähren ist, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen waren, je nachdem, ob dieser seinen Heimatstaat auf der Flucht vor bereits eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 <344 ff.>; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237.80 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; st. Rspr.), trifft die Qualifikationsrichtlinie eine entsprechende Unterscheidung ebenfalls. So ist Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgericht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenziert zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht. Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen, zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (vgl. zusammenfassend BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
40 
b) Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden i.S.d. Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 - Abdulla -). Der in dem Tatbestandsmerkmal „…tatsächlich Gefahr liefe…“ des Art. 2 Buchst. e QRL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 -, NVwZ 2008, 1330, RdNr. 125 ff. - Saadi -); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, ZAR 2008, 192).
41 
Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden; die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 - a.a.O). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände der Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - a.a.O.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
42 
2.3. Nicht anders als im Falle des Asylgrundrechts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143) gilt auch hier, dass eine pauschale und rein formale Betrachtung aller Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nicht sachgerecht sein kann und daher ausscheiden muss. Es leuchtet unmittelbar ein, dass nach Maßgabe der jeweiligen religiösen Bindungen des einzelnen Asylsuchenden und abhängig von den Verhältnissen im Herkunftsland die Betroffenheit in dem Menschenrecht und daher dessen Beeinträchtigung überhaupt, jedenfalls aber deren Schwere völlig unterschiedliches Gewicht haben können. Allerdings ist an den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben für eine Gruppenverfolgung auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG festzuhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 sowie Beschluss vom 02.02.2010 - 10 B 18.09 -, juris).
43 
a) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243 und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines staatlichen Verfolgungspogroms - (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200) ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200).
44 
b) Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Bezug gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, a.a.O.). An diesem Grundkonzept hat sich nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG nichts geändert. Es stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Qualifikationsrichtlinie in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie definiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, a.a.O.).
45 
3. Der Kläger kann sich bei Anwendung dieser Grundsätze für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung der Gruppe der Ahmadis (oder der Untergruppe der ihren Glauben aktiv ausübenden Ahmadis) berufen.
46 
3.1 Die Lage in Pakistan - soweit sie für die Beurteilung des Schutzgesuchs des Klägers von Bedeutung ist - stellt sich auch im September 2010 im Wesentlichen so wie bereits im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) geschildert dar. Der Senat hat in diesem Urteil folgendes ausgeführt:
47 
„Nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel stellt sich vermutlich die Lage der Ahmadis in Pakistan für den Senat, wie folgt, dar:
48 
1. Zur Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya und ihrer Entstehung hat der HessVGH im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A – juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
49 
„.Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
50 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubens-gemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
51 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bayer. VGH am 22.01.1985, S. 7).
52 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
53 
Auch die aktuellen Zahlen sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern und diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.41). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 18.05.2007, S. 16) nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien.
54 
2. Die Lage der Ahmadis wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
55 
a) Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist allerdings von Verfassungs wegen garantiert (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
56 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren können und nur solche wählen können. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.34 ff.). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16).
57 
b) Seit 1984 bzw.1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und diese gewissermaßen zur Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung in den Blick nehmen.
58 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <146>):
59 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
60 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ameerui Mumineen', 'Khalifar-ul-Mimineem', 'Shaabi' oder 'Razi-Allah-Anho' bezeichnet oder anredet;
61 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ummul-Mumineen' bezeichnet oder anredet;
62 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ahle-bait' bezeichnet oder anredet;
63 
d) sein Gotteshaus als 'Masjid' bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
64 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als 'Azan' bezeichnet oder den 'Azan' so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
65 
Sec. 298 C lautet:
66 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
67 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
68 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
69 
Die genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch ausführlich HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 92 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerb. v. 21.12.1992 – 2 BvR 1263/92 - juris m.w.N.; BVerwG, U.v. 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; v. 25.01.1995 – 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere auch zur Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen diskriminierenden, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, U.v. 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960 – Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/ -, wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, „die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind“ (so BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts). Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden hier einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen nicht von ihnen ausgehen, sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 und 10; vgl. auch HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 34).
70 
Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung von sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, sollen etwa 2000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56; vgl. aber auch Ziffer 19.55 mit etwas niedrigeren Zahlen von ausdrücklich und im Einzelnen von der Glaubensgemeinschaft selbst dokumentierten Fällen); allein im Jahre 2006 soll es zu 21 Anklagen gegen Ahmadis gekommen sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 15, das im Übrigen ausdrücklich die steigende Tendenz als besorgniserregend qualifiziert, vgl. dort S. 5; vgl. auch Freedom House 2007, mit dem Hinweis auf eine Zunahme in den jüngsten Jahren; vgl. auch zu ähnlichen Zahlen Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.51; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 123 ff., wonach seit 1988 von 647 Fällen allein in den Medien berichtet worden sei). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären. Weitere Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz häufig nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt darauf beruht, dass sie zum Teil durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 9 f.). In der Regel werden die Betroffenen bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (U.S. Department of State, a.a.O., S. 10). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt (vgl. U.S. Department of State, a.a.O., S. 16 f.). Die Bestimmung der sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten (vgl. hierzu im Einzelnen HessVGH, U. v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 46 und 69).
71 
Was die Strafbestimmungen der sec. 298 B und C betrifft, sollen gegenwärtig etwa 1000 Verfahren anhängig sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; vgl. auch zu Zahlen der insgesamt durchgeführten Verfahren Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.55 f.), wobei hier die Angeklagten sich zumeist auf freiem Fuß befinden (vgl. zu den Hintergründen und Motiven für die Einleitung von Verfahren auch AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.57).
72 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen, in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn deren Gefühle durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2).
73 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte. Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten d).
74 
c) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf den öffentlich gebetet wird (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.53). Hingegen wird es Ahmadis nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird (AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird, während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können, sowie Gebetshäuser oder Versammlungsstätten immer wieder von Extremisten überfallen werden (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.).
75 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
76 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
77 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten im weitesten Sinn sind verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus größere Verbreitung (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 4).
78 
d) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligen Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen untätig zugesehen und diese geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah, jetzt Chenab Nagar (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006). Zu in den 70-er Jahre vorgefallenen pogromartigen Ausschreitungen vergleichbaren Aktionen ist es jedoch nicht mehr gekommen.
79 
e) Nur der Vollständigkeit halber soll noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden, der allerdings das vom Senat für richtig gehaltene Ergebnis nicht entscheidend beeinflusst, sondern allenfalls zur Abrundung des Bildes beiträgt und geeignet ist: Die frühere überdurchschnittliche Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.62; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 114; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 16 f.). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65).
80 
3. Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) im Januar 2005 in der Weise zusammenfassend charakterisiert wurde, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellt für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung jedenfalls im Sinne einer kumulierenden Betrachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL darstellen. Der Präsident von amnesty international Pakistan wird dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführt, dass es – anders als bei Christen – niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.)
81 
Von zentraler Bedeutung für diese Schlussfolgerung des Senats ist dabei das gegen die Ahmadis gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung möglich sind.
82 
Bei diesem Ausgangspunkt kann nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung rechtfertigen würden. Denn es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen es der gesunde Menschenverstand nahe legen, wenn nicht gar gebieten wird, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Diese seit nunmehr weit über 20 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und –bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die bereits eingangs festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Insoweit muss die absolute Zahl der Strafverfahren und ihr Verhältnis zu der Zahl der gläubigen Ahmadis daher isoliert betrachtet notwendigerweise ein unzutreffendes Bild abgeben. Würden die gläubigen Ahmadis ihr selbstverständliches Menschenrecht aktiv wahrnehmen, so müssten sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen und nach Art und Zahl zunehmenden Reaktionen von staatlicher Seite bzw. auch von Dritten rechnen. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für die Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, dass das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks ist.“
83 
3.2. Auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beansprucht die vom Senat in seinem Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) dargestellte Einschätzung der Lage weiterhin uneingeschränkte Gültigkeit. Nach aktueller Erkenntnislage kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich das Risiko für einfache Ahmadi, mit einem Strafverfahren nach dem Blasphemieparagrafen sec. 295c des pakistanischen Strafgesetzbuches oder den sonstigen sogenannten „Ahmadi-Paragrafen“ überzogen zu werden, signifikant erhöht hätte. Die vom Senat in dem genannten Urteil zugrunde gelegten Zahlenverhältnisse (vgl. insbesondere Randziffer 102 bis 104 im UA bei juris) treffen nach wie vor zu; allenfalls ist eine leichte Besserung der Verhältnisse eingetreten. So führt das Auswärtige Amt im seinem Lagebericht vom 22.10.2008 (Stand: September 2008) aus, dass im Jahre 2007 gegen 23 Ahmadis Anklage in Blasphemiefällen erhoben worden sei; die erhoffte Verbesserung der Lage sei deshalb nicht eingetreten. Die Zahl der Neufälle insgesamt stagniere bei ca. 50 pro Jahr und steige nicht weiter an. In seinem aktuellen Lagebericht vom 17.03.2010 (Stand: März 2010) geht das Auswärtige Amt für den Beurteilungszeitraum 2008 davon aus, dass gegen 14 Ahmadis wegen Blasphemie Anklage erhoben worden sei, mithin ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr beobachtet werden könne.
84 
Insgesamt gesehen steht diese zahlenmäßige Entwicklung mit den sonstigen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismitteln in Einklang, auch wenn darin teilweise von leicht abweichenden Zahlen ausgegangen wird. So geht etwa das U.S. Department of State in seinem International Religious Freedom Report 2009 (Stand: 26. Oktober 2009) davon aus, dass nach eigenen Angaben von Organisationen der Ahmadiyya in Rabwah gegen insgesamt 88 Ahmadis wegen Verstößen gegen die Religionsgesetze Strafverfahren eingeleitet worden seien, darunter in 18 Fällen wegen Blasphemievorwürfen und in 68 Fällen wegen Verstoßes gegen die sog. „Ahmadi-Gesetze“. Zu ähnlichen Zahlen gelangte das Home Office in seinem Country of Origin Report Pakistan vom 18.01.2010. Dort wird unter Berufung auf Ahmadi-Quellen davon ausgegangen, dass von Juni 2008 bis April 2009 gegen insgesamt 88 Ahmadis wegen religiöser Gründe Strafverfahren eingeleitet worden seien, wobei eine genaue Unterscheidung der Vorwürfe und der Verfahrensstadien nicht erfolgt (vgl. Ziffer 19.63 des Reports). Ferner wird darin auch auf den vom Prozessbevollmächtigten des Klägers angeführten Vorfall vom 8. Juni 2008 verwiesen, wonach ein FIR (First Information Report) gegen die gesamte Ahmadi-Bevölkerung von Rabwah erstellt worden sei; dieser Vorfall wird vom U.S. Department of State in seinem Human Rights Report Pakistan 2009 (11. März 2010) bestätigt (S. 15). Entgegen der Meinung des Klägers kann aus letztgenanntem Vorfall jedoch nicht geschlossen werden, dass die vom Auswärtigen Amt wiedergegebenen Zahlen nicht mehr zutreffend sind. Wie sich insbesondere dem Human Rights Report Pakistan des U.S. Departement of State (S. 15) entnehmen lässt, hat das mit dem genannten FIR eingeleitete Verfahren bis zum dort genannten Zeitpunkt noch keinen Fortgang genommen. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass dieser pauschale Vorwurf gegen die gesamte Ahmadi-Bevölkerung von Rabwah Anlass für weitergehende strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen gegen einzelne Ahmadis bietet. Für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung können deshalb nur die Fälle berücksichtigt werden, in denen es tatsächlich zu individuellen Ermittlungsverfahren oder gar Anklagen gekommen ist. Neueres oder umfassenderes Zahlenmaterial, das eine abweichende Gefährdungsprognose ermöglichen könnte, liegt dem Senat nicht vor.
85 
3.3. Dafür, dass generell jeder pakistanische Staatsangehörige allein wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Verfolgung zu gegenwärtigen hätte, bestehen nach den obigen Ausführungen und den dort verwerteten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte. Soweit eine innere und verpflichtende Verbundenheit nicht festgestellt werden kann, sind die Betreffenden, selbst wenn man die vorgenannten rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben zur Auslegung der Qualifikationsrichtlinie und deren Anwendung auf die Lage der Ahmadis in Pakistan zu ihren Gunsten unterstellt, nicht in dem erforderlichen Maße von den im Einzelnen festgestellten Verfolgungshandlungen betroffen. Insbesondere stellt es nach Überzeugung des Senats keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar, wenn sich dieser Personenkreis in der Öffentlichkeit nicht als Muslim bezeichnen kann und darf. Die vom Senat verwerteten aktuellen Erkenntnismittel zeichnen, vor allem was den hier in erster Linie in den Blick zu nehmenden Aspekt der Verfolgungsdichte betrifft, kein grundlegend anderes Bild als dies in der Vergangenheit der Fall war (vgl. zu weiteren Nachweisen aus der auch älteren Rechtsprechung Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 -, a.a.O.). Nachdem nach wie vor die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan selbst davon ausgeht, dass sie insgesamt etwa 4 Millionen Angehörige zählt, darunter etwa 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder (vgl. Lagebericht des Antragsteller vom 17.03.2010, S. 13), sieht der Senat gegenwärtig keine ausreichende Grundlage dafür, dass die aktuelle Zahl in einem so signifikanten Maße darunter liegen könnte, dass eine vollständige Neubewertung des Bedrohungsszenarios erfolgen müsste.
86 
Dies gilt selbst dann, wenn in der Betrachtung allein die Zahl der aktiv ihren Glauben ausübenden Ahmadis, also die oben genannten 500.000 bis 600.000 Mitglieder, zugrunde gelegt wird. Auch bei dieser Untergruppe ergibt sich nicht die hinreichende Verfolgungsdichte, die eine Gruppenverfolgung nach dem oben Gesagten voraussetzt. Diese Betrachtung wird, soweit ersichtlich, im Übrigen von der sonstigen oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geteilt (vgl. Sächs. OVG, Urteil vom 13.11.2008 - A 1 B 550/07 -, juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29.06.2005 - 2 L 208/01 -, juris).
87 
4. Der Senat konnte, insbesondere aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre.
88 
a) Der Senat vermochte dabei die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschilderte Ausübung seiner Religion in Pakistan und die von ihm in der Heimatgemeinde angeblich wahrgenommenen Funktionen weitgehend nicht zu glauben. Seine Angaben hierzu wichen nicht nur in teils erheblichem Maße von seinen Schilderungen im Asylerstverfahren ab, sie waren vor allem auch mit der vom Verwaltungsgericht eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.06.2005 nicht in Einklang zu bringen. So gab der Kläger etwa in der mündlichen Verhandlung an, er habe in seiner Heimatgemeinde die Funktion eines „Saik“ inne gehabt, neben ihm habe nur noch eine weitere Person dieses Amt ausgeübt. Seine Aufgabe habe darin bestanden, sämtliche Mitglieder der Ahmadyyia-Gemeinde im Heimatdorf fünf Mal täglich von den Gebetszeiten zu unterrichten und dazu zu bewegen, in die Moschee zu kommen. Dabei ist es für den Senat bereits schwer nachzuvollziehen, wie der Kläger angesichts der Größe seines Heimatortes mit ca. 30.000 Einwohnern fünf Mal am Tag im Stadtgebiet verstreut wohnende 70 bis 80 Familien aufgesucht haben will. Entscheidend für die fehlende Glaubhaftigkeit ist jedoch, dass diese Angaben nicht mit der in sich stimmigen, auf den Erklärungen zahlreicher Vertrauenspersonen beruhenden Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.06.2006 in Einklag stehen, an deren Richtigkeit der Senat keine Zweifel hat. Zwar bestätigte das Auswärtige Amt die Angaben des Klägers, wonach er die Funktion eines Saiks in seinem Heimatdorf Chak Nr. 18 inne hatte; er sei jedoch lediglich einer von acht bis zehn Saiks gewesen. Auch ist die Funktion eines Saik nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eher mit der eines freiwilligen Gemeindehelfers zu vergleichen, der die Jugendlichen näher an die Religion heranbringen und sie auf ihre Pflichten aufmerksam machen soll. Dieser Widerspruch konnte auch durch entsprechende Vorhalte an den Kläger nicht aufgeklärt werden. Vielmehr relativierte der Kläger seine Angaben dann teilweise dahingehend, dass das Amt eines Saik durchaus erzieherische Elemente habe, nämlich durch die Motivation der Jugendlichen zur Teilnahme am Gebet. Ferner blieben die Einlassungen des Klägers in der mündlichen Berufungsverhandlung erheblich hinter den Schilderungen seiner in der Heimatgemeinde wahrgenommenen Ämter im Asylerstverfahren zurück, etwa was die angebliche stellvertretende Leitungsfunktion betrifft.
89 
b) Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angeht, so waren diese zumindest überwiegend glaubhaft. Der Senat glaubt dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2001 in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis in Balingen betätigt, regelmäßig zum Gebet in die dortige Moschee geht und verschiedene Funktionen ausübt. So schilderte der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft, wie er für die Gemeinde Fahrdienste leistet, an Informationsveranstaltungen mitwirkt und sich in sonstiger Weise vielfältig sozial und kulturell für seine Gemeinde engagiert. Auffällig war in diesem Zusammenhang jedoch, dass der Kläger spontan von sich aus vor allem kulturelle und soziale Aktivitäten schilderte, die mit dem Kernbereich der Glaubensausübung nur wenig zu tun haben. Vor allem entfaltete der Kläger nach seinen eigenen Angaben keine nennenswerten missionarischen Aktivitäten, obwohl es eine zentrale Intention seiner Glaubensgemeinschaft ist, eigene Landsleute vom Glauben zu überzeugen. Erst auf Nachfrage gab der Kläger in diesem Zusammenhang an, er unterhalte sich mit anderen Moslems in seiner Unterkunft bzw. am Arbeitsplatz genauso wie mit Christen über Glaubensinhalte. Diese Gespräche waren nach seinen eigenen Angaben jedoch von dem Bemühen geprägt, sich für Verständigung und ein gutes Zusammenleben zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften einzusetzen bzw. bestehende Missverständnisse und Animositäten zwischen den Glaubensgemeinschaften auszuräumen. Aktive Missionierungsbemühungen, also Versuche, Andersgläubige von der Richtigkeit des eigenen Glaubens zu überzeugen, wurden von dem Kläger auch auf Nachfrage nicht geschildert. Dies wurde im Übrigen auch durch die informatorische Befragung der Lebensgefährtin des Klägers verdeutlicht, wonach er ihr gegenüber ebenfalls keinerlei Missionierungsbemühungen entfalte.
90 
Schließlich waren die Angaben des Klägers zu den maßgeblichen Glaubensinhalten und deren Bedeutung für sein Leben relativ undifferenziert, wenn er etwa auf die Frage nach den wesentlichen Unterschieden zu dem Glauben der Mehrheit der Muslime lediglich ausführen konnte, dass die Ahmadis glaubten, der Messias sei schon gekommen und die anderen dies nicht glauben würden. Auch auf Nachfrage konnte er lediglich angeben, dass die Ahmadis an ihre Kalifen, die anderen jedoch nicht daran glaubten. Ebenso vage blieben die Angaben des Klägers, wie er seinen Glauben bei einer unterstellten Rückkehr nach Pakistan auszuüben gedenke.
91 
Nach alledem vermochte der Senat nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass der Kläger in einer wirklich engen und verpflichtenden Beziehung zum Glauben der Ahmadis steht und es insbesondere als für sich verpflichtend ansieht, in irgendeiner Weise auch für diesen Glauben öffentlich einzutreten.
92 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
93 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Gründe

 
24 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts stellt sich im Ergebnis als richtig dar. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22.01.2007 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Verpflichtung zur Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 Buchst. c der zur Auslegung heranzuziehenden Richtlinie 2004/83/EG vom 29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -) im Wege des Asylfolgeverfahrens.
25 
Entsprechend der Berufungszulassung ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur noch die von dem Kläger begehrte Verpflichtung zur Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG, nicht auch die im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.
26 
Da der erste Asylantrag des Klägers bereits im Jahre 2006 bestandskräftig abgelehnt wurde, handelt es sich bei dem gegenständlichen Asylantrag um einen Folgeantrag. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vor (1.). Auch hat sich unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG sowohl der flüchtlingsrechtliche Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit als auch der anwendbare Prognosemaßstab für eine festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit im Vergleich zu den im Asylerstverfahren einschlägigen Vorgaben verändert (2.). Jedoch kann sich der Kläger auch bei Anwendung dieses günstigeren Maßstabs für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf den Gesichtspunkt einer Gruppenverfolgung der Ahmadis berufen (3.). Eine - grundsätzlich denkbare - individuelle flüchtlingsrelevante Rückkehrgefährdung scheidet mangels hinreichender Glaubensgebundenheit des Klägers aus (4.).
27 
1. Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auf einen nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags gestellten Folgeantrag ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Hiernach setzt ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens insbesondere voraus, dass eine Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist oder neue Beweismittel vorliegen und dass die Geeignetheit dieser Umstände für eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung schlüssig dargelegt wird. Der Folgeantrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene Kenntnis von dem Wiederaufgreifensgrund hat (§ 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG). Diese einschränkenden Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG finden auch dann Anwendung, wenn der Antragsteller in einem weiteren Verfahren eine ihm günstige Rechtsänderung unter Hinweis auf die nunmehr eingetretene unmittelbare Wirkung der Richtlinie 2004/83/EG geltend macht (vgl. hierzu Urteil des Senats vom heutigen Tage im Verfahren Az.: A 10 S 688/08).
28 
a) Entgegen der vom Bundesamt in seinem Bescheid vom 22.01.2007 vertretenen Auffassung ist mit Rücksicht auf die Qualifikationsrichtlinie und in Bezug auf die Beurteilung der maßgeblichen Lage der Ahmadis in Pakistan eine relevante Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. näher Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris). Ob für den Betroffenen tatsächlich eine günstigere Entscheidung im Einzelfall in Betracht kommt, muss der Prüfung in dem durchzuführenden Asylfolgeverfahren vorbehalten bleiben; das Bundesamt hat zu Unrecht in dem versagenden Bescheid eine Vollprüfung am Maßstab der Richtlinie vorgenommen und mit diesen Überlegungen einen Wiederaufgreifensgrund im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG verneint. Nach der Konzeption des Asylverfahrensgesetzes ist jedoch eine abschließende Prüfung der Erheblichkeit der geltend gemachten Sachverhalts- oder Rechtsänderung auf einer zweiten Stufe erst dem weiteren Asylverfahren vorbehalten, sofern eine günstige Entscheidung aufgrund der geänderten Umstände jedenfalls möglich erscheint. Deshalb muss es auch ausreichen, wenn der Betroffene innerhalb der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG sich auf die mögliche Rechtsänderung durch das Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie berufen hat; der Vortrag weiterer Tatsachen, die einen Rückschluss darauf zulassen, dass ein Ahmadi mit seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie aktuell aktiv ausgeübt hat, ist demgegenüber keine Zulässigkeitsvoraussetzung (a. A. VG des Saarlandes, Urteil vom 20.01.2010 - 5 K 621/08 - juris).
29 
b) Wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht erkannt hat, steht einem Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG unter dem Gesichtspunkt der Rechtsänderung auch nicht entgegen, dass es bereits in seinem das Erstverfahren abschließenden Urteil vom 28.10.2005 (Az.: A 6 K 12413/03) die materiellen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie zumindest hilfsweise seiner inhaltlichen Prüfung zugrunde gelegt hat. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Urteil offen gelassen, ob der Gesetzgeber mit dem Zuwanderungsgesetz bereits einen Teil der Qualifikationsrichtlinie umgesetzt hat und bereits zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kraft nationalen Rechts im Lichte von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG auszulegen ist. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang dann im Einzelnen näher dargelegt, dass selbst bei Anwendung der Maßstäbe der Qualifikationsrichtlinie nicht von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan ausgegangen werden könne, da Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG eine mit dem nationalen Recht vergleichbare Struktur aufweise und den Schutzbereich der Religionsausübung nicht über die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze zum „forum internum“ hinaus erweitert habe.
30 
Diese vom Verwaltungsgericht der Sache nach vorgenommene Überprüfung des Asylbegehrens anhand der Maßstäbe der Qualifikationsrichtlinie steht der Annahme einer Rechtsänderung nicht entgegen. Maßgeblich ist allein, dass erst mit Ablauf des 10.10.2006 (Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie und Eintritt deren unmittelbarer Anwendbarkeit, vgl. Art. 38 Abs. 1 QRL) objektiv-rechtlich eine Rechtsänderung eingetreten ist. Für dieses Verständnis sprechen nicht zuletzt Gesichtspunkte des effektiven Rechtsschutzes. Da der Senat in seinem die Zulassung der Berufung ablehnenden Beschluss vom 31.05.2006 (Az.: A 10 S 25/06) die vom Verwaltungsgericht erwogene Vorwirkung bzw. vorzeitige Umsetzung des Richtlinienentwurfs in nationales Recht abgelehnt hat, war dem Kläger eine obergerichtliche Überprüfung des vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Verständnisses der Qualifikationsrichtlinie verwehrt. Der Kläger konnte daher im Asylerstverfahren nicht mit Erfolg geltend machen, dass sich unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG gerade im Hinblick auf die Religionsausübungsfreiheit eine Erweiterung des Schutzbereichs ergeben hat.
31 
c) Der Kläger hat auch die maßgebliche Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG eingehalten, ohne dass es darauf ankommt, wann der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter positive Kenntnis von der Rechtsänderung erlangt hat. Da der Kläger seinen Asylfolgeantrag persönlich bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamtes bereits am 10.01.2007 gestellt hat, wird auch die denkbar kürzeste Frist (drei Monate ab Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie) gewahrt.
32 
Nach alledem liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vor. Was die unanfechtbare negative Entscheidung des Erstverfahrens und die dort gewürdigten individuellen Vorfluchtgründe betrifft, ist jedoch eine erneute Überprüfung und Bewertung im weiteren Asylverfahren nicht eröffnet. Denn die Qualifikationsrichtlinie misst sich keine Geltung auch für Sachverhalte bei, über die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens oder bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist unanfechtbar entschieden wurde (vgl. näher Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris ). Im Folgenden ist deshalb lediglich zu überprüfen, ob bei Anwendung der Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie bzw. deren Umsetzung durch § 60 Abs. 1 AufenthG eine flüchtlingsrechtlich relevante individuelle oder gruppenbezogene Rückkehrgefährdung des Klägers besteht.
33 
2. Der Senat geht im Anschluss an sein Urteil vom 20.05.2008 (- A 10 S 3032/07 - a.a.O.) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert hat.
34 
2.1.a) Art. 10 QRL definiert in Anknüpfung an Art. 2 Buchst. c QRL die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe. Im vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere der Schutz der Religionsausübung gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QRL maßgeblich. Danach umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Die Bestimmung des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie definiert, was unter dem Verfolgungsgrund der Religion zu verstehen ist, d. h. an welche religiösen Einstellungen oder Betätigungen eine Verfolgungshandlung anknüpfen muss, um flüchtlingsrechtlich beachtlich zu sein. Die Vorschrift gewährleistet dabei bereits nach ihrem Wortlaut für den Einzelnen einen sehr weitgehenden Schutz, wenn sie sowohl die Entscheidung, aus innerer Überzeugung religiös zu leben, wie auch die Entscheidung, aufgrund religiösen Desinteresses jede religiöse Betätigung zu unterlassen, schützt und dem Einzelnen zubilligt, dass er sich zu seiner religiösen Grundentscheidung auch nach außen bekennen darf, insbesondere auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen erfasst wird.
35 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (- A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, dürfte die Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinausgehen, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16 a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt wurde, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede steht (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehört somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung sind nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst wird schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen (vgl. Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032.07 - a.a.O. sowie Bay. VGH, Urteil vom 23.10.2007 - 14 B 06.30315 - InfAuslR 2008, 101).
36 
b) Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setzt darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt wird, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmacht (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL), wobei in Art. 9 Abs. 2 QRL beispielhaft verschiedene in Betracht zu ziehende Verfolgungshandlungen benannt werden. Erst an dieser Stelle erweist sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden kann, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitzt.
37 
Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit liegt in jedem Falle dann vor, wenn der Gläubige so schwerwiegend an der Ausübung seines Glaubens gehindert wird, dass das Recht auf Religionsfreiheit in seinem Kernbereich verletzt wird. Der Kern der Religionsfreiheit ist für die personale Würde und Entfaltung eines jeden Menschen unverzichtbar und gehört damit zum menschenrechtlichen Mindeststandard. Er ist nach ständiger Rechtsprechung unveräußerlich und nach Art. 9 Abs. 2 EMRK nicht einschränkbar (vgl. zu den Einzelheiten etwa BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <158 ff.>; sowie BVerwG, Urteile vom 20.01.2004 - 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 und vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - a.a.O.). Wird dieser Kernbereich verletzt, ist in jedem Fall eine schwerwiegende Rechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu bejahen und dementsprechend Flüchtlingsschutz zu gewähren.
38 
Der in Art. 9 Abs. 2 QRL entfaltete beispielhafte Katalog (insbesondere Buchst. b und d) möglicher Verfolgungshandlungen macht jedoch deutlich, dass eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nicht nur dann gegeben ist, wenn durch die Verfolgungshandlung - von Eingriffen in Leib oder Leben abgesehen - in die physische Bewegungsfreiheit eingegriffen wird, und dass der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verwendete Begriff der Freiheit nicht in diesem engen Sinne verstanden werden kann. Vielmehr können erhebliche Einschränkungen oder Verbote öffentlicher Glaubensbetätigung, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religion oder dem - nicht notwendigerweise völlig identischen - glaubhaft dargelegten Verständnisses des einzelnen Flüchtlings von grundlegender Bedeutung sind, zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen, sofern sie nicht in völkerrechtskonformer Ausübung der jeweiligen Schrankenregelungen erfolgen. Insbesondere kann hiernach den Betroffenen nicht angesonnen werden, diese zu unterlassen, um keine entsprechend vorgesehenen Sanktionen herauszufordern.
39 
2.2.a) Wie vom Senat bereits in seinem Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07- a.a.O.) näher dargestellt, hat sich unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie auch der Prognosemaßstab für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert. Nach Art. 4 Abs. 3 QRL ist - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung - eine strikt einzelfallbezogene Betrachtung vorzunehmen. Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung für die Beurteilung der Frage, ob einem Flüchtling nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz zu gewähren ist, unterschiedliche Maßstäbe anzulegen waren, je nachdem, ob dieser seinen Heimatstaat auf der Flucht vor bereits eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 <344 ff.>; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237.80 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; st. Rspr.), trifft die Qualifikationsrichtlinie eine entsprechende Unterscheidung ebenfalls. So ist Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgericht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenziert zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht. Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen, zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (vgl. zusammenfassend BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
40 
b) Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden i.S.d. Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - NVwZ 2010, 505 - Abdulla -). Der in dem Tatbestandsmerkmal „…tatsächlich Gefahr liefe…“ des Art. 2 Buchst. e QRL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 -, NVwZ 2008, 1330, RdNr. 125 ff. - Saadi -); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, ZAR 2008, 192).
41 
Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden; die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 - a.a.O). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände der Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - a.a.O.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O.).
42 
2.3. Nicht anders als im Falle des Asylgrundrechts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143) gilt auch hier, dass eine pauschale und rein formale Betrachtung aller Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nicht sachgerecht sein kann und daher ausscheiden muss. Es leuchtet unmittelbar ein, dass nach Maßgabe der jeweiligen religiösen Bindungen des einzelnen Asylsuchenden und abhängig von den Verhältnissen im Herkunftsland die Betroffenheit in dem Menschenrecht und daher dessen Beeinträchtigung überhaupt, jedenfalls aber deren Schwere völlig unterschiedliches Gewicht haben können. Allerdings ist an den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben für eine Gruppenverfolgung auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG festzuhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 sowie Beschluss vom 02.02.2010 - 10 B 18.09 -, juris).
43 
a) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243 und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines staatlichen Verfolgungspogroms - (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200) ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200).
44 
b) Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Bezug gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, a.a.O.). An diesem Grundkonzept hat sich nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG nichts geändert. Es stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Qualifikationsrichtlinie in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie definiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, a.a.O.).
45 
3. Der Kläger kann sich bei Anwendung dieser Grundsätze für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung der Gruppe der Ahmadis (oder der Untergruppe der ihren Glauben aktiv ausübenden Ahmadis) berufen.
46 
3.1 Die Lage in Pakistan - soweit sie für die Beurteilung des Schutzgesuchs des Klägers von Bedeutung ist - stellt sich auch im September 2010 im Wesentlichen so wie bereits im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) geschildert dar. Der Senat hat in diesem Urteil folgendes ausgeführt:
47 
„Nach Auswertung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel stellt sich vermutlich die Lage der Ahmadis in Pakistan für den Senat, wie folgt, dar:
48 
1. Zur Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya und ihrer Entstehung hat der HessVGH im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A – juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
49 
„.Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
50 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubens-gemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
51 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bayer. VGH am 22.01.1985, S. 7).
52 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
53 
Auch die aktuellen Zahlen sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern und diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.41). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 18.05.2007, S. 16) nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien.
54 
2. Die Lage der Ahmadis wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
55 
a) Der Islam wird in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist allerdings von Verfassungs wegen garantiert (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
56 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren können und nur solche wählen können. Um ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.34 ff.). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16).
57 
b) Seit 1984 bzw.1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und diese gewissermaßen zur Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung in den Blick nehmen.
58 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 <146>):
59 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
60 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ameerui Mumineen', 'Khalifar-ul-Mimineem', 'Shaabi' oder 'Razi-Allah-Anho' bezeichnet oder anredet;
61 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ummul-Mumineen' bezeichnet oder anredet;
62 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als 'Ahle-bait' bezeichnet oder anredet;
63 
d) sein Gotteshaus als 'Masjid' bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
64 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als 'Azan' bezeichnet oder den 'Azan' so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
65 
Sec. 298 C lautet:
66 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich 'Ahmadis' oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
67 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
68 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
69 
Die genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch ausführlich HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 92 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerb. v. 21.12.1992 – 2 BvR 1263/92 - juris m.w.N.; BVerwG, U.v. 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; v. 25.01.1995 – 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere auch zur Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen diskriminierenden, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, U.v. 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960 – Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/ -, wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, „die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind“ (so BVerfG, B.v. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts). Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden hier einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen nicht von ihnen ausgehen, sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 und 10; vgl. auch HessVGH, U.v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 34).
70 
Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung von sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, sollen etwa 2000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56; vgl. aber auch Ziffer 19.55 mit etwas niedrigeren Zahlen von ausdrücklich und im Einzelnen von der Glaubensgemeinschaft selbst dokumentierten Fällen); allein im Jahre 2006 soll es zu 21 Anklagen gegen Ahmadis gekommen sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 15, das im Übrigen ausdrücklich die steigende Tendenz als besorgniserregend qualifiziert, vgl. dort S. 5; vgl. auch Freedom House 2007, mit dem Hinweis auf eine Zunahme in den jüngsten Jahren; vgl. auch zu ähnlichen Zahlen Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.51; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 123 ff., wonach seit 1988 von 647 Fällen allein in den Medien berichtet worden sei). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären. Weitere Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz häufig nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt darauf beruht, dass sie zum Teil durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 9 f.). In der Regel werden die Betroffenen bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (U.S. Department of State, a.a.O., S. 10). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt (vgl. U.S. Department of State, a.a.O., S. 16 f.). Die Bestimmung der sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten (vgl. hierzu im Einzelnen HessVGH, U. v. 31.08.1999 – 10 UE 864/98.A – juris – Tz. 46 und 69).
71 
Was die Strafbestimmungen der sec. 298 B und C betrifft, sollen gegenwärtig etwa 1000 Verfahren anhängig sein (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; vgl. auch zu Zahlen der insgesamt durchgeführten Verfahren Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.55 f.), wobei hier die Angeklagten sich zumeist auf freiem Fuß befinden (vgl. zu den Hintergründen und Motiven für die Einleitung von Verfahren auch AA a.a.O., S. 17; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.57).
72 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen, in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn deren Gefühle durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 2).
73 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte. Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten d).
74 
c) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf den öffentlich gebetet wird (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.53). Hingegen wird es Ahmadis nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird (AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird, während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können, sowie Gebetshäuser oder Versammlungsstätten immer wieder von Extremisten überfallen werden (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.).
75 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
76 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 4).
77 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten im weitesten Sinn sind verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus größere Verbreitung (U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 4).
78 
d) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligen Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen untätig zugesehen und diese geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Pakistan, Country Reports on Human Rights Practices, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah, jetzt Chenab Nagar (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006). Zu in den 70-er Jahre vorgefallenen pogromartigen Ausschreitungen vergleichbaren Aktionen ist es jedoch nicht mehr gekommen.
79 
e) Nur der Vollständigkeit halber soll noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden, der allerdings das vom Senat für richtig gehaltene Ergebnis nicht entscheidend beeinflusst, sondern allenfalls zur Abrundung des Bildes beiträgt und geeignet ist: Die frühere überdurchschnittliche Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen (vgl. AA Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.62; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 114; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report, 10.09.2007, S. 3 und 16 f.). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65).
80 
3. Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) im Januar 2005 in der Weise zusammenfassend charakterisiert wurde, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellt für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung jedenfalls im Sinne einer kumulierenden Betrachtung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL darstellen. Der Präsident von amnesty international Pakistan wird dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführt, dass es – anders als bei Christen – niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.)
81 
Von zentraler Bedeutung für diese Schlussfolgerung des Senats ist dabei das gegen die Ahmadis gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung möglich sind.
82 
Bei diesem Ausgangspunkt kann nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung rechtfertigen würden. Denn es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen es der gesunde Menschenverstand nahe legen, wenn nicht gar gebieten wird, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Diese seit nunmehr weit über 20 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und –bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die bereits eingangs festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Insoweit muss die absolute Zahl der Strafverfahren und ihr Verhältnis zu der Zahl der gläubigen Ahmadis daher isoliert betrachtet notwendigerweise ein unzutreffendes Bild abgeben. Würden die gläubigen Ahmadis ihr selbstverständliches Menschenrecht aktiv wahrnehmen, so müssten sie bei realistischer Betrachtungsweise mit erheblichen und nach Art und Zahl zunehmenden Reaktionen von staatlicher Seite bzw. auch von Dritten rechnen. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für die Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, dass das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks ist.“
83 
3.2. Auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beansprucht die vom Senat in seinem Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) dargestellte Einschätzung der Lage weiterhin uneingeschränkte Gültigkeit. Nach aktueller Erkenntnislage kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich das Risiko für einfache Ahmadi, mit einem Strafverfahren nach dem Blasphemieparagrafen sec. 295c des pakistanischen Strafgesetzbuches oder den sonstigen sogenannten „Ahmadi-Paragrafen“ überzogen zu werden, signifikant erhöht hätte. Die vom Senat in dem genannten Urteil zugrunde gelegten Zahlenverhältnisse (vgl. insbesondere Randziffer 102 bis 104 im UA bei juris) treffen nach wie vor zu; allenfalls ist eine leichte Besserung der Verhältnisse eingetreten. So führt das Auswärtige Amt im seinem Lagebericht vom 22.10.2008 (Stand: September 2008) aus, dass im Jahre 2007 gegen 23 Ahmadis Anklage in Blasphemiefällen erhoben worden sei; die erhoffte Verbesserung der Lage sei deshalb nicht eingetreten. Die Zahl der Neufälle insgesamt stagniere bei ca. 50 pro Jahr und steige nicht weiter an. In seinem aktuellen Lagebericht vom 17.03.2010 (Stand: März 2010) geht das Auswärtige Amt für den Beurteilungszeitraum 2008 davon aus, dass gegen 14 Ahmadis wegen Blasphemie Anklage erhoben worden sei, mithin ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr beobachtet werden könne.
84 
Insgesamt gesehen steht diese zahlenmäßige Entwicklung mit den sonstigen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismitteln in Einklang, auch wenn darin teilweise von leicht abweichenden Zahlen ausgegangen wird. So geht etwa das U.S. Department of State in seinem International Religious Freedom Report 2009 (Stand: 26. Oktober 2009) davon aus, dass nach eigenen Angaben von Organisationen der Ahmadiyya in Rabwah gegen insgesamt 88 Ahmadis wegen Verstößen gegen die Religionsgesetze Strafverfahren eingeleitet worden seien, darunter in 18 Fällen wegen Blasphemievorwürfen und in 68 Fällen wegen Verstoßes gegen die sog. „Ahmadi-Gesetze“. Zu ähnlichen Zahlen gelangte das Home Office in seinem Country of Origin Report Pakistan vom 18.01.2010. Dort wird unter Berufung auf Ahmadi-Quellen davon ausgegangen, dass von Juni 2008 bis April 2009 gegen insgesamt 88 Ahmadis wegen religiöser Gründe Strafverfahren eingeleitet worden seien, wobei eine genaue Unterscheidung der Vorwürfe und der Verfahrensstadien nicht erfolgt (vgl. Ziffer 19.63 des Reports). Ferner wird darin auch auf den vom Prozessbevollmächtigten des Klägers angeführten Vorfall vom 8. Juni 2008 verwiesen, wonach ein FIR (First Information Report) gegen die gesamte Ahmadi-Bevölkerung von Rabwah erstellt worden sei; dieser Vorfall wird vom U.S. Department of State in seinem Human Rights Report Pakistan 2009 (11. März 2010) bestätigt (S. 15). Entgegen der Meinung des Klägers kann aus letztgenanntem Vorfall jedoch nicht geschlossen werden, dass die vom Auswärtigen Amt wiedergegebenen Zahlen nicht mehr zutreffend sind. Wie sich insbesondere dem Human Rights Report Pakistan des U.S. Departement of State (S. 15) entnehmen lässt, hat das mit dem genannten FIR eingeleitete Verfahren bis zum dort genannten Zeitpunkt noch keinen Fortgang genommen. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass dieser pauschale Vorwurf gegen die gesamte Ahmadi-Bevölkerung von Rabwah Anlass für weitergehende strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen gegen einzelne Ahmadis bietet. Für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung können deshalb nur die Fälle berücksichtigt werden, in denen es tatsächlich zu individuellen Ermittlungsverfahren oder gar Anklagen gekommen ist. Neueres oder umfassenderes Zahlenmaterial, das eine abweichende Gefährdungsprognose ermöglichen könnte, liegt dem Senat nicht vor.
85 
3.3. Dafür, dass generell jeder pakistanische Staatsangehörige allein wegen seiner bloßen Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Verfolgung zu gegenwärtigen hätte, bestehen nach den obigen Ausführungen und den dort verwerteten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte. Soweit eine innere und verpflichtende Verbundenheit nicht festgestellt werden kann, sind die Betreffenden, selbst wenn man die vorgenannten rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben zur Auslegung der Qualifikationsrichtlinie und deren Anwendung auf die Lage der Ahmadis in Pakistan zu ihren Gunsten unterstellt, nicht in dem erforderlichen Maße von den im Einzelnen festgestellten Verfolgungshandlungen betroffen. Insbesondere stellt es nach Überzeugung des Senats keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar, wenn sich dieser Personenkreis in der Öffentlichkeit nicht als Muslim bezeichnen kann und darf. Die vom Senat verwerteten aktuellen Erkenntnismittel zeichnen, vor allem was den hier in erster Linie in den Blick zu nehmenden Aspekt der Verfolgungsdichte betrifft, kein grundlegend anderes Bild als dies in der Vergangenheit der Fall war (vgl. zu weiteren Nachweisen aus der auch älteren Rechtsprechung Urteil des Senats vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 -, a.a.O.). Nachdem nach wie vor die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan selbst davon ausgeht, dass sie insgesamt etwa 4 Millionen Angehörige zählt, darunter etwa 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder (vgl. Lagebericht des Antragsteller vom 17.03.2010, S. 13), sieht der Senat gegenwärtig keine ausreichende Grundlage dafür, dass die aktuelle Zahl in einem so signifikanten Maße darunter liegen könnte, dass eine vollständige Neubewertung des Bedrohungsszenarios erfolgen müsste.
86 
Dies gilt selbst dann, wenn in der Betrachtung allein die Zahl der aktiv ihren Glauben ausübenden Ahmadis, also die oben genannten 500.000 bis 600.000 Mitglieder, zugrunde gelegt wird. Auch bei dieser Untergruppe ergibt sich nicht die hinreichende Verfolgungsdichte, die eine Gruppenverfolgung nach dem oben Gesagten voraussetzt. Diese Betrachtung wird, soweit ersichtlich, im Übrigen von der sonstigen oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geteilt (vgl. Sächs. OVG, Urteil vom 13.11.2008 - A 1 B 550/07 -, juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29.06.2005 - 2 L 208/01 -, juris).
87 
4. Der Senat konnte, insbesondere aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre.
88 
a) Der Senat vermochte dabei die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschilderte Ausübung seiner Religion in Pakistan und die von ihm in der Heimatgemeinde angeblich wahrgenommenen Funktionen weitgehend nicht zu glauben. Seine Angaben hierzu wichen nicht nur in teils erheblichem Maße von seinen Schilderungen im Asylerstverfahren ab, sie waren vor allem auch mit der vom Verwaltungsgericht eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.06.2005 nicht in Einklang zu bringen. So gab der Kläger etwa in der mündlichen Verhandlung an, er habe in seiner Heimatgemeinde die Funktion eines „Saik“ inne gehabt, neben ihm habe nur noch eine weitere Person dieses Amt ausgeübt. Seine Aufgabe habe darin bestanden, sämtliche Mitglieder der Ahmadyyia-Gemeinde im Heimatdorf fünf Mal täglich von den Gebetszeiten zu unterrichten und dazu zu bewegen, in die Moschee zu kommen. Dabei ist es für den Senat bereits schwer nachzuvollziehen, wie der Kläger angesichts der Größe seines Heimatortes mit ca. 30.000 Einwohnern fünf Mal am Tag im Stadtgebiet verstreut wohnende 70 bis 80 Familien aufgesucht haben will. Entscheidend für die fehlende Glaubhaftigkeit ist jedoch, dass diese Angaben nicht mit der in sich stimmigen, auf den Erklärungen zahlreicher Vertrauenspersonen beruhenden Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 06.06.2006 in Einklag stehen, an deren Richtigkeit der Senat keine Zweifel hat. Zwar bestätigte das Auswärtige Amt die Angaben des Klägers, wonach er die Funktion eines Saiks in seinem Heimatdorf Chak Nr. 18 inne hatte; er sei jedoch lediglich einer von acht bis zehn Saiks gewesen. Auch ist die Funktion eines Saik nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eher mit der eines freiwilligen Gemeindehelfers zu vergleichen, der die Jugendlichen näher an die Religion heranbringen und sie auf ihre Pflichten aufmerksam machen soll. Dieser Widerspruch konnte auch durch entsprechende Vorhalte an den Kläger nicht aufgeklärt werden. Vielmehr relativierte der Kläger seine Angaben dann teilweise dahingehend, dass das Amt eines Saik durchaus erzieherische Elemente habe, nämlich durch die Motivation der Jugendlichen zur Teilnahme am Gebet. Ferner blieben die Einlassungen des Klägers in der mündlichen Berufungsverhandlung erheblich hinter den Schilderungen seiner in der Heimatgemeinde wahrgenommenen Ämter im Asylerstverfahren zurück, etwa was die angebliche stellvertretende Leitungsfunktion betrifft.
89 
b) Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angeht, so waren diese zumindest überwiegend glaubhaft. Der Senat glaubt dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2001 in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis in Balingen betätigt, regelmäßig zum Gebet in die dortige Moschee geht und verschiedene Funktionen ausübt. So schilderte der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft, wie er für die Gemeinde Fahrdienste leistet, an Informationsveranstaltungen mitwirkt und sich in sonstiger Weise vielfältig sozial und kulturell für seine Gemeinde engagiert. Auffällig war in diesem Zusammenhang jedoch, dass der Kläger spontan von sich aus vor allem kulturelle und soziale Aktivitäten schilderte, die mit dem Kernbereich der Glaubensausübung nur wenig zu tun haben. Vor allem entfaltete der Kläger nach seinen eigenen Angaben keine nennenswerten missionarischen Aktivitäten, obwohl es eine zentrale Intention seiner Glaubensgemeinschaft ist, eigene Landsleute vom Glauben zu überzeugen. Erst auf Nachfrage gab der Kläger in diesem Zusammenhang an, er unterhalte sich mit anderen Moslems in seiner Unterkunft bzw. am Arbeitsplatz genauso wie mit Christen über Glaubensinhalte. Diese Gespräche waren nach seinen eigenen Angaben jedoch von dem Bemühen geprägt, sich für Verständigung und ein gutes Zusammenleben zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften einzusetzen bzw. bestehende Missverständnisse und Animositäten zwischen den Glaubensgemeinschaften auszuräumen. Aktive Missionierungsbemühungen, also Versuche, Andersgläubige von der Richtigkeit des eigenen Glaubens zu überzeugen, wurden von dem Kläger auch auf Nachfrage nicht geschildert. Dies wurde im Übrigen auch durch die informatorische Befragung der Lebensgefährtin des Klägers verdeutlicht, wonach er ihr gegenüber ebenfalls keinerlei Missionierungsbemühungen entfalte.
90 
Schließlich waren die Angaben des Klägers zu den maßgeblichen Glaubensinhalten und deren Bedeutung für sein Leben relativ undifferenziert, wenn er etwa auf die Frage nach den wesentlichen Unterschieden zu dem Glauben der Mehrheit der Muslime lediglich ausführen konnte, dass die Ahmadis glaubten, der Messias sei schon gekommen und die anderen dies nicht glauben würden. Auch auf Nachfrage konnte er lediglich angeben, dass die Ahmadis an ihre Kalifen, die anderen jedoch nicht daran glaubten. Ebenso vage blieben die Angaben des Klägers, wie er seinen Glauben bei einer unterstellten Rückkehr nach Pakistan auszuüben gedenke.
91 
Nach alledem vermochte der Senat nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass der Kläger in einer wirklich engen und verpflichtenden Beziehung zum Glauben der Ahmadis steht und es insbesondere als für sich verpflichtend ansieht, in irgendeiner Weise auch für diesen Glauben öffentlich einzutreten.
92 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
93 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

Soweit der Kläger die Berufung zurückgenommen hat, wird das Berufungsverfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 07. August 2009 - A 1 K 401/09 - zurückgewiesen.

Die Anschlussberufung der Beklagten gegen das genannte Urteil wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt 2/3 und die Beklagte 1/3 der Kosten des - gerichtskostenfreien - Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt (zwischenzeitlich nur noch) die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der Kläger, nach eigenen Angaben am … 1979 geboren, ist ein sri-lankischer Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit. Er reiste - ebenfalls nach eigenen Angaben - am 03.11.2007 auf dem Luftweg aus einem ihm nicht bekannten Land in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14.11.2007 einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter.
Er wurde am 28.11.2007 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu seinem Begehren angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die Niederschrift über die Anhörung verwiesen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter mit Bescheid vom 17.02.2009 ab (Nr. 1). Ferner stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (Nr. 2) noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen (Nr. 3). Es drohte dem Kläger für den Fall der Nichtbeachtung einer einmonatigen Ausreisefrist die Abschiebung nach Sri Lanka an (Nr. 4).
Mit seiner am 26.02.2009 vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe - A 1 K 401/09 - erhobenen Klage hat der Kläger die Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.02.2009 und die Verpflichtung der Beklagten begehrt, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, hilfsweise die Verpflichtung zur Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 07.08.2009 die Nummern 3 und 4 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.02.2009 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass beim Kläger hinsichtlich Sri Lanka ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung der Klageabweisung hat es u.a. ausgeführt, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Kläger in Sri Lanka vor seiner Ausreise politisch verfolgt worden sei und bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit solcher Verfolgung rechnen müsse. Der Einzelentscheider beim Bundesamt sei nachvollziehbar davon ausgegangen, dass der Kläger ein Verfolgungsschicksal wegen seiner politischen Überzeugung oder seiner Volkszugehörigkeit in Sri Lanka nicht hinreichend überzeugend dargelegt habe. Dieser Bewertung folge das Gericht, denn der Kläger habe eingeräumt, sich in seiner Heimat nie politisch betätigt zu haben. Nachdem er nach eigener Aussage im Oktober 2005 wegen einer angeblichen Beteiligung an einem Mordanschlag auf einen Nachbarn verschleppt und misshandelt worden sei, sei er keinen asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen mehr ausgesetzt gewesen. Er habe nur die üblichen Nachfragen und Bedrohungen ertragen, sich als Geschäftsmann nicht mit der LTTE einzulassen. Der Grund, zwischen die Fronten der Bürgerkriegsparteien zu geraten, entfalle nun, denn die LTTE existiere seit Ende Mai 2009 nicht mehr. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass Reste der Rebellen auf der Jaffna Halbinsel weiterhin die dortige Bevölkerung drangsalierten. Jedenfalls nach 2005 sei auch von den sri-lankischen Sicherheitskräften nicht mehr angenommen worden, dass der Kläger sich als Anhänger der LTTE betätige. Er gebe an, Jaffna im September 2007 wegen der dortigen Unsicherheit verlassen zu haben, die durch die Willkürherrschaft der singhalesischen Besatzungsarmee entstanden und der sein Freund offenbar zum Opfer gefallen sei. Drohende politische Verfolgung sei dies nicht.
Auf Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung gegen das Urteil mit Beschluss vom 06.04.2010 - A 4 S 2088/09 - zugelassenen, soweit die Verpflichtungsklage, gerichtet auf seine Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, abgewiesen worden ist. In seinem Schriftsatz vom 14.04.2010, der der Beklagten formlos übersandt worden ist, hat der Kläger den Antrag gestellt, die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 07.08.2009 (A 1 K 401/09) sowie unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheids der Beklagten vom 17.02.2009 zu verpflichten festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Staates Sri Lanka vorliegen. Er hat weiter unter anderem ausgeführt, dass die Begründung des Antrags mit gesondertem Schriftsatz erfolge. Mit Schriftsatz vom 05.05.2010, der Beklagten zugestellt am 10.05.2010, hat der Kläger seine Berufung - ohne Wiederholung des Antrags aus dem Schriftsatz vom 14.04.2010 - begründet und hierzu auf sein erstinstanzliches Vorbringen zu den geltend gemachten persönlichen Verfolgungsgründen Bezug genommen. - Darüber hinaus gehe er von einer Gruppenverfolgung der tamilischen Minderheit in Sri Lanka aus - jedenfalls hinsichtlich der Untergruppe der jüngeren Tamilinnen und Tamilen im Alter von 15 bis 40 Jahren. Auch das Auswärtige Amt gehe jedenfalls seit dem Wiederaufflammen des Bürgerkriegs im Jahr 2006/2007 davon aus, dass Angehörige der tamilischen Minderheit einem generellen Verdacht unterlägen, Unterstützer der LTTE zu sein, und deshalb mit Gefahren für Leib und Leben stets rechnen müssten. Diese Situation habe sich alsdann im Zuge der Verschärfung des Bürgerkrieges weiter zugespitzt. Sie sei dadurch gekennzeichnet gewesen, dass Angehörigen der tamilischen Minderheit und insbesondere solchen Tamilinnen und Tamilen, die im Rekrutierungsalter der LTTE gestanden hätten, pauschal vorgeworfen worden sei, Unterstützer der LTTE gewesen zu sein, ohne dass insoweit belastbare Beweismittel hätten vorhanden gewesen sein müssen. Es sei zu einer Vielzahl von willkürlichen Inhaftierungen, Folterungen und extralegalen Tötungen gekommen. Verantwortlich seien nicht nur Angehörige der sri-lankischen Sicherheitskräfte direkt, sondern - von diesen geduldet, wenn nicht gar angeleitet - tamilische Gruppierungen, etwa die Karuna-Gruppe. Alle diese Fälle seien unaufgeklärt geblieben. Es sei keinerlei Bemühen des Staates festzustellen, Angehörige der eigenen Sicherheitskräfte oder der erwähnten Gruppierungen für ihre zahlreichen Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. Es herrsche ein Klima allgemeiner Furcht und einer völligen Rechtlosigkeit, da Tamilen und Tamilinnen, die unter dem vorgenannten Verdacht verhaftet würden, keine Rechtsschutzgarantien besessen hätten und besäßen. Effektiver Schutz vor Übergriffen existiere noch nicht einmal rudimentär. Soweit das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in seiner Rechtsprechung darauf abstelle, dass vom quantitativen Ausmaß her eine Gruppenverfolgung nicht festzustellen sei, begegne dies durchgreifenden Bedenken. Das Oberverwaltungsgericht übersehe nahezu vollständig, dass bereits die Eruierung entsprechender Zahlen auf die völlige Unmöglichkeit geführt habe, derartige Zahlen halbwegs verlässlich festzustellen. Hierzu hätten die sri-lankischen Behörden entscheidend beigetragen, indem sie etwa unabhängige Untersuchungen verunmöglicht hätten. Zum anderen werde übersehen, dass die Frage einer Gruppenverfolgung oder einer Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer Untergruppe nicht allein eine quantitative Betrachtungsweise erfordere, vielmehr auch qualitative Momente beinhalte. Es müsse insbesondere darauf ankommen, dass der Verfolgerstaat eine nach asylrechtlichen Kriterien abgrenzbare Personenmehrheit systematisch und gewollt von dem staatlichen Rechtsschutz und dem entsprechenden Friedensgebot ausschließe, das ein Staat seinen Staatsbürgern grundsätzlich schulde. Gerade die von Seiten des Auswärtigen Amts beschriebene Situation eines Generalverdachts habe dazu geführt und führe immer noch dazu, dass die tamilische Bevölkerungsgruppe sich als systematisch ausgegrenzt verstehen müsse und ständig Gefahr gelaufen sei und laufe, asylrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen unterworfen zu sein, wobei es bezeichnend sei, dass es insbesondere zu einer Vielzahl von Fällen des Verschwindenlassens gekommen sei. Eine allein quantitative Betrachtungsweise würde eine Gruppenverfolgung erst dann begründen, wenn es quasi schon zu Akten von Repressionsmaßnahmen käme, die als Genozid zu bezeichnen wären. Damit würde der Begriff der Gruppenverfolgung einen zu engen Inhalt bekommen, es solle mit ihm gerade ein Schutz für Personen gewährleistet werden, die generell in einem Klima völliger Rechtlosigkeit und Unsicherheit in ihrem Herkunftsland lebten, allein weil sie zu einer bestimmten, nach asylerheblichen Kriterien abgrenzbaren Personenmehrheit gehörten. Die Situation in Sri Lanka nach dem Ende des bewaffneten Kampfs der LTTE im Mai/Juni 2009 zeige nunmehr in aller Deutlichkeit, dass eine derartige Gruppenverfolgung vorliege und eine systematische Ausgrenzung der tamilischen Minderheit in Sri Lanka gewollt sei. Als „Entschuldigung“ könne der Bürgerkrieg nicht mehr dienen, so dass der Vorwand der „Bekämpfung des Terrorismus“ nicht mehr durchgreifen könne. Bezeichnend sei, dass nach dem Ende des Bürgerkriegs die sri-lankischen Behörden keine Maßnahmen unternommen hätten, um die tamilische Minderheit zu schützen. Aus dem Bericht der „International Crisis Group“ vom 17.02.2010 ergebe sich vielmehr, dass die Regierung keine Anstrengungen unternehme, der tamilischen Minderheit entgegenzukommen oder ihr Schutz zu gewähren. Nach wie vor sei von einer faktischen Willkürherrschaft der Armee, der Sicherheitsbehörden und der mit ihnen verbündeten tamilischen Gruppierungen insbesondere in den tamilischen Siedlungsgebieten im Norden und Osten Sri Lankas auszugehen. Dies werde erst recht deutlich, wenn man den ausführlichen Bericht „Legal Limbo, The Uncertain Fate of Detained LTTE Suspects in Sri Lanka“ von Human Rights Watch betrachte. Dort werde etwa festgestellt, dass es eine Vielzahl von willkürlichen Verhaftungen insbesondere jüngerer Tamilinnen und Tamilen - oft noch Kinder - gegeben habe. Diese Personen seien sämtlich unter dem pauschalen Verdacht der Unterstützung der LTTE festgenommen worden, dabei sei es zu einer Vielzahl von Fällen des Verschwindenlassens gekommen. Ende des Jahres 2009 hätten diese Fälle sogar zugenommen. In dem Bericht heiße es unter anderem, dass die völlig fehlende Transparenz hinsichtlich der Festnahmen dazu führe, dass es sich um Fälle des erzwungenen Verschwindenlassens gehandelt habe. Weiter heiße es, dass die Anzahl der Personen, deren Verbleib nach der Festnahme an Kontrollpunkten oder in den Lagern unbekannt sei, nicht festgestellt werden könne. Die sri-lankischen Behörden hätten selbst zugegeben, dass Tausende von Personen nicht registriert seien. Die Besorgnisse würden verstärkt durch die Weigerung der Behörden, humanitäre Organisationen oder irgendwelche anderen, unabhängigen Beobachter in den Vorgang der Untersuchung und Inhaftierung einzubeziehen. Schließlich heiße es in dem Bericht von Human Rights Watch: „Die einfachsten Schutzbestimmungen würden routinemäßig ignoriert, insbesondere das Recht, die Beschuldigung zu erfahren, das Recht, die Verhaftung vor einem Gericht anzufechten, und das Recht auf rechtliche Beratung.“ Bedenken hinsichtlich schlechter Behandlung würden ebenso aufgestellt. Demgemäß müsse - so der Kläger - von einer Gruppenverfolgung ausgegangen werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 07. August 2009 - A 1 K 401/09 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung von Nr. 2 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.02.2009 zu verpflichten festzustellen, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Staats Sri Lanka vorliegen.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
die Berufung zurückzuweisen.
12 
Die Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung der tamilischen Bevölkerung allein auf Grund der Volkszugehörigkeit seien nicht gegeben. Eine solche Bewertung scheitere wie schon in der Vergangenheit bereits an der fehlenden Verfolgungsdichte. Insoweit sei auf die Grundsatzentscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29.04.2009 - 3 A 627/07 - zu verweisen. Ebenso wenig sei von der Existenz eines staatlichen Verfolgungsprogramms auszugehen. Eine beachtlich wahrscheinliche Rückkehrgefährdung allein wegen der Volkszugehörigkeit sei zu verneinen. Nach Angaben des UNHCR habe die sri-lankische Regierung wieder begonnen, Vertriebene in ihre Heimatregion zurückzuführen. Durch die Kämpfe im Frühjahr 2009 seien 280.000 Menschen im Norden und Osten Sri Lankas auf der Flucht. Viele von ihnen hätten in einem der 40 Flüchtlingscamps Zuflucht gefunden. Seit Beginn der organisierten Rückkehr im August 2009 sollen über 200.000 Menschen die Lager wieder verlassen haben. Anfang Mai 2010 sei gemeldet worden, die sri-lankische Regierung wolle knapp ein Jahr nach dem Ende des Bürgerkriegs die Notstandsgesetze entschärfen. Die bestehenden Regelungen sollten Schritt für Schritt aufgehoben werden. Außerdem wolle die Regierung mögliche Menschenrechtsverletzungen aus der Zeit des Konflikts untersuchen lassen. Es sei zwar nicht auszuschließen, dass in Einzelfällen Übergriffe auf die tamilische Bevölkerung erfolgten. Keinesfalls sei jedoch davon auszugehen, dass die Behelligungen flächendeckend und mit einer solchen Dichte geschehen würden, dass nahezu jeder tamilische Volkszugehörige wegen seiner Abstammung von Verfolgung bedroht sei.
13 
Die Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 27.09.2010 der Berufung angeschlossen. Die Anschlussberufung sei zulässig. Nach § 127 Abs. 2 Satz 1 VwGO sei die Anschließung selbst dann noch statthaft, wenn der Beteiligte auf die Berufung verzichtet habe oder unabhängig von den Gründen dafür die Frist für seinen Zulassungsantrag verstrichen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei die Anschlussberufung auch nicht auf den prozessualen Anspruch beschränkt, der mit der Zulassung der Berufung in die zweite Instanz gelangt sei. Sie könne sich weiter gegen den erstinstanzlich angenommenen Anspruch auf Abschiebungsschutz richten. Zwar müsse sie gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift eingelegt sein. Eine diesen Fristenlauf wirksam auslösende Zustellung sei im vorliegenden Verfahren indes nicht erfolgt. Berufungsbegründungsschrift im Sinn der Vorschrift könne allein ein Schriftsatz sein, der alle unverzichtbaren Anforderungen gemäß § 124a VwGO erfülle, der insbesondere neben den Berufungsgründen einen bestimmten Antrag enthalten müsse. Fänden sich die unverzichtbaren Angaben in verschiedenen Schriftsätzen, bedürfe es zwangsläufig der Zustellung jedes dieser Schriftsätze, um die Frist in Lauf zu setzen. Zugestellt sei zwar der Schriftsatz vom 05.05.2010, mit dem die Berufungsgründe ausgeführt worden seien, der aber weder einen ausdrücklich formulierten noch einen durch Inbezugnahme bestimmten Berufungsantrag enthalte. Der mit Schriftsatz vom 14.04.2010 formulierte Antrag sei hingegen nicht zugestellt worden. Damit habe insgesamt keine Frist für die Anschlussberufung ausgelöst werden können. - Subsidiäre Schutzansprüche im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ließen sich nicht feststellen. Das gelte insbesondere hinsichtlich eines Schutzanspruchs im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Soweit das Verwaltungsgericht eine solche Gefahrenlage angenommen habe, habe es schon die Tatbestandsvoraussetzungen offenkundig unzutreffend ausgelegt bzw. auch für eine Situation als erfüllt erachtet, die erkennbar nicht in den einschlägigen Schutzbereich fallen solle. Eine Nachkriegssituation stelle typischerweise gerade keinen noch anhaltenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikt mehr dar.
14 
Die Beklagte beantragt,
15 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 07. August 2009 - A 1 K 401/09 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
16 
Der Kläger beantragt,
17 
die Anschlussberufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie zurückzuweisen
18 
Sie sei nicht innerhalb der Frist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO eingelegt worden. Widereinsetzungsgründe seien von der Beklagten nicht geltend gemacht worden und auch sonst nicht ersichtlich. Die von der Beklagten herangezogene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 127 VwGO beziehe sich auf die alte Fassung der Norm. Die Anschlussberufung sei nicht binnen eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift eingelegt und begründet worden. Hieran ändere der Umstand nichts, dass die Berufungsbegründung mit gesondertem Schriftsatz vorgelegt worden sei, nachdem zuvor der Sachantrag - beides innerhalb der Berufungsbegründungsfrist - mit gesondertem Schriftsatz gestellt worden sei. Insoweit sei aus der Formulierung in der Berufungsbegründungsschrift ersichtlich, dass auf die vorherigen Schriftsätze Bezug genommen worden sei. Aus ihrem Inhalt sei auch ersichtlich, in welchem Umfang das erstinstanzliche Urteil angegriffen worden sei, nämlich hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung politischer Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Damit seien sämtliche Zulassungsvoraussetzungen für eine Berufungsbegründungsschrift erfüllt. Die Anschlussberufung sei daher verspätet und damit unzulässig.
19 
Der Kläger ist im Termin zur mündlichen Verhandlung zu seinem Schutzbegehren angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
20 
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, wegen der sonstigen Einzelheiten auf die einschlägigen Akten der Beklagten und die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
21 
Die durch den Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist - soweit sie nicht zurückgenommen worden ist - unbegründet (I.). Die Anschlussberufung der Beklagten ist unzulässig (II.).
I.
22 
Die Berufung des Klägers ist teilweise zurückgenommen worden und im Übrigen nicht begründet.
23 
1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist (nur noch) der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person hinsichtlich des Staats Sri Lanka und damit der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.02.2010 - 10 C 7.09 -, NVwZ 2010, 974 RdNr. 12). Zugelassen hatte der Senat die Berufung allerdings auch hinsichtlich der erstinstanzlich begehrten und mit dem Berufungszulassungsantrag zunächst weiterverfolgten Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG. Der Kläger hat dieses Begehren jedoch - bestätigt durch die Erklärung seines Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - bereits mit der Stellung des Berufungsantrags (Schriftsatz vom 14.04.2010), der sich allein auf § 60 Abs. 1 AufenthG bezieht, nicht mehr weiterverfolgt. Darin ist eine teilweise Berufungsrücknahme zu sehen mit der Folge, dass insoweit die Einstellung des Berufungsverfahrens auszusprechen ist (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 1 und 3 VwGO).
24 
2. Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht entschieden hat, kommt dem Kläger kein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person hinsichtlich Sri Lankas und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
25 
a) Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen.
26 
b) Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12) - RL 2004/83/EG - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
27 
Nach Art. 2 Buchstabe c) RL 2004/83/EG ist Flüchtling unter anderem derjenige Drittstaatsangehörige, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
28 
c) Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird, Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG. Auf den Kläger findet diese Beweiserleichterung keine Anwendung. Er ist schon nicht im Sinne der Vorschrift verfolgt worden. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
29 
aa) Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 -, BVerfGE 54, 341, 360 f.; BVerwG, Urteil vom 31.03.981 - 9 C 237.80 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97, 101 ff.), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (BVerwG, Urteil vom 27.04.1982 - 9 C 308.81 -, BVerwGE 65, 250, 252). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997, a.a.O. S. 99).
30 
Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL 2004/83/EG erlitten hat (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, Juris RdNr. 22; vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505 RdNr. 84 ff.). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchstabe e) RL 2004/83/EG enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, NVwZ 2008, 1330, RdNr. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 18.04.1996 - 9 C 77.95 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4 und Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, ZAR 2008, 192).
31 
Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, a.a.O., RdNr. 92 ff). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, a.a.O., RdNr. 128 -). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, InfAuslR 2010, 410 RdNr. 23).
32 
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Buchstabe a)) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschrieben Weise betroffen ist (Buchstabe b)).
33 
bb) Die Einlassungen des Klägers lassen keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG erkennen.
34 
(1) Dies gilt zunächst hinsichtlich der Behauptungen zu den unmittelbar vor seiner Ausreise liegenden Geschehnissen im Oktober 2007.
35 
Er will nach eigenen Angaben mit Gefängnis bedroht worden sein, nachdem er bei einer Razzia im Oktober 2007 in Colombo aufgegriffen worden sei. Er will vier bis fünf Stunden festgehalten und dann nach einer Schmiergeldzahlung seiner Mutter freigelassen worden sein. Da er entgegen den gesetzlichen Bestimmungen nicht gemeldet gewesen sei, habe er einer wöchentlichen Meldepflicht nachkommen müssen. Er habe seine Ausreise angekündigt, ohne dass dies zu weiteren Maßnahmen der Polizei geführt habe.
36 
Weder die kurzzeitige Inhaftierung des Klägers, mag sie möglicherweise auch allein aufgrund seiner Volkszugehörigkeit und damit diskriminierend (Art. 9 Abs. 2 Buchstabe b) RL 2004/83/EG) erfolgt sein, noch die Drohung mit weiterer Inhaftierung noch die polizeiliche Meldeauflage erreichen jedoch für sich oder kumuliert ein Maß, das einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung gleichkäme. Daher kann die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers dahinstehen.
37 
(2) Die Gründe, die der Kläger gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als - unmittelbares - Motiv für seine Ausreise angegeben hat, sind ebenfalls nicht geeignet, eine erlittene Verfolgung oder eine ernsthafte Bedrohung mit Verfolgung darzutun. Er hat dort angegeben, dass die Tötung seines besten Freundes im August 2007 Anlass für die Ausreise gewesen sei. Dieser sei von Unbekannten erschossen worden. Sein Vater habe bereits 2006, als ein anderer Freund bei der Explosion einer Bombe ums Leben gekommen sei, jemanden beauftragt, einen Pass zu besorgen. Beide Anlässe können unter dem Gesichtspunkt des § 60 Abs. 7 Satz 1 oder 2 AufenthG relevant sein, mangels erkennbarer Zielgerichtetheit aber nicht bei der Prüfung des § 60 Abs. 1 AufenthG.
38 
(3) Die vom Kläger geschilderten Ereignisse aus den Jahren 1997 und 2005 - ihre Wahrheit unterstellt - sind ebenfalls nicht geeignet, den Tatbestand des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG zu erfüllen. Dies gilt schon deswegen, weil sie für den Kläger nicht fluchtauslösend gewesen sind. In der Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG bzw. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. und zu § 51 Abs. 1 AuslG 1990 war anerkannt, dass für die dem Vorverfolgten zu gewährende Nachweiserleichterung - im Bereich des Asyls durch die Anwendung des Maßstabs der herabgestuften Wahrscheinlichkeit - dann die innere Rechtfertigung nicht mehr vorliegt, wenn der Asylbewerber den Heimatstaat aus Gründen verlassen hat, auf die die früher bestehende Verfolgungssituation ohne Einfluss gewesen ist (BVerwG, Urteil vom 26.03.1985 - 9 C 107.84 -, BVerwGE 71, 175). § 60 Abs. 1 AufenthG wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.04.2009 - 3 A 627/07.A -, Juris; OVG Niedersachsen, Urteil vom 18.07.2006 - 11 LB 75/06 -, Juris) und in der Literatur (Hailbronner, AuslR, § 60 AufenthG RdNr. 31 ff.; Treiber, in: GK-AufenthG, § 60 AufenthG, RdNr. 120) zutreffend ebenso ausgelegt, da der Zufluchtgedanke auch die Genfer Flüchtlingskonvention beherrscht. Diese wiederum gelangt über § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und die wiederholten Bezugnahmen in der Richtlinie 2004/83/EG zur Anwendung.
39 
Allerdings zwingt der Wortlaut des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zu dieser Auslegung. So hat der Gerichtshof der Europäischen Union - allerdings bezüglich der Anwendung der Norm in Widerrufsverfahren - entschieden, dass frühere Verfolgungshandlungen dann zur Anwendung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG führen können, wenn eine Verknüpfung mit der ursprünglichen, zur Anerkennung führenden Verfolgungshandlung vorliegt (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a.- Abdulla -, a.a.O., RdNr. 96 ff.). Fordert man einen Kausalzusammenhang zwischen erlittener Verfolgungsmaßnahme und Flucht für die Anwendung von Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht, gelangt der Kläger gleichwohl nicht in den Genuss der dort festgeschriebenen Beweiserleichterung, da in diesem Fall stichhaltige Gründe gegen eine erneute Bedrohung von solcher Verfolgung sprechen.
40 
Der Kläger ist nach den von ihm geschilderten Vorfällen im Jahr 1997 und im Oktober 2005 in Sri Lanka verblieben. Armeeangehörige fragten zwar wiederholt nach ihm, entwickelten aber keine besonderen Bemühungen, seiner habhaft zu werden. Insbesondere gingen die Bemühungen nach seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nur von einzelnen Soldaten aus, da er - vor allem in seinem Geschäft - nicht mehr aufgesucht worden ist, als diese Soldaten versetzt worden sind, und die Nachfragen nach ihm erst 2007 wieder angefangen haben sollen, als diese Soldaten „wieder in seine Gegend gekommen“ sind. Andere Soldaten hätten ihn nicht identifizieren und erkennen können. Dafür spricht auch, dass der Kläger im Oktober 2007, als er wegen des fehlenden „police reports“, den er als aus dem Norden stammender Tamile in Colombo hätte vorweisen müssen, in Gewahrsam genommen worden ist, ohne dass die Sicherheitskräfte ein weitergehendes Interesse an ihm, insbesondere wegen der Vorkommnisse im Oktober 2005, gehabt hätten. Vielmehr ließen sie ihn gegen eine Schmiergeldzahlung seitens seiner Mutter frei und zwar - so der Kläger in der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - sogar in dem Wissen, dass er das Land verlassen wollte. Dies sind stichhaltige Gründe im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG, die zur Rückausnahme von der Beweiserleichterung führen, da trotz angenommener erlittener Verfolgung durch sri-lankische Behörden deren fehlendes Interesse an weiteren Verfolgungsmaßnahmen gegen den Kläger in einem - auch weit gefassten - Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen des Mordes an dem Juwelier im Oktober 2005 oder auch in einem anderen Zusammenhang belegt ist.
41 
cc) Zum Zeitpunkt seiner Ausreise war der Kläger auch keiner Gruppenverfolgung aufgrund seiner tamilischen Volkszugehörigkeit ausgesetzt. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zugutekommen.
42 
(1) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243, 249 RdNr. 20 ff. und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30, jeweils m.w.N.). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200, 204) - ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 a.a.O. RdNr. 20). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994, a.a.O.). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
43 
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237, RdNr. 15).
44 
Die dargelegten Maßstäbe für die Gruppenverfolgung beanspruchen auch nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG Gültigkeit. Das Konzept der Gruppenverfolgung stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Qualifikationsrichtlinie in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie definiert (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009, a.a.O., RdNr. 16).
45 
(2) Im Jahr 2007 unterlagen die Volkszugehörigen der Tamilen keiner Gruppenverfolgung. Dies gilt auch für die Untergruppe der im wehrfähigen Alter befindlichen Tamilen, der der Kläger angehört.
46 
(a) Die Lage in Sri Lanka stellte sich 2007 nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen wie folgt dar:
47 
In Sri Lanka lebten 2007 geschätzt 20,01 Millionen Menschen. Der Anteil der tamilischen Bevölkerung lag ungefähr bei 10 % (Fischer-Weltalmanach 2010, S. 474). Nach den Angaben des Ministeriums für Volkszählung und Statistik lebten 2006 im Großraum Colombo 2.251.274 Einwohner, davon waren 247.739 tamilische Volkszugehörige sri-lankischer Staatsangehörigkeit und 24.821 indische Tamilen (vgl. UK Home Office, Country of Origin Report Sri Lanka vom 15.11.2007, S. 122, Nr. 20.13).
48 
Die innenpolitische Lage Sri Lankas war von dem jahrzehntelangen ethnischen Konflikt zwischen Singhalesen und Tamilen bestimmt. Das Waffenstillstandsabkommen zwischen der Regierung der tamilischen Rebellenorganisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) aus dem Februar 2002 war von Präsident Rajapakse im Januar 2008 offiziell aufgekündigt worden, nachdem es von beiden Seiten seit langem nicht mehr eingehalten worden war. Bereits ab November 2005 war es zu einer drastischen Zunahme von Waffenstillstandsverletzungen durch die LTTE und die im Jahr zuvor von ihr abgespaltene, mit der Regierung kollaborierende Karuna-Gruppe unter „Oberst Karuna“ (Muralitharan Vinayagamurthi), einem ehemaligen Vertrauten des LTTE-Führers Prabahakaran, gekommen. Seit April 2006 hatte die Regierung versucht, die LTTE, die zu diesem Zeitpunkt noch den Norden und Osten des Landes kontrollierte, mit offensiven Maßnahmen zurückzudrängen. Ab Mitte 2006 war es dann zu großflächigen, längeren Kampfhandlungen gekommen. Unterstützt von den paramilitärischen Einheiten der Karuna-Gruppe, die sich als Vertretung der Ost-Tamilen verstand, konnten die Streitkräfte im Juli 2007 nach den vorhergehenden Rückzug der LTTE-Soldaten die letzten von der LTTE gehaltenen Stellungen im Osten Sri Lankas einnehmen (Lagebericht des AA vom 07.04.2009, Stand März 2009, S. 5).
49 
Eine systematische und direkte Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen wegen Rasse, Nationalität oder politischer Überzeugung von Seiten der Regierung fand seit dem Waffenstillstandsabkommen von 2002 nicht statt (Lageberichte des AA vom 26.06.2007, Stand Juni 2007, S. 6 und vom 05.02.2008, Stand Februar 2008, S. 7). Allerdings standen Tamilen im Generalverdacht, die LTTE zu unterstützen, und mussten mit staatlichen Repressionen rechnen. Sie wurden nicht allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit systematisch verfolgt. Sie sind aber - durch ihre tamilische Sprache und die entsprechenden Einträge in Ausweiskarten für die Sicherheitskräfte leicht identifizierbar - in eine Art Generalverdacht der Sicherheitskräfte geraten. Die ständigen Razzien, Pkw-Kontrollen und Verhaftungen bei Vorliegen schon geringster Verdachtsmomente richteten sich vor allem gegen Tamilen. Durch die Wiedereinführung des „Terrorism Prevention Act“ Ende 2006 - ein Notstandsgesetz, das Verhaftungen ohne Haftbefehl und eine Inhaftierung bis zu 18 Monaten erlaubt, wenn die Behörden insbesondere den Verdacht terroristischer Aktivitäten haben (vgl. SFH, Sri Lanka, Aktuelle Situation, Update vom 11.12.2008, S. 3) - war die richterliche Kontrolle solcher Verhaftungen kaum mehr gewährleistet. Wer verhaftet wurde, musste mit längerer Inhaftierung rechnen, ohne dass es zu weiteren Verfahrensschritten oder gar einer Anklageerhebung hat kommen müssen (Lagebericht des AA vom 05.02.2008, Stand Februar 2008, S. 8). So wurden am 30. und 31.12.2005 im Rahmen der von Militär und Polizei in Colombo durchgeführten Operation „Strangers Night III.“ 920 Personen, die weit überwiegende Mehrheit Tamilen, verhaftet (Human Rights Watch, Return to War - Human Rights under Siege - August 2007, S. 74).
50 
Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) hat in seiner Stellungnahme zum Bedarf an internationalem Schutz von Asylsuchenden aus Sri Lanka vom 01.02.2007, die eine Zusammenfassung und Teilübersetzung der „UNHCR Position on the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Sri Lanka (December 2006)“ enthält, unter anderem ausgeführt, dass von der sich dramatisch verschlechternden Menschenrechtslage im besonderem Maße Tamilen aus dem Norden und Osten des Landes betroffen seien. Aus der Stellungnahme ergibt sich, dass bei dem Verdacht, dass sie Verbindungen zur LTTE unterhalten, Menschenrechtsverletzungen durch die staatlichen Behörden oder mutmaßlich von der Regierung gestützte Paramilitärs drohten (S. 2). Für Tamilen aus Colombo bestand aufgrund der im April bzw. Dezember 2006 drastisch verschärften Sicherheitsbestimmungen ein erhöhtes Risiko, willkürlichen, missbräuchlichen Polizeimaßnahmen - insbesondere Sicherheitskontrollen, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Hausdurchsuchungen oder Leibesvisitationen - unterworfen zu werden. Tamilen aus Colombo waren darüber hinaus besonders gefährdet, Opfer von Entführungen, Verschleppungen oder Tötungen zu werden. Zwischen dem 20.08.2006 und dem 02.09.2006 waren Presseberichten zufolge mehr als 25 Tamilen entführt worden, nur zwei Personen waren bis zum Dezember 2006 wieder freigekommen (S. 2 f.). Diese Maßnahmen zur Bekämpfung der dauernden Bedrohung durch terroristische Attacken im Großraum Colombo waren teilweise für die gesamte tamilische Minderheit bedrohlich und stellten ihre Sicherheit in Frage. Extralegale Tötungen, die seit jeher Teil des Konflikts gewesen waren, wurden seit Dezember 2005 auch in signifikanter Zahl von Regierungsseite verübt. Viele Taten sind an gewöhnlichen Personen begangen worden, die kaum erkennbar in Verbindung zu dem Konflikt standen. Teilweise handelte es sich um Teile eines Musters, die LTTE anzugreifen, teilweise geschahen sie aus politischen Motiven. Sie konnten aber auch einen kriminellen Hintergrund haben (Asylsuchende aus Sri Lanka, Position der SFH vom 01.02.2007 S. 5).
51 
Die International Crisis Group hat in ihrem Bericht vom 14.06.2007 (Sri Lanka’s Human Rights Crisis, Asia Report N. 135) unter anderem festgehalten, dass die Anzahl der Verschwundenen in den letzten achtzehn Monaten nur schwerlich mit Sicherheit festzustellen sei. Verschiedene verlässliche Quellen berichteten von mehr als 1.500 Betroffenen, wobei das Schicksal von mindestens 1.000 Personen unklar gewesen sei. Die höchste Anzahl von Betroffenen sei in den von der Regierung kontrollierten Bereichen Jaffnas festzustellen gewesen. Dort seien 731 Fälle registriert worden, in 512 Fällen gebe es noch keine Aufklärung. Im Großraum Colombo sei es zu mehr als 70 berichteten Fällen von Entführungen und des Verschwindenlassens gekommen. Die meisten der Betroffenen seien junge tamilische Volkszugehörige gewesen, die der Zusammenarbeit mit der LTTE verdächtigt worden seien. Auch eine Vielzahl von Personen ohne Verbindung zur LTTE seien Opfer dieses Verschwindenlassens geworden.
52 
Human Rights Watch (HRW) geht in seinem Bericht aus dem August 2007 (Return to War - Human Rights under Siege - ) davon aus, dass Entführungen und Fälle des Verschwindenlassens seit August 2006 auch in Colombo zu einer weitverbreiteten Erscheinung geworden seien. Die Organisation gelangt auf der Grundlage von Gesprächen mit 26 Familien von verschwundenen Personen zu dieser Aussage (S. 53 f.). Landesweit geht HRW für den Zeitraum vom 14.09.2006 bis zum 25.02.2007 von 2.020 Fällen Entführter oder sonst verschwundener Personen aus. „Ungefähr 1.134 Personen“ seien lebend wieder aufgefunden worden, die anderen seien weiterhin vermisst (S. 7).
53 
Nach dem Country Report on Human Rights Practices zu Sri Lanka des U.S. Department of State 2007 vom 11.03.2008 waren extralegale Tötungen in Jaffna an der Tagesordnung. Zwischen dem 30.11.2007 und dem 02.12.2007 sind nach zwei Bombenangriffen der LTTE in und um Colombo beinahe 2.500 tamilische Volkszugehörige in der Hauptstadt und geschätzte 3.500 Tamilen im ganzen Land verhaftet worden. Die Inhaftierten, überwiegend männliche tamilische Zivilisten sollen allein aufgrund ihrer tamilischen Nachnamen verhaftet worden sein. Die überwiegende Mehrheit von ihnen wurde bald wieder freigelassen. Zum Jahreswechsel waren nur noch zwölf von 372 im Boosa detention camp Inhaftierten in Gewahrsam.
54 
(b) Aus diesen Erkenntnissen lässt sich selbst dann, wenn alle Angaben zutreffen sollten, zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers Ende November 2007 nicht auf eine Gruppenverfolgung der Gruppe der (jüngeren männlichen) Tamilen schließen. Ein staatliches Verfolgungsprogramm lässt sich nicht feststellen. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts wurde keine Volksgruppe gezielt allein wegen eines unveränderlichen Merkmals verfolgt. Die Anzahl der festzustellenden Übergriffe lässt nicht ohne weiteres auf die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit eines jeden Gruppenmitglieds schließen. Selbst wenn alle Übergriffe im Großraum Colombo zwischen November 2005 und Dezember 2007 dem sri-lankischen Staat zuzurechnen wären - tatsächlich sind dabei auch Übergriffe der LTTE und „rein kriminelle Übergriffe“ mit dem Ziel der Lösegelderpressung unter den registrierten Fällen - und alle Inhaftierungen - auch die von bloß kurzer Dauer von nicht mehr als drei Tagen - gezählt werden, ist das Verhältnis von 3.400 Verhaftungen zu mehr als 240.000 tamilischen Einwohnern angesichts des Zeitraums von zwei Jahren nicht geeignet, eine Regelvermutung der Gefährdung eines jeden Gruppenmitglieds zu rechtfertigen. Zieht man darüber hinaus in Betracht, dass 2.500 der Inhaftierten nach kurzer Zeit wieder freigelassen worden sind und damit keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 RL 2004/83/EG erdulden mussten, ergibt sich eine Betroffenheit von 0,3 % der gesamten tamilischen Bevölkerung. Dieser - für die Bewertung des Standards der Achtung der Menschenrechte insoweit gleichwohl hohe - Prozentsatz der Betroffenen innerhalb eines Zweijahreszeitraums führt nicht zum Schluss auf die erforderliche aktuelle Gefahr der Betroffenheit jedes Gruppenmitglieds.
55 
d) Der Kläger kann sich für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer derzeit bestehenden Gruppenverfolgung von Tamilen (oder der Untergruppe der im wehrfähigen Alter befindlichen Tamilen) berufen.
56 
aa) Die Lage in Sri Lanka - soweit sie für die Beurteilung des Schutzgesuchs des Klägers von Bedeutung ist - stellt sich im November 2010 nach den dem Senat vorliegenden Quellen und Erkenntnissen wie folgt dar:
57 
Am 19.05.2009 hat der sri-lankische Staatspräsident Mahinda Rajapakse in einer Parlamentsansprache den Sieg der Regierungstruppen über die tamilische Separatistenorganisation LTTE verkündet. Tags zuvor war nach den Angaben des Militärs bei einem der letzten Gefechte der LTTE-Anführer Velupillai Prabhakaran ums Leben gekommen, nachdem zuvor fast die gesamte militärische und politische Führung der LTTE umgekommen war. Der seit 1983 mit Unterbrechungen währende Bürgerkrieg war damit beendet (Lagebericht des AA vom 02.09.2009, Stand: August 2009, S. 6). Hunderttausende Menschen mussten während des Bürgerkriegs ihre Heimatorte im tamilischen Norden und Osten des Landes verlassen. Als Binnenvertriebene suchten sie Zuflucht in weniger gefährdeten Gebieten des Landes. Viele entschieden sich auch dafür, ins Ausland zu gehen. In der Ostprovinz konnten die Binnenvertriebenen inzwischen bis auf einige Ausnahmen in ihre Heimatgemeinden zurückkehren (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 8). Rund 300.000 Zivilpersonen waren in den letzten Monaten des Bürgerkriegs im von der LTTE gehaltenen, kontinuierlich schrumpfenden Gebiet eingeschlossen. Notgedrungen zogen sie mit den LTTE-Verbänden mit und waren in der zuletzt nur wenige Quadratkilometer ausmachenden Kampfzone im Nordwesten des Landes allen Schrecken dieser Kämpfe ausgesetzt. Nach deren Beendigung brachte sie die Armee in geschlossenen Lagern hauptsächlich in Vavuniya im nördlichen Vanni unter, zu denen nationale und internationale Hilfsorganisationen lange nur eingeschränkt Zugang hatten. Die Regierung begründete diese Lagerunterbringung mit der Notwendigkeit, sich unter den Binnenvertriebenen verbergende ehemalige LTTE-Kämpfer herauszufiltern, und der Unmöglichkeit, die Betroffenen in noch verminte Heimatorte zurückkehren zu lassen. Einigen wenigen wurde die Rücksiedlung im Juni 2009 gestattet. Im August 2009 begann dann sehr zögerlich ein Rücksiedlungsprozess, der im Oktober größeren Umfang annahm und sich ab Dezember wieder verlangsamte, da die Herkunftsorte der Verbliebenen (im Juni 2010 waren noch knapp 60.000 Personen in Lagern untergebracht) noch erheblich zerstört und vermint sind. Einem gesonderten Regime unterliegen die geschlossenen, so genannten „Rehabilitationslager“, in denen rund 8.000 ehemalige LTTE-Kämpfer (bzw. Personen, die insoweit verdächtigt werden) untergebracht sind. Zu diesen Lagern haben weder das IKRK noch Hilfsorganisationen Zugang. Die Antiterrorgesetze von 1979 (Prevention of Terrorism Act) haben weiter Bestand. Die umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen insbesondere in Colombo, einschließlich der zahlreichen Kontrollpunkte von Polizei und Militär, werden aufrecht erhalten (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 9 f.).
58 
Zu den Insassen der „Rehabilitationslager“ hat Human Rights Watch festgestellt, dass zwar die meisten der Verdächtigten in den letzten Wochen der Kampfhandlungen und in der Zeit unmittelbar danach inhaftiert worden seien, dass aber auch neue Inhaftierungen, nämlich im Oktober 2009, erfolgt seien (Human Rights Watch, Legal Limbo - The Uncertain Fate of Detained LTTE Suspects in Sri Lanka, Februar 2010, S. 6).
59 
In unterschiedlichen Bereichen kommt es zu staatlichen repressiven Maßnahmen, die Anzeichen für eine systematische Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Nationalität, Religion oder politischer Überzeugung aufweisen. Davon sind nicht nur Tamilen betroffen, sondern auch regierungskritische Singhalesen. So werden oppositionelle Parlamentsabgeordnete, die der Regierung gefährlich werden können, unter fadenscheinigen Vorwürfen verhört, verhaftet oder bedroht. Der Generalverdacht, dass jeder Tamile ein Anhänger, Unterstützer oder gar Mitglied der LTTE war und ist, wird im singhalesischen Teil der Gesellschaft von vielen geteilt, insbesondere bei den staatlichen Sicherheitskräften (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 10 f. ).
60 
Für eine systematische Verfolgung von Tamilen allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit gibt es keine Anhaltspunkte, sie müssen aber - durch ihre tamilische Sprache und die entsprechenden Einträge in Ausweiskarten für die Sicherheitskräfte leicht identifizierbar - jederzeit mit staatlichen Repressionen rechnen. Die ständigen Razzien und Hausdurchsuchungen, schikanösen Behandlungen (Beleidigungen, langes Warten, exzessive Kontrolle von Fahrzeugen, Erpressung von Geldbeträgen) bei den zahlreichen Polizeikontrollen im Straßenverkehr und Verhaftungen richten sich vor allem gegen Tamilen, wobei aus dem Norden und Osten stammende Tamilen darunter noch in höherem Maße zu leiden haben. Durch Anwendung des Prevention of Terrorism Act ist die richterliche Kontrolle solcher Verhaftungen kaum mehr gewährleistet. Wer verhaftet wird, muss mit längerer Inhaftierung rechnen, ohne dass es zu weiteren Verfahrensschritten oder einer Anklageerhebung kommen muss. Die Situation hat sich seit Beendigung der Kampfhandlungen nicht verbessert (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 11).
61 
Ein Asylantrag im Ausland, der von vielen in Sri Lanka als legitimer Versuch angesehen wird, sich einen Aufenthaltsstatus zu verschaffen, begründet in aller Regel noch keinen Verdacht, der LTTE nahe zu stehen. Rückkehrer, die aus den nördlichen oder östlichen Landesteilen stammen und sich nun erstmals in Sri Lanka niederlassen wollen, müssen indes einen Anfangsverdacht und entsprechendes Misstrauen bis zu Schikanen durch die Sicherheitsorgane gegenwärtigen. Mindestens ebenso stark steht unter Verdacht, wer bereits früher als Anhänger der LTTE auffällig geworden war. Das Ende der Kampfhandlungen hat diesbezüglich nicht zu einer Entspannung geführt. Am 26.05.2010 wurde am Flughafen Colombo bei der Einreise eine in Deutschland ansässige Sri-Lankerin unter dem Verdacht der LTTE-Unterstützung festgenommen, die nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in Deutschland für die LTTE Gelder eingesammelt und im Frühjahr letzten Jahres Demonstrationen organisiert haben soll. Belastbaren Berichten anderer Botschaften zufolge gibt es Einzelfälle, in denen zurückgeführte Tamilen nach Ankunft in Colombo unter LTTE-Verdacht festgenommen wurden (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 24).
62 
Aus dem „Report of Information Gathering Visit to Colombo, Sri Lanka, 23. bis 29. August 2009“ vom 22.10.2009 des „U.K. Foreign and Commonwealth Office Migration Directorate“ (FCO), für den sowohl staatliche sri-lankische Stellen als auch Nichtregierungsorganisationen befragt wurden, ergibt sich, dass unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit nicht freiwillig nach Sri Lanka zurückkehrende Personen dem Criminal Investigation Department zur Feststellung der Staatsangehörigkeit und Kontrolle des Vorstrafenregisters überstellt werden. Die Befragung kann mehr als 24 Stunden dauern. Die Betroffenen werden erkennungsdienstlich behandelt. Abhängig vom Einzelfall ist eine Überstellung an den Geheimdienst (State Intelligence Service) oder das Terrorist Investigation Department zum Zwecke der Befragung denkbar. Jeder, der wegen eines Vergehens gesucht wird, muss mit seiner Verhaftung rechnen. Vorbestrafte oder Personen mit Verbindungen zur LTTE werden weitergehend befragt und gegebenenfalls in Gewahrsam genommen. Laut Nichtregierungsorganisationen würden Tamilen aus dem Norden und Osten des Landes einer genaueren Überprüfung als andere unterzogen. Verschiedene Faktoren, nämlich ein offener Haftbefehl, Vorstrafen, Verbindungen zur LTTE, eine illegale Ausreise, Verbindungen zu Medien oder Nichtregierungsorganisationen und das Fehlen eines Ausweises (ID Card) oder anderer Personaldokumente, erhöhten das Risiko, Schwierigkeiten bei der Einreise zu bekommen, einschließlich einer möglichen Ingewahrsamnahme (S. 5). Hingegen konnte keine der befragte Quellen angeben, dass sichtbare Narben einen Einfluss auf die Behandlung bei der Einreise haben könnten. Im Falle, dass der Verdacht einer Verbindung zur LTTE bestünde, könnten solche Narben Anlass zu einer Befragung sein, jedoch würden diesbezüglich keine körperlichen Untersuchungen durchgeführt (S. 16).
63 
Überwiegend hätten die Befragten angegeben, dass die Anzahl der Razzien (cordon and search operations) in den letzten Monaten nicht zurückgegangen sei. Es gebe keine Informationen zu der Anzahl möglicher Festnahmen. Grundsätzlich seien junge männliche Tamilen, die aus dem Norden oder Osten des Landes stammten, im Zuge von Razzien einem besonderen Festnahmerisiko ausgesetzt. Die bereits genannten Faktoren erhöhten das Risiko. Tamilen ohne Beschäftigung oder „legitimen Aufenthaltsgrund“ würden ebenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit als verdächtig angesehen (S. 5).
64 
Nach ganz überwiegender Meinung der Befragten hat es - wenn überhaupt - seit Juni 2009 nur noch sehr wenige Entführungen / Fälle des Verschwindenlassens gegeben. Die Entführungen erfolgten demzufolge sowohl zur Lösegelderpressung als auch aus politischen Gründen. Die Nichtregierungsquellen stimmten weitgehend darin überein, dass die Sicherheitskräfte in den meisten Fällen in gewisser Weise beteiligt seien und die Polizei keine ernsthaften Ermittlungen durchführe (S. 5 f.). Bei den Straßenkontrollen im Großraum Colombo, die nach Angabe der meisten Befragten nicht nennenswert reduziert worden seien, würde es nur sehr selten zu Festnahmen kommen. Seit Juni 2009 seien keine bekannt geworden.
65 
bb) Der Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 16.06.2010 und der (ältere) Bericht des U.K. Foreign and Commonwealth Office Migration Directorate ergänzen sich. Jedenfalls die hier zitierten allgemeinen Feststellungen (S. 5 f.), die auf mindestens weit überwiegend übereinstimmenden Angaben der Befragten beruhen, sind geeignet, die insoweit knapper gehaltenen Aussagen der Lageberichte zu den Gefährdungen von Tamilen zu illustrieren. Eine Gruppenverfolgung der Gruppe der (jüngeren männlichen) Tamilen (im wehrfähigen Alter) lässt sich auf der Basis der wiedergegebenen Erkenntnisse nicht feststellen. Insbesondere angesichts des Umstands, dass Verhaftungen bei Razzien ebenso selten geworden sind wie an Straßenkontrollpunkten und Fälle des Verschwindenlassens ebenfalls kaum mehr vorkommen, lässt sich eine generelle staatliche oder staatlich tolerierte Verfolgung der Gruppe der Tamilen nicht feststellen. Anderes lässt sich auch nicht aus dem Fortbestehen der „rehabilitation camps“ schließen. Denn jedenfalls gibt es keine Hinweise darauf, dass nach deren Begründung noch Personen in einer für die Annahme einer Gruppenverfolgung aller - jedenfalls der im wehrfähigen Alter befindlichen - Tamilen relevanten Größenordnung in diese Lager verbracht worden sind. Aus dem vom Kläger zitierten Bericht von Human Rights Watch, Legal Limbo, The Uncertain Fate of Detained LTTE Suspects in Sri Lanka, ergibt sich unter Bezugnahme auf den „Indian Express“ vom 28. Oktober 2009, dass mindestens 300 LTTE Kader, die sich unter den Binnenvertriebenen versteckt hätten, verhaftet worden seien. Damit ist weder ein Bezug zu der Gruppe aller Tamilen oder jedenfalls derjenigen im wehrfähigen Alter aufgezeigt noch ergibt sich aus den berichteten Vorkommnissen, dass diese bis zum Tag der mündlichen Verhandlung gleichsam an der Tagesordnung gewesen wären.
66 
Die Einlassung des Klägers, aus dem zitierten Bericht von Human Rights Watch ergebe sich eine Zunahme der Fälle des Verschwindenlassens, vermag stichhaltige Indizien für eine Gruppenverfolgung aller (wehrfähigen) Tamilen nicht darzutun. Den dortigen Ausführungen im Unterkapitel „Concerns about Possible Enforced Disappearances“ sind vielmehr zunächst zwei Einzelfälle des Verschwindens nach Ende des Bürgerkriegs zu entnehmen. Darüber hinaus wird über eine Internierung von Dutzenden von Personen aus dem Lager „Menik Farm“ berichtet. Es wird weiter geschildert, dass das Schicksal der internierten Personen häufig - bis zum Tag des Berichts - unklar geblieben sei. Daraus lässt sich ein erhöhtes Risiko für solche Personen ableiten, die aus Sicht der Behörden im Verdacht stehen, mit der LTTE zusammengearbeitet haben, nicht jedoch eine Gruppenverfolgung aller (jungen männlichen) Tamilen. Der gegen alle Tamilen gerichtete so genannte „Generalverdacht“ führt offenkundig für sich genommen noch nicht regelmäßig zu Übergriffen der Sicherheitsbehörden. Vielmehr kommt es auf individuell gefahrerhöhende Umstände an, bei deren Vorliegen im Einzelfall eine begründete Furcht vor Verfolgung anzunehmen sein kann.
67 
Auch aus dem vom Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegten Gutachten des European Center for Constitutional and Human Rights „Study on Criminal Accoutability in Sri Lanka as of January 2009“ aus dem Juni 2010 lässt sich die von ihm behauptete Gruppenverfolgung nicht ableiten. Dem Bericht lässt sich entnehmen, dass die Anzahl der in den „welfare centers“ in Gewahrsam gehaltenen Personen von 280.000 (zwischen März 2008 und Juni 2009) bis in den Januar 2010 auf rund 80.000 abgenommen hat. Dem Bericht, der sich mit den Zuständen in den Lagern beschäftigt, ist nicht zu entnehmen, dass sri-lankische Staatsangehörige nach ihrer Wiedereinreise dazu gezwungen worden wären, in solchen Lagern zu leben. Weiter beschäftigt sich das Gutachten unter Zitierung des bereits erwähnten Berichts von Human Rights Watch aus dem Februar 2010 mit der Behandlung von der LTTE-Mitgliedschaft Verdächtigten. Auch diesen Ausführungen ist nichts zu einer anhaltenden Verhaftungswelle - wie sie für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendig wäre - nach Beendigung des Bürgerkriegs und in den folgenden Monaten im Jahr 2009 zu entnehmen.
68 
Schließlich führt insoweit der Verweis des Klägers auf die Lageeinschätzung der International Crisis Group vom 17.02.2010, die sein Prozessbevollmächtigter im „Parallelverfahren“ (A 4 S 693/10) vorgelegt hat, nicht zum Erfolg seiner Klage. Dem Bericht ist zwar zu entnehmen, dass das Vorgehen der Regierung im Norden und Osten des Landes zur Verängstigung und Entfremdung der Minderheiten führe. Das aus dieser Behandlung aber ein systematisches Ausgrenzen der tamilischen Minderheit aus der staatlichen, übergreifenden Friedensordnung im Sinne einer Entrechtung abzuleiten wäre, ergibt sich weder aus diesem Bericht noch aus der Gesamtschau. Ebenso wenig lässt sich ein staatliches Verfolgungsprogramm hinsichtlich aller Tamilen oder auch nur der im wehrfähigen Alter befindlichen Gruppenmitglieder feststellen. Anderes kann möglicherweise für die im Zuge der Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen unmittelbar in den rehabilitation camps Inhaftierten oder die aus den Flüchtlingslagern „herausgefilterten“, in rehabilitation camps verbrachten Personen gelten. Jedoch ist ein solches systematisches Vorgehen gegenüber etwa in Colombo lebenden Tamilen nicht feststellbar.
69 
Die rechtliche Einschätzung zur fehlenden begründeten Furcht vor einer Gruppenverfolgung entspricht auch der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteile vom 08.07.2009 - 3 A 3295/07.A - und vom 24.08.2010 - 3 A 864/09.A -) und - der Sache nach - des UK Asylum and Immigration Tribunal (TK (Tamils - LP updated) Sri Lanka CG [2009]UKAIT 00049 RdNr. 73).
70 
e) Der Kläger kann sich auch nicht aus individuellen Gründen auf eine begründete Furcht vor Verfolgung berufen.
71 
aa) Eine Gefahr der - auch längeren, gerichtlich nicht kontrollierten - Inhaftierung bei der Rückkehr - insbesondere bei der Einreise über den Flughafen in Colombo - besteht, wenn die zurückkehrende Person bei den Sicherheitskräften in den Verdacht gerät, der LTTE anzugehören oder ihr nahe zu stehen (SFH, Asylsuchende aus Sri Lanka, vom 08.12.2009, S. 1 f.). Dieser Standpunkt wird unter anderem auch vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 08.07.2009 - 3 A 3295/07.A -), dem UK Asylum and Immigration Tribunal (TK (Tamils - LP updated) Sri Lanka CG [2009]UKAIT 00049 RdNr. 134) und der Refugee Status Appeals Authority New Zealand (Refugee Appeal No 76502, 76503, 76504, Entscheidung vom 29.06.2010 RdNr. 84) geteilt. Risikoerhöhend für eine Festnahme ist - natürlich - ein offener Haftbefehl. Hier kann auch eine Flucht nach Aussetzung der Haft auf der Grundlage einer Kautionszahlung von Relevanz sein, da dies zu einer Registrierung in den diversen Fahndungssystemen führen dürfte. Weiter sind Vorstrafen und Verbindungen zu Medien und Nichtregierungsorganisationen individuell gefahrerhöhend. Andere Umstände lassen sich abstrakt nicht als gefahrerhöhend feststellen. Insbesondere führt eine Asylantragstellung im Ausland nicht für sich allein zu einer solchen Gefahrerhöhung (vgl. Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010 ,S. 24 und FCO-Bericht vom 22.10.2009 S. 17).
72 
Trotz des vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 16.06.2010 weiterhin beschriebenen Generalverdachts der LTTE-Zugehörigkeit, dem alle Tamilen unterfallen, und der gegenüber Tamilen angespannten Lage, wie sie sich in den schweren Menschenrechtsverletzungen zum Ende des Bürgerkriegs, in der Internierung der Binnenvertriebenen und in der Inhaftierung einer Vielzahl von der Zusammenarbeit mit der LTTE mehr oder minder verdächtigen Personen ohne gerichtliche Kontrolle und ohne Zugang zu Hilfsorganisationen zeigt, lässt sich für den Kläger ein Risiko der Festnahme im Fall seiner Rückkehr aufgrund seiner Volkszugehörigkeit oder aufgrund einer vermuteten Nähe zur LTTE aufgrund seiner Angaben im Verwaltungsverfahren und vor dem Senat nicht feststellen. So spricht im Fall des Klägers nichts dafür, dass seine Inhaftierung im Jahr 2005 registriert worden und für die sri-lankische Armee und Verwaltung noch von Interesse sein könnte. Er selbst hat angegeben, dass andere als die Soldaten, die ihn damals festgenommen hätten, ihn nicht hätten erkennen bzw. identifizieren können. Auch war die Inhaftierung für die Polizei am 22.10.2007, als sie den Kläger mangels „police report“ und gültiger Identitätskarte festhielt, nicht von Interesse. Sie hat ihn sogar freigelassen, obwohl er angekündigt hat, ins Ausland zu wollen. Diese Umstände sprechen eindeutig dafür, dass ein Interesse der sri-lankischen Sicherheitsbehörden am Kläger wegen einer vermutetem Zusammenarbeit mit der LTTE nicht bestand und über ihn in dieser Hinsicht keine Eintragungen vorhanden sind. Er ist im Oktober 2007 auch nicht etwa aufgrund einer Kautionszahlung freigekommen, was für ihn nunmehr gefahrerhöhend wäre. Vielmehr hat er vor dem Senat - ohne Nachfrage - von sich aus (glaubhaft) angegeben, dass seine Mutter ein Schmiergeld entrichtet habe.
73 
Nach alledem lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Er ist kein Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylVfG.
II.
74 
Die Anschlussberufung der Beklagten erweist sich als unzulässig, so dass sie zu verwerfen ist (§ 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
75 
Sie ist erst am 27.09.2010 und damit nach Ablauf der Monatsfrist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO eingelegt und begründet worden. Nach dieser Vorschrift ist die Anschließung an die Berufung bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zulässig. Die Frist hat mit Zustellung der Begründung der Berufung (Schriftsatz des Klägers vom 05.05.2010) an die Beklagte am 10.05.2010 zu laufen begonnen und endete danach mit Ablauf des 10.06.2010. Die Zustellung (auch) des Schriftsatzes des Klägers vom 14.04.2010 war entgegen der Auffassung der Beklagten nicht erforderlich, um die Frist in Lauf zu setzen.
76 
Die Bestimmung des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO und mit ihr der Begriff der Berufungsbegründungsschrift sind mit Art. 1 Nr. 16 des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20.12.2001 (BGBl. I S. 3987) in die Verwaltungsgerichtsordnung eingefügt worden. Damit nimmt die Regelung inhaltlich - ohne dass es eine Legaldefinition gäbe - auf § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO Bezug. Dort ist bestimmt, dass die Begründung der Berufung einen bestimmten Antrag sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten muss. Es wird - anders als in § 127 Abs. 3 Satz 1 VwGO für die Anschlussberufung - jedoch nicht bestimmt, dass die Begründung der Berufung in einem Schriftsatz erfolgen müsste.
77 
Für den Fall, dass die Berufungsgründe in mehreren Schriftsätzen enthalten sind - wie hier der Antrag in Schriftsatz vom 14.04.2010 und die Begründung erst im Schriftsatz vom 05.05.2010 -, kommt es auf die Zustellung des ersten innerhalb der Frist des § 124a Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 6 Satz 1 VwGO bzw. innerhalb der nach § 124a Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 Satz 3 VwGO verlängerten Frist eingereichten Begründungsschriftsatzes an, mit dessen Eingang bei Gericht die Voraussetzungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO (vollständig) erfüllt werden (Mayer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 127 VwGO RdNr. 7d). Es reicht für das Auslösen der Frist für die Einlegung und Begründung der Anschlussberufung aus, wenn nur dieser Schriftsatz dem Berufungsbeklagten zugestellt wird. Die anderen, zuvor bereits bei Gericht eingegangen Schriftsätze - als weitere Teile der Berufungsbegründungsschrift - müssen nicht zugestellt werden.
78 
Zweck der Anschlussberufung ist es nämlich, eine Waffengleichheit zwischen den Beteiligten im Berufungsverfahren herzustellen. Sie erlaubt dem Berufungsbeklagten, eine eigene Berufung auch dann noch einzulegen, wenn die Hauptberufung erst kurz vor Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist eingelegt wird. Das Berufungsgericht kann dann auch zum Nachteil des Berufungsklägers entscheiden, was dem Grundsatz der Billigkeit entspricht (Blanke, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. § 127 RdNr. 2). Die Anschlussberufung dient auch der Prozessökonomie, da sich der Beteiligte nicht im Hinblick auf eventuelle Rechtsmittel des Prozessgegners genötigt sehen muss, vorsorglich Berufung einzulegen (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. § 127 RdNr. 1). Sieht nämlich ein Beteiligter ungeachtet der ihm von der erstinstanzlichen Entscheidung auferlegten Beschwer zunächst in der Hoffnung darauf, dass ein Rechtsmittel von einem anderen Beteiligten nicht eingelegt werde, von einer Berufung oder von einem Antrag auf Zulassung der Berufung ab und wird er in dieser Hoffnung enttäuscht, soll ihm die Anschlussberufung die Gelegenheit geben, die Entscheidung auch zu seinen Gunsten überprüfen zu lassen.
79 
Sobald der Umfang der und die Gründe für die Berufung dem Berufungsbeklagten bekannt sind, kann dieser entscheiden, ob - und ggf. in welchem Umfang - er sich selbst gegen sein Teilunterliegen in erster Instanz zur Wehr setzen will. Die Einlegungsfrist für die Anschlussberufung wird mit der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift ausgelöst. Es besteht keine Notwendigkeit dafür, in selbstständigen Schriftsätzen enthaltene Teile der Begründung vorab ebenfalls zuzustellen. Mit der Zustellung soll die Frist in Lauf gesetzt werden (vgl. auch die allgemeine Regelung in § 56 Abs. 1 VwGO). Würden bei einer in verschiedene Schriftsätze „aufgeteilten“ Berufungsbegründungsschrift die verschiedenen Teile - hier also zunächst der „Antragsschriftsatz“ und nachfolgend der die Berufungsgründe im materiellen Sinne enthaltende „Begründungsschriftsatz“ - jeweils zugestellt, führte dies zu einer erheblichen Unsicherheit hinsichtlich des tatsächlichen Fristbeginns, ohne dass damit ein inhaltlicher Gewinn verbunden wäre. Eine Zustellung des bereits übersandten und dem Gegner somit bekannten Teils der Berufungsbegründung vermag ebenfalls keinen solchen Gewinn zu erbringen. Sinn der Zustellung ist nur, den Beteiligten Sicherheit über den Lauf der Einlegungs- und Begründungsfrist für die Anschlussberufung zu verschaffen. Nur dann, wenn ein Teil der Berufungsbegründung dem Berufungsbeklagten gar nicht übermittelt worden sein sollte - was hier nicht der Fall ist -, könnte die Zustellung nur eines Teils der Begründungsschrift die Frist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht auslösen.
80 
Dem Beginn des Laufs der Anschließungsfrist am 10.05.2010 steht die Bestimmung des § 58 Abs. 1 VwGO nicht entgegen. Danach beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Die - unselbstständige - Anschlussberufung ist jedoch kein Rechtsmittel im Sinne von § 58 Abs. 1 VwGO. Sie räumt dem Berufungsbeklagten nur die Möglichkeit ein, innerhalb der Berufung des Prozessgegners angriffsweise Anträge zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 23.05.1957 - II ZR 250/55 -, BGHZ 24, 279; BAG, Urteile vom 14.05.1976 - 2 AZR 539/75 -, BAGE 28, 107 und vom 20.02.1997 - 8 AZR 15/96 -, BAGE 85, 178), und ist vom Fortbestand des (Haupt-)Rechtsmittels und damit vom Willen des Berufungsklägers abhängig. Über sie muss nicht belehrt werden (vgl. zur Anschlussrevision: Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl., § 141 RdNr. 12; aA. Seibert, NVwZ 2002, 265, 268; unklar: Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/v. Albedyll, VwGO, 4. Aufl., § 127 RdNr. 23).
81 
Die Kostenentscheidung beruht § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83b AsylVfG.
82 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Gründe

 
21 
Die durch den Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist - soweit sie nicht zurückgenommen worden ist - unbegründet (I.). Die Anschlussberufung der Beklagten ist unzulässig (II.).
I.
22 
Die Berufung des Klägers ist teilweise zurückgenommen worden und im Übrigen nicht begründet.
23 
1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist (nur noch) der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person hinsichtlich des Staats Sri Lanka und damit der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.02.2010 - 10 C 7.09 -, NVwZ 2010, 974 RdNr. 12). Zugelassen hatte der Senat die Berufung allerdings auch hinsichtlich der erstinstanzlich begehrten und mit dem Berufungszulassungsantrag zunächst weiterverfolgten Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG. Der Kläger hat dieses Begehren jedoch - bestätigt durch die Erklärung seines Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - bereits mit der Stellung des Berufungsantrags (Schriftsatz vom 14.04.2010), der sich allein auf § 60 Abs. 1 AufenthG bezieht, nicht mehr weiterverfolgt. Darin ist eine teilweise Berufungsrücknahme zu sehen mit der Folge, dass insoweit die Einstellung des Berufungsverfahrens auszusprechen ist (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 1 und 3 VwGO).
24 
2. Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht entschieden hat, kommt dem Kläger kein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person hinsichtlich Sri Lankas und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
25 
a) Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen.
26 
b) Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12) - RL 2004/83/EG - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
27 
Nach Art. 2 Buchstabe c) RL 2004/83/EG ist Flüchtling unter anderem derjenige Drittstaatsangehörige, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
28 
c) Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird, Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG. Auf den Kläger findet diese Beweiserleichterung keine Anwendung. Er ist schon nicht im Sinne der Vorschrift verfolgt worden. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
29 
aa) Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 -, BVerfGE 54, 341, 360 f.; BVerwG, Urteil vom 31.03.981 - 9 C 237.80 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97, 101 ff.), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (BVerwG, Urteil vom 27.04.1982 - 9 C 308.81 -, BVerwGE 65, 250, 252). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997, a.a.O. S. 99).
30 
Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL 2004/83/EG erlitten hat (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, Juris RdNr. 22; vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505 RdNr. 84 ff.). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchstabe e) RL 2004/83/EG enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, NVwZ 2008, 1330, RdNr. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 18.04.1996 - 9 C 77.95 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4 und Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, ZAR 2008, 192).
31 
Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, a.a.O., RdNr. 92 ff). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, a.a.O., RdNr. 128 -). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, InfAuslR 2010, 410 RdNr. 23).
32 
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Buchstabe a)) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschrieben Weise betroffen ist (Buchstabe b)).
33 
bb) Die Einlassungen des Klägers lassen keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG erkennen.
34 
(1) Dies gilt zunächst hinsichtlich der Behauptungen zu den unmittelbar vor seiner Ausreise liegenden Geschehnissen im Oktober 2007.
35 
Er will nach eigenen Angaben mit Gefängnis bedroht worden sein, nachdem er bei einer Razzia im Oktober 2007 in Colombo aufgegriffen worden sei. Er will vier bis fünf Stunden festgehalten und dann nach einer Schmiergeldzahlung seiner Mutter freigelassen worden sein. Da er entgegen den gesetzlichen Bestimmungen nicht gemeldet gewesen sei, habe er einer wöchentlichen Meldepflicht nachkommen müssen. Er habe seine Ausreise angekündigt, ohne dass dies zu weiteren Maßnahmen der Polizei geführt habe.
36 
Weder die kurzzeitige Inhaftierung des Klägers, mag sie möglicherweise auch allein aufgrund seiner Volkszugehörigkeit und damit diskriminierend (Art. 9 Abs. 2 Buchstabe b) RL 2004/83/EG) erfolgt sein, noch die Drohung mit weiterer Inhaftierung noch die polizeiliche Meldeauflage erreichen jedoch für sich oder kumuliert ein Maß, das einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung gleichkäme. Daher kann die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers dahinstehen.
37 
(2) Die Gründe, die der Kläger gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als - unmittelbares - Motiv für seine Ausreise angegeben hat, sind ebenfalls nicht geeignet, eine erlittene Verfolgung oder eine ernsthafte Bedrohung mit Verfolgung darzutun. Er hat dort angegeben, dass die Tötung seines besten Freundes im August 2007 Anlass für die Ausreise gewesen sei. Dieser sei von Unbekannten erschossen worden. Sein Vater habe bereits 2006, als ein anderer Freund bei der Explosion einer Bombe ums Leben gekommen sei, jemanden beauftragt, einen Pass zu besorgen. Beide Anlässe können unter dem Gesichtspunkt des § 60 Abs. 7 Satz 1 oder 2 AufenthG relevant sein, mangels erkennbarer Zielgerichtetheit aber nicht bei der Prüfung des § 60 Abs. 1 AufenthG.
38 
(3) Die vom Kläger geschilderten Ereignisse aus den Jahren 1997 und 2005 - ihre Wahrheit unterstellt - sind ebenfalls nicht geeignet, den Tatbestand des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG zu erfüllen. Dies gilt schon deswegen, weil sie für den Kläger nicht fluchtauslösend gewesen sind. In der Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG bzw. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. und zu § 51 Abs. 1 AuslG 1990 war anerkannt, dass für die dem Vorverfolgten zu gewährende Nachweiserleichterung - im Bereich des Asyls durch die Anwendung des Maßstabs der herabgestuften Wahrscheinlichkeit - dann die innere Rechtfertigung nicht mehr vorliegt, wenn der Asylbewerber den Heimatstaat aus Gründen verlassen hat, auf die die früher bestehende Verfolgungssituation ohne Einfluss gewesen ist (BVerwG, Urteil vom 26.03.1985 - 9 C 107.84 -, BVerwGE 71, 175). § 60 Abs. 1 AufenthG wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.04.2009 - 3 A 627/07.A -, Juris; OVG Niedersachsen, Urteil vom 18.07.2006 - 11 LB 75/06 -, Juris) und in der Literatur (Hailbronner, AuslR, § 60 AufenthG RdNr. 31 ff.; Treiber, in: GK-AufenthG, § 60 AufenthG, RdNr. 120) zutreffend ebenso ausgelegt, da der Zufluchtgedanke auch die Genfer Flüchtlingskonvention beherrscht. Diese wiederum gelangt über § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und die wiederholten Bezugnahmen in der Richtlinie 2004/83/EG zur Anwendung.
39 
Allerdings zwingt der Wortlaut des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zu dieser Auslegung. So hat der Gerichtshof der Europäischen Union - allerdings bezüglich der Anwendung der Norm in Widerrufsverfahren - entschieden, dass frühere Verfolgungshandlungen dann zur Anwendung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG führen können, wenn eine Verknüpfung mit der ursprünglichen, zur Anerkennung führenden Verfolgungshandlung vorliegt (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a.- Abdulla -, a.a.O., RdNr. 96 ff.). Fordert man einen Kausalzusammenhang zwischen erlittener Verfolgungsmaßnahme und Flucht für die Anwendung von Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht, gelangt der Kläger gleichwohl nicht in den Genuss der dort festgeschriebenen Beweiserleichterung, da in diesem Fall stichhaltige Gründe gegen eine erneute Bedrohung von solcher Verfolgung sprechen.
40 
Der Kläger ist nach den von ihm geschilderten Vorfällen im Jahr 1997 und im Oktober 2005 in Sri Lanka verblieben. Armeeangehörige fragten zwar wiederholt nach ihm, entwickelten aber keine besonderen Bemühungen, seiner habhaft zu werden. Insbesondere gingen die Bemühungen nach seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nur von einzelnen Soldaten aus, da er - vor allem in seinem Geschäft - nicht mehr aufgesucht worden ist, als diese Soldaten versetzt worden sind, und die Nachfragen nach ihm erst 2007 wieder angefangen haben sollen, als diese Soldaten „wieder in seine Gegend gekommen“ sind. Andere Soldaten hätten ihn nicht identifizieren und erkennen können. Dafür spricht auch, dass der Kläger im Oktober 2007, als er wegen des fehlenden „police reports“, den er als aus dem Norden stammender Tamile in Colombo hätte vorweisen müssen, in Gewahrsam genommen worden ist, ohne dass die Sicherheitskräfte ein weitergehendes Interesse an ihm, insbesondere wegen der Vorkommnisse im Oktober 2005, gehabt hätten. Vielmehr ließen sie ihn gegen eine Schmiergeldzahlung seitens seiner Mutter frei und zwar - so der Kläger in der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - sogar in dem Wissen, dass er das Land verlassen wollte. Dies sind stichhaltige Gründe im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG, die zur Rückausnahme von der Beweiserleichterung führen, da trotz angenommener erlittener Verfolgung durch sri-lankische Behörden deren fehlendes Interesse an weiteren Verfolgungsmaßnahmen gegen den Kläger in einem - auch weit gefassten - Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen des Mordes an dem Juwelier im Oktober 2005 oder auch in einem anderen Zusammenhang belegt ist.
41 
cc) Zum Zeitpunkt seiner Ausreise war der Kläger auch keiner Gruppenverfolgung aufgrund seiner tamilischen Volkszugehörigkeit ausgesetzt. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zugutekommen.
42 
(1) Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243, 249 RdNr. 20 ff. und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30, jeweils m.w.N.). Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200, 204) - ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 a.a.O. RdNr. 20). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994, a.a.O.). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
43 
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237, RdNr. 15).
44 
Die dargelegten Maßstäbe für die Gruppenverfolgung beanspruchen auch nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG Gültigkeit. Das Konzept der Gruppenverfolgung stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Qualifikationsrichtlinie in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie definiert (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009, a.a.O., RdNr. 16).
45 
(2) Im Jahr 2007 unterlagen die Volkszugehörigen der Tamilen keiner Gruppenverfolgung. Dies gilt auch für die Untergruppe der im wehrfähigen Alter befindlichen Tamilen, der der Kläger angehört.
46 
(a) Die Lage in Sri Lanka stellte sich 2007 nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen wie folgt dar:
47 
In Sri Lanka lebten 2007 geschätzt 20,01 Millionen Menschen. Der Anteil der tamilischen Bevölkerung lag ungefähr bei 10 % (Fischer-Weltalmanach 2010, S. 474). Nach den Angaben des Ministeriums für Volkszählung und Statistik lebten 2006 im Großraum Colombo 2.251.274 Einwohner, davon waren 247.739 tamilische Volkszugehörige sri-lankischer Staatsangehörigkeit und 24.821 indische Tamilen (vgl. UK Home Office, Country of Origin Report Sri Lanka vom 15.11.2007, S. 122, Nr. 20.13).
48 
Die innenpolitische Lage Sri Lankas war von dem jahrzehntelangen ethnischen Konflikt zwischen Singhalesen und Tamilen bestimmt. Das Waffenstillstandsabkommen zwischen der Regierung der tamilischen Rebellenorganisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) aus dem Februar 2002 war von Präsident Rajapakse im Januar 2008 offiziell aufgekündigt worden, nachdem es von beiden Seiten seit langem nicht mehr eingehalten worden war. Bereits ab November 2005 war es zu einer drastischen Zunahme von Waffenstillstandsverletzungen durch die LTTE und die im Jahr zuvor von ihr abgespaltene, mit der Regierung kollaborierende Karuna-Gruppe unter „Oberst Karuna“ (Muralitharan Vinayagamurthi), einem ehemaligen Vertrauten des LTTE-Führers Prabahakaran, gekommen. Seit April 2006 hatte die Regierung versucht, die LTTE, die zu diesem Zeitpunkt noch den Norden und Osten des Landes kontrollierte, mit offensiven Maßnahmen zurückzudrängen. Ab Mitte 2006 war es dann zu großflächigen, längeren Kampfhandlungen gekommen. Unterstützt von den paramilitärischen Einheiten der Karuna-Gruppe, die sich als Vertretung der Ost-Tamilen verstand, konnten die Streitkräfte im Juli 2007 nach den vorhergehenden Rückzug der LTTE-Soldaten die letzten von der LTTE gehaltenen Stellungen im Osten Sri Lankas einnehmen (Lagebericht des AA vom 07.04.2009, Stand März 2009, S. 5).
49 
Eine systematische und direkte Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen wegen Rasse, Nationalität oder politischer Überzeugung von Seiten der Regierung fand seit dem Waffenstillstandsabkommen von 2002 nicht statt (Lageberichte des AA vom 26.06.2007, Stand Juni 2007, S. 6 und vom 05.02.2008, Stand Februar 2008, S. 7). Allerdings standen Tamilen im Generalverdacht, die LTTE zu unterstützen, und mussten mit staatlichen Repressionen rechnen. Sie wurden nicht allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit systematisch verfolgt. Sie sind aber - durch ihre tamilische Sprache und die entsprechenden Einträge in Ausweiskarten für die Sicherheitskräfte leicht identifizierbar - in eine Art Generalverdacht der Sicherheitskräfte geraten. Die ständigen Razzien, Pkw-Kontrollen und Verhaftungen bei Vorliegen schon geringster Verdachtsmomente richteten sich vor allem gegen Tamilen. Durch die Wiedereinführung des „Terrorism Prevention Act“ Ende 2006 - ein Notstandsgesetz, das Verhaftungen ohne Haftbefehl und eine Inhaftierung bis zu 18 Monaten erlaubt, wenn die Behörden insbesondere den Verdacht terroristischer Aktivitäten haben (vgl. SFH, Sri Lanka, Aktuelle Situation, Update vom 11.12.2008, S. 3) - war die richterliche Kontrolle solcher Verhaftungen kaum mehr gewährleistet. Wer verhaftet wurde, musste mit längerer Inhaftierung rechnen, ohne dass es zu weiteren Verfahrensschritten oder gar einer Anklageerhebung hat kommen müssen (Lagebericht des AA vom 05.02.2008, Stand Februar 2008, S. 8). So wurden am 30. und 31.12.2005 im Rahmen der von Militär und Polizei in Colombo durchgeführten Operation „Strangers Night III.“ 920 Personen, die weit überwiegende Mehrheit Tamilen, verhaftet (Human Rights Watch, Return to War - Human Rights under Siege - August 2007, S. 74).
50 
Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) hat in seiner Stellungnahme zum Bedarf an internationalem Schutz von Asylsuchenden aus Sri Lanka vom 01.02.2007, die eine Zusammenfassung und Teilübersetzung der „UNHCR Position on the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Sri Lanka (December 2006)“ enthält, unter anderem ausgeführt, dass von der sich dramatisch verschlechternden Menschenrechtslage im besonderem Maße Tamilen aus dem Norden und Osten des Landes betroffen seien. Aus der Stellungnahme ergibt sich, dass bei dem Verdacht, dass sie Verbindungen zur LTTE unterhalten, Menschenrechtsverletzungen durch die staatlichen Behörden oder mutmaßlich von der Regierung gestützte Paramilitärs drohten (S. 2). Für Tamilen aus Colombo bestand aufgrund der im April bzw. Dezember 2006 drastisch verschärften Sicherheitsbestimmungen ein erhöhtes Risiko, willkürlichen, missbräuchlichen Polizeimaßnahmen - insbesondere Sicherheitskontrollen, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Hausdurchsuchungen oder Leibesvisitationen - unterworfen zu werden. Tamilen aus Colombo waren darüber hinaus besonders gefährdet, Opfer von Entführungen, Verschleppungen oder Tötungen zu werden. Zwischen dem 20.08.2006 und dem 02.09.2006 waren Presseberichten zufolge mehr als 25 Tamilen entführt worden, nur zwei Personen waren bis zum Dezember 2006 wieder freigekommen (S. 2 f.). Diese Maßnahmen zur Bekämpfung der dauernden Bedrohung durch terroristische Attacken im Großraum Colombo waren teilweise für die gesamte tamilische Minderheit bedrohlich und stellten ihre Sicherheit in Frage. Extralegale Tötungen, die seit jeher Teil des Konflikts gewesen waren, wurden seit Dezember 2005 auch in signifikanter Zahl von Regierungsseite verübt. Viele Taten sind an gewöhnlichen Personen begangen worden, die kaum erkennbar in Verbindung zu dem Konflikt standen. Teilweise handelte es sich um Teile eines Musters, die LTTE anzugreifen, teilweise geschahen sie aus politischen Motiven. Sie konnten aber auch einen kriminellen Hintergrund haben (Asylsuchende aus Sri Lanka, Position der SFH vom 01.02.2007 S. 5).
51 
Die International Crisis Group hat in ihrem Bericht vom 14.06.2007 (Sri Lanka’s Human Rights Crisis, Asia Report N. 135) unter anderem festgehalten, dass die Anzahl der Verschwundenen in den letzten achtzehn Monaten nur schwerlich mit Sicherheit festzustellen sei. Verschiedene verlässliche Quellen berichteten von mehr als 1.500 Betroffenen, wobei das Schicksal von mindestens 1.000 Personen unklar gewesen sei. Die höchste Anzahl von Betroffenen sei in den von der Regierung kontrollierten Bereichen Jaffnas festzustellen gewesen. Dort seien 731 Fälle registriert worden, in 512 Fällen gebe es noch keine Aufklärung. Im Großraum Colombo sei es zu mehr als 70 berichteten Fällen von Entführungen und des Verschwindenlassens gekommen. Die meisten der Betroffenen seien junge tamilische Volkszugehörige gewesen, die der Zusammenarbeit mit der LTTE verdächtigt worden seien. Auch eine Vielzahl von Personen ohne Verbindung zur LTTE seien Opfer dieses Verschwindenlassens geworden.
52 
Human Rights Watch (HRW) geht in seinem Bericht aus dem August 2007 (Return to War - Human Rights under Siege - ) davon aus, dass Entführungen und Fälle des Verschwindenlassens seit August 2006 auch in Colombo zu einer weitverbreiteten Erscheinung geworden seien. Die Organisation gelangt auf der Grundlage von Gesprächen mit 26 Familien von verschwundenen Personen zu dieser Aussage (S. 53 f.). Landesweit geht HRW für den Zeitraum vom 14.09.2006 bis zum 25.02.2007 von 2.020 Fällen Entführter oder sonst verschwundener Personen aus. „Ungefähr 1.134 Personen“ seien lebend wieder aufgefunden worden, die anderen seien weiterhin vermisst (S. 7).
53 
Nach dem Country Report on Human Rights Practices zu Sri Lanka des U.S. Department of State 2007 vom 11.03.2008 waren extralegale Tötungen in Jaffna an der Tagesordnung. Zwischen dem 30.11.2007 und dem 02.12.2007 sind nach zwei Bombenangriffen der LTTE in und um Colombo beinahe 2.500 tamilische Volkszugehörige in der Hauptstadt und geschätzte 3.500 Tamilen im ganzen Land verhaftet worden. Die Inhaftierten, überwiegend männliche tamilische Zivilisten sollen allein aufgrund ihrer tamilischen Nachnamen verhaftet worden sein. Die überwiegende Mehrheit von ihnen wurde bald wieder freigelassen. Zum Jahreswechsel waren nur noch zwölf von 372 im Boosa detention camp Inhaftierten in Gewahrsam.
54 
(b) Aus diesen Erkenntnissen lässt sich selbst dann, wenn alle Angaben zutreffen sollten, zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers Ende November 2007 nicht auf eine Gruppenverfolgung der Gruppe der (jüngeren männlichen) Tamilen schließen. Ein staatliches Verfolgungsprogramm lässt sich nicht feststellen. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts wurde keine Volksgruppe gezielt allein wegen eines unveränderlichen Merkmals verfolgt. Die Anzahl der festzustellenden Übergriffe lässt nicht ohne weiteres auf die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit eines jeden Gruppenmitglieds schließen. Selbst wenn alle Übergriffe im Großraum Colombo zwischen November 2005 und Dezember 2007 dem sri-lankischen Staat zuzurechnen wären - tatsächlich sind dabei auch Übergriffe der LTTE und „rein kriminelle Übergriffe“ mit dem Ziel der Lösegelderpressung unter den registrierten Fällen - und alle Inhaftierungen - auch die von bloß kurzer Dauer von nicht mehr als drei Tagen - gezählt werden, ist das Verhältnis von 3.400 Verhaftungen zu mehr als 240.000 tamilischen Einwohnern angesichts des Zeitraums von zwei Jahren nicht geeignet, eine Regelvermutung der Gefährdung eines jeden Gruppenmitglieds zu rechtfertigen. Zieht man darüber hinaus in Betracht, dass 2.500 der Inhaftierten nach kurzer Zeit wieder freigelassen worden sind und damit keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 RL 2004/83/EG erdulden mussten, ergibt sich eine Betroffenheit von 0,3 % der gesamten tamilischen Bevölkerung. Dieser - für die Bewertung des Standards der Achtung der Menschenrechte insoweit gleichwohl hohe - Prozentsatz der Betroffenen innerhalb eines Zweijahreszeitraums führt nicht zum Schluss auf die erforderliche aktuelle Gefahr der Betroffenheit jedes Gruppenmitglieds.
55 
d) Der Kläger kann sich für den Fall seiner Rückkehr nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer derzeit bestehenden Gruppenverfolgung von Tamilen (oder der Untergruppe der im wehrfähigen Alter befindlichen Tamilen) berufen.
56 
aa) Die Lage in Sri Lanka - soweit sie für die Beurteilung des Schutzgesuchs des Klägers von Bedeutung ist - stellt sich im November 2010 nach den dem Senat vorliegenden Quellen und Erkenntnissen wie folgt dar:
57 
Am 19.05.2009 hat der sri-lankische Staatspräsident Mahinda Rajapakse in einer Parlamentsansprache den Sieg der Regierungstruppen über die tamilische Separatistenorganisation LTTE verkündet. Tags zuvor war nach den Angaben des Militärs bei einem der letzten Gefechte der LTTE-Anführer Velupillai Prabhakaran ums Leben gekommen, nachdem zuvor fast die gesamte militärische und politische Führung der LTTE umgekommen war. Der seit 1983 mit Unterbrechungen währende Bürgerkrieg war damit beendet (Lagebericht des AA vom 02.09.2009, Stand: August 2009, S. 6). Hunderttausende Menschen mussten während des Bürgerkriegs ihre Heimatorte im tamilischen Norden und Osten des Landes verlassen. Als Binnenvertriebene suchten sie Zuflucht in weniger gefährdeten Gebieten des Landes. Viele entschieden sich auch dafür, ins Ausland zu gehen. In der Ostprovinz konnten die Binnenvertriebenen inzwischen bis auf einige Ausnahmen in ihre Heimatgemeinden zurückkehren (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 8). Rund 300.000 Zivilpersonen waren in den letzten Monaten des Bürgerkriegs im von der LTTE gehaltenen, kontinuierlich schrumpfenden Gebiet eingeschlossen. Notgedrungen zogen sie mit den LTTE-Verbänden mit und waren in der zuletzt nur wenige Quadratkilometer ausmachenden Kampfzone im Nordwesten des Landes allen Schrecken dieser Kämpfe ausgesetzt. Nach deren Beendigung brachte sie die Armee in geschlossenen Lagern hauptsächlich in Vavuniya im nördlichen Vanni unter, zu denen nationale und internationale Hilfsorganisationen lange nur eingeschränkt Zugang hatten. Die Regierung begründete diese Lagerunterbringung mit der Notwendigkeit, sich unter den Binnenvertriebenen verbergende ehemalige LTTE-Kämpfer herauszufiltern, und der Unmöglichkeit, die Betroffenen in noch verminte Heimatorte zurückkehren zu lassen. Einigen wenigen wurde die Rücksiedlung im Juni 2009 gestattet. Im August 2009 begann dann sehr zögerlich ein Rücksiedlungsprozess, der im Oktober größeren Umfang annahm und sich ab Dezember wieder verlangsamte, da die Herkunftsorte der Verbliebenen (im Juni 2010 waren noch knapp 60.000 Personen in Lagern untergebracht) noch erheblich zerstört und vermint sind. Einem gesonderten Regime unterliegen die geschlossenen, so genannten „Rehabilitationslager“, in denen rund 8.000 ehemalige LTTE-Kämpfer (bzw. Personen, die insoweit verdächtigt werden) untergebracht sind. Zu diesen Lagern haben weder das IKRK noch Hilfsorganisationen Zugang. Die Antiterrorgesetze von 1979 (Prevention of Terrorism Act) haben weiter Bestand. Die umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen insbesondere in Colombo, einschließlich der zahlreichen Kontrollpunkte von Polizei und Militär, werden aufrecht erhalten (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 9 f.).
58 
Zu den Insassen der „Rehabilitationslager“ hat Human Rights Watch festgestellt, dass zwar die meisten der Verdächtigten in den letzten Wochen der Kampfhandlungen und in der Zeit unmittelbar danach inhaftiert worden seien, dass aber auch neue Inhaftierungen, nämlich im Oktober 2009, erfolgt seien (Human Rights Watch, Legal Limbo - The Uncertain Fate of Detained LTTE Suspects in Sri Lanka, Februar 2010, S. 6).
59 
In unterschiedlichen Bereichen kommt es zu staatlichen repressiven Maßnahmen, die Anzeichen für eine systematische Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Nationalität, Religion oder politischer Überzeugung aufweisen. Davon sind nicht nur Tamilen betroffen, sondern auch regierungskritische Singhalesen. So werden oppositionelle Parlamentsabgeordnete, die der Regierung gefährlich werden können, unter fadenscheinigen Vorwürfen verhört, verhaftet oder bedroht. Der Generalverdacht, dass jeder Tamile ein Anhänger, Unterstützer oder gar Mitglied der LTTE war und ist, wird im singhalesischen Teil der Gesellschaft von vielen geteilt, insbesondere bei den staatlichen Sicherheitskräften (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 10 f. ).
60 
Für eine systematische Verfolgung von Tamilen allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit gibt es keine Anhaltspunkte, sie müssen aber - durch ihre tamilische Sprache und die entsprechenden Einträge in Ausweiskarten für die Sicherheitskräfte leicht identifizierbar - jederzeit mit staatlichen Repressionen rechnen. Die ständigen Razzien und Hausdurchsuchungen, schikanösen Behandlungen (Beleidigungen, langes Warten, exzessive Kontrolle von Fahrzeugen, Erpressung von Geldbeträgen) bei den zahlreichen Polizeikontrollen im Straßenverkehr und Verhaftungen richten sich vor allem gegen Tamilen, wobei aus dem Norden und Osten stammende Tamilen darunter noch in höherem Maße zu leiden haben. Durch Anwendung des Prevention of Terrorism Act ist die richterliche Kontrolle solcher Verhaftungen kaum mehr gewährleistet. Wer verhaftet wird, muss mit längerer Inhaftierung rechnen, ohne dass es zu weiteren Verfahrensschritten oder einer Anklageerhebung kommen muss. Die Situation hat sich seit Beendigung der Kampfhandlungen nicht verbessert (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 11).
61 
Ein Asylantrag im Ausland, der von vielen in Sri Lanka als legitimer Versuch angesehen wird, sich einen Aufenthaltsstatus zu verschaffen, begründet in aller Regel noch keinen Verdacht, der LTTE nahe zu stehen. Rückkehrer, die aus den nördlichen oder östlichen Landesteilen stammen und sich nun erstmals in Sri Lanka niederlassen wollen, müssen indes einen Anfangsverdacht und entsprechendes Misstrauen bis zu Schikanen durch die Sicherheitsorgane gegenwärtigen. Mindestens ebenso stark steht unter Verdacht, wer bereits früher als Anhänger der LTTE auffällig geworden war. Das Ende der Kampfhandlungen hat diesbezüglich nicht zu einer Entspannung geführt. Am 26.05.2010 wurde am Flughafen Colombo bei der Einreise eine in Deutschland ansässige Sri-Lankerin unter dem Verdacht der LTTE-Unterstützung festgenommen, die nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in Deutschland für die LTTE Gelder eingesammelt und im Frühjahr letzten Jahres Demonstrationen organisiert haben soll. Belastbaren Berichten anderer Botschaften zufolge gibt es Einzelfälle, in denen zurückgeführte Tamilen nach Ankunft in Colombo unter LTTE-Verdacht festgenommen wurden (Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010, S. 24).
62 
Aus dem „Report of Information Gathering Visit to Colombo, Sri Lanka, 23. bis 29. August 2009“ vom 22.10.2009 des „U.K. Foreign and Commonwealth Office Migration Directorate“ (FCO), für den sowohl staatliche sri-lankische Stellen als auch Nichtregierungsorganisationen befragt wurden, ergibt sich, dass unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit nicht freiwillig nach Sri Lanka zurückkehrende Personen dem Criminal Investigation Department zur Feststellung der Staatsangehörigkeit und Kontrolle des Vorstrafenregisters überstellt werden. Die Befragung kann mehr als 24 Stunden dauern. Die Betroffenen werden erkennungsdienstlich behandelt. Abhängig vom Einzelfall ist eine Überstellung an den Geheimdienst (State Intelligence Service) oder das Terrorist Investigation Department zum Zwecke der Befragung denkbar. Jeder, der wegen eines Vergehens gesucht wird, muss mit seiner Verhaftung rechnen. Vorbestrafte oder Personen mit Verbindungen zur LTTE werden weitergehend befragt und gegebenenfalls in Gewahrsam genommen. Laut Nichtregierungsorganisationen würden Tamilen aus dem Norden und Osten des Landes einer genaueren Überprüfung als andere unterzogen. Verschiedene Faktoren, nämlich ein offener Haftbefehl, Vorstrafen, Verbindungen zur LTTE, eine illegale Ausreise, Verbindungen zu Medien oder Nichtregierungsorganisationen und das Fehlen eines Ausweises (ID Card) oder anderer Personaldokumente, erhöhten das Risiko, Schwierigkeiten bei der Einreise zu bekommen, einschließlich einer möglichen Ingewahrsamnahme (S. 5). Hingegen konnte keine der befragte Quellen angeben, dass sichtbare Narben einen Einfluss auf die Behandlung bei der Einreise haben könnten. Im Falle, dass der Verdacht einer Verbindung zur LTTE bestünde, könnten solche Narben Anlass zu einer Befragung sein, jedoch würden diesbezüglich keine körperlichen Untersuchungen durchgeführt (S. 16).
63 
Überwiegend hätten die Befragten angegeben, dass die Anzahl der Razzien (cordon and search operations) in den letzten Monaten nicht zurückgegangen sei. Es gebe keine Informationen zu der Anzahl möglicher Festnahmen. Grundsätzlich seien junge männliche Tamilen, die aus dem Norden oder Osten des Landes stammten, im Zuge von Razzien einem besonderen Festnahmerisiko ausgesetzt. Die bereits genannten Faktoren erhöhten das Risiko. Tamilen ohne Beschäftigung oder „legitimen Aufenthaltsgrund“ würden ebenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit als verdächtig angesehen (S. 5).
64 
Nach ganz überwiegender Meinung der Befragten hat es - wenn überhaupt - seit Juni 2009 nur noch sehr wenige Entführungen / Fälle des Verschwindenlassens gegeben. Die Entführungen erfolgten demzufolge sowohl zur Lösegelderpressung als auch aus politischen Gründen. Die Nichtregierungsquellen stimmten weitgehend darin überein, dass die Sicherheitskräfte in den meisten Fällen in gewisser Weise beteiligt seien und die Polizei keine ernsthaften Ermittlungen durchführe (S. 5 f.). Bei den Straßenkontrollen im Großraum Colombo, die nach Angabe der meisten Befragten nicht nennenswert reduziert worden seien, würde es nur sehr selten zu Festnahmen kommen. Seit Juni 2009 seien keine bekannt geworden.
65 
bb) Der Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 16.06.2010 und der (ältere) Bericht des U.K. Foreign and Commonwealth Office Migration Directorate ergänzen sich. Jedenfalls die hier zitierten allgemeinen Feststellungen (S. 5 f.), die auf mindestens weit überwiegend übereinstimmenden Angaben der Befragten beruhen, sind geeignet, die insoweit knapper gehaltenen Aussagen der Lageberichte zu den Gefährdungen von Tamilen zu illustrieren. Eine Gruppenverfolgung der Gruppe der (jüngeren männlichen) Tamilen (im wehrfähigen Alter) lässt sich auf der Basis der wiedergegebenen Erkenntnisse nicht feststellen. Insbesondere angesichts des Umstands, dass Verhaftungen bei Razzien ebenso selten geworden sind wie an Straßenkontrollpunkten und Fälle des Verschwindenlassens ebenfalls kaum mehr vorkommen, lässt sich eine generelle staatliche oder staatlich tolerierte Verfolgung der Gruppe der Tamilen nicht feststellen. Anderes lässt sich auch nicht aus dem Fortbestehen der „rehabilitation camps“ schließen. Denn jedenfalls gibt es keine Hinweise darauf, dass nach deren Begründung noch Personen in einer für die Annahme einer Gruppenverfolgung aller - jedenfalls der im wehrfähigen Alter befindlichen - Tamilen relevanten Größenordnung in diese Lager verbracht worden sind. Aus dem vom Kläger zitierten Bericht von Human Rights Watch, Legal Limbo, The Uncertain Fate of Detained LTTE Suspects in Sri Lanka, ergibt sich unter Bezugnahme auf den „Indian Express“ vom 28. Oktober 2009, dass mindestens 300 LTTE Kader, die sich unter den Binnenvertriebenen versteckt hätten, verhaftet worden seien. Damit ist weder ein Bezug zu der Gruppe aller Tamilen oder jedenfalls derjenigen im wehrfähigen Alter aufgezeigt noch ergibt sich aus den berichteten Vorkommnissen, dass diese bis zum Tag der mündlichen Verhandlung gleichsam an der Tagesordnung gewesen wären.
66 
Die Einlassung des Klägers, aus dem zitierten Bericht von Human Rights Watch ergebe sich eine Zunahme der Fälle des Verschwindenlassens, vermag stichhaltige Indizien für eine Gruppenverfolgung aller (wehrfähigen) Tamilen nicht darzutun. Den dortigen Ausführungen im Unterkapitel „Concerns about Possible Enforced Disappearances“ sind vielmehr zunächst zwei Einzelfälle des Verschwindens nach Ende des Bürgerkriegs zu entnehmen. Darüber hinaus wird über eine Internierung von Dutzenden von Personen aus dem Lager „Menik Farm“ berichtet. Es wird weiter geschildert, dass das Schicksal der internierten Personen häufig - bis zum Tag des Berichts - unklar geblieben sei. Daraus lässt sich ein erhöhtes Risiko für solche Personen ableiten, die aus Sicht der Behörden im Verdacht stehen, mit der LTTE zusammengearbeitet haben, nicht jedoch eine Gruppenverfolgung aller (jungen männlichen) Tamilen. Der gegen alle Tamilen gerichtete so genannte „Generalverdacht“ führt offenkundig für sich genommen noch nicht regelmäßig zu Übergriffen der Sicherheitsbehörden. Vielmehr kommt es auf individuell gefahrerhöhende Umstände an, bei deren Vorliegen im Einzelfall eine begründete Furcht vor Verfolgung anzunehmen sein kann.
67 
Auch aus dem vom Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegten Gutachten des European Center for Constitutional and Human Rights „Study on Criminal Accoutability in Sri Lanka as of January 2009“ aus dem Juni 2010 lässt sich die von ihm behauptete Gruppenverfolgung nicht ableiten. Dem Bericht lässt sich entnehmen, dass die Anzahl der in den „welfare centers“ in Gewahrsam gehaltenen Personen von 280.000 (zwischen März 2008 und Juni 2009) bis in den Januar 2010 auf rund 80.000 abgenommen hat. Dem Bericht, der sich mit den Zuständen in den Lagern beschäftigt, ist nicht zu entnehmen, dass sri-lankische Staatsangehörige nach ihrer Wiedereinreise dazu gezwungen worden wären, in solchen Lagern zu leben. Weiter beschäftigt sich das Gutachten unter Zitierung des bereits erwähnten Berichts von Human Rights Watch aus dem Februar 2010 mit der Behandlung von der LTTE-Mitgliedschaft Verdächtigten. Auch diesen Ausführungen ist nichts zu einer anhaltenden Verhaftungswelle - wie sie für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendig wäre - nach Beendigung des Bürgerkriegs und in den folgenden Monaten im Jahr 2009 zu entnehmen.
68 
Schließlich führt insoweit der Verweis des Klägers auf die Lageeinschätzung der International Crisis Group vom 17.02.2010, die sein Prozessbevollmächtigter im „Parallelverfahren“ (A 4 S 693/10) vorgelegt hat, nicht zum Erfolg seiner Klage. Dem Bericht ist zwar zu entnehmen, dass das Vorgehen der Regierung im Norden und Osten des Landes zur Verängstigung und Entfremdung der Minderheiten führe. Das aus dieser Behandlung aber ein systematisches Ausgrenzen der tamilischen Minderheit aus der staatlichen, übergreifenden Friedensordnung im Sinne einer Entrechtung abzuleiten wäre, ergibt sich weder aus diesem Bericht noch aus der Gesamtschau. Ebenso wenig lässt sich ein staatliches Verfolgungsprogramm hinsichtlich aller Tamilen oder auch nur der im wehrfähigen Alter befindlichen Gruppenmitglieder feststellen. Anderes kann möglicherweise für die im Zuge der Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen unmittelbar in den rehabilitation camps Inhaftierten oder die aus den Flüchtlingslagern „herausgefilterten“, in rehabilitation camps verbrachten Personen gelten. Jedoch ist ein solches systematisches Vorgehen gegenüber etwa in Colombo lebenden Tamilen nicht feststellbar.
69 
Die rechtliche Einschätzung zur fehlenden begründeten Furcht vor einer Gruppenverfolgung entspricht auch der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteile vom 08.07.2009 - 3 A 3295/07.A - und vom 24.08.2010 - 3 A 864/09.A -) und - der Sache nach - des UK Asylum and Immigration Tribunal (TK (Tamils - LP updated) Sri Lanka CG [2009]UKAIT 00049 RdNr. 73).
70 
e) Der Kläger kann sich auch nicht aus individuellen Gründen auf eine begründete Furcht vor Verfolgung berufen.
71 
aa) Eine Gefahr der - auch längeren, gerichtlich nicht kontrollierten - Inhaftierung bei der Rückkehr - insbesondere bei der Einreise über den Flughafen in Colombo - besteht, wenn die zurückkehrende Person bei den Sicherheitskräften in den Verdacht gerät, der LTTE anzugehören oder ihr nahe zu stehen (SFH, Asylsuchende aus Sri Lanka, vom 08.12.2009, S. 1 f.). Dieser Standpunkt wird unter anderem auch vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 08.07.2009 - 3 A 3295/07.A -), dem UK Asylum and Immigration Tribunal (TK (Tamils - LP updated) Sri Lanka CG [2009]UKAIT 00049 RdNr. 134) und der Refugee Status Appeals Authority New Zealand (Refugee Appeal No 76502, 76503, 76504, Entscheidung vom 29.06.2010 RdNr. 84) geteilt. Risikoerhöhend für eine Festnahme ist - natürlich - ein offener Haftbefehl. Hier kann auch eine Flucht nach Aussetzung der Haft auf der Grundlage einer Kautionszahlung von Relevanz sein, da dies zu einer Registrierung in den diversen Fahndungssystemen führen dürfte. Weiter sind Vorstrafen und Verbindungen zu Medien und Nichtregierungsorganisationen individuell gefahrerhöhend. Andere Umstände lassen sich abstrakt nicht als gefahrerhöhend feststellen. Insbesondere führt eine Asylantragstellung im Ausland nicht für sich allein zu einer solchen Gefahrerhöhung (vgl. Lagebericht des AA vom 16.06.2010, Stand: Juni 2010 ,S. 24 und FCO-Bericht vom 22.10.2009 S. 17).
72 
Trotz des vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 16.06.2010 weiterhin beschriebenen Generalverdachts der LTTE-Zugehörigkeit, dem alle Tamilen unterfallen, und der gegenüber Tamilen angespannten Lage, wie sie sich in den schweren Menschenrechtsverletzungen zum Ende des Bürgerkriegs, in der Internierung der Binnenvertriebenen und in der Inhaftierung einer Vielzahl von der Zusammenarbeit mit der LTTE mehr oder minder verdächtigen Personen ohne gerichtliche Kontrolle und ohne Zugang zu Hilfsorganisationen zeigt, lässt sich für den Kläger ein Risiko der Festnahme im Fall seiner Rückkehr aufgrund seiner Volkszugehörigkeit oder aufgrund einer vermuteten Nähe zur LTTE aufgrund seiner Angaben im Verwaltungsverfahren und vor dem Senat nicht feststellen. So spricht im Fall des Klägers nichts dafür, dass seine Inhaftierung im Jahr 2005 registriert worden und für die sri-lankische Armee und Verwaltung noch von Interesse sein könnte. Er selbst hat angegeben, dass andere als die Soldaten, die ihn damals festgenommen hätten, ihn nicht hätten erkennen bzw. identifizieren können. Auch war die Inhaftierung für die Polizei am 22.10.2007, als sie den Kläger mangels „police report“ und gültiger Identitätskarte festhielt, nicht von Interesse. Sie hat ihn sogar freigelassen, obwohl er angekündigt hat, ins Ausland zu wollen. Diese Umstände sprechen eindeutig dafür, dass ein Interesse der sri-lankischen Sicherheitsbehörden am Kläger wegen einer vermutetem Zusammenarbeit mit der LTTE nicht bestand und über ihn in dieser Hinsicht keine Eintragungen vorhanden sind. Er ist im Oktober 2007 auch nicht etwa aufgrund einer Kautionszahlung freigekommen, was für ihn nunmehr gefahrerhöhend wäre. Vielmehr hat er vor dem Senat - ohne Nachfrage - von sich aus (glaubhaft) angegeben, dass seine Mutter ein Schmiergeld entrichtet habe.
73 
Nach alledem lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Er ist kein Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylVfG.
II.
74 
Die Anschlussberufung der Beklagten erweist sich als unzulässig, so dass sie zu verwerfen ist (§ 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
75 
Sie ist erst am 27.09.2010 und damit nach Ablauf der Monatsfrist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO eingelegt und begründet worden. Nach dieser Vorschrift ist die Anschließung an die Berufung bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zulässig. Die Frist hat mit Zustellung der Begründung der Berufung (Schriftsatz des Klägers vom 05.05.2010) an die Beklagte am 10.05.2010 zu laufen begonnen und endete danach mit Ablauf des 10.06.2010. Die Zustellung (auch) des Schriftsatzes des Klägers vom 14.04.2010 war entgegen der Auffassung der Beklagten nicht erforderlich, um die Frist in Lauf zu setzen.
76 
Die Bestimmung des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO und mit ihr der Begriff der Berufungsbegründungsschrift sind mit Art. 1 Nr. 16 des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20.12.2001 (BGBl. I S. 3987) in die Verwaltungsgerichtsordnung eingefügt worden. Damit nimmt die Regelung inhaltlich - ohne dass es eine Legaldefinition gäbe - auf § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO Bezug. Dort ist bestimmt, dass die Begründung der Berufung einen bestimmten Antrag sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten muss. Es wird - anders als in § 127 Abs. 3 Satz 1 VwGO für die Anschlussberufung - jedoch nicht bestimmt, dass die Begründung der Berufung in einem Schriftsatz erfolgen müsste.
77 
Für den Fall, dass die Berufungsgründe in mehreren Schriftsätzen enthalten sind - wie hier der Antrag in Schriftsatz vom 14.04.2010 und die Begründung erst im Schriftsatz vom 05.05.2010 -, kommt es auf die Zustellung des ersten innerhalb der Frist des § 124a Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 6 Satz 1 VwGO bzw. innerhalb der nach § 124a Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 Satz 3 VwGO verlängerten Frist eingereichten Begründungsschriftsatzes an, mit dessen Eingang bei Gericht die Voraussetzungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO (vollständig) erfüllt werden (Mayer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 127 VwGO RdNr. 7d). Es reicht für das Auslösen der Frist für die Einlegung und Begründung der Anschlussberufung aus, wenn nur dieser Schriftsatz dem Berufungsbeklagten zugestellt wird. Die anderen, zuvor bereits bei Gericht eingegangen Schriftsätze - als weitere Teile der Berufungsbegründungsschrift - müssen nicht zugestellt werden.
78 
Zweck der Anschlussberufung ist es nämlich, eine Waffengleichheit zwischen den Beteiligten im Berufungsverfahren herzustellen. Sie erlaubt dem Berufungsbeklagten, eine eigene Berufung auch dann noch einzulegen, wenn die Hauptberufung erst kurz vor Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist eingelegt wird. Das Berufungsgericht kann dann auch zum Nachteil des Berufungsklägers entscheiden, was dem Grundsatz der Billigkeit entspricht (Blanke, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. § 127 RdNr. 2). Die Anschlussberufung dient auch der Prozessökonomie, da sich der Beteiligte nicht im Hinblick auf eventuelle Rechtsmittel des Prozessgegners genötigt sehen muss, vorsorglich Berufung einzulegen (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. § 127 RdNr. 1). Sieht nämlich ein Beteiligter ungeachtet der ihm von der erstinstanzlichen Entscheidung auferlegten Beschwer zunächst in der Hoffnung darauf, dass ein Rechtsmittel von einem anderen Beteiligten nicht eingelegt werde, von einer Berufung oder von einem Antrag auf Zulassung der Berufung ab und wird er in dieser Hoffnung enttäuscht, soll ihm die Anschlussberufung die Gelegenheit geben, die Entscheidung auch zu seinen Gunsten überprüfen zu lassen.
79 
Sobald der Umfang der und die Gründe für die Berufung dem Berufungsbeklagten bekannt sind, kann dieser entscheiden, ob - und ggf. in welchem Umfang - er sich selbst gegen sein Teilunterliegen in erster Instanz zur Wehr setzen will. Die Einlegungsfrist für die Anschlussberufung wird mit der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift ausgelöst. Es besteht keine Notwendigkeit dafür, in selbstständigen Schriftsätzen enthaltene Teile der Begründung vorab ebenfalls zuzustellen. Mit der Zustellung soll die Frist in Lauf gesetzt werden (vgl. auch die allgemeine Regelung in § 56 Abs. 1 VwGO). Würden bei einer in verschiedene Schriftsätze „aufgeteilten“ Berufungsbegründungsschrift die verschiedenen Teile - hier also zunächst der „Antragsschriftsatz“ und nachfolgend der die Berufungsgründe im materiellen Sinne enthaltende „Begründungsschriftsatz“ - jeweils zugestellt, führte dies zu einer erheblichen Unsicherheit hinsichtlich des tatsächlichen Fristbeginns, ohne dass damit ein inhaltlicher Gewinn verbunden wäre. Eine Zustellung des bereits übersandten und dem Gegner somit bekannten Teils der Berufungsbegründung vermag ebenfalls keinen solchen Gewinn zu erbringen. Sinn der Zustellung ist nur, den Beteiligten Sicherheit über den Lauf der Einlegungs- und Begründungsfrist für die Anschlussberufung zu verschaffen. Nur dann, wenn ein Teil der Berufungsbegründung dem Berufungsbeklagten gar nicht übermittelt worden sein sollte - was hier nicht der Fall ist -, könnte die Zustellung nur eines Teils der Begründungsschrift die Frist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht auslösen.
80 
Dem Beginn des Laufs der Anschließungsfrist am 10.05.2010 steht die Bestimmung des § 58 Abs. 1 VwGO nicht entgegen. Danach beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Die - unselbstständige - Anschlussberufung ist jedoch kein Rechtsmittel im Sinne von § 58 Abs. 1 VwGO. Sie räumt dem Berufungsbeklagten nur die Möglichkeit ein, innerhalb der Berufung des Prozessgegners angriffsweise Anträge zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 23.05.1957 - II ZR 250/55 -, BGHZ 24, 279; BAG, Urteile vom 14.05.1976 - 2 AZR 539/75 -, BAGE 28, 107 und vom 20.02.1997 - 8 AZR 15/96 -, BAGE 85, 178), und ist vom Fortbestand des (Haupt-)Rechtsmittels und damit vom Willen des Berufungsklägers abhängig. Über sie muss nicht belehrt werden (vgl. zur Anschlussrevision: Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl., § 141 RdNr. 12; aA. Seibert, NVwZ 2002, 265, 268; unklar: Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/v. Albedyll, VwGO, 4. Aufl., § 127 RdNr. 23).
81 
Die Kostenentscheidung beruht § 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83b AsylVfG.
82 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05. Oktober 2005 - A 11 K 11032/05 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger zu 1 ist am ....1977 in Atsch’Choi-Martan (südlich von Grosny) geboren und nach seinen Angaben ein tschetschenischer Volkszugehöriger. Seine Ehefrau, die Klägerin zu 2 ist am ....1982 ebenfalls in Atsch’Choi-Martan geboren, wo die Eheleute nach ihren Angaben zuletzt auch ihren Wohnort hatten. Am 20.01.2004 reisten die Kläger zusammen mit der Klägerin zu 3, ihrer am ....2003 geborenen Tochter, aus. Am 27.01.2004 wurden sie um 2.05 Uhr, versehen mit einer Bahnfahrkarte nach Belgien, in Dortmund aufgegriffen und suchten um Asyl nach.
Die Klägerin zu 2 war im Besitz eines am 08.05.2003 ausgestellten russischen Inlandspasses (neu). Der Kläger führte hingegen keinen neuen russischen Inlandspass mit, sondern nur eine vorläufige Bescheinigung, eine Art Passersatz, die ihm der Schlepper abgenommen hatte. Ansonsten hatte der Kläger an Dokumenten einen Führerschein, ein Schulzeugnis, eine Heiratsurkunde, die Geburtsurkunde seiner Tochter sowie eine Bescheinigung über die bestandene Fahrprüfung dabei.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt gab der Kläger an, er habe von Herbst/Winter 1996 bis Juni 1997 in einer Spezialeinheit von Maschadow gedient, die in einer ehemaligen Bleistiftfabrik in Atsch’Choi-Martan untergebracht gewesen sei. Danach sei er zur Bahnpolizei gekommen und habe dort bis 1999 in Grosny gearbeitet. Im letzten Jahr habe er von der Landwirtschaft gelebt. Im Sommer 2001 habe er eine Vorladung zur Miliz in Atsch’Choi-Martan erhalten. Er habe ein Gespräch mit drei russischen Milizoffizieren geführt, die von ihm verlangt hätten, wieder bei der Miliz zu arbeiten. Außerdem hätten sie Informationen darüber gefordert, wer noch Waffen besitzen könnte und wer früher noch bei der Miliz gearbeitet habe. Er habe zahlreiche Formulare mitgenommen und sei ohne sich festzulegen gegangen. Sein Vater habe ihm danach geraten, diese Sache bleiben zu lassen, obwohl er 1.000 Dollar bekommen hätte. Im September 2001 sei es nachts zu einer Säuberungsaktion gekommen, bei der einige Personen festgenommen worden seien, darunter auch er. Sie hätten nach Alchasur Dasajew gesucht, ihn dabei auch gefasst und in einem anderen Zimmer verhört. Er - der Kläger - sei erniedrigt, beschimpft, geschlagen und nach Waffen befragt worden. Danach sei er mit 10 Leuten in eine Zelle gesperrt worden. Auch die drei Brüder D. seien bei ihm in der Zelle gewesen. Diese seien abgeholt, schwer misshandelt und dann wieder zurück in die Zelle gebracht worden. Ihn selbst habe man in Ruhe gelassen, weil er sich beim Treppensteigen die Rippen gebrochen habe. Drei Nächte habe er in dieser Zelle verbracht, dann habe ihn sein Vater freigekauft. In der Zeit danach habe er ein einigermaßen friedliches Leben geführt, im Garten und der Landwirtschaft gearbeitet und auch Kontakte zu seinen ehemaligen Kameraden aufrechterhalten. Am 12.12.2003 seien gegen 10.00 Uhr oder 11.00 Uhr vormittags zwei ehemalige Kameraden, Leibwächter von Dudajew, zu ihm nach Hause gekommen. Sie hätten ihn gebeten, ihr Motorrad mit Beiwagen zu verstecken, in dem sich vermutlich Utensilien zum Bau einer Bombe befunden hätten. Er habe nicht Nein sagen können. Nachmittags gegen 3.00 Uhr oder 4.00 Uhr habe er seine Frau zu seinen Schwiegereltern geschickt, weil er ein komisches Gefühl gehabt habe. Er habe an diesem Abend lange gewartet, aber seine Kameraden seien nicht zurückgekommen. Um 0.00 Uhr sei er ins Bett gegangen, gegen 3.00 Uhr oder 4.00 Uhr morgens seien die Militärs gekommen, einige maskiert, und hätten das Haus gestürmt. Ihn hätten sie verprügelt und festgenommen. Auch sein Vater und sein Bruder M. seien verprügelt worden, das Motorrad hätten sie beschlagnahmt. Wohin ihn die Militärs gebracht hätten, wisse er nicht, er sei dort in einer Zelle sieben bis acht Tage eingesperrt gewesen. Ca. 5 bis 6 Tage nach seiner Inhaftierung habe man ihn nach einer halbstündigen Fahrt an einen Ort, nicht weit von Schami-Jurt, einem Nachbardorf, gebracht. Dort habe er die beiden Freunde R. N. und H. Z. getroffen. Alle drei hätten sie Handschellen getragen und seien mit einer Video-Kamera aufgenommen worden, was wohl als Beweis dafür habe dienen sollen, dass sie an dieser Stelle hätten eine Bombe zünden wollen. Nachdem er 8 Tage beim Militär inhaftiert gewesen sei, habe man ihn für 15 Tage zur Miliz gebracht, bevor ihn sein Vater wiederum habe freikaufen können. Dies sei am 04.01.2004 vormittags gewesen. Am 05.01. habe ihn ein Cousin zu der Verwandtschaft seiner Frau für acht Tage nach Walerik gebracht, anschließend sei er noch ein paar Tage bei seiner Tante in Walerik geblieben. Vom 17.01. bis zum 20.01. habe er sich bei seinem Cousin in Atsch’Choi-Martan aufgehalten. Seine Ausreise habe sein Vater organisiert.
Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt bestätigte die Klägerin zu 2, dass der Kläger zu 1 am 12.12.2003 festgenommen worden sei. Sie sei nicht zu Hause gewesen, denn ihr Mann habe sie nachmittags zu ihren Eltern geschickt. Er sei dann am 04.01.2004 wieder freigekommen, nachdem ihn ihr Schwiegervater freigekauft habe. Weiter berichtete sie, dass der Kläger nicht immer zu Hause gewesen sei, sondern mal in Inguschetien und in Walerik gelebt habe. Vom September bis Dezember 2003 habe er in Inguschetien eine Wohnung gemietet gehabt, eigentlich schon von Juni ab, und sei dort in Nasran als Bauarbeiter beschäftigt gewesen.
Mit Bescheid vom 18.07.2005 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylanträge ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 des AufenthG nicht vorliegen. Außerdem wurden die Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Im Falle einer nicht freiwilligen Ausreise wurde ihre Abschiebung in die Russische Föderation oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet ist, angedroht. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Asylanerkennung gem. Art. 16 a Abs. 1 GG scheitere schon daran, dass die Kläger das Bundesgebiet auf dem Landweg erreicht hätten. Es bestünde aber auch kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG, denn die Kläger seien nicht individuell vorverfolgt ausgereist. Die vom Kläger vorgetragene Verfolgungsgeschichte sei nicht glaubhaft. Wenn es tatsächlich zugetroffen hätte, dass sich in dem bei ihm untergestellten Motorrad samt Beiwagen Utensilien für den Bau einer Bombe befunden hätten, wäre er mit Sicherheit von der russischen Armee nicht mehr auf freien Fuß gesetzt worden. Ein weiteres Indiz dafür, dass er nicht die Wahrheit gesagt habe, sei seine Aussage, wonach er im letzten Jahr von der Landwirtschaft gelebt habe, während seine Ehefrau angegeben habe, er sei von September bis Dezember 2003 in Inguschetien gewesen, habe dort eine Wohnung gemietet und sei einer Beschäftigung als Bauarbeiter nachgegangen. Offenbar habe er von Inguschetien aus seine Ausreise betrieben. Dass diese längerfristig geplant gewesen sei, beweise die Vielzahl der Unterlagen, besonders sein Schulzeugnis, das er mitgeführt habe. Seine Festnahme im Rahmen einer Säuberungsaktion im Jahr 2001 könne als wahr unterstellt werden, stehe jedoch nicht mehr im kausalen Zusammenhang mit der Ausreise. Nach seinen eigenen Angabe habe er danach längere Zeit unbehelligt leben können. Auch die allgemeine Lage in der russischen Teilrepublik Tschetschenien führe zu keiner anderen Einschätzung des Asylantrags. Es werde nicht verkannt, dass eine Rückkehr in die russische Teilrepublik Tschetschenien auf Grund der derzeitigen allgemeinen Lage den Ausländern nur schwerlich zugemutet werden könne. Die Kläger könnten ihren Aufenthalt aber in anderen Teilen der Russischen Föderation nehmen. Vor allem in Südrussland sei eine Registrierung und der für die Registrierung notwendige Wohnraum eher möglich als in den großen Städten, wie etwa in den Regionen Stawropol oder der Wolgaregion. Da die Familie nicht in das Blickfeld der russischen Sicherheitsorgane geraten sei und die Kläger somit auch nicht als potentielle Unterstützer der tschetschenischen Sache angesehen würden, sei eine Wohnsitznahme außerhalb Tschetscheniens durchaus möglich, wie vom Kläger bereits unter Beweis gestellt worden sei. Dieser könne durch Arbeiten am Bau oder durch Mitarbeit in der Landwirtschaft den Lebensunterhalt seiner Familie sicherstellen. Gründe für ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG seien ebenfalls nicht ersichtlich. Der schwierige Prozess des Wiederaufbaus einer funktionstüchtigen Wirtschaft habe in den neunziger Jahren zu einem sinkenden Lebensstandard und einer angespannten sozialen Lage in der Russischen Föderation geführt. Der 1999 einsetzende Wirtschaftsaufschwung habe eine allmähliche Verbesserung bewirkt. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sei vom Nahrungsmittelangebot her gewährleistet und es gebe staatliche Unterstützung, z.B. Sozialhilfe für bedürftige Personen auf sehr niedrigem Niveau (AA, Lagebericht vom 26.03.2004). Dieser Bescheid wurde den Klägern am 20.07.2005 zugestellt.
Bereits am 19.07.2005 haben die Kläger Klage erhoben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht haben sie am 05.10.2005 ihr Klagebegehren dahingehend beschränkt, dass sie nunmehr unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 18.07.2005 die Feststellung begehren, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind; hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG vorliegen, weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG gegeben sind.
Mit Urteil vom 05.10.2005 - A 11 K 11032/05 - hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe der Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Gericht sei davon überzeugt, dass die Kläger tschetschenische Volkszugehörige seien. Es habe zwar nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Kläger individuell vorverfolgt ausgereist seien, indessen sei die Kriegsführung der russischen Seite im und seit dem 2. Tschetschenienkrieg sowie die Übergriffe der in Tschetschenien stationierten russischen Streitkräfte und der pro-russischen Sicherheitskräfte zur Überzeugung des Gerichts gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung als Gruppenverfolgung zu bewerten, von der die in Tschetschenien verbliebene tschetschenische Bevölkerung betroffen sei. Auf eine inländische Fluchtalternative in den restlichen Gebieten der russischen Föderation könnten die Kläger nicht verwiesen werden, denn ihnen drohe im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens ebenfalls mit hinreichender Sicherheit politische Verfolgung, nämlich durch die in ihrem Fall zu erwartende Verweigerung der Registrierung und deren Folgen. Weder in Inguschetien, noch in Kabardino-Balkarien oder Krasnador und Stawropol sei hinreichend gewährleistet, dass die Kläger dort einen legalen Aufenthalt begründen könnten. Auch in den übrigen Teilen der Russischen Föderation könne nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Kläger eine Registrierung fänden, und dass sie ohne registriert zu sein, nicht in eine ausweglose Lage gerieten. Das Fehlen der Registrierung sperre den Zugang zum Gesundheits- und Schulwesen, zum freien Wohnungs- und in der Regel auch zum Arbeitsmarkt für unselbständige Tätigkeiten. Ein Aufenthalt in der Russischen Föderation, ohne registriert zu sein, sei generell geeignet, die Kläger aus der Rechtsgemeinschaft des Staates, auszugrenzen und in eine ausweglose Lage zu bringen. Eine solche Maßnahme sei asylerheblich. Ob den Klägern ein Leben in der Illegalität zumutbar sei, hänge von der Prognose über die zu erwartenden Folgen und Beeinträchtigungen ab. Maßgebend hierfür seien etwa die Vermögensverhältnisse des Betroffenen und seiner Familie und seine Fähigkeiten, etwa erlernte Berufe und bisherige Beschäftigungen sowie Kontakte zu ansässig gewordenen Tschetschenen, mittels denen der Betreffende seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Solche Besonderheiten seien für die gesamte Familie vorliegend nicht gegeben. Diese existenzielle Gefährdung sei auch verfolgungsbedingt, denn die Kläger hätten sich in Tschetschenien, wenn sie es nicht verfolgungsbedingt hätten verlassen müssen, weiterhin und wie bisher in dem vertrauten Umfeld ihrer Heimat mit dem Existenznotwendigen versorgen können.
Gegen das ihr am 17.10.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19.10.2005 beim Verwaltungsgericht die Zulassung der Berufung beantragt.
Mit Beschluss vom 11.01.2006 - A 3 S 990/05 - hat der Senat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der (Tatsachen)Frage zugelassen, ob tschetschenische Volkszugehörige in Tschetschenien einer Gruppenverfolgung unterliegen und ob für sie in den restlichen Gebieten der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative besteht. Der Beschluss ist der Beklagten am 19.01.2006 zugestellt worden.
10 
Am 07.02.2006 hat die Beklagte die Berufung begründet, in dem sie auf die Ausführungen in der Antragsschrift auf Zulassung der Berufung vom 19.10.2005 sowie auf die Ausführungen im Zulassungsbeschluss vom 11.01.2006 verwiesen hat.
11 
Die Beklagte beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05.10.2005 - A 11 K 11032/05 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
13 
Die Kläger beantragen,
14 
die Berufung zurückzuweisen,
15 
hilfsweise, zusätzlich festzustellen, dass die Voraussetzungen des Art. 15 c RL 2004/83/EG vorliegen.
16 
Zur Begründung beziehen sie sich auf die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts.
17 
In der mündlichen Verhandlung ist der Kläger zu den Gründen seines Asylantrags angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die darüber gefertigte Niederschrift verwiesen.
18 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Behördenakten und die Erkenntnismittel, aufgelistet in der den Beteiligten mit Schreiben vom 28.09.2006 übermittelten Erkenntnisquellenliste Russische Föderation (Stand: 28.09.2006) sowie die Gerichts- und Behördenakten im Verfahren der Tochter der Kläger zu 1 und 2 (- A 3 S 48/06 -). Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung, ebenso wie der Bericht von MEMORIAL „Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation, Juli 2005 bis Juli 2006“.

Entscheidungsgründe

 
I.
19 
Die Berufung des Beklagten ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 3, Abs. 3 Satz 4 VwGO erfüllt, wonach die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Berufungsgründe enthalten muss. Welche Mindestanforderungen danach an die Berufungsbegründung zu stellen sind, hängt wesentlich von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Das gesetzliche Erfordernis der Einreichung eines Schriftsatzes zur Berufungsbegründung kann grundsätzlich auch eine auf die erfolgreiche Begründung des Zulassungsantrags verweisende Begründung erfüllen, wenn damit hinreichend zum Ausdruck gebracht werden kann, dass und weshalb das erstinstanzliche Urteil weiterhin angefochten wird. In asylrechtlichen Streitigkeiten genügt eine Berufungsbegründung den Anforderungen des § 124 a Abs. 6 VwGO regelmäßig etwa dann, wenn sie zu einer entscheidungserheblichen Frage ihre von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich macht, was auch durch die Bezugnahme auf die Begründung des insoweit erfolgreichen Zulassungsantrags und auf den Zulassungsbeschluss geschehen kann (st. Rechtspr. des BVerwG, z.B. Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - ; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.11.1997 - A 16 S 193/97 -, NVwZ 1998, 1089 f.). Dem wird die auf den Berufungszulassungsantrag sowie den Zulassungsbeschluss des erkennenden Senats verweisende Berufungsbegründung der Beklagten vom 02.02.2006 gerecht.
II.
20 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind und daher auch zu Unrecht den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Den Klägern steht nämlich der mit der Berufung weiterverfolgte Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu, und die Beklagte kann auch nicht zur (hilfsweise beantragten) Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG, § 60 Abs. 7 AufenthG und Art. 15 c RL 2004/83/EG verpflichtet werden (siehe § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
1. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (Abkommen vom 28.07.1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge, BGBl. 1953 II, S. 559 - GFK -) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Nach Satz 4 dieser Bestimmung kann eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 ausgehen vom Staat selbst, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatliche Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten; dies gilt nach der gesetzlichen Regelung unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Eine Verfolgung liegt vor, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an eines der genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (siehe grundsätzlich: BVerfG, Urteil vom 10.07.1989 - 2 BvR 502, 1000 und 961/86 -, BVerfGE 80, 315, S. 339 und Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Stand Oktober 2006, RdNr. 41 zu § 60 AufenthG).
22 
Bei Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG ist die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004, ABl. vom 30.09.2004 L 304/12 (Qualifikationsrichtlinie) zu berücksichtigen, denn am 10.10.2006 ist gemäß Art. 38 Abs. 1 RL 2004/83/EG die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie abgelaufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kommt nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien im Recht der Mitgliedstaaten eine unmittelbare Wirkung zu, wenn die Richtlinie von ihrem Inhalt her unbedingt und hinreichend bestimmt ist, um im Einzelfall angewandt zu werden, und sie dem Einzelnen subjektiv-öffentliche Rechte einräumt oder jedenfalls seine rechtlichen Interessen schützen will (vgl. EuGH, Urteile vom 05.04.1979 - Rs. 148/78 - , Slg. 1979, 1629 Rn. 23; Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Kommentar, 2. Aufl. (2002), Art. 249 EGV RdNr. 73 ff.). Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Qualifikationsrichtlinie vor; die darin enthaltenen Regelungen erfüllen zum ganz überwiegenden Teil diese Voraussetzungen. Dies hat zur Folge, dass die nationalen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Richtlinienbestimmung richtlinienkonform auszulegen sind, und im Falle des Entgegenstehens der nationalen Bestimmung die Richtlinienbestimmung unmittelbare Anwendung findet (vgl. auch Hinweise des Bundesministerium des Innern vom 13.09.2006 zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG, S. 2 - künftig: Hinweise des BMI -). Hierbei sind die Anforderungen an die Verfolgungsmotivation und an die in Betracht kommenden (staatlichen und nichtstaatlichen) Verfolgungssubjekte in der RL 2004/83/EG und in dem ihr insoweit nachgebildeten § 60 Abs. 1 AufenthG deckungsgleich geregelt.
23 
Ob und inwieweit sich bei anderen Verfolgungsmerkmalen Abweichungen bei den Voraussetzungen und beim Verfolgungsmaßstab zwischen § 60 Abs. 1 AufenthG und der RL 2004/83/EG ergeben könnten, kann der Senat weitgehend offen lassen. Denn auch wenn von der für die Kläger jeweils günstigsten tatsächlichen und rechtlichen Konstellation hinsichtlich einer Vorverfolgung in Tschetschenien vor der Ausreise ausgegangen wird (dazu 1.) und der Senat zudem auch ihre Verfolgung in Tschetschenien im Falle der Rückkehr unterstellt , können sie Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AuslG und nach der RL 2004/83/EG jedenfalls deswegen nicht erhalten, weil ihnen jedenfalls eine inländische Fluchtalternative i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG bzw. interner Schutz im Sinne von Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie in Gebieten außerhalb Tschetscheniens zur Verfügung steht (dazu 2.).
24 
1. Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kommt nach nationalem Recht wie nach der RL 2004/83/EG ein herabgestufter Verfolgungsmaßstab zugute. Nach nationalem Recht kann ihm eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. BVerwGE 70, 169 <170 f.>). Nach diesem Maßstab wird nicht verlangt, dass die Gefahr erneuter Übergriffe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist - über die theoretische Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden, hinaus - erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.1992 - 9 C 62/91 -, NVwZ 1993 S. 191). Dem entspricht im Ergebnis Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, wonach die Tatsache einer bereits eingetretenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung als ernsthafter Hinweis darauf zu werten ist, dass die Furcht des Schutzsuchenden vor Verfolgung begründet ist.
25 
Der Senat unterstellt zugunsten der Kläger, dass sie vor der Ausreise aus Tschetschenien dort von einer derartigen Verfolgung in Form einer regionalen Gruppenverfolgung betroffen waren. Ob dies tatsächlich der Fall war - ob mithin tschetschenische Volkszugehörige aus Tschetschenien dort aus asylerheblichen Gründen (wegen ihres Volkstums oder ihrer politischen Überzeugung) in der erforderlichen Verfolgungsdichte und -intensität von staatlichen russischen Stellen verfolgt wurden - braucht demgemäß nicht entschieden zu werden. Allerdings folgt der Senat dem Verwaltungsgericht darin, dass die Kläger jedenfalls eine individuelle Vorverfolgung nicht belegen können. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann zunächst auf die überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu verwiesen werden. Auch der Senat hat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger jedenfalls hinsichtlich des Vorfalls im Jahre 2003, der Auslöser für seine Flucht gewesen sein soll, von Geschehnissen berichtet hat, die er nicht selbst erlebt hat. Zu oberflächlich und unbeteiligt geriet seine Schilderung. Auch soweit er erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat von sexuellen Erniedrigungen und Demütigungen berichtet hat, zeigte er keine Emotionen und vermittelte dem Senat einen durchweg unbeteiligten Eindruck. Hinzu kommt, dass es sich hierbei um eine deutliche Steigerung seines Vorbringens handelt, und er nicht plausibel erklären konnte, weshalb er diese Geschehnisse nicht bereits bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt oder dem Verwaltungsgericht offenbart hat. Seine Einlassung auf den Vorhalt des Gerichts, es sei ihm schwer gefallen, die sexuellen Demütigungen und Erniedrigungen einem Richter gegenüber zu bekunden, weil es sich bei den Soldaten ja um Männer gehandelt habe, überzeugen den Senat schon deshalb nicht, weil der Kläger sich in einer Art und Weise geäußert hat, die eine wirkliche Betroffenheit vermissen ließ.
26 
2. Auf der Grundlage der (unterstellten) (Gruppen-) Vorverfolgung der Kläger wäre ein Anspruch auf Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG dann gegeben, wenn sie zum einen auch bei einer Rückkehr nach Tschetschenien wegen ihrer tschetschenischen Volkszugehörigkeit einer (regionalen) Gruppenverfolgung - mit der erforderlichen Verfolgungsmotivation und Verfolgungsdichte - unterlägen, wobei sie sich auf einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab berufen könnten, und wenn ihnen zum anderen eine zumutbare inländische Flüchtalternative in anderen Landesteilen Russlands nicht zur Verfügung stünde. Ob die erstgenannte Voraussetzung (Gruppenverfolgung in Tschetschenien, hinreichende Sicherheit) gegeben ist, braucht der Senat ebenfalls nicht zu entscheiden. Denn auch wenn er diesen Verfolgungssachverhalt zu Gunsten der Kläger unterstellt, können sich die Kläger jedenfalls an einen Ort innerhalb der Russischen Föderation begeben, an dem sie eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG nach Maßgabe der Auslegungskriterien nach Art. 8 RL 2004/83/EG (interner Schutz) finden können.
27 
a) Gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) können die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht, und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Gemäß Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG berücksichtigen die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Art. 8 RL 2004/83/EG ermächtigt die Mitgliedsstaaten zunächst grundsätzlich, den internationalen Schutz einzuschränken, wenn die betreffende Person in einem Teil des Herkunftslandes unter zumutbaren Umständen Schutz vor Verfolgung gefunden hat oder findet. Wie Art. 1 Nr. 38 a) bb) und cc) des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (Stand: 13.03.2006) zeigt, werden diese Vorgaben in der Neufassung des § 60 Abs. 1 AufenthG aufgegriffen und umgesetzt.
28 
Nach Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG kommt es nunmehr auf die am Ort des internen Schutzes bestehenden „allgemeinen Gegebenheiten“ und zusätzlich auch auf die „persönlichen Umstände“ des Asylsuchenden im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag an (so auch die Begründung des oben genannten Gesetz-Entwurfs zu Art. 1, Nr. 38 zur Auslegung von Art. 8 RL 2004/83/EG, S. 193 f.). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2004/83/EG zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist , dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben.
29 
Dies entspricht im Kern der geltenden Rechtsprechung zu den Mindestanforderungen einer inländischen Fluchtalternative. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierbei auch bisher schon die individuellen Umstände des Asylsuchenden in den Blick genommen. So hat es eine inländische Fluchtalternative beispielsweise dann verneint, wenn für einen vorverfolgten Flüchtling am Zufluchtsort das wirtschaftliche Existenzminimum wegen in seiner Person liegender Merkmale - etwa wegen Behinderung oder wegen hohen Alters - nicht gewährleistet ist oder wenn der Vorverfolgte am Ort der Fluchtalternative keine Verwandten oder Freunde hat, bei denen er Obdach oder Unterstützung finden könnte, und ohne eine solche Unterstützung dort kein Leben über dem Existenzminimum möglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1993 - 9 C 45.92 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166). In einer neuen Entscheidung hat sich das Bundesverwaltungsgericht ferner mit der Frage auseinandergesetzt, was dem Betroffenen am Ort der Fluchtalternative an Tätigkeiten zumutbar ist, um seinen Lebensunterhalt zu sichern (Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - ) und hat damit Erwägungen angestellt, die auch den Anforderungen des Art. 8 RL 2004/83/EG Rechnung tragen. Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, denen der Senat folgt, bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich dann, wenn sie dort - was grundsätzlich zumutbar ist - durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer "Schatten- oder Nischenwirtschaft" stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen „mafiöser“ Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 17.05.2005 - 1 B 100/05 - ). Maßgeblich ist grundsätzlich auch nicht, ob der Staat den Flüchtlingen einen durchgehend legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde, vielmehr ist in tatsächlicher Hinsicht zu fragen, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - a.a.O.; a.A. OVG Magdeburg, Urteil v. 31.03.2006 - 2 L 40/06 - , d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit aufgebracht werden können.
30 
b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist es den Klägern - nach der gegenwärtigen Sachlage (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG sowie Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG) - zuzumuten und kann von ihnen daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass sie ihren Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nehmen, an dem sie vor Verfolgung sicher sind und wo ihr soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist. Selbst wenn dabei mit dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A - ) und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Bay.VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597 - ) die Regionen Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Krasnodar und Stawropol als Orte/Räume einer inländischen Fluchtalternative ebenso ausgenommen werden wie die russische Hauptstadt Moskau und Petersburg, hat zumindest die Klägerin zu 2 gegenwärtig die Möglichkeit, in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands eine Registrierung zu erhalten und mit ihrer Registrierung für die ganze Familie das soziale und wirtschaftliche Existenzminimum zu sichern, denn sie verfügt über einen neuen gültigen russischen Inlandspass, der u.a. Voraussetzung für eine Registrierung ist. Hierzu ist im Einzelnen folgendes auszuführen:
31 
Art. 27 der russischen Verfassung von 1993 garantiert zwar die Niederlassungsfreiheit. Dieses Recht ist indessen strikt begrenzt durch regionale und lokale Bestimmungen und durch das de facto vielerorts noch gültige Propiska-System, das vor dem mit dem Föderationsgesetz im Jahre 1993 eingeführten Registrierungssystem galt und das nicht nur eine Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vorsah. Nach dem Registrierungssystem ist nunmehr Voraussetzung für eine dauerhafte Registrierung, dass der Antragsteller einen Wohnraumnachweis führen kann und über einen russischen Inlandspass verfügt. Ein in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht für eine dauerhafte Registrierung nicht aus (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26). Trotz der Systemumstellung durch das Föderationsgesetz wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an, weshalb Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens erhebliche Schwierigkeiten haben, eine offizielle Registrierung zu erhalten. Besonders in Moskau haben zurückgeführte Tschetschenen in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt Aufnahme zu finden, wenn sie über genügend Geld verfügen oder auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können. Hierbei haben sich die administrativen Schwierigkeiten und auch die Behördenwillkür nach der Geiselnahme im Oktober 2002 gegenüber - besonderes auch rückkehrenden - Tschetschenen verstärkt; daran dürfte sich auf absehbare Zeit angesichts der weiterhin fortbestehenden Terrorgefahr auch nichts ändern (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26).
32 
Die genannten Registrierungsvoraussetzungen gelten im ganzen Land. Gleichwohl ist eine offizielle Registrierung in anderen Regionen der Russischen Föderation, vor allem in Südrussland, grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil Wohnraum - eine der Registrierungsvoraussetzungen - dort erheblich billiger ist als in der russischen Hauptstadt mit ihren hohen Mieten. Neben Moskau, wo etwa 200.000 Tschetschenen leben und den oben genannten, als Ort des internen Schutzes möglicherweise nicht in Betracht kommenden Regionen, ist es Tschetschenen auch gelungen, sich im Gebiet Rostow (70.000), in der Wolgaregion (50.000), in Nordossetien (4.000) und in Karatschajewo-Tscherkessien (23.000) anzusiedeln (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 18).
33 
c) Zur Überzeugung des Senats wird es auch der Klägerin zu 2, die im Besitz eines neuen gültigen russischen Inlandspasses ist, gelingen, in diesen tschetschenischen Siedlungsgebieten Wohnraum für sich und ihre Familie zu erlangen und damit grundsätzlich die geforderten Rechtsvoraussetzungen für eine Registrierung zu erfüllen. Im Hinblick auf die Möglichkeit, eine Registrierung zu erhalten bzw. ohne eine solche zu leben, führt MEMORIAL in seinem Schreiben vom 16.10.2005 allerdings aus, dass es sich auch an kleinen Orten nicht ohne Registrierung leben lasse, denn diese werde an jedem Ort benötigt. Hinzu komme, dass in kleinen Ortschaften alles sichtbar sei und man nicht „mit der großen Masse verschmelzen“ könne. Der Senat geht gleichwohl nicht davon aus, dass die Klägerin zu 2 an einem solchen Ort ohne Registrierung wird leben müssen. Trotz aller Schwierigkeiten, vor die sich die Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe bei Registrierungen gestellt sehen, ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eine Registrierung in vielen Landesteilen möglich, wenn auch oft erst nach Intervention von Nicht-Regierungsorganisationen, Duma-Abgeordneten oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten oder durch Bestechung (Lagebericht des AA vom 18.08.2006, Stand Juli 2006, S. 27). Bei ihren diesbezüglichen Bemühungen kann die Klägerin zu 2 auch auf die Unterstützung ihres Ehemannes zählen. Auch wenn dieser selbst über keinen gültigen Inlandspass verfügt und damit die Registrierungsvoraussetzungen für seine Person nicht erfüllt, wird es ihm gelingen, in der stark männlich dominierten tschetschenischen Diaspora Wohnraum zu organisieren und für sich selbst - auch ohne eigene Registrierung (dazu sogleich) - zumindest in der so genannten „Schattenwirtschaft“ eine Arbeit zu finden, die es ihm ermöglicht, das wirtschaftliche Existenzminimum für sich und seine Familie zu sichern. Darauf, ob er sich selbst registrieren lassen kann - wofür mangels eines gültigen Passes wenig spricht - und ob es ihm zumutbar wäre, zunächst nach Tschetschenien zurückzukehren, um sich einen neuen Pass zu beschaffen (dazu AA vom 22.11.2005 an VG Berlin), kommt es vorliegend nicht an. Denn für ihn als Angehörigen einer grundsätzlich registrierungsberechtigten Ehefrau ist auch ohne gültigen Pass eine Aufenthaltsnahme in einer als Ort des internen Schutzes in Betracht kommenden anderen Region der Russischen Föderation möglich und zumutbar (vgl. hierzu auch Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A- Nr. 53 des Dokuments; für den Fall eines 35jährigen allein stehenden Mannes).
34 
Der Senat verkennt nicht, dass die Konsequenzen einer Nichtregistrierung gravierend sind und Rechtspositionen sowie eine Reihe sozialer Leistungen von der Registrierung abhängen, so das Recht auf Beschäftigung, auf medizinische Versorgung und Ausbildung. Gleichwohl werden sich die Kläger nach den besonderen Umständen des Falles in den Zufluchtgebieten mit zumutbaren Anstrengungen eine ausreichende Lebensgrundlage schaffen können ( zu den generellen Verhältnissen nicht registrierter Tschetschenen vgl. zuletzt AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 27). Entscheidend ist, dass die Klägerin zu 2 über einen gültigen russischen Inlandspass verfügt. Damit wird es ihr nach Einschätzung des Senats möglich sein, in der Russischen Föderation - außerhalb der oben angeführten Regionen, die als Orte des internen Schutzes nicht in Betracht kommen - eine Registrierung zu erhalten. Jedenfalls auf Grundlage dieser Registrierung wird es den Klägern im Familienverbund gelingen, sich durch eine Tätigkeit des Klägers in der in der Russischen Föderation weit verbreiteten sog. „Schattenwirtschaft“ eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen. Der Kläger ist ersichtlich gesund und zu körperlicher Arbeit in der Lage. Er hat auch bereits in der Landwirtschaft gearbeitet und beim Bau mitgeholfen. Darauf, ob der Familie auch ohne Registrierung „vernünftigerweise“ angesonnen werden könnte, sich in einer der Zufluchtsregionen aufzuhalten - laut MEMORIAL („Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation, Juli 2005 bis Juli 2006“, S. 35) ist seit Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 122 der Empfang von staatlichen Unterstützungsgeldern und Renten bei fehlender Registrierung nicht möglich und wird der Besuch des Kindergartens und manchmal sogar der Schulbesuch erschwert - kommt es nicht an.
III.
35 
Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG vor, wobei für die Auslegung Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 RL 2004/83/EG jeweils heranzuziehen sind (vgl. Hinweise des BMI, S.15). Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern bei einer Rückkehr in die Russische Föderation Folter (§ 60 Abs. 2 AufenthG), die Todesstrafe (§ 60 Abs. 3 AufenthG) oder insbesondere eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 der EMRK (§ 60 Abs. 5 AufenthG) droht. Art. 2 e RL 2004/83/EG definiert die „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ als Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der bei einer Rückkehr Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie zu erleiden. Auch für diese Personen sieht Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG vor, dass für sie - falls sie bereits vor ihrer Ausreise einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten haben -, der herab gestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab Anwendung findet. Auch wenn der Senat dessen Vorliegen auch hier bei den Klägern unterstellt, scheidet ein Anspruch aus den oben genannten Gründen aus.
36 
Auch für eine Schutzgewährung nach § 60 Abs. 7 AufenthG gilt entsprechendes. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Mit Blick auf die Qualifikationsrichtlinie ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt ist. Bei der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG gelten Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 der Richtlinie 2004/83/EG. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Hinblick auf die Tatsache, dass die Umsetzungsfrist für die Qualifikationsrichtlinie mittlerweile abgelaufen ist, hilfsweise beantragt haben, zusätzlich festzustellen, dass die Voraussetzungen des Art. 15 c RL 2004/83/EG vorliegen, können sie damit gleichfalls nicht durchdringen, denn Art. 15 c RL 2004/83/EG ist ein Unterfall des § 60 Abs. 7 AufenthG und regelt die subsidiäre Schutzgewährung in Fällen willkürlicher Gewalt im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall auf die Situation in Tschetschenien zutreffen, kann dahinstehen, denn auch hier gilt, dass den Klägern nach den obigen Ausführungen eine zumutbare interne Schutzalternative zur Verfügung steht, diese auch erreichbar ist und von ihnen vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich dort aufhalten.
IV.
37 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
38 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist. Insbesondere kommt es auf die Frage, ob (und welche) tschetschenische Volkszugehörige in Tschetschenien einer (regionalen) Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht an.

Gründe

 
I.
19 
Die Berufung des Beklagten ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 3, Abs. 3 Satz 4 VwGO erfüllt, wonach die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Berufungsgründe enthalten muss. Welche Mindestanforderungen danach an die Berufungsbegründung zu stellen sind, hängt wesentlich von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Das gesetzliche Erfordernis der Einreichung eines Schriftsatzes zur Berufungsbegründung kann grundsätzlich auch eine auf die erfolgreiche Begründung des Zulassungsantrags verweisende Begründung erfüllen, wenn damit hinreichend zum Ausdruck gebracht werden kann, dass und weshalb das erstinstanzliche Urteil weiterhin angefochten wird. In asylrechtlichen Streitigkeiten genügt eine Berufungsbegründung den Anforderungen des § 124 a Abs. 6 VwGO regelmäßig etwa dann, wenn sie zu einer entscheidungserheblichen Frage ihre von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich macht, was auch durch die Bezugnahme auf die Begründung des insoweit erfolgreichen Zulassungsantrags und auf den Zulassungsbeschluss geschehen kann (st. Rechtspr. des BVerwG, z.B. Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - ; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.11.1997 - A 16 S 193/97 -, NVwZ 1998, 1089 f.). Dem wird die auf den Berufungszulassungsantrag sowie den Zulassungsbeschluss des erkennenden Senats verweisende Berufungsbegründung der Beklagten vom 02.02.2006 gerecht.
II.
20 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind und daher auch zu Unrecht den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Den Klägern steht nämlich der mit der Berufung weiterverfolgte Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu, und die Beklagte kann auch nicht zur (hilfsweise beantragten) Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG, § 60 Abs. 7 AufenthG und Art. 15 c RL 2004/83/EG verpflichtet werden (siehe § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
1. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (Abkommen vom 28.07.1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge, BGBl. 1953 II, S. 559 - GFK -) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Nach Satz 4 dieser Bestimmung kann eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 ausgehen vom Staat selbst, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatliche Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten; dies gilt nach der gesetzlichen Regelung unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Eine Verfolgung liegt vor, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an eines der genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (siehe grundsätzlich: BVerfG, Urteil vom 10.07.1989 - 2 BvR 502, 1000 und 961/86 -, BVerfGE 80, 315, S. 339 und Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Stand Oktober 2006, RdNr. 41 zu § 60 AufenthG).
22 
Bei Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG ist die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004, ABl. vom 30.09.2004 L 304/12 (Qualifikationsrichtlinie) zu berücksichtigen, denn am 10.10.2006 ist gemäß Art. 38 Abs. 1 RL 2004/83/EG die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie abgelaufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kommt nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien im Recht der Mitgliedstaaten eine unmittelbare Wirkung zu, wenn die Richtlinie von ihrem Inhalt her unbedingt und hinreichend bestimmt ist, um im Einzelfall angewandt zu werden, und sie dem Einzelnen subjektiv-öffentliche Rechte einräumt oder jedenfalls seine rechtlichen Interessen schützen will (vgl. EuGH, Urteile vom 05.04.1979 - Rs. 148/78 - , Slg. 1979, 1629 Rn. 23; Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Kommentar, 2. Aufl. (2002), Art. 249 EGV RdNr. 73 ff.). Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Qualifikationsrichtlinie vor; die darin enthaltenen Regelungen erfüllen zum ganz überwiegenden Teil diese Voraussetzungen. Dies hat zur Folge, dass die nationalen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Richtlinienbestimmung richtlinienkonform auszulegen sind, und im Falle des Entgegenstehens der nationalen Bestimmung die Richtlinienbestimmung unmittelbare Anwendung findet (vgl. auch Hinweise des Bundesministerium des Innern vom 13.09.2006 zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG, S. 2 - künftig: Hinweise des BMI -). Hierbei sind die Anforderungen an die Verfolgungsmotivation und an die in Betracht kommenden (staatlichen und nichtstaatlichen) Verfolgungssubjekte in der RL 2004/83/EG und in dem ihr insoweit nachgebildeten § 60 Abs. 1 AufenthG deckungsgleich geregelt.
23 
Ob und inwieweit sich bei anderen Verfolgungsmerkmalen Abweichungen bei den Voraussetzungen und beim Verfolgungsmaßstab zwischen § 60 Abs. 1 AufenthG und der RL 2004/83/EG ergeben könnten, kann der Senat weitgehend offen lassen. Denn auch wenn von der für die Kläger jeweils günstigsten tatsächlichen und rechtlichen Konstellation hinsichtlich einer Vorverfolgung in Tschetschenien vor der Ausreise ausgegangen wird (dazu 1.) und der Senat zudem auch ihre Verfolgung in Tschetschenien im Falle der Rückkehr unterstellt , können sie Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AuslG und nach der RL 2004/83/EG jedenfalls deswegen nicht erhalten, weil ihnen jedenfalls eine inländische Fluchtalternative i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG bzw. interner Schutz im Sinne von Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie in Gebieten außerhalb Tschetscheniens zur Verfügung steht (dazu 2.).
24 
1. Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kommt nach nationalem Recht wie nach der RL 2004/83/EG ein herabgestufter Verfolgungsmaßstab zugute. Nach nationalem Recht kann ihm eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. BVerwGE 70, 169 <170 f.>). Nach diesem Maßstab wird nicht verlangt, dass die Gefahr erneuter Übergriffe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist - über die theoretische Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden, hinaus - erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.1992 - 9 C 62/91 -, NVwZ 1993 S. 191). Dem entspricht im Ergebnis Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, wonach die Tatsache einer bereits eingetretenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung als ernsthafter Hinweis darauf zu werten ist, dass die Furcht des Schutzsuchenden vor Verfolgung begründet ist.
25 
Der Senat unterstellt zugunsten der Kläger, dass sie vor der Ausreise aus Tschetschenien dort von einer derartigen Verfolgung in Form einer regionalen Gruppenverfolgung betroffen waren. Ob dies tatsächlich der Fall war - ob mithin tschetschenische Volkszugehörige aus Tschetschenien dort aus asylerheblichen Gründen (wegen ihres Volkstums oder ihrer politischen Überzeugung) in der erforderlichen Verfolgungsdichte und -intensität von staatlichen russischen Stellen verfolgt wurden - braucht demgemäß nicht entschieden zu werden. Allerdings folgt der Senat dem Verwaltungsgericht darin, dass die Kläger jedenfalls eine individuelle Vorverfolgung nicht belegen können. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann zunächst auf die überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu verwiesen werden. Auch der Senat hat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger jedenfalls hinsichtlich des Vorfalls im Jahre 2003, der Auslöser für seine Flucht gewesen sein soll, von Geschehnissen berichtet hat, die er nicht selbst erlebt hat. Zu oberflächlich und unbeteiligt geriet seine Schilderung. Auch soweit er erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat von sexuellen Erniedrigungen und Demütigungen berichtet hat, zeigte er keine Emotionen und vermittelte dem Senat einen durchweg unbeteiligten Eindruck. Hinzu kommt, dass es sich hierbei um eine deutliche Steigerung seines Vorbringens handelt, und er nicht plausibel erklären konnte, weshalb er diese Geschehnisse nicht bereits bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt oder dem Verwaltungsgericht offenbart hat. Seine Einlassung auf den Vorhalt des Gerichts, es sei ihm schwer gefallen, die sexuellen Demütigungen und Erniedrigungen einem Richter gegenüber zu bekunden, weil es sich bei den Soldaten ja um Männer gehandelt habe, überzeugen den Senat schon deshalb nicht, weil der Kläger sich in einer Art und Weise geäußert hat, die eine wirkliche Betroffenheit vermissen ließ.
26 
2. Auf der Grundlage der (unterstellten) (Gruppen-) Vorverfolgung der Kläger wäre ein Anspruch auf Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG dann gegeben, wenn sie zum einen auch bei einer Rückkehr nach Tschetschenien wegen ihrer tschetschenischen Volkszugehörigkeit einer (regionalen) Gruppenverfolgung - mit der erforderlichen Verfolgungsmotivation und Verfolgungsdichte - unterlägen, wobei sie sich auf einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab berufen könnten, und wenn ihnen zum anderen eine zumutbare inländische Flüchtalternative in anderen Landesteilen Russlands nicht zur Verfügung stünde. Ob die erstgenannte Voraussetzung (Gruppenverfolgung in Tschetschenien, hinreichende Sicherheit) gegeben ist, braucht der Senat ebenfalls nicht zu entscheiden. Denn auch wenn er diesen Verfolgungssachverhalt zu Gunsten der Kläger unterstellt, können sich die Kläger jedenfalls an einen Ort innerhalb der Russischen Föderation begeben, an dem sie eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG nach Maßgabe der Auslegungskriterien nach Art. 8 RL 2004/83/EG (interner Schutz) finden können.
27 
a) Gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) können die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht, und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Gemäß Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG berücksichtigen die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Art. 8 RL 2004/83/EG ermächtigt die Mitgliedsstaaten zunächst grundsätzlich, den internationalen Schutz einzuschränken, wenn die betreffende Person in einem Teil des Herkunftslandes unter zumutbaren Umständen Schutz vor Verfolgung gefunden hat oder findet. Wie Art. 1 Nr. 38 a) bb) und cc) des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (Stand: 13.03.2006) zeigt, werden diese Vorgaben in der Neufassung des § 60 Abs. 1 AufenthG aufgegriffen und umgesetzt.
28 
Nach Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG kommt es nunmehr auf die am Ort des internen Schutzes bestehenden „allgemeinen Gegebenheiten“ und zusätzlich auch auf die „persönlichen Umstände“ des Asylsuchenden im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag an (so auch die Begründung des oben genannten Gesetz-Entwurfs zu Art. 1, Nr. 38 zur Auslegung von Art. 8 RL 2004/83/EG, S. 193 f.). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2004/83/EG zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist , dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben.
29 
Dies entspricht im Kern der geltenden Rechtsprechung zu den Mindestanforderungen einer inländischen Fluchtalternative. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierbei auch bisher schon die individuellen Umstände des Asylsuchenden in den Blick genommen. So hat es eine inländische Fluchtalternative beispielsweise dann verneint, wenn für einen vorverfolgten Flüchtling am Zufluchtsort das wirtschaftliche Existenzminimum wegen in seiner Person liegender Merkmale - etwa wegen Behinderung oder wegen hohen Alters - nicht gewährleistet ist oder wenn der Vorverfolgte am Ort der Fluchtalternative keine Verwandten oder Freunde hat, bei denen er Obdach oder Unterstützung finden könnte, und ohne eine solche Unterstützung dort kein Leben über dem Existenzminimum möglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1993 - 9 C 45.92 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166). In einer neuen Entscheidung hat sich das Bundesverwaltungsgericht ferner mit der Frage auseinandergesetzt, was dem Betroffenen am Ort der Fluchtalternative an Tätigkeiten zumutbar ist, um seinen Lebensunterhalt zu sichern (Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - ) und hat damit Erwägungen angestellt, die auch den Anforderungen des Art. 8 RL 2004/83/EG Rechnung tragen. Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, denen der Senat folgt, bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich dann, wenn sie dort - was grundsätzlich zumutbar ist - durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer "Schatten- oder Nischenwirtschaft" stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen „mafiöser“ Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 17.05.2005 - 1 B 100/05 - ). Maßgeblich ist grundsätzlich auch nicht, ob der Staat den Flüchtlingen einen durchgehend legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde, vielmehr ist in tatsächlicher Hinsicht zu fragen, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - a.a.O.; a.A. OVG Magdeburg, Urteil v. 31.03.2006 - 2 L 40/06 - , d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit aufgebracht werden können.
30 
b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist es den Klägern - nach der gegenwärtigen Sachlage (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG sowie Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG) - zuzumuten und kann von ihnen daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass sie ihren Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nehmen, an dem sie vor Verfolgung sicher sind und wo ihr soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist. Selbst wenn dabei mit dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A - ) und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Bay.VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597 - ) die Regionen Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Krasnodar und Stawropol als Orte/Räume einer inländischen Fluchtalternative ebenso ausgenommen werden wie die russische Hauptstadt Moskau und Petersburg, hat zumindest die Klägerin zu 2 gegenwärtig die Möglichkeit, in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands eine Registrierung zu erhalten und mit ihrer Registrierung für die ganze Familie das soziale und wirtschaftliche Existenzminimum zu sichern, denn sie verfügt über einen neuen gültigen russischen Inlandspass, der u.a. Voraussetzung für eine Registrierung ist. Hierzu ist im Einzelnen folgendes auszuführen:
31 
Art. 27 der russischen Verfassung von 1993 garantiert zwar die Niederlassungsfreiheit. Dieses Recht ist indessen strikt begrenzt durch regionale und lokale Bestimmungen und durch das de facto vielerorts noch gültige Propiska-System, das vor dem mit dem Föderationsgesetz im Jahre 1993 eingeführten Registrierungssystem galt und das nicht nur eine Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vorsah. Nach dem Registrierungssystem ist nunmehr Voraussetzung für eine dauerhafte Registrierung, dass der Antragsteller einen Wohnraumnachweis führen kann und über einen russischen Inlandspass verfügt. Ein in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht für eine dauerhafte Registrierung nicht aus (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26). Trotz der Systemumstellung durch das Föderationsgesetz wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an, weshalb Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens erhebliche Schwierigkeiten haben, eine offizielle Registrierung zu erhalten. Besonders in Moskau haben zurückgeführte Tschetschenen in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt Aufnahme zu finden, wenn sie über genügend Geld verfügen oder auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können. Hierbei haben sich die administrativen Schwierigkeiten und auch die Behördenwillkür nach der Geiselnahme im Oktober 2002 gegenüber - besonderes auch rückkehrenden - Tschetschenen verstärkt; daran dürfte sich auf absehbare Zeit angesichts der weiterhin fortbestehenden Terrorgefahr auch nichts ändern (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26).
32 
Die genannten Registrierungsvoraussetzungen gelten im ganzen Land. Gleichwohl ist eine offizielle Registrierung in anderen Regionen der Russischen Föderation, vor allem in Südrussland, grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil Wohnraum - eine der Registrierungsvoraussetzungen - dort erheblich billiger ist als in der russischen Hauptstadt mit ihren hohen Mieten. Neben Moskau, wo etwa 200.000 Tschetschenen leben und den oben genannten, als Ort des internen Schutzes möglicherweise nicht in Betracht kommenden Regionen, ist es Tschetschenen auch gelungen, sich im Gebiet Rostow (70.000), in der Wolgaregion (50.000), in Nordossetien (4.000) und in Karatschajewo-Tscherkessien (23.000) anzusiedeln (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 18).
33 
c) Zur Überzeugung des Senats wird es auch der Klägerin zu 2, die im Besitz eines neuen gültigen russischen Inlandspasses ist, gelingen, in diesen tschetschenischen Siedlungsgebieten Wohnraum für sich und ihre Familie zu erlangen und damit grundsätzlich die geforderten Rechtsvoraussetzungen für eine Registrierung zu erfüllen. Im Hinblick auf die Möglichkeit, eine Registrierung zu erhalten bzw. ohne eine solche zu leben, führt MEMORIAL in seinem Schreiben vom 16.10.2005 allerdings aus, dass es sich auch an kleinen Orten nicht ohne Registrierung leben lasse, denn diese werde an jedem Ort benötigt. Hinzu komme, dass in kleinen Ortschaften alles sichtbar sei und man nicht „mit der großen Masse verschmelzen“ könne. Der Senat geht gleichwohl nicht davon aus, dass die Klägerin zu 2 an einem solchen Ort ohne Registrierung wird leben müssen. Trotz aller Schwierigkeiten, vor die sich die Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe bei Registrierungen gestellt sehen, ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eine Registrierung in vielen Landesteilen möglich, wenn auch oft erst nach Intervention von Nicht-Regierungsorganisationen, Duma-Abgeordneten oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten oder durch Bestechung (Lagebericht des AA vom 18.08.2006, Stand Juli 2006, S. 27). Bei ihren diesbezüglichen Bemühungen kann die Klägerin zu 2 auch auf die Unterstützung ihres Ehemannes zählen. Auch wenn dieser selbst über keinen gültigen Inlandspass verfügt und damit die Registrierungsvoraussetzungen für seine Person nicht erfüllt, wird es ihm gelingen, in der stark männlich dominierten tschetschenischen Diaspora Wohnraum zu organisieren und für sich selbst - auch ohne eigene Registrierung (dazu sogleich) - zumindest in der so genannten „Schattenwirtschaft“ eine Arbeit zu finden, die es ihm ermöglicht, das wirtschaftliche Existenzminimum für sich und seine Familie zu sichern. Darauf, ob er sich selbst registrieren lassen kann - wofür mangels eines gültigen Passes wenig spricht - und ob es ihm zumutbar wäre, zunächst nach Tschetschenien zurückzukehren, um sich einen neuen Pass zu beschaffen (dazu AA vom 22.11.2005 an VG Berlin), kommt es vorliegend nicht an. Denn für ihn als Angehörigen einer grundsätzlich registrierungsberechtigten Ehefrau ist auch ohne gültigen Pass eine Aufenthaltsnahme in einer als Ort des internen Schutzes in Betracht kommenden anderen Region der Russischen Föderation möglich und zumutbar (vgl. hierzu auch Hess. VGH, Urteil vom 18.05.2006 - 3 UE 177/04.A- Nr. 53 des Dokuments; für den Fall eines 35jährigen allein stehenden Mannes).
34 
Der Senat verkennt nicht, dass die Konsequenzen einer Nichtregistrierung gravierend sind und Rechtspositionen sowie eine Reihe sozialer Leistungen von der Registrierung abhängen, so das Recht auf Beschäftigung, auf medizinische Versorgung und Ausbildung. Gleichwohl werden sich die Kläger nach den besonderen Umständen des Falles in den Zufluchtgebieten mit zumutbaren Anstrengungen eine ausreichende Lebensgrundlage schaffen können ( zu den generellen Verhältnissen nicht registrierter Tschetschenen vgl. zuletzt AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 27). Entscheidend ist, dass die Klägerin zu 2 über einen gültigen russischen Inlandspass verfügt. Damit wird es ihr nach Einschätzung des Senats möglich sein, in der Russischen Föderation - außerhalb der oben angeführten Regionen, die als Orte des internen Schutzes nicht in Betracht kommen - eine Registrierung zu erhalten. Jedenfalls auf Grundlage dieser Registrierung wird es den Klägern im Familienverbund gelingen, sich durch eine Tätigkeit des Klägers in der in der Russischen Föderation weit verbreiteten sog. „Schattenwirtschaft“ eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen. Der Kläger ist ersichtlich gesund und zu körperlicher Arbeit in der Lage. Er hat auch bereits in der Landwirtschaft gearbeitet und beim Bau mitgeholfen. Darauf, ob der Familie auch ohne Registrierung „vernünftigerweise“ angesonnen werden könnte, sich in einer der Zufluchtsregionen aufzuhalten - laut MEMORIAL („Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation, Juli 2005 bis Juli 2006“, S. 35) ist seit Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 122 der Empfang von staatlichen Unterstützungsgeldern und Renten bei fehlender Registrierung nicht möglich und wird der Besuch des Kindergartens und manchmal sogar der Schulbesuch erschwert - kommt es nicht an.
III.
35 
Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG vor, wobei für die Auslegung Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 RL 2004/83/EG jeweils heranzuziehen sind (vgl. Hinweise des BMI, S.15). Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern bei einer Rückkehr in die Russische Föderation Folter (§ 60 Abs. 2 AufenthG), die Todesstrafe (§ 60 Abs. 3 AufenthG) oder insbesondere eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 der EMRK (§ 60 Abs. 5 AufenthG) droht. Art. 2 e RL 2004/83/EG definiert die „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ als Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der bei einer Rückkehr Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie zu erleiden. Auch für diese Personen sieht Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG vor, dass für sie - falls sie bereits vor ihrer Ausreise einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten haben -, der herab gestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab Anwendung findet. Auch wenn der Senat dessen Vorliegen auch hier bei den Klägern unterstellt, scheidet ein Anspruch aus den oben genannten Gründen aus.
36 
Auch für eine Schutzgewährung nach § 60 Abs. 7 AufenthG gilt entsprechendes. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Mit Blick auf die Qualifikationsrichtlinie ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt ist. Bei der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG gelten Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 8 der Richtlinie 2004/83/EG. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Hinblick auf die Tatsache, dass die Umsetzungsfrist für die Qualifikationsrichtlinie mittlerweile abgelaufen ist, hilfsweise beantragt haben, zusätzlich festzustellen, dass die Voraussetzungen des Art. 15 c RL 2004/83/EG vorliegen, können sie damit gleichfalls nicht durchdringen, denn Art. 15 c RL 2004/83/EG ist ein Unterfall des § 60 Abs. 7 AufenthG und regelt die subsidiäre Schutzgewährung in Fällen willkürlicher Gewalt im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall auf die Situation in Tschetschenien zutreffen, kann dahinstehen, denn auch hier gilt, dass den Klägern nach den obigen Ausführungen eine zumutbare interne Schutzalternative zur Verfügung steht, diese auch erreichbar ist und von ihnen vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich dort aufhalten.
IV.
37 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
38 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist. Insbesondere kommt es auf die Frage, ob (und welche) tschetschenische Volkszugehörige in Tschetschenien einer (regionalen) Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht an.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. März 2005 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes – 12 K 117/04.A – wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Antragsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren im zweiten Rechtszug wird abgelehnt.

Gründe

Dem Antrag des im Jahre 2002 in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten Klägers, der Staatsangehöriger der russischen Föderation tschetschenischer Volkszugehörigkeit ist, auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 18.3.2005, mit dem das Verwaltungsgericht seine Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Bestehens von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 1 bis 7 AufenthaltsG abgewiesen hat, kann nicht entsprochen werden.

Das Vorbringen des Klägers in der Begründung seines Zulassungsantrages, das den gerichtlichen Prüfungsumfang in dem vorliegenden Verfahren begrenzt, rechtfertigt nicht die erstrebte Berufungszulassung wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG).

Soweit der Kläger die Frage als grundsätzlich bedeutsam aufwirft, ob tschetschenische Volkszugehörige als solche in der russischen Föderation einer Verfolgung ausgesetzt sind, ist diese Frage in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes geklärt,

hierzu Entscheidungen vom 23.6.2005 – 2 R 4/04 -, 2 R 17/03 -, - 2 R 16/03 - und - 2 R 11/03 – sowie vom 21.4.2005 – 2 Q 46/04 -.

Dort ist ausgeführt, dass eine landesweite Kollektivverfolgung aller tschetschenischen Volkszugehörigen im (gesamten) Staatsgebiet der Russischen Föderation bei Anlegung der hierzu in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten strengen Maßstäbe ungeachtet der sich im Gefolge von Terroranschlägen in der jüngeren Vergangenheit verschärfenden Spannungen und Vorbehalte nicht festgestellt werden kann. Insofern lasse sich nach dem vorliegenden Auskunftsmaterial weder ein staatliches (russisches) Verfolgungsprogramm mit dem Ziel einer physischen Vernichtung und/oder der gewaltsamen Vertreibung aller Tschetschenen aus dem Staatsgebiet nachweisen, noch ließen bekannt gewordene Einzelverfolgungsmaßnahmen mit Blick auf die zahlenmäßige Größe der die bei weitem größte der im Nordkaukasus beheimateten Ethnien stellenden Volksgruppe der Tschetschenen die Feststellung einer die Annahme einer landesweiten Gruppenverfolgung gebietenden Verfolgungsdichte zu.

Ob bezogen auf das Territorium von Tschetschenien das Vorliegen der genannten Voraussetzungen für die Annahme einer „regionalen Gruppenverfolgung“ anzunehmen ist, bleibt in den zitierten Entscheidungen offen. Selbst bei Anlegung des in der Rechtsprechung für die Fälle der so genannten Vorverfolgung im Heimatland entwickelten „herabgestuften“ Prognosemaßstabs für die Feststellung einer Rückkehrgefährdung stehe aber nach der o.g. Rechtsprechung den aus Tschetschenien stammenden Bürgern der Russischen Föderation russischer Volkzugehörigkeit aber auch ethnischen Tschetschenen in anderen Regionen der Russischen Föderation eine auch unter wirtschaftlichen Aspekten zumutbare für die Betroffenen tatsächlich erreichbare inländische Fluchtalternative zur Verfügung, die mit Blick auf den im Flüchtlingsrecht geltenden Grundsatz der Subsidiarität des Schutze vor politischer Verfolgung im Zufluchtsstaat, hier in der Bundesrepublik Deutschland, einen Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling nach § 60 Abs. 1 AufenthaltsG ausschließe.

Auch die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthaltsG könnten nicht angenommen werden. Insoweit sei, was die Geltendmachung einer Gefährdung durch die allgemeine wirtschaftliche Versorgungslage angehe, zusätzlich die vom Bundesgesetzgeber beibehaltene Sperrwirkung nach den §§ 60 Abs. 7 Satz 2, 60a AufenthaltsG für die Berücksichtigungsfähigkeit von so genannten Allgemeingefahren für die Bevölkerung oder auch nur Bevölkerungsgruppen im Herkunftsstaat zu beachten. Darüber hinausgehende humanitäre Gesichtspunkte, wie sie beispielsweise den Empfehlungen verschiedener Menschenrechtsgruppen, gegenwärtig auf eine Rückführung von tschetschenischen Volkszugehörigen in die Russische Föderation zu verzichten, zugrunde lägen, habe der Bundesgesetzgeber danach auch am Maßstab des Verfassungsrechts in zulässiger Weise den hierfür zuständigen politischen Entscheidungsträgern überantwortet.

Der mittlerweile für das Herkunftsland des Klägers zuständig gewordene 3. Senat schließt sich, da durchgreifende gegenteilige Erkenntnisse bislang nicht vorliegen, dieser überzeugend begründeten Auffassung an. Der Durchführung eines weiteren Berufungsverfahrens vor dem OVG des Saarlandes zur Klärung der bezeichneten Grundsatzfrage bedarf es mithin nicht.

Soweit der Kläger meint, es sei grundsätzlich klärungsbedürftig, ob frühere Angehörige der Sicherheitskräfte der tschetschenischen Republik Itschkerija einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, rechtfertigt dies ebenfalls die begehrte Rechtsmittelzulassung nicht. Denn das Verwaltungsgericht hat die Abweisung des Begehrens des Klägers in erster Linie darauf gestützt, dass dessen Vortrag wegen nicht nachvollziehbarer und sich in wesentlicher Hinsicht widersprechender Angaben im Verwaltungs- und Klageverfahren unglaubhaft sei und dies im Einzelnen, teilweise unter Bezugnahme auf diesbezügliche Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 20.4.2004 dargelegt. Es gelangt zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass dem Kläger, der sein Amt als einfacher Polizist bereits 3 Jahre vor der Ausreise aufgegeben habe, das mit Blick auf seine Gefährdung wegen Polizeidiensttätigkeit vorgetragene Verfolgungsschicksal nicht abgenommen werden kann.

Hiervon ausgehend stellt sich die von dem Kläger als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage bereits deshalb nicht, weil sie von dem insoweit maßgeblichen rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts her nicht entscheidungserheblich ist

vgl. zum Beispiel Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage, § 78 AsylVfG Rdnr. 16; Marx, AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 78 Rdnr. 153; Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, § 78 Rdnr. 153 m.w.N. 169; siehe etwa auch Beschluss des Senats vom 5.5.2006 – 3 Q 22/06 -.

Von einer weiteren Begründung der Nichtzulassungsentscheidung wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG).

Für die erstrebte Rechtsmittelzulassung ist nach allem kein Raum.

Aus vorstehendem ergibt sich, dass die beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung zu versagen (§§ 166 VwGO, 114 ZPO) ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG.

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Gründe

1

Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat Erfolg. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils an das Berufungsgericht zurück.

2

Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seiner Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Frage einer fortbestehenden Verfolgungsgefahr des Klägers in Tschetschenien und dem Fehlen einer zumutbaren internen Fluchtalternative in anderen Teilen der Russischen Föderation nicht in der gebotenen Weise nachgekommen ist. Hierzu macht sie geltend, das Berufungsgericht habe sich in den Entscheidungsgründen nicht mit der abweichenden Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte auseinandergesetzt, auf die sich der am Verfahren beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten ausdrücklich berufen habe. Dieser hat im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 6. April 2011 unter Bezugnahme auf im Einzelnen nach Aktenzeichen und Entscheidungsdatum spezifizierte Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte darauf hingewiesen, dass Tschetschenen bei einer Rückkehr nach Tschetschenien hinreichend sicher seien bzw. im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG stichhaltige Gründe dagegen sprächen, dass ihnen Verfolgung oder sonstiger ernsthafter Schaden drohe, soweit sie keine besonderen Gefährdungsfaktoren aufwiesen. Außerdem hat er geltend gemacht, dass Tschetschenen nach allgemeiner Spruchpraxis selbst bei Annahme einer weiter andauernden Verfolgungsgefahr in Tschetschenien zumindest eine inländische Ausweichmöglichkeit bzw. im Sinne von Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG interner Schutz in den übrigen Gebieten der Russischen Föderation zustehe.

3

Mit den in diesen obergerichtlichen Entscheidungen vertretenen Auffassungen setzt sich das Berufungsgericht inhaltlich nicht auseinander. Es erwähnt in seiner Entscheidung zwar eine der vom Bundesbeauftragten angeführten Entscheidungen als Beleg für eine von seiner eigenen Einschätzung abweichende Auffassung zur aktuellen Lage in Tschetschenien, ohne jedoch weiter auf das Vorbringen des Bundesbeauftragten einzugehen und sich mit der abweichenden tatsächlichen und rechtlichen Würdigung der anderen Oberverwaltungsgerichte zur Lage in Tschetschenien und dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative näher zu befassen. Das lässt angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nur den Schluss zu, dass es dieses Vorbringen nicht in Erwägung gezogen hat. Das Berufungsgericht führt zur Begründung seiner Entscheidung zwar auch neuere Erkenntnismittel an, die den vom Bundesbeauftragten angeführten Entscheidungen der anderen Oberverwaltungsgerichte nicht vorlagen. Diesen entnimmt das Berufungsgericht aber keine grundlegende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, sondern verweist ausdrücklich darauf, dass seine aktuelle Lageeinschätzung älteren - von den anderen Oberverwaltungsgerichten bei ihren Entscheidungen mitberücksichtigten - Erkenntnissen entspreche (UA S. 11) und deshalb "weiterhin" für die in Tschetschenien lebenden Personen eine tatsächliche Gefahr bestehe (UA S. 12). Bei dieser Sachlage verletzt das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung den Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs; darin liegt zugleich ein formeller Begründungsmangel im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

4

Zwar ist die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gebotene Auseinandersetzung mit der abweichenden Würdigung verallgemeinerungsfähiger Tatsachen im Asylrechtsstreit durch andere Oberverwaltungsgerichte grundsätzlich Teil der dem materiellen Recht zuzuordnenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung, so dass eine fehlende Auseinandersetzung mit abweichender obergerichtlicher Rechtsprechung als solche in aller Regel nicht als Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügt werden kann (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 1. März 2006 - BVerwG 1 B 85.05 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 324 und - BVerwG 1 B 86.05). Etwas anderes muss jedoch dann gelten, wenn sich ein Beteiligter - wie hier - einzelne tatrichterliche Feststellungen eines Oberverwaltungsgerichts als Parteivortrag zu eigen macht und es sich dabei um ein zentrales und entscheidungserhebliches Vorbringen handelt. Geht das Berufungsgericht hierauf in den Urteilsgründen nicht ein und lässt sich auch sonst aus dem gesamten Begründungszusammenhang nicht erkennen, dass und in welcher Weise es diesen Vortrag zur Kenntnis genommen und erwogen hat, liegt in der unterlassenen Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung eines anderen Oberverwaltungsgerichts ausnahmsweise auch ein rügefähiger Verfahrensmangel (vgl. in diesem Sinne schon Beschluss vom 21. Mai 2003 - BVerwG 1 B 298.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 270).

5

Auf diesen Verfahrensmangel kann sich jedenfalls in der vorliegenden prozessualen Konstellation auch die Beklagte berufen. Denn sie ist der Berufung des Klägers entgegengetreten und hat sich damit das in die gleiche Richtung zielende Vorbringen des Beteiligten zumindest konkludent zu eigen gemacht.

6

Wie die Beschwerde zutreffend darlegt, kann die Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zu einer anderen Entscheidung hinsichtlich der vom Bundesbeauftragten angesprochenen Frage der Gefährdung in Tschetschenien und des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative gelangt wäre. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben sich insbesondere keine Anhaltspunkte für ein besonderes Gefährdungspotential des Klägers, bei dessen Vorliegen auch andere Oberverwaltungsgerichte eine Gefährdung bzw. das Fehlen einer inländischen Fluchtalternative annehmen.

7

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht auch zu berücksichtigen haben, dass beim Flüchtlingsschutz allein die Gefahr krimineller Übergriffe ohne Anknüpfung an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund keine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG bedeutet. Auch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde.

8

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.