Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 03. Jan. 2018 - 11 ZB 17.31234

bei uns veröffentlicht am03.01.2018

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz und der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) bzw. nicht gegeben sind.

Eine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PB 15/03 – NVwZ 2004, 889/890) mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einem verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz von einem in der Rechtsprechung der genannten übergeordneten Gerichte aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abweicht und die Entscheidung darauf beruht (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 78 AsylG Rn. 19; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, § 124 Rn. 42; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 2 B 52/14 – juris Rn. 5). Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35/16 – juris Rn. 12 m.w.N.; Happ, a.a.O.; Rudisile, a.a.O.).

Hieran gemessen weicht das erstinstanzliche Urteil nicht von einem im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juli 2016 – 1 C 15/05 – (BVerwGE 126, 243 ff.) aufgestellten Rechtssatz ab. Die Kläger tragen hierzu unter Bezug auf eine Senatsentscheidung vom 17. April 2012 – 11 B 11.30469 – (juris) vor, das Verwaltungsgericht habe die Anforderungen an die Prüfung und Ermittlung einer Gruppenverfolgung nicht berücksichtigt. Dem Kläger zu 1. drohe eine Bestrafung und Inhaftierung wegen Desertion und eine Niederlassung in anderen Landesteilen sei ohnehin erschwert. Außerdem drohten tschetschenischen Volkszugehörigen weitere Verfolgungsmaßnahmen. Im Schriftsatz vom 24. Oktober 2017 werden ergänzende Ausführungen zu den Haftbedingungen in der Russischen Föderation und der Unterbringung von Binnenvertriebenen, den Lebensbedingungen und der Sicherheitslage in Tschetschenien und der Russischen Föderation gemacht. Mit diesem Vortrag ist kein Rechts- oder Tatsachensatz dargelegt, von dem das Verwaltungsgericht abgewichen ist, sondern wird der Sache nach die gerichtliche Wertung angegriffen, dass der Vortrag der Kläger unglaubhaft sei, dem Kläger zu 1. bereits keine Einberufung gedroht habe und den Klägern eine Rückkehr zumutbar sei. Das Verwaltungsgericht hat sich durch Bezugnahme gemäß § 77 Abs. 2 AsylG die tragenden Gründe des angefochtenen Bescheides zu eigen gemacht und auf Seite 4 f. des Urteils weitere Gründe dargelegt, die aus seiner Sicht gegen die Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens sprechen. Hinsichtlich der Lage tschetschenischer Volkszugehöriger in anderen Landesteilen der Russischen Föderation hat es den aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts angeführt sowie die Behauptung des Klägers zu 1., jahrelang als Polizist der Russischen Föderation in Tschetschenien tätig gewesen zu sein. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht dessen, dass die Kläger selbst außer der hierfür zu Unrecht zitierten Entscheidung des Senats vom 17. April 2012 keine substantiellen Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung vorgebracht haben, bestand für das Verwaltungsgericht schon kein Anlass, eine Gruppenverfolgung tschetschenischer Volkszugehöriger in der Russischen Föderation zu prüfen. Im Übrigen würde auch die Unterlassung einer nach der Rechtsprechung gebotenen Prüfung tatsächlicher Art noch keine Divergenz begründen (Bergmann/Dienelt, AuslR, § 78 AsylG Rn. 19).

Ferner droht den Klägern – entgegen der Behauptung ihrer Prozessbevollmächtigten – nach der Rechtsprechung des Senats und im Übrigen auch nicht nach der anderer Obergerichte (vgl. OVG Bremen, U.v. 10.7.2012 – 2 A 483/09.A – juris Rn. 66 ff.; VGH BW, U.v. 15.2.2012 – A 3 S 1876/09 – juris Rn. 42 ff. m. zahlreichen w.N.) bei einer Rückkehr in andere Landesteile der Russischen Föderation als tschetschenische Volkszugehörige keine Gruppenverfolgung, so dass auch nicht konkludent eine Abweichung von einem entsprechenden Tatsachensatz einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs dargelegt ist. Abgesehen davon, dass es sich in dem zitierten Fall (BayVGH, U.v. 17.4.2012 – 11 B 11.30469 – juris) um aus Tschetschenien stammende russische Volkszugehörige handelte, hat der Senat dort unter Bezug auf seine Rechtsprechung im Gegenteil ausgeführt, dass Übergriffe gegenüber ethnischen Tschetschenen in der Vergangenheit vereinzelt vorgekommen seien, ohne die Grenze der Verfolgungsintensität im Rechtssinn zu erreichen (vgl. juris Rn. 30 a.E.). Eine Niederlassung von Personen aus den Krisengebieten im Nordkaukasus, so auch aus Tschetschenien stammende ethnische Tschetschenen, in anderen Teilen der Russischen Föderation ist nach der Rechtsprechung des Senats zwar durch verschiedene Probleme erschwert, aber grundsätzlich möglich (vgl. BayVGH, B.v. 7.1.2015 – 11 B 12.30471 – juris Rn. 34).

Mit den Behauptungen, die Kläger hätten entgegen der von ihnen unterzeichneten Bestätigung keine Übersetzung der Niederschrift über die Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhalten und der Kläger zu 1. sei in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht aufgrund der Mitwirkung einer Dolmetscherin für die russische Sprache nicht in der Lage gewesen, alle Asylgründe hinreichend darzulegen, ist ein Verfahrensverstoß gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AslyG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Die ordnungsgemäße Begründung einer Gehörsrüge im Zulassungsverfahren erfordert grundsätzlich Ausführungen dazu, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden und inwiefern dies entscheidungserheblich gewesen wäre (stRspr des BVerwG, vgl. B.v. 14.6.2013 – 5 B 41/13 – juris Rn. 3 f.; B.v. 3.2.1998 – 1 B 4/98 – InfAuslR 1998, 219 = juris Rn. 5; B.v. 19.3.1991 - 9 B 56/91 – Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 25 S. 12 = juris Rn. 7; ebenso BayVGH, B.v. 8.8.2015 – 15 ZB 17.30494 – juris Rn. 24 m.w.N.; B.v. 18.4.2005 – 1 ZB 05.30333 – beck-online; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 74). Hieran fehlt es. Im Übrigen setzen sich die Kläger nicht ansatzweise damit auseinander, dass das Verwaltungsgericht die von der Prozessbevollmächtigten erstmals in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Verständigungsschwierigkeiten des Klägers zu 1. in Russisch im Hinblick auf seine Angaben im Asylverfahren zu den von ihm beherrschten Sprachen (Russisch als erste Sprache), seinem Asylvorbringen (Anstellung im Innenministerium der Russischen Föderation und berufsbegleitendes Fachhochschulstudium), den Angaben der russisch sprechenden Prozessbevollmächtigten zu seinen sprachlichen Fähigkeiten und sein Aussageverhalten in der mündlichen Verhandlung für nicht glaubhaft erachtet hat.

Mit den übrigen Ausführungen und Unterlagen zu den Verhältnissen in der Russischen Föderation im Schriftsatz vom 24. Oktober 2017, die bereits nicht die Begründungsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AslyG wahren, machen die Kläger der Sache nach ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils geltend, was nach der abschließenden Sonderregelung des § 78 Abs. 3 AsylG jedoch nicht zur Zulassung der Berufung führen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 77 Entscheidung des Gerichts


(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 78 Rechtsmittel


(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen di

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 80 Ausschluss der Beschwerde


Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 138


Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn1.das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,2.bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes aus

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 104


(1) Der Vorsitzende hat die Streitsache mit den Beteiligten tatsächlich und rechtlich zu erörtern. (2) Der Vorsitzende hat jedem Mitglied des Gerichts auf Verlangen zu gestatten, Fragen zu stellen. Wird eine Frage beanstandet, so entscheidet das

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(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers kann keinen Erfolg haben. Die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO liegen nicht vor.

2

Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Ausstellung eines Zeugnisses über das Bestehen des Zweiten Abschnitts der ärztlichen Prüfung im schriftlichen Prüfungsteil im Frühjahrstermin 2013 abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die von ihm zugelassene Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. In den Gründen des Beschlusses heißt es, dem Kläger könne keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, weil er nicht ohne sein Verschulden gehindert gewesen sei, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Ihm sei das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zuzurechnen. Die Zurechnung des Verschuldens des klägerischen Prozessbevollmächtigten im Verwaltungsprozess sei auch dann verfassungsgemäß, wenn es im konkreten Rechtsstreit um die Durchsetzung grundrechtlich geschützter Positionen gehe. Dies gelte auch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes. Die Ausführungen des Klägers gäben keinen Anlass, diese Rechtsprechung infrage zu stellen. Der Prozessbevollmächtigte habe weder glaubhaft gemacht noch sei sonst ersichtlich, dass er die Berufungsbegründungsfrist unverschuldet versäumt habe. Der Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte die Notwendigkeit einer eigenständigen Berufungsbegründung einer - gemessen an der Rechtslage - unrichtigen Bewertung unterzogen habe, könne das Fristversäumnis schon im Ansatz nicht entschuldigen, weil ein Rechtsanwalt die Rechtslage kennen müsse. Dies gelte umso mehr, als der Rechtsirrtum ohne Weiteres vermeidbar gewesen sei, da auf die Notwendigkeit einer eigenen Berufungsbegründung und auf die hierfür geltende Frist in der Rechtsmittelbelehrung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung ordnungsgemäß hingewiesen worden sei. Wenn der Prozessbevollmächtigte nach seinen eigenen Angaben den in der Rechtsmittelbelehrung gegebenen Hinweis auf die Berufungsbegründungsfrist "überlesen" habe, sei er seiner besonderen Sorgfaltspflicht im Hinblick auf prozessuale Fristen nicht gerecht geworden.

3

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Eine solche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Oktober 2013 - 6 B 13.13 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 181 Rn. 15). Aus den Darlegungen der Beschwerde ergibt sich nicht, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.

4

Die vom Kläger für grundsätzlich erachteten Fragen, "ob das Gericht zweiter Instanz aufgrund eines formalen Versäumnisses einen möglichen Grundrechtsverstoß in erster Instanz unbeschieden lassen darf" und "ob im Rahmen der gebotenen Nachteilsausgleichung bei staatlichem Verschulden aus formalen Gründen erneut die Sachprüfung unterbleiben darf, wenn der Rechtsuchende ebenfalls einen Fehler macht" genügen diesen Anforderungen nicht. Das Berufungsgericht hat nicht in entscheidungserheblicher Weise auf die vom Kläger behauptete Grundrechtsverletzung im erstinstanzlichen Verfahren oder das Erfordernis eines Nachteilsausgleichs bei einem staatlichen Verschulden abgestellt. Eine Rechtsfrage, auf die die Vorinstanz nicht entscheidend abgehoben hat, kann regelmäßig nicht zur Revisionszulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Oktober 2013 - 6 B 13.13 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 181 Rn. 19 m.w.N.).

5

Soweit der Kläger ferner die Frage für grundsätzlich bedeutsam erachtet, ob die Zurechnung des Verschuldens eines Prozessbevollmächtigten bei der Frage der Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist in verwaltungsgerichtlichen Verfahren wegen Bestehens einer ärztlichen Prüfung auch bei irreparablen Grundrechtsbeschädigungen am Maßstab von Art. 12 GG in Betracht kommt, scheidet eine Revisionszulassung ebenfalls aus. Die hierfür erforderliche Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung oder des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2015 - 6 B 43.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:270115B6B43.14.0 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8 m.w.N.).

6

Gemäß § 85 Abs. 2 ZPO, der über § 173 Satz 1 VwGO entsprechende Anwendung findet, steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schränkt § 85 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 173 VwGO den gerichtlichen Rechtsschutz nicht in verfassungswidriger Weise ein. Die Regelung dient der Rechtssicherheit; ihre für das zivil- und das verwaltungsgerichtliche Verfahren einheitliche Regelung liegt im rechtsstaatlichen Interesse an der Klarheit, Einfachheit und Sicherheit des Prozessrechts. Unter diesen Umständen durfte der Gesetzgeber im Interesse der Rechtssicherheit die mit der Regelung verbundene Einbuße an Chancen einer Partei, in jedem Einzelfall die materielle Rechtslage durch eine gerichtliche Entscheidung klären zu lassen, in Kauf nehmen. Diese gesetzgeberische Wertung steht regelmäßig im Einklang mit dem Grundgesetz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 - BVerfGE 60, 253 <288 f.>).

7

Sofern - wie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - die normative Ausgestaltung einer gerichtlichen Verfahrensordnung die umfassende Nachprüfung des Verfahrensgegenstandes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und eine dem Rechtsschutzbegehren angemessene Entscheidungsart und Entscheidungswirkung gewährleistet, ist damit dem aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG wie aus etwaigen materiellen Grundrechtsverbürgungen folgenden Schutzanspruch grundsätzlich genügt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 - BVerfGE 60, 253 <297>). Der Gesetzgeber wie auch die Fachgerichte sind hiernach grundsätzlich nicht gehalten, bei der Anwendung der Zurechnungsvorschrift anhand der jeweils in Rede stehenden geltend gemachten subjektiven Rechte einschließlich der Grundrechte zu differenzieren. Aus materiellen Grundrechten könnten konkrete normative Folgerungen für die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrensrechts über die Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und die Verfahrensgrundrechte hinaus nur unter ganz besonderen Umständen und nur dann gezogen werden, wenn sich unzweideutig ergäbe, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse hinreichenden Rechtsschutzes nicht mehr gewahrt wären (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 - BVerfGE 60, 253 <298>).

8

Der Umstand, dass es dem Kläger aufgrund der verschuldeten Fristversäumnis nicht möglich ist, durch einen Rückgriff auf den Prozessbevollmächtigten einen gleichwertigen oder gleichartigen Ersatz für die Folgen einer bestandskräftig gewordenen Feststellung des Nichtbestehens der Zweiten ärztlichen Prüfung zu erhalten, liegt in der Natur nichtvermögensrechtlicher Streitigkeiten und der Endgültigkeit der Zurechnung des Vertreterverschuldens (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 - BVerfGE 60, 253 <298 f.>); sie stellt keine Besonderheit des Verfahrens von berufsbezogenen Prüfungen dar. Von Verfassungs wegen wären diese Rechtsfolgen erst dann zu beanstanden, wenn sie zu schlechterdings unerträglichen Ergebnissen - wie grundsätzlich im Strafverfahren - führten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 - BVerfGE 60, 263 <299>). Schlechterdings unerträgliche Ergebnisse in diesem Sinne liegen hier nicht vor.

9

Die Feststellung des endgültigen Nichtbestehens der streitgegenständlichen Prüfung verwehrt den Zugang zum Arztberuf und macht die Berufswahl des Klägers dauerhaft zunichte. Sie hat für den Kläger gewichtige wirtschaftliche sowie allgemeinpersönliche Beschränkungen und Nachteile zur Folge; das dem Strafausspruch eigentümliche rechtliche Unwerturteil kommt ihnen aber nicht zu. Eine Verschuldenszurechnung hat daher - anders als im Strafprozess - nicht zu unterbleiben. Im Prüfungsverfahren tritt der Staat dem Betroffenen nicht wie im Strafverfahren mit einem Strafanspruch gegenüber. Zweck der ärztlichen Prüfungen ist, denjenigen Bewerbern den Zugang zum angestrebten Beruf zu verwehren, die dem Berufsbild des Arztes nach ihrer Qualifikation nicht genügen. Das Bestehen der ärztlichen Prüfung als Voraussetzung für die Approbation als Arzt ist eine subjektive Zulassungsvoraussetzung, durch die in das Grundrecht der Berufsfreiheit eingegriffen wird und deren Erfordernis durch den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung als besonders wichtiges Gemeinschaftsgut gerechtfertigt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 1989 - 1 BvR 1033/82, 1 BvR 174/84 - BVerfGE 80, 1 <23 f.> m.w.N.).

10

Gegen die Annahme schlechterdings unerträglicher Ergebnisse spricht die Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens. Berufsbezogene Prüfungen müssen nach Art. 12 Abs. 1 GG so gestaltet sein, dass das Grundrecht der Berufsfreiheit effektiv geschützt wird. Diese Voraussetzungen sind hier - soweit ersichtlich - erfüllt. Im Widerspruchsverfahren konnte der Kläger Einwände gegen die Bewertung seiner Prüfungsleistungen wirksam vorbringen; diese wurden von der Prüfungsbehörde geprüft und gewürdigt (vgl. zu diesen Anforderungen BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. Oktober 1991 - 1 BvR 1486/90 - NVwZ 1992, 55 m.w.N.). Ebenso wenig ist es verfassungsrechtlich zu beanstanden, dass die Zweite ärztliche Prüfung nicht mehr als zweimal wiederholt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 1989 - 1 BvR 1033/82, 1 BvR 174/84 - BVerfGE 80, 1 <35>) und dem Kläger daher kein weiterer Versuch zur Verfügung steht.

11

Die Folgen der in der Berufungsinstanz vorgenommenen Verschuldenszurechnung erweisen sich für den Kläger auch deshalb als nicht schlechterdings unerträglich, weil dem aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG wie aus dem Recht der Berufswahlfreiheit folgenden Schutzanspruch hier dadurch Rechnung getragen worden ist, dass eine verwaltungsgerichtliche Prüfung der angefochtenen Entscheidung der Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren stattgefunden hat. Damit sind die rechtsstaatlich unverzichtbaren Erfordernisse hinreichenden Rechtsschutzes gewahrt. Dass dem Kläger durch die Verschuldenszurechnung der Zugang zu weiteren Instanzen abgeschnitten und damit die Verwirklichung der Einzelfallgerechtigkeit zu Gunsten der Rechtssicherheit im weiteren Instanzenzug vereitelt wird, kann bei einer Gesamtbetrachtung angesichts der Zurechnungsregelung nach § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO nicht mehr als schlechthin unerträglich angesehen werden.

12

2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen genügt nicht den Zulässigkeitsanforderungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 2011 - 6 B 7.11 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 410).

13

Die Geltendmachung einer Abweichung des angefochtenen Urteils von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 23. Oktober 2014 (54648/09 - NJW 2015, 3631) genügt den Anforderungen an eine Divergenzrüge nicht. Ein der Divergenz fähiger Rechtssatz wird nicht benannt. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs gehören nicht zu den divergenzfähigen Entscheidungen, weil die Aufzählung der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte enumerativ ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. Januar 2001 - 6 B 35.00 - WissR 2001, 377 und vom 5. Januar 2006 - 10 B 26.05 - juris Rn. 2). Zudem erweist sich der in der genannten Entscheidung enthaltene tragende Rechtssatz, dass ein Verfahren nur fair im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der EMRK ist, wenn alle als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnenen Beweismittel ausgeschlossen werden oder aber ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen greifen muss, als für das berufungsgerichtliche Urteil nicht entscheidungserheblich. Die Rüge des Klägers kann aus dem letztgenannten Grund auch nicht zu einer Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache führen.

14

3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels unter den Gesichtspunkten der Verletzung rechtlichen Gehörs (a)) und der Befangenheit der Richter der Vorinstanz (b)) liegen nicht vor.

15

a) Der Kläger rügt, dass das Berufungsgericht seinen Vortrag nicht berücksichtigt habe, dass durch die Zurechnung ein irreparabler Eingriff in Art. 12 GG, in die europäischen Grundfreiheiten und die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gleichheit hervorgerufen werde. Die vom Berufungsgericht zitierte bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung habe nur Fälle reparabler Eingriffe in das Asylgrundrecht zum Gegenstand gehabt.

16

Aus diesem Beschwerdevortrag ergibt sich nicht, dass der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf einen entscheidungserheblichen materiell-rechtlichen Gesichtspunkt das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO verletzt hat. Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht, das Vorbringen jedes Beteiligten bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es das gesamte Vorbringen in den Urteilsgründen behandeln muss. Vielmehr sind in dem Urteil nur diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Daher kann aus dem Umstand, dass das Gericht einen Aspekt des Vorbringens eines Beteiligten in den Urteilsgründen nicht erwähnt hat, nur dann geschlossen werden, es habe diesen Aspekt nicht in Erwägung gezogen, wenn er nach dem materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Frage von zentraler Bedeutung betrifft. Wie umfangreich und detailliert die leitenden oder wesentlichen Gründe im Urteil niederzulegen sind, lässt sich allerdings nicht abstrakt umschreiben. Im Allgemeinen genügt es, wenn der Begründung entnommen werden kann, dass das Gericht eine vernünftige und der jeweiligen Sache angemessene Gesamtwürdigung und Beurteilung vorgenommen hat. Nicht erforderlich ist danach insbesondere, dass sich das Gericht mit allen Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des festgestellten Sachverhalts in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich auseinandersetzt. Aus der Nichterwähnung einzelner Umstände kann daher regelmäßig auch nicht geschlossen werden, das Gericht habe diese bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht seiner Pflicht aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügt und seiner Entscheidung das Vorbringen der Beteiligten sowie den festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde gelegt hat (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <209 f.> und Beschluss vom 27. Januar 2015 - 6 B 43.14 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421).

17

Gemessen hieran ist eine Gehörsverletzung nicht festzustellen. Das Berufungsgericht hat seinem materiell-rechtlichen Standpunkt die unter 1. im Einzelnen dargestellte bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zugrunde gelegt und angemerkt, dass das unter Ziffer I. des angefochtenen Beschlusses zusammengefasste Vorbringen des Klägers keinen Anlass gibt, die Rechtsprechung zu ändern. Damit hat das Berufungsgericht deutlich gemacht, dass es das klägerische Vorbringen zur Kenntnis genommen und erwogen, es aber nicht zum Anlass genommen hat, von dem seitens der Rechtsprechung für verfassungsgemäß erachteten Grundsatz der einheitlichen Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren abzuweichen.

18

Soweit der Kläger die Verletzung rechtlichen Gehörs damit begründet, das Berufungsgericht habe in der Sache nicht einschlägige Entscheidungen zitiert, genügt sein Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen, die an eine Gehörsrüge zu stellen sind. Denn er hat nicht aufgezeigt, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwieweit dieser weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (vgl. insoweit BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 2011 - 6 B 7.11 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 410).

19

b) Die vom Kläger gerügte Besorgnis der Befangenheit der für die Entscheidung über die Berufung zuständigen Richter begründet ebenfalls nicht einen Verfahrensfehler. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Wiederholung der schon bei dem Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit einer Anhörungsrüge erhobenen und beschiedenen Befangenheitsrüge (aa)) als auch für die im hiesigen Verfahren geltend gemachten Befangenheitsgründe (bb)).

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aa) Die mit der Beschwerde nicht anfechtbare Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs durch das Berufungsgericht stellt eine gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 548 ZPO a.F. (§ 557 Abs. 2 ZPO) der Überprüfung in einem Revisionsverfahren entzogene unanfechtbare Vorentscheidung dar, so dass die Zurückweisung eines Befangenheitsantrags grundsätzlich nicht als Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend gemacht werden kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. November 2001 - 6 B 59.01 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 29, vom 25. Mai 2001 - 6 B 30.01 -, vom 14. Mai 1999 - 4 B 21.99 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 20 und vom 3. Februar 1992 - 2 B 11.92 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 305). Die Rüge einer unrichtigen Ablehnung eines Befangenheitsantrages ist nur ausnahmsweise in dem Maße beachtlich, als mit ihr die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 138 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht wird (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. November 2001 - 6 B 59.01 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 29, vom 25. Mai 2001 - 6 B 30.01 - und vom 21. März 2000 - 7 B 36.00 -). Das setzt voraus, dass willkürliche oder manipulative Erwägungen für die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs bestimmend gewesen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. November 1999 - 6 C 30.98 - BVerwGE 110, 40 <46> m.w.N.; Beschlüsse vom 9. November 2001 - 6 B 59.01 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 29 und vom 31. Oktober 1994 - 8 B 112.94 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 51). Von einer auf Willkür beruhenden Entscheidung kann im Einklang mit den zum verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf den gesetzlichen Richter entwickelten Grundsätzen nur gesprochen werden, wenn die Entscheidung des Gerichts bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken schlechterdings nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. November 2001 - 6 B 59.01 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 29, vom 13. Juni 1991 - 5 ER 614.90 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 28 und vom 25. September 1987 - 9 CB 59.87 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 72).

21

Gemessen hieran hat der Kläger einen Verfahrensfehler schon nicht hinreichend dargelegt. Die Wiederholung der Befangenheitsrüge lässt nicht erkennen, aus welchen Gründen der Befangenheitsbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs als willkürlich zu erachten ist.

22

Im Übrigen ist er auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Soweit der Verwaltungsgerichtshof in dem Beschluss vom 23. Mai 2016 die Besorgnis der Befangenheit nicht darin gesehen hat, wie die zur Entscheidung berufenen Richter das Vorbringen des Klägers zur Frage der Verschuldenszurechnung in dem angefochtenen Beschluss gewürdigt haben, ist ein Verstoß gegen das Willkürverbot nicht gegeben. In dem Beschluss über das Befangenheitsgesuch wird im Einzelnen dargelegt, dass die mitwirkenden Richter erst nach Eingang des klägerischen Schriftsatzes entschieden und das Vorbringen des Klägers mit Blick auf die Ausführungen zur Kenntnis genommen und gewürdigt haben. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof auch darauf hingewiesen, dass die Besorgnis der Befangenheit sich grundsätzlich nicht aus dem Umstand begründet, dass die abgelehnten Richter bei der Würdigung des maßgeblichen Sachverhalts oder bei dessen rechtlicher Beurteilung eine andere Rechtsauffassung vertreten als ein Beteiligter; das gilt selbst für irrige Ansichten, solange sie nicht - wofür hier nichts ersichtlich ist - offensichtlich willkürlich sind (stRspr, vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 11. Februar 1982 - 1 D 2.81 - BVerwGE 73, 339 <346>). Hiergegen ist nichts zu erinnern.

23

bb) Ein Verfahrensmangel wegen nicht vorschriftsmäßiger Besetzung des Verwaltungsgerichtshofs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 138 Nr. 1 VwGO) ist auch insoweit nicht gegeben, als der Kläger die Besorgnis der Befangenheit der mit der Berufungsentscheidung befassten Richter aus weiteren im Beschwerdeverfahren geltend gemachten Gründen für gegeben erachtet.

24

Der Kläger führt zum einen aus, dass der Verwaltungsgerichtshof die gebotene Aufforderung an die Verwaltungsbehörde über mehr als ein Jahr unterlassen habe, notwendige Zahlen für die Prüfung der Ablehnung vorzulegen (wohl die Zahlen zur Bestehensquote, die nach dem Willen des Klägers das Gericht vom Beklagten anfordern sollte). Diese Untätigkeit sei damit zu begründen, dass keine Sachentscheidung geplant gewesen sei, sondern die Hoffnung bestanden habe, dass die Berufungsbegründungsfrist versäumt werde. Dieses Verhalten rechtfertige die Besorgnis der Befangenheit.

25

Hiermit hat der Kläger schon nicht hinreichende objektive Gründe aufgezeigt, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass boten, an der Unparteilichkeit der abgelehnten Richter zu zweifeln. In dem hier ein Jahr dauernden Berufungszulassungsverfahren - dies verkennt der Kläger - ist der Verwaltungsgerichtshof auf die Prüfung der fristgerecht geltend gemachten Zulassungsgründe beschränkt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). In diesem Verfahren ist für weitere Sachaufklärungsmaßnahmen kein Raum, denn diese sind dem Berufungsverfahren vorbehalten. Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass die zur Entscheidung berufenen Richter vor Ergreifen etwaiger Aufklärungsmaßnahmen erst den Eingang der Berufungsbegründung abwarten, da erst eine zulässige Berufung die Prüfung in der Sache durch das Berufungsgericht eröffnet.

26

Zum anderen trägt der Kläger vor, der Verwaltungsgerichtshof habe durch die unterbliebene Zulassung eine notwendige Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vereitelt. Da die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Verzicht auf einen Sachverständigen von derjenigen des Bundesverwaltungsgerichts abweiche, hätte der Verwaltungsgerichtshof Gründe für die Nichtzulassung der Revision angeben müssen.

27

Eine offensichtlich willkürliche, die Besorgnis der Befangenheit begründende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über die Nichtzulassung der Revision ist nicht gegeben. Mit seinem Vorwurf übersieht der Kläger, dass das Berufungsgericht die Revision gegen sein Urteil nach § 132 Abs. 2 VwGO nur aus einem der dort genannten Gründe zulassen darf, denen die Entscheidungserheblichkeit der fallübergreifenden Rechtsfrage, des abstrakten Rechtssatzes bzw. des Verfahrensmangels für die vorinstanzliche Entscheidung gemeinsam ist. Die Frage des Verzichts auf einen Sachverständigen ist indes für die berufungsgerichtliche Entscheidung nicht erheblich gewesen, so dass hierauf das Berufungsgericht eine Zulassung der Revision nicht hat stützen dürfen.

28

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 sowie § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25. August 2004 - A 18 K 11963/04 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten, die dieser auf sich behält.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der Kläger wurde am ... in B.../Nord-Kasachstan geboren. Er ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volks- und moslemischer Glaubenszugehörigkeit. Nach seinen Angaben hielt sich die Kläger zuletzt in Grosny auf und reiste zusammen mit seinen Söhnen D... (geb. am ...) und M... K... (geb. am ...) am 20.10.2003 auf dem Landweg nach Deutschland ein. Er stellte am 21.10.2003 einen Asylantrag.
Der Kläger ist verheiratet mit P... H..., die am 31.03.1968 geboren wurde. Sie war zusammen mit zwei Kindern (geb. am ...) bereits im Jahr 2000 aus Grosny kommend nach Deutschland ausgereist. Die Asylanträge der Ehefrau und der Kinder des Klägers sind seit 2004 unanfechtbar abgelehnt.
Der Kläger wurde am 30.10.2003 beim Bundesamt zu seinen Asylgründen angehört. Zusammengefasst erklärte der Kläger, im Februar 1996 sei er mit seinem Bruder festgenommen worden, danach nicht mehr. Sein Bruder M... sei im März 1996 verstorben. Seine Brüder S... und R... seien im August 1996 spurlos verschwunden. Er habe die Fachschule des Innenministeriums 1988 in Charkow mit dem Diplom als Techniker für Spezialtechnik abgeschlossen. Er sei von 1994 bis 1999 beim Innenministerium in Grosny beschäftigt gewesen. Er habe für die tschetschenische Regierung bei Dudajew gearbeitet. Es seien Kollegen verschwunden. Dann habe er begriffen, dass alle Angehörigen des Innenministeriums beseitigt werden sollten. Von wem er verfolgt worden sei, habe er nicht gewusst. Aber dies sei zielgerichtet gemacht worden. Seine Familie habe er im Juli 2000 zuletzt gesehen. Auf Nachfrage erklärte er, die Verfolgung komme aus den Kreisen des FSB, der nationalen Sicherheit. Er habe Aufklärung geleistet. Man habe ihn zum Major ernannt, aber den Dienstausweis habe er schon nicht mehr umtauschen können. Von 1999 bis zu seiner Ausreise 2003 habe er sich in Grosny versteckt.
Wegen seiner weiteren Angaben wird auf die darüber gefertigte Niederschrift verwiesen.
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 11.05.2004 den Asylantrag des Klägers ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise die Abschiebung in die Russische Föderation an.
Die vom Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart am 09.06.2004 erhobene Klage hat dieses nach Anhörung des Klägers und der Vernehmung seiner Ehefrau als Zeugin in der mündlichen Verhandlung mit Urteil vom 25.08.2004 - A 18 K 11963/04 - abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Angaben des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal seien nicht glaubhaft. Zwar sei dem Kläger eine Rückkehr nach Tschetschenien nicht zumutbar. Ihm stehe aber in anderen Teilen der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung.
Der Senat hat mit Beschluss vom 01.02.2005 - A 3 S 1228/04 - die Berufung gegen das Verwaltungsgericht Stuttgart zugelassen, soweit es die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (§ 60 Abs. 1 AufenthG) betrifft. Der Beschluss wurde dem Kläger am 07.02.2005 zugestellt.
Der Kläger hat die Berufung am 07.03.2005 begründet. Er beantragt,
10 
1. das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25.08.2004 - A 18 K 11963/04 - insoweit zu ändern, als es die Klage gegen Nr. 2 bis 4 des Bescheids des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.05.2004 abweist, und die Beklagte unter Aufhebung von Nr. 2 bis 4 des Bescheids des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.05.2004 zu verpflichten festzustellen, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich der Russischen Föderation vorliegen;
11 
2. hilfsweise festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG vorliegen;
12 
3. höchsthilfsweise festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG vorliegen;
13 
4. hilfsweise Beweis entsprechend den in den als Anlage zur Niederschrift genommenen Schriftsätzen des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012 aufgeführten vier Beweisanträgen zu erheben
14 
Zur Begründung trägt der Kläger zusammengefasst vor, er habe mehrere Ausbildungen absolviert. Zunächst habe er die Fachschule des Innenministeriums in Charkow und sodann ein Hochschulstudium (Philologie) absolviert. Daneben habe er sich zum Fahrlehrer ausbilden lassen und eine Fahrschule in Grosny betrieben. Bis Mai 1999 habe er im tschetschenischen Innenministerium als „Kurator“ im Bereich Aufsicht über Feuerwehren und Gefängnisse gearbeitet. Er habe dann im ersten Tschetschenienkrieg auf Seiten der tschetschenischen Truppen in einer Einheit gekämpft, die für Aufklärungsarbeit zuständig gewesen sei. Nach dem Ende dieses Krieges sei er von seinem Dienstherrn mit Aufklärungsarbeiten betraut worden. Spätestens seit Frühjahr 1999 habe er Anlass für die Befürchtung gehabt, dass er als Angehöriger des tschetschenischen Innenministeriums liquidiert werden solle. Vorausgegangen seien Säuberungsaktionen, die mit „Verschwinden“ einiger Kollegen aus dem tschetschenischen Innenministerium einhergegangen seien. In einem Fall habe er erfahren, dass die Leiche des Betreffenden in einem Waldstück mit Folterspuren aufgefunden worden sei. Er habe diese Information u.a. von den Familienangehörigen der verschwundenen Kollegen erhalten. Er habe deshalb allen Anlass gehabt für die Annahme, dass der russische Geheimdienst FSB hinter diesen professionellen Säuberungsaktionen stehe - ggf. unterstützt durch islamistische „Wahabisten“ -. er habe deshalb annehmen müssen, dass auch sein Leben in Gefahr sei, zumal er erfahren habe, dass die verschwundenen Kollegen nicht etwa mit Sonderaufgaben betraut worden seien. Er sei deshalb im Frühjahr 1999 zunächst untergetaucht. Seine Familie habe er zu Verwandten gebracht, bis er deren Ausreise im Sommer 2000 habe organisieren können. Weder in Tschetschenien noch in der Russischen Föderation bestehe ein interner Schutz. Die russischen Behörden wüssten über sein Asylverfahren und über die Asylantragstellung sowie über den Aufenthalt seiner Familie in Deutschland Bescheid. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass das Regierungspräsidium Stuttgart beim Konsul des russischen Generalkonsulats über die Umstände einer Passbeschaffung für die gesamte Familie nachgefragt habe. Seine damalige Stellung in Tschetschenien und die Tatsache der Asylantragstellung und des jahrelangen Auslandsaufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland seien für die russischen Behörden Grund genug, ihn bei einer Rückkehr zu verfolgen. Außerdem leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörung und deshalb würde bei einer Rückkehr ein sog. Wiederholungstrauma die derzeitige psychische Erkrankung akut verschlimmern.
15 
Die Beklagte beantragt,
16 
die Berufung zurückzuweisen.
17 
Zur Begründung weist er daraufhin, dass die Angaben des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal nicht überzeugten; im Übrigen stehe dem Kläger jedenfalls in anderen Teilen der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung.
18 
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat keinen Antrag gestellt. Zusammengefasst hat er ausgeführt, Tschetschenen seien in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens von keiner Verfolgung betroffen.
19 
Mit Beschluss vom 01.08.2007 - A 3 S 104/05 - hat der Senat auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Berufungsverfahrens angeordnet. Die Wiederanrufung des Verfahrens erfolgte durch das Bundesamt am 20.08.2009.
20 
In der mündlichen Verhandlung ist der Kläger zu den Gründen seines Asylantrags angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die darüber gefertigte Niederschrift verwiesen.
21 
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, wegen der sonstigen Einzelheiten auf die einschlägigen Akten der Beklagten, auch soweit sie P... H... betreffen, und die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart A 18 K 11963/04 und A 18 12023/03 (P... H... betreffend) und des Senats A 3 S 625/04 (gleichfalls P... H... betreffend) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
22 
Der Senat kann trotz Nichterscheinens des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten entscheiden, da dieser mit der Ladung nach § 102 Abs. 2 VwGO auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
23 
Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige - insbesondere mit ihrer Begründung den Vorgaben des § 124a Abs. 6 VwGO entsprechende - Berufung des Klägers ist unbegründet.
24 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist - entgegen der Zulassung der Berufung durch den Senat nicht nur der Anspruch des Klägers auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person hinsichtlich der Russischen Föderation und damit der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.02.2010 - 10 C 7.09 -, NVwZ 2010, 974), sondern auch sein hilfsweise geltend gemachter Anspruch auf Feststellung unionsrechtlicher und nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes von 2007 bilden die auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG 2004 zum einen und die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG 2004 zum anderen jeweils eigenständige Streitgegenstände, wobei die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote vorrangig vor dem nationalen Abschiebungsverbot u.a. nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG 2004 zu prüfen sind. Damit sind die auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG 2004 in dem Verfahren angewachsen (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198; Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360; Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226; Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris = DVBl 2011, 1565 [Ls.]; Beschluss vom 10.10.2011 - 10 B 24/11-, juris; Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 -, NVwZ 2012, 244). Für die nationalen Abschiebungsverbote gilt nichts anderes.
25 
Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO; I.). In der Person des Klägers liegen ferner weder unionsrechtliche (II.) noch nationalrechtliche (III.) Abschiebungsverbote vor. Die Abschiebungsandrohung ist gleichfalls rechtlich nicht zu beanstanden (IV.).
I.
26 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich der Russischen Föderation nicht vorliegen.
27 
Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12) - RL 2004/83/EG - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). Die RL 2004/83/EG ist vorliegend auch noch maßgeblich, da nach Art. 40 RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung der RL 2004/83/EG) diese Richtlinie erst mit Wirkung vom 21.12.2013 aufgehoben wird.
28 
Nach Art. 2 Buchst. c) RL 2004/83/EG ist Flüchtling unter anderem derjenige Drittstaatsangehörige, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
29 
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist beziehungsweise dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG).
30 
Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181-, BVerfGE 54, 341; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237.80 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (BVerwG, Urteil vom 27.04.1982 - 9 C 308.81 -, BVerwGE 65, 250). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997, a.a.O. S. 99).
31 
Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL 2004/83/EG erlitten hat (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377; Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, InfAuslR 2011, 408; vgl. auch EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505). Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ des Art. 2 Buchst. e) RL 2004/83/EG enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, NVwZ 2008, 1330); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 18.04.1996 - 9 C 77.95 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, ZAR 2008, 192). Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten beziehungsweise Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung beziehungsweise einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla, NVwZ 2010, 505). Dadurch wird der Vorverfolgte beziehungsweise Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden beziehungsweise schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, NVwZ 2008, 1330). Demjenigen, der im Herkunftsstaat Verfolgung erlitten hat oder dort unmittelbar von Verfolgung bedroht war, kommt die Beweiserleichterung unabhängig davon zugute, ob er zum Zeitpunkt der Ausreise in einem anderen Teil seines Heimatlandes hätte Zuflucht finden können; der Verweis auf eine inländische Fluchtalternative vor der Ausreise ist nicht mehr zulässig (BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55 = NVwZ 2009, 982).
32 
Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung beziehungsweise des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09, BVerwGE 136, 377 = NVwZ 2011, 51). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (BVerwG, Beschluss vom 23.11.2011- 10 B 32/11 -, juris).
33 
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Buchst. a)) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchst. a) beschrieben Weise betroffen ist (Buchst. b)). Beim Flüchtlingsschutz bedeutet allein die Gefahr krimineller Übergriffe ohne Anknüpfung an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund keine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG (BVerwG, Beschluss vom 23.11.2011- 10 B 32/11 -, juris). Art. 9 Abs. 3 RL 2004/83/EG bestimmt, dass eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 RL 2004/83/EG genannten Verfolgungsgründen und den in Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG als Verfolgung eingestuften Handlungen bestehen muss.
34 
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243; Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30, jeweils m.w.N.). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200) - ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006, a.a.O.). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994, a.a.O.). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, das heißt wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
35 
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a) und b) AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237).
36 
Die dargelegten Maßstäbe für die Gruppenverfolgung beanspruchen auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG Gültigkeit. Das Konzept der Gruppenverfolgung stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Richtlinie 2004/83/EG in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 RL 2004/83/EG definiert (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009, - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237; vgl. zur Gruppenverfolgung zuletzt auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 -, juris; Urteil vom 09.11.2010 - A 4 S 703/10 -, juris; Beschluss vom 04.08.2011 - A 2 S 1381/11 -, juris).
37 
Die Bundesrepublik Deutschland hat in § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG von der den Mitgliedstaaten in Art. 8 RL 2004/83/EG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, internen Schutz im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG verlangt von den Mitgliedstaaten bei Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und der persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Gemäß Absatz 3 kann Absatz 1 auch angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen (BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 20.08 -, juris).
38 
1. In Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben war der Kläger zum Zeitpunkt seiner Ausreise keiner anlassgeprägten Einzelverfolgung ausgesetzt, weshalb ihm insoweit die Privilegierung aus Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zu Gute kommt.
39 
Das Vorbringen des Klägers zu seinem behaupteten Verfolgungsschicksal ist wegen erheblicher Widersprüchen, insbesondere wegen deutlich gesteigerten Vorbringens sowie wegen stereotyper Angaben insgesamt nicht glaubhaft. Beim Bundesamt hat der Kläger vorgetragen, er sei beim Innenministerium tätig gewesen und zwar in einer Sonderabteilung. Sie hätten operative Aufgaben durchgeführt. Sie hätten Informationen über die Bewegung der Truppen, ihre Bewaffnung und ihre Zahl gesammelt. Er sei zum Major befördert worden. Substantiierte Angaben zu seiner Tätigkeit im Innenministerium hat der Kläger beim Bundesamt nicht gemacht. Bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart hat er erstmals angegeben, nach dem Kriegsende sei er wieder beim Innenministerium als Aufsicht über Feuerwehr und Gefängnisse eingesetzt worden. Daneben sei er noch in einer Aufklärungstruppe tätig gewesen. Seine Gruppe sei u.a. bei den Kämpfen gegen Wahabiten beteiligt gewesen. Dieses aber hat der Kläger beim Bundesamt nicht erwähnt. Auf die Frage beim Bundesamt, von wem er denn verfolgt worden sei, hat der Kläger geantwortet, wenn er das gewusst hätte. Aber das werde zielgerichtet gemacht. Auf Nachfrage hat er angegeben, er glaube, dass dies aus den Kreisen des FSB, der Nationalen Sicherheit komme. Demgegenüber hat der Kläger in seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart erklärt, er vermute, dass es die Wahabiten gewesen seien, die sie verfolgt hätten. Nicht nachvollziehbar ist auch die Aussage des Klägers beim Bundesamt, er habe von 1994 bis 1999 für die tschetschenische Regierung bei Dudajew gearbeitet. Denn Dschochar Mussajewitsch Dudajew starb bereits im April 1996. Sein Nachfolger im Amt des Präsidenten wurde 1997 Aslan Maschadow. Zu seinen Aufgaben beim Innenministerium hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine weiteren substantiierten Angaben gemacht. Völlig widersprüchlich sind auch die Angaben des Klägers zu seiner Ausbildung. Auf entsprechende Frage beim Bundesamt hat der Kläger angegeben, er habe die Fachschule des Innenministeriums 1988 in Charkov abgeschlossen und zwar mit einem Diplom als Techniker für Spezialtechnik. Auf Nachfrage hat er erklärt, es habe sich um Waffen- und Fahrzeugtechnik, spezielle Technik für das Innenministerium gehandelt. Demgegenüber hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart angegeben, er habe in Grosny im Jahre 1994 mit dem Hochschulabschluss als Philologe abgeschlossen. Über seine Ausbildung als Fahrlehrer und das Betreiben einer Fahrschule in Grosny hat der Kläger weder beim Bundesamt noch beim Verwaltungsgericht berichtet. Das Vorbringen des Klägers steht ferner auch im Widerspruch zu den Angaben seiner Ehefrau. Diese hat bereits bei ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 25.08.2000 im Rahmen ihres eigenen Asylverfahrens erklärt, die Russen hätten ihren Ehemann im Winter 1999/2000 bei ihr gesucht. Bei ihrer Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung hat sie dies bestätigt und ergänzt, die Männer hätten ihr gesagt, sie seien von der Rayon-Abteilung für Inneres, also der Miliz. Sie habe ihrem Mann nichts davon erzählt. Später hat sie dann ausgeführt, Soldaten seien mit einem Panzer gekommen und hätten ihr Haus, in dem inzwischen eine Nachbarin gewohnt habe, in die Luft gejagt. Das habe sie ihrem Mann erzählt, als sie ihn das letzte Mal gesehen habe. Dies hat der Kläger indessen weder beim Bundesamt noch bei seiner gerichtlichen Anhörung beim Verwaltungsgericht Stuttgart noch bei seiner Anhörung vor dem Senat erwähnt. Auch der Senat hält es nicht für glaubhaft, dass die Ehefrau ihrem Mann nichts davon erzählt hätte, wenn russische Milizionäre nach ihm gesucht hätten. Widersprüchlich sind weiterhin die Angaben zu den Umständen der Flucht der Ehefrau des Klägers. Der Kläger hat beim Bundesamt erklärt, die Ausreise seiner Frau hätten seine Schwiegereltern organisiert und auch finanziert. Demgegenüber hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart angegeben, zwei Freunde von ihm hätten auf seine Bitte das Ganze über weitere Bekannte organisiert. Bereits diese dargestellten Widersprüche zeigen die Unglaubhaftigkeit der Angaben des Klägers. Diese wird durch seine weiteren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt. Hier hat der Kläger nunmehr erstmals angegeben, er habe, während er sich in der Zeit von 1999 bis 2003 versteckt bzw. im Untergrund aufgehalten habe, mit Menschenrechtsorganisationen zusammengearbeitet. Er habe mit seinem Freund R... Meetings organisiert und an Demonstrationen teilgenommen, allerdings nicht offiziell. Er habe Fälle von Misshandlungen und Angriffe an R... weitergegeben, die dieser dann wiederum an I... E... weitergeleitet habe. Auf Nachfrage gab der Kläger dann an, an Demonstrationen habe er nicht teilgenommen. Er habe aus dem Untergrund Informationen gesammelt. I... E... habe er erst im August 2003 kennengelernt. Aber auch dieses Vorbringen bleibt, abgesehen davon, dass der Kläger diese für ihn wichtige Tätigkeit erstmals vor dem Senat schildert, im Ungefähren. Dem Kläger war es nicht möglich anzugeben, für welche Menschenrechtsorganisationen er angeblich Informationen gesammelt habe, obwohl I... E... - wie der Kläger weiter behauptet hat - Vorsitzender und Leiter der Organisation gewesen sei. Auf Frage, wer ihn verfolgt habe, gibt der Kläger nun wieder an, er sei von russischen Streitkräften verfolgt worden, nicht so sehr von Wahabiten. Eine Erklärung für die Behauptung, es sei herausgekommen, dass er Informationen an I... E... geliefert habe, konnte der Kläger nicht geben. Aufgrund all dessen konnte sich der Senat nicht von der Wahrheit der Angaben des Klägers überzeugen.
40 
Vor diesem Hintergrund war dem hilfsweise gestellten Antrag Ziffer 4 (vgl. den als Anhang zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung genommenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012) zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger im Rang eines Majors im Innenministerium in Grosny gearbeitet habe, dass er festgenommen, gefoltert, misshandelt und erniedrigt worden sei, dass man ihn getötet hätte, wenn er nicht geflohen wäre, I... E... als Zeuge zu vernehmen, nicht nachzugehen. Darüber hinaus hat der Kläger angegeben, er habe I... E... erst im August 2003 persönlich kennengelernt, wobei das Treffen ca. 10 bis 30 Minuten gedauert habe. Aus eigener Kenntnis könnte I... E... daher zu den unter Beweis gestellten Umständen, soweit es sich überhaupt um Tatsachen und nicht nur um Mutmaßungen - wie z.B. hinsichtlich der Tötung des Klägers - handelt, keine Angaben machen. Im Übrigen ist das Vorbringen des Klägers zu I... E... ebenfalls widersprüchlich. Vor dem Senat hat der Kläger angegeben, I... E... habe keinen regulären Beruf gehabt. Zur Begründung des hilfsweise gestellten Beweisantrags hat der Kläger aber angegeben, der Zeuge sei früheres Mitglied der tschetschenischen Regierung gewesen und kenne ihn aus früheren Zeiten. Er arbeite jetzt für amnesty international. Demgegenüber hat der Kläger - wie oben bereits ausgeführt - keine Angaben dazu machen können, für welche Menschenrechtsorganisationen er und I... E... gearbeitet habe.
41 
2. Ob der Kläger zum Zeitpunkt seiner Ausreise einer - regionalen - Gruppenverfolgung in Tschetschenien ausgesetzt war und noch ist (letzteres verneinend OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.03.2009 - OVG 3 B 16.08 -, juris; BayVGH, Urteil vom 29.01.2010 - 11 B 07.30343 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 – 11 B 09.30087 -, juris; OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20) bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn dem Kläger steht jedenfalls in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens eine inländische Fluchtalternative nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG und damit ein interner Schutz im Sinne des Art. 8 RL 2004/83/EG zur Verfügung. Es ist ihm zuzumuten und kann von ihm daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er seinen Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nimmt, an dem er vor Verfolgung sicher ist und wo sein soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist.
42 
Der Senat geht zugunsten des Klägers davon aus, dass die Bewohner Tschetscheniens im Zeitpunkt seiner Ausreise einer regionalen Gruppenverfolgung ausgesetzt waren. Ob dies tatsächlich der Fall war - ob mithin tschetschenische Volkszugehörige aus Tschetschenien dort aus asylerheblichen Gründen (wegen ihres Volkstums oder ihrer politischen Überzeugung) in der erforderlichen Verfolgungsdichte und -intensität von staatlichen russischen [oder der tschetschenischen Republik zuzuordnenden] Stellen verfolgt wurden - braucht demgemäß nicht entschieden zu werden. Die Gefahr einer künftigen Verfolgung des Klägers ist deshalb zwar unter Zubilligung der sich aus Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ergebenden Beweiserleichterung zu prüfen. Es sprechen im Sinn dieser Bestimmung jedoch stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger gegenwärtig jedenfalls in den übrigen Teilen der Russischen Föderation von irgendeiner Art von Verfolgung betroffen sein wird oder dass eine tatsächliche Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden (Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art. 15 RL 2004/83/EG). Das gilt auch für Vorfälle, denen sich die Bevölkerung Tschetscheniens bis zur Ausreise des Kläger allgemein ausgesetzt gesehen hat.
43 
Auch unter Zugrundelegung der Maßstäbe des Art. 8 RL 2004/83/EG, an denen die Zumutbarkeit einer inländischen Fluchtalternative zu messen ist (BVerwG vom 1.2.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007,590), steht politisch unverdächtigen und erwerbsfähigen Tschetschenen in den meisten Teilen der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative bzw. interner Schutz im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 RL 2004/83/EG zur Verfügung (vgl. BayVGH, Urteil vom 29.01.2010 - 11 B 07.30343 -, juris; Urteil vom 21.06.2010 – 11 B 08.30103 -, juris; Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 – 11 B 09.30087 -, juris; OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20; OVG Hamburg, Beschluss vom 27.11.2009 - 2 Bf 337/02.A -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.03.2009 - OVG 3 B 16.08 -, juris; OVG Sachen-Anhalt, Urteil vom 31.07.2008 - 2 L 23/06 -, juris; HessVGH, Urteil vom 21.02.2008 - 3 UE 191/07.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.10.2006 - A 3 S 46/06 -, juris; OVG Saarland, Beschluss vom 29.05.2006 - 3 Q 1/06 -; juris; NdsOVG, Beschluss vom 16.01.2007 - 13 LA 67/06 -, juris; Sächsisches OVG, Beschluss vom 07.02.2011 - A 5 A 152/09 -). Davon ist auch für den Fall des Klägers auszugehen.
44 
a.) Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger politisch unverdächtig ist. Eine politisch relevante gegen die tschetschenische Republik, gegen Russland und die Russische Föderation insgesamt gerichtete Tätigkeit hat der Kläger nicht glaubhaft dargelegt. Dies gilt insbesondere - wie der Senat oben aufgezeigt hat - für die Behauptung des Klägers, er habe in den Jahren 1999 bis 2003 für Menschenrechtsorganisationen Informationen gesammelt. Den Angaben des Klägers, soweit sie überhaupt glaubhaft sind, ist auch nichts für ein Strafverfahren gegen ihn zu entnehmen. Ebenso wenig führt allein der Umstand, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, dazu, dass er nach seiner Rückkehr in die Russische Föderation - jedenfalls außerhalb Tschetscheniens - deshalb staatlich verfolgt wird (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2011). Vor diesem Hintergrund hat der Senat keinen Anlass, entsprechend den in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Anträgen Ziff. 1 und Ziff. 2 (vgl. den als Anhang zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung genommenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012) Beweis zu erheben. Weder die vom Senat als widersprüchlich erachteten Angaben des Klägers noch seine Asylantragstellung und sein langjähriger Auslandsaufenthalt vermögen die in den hilfsweise gestellten Beweisanträgen aufgestellte Behauptung zu begründen, er könnte bei einer Rückkehr als Verräter und Spion oder als tschetschenischer Terrorist angesehen werden.
45 
b.) Dem Kläger ist es auch möglich, sich in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens niederzulassen.
46 
Art. 27 der russischen Verfassung von 1993 garantiert die Niederlassungsfreiheit. Dieses Recht ist allerdings strikt begrenzt durch regionale und lokale Bestimmungen und durch das de facto vielerorts noch gültige Propiska-System, das vor dem mit dem Föderationsgesetz im Jahre 1993 eingeführten Registrierungssystem galt und das nicht nur eine Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vorsah. Nach dem Registrierungssystem ist Voraussetzung für eine dauerhafte Registrierung, dass der Antragsteller einen Wohnraumnachweis führen kann und über einen russischen Inlandspass verfügt. Ein in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht für eine dauerhafte Registrierung nicht aus (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26). Trotz der Systemumstellung durch das Föderationsgesetz wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an, weshalb Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens erhebliche Schwierigkeiten haben, eine offizielle Registrierung zu erhalten. Besonders in Moskau haben zurückgeführte Tschetschenen in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt Aufnahme zu finden, wenn sie über genügend Geld verfügen oder auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können.
47 
Die genannten Registrierungsvoraussetzungen gelten im ganzen Land. Gleichwohl ist eine offizielle Registrierung in anderen Regionen der Russischen Föderation, vor allem in Südrussland, grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil Wohnraum - eine der Registrierungsvoraussetzungen - dort erheblich billiger ist als in der russischen Hauptstadt mit ihren hohen Mieten. Neben Moskau, wo etwa 200.000 Tschetschenen leben, ist es Tschetschenen auch gelungen, sich in den Gebieten Rostow, Wolgograd, Stawropol, Krasnodar, Astrachan, Nordossetien und in Karatschajewo-Tscherkessien anzusiedeln (AA, Lagebericht vom 07.03.2011; Memorial-Bericht Oktober 2007, Hrsg. Svetlana Gannuschkina, „ Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, August 2006 - Oktober 2007 - im Folgenden: Memorial-Bericht Oktober 2007).
48 
Der für die Registrierung erforderliche Inlandspass kann nach der Verordnung der Regierung der Russischen Föderation Nr. 779 vom 20.12.2006 „am Wohnort, Aufenthaltsort oder dem Ort der Antragstellung“ und damit auch außerhalb Tschetschenien beantragt werden (AA, Lagebericht vom 07.03.2011). Ethnische Tschetschenen, die sich außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation niederlassen wollen, müssen zwar damit rechnen, dass ihnen die Bestätigung der Anmeldung (die sog. "Registrierung") verweigert werden könnte (vgl. dazu die Abschnitte II.4 und IV.2 des Lageberichts vom 04.04.2010 und vom 07.03.2011). Diese - rechtswidrige - Praxis ist unter dem Blickwinkel des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 RL 2004/83/EG indessen nicht erheblich, da das Vorenthalten der Einstempelung in den Inlandspass, durch den die erfolgte Anmeldung einer Person beurkundet wird, als solches nicht mit einer Verletzung der in § 60 Abs. 1 AufenthG erwähnten Schutzgüter "Leben", "körperliche Unversehrtheit" und "Freiheit" einhergeht. Auch werden durch ein derartiges behördliches Verhalten nicht grundlegende Menschenrechte im Sinn von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/83/EG schwerwiegend beeinträchtigt. Zwar legalisiert erst eine Registrierung den Aufenthalt des Betroffenen; zudem ist sie Voraussetzung für den Zugang zur Sozialhilfe, zu staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, zum offiziellen Arbeitsmarkt sowie für den Bezug von Kindergeld und Rente (vgl. AA, Lagebericht vom 4.4.2010 und vom 07.03.2011; Memorial-Bericht Oktober 2007). Mit der Nichterteilung einer Zuzugsgenehmigung in eine bestimmte Gemeinde oder Stadt ist nach dem Charakter der Maßnahme aber nicht ein - zielgerichteter - Eingriff in das Leben oder die Gesundheit intendiert, sondern lediglich eine Aufenthaltsnahme in anderen Landesteilen (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2011; BVerwG, 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55 = NVwZ 2009, 982). Ferner ergibt sich aufgrund der Erkenntnislage, dass gerade in bestimmten Großstädten der Russischen Föderation, teilweise aber auch darüber hinaus die Registrierungsverweigerung der lokalen Behörden nicht an die tschetschenische Volkszugehörigkeit oder die Herkunft aus dem Nordkaukasus anknüpft, sondern sämtliche Zuzugswilligen in gleicher Weise betrifft (vgl. etwa Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 16.01.2007 - 13 LA 67/06 -, juris; Beschluss vom 24.06.2006 - 13 LA 398/05 -, juris ; OVG Bremen, Urteil vom 31.05.2006 - 2 A 112/06.A -, juris). Schließlich wird die Ausgrenzung aus der staatlichen Rechtsgemeinschaft, die der Nichtbesitz einer Registrierung in Bezug auf wichtige Lebensbereiche deshalb nach sich ziehen kann, dadurch spürbar gemildert, dass die Registrierungspflicht - nach Änderung der Registrierungsvorschrift am 22.12. 2004 - nunmehr erst nach 90 Tagen ab dem Beginn des Aufenthalts an einem Ort Platz greift (Memorial-Bericht Oktober 2007; OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20; BayVGH, Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris). Anhaltspunkte dafür, dass diese Regelung tatsächlich keine Anwendung findet, sind nicht ersichtlich.
49 
Ungeachtet dessen können sich Tschetschenen mit sehr guten Erfolgsaussichten gegen derartige Rechtsverstöße zur Wehr setzen, ohne dass sie vorübergehend nach Tschetschenien zurückkehren müssten. In den zum Gegenstand dieses Verfahrens gemachten, seit 2002 erschienenen Berichten der Menschenrechtsorganisation "Memorial" sind zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen es durch die Einschaltung von Abgeordneten, Journalisten, Menschenrechtsorganisationen oder Rechtsanwälten sowie erforderlichenfalls durch das Beschreiten des Rechtswegs gelungen ist, Tschetschenen eine Registrierung zu verschaffen. In Gestalt der 58 Beratungsstellen, über die die Organisation "Migration und Recht" verfügt, steht Betroffenen ein russlandweites Netz zur Verfügung, in dem jährlich mehr als 20.000 Menschen beraten werden. Soweit nicht bereits mit außerprozessualen Mitteln Abhilfe geschaffen werden kann, darf zumindest in aller Regel davon ausgegangen werden, dass der Betroffene vor Gericht Recht erhalten wird. Denn die russischen Gerichte üben Verwaltungskontrolle nach US-Vorbild aus; behördliche Bescheide können vor dem örtlich zuständigen Bezirksgericht angefochten werden. Die Gerichte sind die einzigen staatlichen Institutionen in Russland, die Tschetschenen Rechtsschutz gewähren. Da stattgebende gerichtliche Entscheidungen im Durchschnitt nach einigen Monaten ab Verfahrenseinleitung ergehen, kann ungeachtet des Umstandes, dass die Verwaltung fallweise rechtswidrige Bescheide trotz ihrer Aufhebung mehrmals erlassen hat, nicht davon gesprochen werden, eine Verweigerung der Registrierung stelle einen Eingriff in nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/83/EG geschützte Rechte dar, der zudem die nach diesen Bestimmungen erforderliche Schwere erreicht. Soweit es einige Monate dauern sollte, bis der Kläger eine Registrierung erhält, kann dieser Zeitraum durch Rückkehrhilfen nach dem REAG/GARP-Programm und durch Aushilfstätigkeiten überbrückt werden (vgl. BayVGH, Urteil vom 11.11.2010 - 11 B 09.30087 -, juris).
50 
c.) Bei einer Niederlassung in anderen Teilen der Russischen Föderation als Tschetschenien hätte der Kläger auch keine asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Verfolgung im Hinblick auf ihm dort etwa drohende polizeiliche Maßnahmen zu befürchten.
51 
Auch wenn der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen etwas abgenommen hat, berichten russische Menschenrechtsorganisationen nach wie vor von einem willkürlichen Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit; die Angehörigen dieses Personenkreises stünden unter einer Art Generalverdacht (AA, Lageberichte vom 04.04.2010 und vom 07.03.2011). Personenkontrollen auf der Straße oder in der U-Bahn sowie Hausdurchsuchungen fänden weiterhin statt, hätten jedoch an Intensität nachgelassen; Anweisungen russischer Innenbehörden zur spezifischen erkennungsdienstlichen Behandlung von Tschetschenen seien nicht bekannt (AA, Lageberichte vom 4.4.2010 und vom 07.03.2011).
52 
Auch derartige Vorgänge sind indessen unter dem Blickwinkel des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 RL 2004/83/EG grundsätzlich noch nicht rechtserheblich. Muss ein Tschetschene häufiger seinen Ausweis vorzeigen oder sieht er sich öfter mit Durchsuchungsmaßnahmen konfrontiert, als das bei sonstigen Bewohnern der Russischen Föderation der Fall ist, so mag diese Schlechterstellung zwar an die Volkszugehörigkeit, das körperliche Erscheinungsbild oder die regionale Herkunft - und damit an ein Merkmal im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bzw. Art. 10 Abs. 1 RL 2004/83/EG - anknüpfen. Da solche polizeiliche Handlungen indes weder die in § 60 Abs. 1 AufenthG erwähnten Schutzgüter "Leben", "körperliche Unversehrtheit" oder "Freiheit" noch grundlegende Menschenrechte (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/83/EG) verletzen und sie die Betroffenen auch nicht im Sinn von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/83/EG in ähnlich gravierender Weise beeinträchtigen, kommt diesen Praktiken - ungeachtet ihres diskriminierenden Charakters - im Regelfall keine flüchtlingsrechtliche Relevanz zu.
53 
Eine hiervon abweichende Betrachtung wäre dann geboten, wenn es bei derartigen Kontroll- oder Durchsuchungsmaßnahmen zu Übergriffen auf Leib oder Leben der Betroffenen käme oder sie mit einem Freiheitsentzug einhergehen würden, der von seiner zeitlichen Länge her den Rahmen übersteigt, innerhalb dessen eine Person auch in einem Rechtsstaat durch die vollziehende Gewalt vorübergehend festgehalten werden darf. Dass sich der Kläger solchen Praktiken ausgesetzt sehen wird, lässt sich jedoch mit praktischer Sicherheit ausschließen. Gleiches gilt für die Besorgnis, ihm könnten gefälschte Beweismittel untergeschoben werden, um ihn ungerechtfertigt mit einem Strafverfahren zu überziehen. Denn eine Auswertung der einschlägigen Erkenntnismittel ergibt, dass jedenfalls solche Tschetschenen, bei denen es sich nicht um junge Männer handelt, die sich - unmittelbar aus dem früheren Bürgerkriegsgebiet kommend - in andere Teile der Russischen Föderation begeben haben, und die auch nicht durch individuelles rechtswidriges Vorverhalten Anlass für ein polizeiliches Einschreiten gegeben haben, bei Kontakten mit den staatlichen Sicherheitsorganen keine Übergriffe befürchten müssen, denen flüchtlingsrechtliche Relevanz zukommt. So liegt der Fall beim Kläger. Zum einen hat er etwa neun Jahre im Ausland verbracht, so dass keine Rede davon sein kann, dass er direkt aus dem Bürgerkriegsgebiet in andere Gebiete der Russischen Föderation eingereist ist. Zum anderen hat er auch nicht glaubhaft angegeben, in einer militärisch organisierten Rebelleneinheit gekämpft zu haben. Aus den Erkenntnismitteln geht hervor, dass bei Tschetschenen, die nicht die vorbezeichneten Ausnahmekriterien erfüllen, stichhaltige Gründe dagegen sprechen, sie könnten mit ungerechtfertigten strafrechtlichen Vorwürfen überzogen werden (vgl. hierzu BayVGH, Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 - 11 B 09.30087 -, juris).
54 
d.) Die in der Russischen Föderation zu beobachtenden Vorkommnisse, deren Ursache in rassistischen oder fremdenfeindlichen Motiven zu suchen sind, stehen der Annahme einer inländischen Fluchtalternative bzw. eines internen Schutzes nach § 60 Abs. 1 Satz 4 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 RL 2004/83/EG gleichfalls nicht entgegen.
55 
Der Senat übersieht nicht, dass Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens in gesteigertem Maße Anfeindungen und Misstrauen begegnen. M. Grob (SFH vom 12.09.2011) spricht davon, dass Rassismus gegenüber Kaukasiern in Russland weit verbreitet sei und auch gewalttätigen Charakter habe. Hierbei handelt es sich allerdings lediglich um eine allgemeine Aussage; nachvollziehbare Einzelheiten werden nicht angegeben. Auch R. Mattern (SFH vom 03.06.2010) berichtet von Rassismus als gesellschaftliches Problem. Gefährdungen bestünden für Ausländer mit dunkler Hautfarbe. Allerdings würden russische Sicherheitskräfte versuchen, rassistische Gewalt mit repressiven Methoden zu bekämpfen. Allein im ersten Quartal 2010 seien in 18 Urteilen 74 Personen wegen rassistischer Gewalt verurteilt worden. Im Lagebericht des AA vom 07.03.2011 werden keine asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Rassismusvorfälle gegenüber Tschetschenen berichtet, die nicht nach Tschetschenien, sondern in andere Teile der Russischen Föderation zurückkehren. Im Bericht von U. Rybi (FFH vom 25.11.2009) finden sich hierzu gleichfalls keine Angaben. Zwar spricht auch der Memorial-Bericht April 2009 (Hrsg. Svetlana Gannuschkina, „ Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, Oktober 2007 - April 2009 - im Folgenden: Memorial-Bericht April 2009) von einem „neuen“ Feindbild in Russland, das sich gegen Tschetschenen richte. Die Berichterstattung beschreibt aber im Wesentlichen ein geistiges Klima. Gewalttätige Übergriffe rechtsradikaler russischer Kräfte auf Tschetschenen, die staatlicherseits initiiert oder geduldet würden, werden in einem asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Ausmaß hingegen - auch im vorausgehenden Memorial-Bericht Oktober 2007, - nicht geschildert. Soweit es Mitte August 2005 im südrussischen Jandyki und in Naltschik - der Hauptstadt der Republik Kabardino-Balkarien - zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Tschetschenen und Angehörigen anderer Volksgruppen gekommen ist (vgl. Memorial-Bericht 2006 [Juli 2005 - Juli 2006]), sind solche Vorkommnisse, bei denen die Gewalttätigkeiten im Übrigen auch von der tschetschenischen Seite ausgingen, in jüngerer Zeit nicht mehr bekannt geworden (vgl. hierzu BayVGH, Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 - 11 B 09.30087 -, juris). Den Erkenntnismitteln kann bei der gebotenen Objektivität nicht entnommen werden, dass ethnische Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich Opfer gewalttätiger Übergriffe aus fremdenfeindlichen Beweggründen werden. Angesichts der Vielzahl von in der Russischen Föderation sowohl als Binnenflüchtlinge als auch als Migranten lebenden Tschetschenen bieten die nicht mit näherer Quantifizierung verbundenen Angaben über gegen sie gerichteten Maßnahmen keine zureichenden Anhaltspunkte für die Annahme einer auch nur geringen Wahrscheinlichkeit einer eigenen asyl- bzw. flüchtlingserheblichen Verfolgungsbetroffenheit (vgl. auch OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20. Die Frage, inwieweit sich der russische Staat solche von gesellschaftlichen Kräften ausgehenden Übergriffe gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG zurechnen lassen muss, kann deshalb auf sich beruhen.
56 
e.) Dem Kläger droht aufgrund seines Alters von 55 Jahren auch nicht mehr die Einberufung zum Wehrdienst in der russische Armee (vgl. Lagebericht vom 4.4.2010, wonach die allgemeine Wehrpflicht nur für Männer zwischen 18 und 28 Jahren besteht).
57 
f.) Dem Auswärtigen Amt sind ferner keine Fälle bekannt geworden, in denen tschetschenische Volkszugehörige bei oder nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt waren (Lageberichte vom 4.4.2010 und vom 07.03.2011). Zwar geht das Auswärtige Amt davon aus, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren; diese Befürchtung bezieht sich jedoch insbesondere auf solche Personen, die sich in der Tschetschenienfrage besonders engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren (Lageberichte vom 4.4.2010 und vom 07.03.201; vgl. insoweit auch BayVGH, Urteil vom 11.11.2010 – 11 B 09.30087 -, juris). Zu diesen besonderen Risikogruppen gehört der Kläger indessen nicht.
58 
g.) Dem Kläger ist auch mit Blick auf die Gewährleistung des Existenzminimums eine Aufenthaltsnahme in den übrigen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zumutbar.
59 
Eine interne Fluchtalternative im Sinne von Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG setzt neben der - oben dargelegten - Verfolgungssicherheit voraus, dass von dem Kläger vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Maßgeblich ist insofern, ob der Kläger im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative existentiellen Bedrohungen ausgesetzt sein wird, wobei es im Hinblick auf die Neufassung des § 60 AufenthG zur Umsetzung der RL 2004/83/EG nicht (mehr) darauf ankommt, ob diese Gefahren am Herkunftsort ebenso bestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11/07 -, BVerwGE 131, 186). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände im Sinne des Art. 8 Abs. RL 2004/83/EG kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2004/83/EG zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist, dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben.
60 
Eine existentielle Bedrohung ist gegeben, wenn das Existenzminimum nicht gesichert ist. Erwerbsfähigen Personen bietet ein verfolgungssicherer Ort das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel, wenn sie dort - was grundsätzlich zumutbar ist - durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer "Schatten- oder Nischenwirtschaft" stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen „mafiöser“ Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 17.05.2005 - 1 B 100/05 -, juris). Maßgeblich ist grundsätzlich auch nicht, ob der Staat den Flüchtlingen einen durchgehend legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde, vielmehr ist in tatsächlicher Hinsicht zu fragen, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96.06 -, juris; Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590), d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit bestritten werden können. Ein Leben in der Illegalität, das den Kläger jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, stellt demgegenüber keine zumutbare Fluchtalternative dar (BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590).
61 
Gemessen an diesen Grundsätzen ist es dem Kläger - nach der gegenwärtigen Sachlage (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG sowie Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG) - zuzumuten und kann von ihm daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er seinen Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nimmt, in dem er vor Verfolgung sicher ist und wo sein soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist.
62 
Wie bereits ausgeführt erweitert die Verordnung der Regierung der Russischen Föderation Nr. 779 vom 20.12.2006 die Möglichkeit zur Beantragung und Ausstellung des Inlandspasses in räumlicher Hinsicht. Dieser kann nunmehr am Wohnort, Aufenthaltsort oder dem Ort der Antragstellung ausgestellt werden (vgl. AA, Lageberichte vom 22.11.2008 und vom 07.03.2011; ebenso Memorial-Bericht Oktober 2007). Die Innehabung eines gültigen Inlandspasses ist ihrerseits Voraussetzung für die in diesen Pass zu stempelnde Wohnsitzregistrierung. Die Registrierung, die dem Kläger - wie oben ausgeführt - wenn auch ggf. mit leichter Verzögerung ebenso wie seiner Ehefrau möglich ist, legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2011; Memorial-Bericht, Oktober 2007). Mit der Registrierung besteht auch für die Kinder des Klägers Zugang zur Bildung (Memorial-Bericht Oktober 2007). Svetlana Gannuschkina berichtet im Memorial-Bericht Oktober 2007, dass im vergangenen Jahr keine Klagen von Menschen aus Tschetschenien über Diskriminierung bei der Arbeitsaufnahme vorlägen.
63 
Die persönlichen Umstände des Klägers rechtfertigen keine andere Einschätzung. Der Kläger ist mit 55 Jahren noch in einem arbeitsfähigen Alter. Hinzu kommt, dass seine Ehefrau mit 44 Jahren deutlich jünger ist und damit ebenfalls durch legale Arbeit infolge Registrierung zum notwendigen Lebensunterhalt beitragen kann. So berichtet Svetlana Gannuschkina, dass tschetschenische Frauen auf der Straße und den Märkten durch Handel ihr Geld verdienen können (Memorial-Bericht Oktober 2007). Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch keine seine Arbeitsfähigkeit wesentlich einschränkende Erkrankung substantiiert dargelegt. Dem Senat liegt zwar das psychologische Gutachten des Evangelischen Migrationsdienstes in Württemberg e.V. vom 26.10.2006 über den Kläger vor. Darin wird angegeben, der Kläger leide an einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung. Zusätzlich bestehe eine Teilsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger indessen lediglich angegeben, er gehe ein- bis zweimal im Monat zum Arzt. Er leide an Bluthochdruck. Er sei auch in Behandlung wegen der Nerven und wegen Operationen. Weitere detaillierte Angaben hat der Kläger nicht gemacht. Vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass für den Kläger infolge der Registrierung ein Zugang zum kostenlosen Gesundheitssystem besteht und posttraumatische Belastungsstörungen in der Russischen Föderation in großen und größeren Städten grundsätzlich behandelt werden können (vgl. R. Mattern, SFH, Auskunft vom 20.04.2009), kann vom Kläger vernünftigerweise erwartet werden, in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens Aufenthalt zusammen mit seiner Ehefrau und seinen Kindern zu nehmen. Angesichts dessen, dass der Kläger zu seiner psychischen Erkrankung, wie sie im psychologischen Gutachten vom 26.10.2006 - also vor mehr als sechs Jahren - dargestellt wird, keine weiteren substantiierten Angaben gemacht hat, insbesondere dem Senat nicht erläutert hat, ob die seinerzeit diagnostizierte psychische Erkrankung überhaupt noch besteht und wenn ja, welche Behandlungsmaßnahmen erfolgen, war dem vom Kläger hilfsweise gestellten Beweisantrag Ziff. 3 (vgl. den als Anhang zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung genommenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012) auf Einholung eines Gutachtens von Herrn Dr. T... S... zum Beweis der Tatsache, dass „der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, an einer jetzt schon chronifizierten Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, dass diese psychische Erkrankung bereits jetzt schon chronifiziert ist aufgrund der Dauer des Verfahrens, dass diese psychische Erkrankung auch Auswirkungen auf sein Aussageverhalten hat im Sinne eines Verdrängungsmechanismus, so dass bei einer Rückkehr oder Abschiebung der Kläger ein akutes Wiederholungstrauma erleiden würde, eine sog. Retraumatisierung in jedem Fall jedoch diese Erkrankung behandlungsbedürftig ist und zwar in einem sicheren Rahmen in der Bundesrepublik Deutschland, ansonsten sich die Erkrankung akut verschlimmert“, nicht nachzugehen. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sind keine zureichenden Anhaltspunkte für eine akute posttraumatische Belastungsstörung und erst recht nicht für eine chronifizierte Persönlichkeitsänderung zu entnehmen. Die entsprechenden Behauptungen im Beweisantrag werden daher nicht durch tatsächliche Indizien gestützt. Sie erscheinen vielmehr als „ins Blaue hinein“ erhoben; der Beweisantrag ist daher als Ausforschungsbeweisantrag unzulässig. Für den Senat kommt hinzu, dass - wie bereits aufgezeigt - in der Russischen Föderation posttraumatische Belastungsstörungen behandelt werden können. Weiterhin wird in dem psychologischen Gutachten vom 26.10.2006 ausgeführt, dass die Sorge um die Rückkehr aufgrund massiver Ängste vor einer möglichen Folterung und/oder Ermordung zwar die Symptomatik verstärke, jedoch nicht die Ursache der Erkrankung sei. Die Symptomatik und die Verhaltensweisen könnten zudem nicht durch eine Sorge vor einer möglichen Rückkehr erklärt werden. Auch könne die Entwurzelung im Exilland (Unkenntnis der Landessprache, sozialer Abstieg, Arbeitslosigkeit, enge Wohnverhältnisse) als Ursache der bestehenden psychischen Störung ausgeschlossen werden. In diesem Zusammenhang ist allerdings zusätzlich festzustellen, dass das Gutachten von einer Rückkehr nach Tschetschenien ausgegangen ist. Da der Kläger sowohl tschetschenisch als auch russisch versteht und spricht, kann von einer Unkenntnis der Landessprache wohl nicht ausgegangen werden. Auch besteht angesichts der fehlenden inhaltlich aussagekräftigen Angaben des Klägers zu seiner derzeitigen psychischen Verfassung keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass er bei einer Niederlassung in einem anderen Teil der Russischen Föderation als Tschetschenien eine Registrierung erst nach dem Ablauf einer Zeitspanne erhalten wird, die so lange ist, dass sich ein aus seiner psychischen Verfassung ergebendes Lebens- bzw. Gesundheitsrisiko - wie im Beweisantrag behauptet - bis dahin realisieren könnte.
64 
In Würdigung all dessen kann vom Kläger vernünftigerweise verlangt werden, dass er sich in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens aufhält. Nach den eben beschriebenen dortigen allgemeinen Gegebenheiten besteht für den Kläger weder eine begründete Furcht vor Verfolgung noch die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.
II.
65 
Der Kläger erfüllt ferner nicht die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 sowie Abs. 7 Satz 2 AufenthG (i.V.m. Abs. 11 und Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 sowie Art. 6 bis 8 RL 2004/83/EG).
66 
Über die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 sowie Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist auch in den Fällen zu entscheiden, in denen das Bundesamt - wie vorliegend - vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes über das (Nicht-)Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten entschieden hat und hiergegen Klage erhoben worden ist. In den anhängigen gerichtlichen Verfahren wächst der am 28.08.2007 neu hinzugetretene unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz automatisch an und ist damit zwingend zu prüfen. Über dieses Prüfprogramm können die Verfahrensbeteiligten nicht disponieren und damit in Übergangsfällen das Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes während des gerichtlichen Verfahrens nicht verhindern. In diesen Fällen bedarf es keiner ausdrücklichen Einbeziehung des neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsschutzes in das anhängige gerichtliche Verfahren durch einen der Verfahrensbeteiligten (zur prozessrechtlichen Bedeutung dieser Abschiebungsverbote und zu ihrem Verhältnis zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 3 AufenthG sowie zum Streitgegenstand im asylrechtlichen Verwaltungsprozess vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198; Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360; Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226; Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris = DVBl 2011, 1565 [Ls.]; Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 -, NVwZ 2012, 244).
67 
1. Die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG (i.V.m. Art. 15 Buchst. b RL 2004/83/EG und Art. 3 EMRK) liegen nicht vor.
68 
Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Die Regelung des § 60 Abs. 2 AufenthG dient der Umsetzung von Artikel 15 Buchst. b) RL 2004/83/EG, der seinerseits im Wesentlichen dem Grundrecht aus Art. 3 EMRK entspricht (vgl. EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 – Elgafaji, InfAuslR 2009, 138 = NVwZ 2009, 705). Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen in der Person des Klägers insbesondere auch deshalb keine zureichenden Anhaltspunkte, weil kein Strafverfahren gegen ihn anhängig ist oder ihm droht.
69 
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG liegt gleichfalls nicht vor.
70 
Nach § 60 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. a RL 2004/83/EG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht. Im vorliegenden Fall gibt es keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen Gefahr.
71 
3. Die Voraussetzungen für eine Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben.
72 
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685 - EMRK -) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Für das Vorliegen eines solchen Abschiebungsverbotes ist nichts ersichtlich, insbesondere muss der Kläger - wie oben ausgeführt - nicht befürchten, außerhalb Tschetscheniens in unmenschlicher oder erniedrigender Weise behandelt oder gar gefoltert zu werden (Art. 3 EMRK). Andere Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention sind im Fall des Klägers tatbestandlich nicht einschlägig. Dies gilt auch mit Blick auf Art. 8 EMRK. Denn die Asylanträge seiner Ehefrau und seiner Kinder bleiben gleichfalls ohne Erfolg; ein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik Deutschland besteht nicht.
73 
4. Auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c RL 2004/83/EG sind nicht erfüllt.
74 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, durch den die sich aus Art. 18 in Verbindung mit Art. 15 Buchst. c und Art. 2 Buchst. e RL 2004/83/EG ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung eines „subsidiären Schutzstatus“ bzw. „subsidiären Schutzes“ in nationales Recht umgesetzt werden, ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris).
75 
Es kann vorliegend dahinstehen, ob in Tschetschenien derzeit noch ein - regional begrenzter (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008, - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198) - innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht und ob deshalb in dieser Region auch eine individuelle Bedrohung des Klägers wegen eines außergewöhnlich hohen Niveaus allgemeiner Gefahren im Rahmen des bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56 Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris ) unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG i.V.m. § 60 Abs. 11 AufenthG (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris; Beschluss vom 23.11.2011- 10 B 32/11 -, juris) anzunehmen ist. Denn ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG besteht bei einem - nur - regional begrenzten Konflikt dann nicht, wenn dem Betroffenen ein interner Schutz nach Art. 8 RL 2004/83/EG (i.V.m. § 60 Abs. 11 AufenthG) zur Verfügung steht, weil außerhalb der Region keine Gefahrenlage im oben dargestellten Sinn besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.07.2009, - 10 C 9.08 -, BVerwGE 134, 188; Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 -, BVerwGE 131, 186; vgl. ferner EuGH, Urteil vom 17.02.2009, - C-465/07 - Elgafaji, InfAuslR 2009, 138 = NVwZ 2009, 705). Dies ist vorliegend der Fall. Denn dem Kläger steht nach den obigen Ausführungen in anderen Teilen der Russischen Föderation eine zumutbare interne Schutzalternative zur Verfügung. Diese ist auch erreichbar und es kann von ihm - wie dargelegt - auch unter Würdigung seiner persönlichen Belange und bei Bewertung der gesamten Umstände vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält.
III.
76 
In der Person des Klägers liegen schließlich auch nicht die Voraussetzungen für die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einschließlich der verfassungskonformen Anwendung von Satz 1 und 3 (vgl. zum einheitlichen Streitgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen BVerwG, Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris) vor.
77 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn diesem dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Dies setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer hingegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG, die nicht nur ihn persönlich, sondern zugleich die gesamte Bevölkerung oder seine Bevölkerungsgruppe allgemein treffen, wird - abgesehen von Fällen der richtlinienkonformen Auslegung bei Anwendung von Art. 15 Buchst. c RL 2004/83/EG für internationale oder innerstaatliche bewaffnete Konflikte - der Abschiebungsschutz grundsätzlich nur durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt.
78 
Beim Fehlen einer solchen Regelung kommt die Feststellung eines Abschiebungsverbots nur bei Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke (Art. 1, Art. 2 Abs. 2 GG) in Betracht, d.h. nur zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage in dem Sinne, dass dem Ausländer sehenden Auges der sichere Tod droht oder er schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07-, BVerwGE 131, 198). Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
79 
Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360 = InfAuslR 2010, 404 = NVwZ 2011, 56; Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 = AuAS 2010, 249 = InfAuslR 2010, 458 = NVwZ 2011, 48; Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris; Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 -, NVwZ 2012, 244).
80 
In Anwendung dieser Grundsätze besteht, wie der Senat unter I. 2. festgestellt hat, eine solche extreme konkrete Gefahrenlage für den Kläger in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens nicht.
IV.
81 
Die in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts vom 11.05.2004 enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung entspricht den gesetzlichen Vorschriften (vgl. § 34 und § 38 Abs. 1 AsylVfG) und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
82 
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
83 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entsprach nicht der Billigkeit (§ 154 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung), dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten aufzuerlegen, da dieser keinen Antrag gestellt und somit auch kein Kostenrisiko übernommen hat (§ 162 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung).
84 
Gerichtskosten werden nach § 83b AsylVfG nicht erhoben.
85 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Gründe

 
22 
Der Senat kann trotz Nichterscheinens des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten entscheiden, da dieser mit der Ladung nach § 102 Abs. 2 VwGO auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
23 
Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige - insbesondere mit ihrer Begründung den Vorgaben des § 124a Abs. 6 VwGO entsprechende - Berufung des Klägers ist unbegründet.
24 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist - entgegen der Zulassung der Berufung durch den Senat nicht nur der Anspruch des Klägers auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person hinsichtlich der Russischen Föderation und damit der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.02.2010 - 10 C 7.09 -, NVwZ 2010, 974), sondern auch sein hilfsweise geltend gemachter Anspruch auf Feststellung unionsrechtlicher und nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes von 2007 bilden die auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG 2004 zum einen und die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG 2004 zum anderen jeweils eigenständige Streitgegenstände, wobei die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote vorrangig vor dem nationalen Abschiebungsverbot u.a. nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG 2004 zu prüfen sind. Damit sind die auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG 2004 in dem Verfahren angewachsen (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198; Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360; Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226; Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris = DVBl 2011, 1565 [Ls.]; Beschluss vom 10.10.2011 - 10 B 24/11-, juris; Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 -, NVwZ 2012, 244). Für die nationalen Abschiebungsverbote gilt nichts anderes.
25 
Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO; I.). In der Person des Klägers liegen ferner weder unionsrechtliche (II.) noch nationalrechtliche (III.) Abschiebungsverbote vor. Die Abschiebungsandrohung ist gleichfalls rechtlich nicht zu beanstanden (IV.).
I.
26 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich der Russischen Föderation nicht vorliegen.
27 
Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12) - RL 2004/83/EG - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). Die RL 2004/83/EG ist vorliegend auch noch maßgeblich, da nach Art. 40 RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung der RL 2004/83/EG) diese Richtlinie erst mit Wirkung vom 21.12.2013 aufgehoben wird.
28 
Nach Art. 2 Buchst. c) RL 2004/83/EG ist Flüchtling unter anderem derjenige Drittstaatsangehörige, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
29 
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist beziehungsweise dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG).
30 
Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181-, BVerfGE 54, 341; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 237.80 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Verfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (BVerwG, Urteil vom 27.04.1982 - 9 C 308.81 -, BVerwGE 65, 250). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (BVerwG, Urteil vom 18.02.1997, a.a.O. S. 99).
31 
Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 RL 2004/83/EG erlitten hat (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377; Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, InfAuslR 2011, 408; vgl. auch EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505). Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ des Art. 2 Buchst. e) RL 2004/83/EG enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, NVwZ 2008, 1330); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 18.04.1996 - 9 C 77.95 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, ZAR 2008, 192). Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten beziehungsweise Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung beziehungsweise einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla, NVwZ 2010, 505). Dadurch wird der Vorverfolgte beziehungsweise Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden beziehungsweise schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 - Saadi -, NVwZ 2008, 1330). Demjenigen, der im Herkunftsstaat Verfolgung erlitten hat oder dort unmittelbar von Verfolgung bedroht war, kommt die Beweiserleichterung unabhängig davon zugute, ob er zum Zeitpunkt der Ausreise in einem anderen Teil seines Heimatlandes hätte Zuflucht finden können; der Verweis auf eine inländische Fluchtalternative vor der Ausreise ist nicht mehr zulässig (BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55 = NVwZ 2009, 982).
32 
Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung beziehungsweise des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09, BVerwGE 136, 377 = NVwZ 2011, 51). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (BVerwG, Beschluss vom 23.11.2011- 10 B 32/11 -, juris).
33 
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Buchst. a)) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchst. a) beschrieben Weise betroffen ist (Buchst. b)). Beim Flüchtlingsschutz bedeutet allein die Gefahr krimineller Übergriffe ohne Anknüpfung an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund keine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG (BVerwG, Beschluss vom 23.11.2011- 10 B 32/11 -, juris). Art. 9 Abs. 3 RL 2004/83/EG bestimmt, dass eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 RL 2004/83/EG genannten Verfolgungsgründen und den in Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG als Verfolgung eingestuften Handlungen bestehen muss.
34 
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243; Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30, jeweils m.w.N.). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200) - ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006, a.a.O.). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994, a.a.O.). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, das heißt wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
35 
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a) und b) AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237).
36 
Die dargelegten Maßstäbe für die Gruppenverfolgung beanspruchen auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG Gültigkeit. Das Konzept der Gruppenverfolgung stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Richtlinie 2004/83/EG in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 RL 2004/83/EG und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 RL 2004/83/EG definiert (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009, - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237; vgl. zur Gruppenverfolgung zuletzt auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 -, juris; Urteil vom 09.11.2010 - A 4 S 703/10 -, juris; Beschluss vom 04.08.2011 - A 2 S 1381/11 -, juris).
37 
Die Bundesrepublik Deutschland hat in § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG von der den Mitgliedstaaten in Art. 8 RL 2004/83/EG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, internen Schutz im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung zu berücksichtigen. Gemäß Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG verlangt von den Mitgliedstaaten bei Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und der persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Gemäß Absatz 3 kann Absatz 1 auch angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen (BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 20.08 -, juris).
38 
1. In Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben war der Kläger zum Zeitpunkt seiner Ausreise keiner anlassgeprägten Einzelverfolgung ausgesetzt, weshalb ihm insoweit die Privilegierung aus Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG nicht zu Gute kommt.
39 
Das Vorbringen des Klägers zu seinem behaupteten Verfolgungsschicksal ist wegen erheblicher Widersprüchen, insbesondere wegen deutlich gesteigerten Vorbringens sowie wegen stereotyper Angaben insgesamt nicht glaubhaft. Beim Bundesamt hat der Kläger vorgetragen, er sei beim Innenministerium tätig gewesen und zwar in einer Sonderabteilung. Sie hätten operative Aufgaben durchgeführt. Sie hätten Informationen über die Bewegung der Truppen, ihre Bewaffnung und ihre Zahl gesammelt. Er sei zum Major befördert worden. Substantiierte Angaben zu seiner Tätigkeit im Innenministerium hat der Kläger beim Bundesamt nicht gemacht. Bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart hat er erstmals angegeben, nach dem Kriegsende sei er wieder beim Innenministerium als Aufsicht über Feuerwehr und Gefängnisse eingesetzt worden. Daneben sei er noch in einer Aufklärungstruppe tätig gewesen. Seine Gruppe sei u.a. bei den Kämpfen gegen Wahabiten beteiligt gewesen. Dieses aber hat der Kläger beim Bundesamt nicht erwähnt. Auf die Frage beim Bundesamt, von wem er denn verfolgt worden sei, hat der Kläger geantwortet, wenn er das gewusst hätte. Aber das werde zielgerichtet gemacht. Auf Nachfrage hat er angegeben, er glaube, dass dies aus den Kreisen des FSB, der Nationalen Sicherheit komme. Demgegenüber hat der Kläger in seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart erklärt, er vermute, dass es die Wahabiten gewesen seien, die sie verfolgt hätten. Nicht nachvollziehbar ist auch die Aussage des Klägers beim Bundesamt, er habe von 1994 bis 1999 für die tschetschenische Regierung bei Dudajew gearbeitet. Denn Dschochar Mussajewitsch Dudajew starb bereits im April 1996. Sein Nachfolger im Amt des Präsidenten wurde 1997 Aslan Maschadow. Zu seinen Aufgaben beim Innenministerium hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine weiteren substantiierten Angaben gemacht. Völlig widersprüchlich sind auch die Angaben des Klägers zu seiner Ausbildung. Auf entsprechende Frage beim Bundesamt hat der Kläger angegeben, er habe die Fachschule des Innenministeriums 1988 in Charkov abgeschlossen und zwar mit einem Diplom als Techniker für Spezialtechnik. Auf Nachfrage hat er erklärt, es habe sich um Waffen- und Fahrzeugtechnik, spezielle Technik für das Innenministerium gehandelt. Demgegenüber hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart angegeben, er habe in Grosny im Jahre 1994 mit dem Hochschulabschluss als Philologe abgeschlossen. Über seine Ausbildung als Fahrlehrer und das Betreiben einer Fahrschule in Grosny hat der Kläger weder beim Bundesamt noch beim Verwaltungsgericht berichtet. Das Vorbringen des Klägers steht ferner auch im Widerspruch zu den Angaben seiner Ehefrau. Diese hat bereits bei ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 25.08.2000 im Rahmen ihres eigenen Asylverfahrens erklärt, die Russen hätten ihren Ehemann im Winter 1999/2000 bei ihr gesucht. Bei ihrer Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung hat sie dies bestätigt und ergänzt, die Männer hätten ihr gesagt, sie seien von der Rayon-Abteilung für Inneres, also der Miliz. Sie habe ihrem Mann nichts davon erzählt. Später hat sie dann ausgeführt, Soldaten seien mit einem Panzer gekommen und hätten ihr Haus, in dem inzwischen eine Nachbarin gewohnt habe, in die Luft gejagt. Das habe sie ihrem Mann erzählt, als sie ihn das letzte Mal gesehen habe. Dies hat der Kläger indessen weder beim Bundesamt noch bei seiner gerichtlichen Anhörung beim Verwaltungsgericht Stuttgart noch bei seiner Anhörung vor dem Senat erwähnt. Auch der Senat hält es nicht für glaubhaft, dass die Ehefrau ihrem Mann nichts davon erzählt hätte, wenn russische Milizionäre nach ihm gesucht hätten. Widersprüchlich sind weiterhin die Angaben zu den Umständen der Flucht der Ehefrau des Klägers. Der Kläger hat beim Bundesamt erklärt, die Ausreise seiner Frau hätten seine Schwiegereltern organisiert und auch finanziert. Demgegenüber hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart angegeben, zwei Freunde von ihm hätten auf seine Bitte das Ganze über weitere Bekannte organisiert. Bereits diese dargestellten Widersprüche zeigen die Unglaubhaftigkeit der Angaben des Klägers. Diese wird durch seine weiteren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt. Hier hat der Kläger nunmehr erstmals angegeben, er habe, während er sich in der Zeit von 1999 bis 2003 versteckt bzw. im Untergrund aufgehalten habe, mit Menschenrechtsorganisationen zusammengearbeitet. Er habe mit seinem Freund R... Meetings organisiert und an Demonstrationen teilgenommen, allerdings nicht offiziell. Er habe Fälle von Misshandlungen und Angriffe an R... weitergegeben, die dieser dann wiederum an I... E... weitergeleitet habe. Auf Nachfrage gab der Kläger dann an, an Demonstrationen habe er nicht teilgenommen. Er habe aus dem Untergrund Informationen gesammelt. I... E... habe er erst im August 2003 kennengelernt. Aber auch dieses Vorbringen bleibt, abgesehen davon, dass der Kläger diese für ihn wichtige Tätigkeit erstmals vor dem Senat schildert, im Ungefähren. Dem Kläger war es nicht möglich anzugeben, für welche Menschenrechtsorganisationen er angeblich Informationen gesammelt habe, obwohl I... E... - wie der Kläger weiter behauptet hat - Vorsitzender und Leiter der Organisation gewesen sei. Auf Frage, wer ihn verfolgt habe, gibt der Kläger nun wieder an, er sei von russischen Streitkräften verfolgt worden, nicht so sehr von Wahabiten. Eine Erklärung für die Behauptung, es sei herausgekommen, dass er Informationen an I... E... geliefert habe, konnte der Kläger nicht geben. Aufgrund all dessen konnte sich der Senat nicht von der Wahrheit der Angaben des Klägers überzeugen.
40 
Vor diesem Hintergrund war dem hilfsweise gestellten Antrag Ziffer 4 (vgl. den als Anhang zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung genommenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012) zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger im Rang eines Majors im Innenministerium in Grosny gearbeitet habe, dass er festgenommen, gefoltert, misshandelt und erniedrigt worden sei, dass man ihn getötet hätte, wenn er nicht geflohen wäre, I... E... als Zeuge zu vernehmen, nicht nachzugehen. Darüber hinaus hat der Kläger angegeben, er habe I... E... erst im August 2003 persönlich kennengelernt, wobei das Treffen ca. 10 bis 30 Minuten gedauert habe. Aus eigener Kenntnis könnte I... E... daher zu den unter Beweis gestellten Umständen, soweit es sich überhaupt um Tatsachen und nicht nur um Mutmaßungen - wie z.B. hinsichtlich der Tötung des Klägers - handelt, keine Angaben machen. Im Übrigen ist das Vorbringen des Klägers zu I... E... ebenfalls widersprüchlich. Vor dem Senat hat der Kläger angegeben, I... E... habe keinen regulären Beruf gehabt. Zur Begründung des hilfsweise gestellten Beweisantrags hat der Kläger aber angegeben, der Zeuge sei früheres Mitglied der tschetschenischen Regierung gewesen und kenne ihn aus früheren Zeiten. Er arbeite jetzt für amnesty international. Demgegenüber hat der Kläger - wie oben bereits ausgeführt - keine Angaben dazu machen können, für welche Menschenrechtsorganisationen er und I... E... gearbeitet habe.
41 
2. Ob der Kläger zum Zeitpunkt seiner Ausreise einer - regionalen - Gruppenverfolgung in Tschetschenien ausgesetzt war und noch ist (letzteres verneinend OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.03.2009 - OVG 3 B 16.08 -, juris; BayVGH, Urteil vom 29.01.2010 - 11 B 07.30343 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 – 11 B 09.30087 -, juris; OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20) bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn dem Kläger steht jedenfalls in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens eine inländische Fluchtalternative nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG und damit ein interner Schutz im Sinne des Art. 8 RL 2004/83/EG zur Verfügung. Es ist ihm zuzumuten und kann von ihm daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er seinen Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nimmt, an dem er vor Verfolgung sicher ist und wo sein soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist.
42 
Der Senat geht zugunsten des Klägers davon aus, dass die Bewohner Tschetscheniens im Zeitpunkt seiner Ausreise einer regionalen Gruppenverfolgung ausgesetzt waren. Ob dies tatsächlich der Fall war - ob mithin tschetschenische Volkszugehörige aus Tschetschenien dort aus asylerheblichen Gründen (wegen ihres Volkstums oder ihrer politischen Überzeugung) in der erforderlichen Verfolgungsdichte und -intensität von staatlichen russischen [oder der tschetschenischen Republik zuzuordnenden] Stellen verfolgt wurden - braucht demgemäß nicht entschieden zu werden. Die Gefahr einer künftigen Verfolgung des Klägers ist deshalb zwar unter Zubilligung der sich aus Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ergebenden Beweiserleichterung zu prüfen. Es sprechen im Sinn dieser Bestimmung jedoch stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger gegenwärtig jedenfalls in den übrigen Teilen der Russischen Föderation von irgendeiner Art von Verfolgung betroffen sein wird oder dass eine tatsächliche Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden (Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art. 15 RL 2004/83/EG). Das gilt auch für Vorfälle, denen sich die Bevölkerung Tschetscheniens bis zur Ausreise des Kläger allgemein ausgesetzt gesehen hat.
43 
Auch unter Zugrundelegung der Maßstäbe des Art. 8 RL 2004/83/EG, an denen die Zumutbarkeit einer inländischen Fluchtalternative zu messen ist (BVerwG vom 1.2.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007,590), steht politisch unverdächtigen und erwerbsfähigen Tschetschenen in den meisten Teilen der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative bzw. interner Schutz im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 RL 2004/83/EG zur Verfügung (vgl. BayVGH, Urteil vom 29.01.2010 - 11 B 07.30343 -, juris; Urteil vom 21.06.2010 – 11 B 08.30103 -, juris; Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 – 11 B 09.30087 -, juris; OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20; OVG Hamburg, Beschluss vom 27.11.2009 - 2 Bf 337/02.A -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.03.2009 - OVG 3 B 16.08 -, juris; OVG Sachen-Anhalt, Urteil vom 31.07.2008 - 2 L 23/06 -, juris; HessVGH, Urteil vom 21.02.2008 - 3 UE 191/07.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.10.2006 - A 3 S 46/06 -, juris; OVG Saarland, Beschluss vom 29.05.2006 - 3 Q 1/06 -; juris; NdsOVG, Beschluss vom 16.01.2007 - 13 LA 67/06 -, juris; Sächsisches OVG, Beschluss vom 07.02.2011 - A 5 A 152/09 -). Davon ist auch für den Fall des Klägers auszugehen.
44 
a.) Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger politisch unverdächtig ist. Eine politisch relevante gegen die tschetschenische Republik, gegen Russland und die Russische Föderation insgesamt gerichtete Tätigkeit hat der Kläger nicht glaubhaft dargelegt. Dies gilt insbesondere - wie der Senat oben aufgezeigt hat - für die Behauptung des Klägers, er habe in den Jahren 1999 bis 2003 für Menschenrechtsorganisationen Informationen gesammelt. Den Angaben des Klägers, soweit sie überhaupt glaubhaft sind, ist auch nichts für ein Strafverfahren gegen ihn zu entnehmen. Ebenso wenig führt allein der Umstand, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, dazu, dass er nach seiner Rückkehr in die Russische Föderation - jedenfalls außerhalb Tschetscheniens - deshalb staatlich verfolgt wird (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2011). Vor diesem Hintergrund hat der Senat keinen Anlass, entsprechend den in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Anträgen Ziff. 1 und Ziff. 2 (vgl. den als Anhang zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung genommenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012) Beweis zu erheben. Weder die vom Senat als widersprüchlich erachteten Angaben des Klägers noch seine Asylantragstellung und sein langjähriger Auslandsaufenthalt vermögen die in den hilfsweise gestellten Beweisanträgen aufgestellte Behauptung zu begründen, er könnte bei einer Rückkehr als Verräter und Spion oder als tschetschenischer Terrorist angesehen werden.
45 
b.) Dem Kläger ist es auch möglich, sich in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens niederzulassen.
46 
Art. 27 der russischen Verfassung von 1993 garantiert die Niederlassungsfreiheit. Dieses Recht ist allerdings strikt begrenzt durch regionale und lokale Bestimmungen und durch das de facto vielerorts noch gültige Propiska-System, das vor dem mit dem Föderationsgesetz im Jahre 1993 eingeführten Registrierungssystem galt und das nicht nur eine Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vorsah. Nach dem Registrierungssystem ist Voraussetzung für eine dauerhafte Registrierung, dass der Antragsteller einen Wohnraumnachweis führen kann und über einen russischen Inlandspass verfügt. Ein in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht für eine dauerhafte Registrierung nicht aus (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26). Trotz der Systemumstellung durch das Föderationsgesetz wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an, weshalb Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens erhebliche Schwierigkeiten haben, eine offizielle Registrierung zu erhalten. Besonders in Moskau haben zurückgeführte Tschetschenen in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt Aufnahme zu finden, wenn sie über genügend Geld verfügen oder auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können.
47 
Die genannten Registrierungsvoraussetzungen gelten im ganzen Land. Gleichwohl ist eine offizielle Registrierung in anderen Regionen der Russischen Föderation, vor allem in Südrussland, grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil Wohnraum - eine der Registrierungsvoraussetzungen - dort erheblich billiger ist als in der russischen Hauptstadt mit ihren hohen Mieten. Neben Moskau, wo etwa 200.000 Tschetschenen leben, ist es Tschetschenen auch gelungen, sich in den Gebieten Rostow, Wolgograd, Stawropol, Krasnodar, Astrachan, Nordossetien und in Karatschajewo-Tscherkessien anzusiedeln (AA, Lagebericht vom 07.03.2011; Memorial-Bericht Oktober 2007, Hrsg. Svetlana Gannuschkina, „ Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, August 2006 - Oktober 2007 - im Folgenden: Memorial-Bericht Oktober 2007).
48 
Der für die Registrierung erforderliche Inlandspass kann nach der Verordnung der Regierung der Russischen Föderation Nr. 779 vom 20.12.2006 „am Wohnort, Aufenthaltsort oder dem Ort der Antragstellung“ und damit auch außerhalb Tschetschenien beantragt werden (AA, Lagebericht vom 07.03.2011). Ethnische Tschetschenen, die sich außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation niederlassen wollen, müssen zwar damit rechnen, dass ihnen die Bestätigung der Anmeldung (die sog. "Registrierung") verweigert werden könnte (vgl. dazu die Abschnitte II.4 und IV.2 des Lageberichts vom 04.04.2010 und vom 07.03.2011). Diese - rechtswidrige - Praxis ist unter dem Blickwinkel des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 RL 2004/83/EG indessen nicht erheblich, da das Vorenthalten der Einstempelung in den Inlandspass, durch den die erfolgte Anmeldung einer Person beurkundet wird, als solches nicht mit einer Verletzung der in § 60 Abs. 1 AufenthG erwähnten Schutzgüter "Leben", "körperliche Unversehrtheit" und "Freiheit" einhergeht. Auch werden durch ein derartiges behördliches Verhalten nicht grundlegende Menschenrechte im Sinn von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/83/EG schwerwiegend beeinträchtigt. Zwar legalisiert erst eine Registrierung den Aufenthalt des Betroffenen; zudem ist sie Voraussetzung für den Zugang zur Sozialhilfe, zu staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, zum offiziellen Arbeitsmarkt sowie für den Bezug von Kindergeld und Rente (vgl. AA, Lagebericht vom 4.4.2010 und vom 07.03.2011; Memorial-Bericht Oktober 2007). Mit der Nichterteilung einer Zuzugsgenehmigung in eine bestimmte Gemeinde oder Stadt ist nach dem Charakter der Maßnahme aber nicht ein - zielgerichteter - Eingriff in das Leben oder die Gesundheit intendiert, sondern lediglich eine Aufenthaltsnahme in anderen Landesteilen (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2011; BVerwG, 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55 = NVwZ 2009, 982). Ferner ergibt sich aufgrund der Erkenntnislage, dass gerade in bestimmten Großstädten der Russischen Föderation, teilweise aber auch darüber hinaus die Registrierungsverweigerung der lokalen Behörden nicht an die tschetschenische Volkszugehörigkeit oder die Herkunft aus dem Nordkaukasus anknüpft, sondern sämtliche Zuzugswilligen in gleicher Weise betrifft (vgl. etwa Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 16.01.2007 - 13 LA 67/06 -, juris; Beschluss vom 24.06.2006 - 13 LA 398/05 -, juris ; OVG Bremen, Urteil vom 31.05.2006 - 2 A 112/06.A -, juris). Schließlich wird die Ausgrenzung aus der staatlichen Rechtsgemeinschaft, die der Nichtbesitz einer Registrierung in Bezug auf wichtige Lebensbereiche deshalb nach sich ziehen kann, dadurch spürbar gemildert, dass die Registrierungspflicht - nach Änderung der Registrierungsvorschrift am 22.12. 2004 - nunmehr erst nach 90 Tagen ab dem Beginn des Aufenthalts an einem Ort Platz greift (Memorial-Bericht Oktober 2007; OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20; BayVGH, Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris). Anhaltspunkte dafür, dass diese Regelung tatsächlich keine Anwendung findet, sind nicht ersichtlich.
49 
Ungeachtet dessen können sich Tschetschenen mit sehr guten Erfolgsaussichten gegen derartige Rechtsverstöße zur Wehr setzen, ohne dass sie vorübergehend nach Tschetschenien zurückkehren müssten. In den zum Gegenstand dieses Verfahrens gemachten, seit 2002 erschienenen Berichten der Menschenrechtsorganisation "Memorial" sind zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen es durch die Einschaltung von Abgeordneten, Journalisten, Menschenrechtsorganisationen oder Rechtsanwälten sowie erforderlichenfalls durch das Beschreiten des Rechtswegs gelungen ist, Tschetschenen eine Registrierung zu verschaffen. In Gestalt der 58 Beratungsstellen, über die die Organisation "Migration und Recht" verfügt, steht Betroffenen ein russlandweites Netz zur Verfügung, in dem jährlich mehr als 20.000 Menschen beraten werden. Soweit nicht bereits mit außerprozessualen Mitteln Abhilfe geschaffen werden kann, darf zumindest in aller Regel davon ausgegangen werden, dass der Betroffene vor Gericht Recht erhalten wird. Denn die russischen Gerichte üben Verwaltungskontrolle nach US-Vorbild aus; behördliche Bescheide können vor dem örtlich zuständigen Bezirksgericht angefochten werden. Die Gerichte sind die einzigen staatlichen Institutionen in Russland, die Tschetschenen Rechtsschutz gewähren. Da stattgebende gerichtliche Entscheidungen im Durchschnitt nach einigen Monaten ab Verfahrenseinleitung ergehen, kann ungeachtet des Umstandes, dass die Verwaltung fallweise rechtswidrige Bescheide trotz ihrer Aufhebung mehrmals erlassen hat, nicht davon gesprochen werden, eine Verweigerung der Registrierung stelle einen Eingriff in nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/83/EG geschützte Rechte dar, der zudem die nach diesen Bestimmungen erforderliche Schwere erreicht. Soweit es einige Monate dauern sollte, bis der Kläger eine Registrierung erhält, kann dieser Zeitraum durch Rückkehrhilfen nach dem REAG/GARP-Programm und durch Aushilfstätigkeiten überbrückt werden (vgl. BayVGH, Urteil vom 11.11.2010 - 11 B 09.30087 -, juris).
50 
c.) Bei einer Niederlassung in anderen Teilen der Russischen Föderation als Tschetschenien hätte der Kläger auch keine asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Verfolgung im Hinblick auf ihm dort etwa drohende polizeiliche Maßnahmen zu befürchten.
51 
Auch wenn der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen etwas abgenommen hat, berichten russische Menschenrechtsorganisationen nach wie vor von einem willkürlichen Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit; die Angehörigen dieses Personenkreises stünden unter einer Art Generalverdacht (AA, Lageberichte vom 04.04.2010 und vom 07.03.2011). Personenkontrollen auf der Straße oder in der U-Bahn sowie Hausdurchsuchungen fänden weiterhin statt, hätten jedoch an Intensität nachgelassen; Anweisungen russischer Innenbehörden zur spezifischen erkennungsdienstlichen Behandlung von Tschetschenen seien nicht bekannt (AA, Lageberichte vom 4.4.2010 und vom 07.03.2011).
52 
Auch derartige Vorgänge sind indessen unter dem Blickwinkel des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 RL 2004/83/EG grundsätzlich noch nicht rechtserheblich. Muss ein Tschetschene häufiger seinen Ausweis vorzeigen oder sieht er sich öfter mit Durchsuchungsmaßnahmen konfrontiert, als das bei sonstigen Bewohnern der Russischen Föderation der Fall ist, so mag diese Schlechterstellung zwar an die Volkszugehörigkeit, das körperliche Erscheinungsbild oder die regionale Herkunft - und damit an ein Merkmal im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bzw. Art. 10 Abs. 1 RL 2004/83/EG - anknüpfen. Da solche polizeiliche Handlungen indes weder die in § 60 Abs. 1 AufenthG erwähnten Schutzgüter "Leben", "körperliche Unversehrtheit" oder "Freiheit" noch grundlegende Menschenrechte (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/83/EG) verletzen und sie die Betroffenen auch nicht im Sinn von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/83/EG in ähnlich gravierender Weise beeinträchtigen, kommt diesen Praktiken - ungeachtet ihres diskriminierenden Charakters - im Regelfall keine flüchtlingsrechtliche Relevanz zu.
53 
Eine hiervon abweichende Betrachtung wäre dann geboten, wenn es bei derartigen Kontroll- oder Durchsuchungsmaßnahmen zu Übergriffen auf Leib oder Leben der Betroffenen käme oder sie mit einem Freiheitsentzug einhergehen würden, der von seiner zeitlichen Länge her den Rahmen übersteigt, innerhalb dessen eine Person auch in einem Rechtsstaat durch die vollziehende Gewalt vorübergehend festgehalten werden darf. Dass sich der Kläger solchen Praktiken ausgesetzt sehen wird, lässt sich jedoch mit praktischer Sicherheit ausschließen. Gleiches gilt für die Besorgnis, ihm könnten gefälschte Beweismittel untergeschoben werden, um ihn ungerechtfertigt mit einem Strafverfahren zu überziehen. Denn eine Auswertung der einschlägigen Erkenntnismittel ergibt, dass jedenfalls solche Tschetschenen, bei denen es sich nicht um junge Männer handelt, die sich - unmittelbar aus dem früheren Bürgerkriegsgebiet kommend - in andere Teile der Russischen Föderation begeben haben, und die auch nicht durch individuelles rechtswidriges Vorverhalten Anlass für ein polizeiliches Einschreiten gegeben haben, bei Kontakten mit den staatlichen Sicherheitsorganen keine Übergriffe befürchten müssen, denen flüchtlingsrechtliche Relevanz zukommt. So liegt der Fall beim Kläger. Zum einen hat er etwa neun Jahre im Ausland verbracht, so dass keine Rede davon sein kann, dass er direkt aus dem Bürgerkriegsgebiet in andere Gebiete der Russischen Föderation eingereist ist. Zum anderen hat er auch nicht glaubhaft angegeben, in einer militärisch organisierten Rebelleneinheit gekämpft zu haben. Aus den Erkenntnismitteln geht hervor, dass bei Tschetschenen, die nicht die vorbezeichneten Ausnahmekriterien erfüllen, stichhaltige Gründe dagegen sprechen, sie könnten mit ungerechtfertigten strafrechtlichen Vorwürfen überzogen werden (vgl. hierzu BayVGH, Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 - 11 B 09.30087 -, juris).
54 
d.) Die in der Russischen Föderation zu beobachtenden Vorkommnisse, deren Ursache in rassistischen oder fremdenfeindlichen Motiven zu suchen sind, stehen der Annahme einer inländischen Fluchtalternative bzw. eines internen Schutzes nach § 60 Abs. 1 Satz 4 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 RL 2004/83/EG gleichfalls nicht entgegen.
55 
Der Senat übersieht nicht, dass Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens in gesteigertem Maße Anfeindungen und Misstrauen begegnen. M. Grob (SFH vom 12.09.2011) spricht davon, dass Rassismus gegenüber Kaukasiern in Russland weit verbreitet sei und auch gewalttätigen Charakter habe. Hierbei handelt es sich allerdings lediglich um eine allgemeine Aussage; nachvollziehbare Einzelheiten werden nicht angegeben. Auch R. Mattern (SFH vom 03.06.2010) berichtet von Rassismus als gesellschaftliches Problem. Gefährdungen bestünden für Ausländer mit dunkler Hautfarbe. Allerdings würden russische Sicherheitskräfte versuchen, rassistische Gewalt mit repressiven Methoden zu bekämpfen. Allein im ersten Quartal 2010 seien in 18 Urteilen 74 Personen wegen rassistischer Gewalt verurteilt worden. Im Lagebericht des AA vom 07.03.2011 werden keine asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Rassismusvorfälle gegenüber Tschetschenen berichtet, die nicht nach Tschetschenien, sondern in andere Teile der Russischen Föderation zurückkehren. Im Bericht von U. Rybi (FFH vom 25.11.2009) finden sich hierzu gleichfalls keine Angaben. Zwar spricht auch der Memorial-Bericht April 2009 (Hrsg. Svetlana Gannuschkina, „ Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, Oktober 2007 - April 2009 - im Folgenden: Memorial-Bericht April 2009) von einem „neuen“ Feindbild in Russland, das sich gegen Tschetschenen richte. Die Berichterstattung beschreibt aber im Wesentlichen ein geistiges Klima. Gewalttätige Übergriffe rechtsradikaler russischer Kräfte auf Tschetschenen, die staatlicherseits initiiert oder geduldet würden, werden in einem asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Ausmaß hingegen - auch im vorausgehenden Memorial-Bericht Oktober 2007, - nicht geschildert. Soweit es Mitte August 2005 im südrussischen Jandyki und in Naltschik - der Hauptstadt der Republik Kabardino-Balkarien - zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Tschetschenen und Angehörigen anderer Volksgruppen gekommen ist (vgl. Memorial-Bericht 2006 [Juli 2005 - Juli 2006]), sind solche Vorkommnisse, bei denen die Gewalttätigkeiten im Übrigen auch von der tschetschenischen Seite ausgingen, in jüngerer Zeit nicht mehr bekannt geworden (vgl. hierzu BayVGH, Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 - 11 B 09.30087 -, juris). Den Erkenntnismitteln kann bei der gebotenen Objektivität nicht entnommen werden, dass ethnische Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich Opfer gewalttätiger Übergriffe aus fremdenfeindlichen Beweggründen werden. Angesichts der Vielzahl von in der Russischen Föderation sowohl als Binnenflüchtlinge als auch als Migranten lebenden Tschetschenen bieten die nicht mit näherer Quantifizierung verbundenen Angaben über gegen sie gerichteten Maßnahmen keine zureichenden Anhaltspunkte für die Annahme einer auch nur geringen Wahrscheinlichkeit einer eigenen asyl- bzw. flüchtlingserheblichen Verfolgungsbetroffenheit (vgl. auch OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20. Die Frage, inwieweit sich der russische Staat solche von gesellschaftlichen Kräften ausgehenden Übergriffe gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG zurechnen lassen muss, kann deshalb auf sich beruhen.
56 
e.) Dem Kläger droht aufgrund seines Alters von 55 Jahren auch nicht mehr die Einberufung zum Wehrdienst in der russische Armee (vgl. Lagebericht vom 4.4.2010, wonach die allgemeine Wehrpflicht nur für Männer zwischen 18 und 28 Jahren besteht).
57 
f.) Dem Auswärtigen Amt sind ferner keine Fälle bekannt geworden, in denen tschetschenische Volkszugehörige bei oder nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt waren (Lageberichte vom 4.4.2010 und vom 07.03.2011). Zwar geht das Auswärtige Amt davon aus, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren; diese Befürchtung bezieht sich jedoch insbesondere auf solche Personen, die sich in der Tschetschenienfrage besonders engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren (Lageberichte vom 4.4.2010 und vom 07.03.201; vgl. insoweit auch BayVGH, Urteil vom 11.11.2010 – 11 B 09.30087 -, juris). Zu diesen besonderen Risikogruppen gehört der Kläger indessen nicht.
58 
g.) Dem Kläger ist auch mit Blick auf die Gewährleistung des Existenzminimums eine Aufenthaltsnahme in den übrigen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zumutbar.
59 
Eine interne Fluchtalternative im Sinne von Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG setzt neben der - oben dargelegten - Verfolgungssicherheit voraus, dass von dem Kläger vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Maßgeblich ist insofern, ob der Kläger im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative existentiellen Bedrohungen ausgesetzt sein wird, wobei es im Hinblick auf die Neufassung des § 60 AufenthG zur Umsetzung der RL 2004/83/EG nicht (mehr) darauf ankommt, ob diese Gefahren am Herkunftsort ebenso bestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11/07 -, BVerwGE 131, 186). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände im Sinne des Art. 8 Abs. RL 2004/83/EG kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2004/83/EG zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist, dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben.
60 
Eine existentielle Bedrohung ist gegeben, wenn das Existenzminimum nicht gesichert ist. Erwerbsfähigen Personen bietet ein verfolgungssicherer Ort das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel, wenn sie dort - was grundsätzlich zumutbar ist - durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer "Schatten- oder Nischenwirtschaft" stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen „mafiöser“ Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 17.05.2005 - 1 B 100/05 -, juris). Maßgeblich ist grundsätzlich auch nicht, ob der Staat den Flüchtlingen einen durchgehend legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde, vielmehr ist in tatsächlicher Hinsicht zu fragen, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96.06 -, juris; Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590), d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit bestritten werden können. Ein Leben in der Illegalität, das den Kläger jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, stellt demgegenüber keine zumutbare Fluchtalternative dar (BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590).
61 
Gemessen an diesen Grundsätzen ist es dem Kläger - nach der gegenwärtigen Sachlage (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG sowie Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG) - zuzumuten und kann von ihm daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er seinen Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nimmt, in dem er vor Verfolgung sicher ist und wo sein soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist.
62 
Wie bereits ausgeführt erweitert die Verordnung der Regierung der Russischen Föderation Nr. 779 vom 20.12.2006 die Möglichkeit zur Beantragung und Ausstellung des Inlandspasses in räumlicher Hinsicht. Dieser kann nunmehr am Wohnort, Aufenthaltsort oder dem Ort der Antragstellung ausgestellt werden (vgl. AA, Lageberichte vom 22.11.2008 und vom 07.03.2011; ebenso Memorial-Bericht Oktober 2007). Die Innehabung eines gültigen Inlandspasses ist ihrerseits Voraussetzung für die in diesen Pass zu stempelnde Wohnsitzregistrierung. Die Registrierung, die dem Kläger - wie oben ausgeführt - wenn auch ggf. mit leichter Verzögerung ebenso wie seiner Ehefrau möglich ist, legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2011; Memorial-Bericht, Oktober 2007). Mit der Registrierung besteht auch für die Kinder des Klägers Zugang zur Bildung (Memorial-Bericht Oktober 2007). Svetlana Gannuschkina berichtet im Memorial-Bericht Oktober 2007, dass im vergangenen Jahr keine Klagen von Menschen aus Tschetschenien über Diskriminierung bei der Arbeitsaufnahme vorlägen.
63 
Die persönlichen Umstände des Klägers rechtfertigen keine andere Einschätzung. Der Kläger ist mit 55 Jahren noch in einem arbeitsfähigen Alter. Hinzu kommt, dass seine Ehefrau mit 44 Jahren deutlich jünger ist und damit ebenfalls durch legale Arbeit infolge Registrierung zum notwendigen Lebensunterhalt beitragen kann. So berichtet Svetlana Gannuschkina, dass tschetschenische Frauen auf der Straße und den Märkten durch Handel ihr Geld verdienen können (Memorial-Bericht Oktober 2007). Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch keine seine Arbeitsfähigkeit wesentlich einschränkende Erkrankung substantiiert dargelegt. Dem Senat liegt zwar das psychologische Gutachten des Evangelischen Migrationsdienstes in Württemberg e.V. vom 26.10.2006 über den Kläger vor. Darin wird angegeben, der Kläger leide an einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung. Zusätzlich bestehe eine Teilsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger indessen lediglich angegeben, er gehe ein- bis zweimal im Monat zum Arzt. Er leide an Bluthochdruck. Er sei auch in Behandlung wegen der Nerven und wegen Operationen. Weitere detaillierte Angaben hat der Kläger nicht gemacht. Vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass für den Kläger infolge der Registrierung ein Zugang zum kostenlosen Gesundheitssystem besteht und posttraumatische Belastungsstörungen in der Russischen Föderation in großen und größeren Städten grundsätzlich behandelt werden können (vgl. R. Mattern, SFH, Auskunft vom 20.04.2009), kann vom Kläger vernünftigerweise erwartet werden, in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens Aufenthalt zusammen mit seiner Ehefrau und seinen Kindern zu nehmen. Angesichts dessen, dass der Kläger zu seiner psychischen Erkrankung, wie sie im psychologischen Gutachten vom 26.10.2006 - also vor mehr als sechs Jahren - dargestellt wird, keine weiteren substantiierten Angaben gemacht hat, insbesondere dem Senat nicht erläutert hat, ob die seinerzeit diagnostizierte psychische Erkrankung überhaupt noch besteht und wenn ja, welche Behandlungsmaßnahmen erfolgen, war dem vom Kläger hilfsweise gestellten Beweisantrag Ziff. 3 (vgl. den als Anhang zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung genommenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012) auf Einholung eines Gutachtens von Herrn Dr. T... S... zum Beweis der Tatsache, dass „der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, an einer jetzt schon chronifizierten Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, dass diese psychische Erkrankung bereits jetzt schon chronifiziert ist aufgrund der Dauer des Verfahrens, dass diese psychische Erkrankung auch Auswirkungen auf sein Aussageverhalten hat im Sinne eines Verdrängungsmechanismus, so dass bei einer Rückkehr oder Abschiebung der Kläger ein akutes Wiederholungstrauma erleiden würde, eine sog. Retraumatisierung in jedem Fall jedoch diese Erkrankung behandlungsbedürftig ist und zwar in einem sicheren Rahmen in der Bundesrepublik Deutschland, ansonsten sich die Erkrankung akut verschlimmert“, nicht nachzugehen. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sind keine zureichenden Anhaltspunkte für eine akute posttraumatische Belastungsstörung und erst recht nicht für eine chronifizierte Persönlichkeitsänderung zu entnehmen. Die entsprechenden Behauptungen im Beweisantrag werden daher nicht durch tatsächliche Indizien gestützt. Sie erscheinen vielmehr als „ins Blaue hinein“ erhoben; der Beweisantrag ist daher als Ausforschungsbeweisantrag unzulässig. Für den Senat kommt hinzu, dass - wie bereits aufgezeigt - in der Russischen Föderation posttraumatische Belastungsstörungen behandelt werden können. Weiterhin wird in dem psychologischen Gutachten vom 26.10.2006 ausgeführt, dass die Sorge um die Rückkehr aufgrund massiver Ängste vor einer möglichen Folterung und/oder Ermordung zwar die Symptomatik verstärke, jedoch nicht die Ursache der Erkrankung sei. Die Symptomatik und die Verhaltensweisen könnten zudem nicht durch eine Sorge vor einer möglichen Rückkehr erklärt werden. Auch könne die Entwurzelung im Exilland (Unkenntnis der Landessprache, sozialer Abstieg, Arbeitslosigkeit, enge Wohnverhältnisse) als Ursache der bestehenden psychischen Störung ausgeschlossen werden. In diesem Zusammenhang ist allerdings zusätzlich festzustellen, dass das Gutachten von einer Rückkehr nach Tschetschenien ausgegangen ist. Da der Kläger sowohl tschetschenisch als auch russisch versteht und spricht, kann von einer Unkenntnis der Landessprache wohl nicht ausgegangen werden. Auch besteht angesichts der fehlenden inhaltlich aussagekräftigen Angaben des Klägers zu seiner derzeitigen psychischen Verfassung keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass er bei einer Niederlassung in einem anderen Teil der Russischen Föderation als Tschetschenien eine Registrierung erst nach dem Ablauf einer Zeitspanne erhalten wird, die so lange ist, dass sich ein aus seiner psychischen Verfassung ergebendes Lebens- bzw. Gesundheitsrisiko - wie im Beweisantrag behauptet - bis dahin realisieren könnte.
64 
In Würdigung all dessen kann vom Kläger vernünftigerweise verlangt werden, dass er sich in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens aufhält. Nach den eben beschriebenen dortigen allgemeinen Gegebenheiten besteht für den Kläger weder eine begründete Furcht vor Verfolgung noch die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.
II.
65 
Der Kläger erfüllt ferner nicht die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 sowie Abs. 7 Satz 2 AufenthG (i.V.m. Abs. 11 und Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 sowie Art. 6 bis 8 RL 2004/83/EG).
66 
Über die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 sowie Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist auch in den Fällen zu entscheiden, in denen das Bundesamt - wie vorliegend - vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes über das (Nicht-)Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten entschieden hat und hiergegen Klage erhoben worden ist. In den anhängigen gerichtlichen Verfahren wächst der am 28.08.2007 neu hinzugetretene unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz automatisch an und ist damit zwingend zu prüfen. Über dieses Prüfprogramm können die Verfahrensbeteiligten nicht disponieren und damit in Übergangsfällen das Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes während des gerichtlichen Verfahrens nicht verhindern. In diesen Fällen bedarf es keiner ausdrücklichen Einbeziehung des neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsschutzes in das anhängige gerichtliche Verfahren durch einen der Verfahrensbeteiligten (zur prozessrechtlichen Bedeutung dieser Abschiebungsverbote und zu ihrem Verhältnis zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 3 AufenthG sowie zum Streitgegenstand im asylrechtlichen Verwaltungsprozess vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198; Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360; Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226; Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris = DVBl 2011, 1565 [Ls.]; Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 -, NVwZ 2012, 244).
67 
1. Die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG (i.V.m. Art. 15 Buchst. b RL 2004/83/EG und Art. 3 EMRK) liegen nicht vor.
68 
Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Die Regelung des § 60 Abs. 2 AufenthG dient der Umsetzung von Artikel 15 Buchst. b) RL 2004/83/EG, der seinerseits im Wesentlichen dem Grundrecht aus Art. 3 EMRK entspricht (vgl. EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 – Elgafaji, InfAuslR 2009, 138 = NVwZ 2009, 705). Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen in der Person des Klägers insbesondere auch deshalb keine zureichenden Anhaltspunkte, weil kein Strafverfahren gegen ihn anhängig ist oder ihm droht.
69 
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG liegt gleichfalls nicht vor.
70 
Nach § 60 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. a RL 2004/83/EG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht. Im vorliegenden Fall gibt es keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen Gefahr.
71 
3. Die Voraussetzungen für eine Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben.
72 
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685 - EMRK -) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Für das Vorliegen eines solchen Abschiebungsverbotes ist nichts ersichtlich, insbesondere muss der Kläger - wie oben ausgeführt - nicht befürchten, außerhalb Tschetscheniens in unmenschlicher oder erniedrigender Weise behandelt oder gar gefoltert zu werden (Art. 3 EMRK). Andere Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention sind im Fall des Klägers tatbestandlich nicht einschlägig. Dies gilt auch mit Blick auf Art. 8 EMRK. Denn die Asylanträge seiner Ehefrau und seiner Kinder bleiben gleichfalls ohne Erfolg; ein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik Deutschland besteht nicht.
73 
4. Auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c RL 2004/83/EG sind nicht erfüllt.
74 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, durch den die sich aus Art. 18 in Verbindung mit Art. 15 Buchst. c und Art. 2 Buchst. e RL 2004/83/EG ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung eines „subsidiären Schutzstatus“ bzw. „subsidiären Schutzes“ in nationales Recht umgesetzt werden, ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris).
75 
Es kann vorliegend dahinstehen, ob in Tschetschenien derzeit noch ein - regional begrenzter (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008, - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198) - innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht und ob deshalb in dieser Region auch eine individuelle Bedrohung des Klägers wegen eines außergewöhnlich hohen Niveaus allgemeiner Gefahren im Rahmen des bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56 Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris ) unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG i.V.m. § 60 Abs. 11 AufenthG (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56; Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris; Beschluss vom 23.11.2011- 10 B 32/11 -, juris) anzunehmen ist. Denn ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG besteht bei einem - nur - regional begrenzten Konflikt dann nicht, wenn dem Betroffenen ein interner Schutz nach Art. 8 RL 2004/83/EG (i.V.m. § 60 Abs. 11 AufenthG) zur Verfügung steht, weil außerhalb der Region keine Gefahrenlage im oben dargestellten Sinn besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.07.2009, - 10 C 9.08 -, BVerwGE 134, 188; Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 -, BVerwGE 131, 186; vgl. ferner EuGH, Urteil vom 17.02.2009, - C-465/07 - Elgafaji, InfAuslR 2009, 138 = NVwZ 2009, 705). Dies ist vorliegend der Fall. Denn dem Kläger steht nach den obigen Ausführungen in anderen Teilen der Russischen Föderation eine zumutbare interne Schutzalternative zur Verfügung. Diese ist auch erreichbar und es kann von ihm - wie dargelegt - auch unter Würdigung seiner persönlichen Belange und bei Bewertung der gesamten Umstände vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält.
III.
76 
In der Person des Klägers liegen schließlich auch nicht die Voraussetzungen für die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einschließlich der verfassungskonformen Anwendung von Satz 1 und 3 (vgl. zum einheitlichen Streitgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen BVerwG, Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris) vor.
77 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn diesem dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Dies setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer hingegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG, die nicht nur ihn persönlich, sondern zugleich die gesamte Bevölkerung oder seine Bevölkerungsgruppe allgemein treffen, wird - abgesehen von Fällen der richtlinienkonformen Auslegung bei Anwendung von Art. 15 Buchst. c RL 2004/83/EG für internationale oder innerstaatliche bewaffnete Konflikte - der Abschiebungsschutz grundsätzlich nur durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt.
78 
Beim Fehlen einer solchen Regelung kommt die Feststellung eines Abschiebungsverbots nur bei Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke (Art. 1, Art. 2 Abs. 2 GG) in Betracht, d.h. nur zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage in dem Sinne, dass dem Ausländer sehenden Auges der sichere Tod droht oder er schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07-, BVerwGE 131, 198). Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
79 
Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360 = InfAuslR 2010, 404 = NVwZ 2011, 56; Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 = AuAS 2010, 249 = InfAuslR 2010, 458 = NVwZ 2011, 48; Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris; Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 -, NVwZ 2012, 244).
80 
In Anwendung dieser Grundsätze besteht, wie der Senat unter I. 2. festgestellt hat, eine solche extreme konkrete Gefahrenlage für den Kläger in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens nicht.
IV.
81 
Die in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts vom 11.05.2004 enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung entspricht den gesetzlichen Vorschriften (vgl. § 34 und § 38 Abs. 1 AsylVfG) und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
82 
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
83 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entsprach nicht der Billigkeit (§ 154 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung), dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten aufzuerlegen, da dieser keinen Antrag gestellt und somit auch kein Kostenrisiko übernommen hat (§ 162 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung).
84 
Gerichtskosten werden nach § 83b AsylVfG nicht erhoben.
85 
Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Feststellung unionsrechtlicher oder nationaler Abschiebungsverbote.

Er ist nach eigenen Angaben russischer Staatsangehöriger kumykischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens. Er trägt zuletzt vor, am 31. Januar 1988 in N., Gebiet C. in der Region Dagestan geboren zu sein.

Am 16. Mai 2010 reiste der Kläger in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22. Juni 2010 einen Asylantrag. Er gab dabei an, er sei am 20. März 1993 geboren. Mit Bescheid vom 6. Juli 2010 setzte die Regierung von Mittelfranken sein Geburtsdatum auf 1. Januar 1992 fest.

Der Kläger gab bei seiner Asylantragstellung an, seine Eltern seien verstorben. Nach dem Tod der Mutter am 23. November 2000 bis zu seiner Ausreise aus der Russischen Föderation am 13. Mai 2010 habe er bei einer Schwester seines Vaters in N. gelebt. In dem Jahr, in dem er 16 Jahre alt geworden sei, sei er einer Musterungsuntersuchung beim Militärkommissariat in C. unterzogen worden. Eine Entscheidung darüber habe er nicht erhalten.

Zu seinem Verfolgungsschicksal führte er aus, er sei im Januar 2010 für drei Tage inhaftiert und der Unterstützung der Wahabiten verdächtigt worden. Nach seiner Freilassung habe er bis zu seiner Ausreise noch mehrere Monate bei seiner Tante in dem Dorf gelebt.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 15. Oktober 2010 ab (Nr. 1), stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 2) und Abschiebungsverbote (Nr. 3) nicht vorliegen und forderte den Kläger auf, das Bundesgebiet innerhalb eines Monats nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen (Nr. 4 Satz 1). Sollte er die Ausreisefrist nicht einhalten, drohte die Beklagte dem Kläger die Abschiebung in die Russische Föderation oder einen anderen Staat an, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 4 Satz 2).

Das Verwaltungsgericht Würzburg wies die gegen die Nrn. 2 bis 4 des Bescheids gerichtete Klage mit Urteil vom 14. Februar 2011 ab.

Zur Begründung der mit Beschluss vom 20. Dezember 2012 zugelassenen Berufung führt der Kläger aus, ihm drohe die Einberufung in das russische Militär und dort die Misshandlung durch Vorgesetzte oder ältere Rekruten. Er sei gesundheitlich vorbelastet, so dass ihn die Situation in der Armee noch härter treffen würde als andere. Die in Deutschland durchgeführte Behandlung sei in Russland nur begrenzt verfügbar und müsse von ihm selbst finanziert werden, was er nicht könne. Zudem drohe ihm die Misshandlung durch Sicherheitskräfte, da davon auszugehen sei, dass die seinerzeitige Festnahme registriert worden sei.

Gemäß ärztlichen Attesten vom 18. Dezember 2013 und 26. September 2014 leidet der Kläger an einer chronischen Hepatitis B, die von November 2011 bis November 2012 mit Interferon behandelt wurde. Seitdem befinde er sich in einer stabilen Situation. Die Viruslast liege stabil in einem niedrigen Bereich. Grundsätzlich sei von einer Infektiosität bei Blutkontakten auszugehen.

Es wurde Beweis erhoben durch Einholung ergänzender Ausführungen des Instituts für Ostrecht vom 27. Dezember 2013 zum im Verfahren 11 B 11.30487 eingeholten Rechtsgutachten vom 28. August 2013. Auf die Auskunft wird verwiesen.

Am 29. Juli 2013 und am 27. November 2013 wurde vor dem Senat mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschriften wird verwiesen.

Die Erkenntnismittelliste „Russische Föderation“ (Stand: 19.11.2014) wurde zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Mit Schriftsätzen vom 3. und 19. Dezember 2014 haben die Beteiligten auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung, über die ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, da die Beteiligten nach § 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 101 Abs. 2 VwGO ihr Einverständnis damit erklärt haben, hat keinen Erfolg. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 14. Februar 2011 ist rechtmäßig, denn der Kläger hat weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (I.), noch auf Feststellung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz (II.) oder nationalen Abschiebungsverboten (III.).

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG. Gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG i. V. m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in § 3a Abs. 2 AsylVfG geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67). Dazu muss zur Überzeugung des Gerichts feststehen, dass aufgrund der im Zeitpunkt der Entscheidung im Herkunftsstaat des Asylsuchenden herrschenden politischen Verhältnisse in absehbarer Zeit mit Verfolgungsmaßnahmen ernsthaft zu rechnen ist (BVerwG, U.v. 18.10.1983 - 9 C 158.80 - BVerwGE 68, 106). Wurde der Betroffene bereits verfolgt oder hat er einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten bzw. war er von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht, so ist dies nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Richtlinie 2011/95/EU) ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden.

Nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 3 AsylVfG muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylVfG und den Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 1 und 2 AsylVfG bestehen.

Gemessen an diesen Vorgaben droht dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Kläger sein Heimatland wegen bereits erlittener oder unmittelbar drohender individueller Verfolgung verlassen hat. Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kommt ihm daher nicht zugute. Die Schilderungen des Klägers hinsichtlich der mehrere Monate vor seiner Ausreise behaupteten Vorkommnisse im Januar 2010 sind nicht glaubhaft, denn sie sind teilweise nicht nachvollziehbar und sehr detailarm. Der Kläger hat regelmäßig erst auf Nachfrage Einzelheiten genannt, seine Antworten korrigiert und den Fragestellungen angepasst. Die Ausführungen erwecken den Eindruck, dass der Kläger die Situationen tatsächlich so nicht erlebt hat, sondern versucht hat, passende Antworten zu geben. Darüber hinaus sind die Ausführungen vor dem Bundesamt und vor dem Verwaltungsgerichtshof jeweils in sich widersprüchlich, wurden beständig gesteigert und stimmen auch nicht überein.

Vor dem Bundesamt hat der Kläger zuerst ausgeführt, die Polizei habe ihn im Januar 2010 von zu Hause mitgenommen. Weitere Vorfälle habe es nicht gegeben. Kurz darauf korrigierte er sich und sagte, er sei aus der Wohnung eines Nachbarn mitgenommen worden. Auf die Frage, was mit dem Nachbarn passiert sei, sagte er, dass er ihn eine Woche später auf der Straße getroffen habe, der Nachbar aber nichts gesagt habe. Später berichtete der Kläger dann, dass das Leben bei ihm daheim sehr gefährlich sei und sein Nachbar R. von den Sicherheitsbehörden umgebracht worden sei. Auf Nachfrage, wie der Nachbar geheißen habe, bei dem er damals mitgenommen worden sei, behauptete er dann, dass dies Herr R. gewesen sei. Diese Schilderung bezüglich des Nachbarn wirkt völlig konstruiert. Es ist insbesondere nicht nachvollziehbar, wieso der Kläger auf die Frage, was mit dem Nachbarn passiert sei, nicht sofort angegeben hat, dass dieser von Sicherheitskräften umgebracht wurde, wenn dies den Tatsachen entsprechen würde.

Weiter berichtete der Kläger, er sei drei Tage an einem ihm unbekannten Ort festgehalten worden. Im Widerspruch dazu führte er später aus, der Ort sei in der Nähe seines Heimatortes gewesen. Bei seiner Freilassung sei er zur Straße gebracht worden und dann in zehn Minuten nach Hause gelaufen. Es ist nicht glaubhaft, dass der bei seiner Ausreise schon 22 Jahre alte Kläger einen solchen Ort in der Nähe seines Heimatortes nicht gekannt hat. Hinsichtlich der Personen, die ihn angeblich mitgenommen hatten, gab er zuerst an, diese seien nicht in Uniform gewesen. Auf Nachfrage ergänzte er später, die Personen seien mit schwarzer Tarnkleidung bekleidet gewesen. Würden den Schilderungen tatsächlich erlebte Begebenheiten zugrunde liegen, wäre aber zu erwarten gewesen, dass er im Zusammenhang mit der Uniformierung, die Tarnkleidung sofort erwähnt hätte. Bezüglich der Behandlung während der Inhaftierung berichtete er zuerst, dass er am zweiten Tag geschlagen worden sei. Später korrigierte er sich und trug vor, er sei am ersten Tag zwei oder drei Stunden geschlagen worden und zwar mit Kissen, damit keine Spuren verblieben. Er habe aber Schmerzen gehabt. Am zweiten Tag sei er weniger geschlagen worden. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen er diesbezüglich zuerst andere Angaben gemacht hat.

Weiterhin machte er widersprüchliche Angaben zu seiner Ausreise. Er führte aus, er sei ungefähr vier Tage vor seiner Ausreise auf einem Bergpfad etwa eineinhalb Stunden zu einer Hirtenhütte gelaufen und habe sich dort versteckt. Dann gab er an, am Abend des 13. Mai 2010 sei er mit einem Pkw in eine ca. 700 Kilometer entfernte Stadt gebracht worden. Ebenfalls am 13. Mai 2010 sei er mit einem Lkw von der Stadt P. losgefahren und habe die Russische Föderation verlassen. Auf Nachfrage, dass dies nicht stimmen könne, führte er aus, dann sei er eben am 14. Mai 2010 aus P. weggefahren.

Auch in seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof am 29. Juli 2013 hat der Kläger widersprüchliche und erheblich gesteigerte Angaben gemacht. Er führte nunmehr aus, fünf bis sechs maskierte Männer seien in das Haus des Nachbarn eingedrungen und hätten ihn mitgenommen. Sie hätten schwarze Mützen mit Augenschlitzen getragen. Von einer solchen Bekleidung war vor dem Bundesamt noch nicht die Rede gewesen. Nach seiner Freilassung sei er zum Arzt gegangen und habe Tabletten und Salben erhalten. Auch dies hatte er vor dem Bundesamt nicht vorgetragen.

Des Weiteren steigerte er seinen Vortrag erheblich und machte geltend, die Personen seien nach dem ersten Vorfall hin und wieder erneut zu ihm nach Hause gekommen, hätten ihn aber nicht angetroffen, weil er sich rechtzeitig versteckt habe. Auf Vorhalt des Beklagtenvertreters, weshalb er dies nicht schon bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt vorgetragen habe, erklärte der Kläger, nach seiner Freilassung und Rückkehr nach Hause zu seiner Tante habe er gehört, dass er gesucht werde. Im Widerspruch zu seinen Angaben vor dem Bundesamt und zu den zuvor gemachten Aussagen, erklärte er dann, seine Verfolger hätten ihn zu Hause aufgesucht und auch angetroffen. Sie hätten die Tür eingeschlagen und die Tante zur Seite geschoben. Er sei durch das Fenster entkommen und habe sich zwei bis drei Tage bei Bekannten versteckt gehalten, bevor die Tante mit dem Fahrer dorthin gekommen sei. Auf Vorhalt, weshalb er diese Begebenheiten nicht schon früher geschildert habe, gab er an, er habe stets seine Verfolgungsgeschichte erzählt und die Fragen beantwortet.

Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in die Russische Föderation ist auch im Übrigen nicht zu erwarten. Eine Gruppenverfolgung der Kumyken oder moslemischer Religionszugehöriger hat der Kläger nicht behauptet und lässt sich den Erkenntnismitteln auch nicht entnehmen. Eine bestimmte politische oder religiöse Einstellung, die zu einer Verfolgung führen könnte, hat der Kläger nicht vorgetragen. Selbst wenn der Kläger Anfang 2010 tatsächlich kurzfristig von den Sicherheitsbehörden festgehalten und der Unterstützung der Wahabiten verdächtigt worden sein sollte, so wurde er wieder entlassen und konnte mehrere Monate unbehelligt bei seiner Tante in seinem Heimatland leben. Es ist deshalb nicht zu erwarten, dass der Kläger in einer Fahndungsliste registriert ist und bei seiner Rückkehr wegen einer vermeintlichen Unterstützung der Wahabiten oder anderer islamistischer Extremisten verhaftet wird. Andere Gründe, aus denen ihm eine Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 AsylVfG drohen könnte, hat der Kläger nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.

II.

Es liegen auch keine Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Voraussetzung ist, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den geschützten Rechtsgütern droht (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454). Die Beweiserleichterungen des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU finden nach Art. 18 Richtlinie 2011/95/EU ebenfalls Anwendung. Nach der Überzeugung des Gerichts droht dem Kläger in der Russischen Föderation keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG.

1. Der Kläger hat in seinem Heimatland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung als Wehrdienstleistender zu befürchten. Zum Ablauf der im Bescheid vom 15. Oktober 2010 in Nr. 4 Satz 1 gesetzten Ausreisefrist und damit der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 und 2, § 58 Abs. 1 AufenthG, wird er das 27. Lebensjahr schon vollendet haben und damit der Wehrpflicht nicht mehr unterliegen. Nach Art. 22 Pkt. 1 Nr. 1 Buchst. a des russischen Militärdienstgesetzes (MilitärdienstG) unterliegen der Einberufung zum Militärdienst männliche Staatsangehörige der Russischen Föderation im Alter von 18 bis 27 Jahren (Institut für Ostrecht v. 27.8.2013, S. 3). Gemeint ist damit der Zeitpunkt der Vollendung des 27. Lebensjahrs (Institut für Ostrecht v. 27.12.2013, S. 2). Der Kläger hat zuletzt vorgetragen, er sei am 31. Januar 1988 geboren. Er unterliegt daher ab Februar 2015 nicht mehr der Wehrpflicht. Auf die Fragen, ob er als Angehöriger der Minderheit der Kumyken aus Dagestan mit muslimischem Glauben überhaupt eine Einberufung zum Wehrdienst zu befürchten hätte und ob sich die Menschenrechtslage in den Streitkräften der Russischen Föderation, z. B. auch durch die Schaffung einer Militärpolizei (Radio Stimme Russlands v. 4.2.2014), nennenswert verbessert hat (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: August 2014, S. 12 f.), kommt es mithin nicht an.

2. Dem Kläger droht auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung, denn eine strafbare Wehrdienstentziehung liegt voraussichtlich nicht vor. Nach Art. 328 Pkt. 1 des russischen Strafgesetzbuches (russ. StGB) macht sich strafbar, wer sich der Einberufung zum Militärdienst entzieht, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Befreiung von diesem Dienst nicht vorliegen (Institut für Ostrecht v. 27.8.2013, S. 3). Dabei kann eine Ausreise aus der Russischen Föderation ohne Aufhebung der militärischen Erfassung die Erfüllung des Tatbestands der Militärdienstentziehung darstellen (Institut für Ostrecht v. 27.8.2013, S. 8). Der Kläger trägt vor, dass er in dem Jahr, in dem er das 16. Lebensjahr vollendet habe (2004), militärisch erfasst worden sei und eine Musterungsuntersuchung gehabt habe. Seitdem habe er von den Militärbehörden nichts mehr gehört. Geht man davon aus, dass er tatsächlich 2004 militärisch erfasst wurde, obgleich nach der Auskunftslage eine Erfassung regelmäßig erst in dem Jahr erfolgt, in dem das 17. Lebensjahr vollendet wird (Institut für Ostrecht v. 27.8.2013, S. 4), wäre mit einer Ausreise ohne Aufhebung der militärischen Erfassung der objektive Tatbestand der Wehrdienstentziehung erfüllt.

Eine Straftat nach Art. 328 Pkt. 1 russ. StGB kann aber nur begangen werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Befreiung vom Militärdienst in der Person des Militärdienstpflichtigen fehlen (Institut für Ostrecht v. 27.8.2013, S. 10). Nach Art. 23 Pkt. 1 MilitärdienstG ist vom Militärdienst befreit, wer aus gesundheitlichen Gründen für untauglich befunden wurde. Ein Drittel jedes Jahrgangs wird aus gesundheitlichen Gründen als untauglich für den Dienst in den Streitkräften eingestuft (Stiftung Wissenschaft und Politik: Russlands Militärreform: Herausforderung Personal, November 2013 - SWP - S. 25). Der Kläger leidet an einer ansteckenden Hepatitis B-Erkrankung, die bei seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland diagnostiziert und von November 2011 bis November 2012 mit Interferon behandelt wurde. Es ist daher davon auszugehen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Befreiung vom Militärdienst aus gesundheitlichen Gründen nach Art. 23 Pkt. 1 MilitärdienstG schon bei der Ausreise des Klägers aus der Russischen Föderation tatsächlich vorlagen.

Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass der gesetzlich genannte Grund erst während des Sich Entziehens entstanden ist, wäre der Kläger nach Art. 80 Pkt. 1 russ. StGB von der Strafe zu befreien (Institut für Ostrecht v. 27.8.2013, S. 10).

Des Weiteren setzt Art. 328 Pkt. 1 russ. StGB auf der subjektiven Seite direkten Vorsatz voraus. Nach Art. 25 Pkt. 2 russ. StGB bedeutet dies, dass die Person die Gesellschaftsgefährlichkeit ihrer Handlung erkennt, die Möglichkeit oder Unvermeidbarkeit des Eintritts gesellschaftsgefährlicher Folgen vorhergesehen und ihren Eintritt gewollt hat (Institut für Ostrecht v. 27.8.2013, S. 11). Aus den nordkaukasischen Republiken im südlichen Militärdistrikt werden seit mehreren Jahren wegen Sicherheitsbedenken nur sporadisch Wehrpflichtige eingezogen (SWP, a. a. O. S. 26). Der Kläger musste daher sechs Jahre nach seiner behaupteten Musterung ohne weitere militärische Maßnahmen und als Angehöriger der Minderheit der muslimischen Kumyken im Jahr 2010 nicht mehr mit einer Einberufung zum russischen Militär rechnen. Er hat auch bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt nicht vorgetragen, dass er befürchtet habe, eingezogen zu werden. Er ist daher offensichtlich selbst davon ausgegangen, dass eine solche Einberufung nicht mehr zu erwarten war und hat damit keinen direkten Vorsatz zur Entziehung von dem Wehrdienst gehabt.

Im Übrigen liegt auch kein direkter Vorsatz hinsichtlich einer Wehrdienstentziehung vor, weil der Kläger das Recht auf einen Ersatzdienst hätte in Anspruch nehmen können. Nach Art. 2 des russischen Zivildienstgesetzes hat jeder Staatsbürger das Recht, anstelle des Wehrdienstes einen Zivildienst abzuleisten, wenn die Ableistung des Wehrdienstes seinen Überzeugungen oder seinem religiösen Glauben zuwiderläuft oder die betreffende Person einer indigenen Gruppe angehört, einen traditionellen Lebensstil führt, traditionell wirtschaftet und einer traditionellen handwerklichen Tätigkeit nachgeht (ACCORD, Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation: Strafen bei Wehrdienstverweigerung, 12.11.2014). Dies muss mindestens sechs Monate vor der Einberufung (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tschetschenien: Rückkehr von russischen Staatsbürgern und Wehrdienstpflicht, 11.8.2009) der zuständigen örtlichen Einberufungskommission mitgeteilt werden, die dann über den Antrag entscheidet (ACCORD, a. a. O.). Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof selbst ausgeführt, dass er für den Fall der Rückkehr in die Russische Föderation einen Ersatzdienst in Anspruch genommen hätte. Nachdem er das entsprechende Gesuch auch noch fristgerecht hätte einreichen können, da bislang keine Einberufung erfolgte, kann ihm eine Wehrdienstentziehung wohl nicht vorgeworfen werden.

Selbst wenn der Kläger sich einer Wehrdienstentziehung schuldig gemacht haben sollte, wäre nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen. Art. 328 Pkt. 1 russ. StGB sieht für den Tatbestand der Wehrdienstentziehung eine Geldstrafe in Höhe von bis zu 200.000 Rubeln oder in Höhe des Arbeitsentgelts oder eines sonstigen Einkommens für die Dauer von bis zu 18 Monaten, Zwangsarbeit für die Dauer von bis zu zwei Jahren, Arrest für die Dauer von bis zu sechs Monaten oder Freiheitsstrafe für die Dauer von bis zu zwei Jahren vor (Institut für Ostrecht v. 27.8.2013, S. 12). In der Praxis wird nach der Auskunftslage aber nur eine kleine Anzahl an Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, bestraft und die Strafen für Wehrdienstverweigerung fallen sehr gering aus (ACCORD, a. a. O.). Dem Institut für Ostrecht (Gutachten v. 27.8.2013, S. 13) lagen Gerichtsentscheidungen vor, die eine Geldstrafe in Höhe von 50.000 bis 80.000 Rubel oder Freiheitsentzug für die Dauer von sechs Monaten bis zu einem Jahr, überwiegend auf Bewährung, beinhalteten. Bei der Strafzumessung sind der Charakter und der Grad der Gesellschaftsgefährlichkeit der Straftat und die Persönlichkeit des Täters zu berücksichtigten. Als mildernde Umstände gelten z. B. die erstmalige Begehung einer Straftat von geringer oder mittlerer Schwere infolge eines zufälligen Zusammentreffens von Umständen (Institut für Ostrecht v. 27.8.2013, S. 13). Es wäre daher bei dem Kläger auf jeden Fall zu berücksichtigen, dass er nicht vorbestraft ist und seit Jahren an einer ansteckenden Krankheit leidet, erst sechs Jahre nach der Musterungsuntersuchung ausgereist ist, ohne dass eine Einberufung erfolgte, und er einen Ersatzdienst leisten wollte. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die russische Regierung bestrebt ist, die Zahl der Gefängnisinsassen weiter zu verringern (Lagebericht, a. a. O. S. 22). In der Zusammenschau aller dieser Umstände erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass der Kläger zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt werden würde. Die Frage, ob es bei der Verbüßung einer kurzen Freiheitsstrafe überhaupt zu relevanten Menschenrechtsverletzungen kommen würde, muss daher nicht entschieden werden.

3. Eine Gefahr nach § 4 Abs. 1 AsylVfG ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger aus Dagestan stammt. Zwar ist die Sicherheitslage in der Region Dagestan sehr angespannt (Lagebericht, a. a. O. S. 17), es ist aber nicht ersichtlich, dass dem Kläger dort ein ernsthafter Schaden droht. Insbesondere hat er bei seiner Rückkehr keine unmenschliche Behandlung im Rahmen einer Inhaftierung zu befürchten. Die Schilderung der Vorkommnisse im Januar 2010 ist unglaubwürdig. Es ist daher nicht zu erwarten, dass der Kläger in eine Fahndungsliste eingetragen ist und bei seiner Rückkehr verhaftet werden wird (s. I.).

Im Übrigen hat der Kläger auch die Möglichkeit, sich in anderen Landesteilen niederzulassen. Der Aufenthalt von Personen aus den Krisengebieten im Nordkaukasus in anderen Teilen der Russischen Föderation ist zwar durch verschiedene Probleme erschwert, aber grundsätzlich möglich (Lagebericht, a. a. O. S. 19). Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats können sich z. B. aus Tschetschenien stammende ethnische Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation niederlassen (zuletzt U.v. 17.4.2012 - 11 B 11.30469 - juris Rn. 28 f.). Für Personen aus Dagestan gilt nichts anderes.

III.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG.

1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung vom 22. Oktober 2010 (BGBl II S. 1198) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Der sachliche Schutzbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK ist dabei weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht über dieses nicht hinaus (BVerwG, U.v. 13.6.2013 - 10 C 13.12 - BVerwGE 147, 8 = juris Rn. 25). Eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung droht dem Kläger nicht (s. II.).

2. Auch ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht ersichtlich. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei kann sich auch aus einer Erkrankung des Betroffenen eine entsprechende individuelle Gefahr ergeben. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen dann vor, wenn sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 1 C 3.11 - BVerwGE 142, 179; B.v. 17.8.2011 - 10 B 13.11 u. a. - juris Rn. 3).

Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben, denn eine lebensbedrohliche oder zumindest wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung des Klägers alsbald nach seiner Rückkehr ist nicht zu befürchten. Der Kläger leidet zwar nach den vorgelegten Attesten an einer chronischen Hepatitis B-Erkrankung, die bei Blutkontakten weiterhin infektiös ist. Er befindet sich derzeit aber in einer stabilen Situation, in der keine unmittelbare Indikation zu einer erneuten spezifischen therapeutischen Intervention besteht. Der behandelnde Arzt sieht eine regelmäßige ärztliche Überwachung alle sechs Monate und bei Verschlechterung die frühzeitige Einleitung einer antiviralen Therapie als erforderlich an. Hinsichtlich der medizinischen Versorgung ist zu berücksichtigen, dass diese in Russland zwar auf einfachem Niveau, aber grundsätzlich ausreichend gewährleistet ist (Lagebericht, a. a. O. S. 24). Jeder russische Bürger hat ein Recht auf kostenfreie medizinische Grundversorgung, die in der Praxis aber regelmäßig erst nach verdeckter privater Zuzahlung geleistet wird (Lagebricht, a. a. O.). Nach der Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moskau vom 15. April 2013 an das BAMF ist eine chronische Hepatitis B-Erkrankung in Russland grundsätzlich behandelbar. Verschiedene Antiviruspräparate, darunter auch Interferon, können zur Behandlung eingesetzt und kostenfrei bezogen werden. Nachdem beim Kläger derzeit keine therapeutische Behandlung seiner Erkrankung, sondern nur eine regelmäßige Kontrolle erforderlich ist, ist davon auszugehen, dass er diese Leistungen auch in seinem Heimatland kostenfrei oder allenfalls gegen geringe Kostenbeteiligung erhalten kann. Aber auch ohne die regelmäßige Kontrolle wäre eine wesentliche Verschlimmerung seiner Erkrankung alsbald nach der Rückkehr nicht zu erwarten. Nach den Attesten besteht zwar bei unzureichender Betreuung grundsätzlich auch das Risiko eines Fortschreitens der Leberfibrose mit letztlich Entstehung einer Leberzirrhose oder der Entwicklung eines Leberzell-Carcinoms, eine unmittelbare und erhebliche Verschlimmerung der Erkrankung bei einer Rückkehr in sein Heimatland ist danach aber nicht zu befürchten.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10 ZPO, § 711 ZPO.

V. Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinn von § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

Gründe

1

Die Beschwerde ist unzulässig. Denn sie legt den geltend gemachten Verfahrensmangel einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dar.

2

Die Beschwerde rügt, dass die mündliche Verhandlung unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ohne Beiziehung eines Dolmetschers erfolgt sei. Der Kläger - ein aus Ägypten stammender Imam - sei mit schwierigen, theologisch bedeutsamen Fragen des Verhältnisses von Islam und freiheitlich-demokratischer Grundordnung konfrontiert worden, die sein Sprachniveau eindeutig überschritten hätten. Wäre eine solche Befragung auch nur annähernd angekündigt worden, wäre die Zuziehung eines Dolmetschers beantragt worden, soweit es um schwierige theologische und wissenschaftliche Fragen gehe.

3

Damit wird ein Verfahrensfehler nicht ausreichend dargetan. Bei der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs gehört zu der von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO geforderten Darlegung des Verfahrensmangels eine substantiierte Schilderung der Maßnahmen, durch die das Tatsachengericht das rechtliche Gehör verletzt hat. Ferner ist darzulegen, was der Beteiligte bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwieweit der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (Beschluss vom 19. März 1991 - BVerwG 9 B 56.91 - Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 25 S. 12). Daran fehlt es.

4

Die Schilderung des Klägers lässt schon nicht auf einen Gehörsverstoß schließen. Zwar ist nach § 55 VwGO in Verbindung mit § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG ein Dolmetscher hinzuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Ein fremdsprachiger Beteiligter soll die ihn betreffenden Verfahrensvorgänge verstehen und sich in der Verhandlung verständlich machen können. Bei diesen Vorschriften handelt es sich auch im hier vorliegenden Zusammenhang um eine spezielle Form der Gewährung des durch Art. 103 Abs. 1 GG garantierten rechtlichen Gehörs (Beschlüsse vom 10. November 1981 - BVerwG 9 C 474.80 - BayVBl 1982, 349 und vom 29. April 1983 - BVerwG 9 B 1610.81 - Buchholz 310 § 55 VwGO Nr. 6 S. 1). Der Kläger verfügt jedoch über für eine Einbürgerung ausreichende deutsche Sprachkenntnisse; der Mitwirkung eines Dolmetschers bedarf es jedenfalls grundsätzlich nicht, wenn ein Beteiligter die deutsche Sprache zwar nicht beherrscht, sie aber in einem die Verständigung mit ihm in der mündlichen Verhandlung ermöglichenden Maße spricht und versteht (Beschluss vom 11. September 1990 - BVerwG 1 CB 6.90 - Buchholz 300 § 185 GVG Nr. 2 S.1). Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgeführt, dass eine hinreichende Verständigung mit dem Kläger möglich gewesen ist (UA S. 16). Das dies tatsächlich nicht der Fall gewesen sei, trägt die Beschwerde nicht ausreichend substantiiert vor. Insbesondere legt sie nicht dar, dass der Kläger noch etwas hätte vortragen wollen, aber mangels ausreichender Deutschkenntnisse nicht habe vortragen können. Es fehlen jedwede Ausführungen dazu, was der Kläger mithilfe eines Dolmetschers noch vorgetragen hätte und inwieweit die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs auf der mangelnden Berücksichtigung dieses Vortrags beruhen kann.

5

Schließlich kann die Gehörsrüge auch deswegen keinen Erfolg haben, weil der Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2013 die Hinzuziehung eines Dolmetschers nicht beantragt hat, obwohl dazu jedenfalls in dem sich unmittelbar an die Anhörung des Klägers anschließenden Verfahrensabschnitt Gelegenheit bestanden hätte. Er hat damit sein Rügerecht gemäß § 295 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 VwGO verloren (vgl. Urteil vom 6. Juli 1998 - BVerwG 9 C 45.97 - BVerwGE 107, 128 <132> = Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 297 S. 46; Beschluss vom 29. April 1983 a.a.O. S. 2).

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Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

(1) Der Vorsitzende hat die Streitsache mit den Beteiligten tatsächlich und rechtlich zu erörtern.

(2) Der Vorsitzende hat jedem Mitglied des Gerichts auf Verlangen zu gestatten, Fragen zu stellen. Wird eine Frage beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(3) Nach Erörterung der Streitsache erklärt der Vorsitzende die mündliche Verhandlung für geschlossen. Das Gericht kann die Wiedereröffnung beschließen.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 2. Juni 2016, mit dem ihre Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurden (Nr. 1 und Nr. 2), ihr Antrag auf subsidiären Schutz abgelehnt wurde (Nr. 3), festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4), sie unter Androhung der Abschiebung nach Georgien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat aufgefordert wurde, die Bunderepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen (Nr. 5) sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet wurde (Nr. 6).

Ein Antrag der Klägerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 Abs. 5 VwGO blieb ebenso erfolglos wie ein Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO (vgl. VG Regensburg B.v. 22.6.2016 – RO 9 S. 16.31044; B.v. 19.7.2016 – RO 9 S. 16.31398). Im Anschluss an die Zustellung eines klageabweisenden Gerichtsbescheids vom 5. Januar 2017 ließ die Klägerin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragen.

Am 24. Februar 2017 fand die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg statt. Die geladene und anwesende Dolmetscherin übersetzte für die Klägerin in die russische Sprache. Eingangs erklärte die Klägerin, „ein wenig Russisch zu sprechen, sich aber mit der Dolmetscherin verständigen zu können.“ In der Niederschrift ist sodann Folgendes vermerkt:

„Der Klägervertreter ergänzt: Auf dreimalige Nachfrage habe die Klägerin (...) nicht zusammenfassen können, was bisher erörtert worden sei. Sie habe lediglich mitgeteilt, dass sie die Dolmetscherin ein wenig verstehe.

Der Klägervertreter beantragt (…), das Verfahren auszusetzen und neu zu laden mit einem Dolmetscher mit der georgisch-deutschen Sprachkombination.

Auf nochmalige Nachfrage des Gerichts erklärt die Klägerin (…), sie habe alles, was gesprochen und von der Dolmetscherin übersetzt worden sei, verstanden.

Die Dolmetscherin erklärt, die Klägerin (…) spreche gebrochenes und grammatikalisch nicht korrektes Russisch. Die Klägerin könne sie zwar verstehen, könne aber Gesprochenes selbst nur schwer auf Russisch wiedergeben.

Die Dolmetscherin ergänzt, sie gehe davon aus, die Klägerin nur eingeschränkt verstehen zu können.

Die Klägerin (…) erklärt, sie spreche besser Georgisch und ihre Muttersprache sei Jesidisch.“

Nach kurzer Sitzungsunterbrechung lehnte das Verwaltungsgericht durch Beschluss den Vertagungsantrag des Bevollmächtigten der Klägerin ab. Dieser verwies sodann auf Art. 6 EMRK. Das rechtliche Gehör sei durch die Klägerin selbst auszuüben. Eine informatorische Anhörung allein des Prozessbevollmächtigten mache keinen Sinn, da dieser die Anknüpfungstatsachen, an die das Asylvorbringen geknüpft sei, nicht erlebt habe. Nur die Klägerin selbst sei in der Lage, ihr Asylvorbringen zu schildern. Im Übrigen verkenne das Gericht, dass die Klägerin zuvor erklärt habe, dass die Anhörung beim Bundesamt durch einen der georgischen Sprache mächtigen Dolmetscher durchgeführt worden sei und dass dieser die wesentlichen Teile auch in georgischer Sprache übersetzt habe. Das Verwaltungsgericht erließ sodann einen weiteren Beschluss, nach dem am vorherigen Beschluss, die mündliche Verhandlung nicht zu vertagen, festgehalten wurde. Hierauf erklärte der Bevollmächtigte der Klägerin zu Protokoll, dass er sich außer Stande sehe, an einer rechtswidrigen Verhandlung teilzunehmen; er lege das Mandat nieder. Laut der Niederschrift nahm die mündliche Verhandlung sodann folgenden Verlauf:

„Auf Nachfrage des Gerichts, ob sie die Erklärung ihres Prozessbevollmächtigten verstanden habe, erklärt die Klägerin (...): ‚Ich habe verstanden, dass ich mit der Richterin reden soll. (...)

Der wesentliche Akteninhalt (…) wird vorgetragen und der Klägerin von der Dolmetscherin übersetzt.

Die Klägerin (...) erklärt zur Frage, ob der Akteninhalt richtig und vollständig wiedergegeben sei, sie habe die eine Hälfte verstanden, die andere Hälfte nicht. Das, was sie verstanden habe, sei richtig.

Die Sach- und Rechtslage wird erörtert. (...)

Auf die Frage des Gerichts erklärt die Klägerin (…), dass sie nichts vortragen möchte. Ob die Ausführungen des Gerichts im Gerichtsbescheid zutreffend seien, könne sie nicht sagen. (...)

Die Klägerin (...) sieht sich nicht in der Lage, einen Antrag zu stellen. Sie erklärt, sie verstehe nicht, was für einen Antrag sie stellen solle.“

Mit Urteil vom 24. Februar 2017 wies das Verwaltungsgericht Regensburg die Klage ab, die es nach den Ausführungen in den Entscheidungsgründen dahingehend ausgelegt hatte, dass die Klägerin die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG sowie weiter hilfsweise die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begehrt.

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Der in der Sache allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels in Form einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3, § 108 Abs. 2 VwGO) ist von der Klägerin nicht in einer Weise dargelegt worden, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.

Nach § 55 VwGO i.V. mit § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG ist ein Dolmetscher zuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Der Senat geht grundsätzlich davon aus, dass der Anspruch eines Rechtsschutzsuchenden – hier der Klägerin – auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO verkürzt sein kann, wenn die Sprachmittlung über einen zugezogenen Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung gestört ist (BVerwG, B.v. 26.8.1988 – 9 B 104.88 – BeckRS 1988, 31275201; VGH BW, B.v. 22.7.1997 – A 12 S 3092/96 – juris Rn. 5; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 55 Rn. 12 f.). Denn wenn der Betroffene der mündlichen Verhandlung nicht folgen kann und der Dolmetscher aufgrund von Verständigungsproblemen einen Kläger nicht versteht, besteht die Gefahr einer unrichtigen, unvollständigen oder sinnentstellenden Wiedergabe der in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2017 – 13a ZB 16.30368 – juris Rn. 4; OVG NRW, B.v. 6.8.2003 – 11 A 1381/03.A – BeckRS 2015, 48674). Die Klägerseite ist vorliegend auch der Obliegenheit nachgekommen, die Verständigungsschwierigkeiten in der mündlichen Verhandlung zu rügen und die Vertagung der mündlichen Verhandlung zu beantragen (vgl. BVerwG, B.v. 26.8.1988 a.a.O.; BayVGH, B.v. 3.11.2014 – 10 ZB 14.1769 – juris Rn. 10; B.v. 4.11.2014 – 10 ZB 14.1768 – juris Rn. 9; B.v. 20.4.2017 a.a.O. OVG NRW, B.v. 5.9.2016 – 13 A 1697/16.A – juris Rn. 26 ff.).

Vorliegend bestehen aber bereits erhebliche Zweifel, ob die Klägerin tatsächlich außerstande war, sich mit der Dolmetscherin zu verständigen. Zwar hat einerseits die Dolmetscherin ausweislich der gerichtlichen Niederschrift in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, die Klägerin spreche „gebrochenes und grammatikalisch nicht korrektes Russisch“; sie könne sie – die Dolmetscherin – zwar verstehen, könne aber Gesprochenes selbst nur schwer auf Russisch wiedergeben. Ferner erklärte die Dolmetscherin, die Klägerin nur eingeschränkt verstehen zu können. Die Klägerin gab aber andererseits im Rahmen ihrer Asylantragstellung am 22. Mai 2013 selbst Russisch als erste Sprache (neben Georgisch als zweiter Sprache) an; ihr vormaliger Prozessbevollmächtigter gab zudem in der Klageschrift vom 15. Juni 2016 an, für die mündliche Verhandlung werde „ein Übersetzer für die russische oder kurdische Sprache benötigt“. Laut Niederschrift in der mündlichen Verhandlung bestätigte die Klägerin zudem auf Nachfrage des Gerichts zunächst, sie habe alles, was gesprochen und von der Dolmetscherin übersetzt worden sei, verstanden. Ausweislich der Asylverfahrensakte des Bundesamts gab es im behördlichen Asylverfahren mit russischen Dolmetschern keine Verständigungsprobleme, vgl. Bl. 18 ff.: Befragung zur Vorbereitung der Anhörung gem. § 25 AsylVfG a.F. am 22. Mai 2013, Bl. 28 f.: „Wichtige Mitteilung (Belehrung nach § 14 Abs. 1 und § 23 Abs. 2 AsylVfG)“ vom 10. Mai 2013, Bl. 31 ff.: Fragen-Katalog zur Identitätsklärung vom 13. Mai 2013, Bl. 47 ff.; Anhörung gem. § 25 AsylVfG (a.F.) am 23. Mai 2013.

Der Senat muss diesen Zweifel nicht weiter nachgehen und insbesondere die Frage, ob die Verständigung zwischen der Klägerin und der Dolmetscherin in der mündlichen Verhandlung tatsächlich nicht möglich war, im Zulassungsverfahren nicht weiter aufklären (zur Aufklärungspflicht im Zulassungsverfahren in Bezug auf das Vorliegen eines Verfahrensfehlers vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 50, § 124a Rn. 77). Auch wenn bei unterstellten sprachbedingten Kommunikationsstörungen mit der Dolmetscherin von einem Verfahrensverstoß gegen § 55 VwGO i.V. mit § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG auszugehen sein sollte, hat die Klägerin mit ihrem Zulassungsantrag einen Zulassungsgrund i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit § 138 Nr. 3 VwGO nicht hinreichend dargelegt.

Nach dem Grundsatz der Gewährung des rechtlichen Gehörs muss jeder Beteiligte Gelegenheit erhalten, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt und zur Rechtslage vor Erlass der Entscheidung zu äußern (BVerwG, B.v. 3.2.1998 – 1 B 4.98 – InfAuslR 1998, 219 = juris Rn. 5). Das in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Gebot des rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Es verpflichtet das Gericht, dieses Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in seine Entscheidungserwägungen einzustellen. Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO ist allerdings erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat. Ein Verfahrensfehler im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO liegt daher nur dann vor, wenn das Gericht einen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll nur solchen Vortrag ermöglichen und vor Nichtbeachtung schützen, der in einem Zusammenhang mit dem Streitgegenstand steht. Dass in diesem Sinne entscheidungserhebliches Vorbringen verhindert worden ist, gehört bereits zum Tatbestand einer Verletzung rechtlichen Gehörs. Der Berufungszulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO ist daher nur dann erfüllt, wenn das prozessordnungswidrige Verhalten des Gerichts für die Verhinderung entscheidungserheblichen Vortrags ursächlich war (vgl. z.B. OVG NRW, B.v. 5.9.2016 – 13 A 1697/16.A – juris Rn. 19, 29 m.w.N.). Zur Bezeichnung einer Gehörsverletzung gehört in Fällen wie dem vorliegenden daher eine substantiierte Darlegung, dass noch etwas zur Klärung des Streitgegenstands Geeignetes vorgetragen worden wäre, aber mangels ausreichender Sprachkenntnisse nicht vorgetragen werden konnte (BVerwG, B.v. 3.2.1998 – 1 B 4.98 – InfAuslR 1998, 219 = juris Rn. 5). Daher muss der Rechtsmittelführer im Zulassungsverfahren grundsätzlich nicht nur darlegen, dass er sich geäußert hätte, sondern auch, was er geäußert hätte, wenn das Gericht ihm nicht die Gelegenheit dazu genommen hätte. Sein Anspruch auf rechtliches Gehör ist m.a.W. nicht verletzt, wenn er inhaltlich ohnedies nichts Entscheidungserhebliches mehr vorgetragen hätte. Die ordnungsgemäße Begründung einer Gehörsrüge im Zulassungsverfahren erfordert daher nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG grundsätzlich substanziierte Ausführungen dazu, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre und inwieweit der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (BVerwG, B.v. 14.6.2013 – 5 B 41.13 – juris Rn. 3; OVG NRW, B.v. 5.9.2016 a.a.O. juris Rn. 29; VGH BW, B.v. 22.7.1997 – A 12 S 3092/96 – juris Rn. 5; vgl. auch BVerwG, B.v. 26.8.1988 – 9 B 104.88 – BeckRS 1988, 31275201; BayVGH, B.v. 25.2.2004 – 2 ZB 03.30207 – juris Rn. 3; B.v. 3.11.2014 – 10 ZB 14.1769 – juris Rn. 9; B.v. 4.11.2014 – 10 ZB 14.1768 – juris Rn. 8; B.v. 8.2.2017 – 11 ZB 17.30041 – juris Rn. 17).

Zwar muss der Rechtsschutzsuchende ausnahmsweise nicht näher dartun, was er vorgetragen hätte und inwiefern dies zu für ihn günstigeren Ergebnissen geführt hätte, wenn der Gehörsverstoß nicht einzelne Feststellungen, sondern den gesamten Prozessstoff bzw. die gesamten Verfahrensgrundlagen umfasst (BVerwG, U.v. 29.9.1994 – 3 C 28.92 – BVerwGE 96, 368 = juris Rn. 46; B.v. 8.3.1999 – 6 B 121.98 – NVwZ-RR 1999, 567 = juris Rn. 4; B.v. 9.8.2007 – 5 B 10.07 – Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 35 = juris Rn. 5; B.v. 9.6.2008 – 5 B 204.07 u.a. – BayVBl. 2009, 29 = juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 7.12.2006 – 1 ZB 05.616 – BayVBl. 2007, 699 = juris Rn. 23 f.; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 74; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 223; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Oktober 2016, § 124a Rn. 114; Roth in Posser/Wolff, VwGO, 2. Aufl. 2014, § 124a Rn. 79.1; Kuhlmann in Wysk, VwGO, 2. Aufl. 2016, § 138 Rn. 28). Diese Ausnahme ist vorliegend aber nicht einschlägig. Ein vergleichbar gravierender Mangel wie in den in der Rechtsprechung anerkannten Fallgestaltungen, dass der Rechtsmittelführer oder sein Prozessbevollmächtigter an der mündlichen Verhandlung nicht hat teilnehmen können, ist vorliegend nicht gegeben. Selbst das Fehlen eines Dolmetschers für die Muttersprache in der mündlichen Verhandlung ist, sofern eine anwaltliche Vertretung anwesend war, nicht mit dem völligen Unterbleiben einer gebotenen mündlichen Verhandlung gleichzusetzen (vgl. BVerwG, B.v. 14.6.2013 – 5 B 41.13 – juris Rn. 6). Auch im vorliegenden Fall ist das Gericht – anders als in den Fällen einer schuldlosen Verhinderung des Klägers oder seines Bevollmächtigten an der Teilnahme – ordnungsgemäß in die mündliche Verhandlung eingestiegen. Das Verwaltungsgericht konnte sich grundsätzlich darauf verlassen, dass die Angaben der Klägerin in ihrem Asylantrag, ihre erste Sprache sei Russisch, sowie die Angaben des (vormaligen) Bevollmächtigten der Klägerin in der Klageschrift vom 15. Juni 2016, es werde in der mündlichen Verhandlung „ein Übersetzer für die russische oder kurdische Sprache benötigt“, korrekt waren. Hinzu kommt, dass es im asylrechtlichen Gerichtsverfahren mit Blick auf § 74 Abs. 2 AsylG zu den prozessualen Obliegenheiten eines Rechtsschutzsuchenden gehört, den Sachverhalt, aus dem er günstige Rechtsfolgen für sich ableitet, frühzeitig und vollständig schriftsätzlich darzulegen (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 11 ZB 17.30041 – juris Rn. 17; B.v. 25.11.2015 – 15 ZB 15.30229 – juris Rn. 3). Es versteht sich daher nicht von selbst, dass – unabhängig von der Frage, inwiefern eine eventuelle Sprachbarriere aufgrund einer anwaltlichen Vertretung in der mündlichen Verhandlung kompensiert wird – die Klägerin in der mündlichen Verhandlung einen relevanten neuen, ergänzenden Sachvortrag vorgebracht hätte. Dass ihr schriftsätzlicher Vortrag vor der mündlichen Verhandlung unvollständig gewesen wäre und dass sie aus irgendeinem Grund daran gehindert gewesen wäre, den vollständigen relevanten Sachverhalt vor der mündlichen Verhandlung vorzutragen, ergibt sich jedenfalls aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Hinzukommt, dass das Verwaltungsgericht im Vorfeld der mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf die Zurückweisungsmöglichkeiten gem. § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO sowie § 74 Abs. 2 AsylG mit einem (ihrem Bevollmächtigten laut Empfangsbekenntnis am 6. Februar 2017 zugestellten) Schreiben vom 2. Februar 2017 eine Frist bis zum 17. Februar 2017 für die Angabe (weiterer) Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Asylverfahren sich die Klagepartei beschwert fühle, sowie für die Angabe von Beweismitteln zur politischen Verfolgung bzw. zu Abschiebungshindernissen gesetzt hat. Weder hat die Klägerin hiervon Gebrauch gemacht noch hat sie im Zulassungsverfahren vorgetragen, dass ihr ein neuer, ergänzender Vortrag aus bestimmten Gründen nicht rechtzeitig möglich gewesen wäre.

Dass der Bevollmächtigte im Laufe der mündlichen Verhandlung sein Mandat niedergelegt hat, kann – unabhängig von der Frage, ob die Mandatsniederlegung wirksam war oder nicht – nicht dazu führen, dass der Gehörsverstoß – wie bei einer zu Unrecht unterbliebenen mündlichen Verhandlung bzw. einer zu Unrecht unterlassenen Vertagung wegen schuldloser Verhinderung der Teilnahme an der geladenen mündlichen Verhandlung – den gesamten Prozessstoff umfasst. Es verbleibt damit bei dem Grundsatz, dass im Berufungszulassungsverfahren zur ordnungsgemäßen Darlegung eines Verfahrensverstoßes wegen Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO neben der Darlegung der den Gehörsverstoß begründenden Tatsachen auch die substanziierte Darlegung dessen gehört, was der Betroffene – hier die Klägerin – bei ausreichender Gehörsgewährung noch Entscheidungserhebliches vorgetragen hätte.

Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Klägerin nicht gerecht. Zur Begründung der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gibt die Klägerin im Wesentlichen die Geschehnisse, wie sie sich aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ergeben, wieder: In der mündlichen Verhandlung sei – so die Zulassungsbegründung – offenbar geworden, dass die Klägerin, deren Muttersprache yezidisch sei, russisch nur rudimentär spreche. Die Klägerin sei auf Nachfrage ihres Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gewesen, das durch die Vorsitzende Mitgeteilte bzw. Gefragte und durch die Dolmetscherin Übersetzte wiederzugeben. Der Antrag des Bevollmächtigten der Klägerin, das Verfahren zu vertagen sei abgelehnt worden. Auch die Gegenvorstellung des Unterzeichners habe nicht zu einer grundrechtsgemäßen Verhandlung geführt. Der Bevollmächtigte der Klägerin habe daher sein Mandat niederlegen müssen, da er ansonsten an einem rechtswidrigen Zustand hätte mitwirken müssen. Das Gericht habe mit der Klägerin alleine verhandelt, obgleich diese angegeben habe, nur die Hälfte zu verstehen. Es sei ungeklärt, welche Hälfte von was verstanden worden sei. Auf diesem Mangel beruhe das Urteil des Verwaltungsgerichts. Hätte sich die Klägerin artikulieren können, hätte sie ihr individuelles Verfolgungsschicksal dargetan. Die Klägerin sei in ihrem Heimatland Georgien so zusammengeschlagen worden, dass ihr operativ die Gebärmutter habe entfernt werden müssen. Welche weiteren Umstände die Klägerin zu ihrem persönlichen Verfolgungsschicksal habe vortragen wollen, habe mangels geeigneten Dolmetschers nicht geklärt werden können. Der die Zulassungsbegründung verfassende Bevollmächtigte sei bei den Ereignissen in Georgien nicht anwesend gewesen und könne diese Anknüpfungstatsachen vom eigenen Erleben her nicht berichten.

Der körperliche Übergriff, in dessen Folge ihr die Gebärmutter habe entfernt werden müssen, war Gegenstand des bisherigen Vortrags (Anhörung vor dem Bundesamt am 23. Mai 2013, Klageschrift vom 15. Juni 2016) und wurde im streitgegenständlichen Bescheid vom 2. Juni 2016, im Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts 22. Juni 2016, im Gerichtsbescheid vom 5. Januar 2017 sowie im angegriffenen Urteil vom 24. Februar 2016 – ohne dass dabei jeweils auf Fragen der Glaubwürdigkeit der Klägerin bzw. der Glaubhaftigkeit ihrer Darlegung abgestellt wurde – berücksichtigt. Ein darüber hinausgehender Sachverhalt wird im Zulassungsverfahren von der Klägerin nicht vorgebracht. Weder wurde von ihr im Zulassungsantrag dargelegt, noch ist sonst ersichtlich, was sie noch vorgetragen hätte, wenn zusätzlich ein aus ihrer Sicht „geeigneter“ Dolmetscher anwesend gewesen wäre. Die Klägerin ist daher ihren Substanziierungsanforderungen gem. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht gerecht geworden.

Dass das Rechtsschutzbegehren der Klägerin unter Berücksichtigung ihres Verhaltens in der mündlichen Verhandlung mit Blick auf Art. 101 Abs. 1 GG nicht so, wie es im Urteil ausgelegt wurde (§ 88 VwGO), hätte aufgefasst werden dürfen, wird im Zulassungsverfahren nicht vorgebracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG)

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.