Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 08. Dez. 2014 - W 7 K 13.962

bei uns veröffentlicht am08.12.2014

Gericht

Verwaltungsgericht Würzburg

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

I.

1. Der Kläger begehrt seine Einbürgerung.

Er wurde am ...1955 in Parwan (Afghanistan) geboren und ist afghanischer Staatsangehöriger. 1975 erwarb er den akademischen Grad eines Bachelors of Science der Faculty of Science der K. University. Von 1976 bis 1979 war als Dozent an der technischen Fachhochschule in K. tätig. 1982 erwarb er einen Abschluss als Master of Science der K. Education University im Fach Mathematik. Von 1985 bis 1992 war er für den afghanischen Geheimdienst tätig. Am 17. März 2001 reiste er erstmals in die Bundesrepublik ein. Mit Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 24. Oktober 2001 wurde ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Am 20. Juli 2009 wurde ihm eine Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt.

Der Kläger ist seit dem ... Oktober 1971 mit einer afghanischen Staatsangehörigen verheiratet. Seit dem 1. Februar 1993 ist er mit einer weiteren afghanischen Staatsangehörigen verheiratet, die mit ihm in der Bundesrepublik lebt und mit der er drei Kinder hat. Seine erste Ehefrau, mit der er acht Kinder hat, lebt ebenfalls in Deutschland, jedoch seit 2002 vom Kläger getrennt.

Seit dem 1. Mai 2005 bezieht er Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch (SGB II).

Am 22. Februar 2012 beantragte er seine Einbürgerung.

Mit Schreiben des Landratsamts K. vom 24. Mai 2013 wurde er auf die beabsichtigte Ablehnung seines Einbürgerungsantrags hingewiesen und zur Vorlage von Unterlagen und Nachweisen zur Prüfung der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 3, 6 und 7 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) aufgefordert.

Mit Bescheid des Zentrum Bayern Familie und Soziales - Region ... - Versorgungsamt (Versorgungsamt) vom 13. August 2008 wurde ihm ein Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Behinderung von 50 ausgestellt, beruhend auf einer seelischen Störung mit Somatisierungstendenz, Kopfschmerzleiden, Schmerzsyndrom, Bluthochdruck, Funktionsbehinderung in beiden Schultergelenken, des linken Knie- und Sprunggelenks sowie Fehlhaltungen an der Wirbelsäule, degenerativen Veränderungen, Verformung des ersten Lendenwirbels und Muskel- und Nervenwurzelreizerscheinungen.

Mit Bescheid des Landratsamts K. vom 15. August 2013, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugegangen am 26. August 2013, wurde der Einbürgerungsantrag des Klägers abgelehnt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Sicherung des Lebensunterhalts i. S. d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG nicht gewährleistet sei, da er Leistungen nach dem SGB II beziehe und nicht nachgewiesen habe, dass er den Leistungsbezug nicht zu vertreten habe. Zudem fehle es am Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse sowie der Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung i. S. d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 StAG. Ein Absehen hiervon gemäß § 10 Abs. 6 StAG sei nicht möglich, da er keine entsprechenden Unterlagen vorgelegt habe. Ausdrücklich nur ergänzend ausgeführt wurde, dass der Kläger mit zwei Frauen verheiratet sei und deshalb kein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgeben könne. Wegen der weiteren Begründung im Einzelnen wird auf den Bescheid des Landratsamts K. vom 15. August 2013 Bezug genommen.

2. Gegen den vorgenannten Bescheid ließ der Kläger mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 25. September 2013, bei Gericht eingegangen am selben Tag, Klage erheben und verfolgt sein Einbürgerungsbegehren weiter. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass der Kläger bereits in Afghanistan nach den dortigen Gesetzen rechtmäßig mit zwei Frauen verheiratet gewesen sei. Da die Mehrehe nicht in Deutschland begründet worden sei, könne diese der Einbürgerung nicht entgegengehalten werden. Eine Scheidung von seiner ersten Frau bedeute „nach dem Verständnis seines Herkunftsstaates einen Verstoß“, was ihm unter Berücksichtigung der Interessen der ersten Ehefrau und der gemeinsamen Kinder nicht zuzumuten sei. Dass er auf Sozialleistungen angewiesen sei, habe er nicht zu vertreten. Nach dem ärztlichen Attest von Dr. K. vom 15. September 2014 bestünden beim Kläger auf Dauer deutliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit und Funktionsfähigkeit. Insbesondere könne er keine schweren Lasten heben oder tragen, nicht klettern und steigen, keine Über-Kopf-Tätigkeiten und kniende oder hockende Positionen durchführen. Der Kläger habe an einem Einbürgerungstest und der Zertifikatsprüfung Deutsch-B1 teilgenommen, allerdings nur das Ergebnis A2 erreichen können. Aufgrund seines Gesundheitszustandes könne er sich nicht entsprechend konzentrieren, weshalb von diesem Erfordernis abzusehen sei. Laut der ärztlichen Atteste des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. A. vom 25. Juli 2014 und (inhaltsgleich) vom 13. November 2014 leide der Kläger aufgrund schwerer Krankheit und der regelmäßigen Einnahme von Psychopharmaka an massiver Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen. Nach dem Entlassungsbericht des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin Schloss Werneck vom 10. November 2014 berichte der Kläger v. a. von Kopfschmerzen und thorakalen Schmerzen. Die Erstellung eines fachärztlichen Gutachtens sei nicht Bestandteil seiner Mitwirkungspflicht. Wegen der weiteren Begründung der Klage im Einzelnen wird auf die Schriftsätze des Klägerbevollmächtigten vom 25. September 2013, 31. Mai 2014, 7. August 2014 und 18. November 2014 sowie die genannten ärztlichen Atteste Bezug genommen

Der Kläger lässt beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landratsamts K. vom 15. August 2013 zu verpflichten, den Kläger einzubürgern.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid. Ergänzend wird im Wesentlichen vorgetragen, dass die monogame Ehe eine der grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen der Bundesrepublik Deutschland sei und bei bestehender Doppelehe keine Einbürgerung möglich sei. Der Beklagte geht nunmehr auch davon aus, dass der Kläger die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II nicht zu vertreten habe und dies kein Einbürgerungshindernis mehr darstelle. Soweit vom Nachweis der Sprachkenntnisse und der Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung nach § 10 Abs. 6 StAG abgesehen werden solle, seien die Hinderungsgründe durch den Einbürgerungsbewerber nachzuweisen. Dazu sei die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens unerlässlich. Wegen der weiteren Begründung im Einzelnen wird auf die Schriftsätze des Beklagten vom 16. Oktober 2013, 2. Juli 2014 und 22. August 2014 Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 26. August 2014 wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm sein Prozessbevollmächtigter beigeordnet.

Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 8. Dezember 2014 wird Bezug genommen.

Gründe

I.

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einbürgerung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG). Der Ablehnungsbescheid des Landratsamts K. vom 15. August 2013 ist rechtmäßig und der Kläger wird dadurch (schon deswegen) nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Kläger hat bereits deshalb keinen Anspruch auf Einbürgerung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG, weil er ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG) und Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG) nicht nachgewiesen hat. Von diesen Voraussetzungen ist nicht gemäß § 10 Abs. 6 StAG abzusehen. Die Frage, ob die Inanspruchnahme von Sozialleistungen der Einbürgerung hier entgegensteht bzw. ob der Kläger diese zu vertreten hat (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG), kann daher offen bleiben. Ebenfalls braucht deshalb nicht die Frage entschieden zu werden, ob die Doppelehe des Klägers seiner Einbürgerung entgegensteht (vgl. dazu BayVGH, B. v. 29.3.2010 - 5 BV 09.1619 - juris; VG Karlsruhe, U. v. 8.5.2013 - 4 K 1419/11 - juris).

1. Der Kläger hat weder ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG) noch Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG) nachgewiesen. Insoweit wurde lediglich eine Bescheinigung der ESO Euro-Schulen-Organisation über die Teilnahme am Basiskurs „Integration Deutsch“ vom 6. September 2005 vorgelegt. In der Prüfung hat der Kläger die Stufe A2 des europäischen Referenzrahmens erreicht. Dies genügt jedoch nicht den Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 StAG (vgl. § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG).

2. Von den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 StAG ist vorliegend nicht gemäß § 10 Abs. 6 StAG abzusehen. Nach dieser Vorschrift wird davon abgesehen, wenn der Ausländer die Voraussetzungen wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

2.1. Für das Vorliegen der Ausnahmetatbestände des § 10 Abs. 6 StAG ist dabei allein entscheidend, ob der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder aus Altersgründen nicht mehr abverlangt werden kann (OVG Saarl, U. v. 12.2.2014 - 1 A 293/13 - juris Rn. 25; HessVGH, B. v. 12.2.2013 - 5 A 1390/12.Z - juris Rn. 8; Berlit in GK-StAR, Stand: Juli 2012, § 10 Rn. 406 m. w. N.). Die Anwendung des § 10 Abs. 6 StAG scheidet deshalb nicht bereits dann aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich bereits seit vielen Jahren/Jahrzehnten in Deutschland aufhält und er sich in früherer Zeit die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Kenntnisse hätte aneignen können; auf ein Vertretenmüssen hat der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt (OVG Saarl, U. v. 12.2.2014 - 1 A 293/13 - juris Rn. 26; ausführlich: OVG NW, B. v. 22.1.2013 - 19 A 364/10 - juris Rn. 23 ff.; Berlit in GK-StAR, Stand: Juli 2012, § 10 StAG Rn. 406 und 409).

Entscheidend ist daher, ob er sie erfüllen kann, wenn er dies wollte und entsprechende Bemühungen zum Erwerb der geforderten Kenntnisse unternähme, oder ob er die Anforderungen infolge krankheits- oder altersbedingter Einschränkungen auch bei Entfalten diesbezüglicher Anstrengungen nicht mehr erfüllen kann. Damit ist einzelfallbezogen zu klären, ob trotz Krankheit oder Behinderung oder fortgeschrittenen Lebensalters unter Berücksichtigung der konkreten Lebensentwicklung und -umstände des Einbürgerungsbewerbers davon auszugehen ist, dass dessen etwaige Bemühungen, Sprachkenntnisse auf dem durch § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG vorgegebenen Niveau sowie die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, erfolgversprechend wären. Bejahendenfalls ist ihm zuzumuten, diese Bemühungen zu unternehmen, wobei sich im Falle eines Nichtbestehens der anschließenden Prüfungen die Frage stellen würde, ob das - behördlicher- bzw. gerichtlicherseits nicht erwartete - Scheitern seine Ursache in unzureichenden Anstrengungen, sonstigen Gründen (z. B. Analphabetismus eines noch lebensjungen Einbürgerungsbewerbers) oder einem der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Gründe hat. Denn es soll Einbürgerungsbewerbern im fortgeschrittenen Lebensalter angesichts der typischerweise im Alter schwindenden Fähigkeit, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, nicht ausnahmslos zugemutet werden, entsprechende Bemühungen, Kenntnisse auf dem geforderten Niveau zu erwerben, zu entfalten. Nach alledem geht es in § 10 Abs. 6 StAG um die Ursache für ein etwaiges Unvermögen, sich fehlende Kenntnisse anzueignen (OVG Saarl, U. v. 12.2.2014 - 1 A 293/13 - juris Rn. 34; Berlit in GK-StAR, Stand: Juli 2012, § 10 StAR Rn. 406).

In rechtlicher Hinsicht ist des Weiteren zu bekräftigen, dass § 10 Abs. 6 StAG kein Ermessen eröffnet. Liegt einer der Ausnahmetatbestände vor, so „ist abzusehen“, d. h. der Einbürgerungsbewerber hat - soweit er die übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt - einen Anspruch darauf, dass er trotz des Fehlens der Kenntnisse eingebürgert wird (OVG Saarl, U. v. 12.2.2014 - 1 A 293/13 - juris Rn. 35).

Die Ausschlussgründe sind vom Einbürgerungsbewerber entsprechend seiner Mitwirkungspflicht gemäß § 37 Abs. 1 StAG i. V. m. § 82 Abs. 1 AufenthG hinreichend substantiiert darzulegen (BayVGH, B. v. 22.8.2014 - 5 C 14.1664 - juris Rn. 3). D. h., er muss durch ein ärztliches Attest nachweisen, dass er aufgrund einer körperlichen Krankheit die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StAG nicht erfüllen kann (Nr. 10.6 Vorläufige Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsgesetz v. 17.4.2009; OVG Saarl, U. v. 12.2.2014 - 1 A 293/13 - juris Rn. 36; BayVGH, B. v. 22.8.2014 - 5 C 14.1664 - juris Rn. 3; Hailbronner in Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 10 StAG Rn. 69). Dabei muss sich grundsätzlich aus dem ärztlichen Gutachten nachvollziehbar mindestens ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat, welche Art von Befunderhebung stattgefunden hat und ob die von Patienten geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben (BayVGH, B. v. 22.8.2014 - 5 C 14.1664 - juris Rn. 5 mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht zum Nachweis einer Posttraumatischen Belastungsstörung - PTBS - BVerwG, B. v. 26.7.2012 - 10 B 21.12 - juris Rn. 7).

2.2. Die vorgelegten Atteste leisten dies nicht.

2.2.1. Laut der ärztlichen Atteste des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. A. vom 25. Juli 2014 und (inhaltsgleich) vom 13. November 2014 leide der Kläger aufgrund schwerer Krankheit und der regelmäßigen Einnahme von Psychopharmaka an massiver Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen. Zweifel an der Eignung der Atteste zum Nachweis der Voraussetzungen des § 10 Abs. 6 StAG ergeben sich bereits daraus, dass diese nicht von einem Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie oder Neurologie ausgestellt wurden, sondern von einem Facharzt für Allgemeinmedizin. Letzteres erscheint jedoch mit Hinblick auf die Komplexität der Beurteilung der kognitiven Fähigkeiten des Klägers aufgrund seiner psychischen Erkrankungen und der damit einhergehenden Medikation erforderlich. Zudem enthalten die Atteste lediglich die pauschale Behauptung, dass der Kläger an massiver Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen leide. Konkrete Befundtatsachen, aus denen sich diese Schlussfolgerung ableitet, werden nicht genannt. Auch wenn in diesem Fall nicht die strengen Anforderungen an ein fachärztliches Attest zum Nachweis einer PTBS entsprechend anzuwenden sein sollten, belegen die Atteste vom 25. Juli 2014 und 13. November 2014 nicht, dass der Kläger nicht in der Lage ist, ausreichende Deutschkenntnisse zu erwerben. Denn daraus ergibt sich nicht, dass er die geforderte Sprachprüfung nicht durchführen kann. Diese Schlussfolgerung wurde vom bescheinigenden Arzt nicht vorgenommen. Es ist auch keineswegs offensichtlich, dass die pauschal bescheinigten Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit in jedem Fall dazu führen.

2.2.2. Aus dem Entlassungsbericht des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin Schloss Werneck vom 10. November 2014 ergibt sich, dass der Kläger v. a. von Kopfschmerzen und thorakalen Schmerzen berichte. Er beschreibe Aufmerksamkeits-, Merkfähigkeits- und Wortfindungsstörungen, deren Ausprägung sich im Gespräch aufgrund der Sprachbarriere nur schwer ermessen ließe. Inhaltliche Denkstörungen, Ich-Erlebnisstörungen und Sinnestäuschungen seien hingegen nicht feststellbar. Aus dem Entlassungsbericht lässt sich demnach noch nicht einmal ansatzweise entnehmen, dass der Kläger aufgrund seiner Erkrankung keine ausreichenden Deutschkenntnisse erlangen kann. Zwar beschreibt der Kläger verschiedene Beeinträchtigungen seiner Denkleistung. Diese werden jedoch nicht ärztlich bestätigt. Die Schlussfolgerung, dass er die geforderte Sprachprüfung nicht durchführen kann, wird nicht vorgenommen.

2.2.3. Dem vom Klägerbevollmächtigten vorsorglich gestellten Antrag, darüber Beweis zu erheben, ob der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung die Voraussetzung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 StAG nicht erfüllen kann und hierzu ein fachärztliches Gutachten einzuholen, war nicht nachzugehen. Denn hierbei handelt es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis, der daher unbeachtlich ist. Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag liegt in Bezug auf solche Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbaren Anhaltspunkt willkürlich „ins Blaue hinein“ aufgestellt werden, für die tatsächliche Grundlagen jedoch fehlen. So liegt der Fall hier: Die vorgelegten Atteste sind, wie oben dargestellt, nicht geeignet, die Behauptung des Klägers substantiiert zu belegen, er sei aufgrund von Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit nicht in der Lage, die deutsche Sprache zu erlernen. Fehlt es aber - wie hier - schon an einem substantiierten Sachvortrag, stellt sich ein Beweisantrag mit dem Ziel, ein Sachverständigengutachten einzuholen, als unzulässiger Ausforschungs-beweisantrag dar, da die Beweisaufnahme erst die zur Klagebegründung dienenden Tatsachen ergeben soll (BayVGH, B. v. 22.8.2014 - 5 C 14.1664 - juris Rn. 8). Es obliegt - wie bereits oben ausgeführt - dem Kläger, entsprechende Nachweise beizubringen. Insbesondere ist es zumindest naheliegend, dass der Kläger während seines stationären Aufenthalts im Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin Schloss Werneck vom 20. Oktober 2014 bis 12. November 2014 entsprechende Untersuchungen und die Ausstellung entsprechender Gutachten hätte veranlassen können.

2.3. Schließlich ist auch sonst nicht erkennbar, dass hier gemäß § 10 Abs. 6 StAG von den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 StAG abzusehen ist. Der Kläger ist 59 Jahre alt. In diesem Alter ist noch nicht davon auszugehen, dass typischerweise die Fähigkeit, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, bereits in dem Maße schwindet, dass altersbedingt von ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache und Kenntnissen der Rechts- und Gesellschaftsordnung abzusehen ist. Der Kläger ist zudem schwerbehindert zu einem Grad von 50. Die Schwerbehinderung beruht jedoch im Wesentlichen auf körperlichen Beeinträchtigungen, so dass sich hieraus nicht zwangsläufig das Vorliegen der Voraussetzungen des § 10 Abs. 6 StAG ableiten lässt. Schließlich besitzt der Kläger eine akademische Ausbildung, u. a. einen Master of Science in Mathematik. Er war auch als Dozent an der Universität von K. tätig. Nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung hat er früher Englisch und Russisch gesprochen. Sein Bildungsstand legt vielmehr den Schluss nahe, dass er grundsätzlich in der Lage ist, die geforderten Kenntnisse zu erlernen und hierüber entsprechende Nachweise zu erbringen.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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1.
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a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
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c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Tenor

1. Der Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.10.2010 werden aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt seine Einbürgerung.
Der am … 1956 in Teheran/Iran geborene Kläger reiste 1977 in das Bundesgebiet zum Zwecke des Studiums ein. An der Fakultät für Elektrotechnik der Universität Karlsruhe schloss er 1986 mit der Verleihung des Akademischen Grades „Diplom-Ingenieur“ ab. Seither ist er in Deutschland berufstätig.
Laut der in den Akten befindlichen Heiratsurkunde schloss er 1980 in Dänemark mit der deutschen Staatsangehörigen ..., geboren am … 1950 in Landau, die Ehe. Diese Ehe blieb kinderlos. Sie wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bad ... vom 13.11.2006 geschieden. Ausweislich der in den Akten befindlichen Heiratsurkunde (AS 33) schloss der Kläger darüber hinaus am 03.03.1999 in Teheran die Ehe mit der iranischen Staatsangehörigen ..., geboren am … 1973. Aus dieser Ehe gingen zwei (1999 und 2012) geborene Kinder hervor.
Am 05.10.2009 beantragte der Kläger beim Bürgermeisteramt P. seine Einbürgerung in den deutschen Staatenverband. Dazu legte er u.a. das Scheidungsurteil und eine Übersetzung der Heiratsurkunde seiner 1999 geschlossenen Ehe vor.
Mit Schreiben vom 17.03.2010 wies das Landratsamt Karlsruhe den Kläger darauf hin, dass er im Jahr 1999 die Ehe mit einer iranischen Staatsangehörigen geschlossen hat, obwohl er in Deutschland noch mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet war. Durch das Eingehen der Zweitehe habe er gezeigt, dass er die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung, zu denen das Prinzip der Einehe zähle, nicht hinreichend akzeptiert habe. Das von ihm unterschriebene Bekenntnis vom 30.09.2009 sei deshalb nicht wirksam abgegeben. Es sei beabsichtigt, seine Einbürgerung abzulehnen. Dem hielt der Kläger durch Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 15.04.2010 entgegen, dass die angeführte Begründung keineswegs die Ablehnung der beantragten Einbürgerung rechtfertige. Er habe mit seiner iranischen Frau ... während seiner Geschäftstätigkeit im Iran ein Verhältnis gehabt. Die Eltern der Frau hätten dies herausbekommen und ihm im Iran mit einer Anklage gedroht. Die außereheliche Beziehung stehe im Iran unter Strafe. Zur Vermeidung einer strafrechtlichen Verurteilung sei er gezwungen gewesen, seine jetzige Ehefrau zu heiraten. Nach den iranischen Gesetzen habe diese zweite Ehe geschlossen werden können. Die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau sei am 13.11.2006 geschieden worden. Mittlerweile sei er nur noch mit Frau ... verheiratet. Er sei kein Jurist und habe die Rechtsprechung, dass nur die Einehe geschützt sei, nicht kennen müssen. Im Übrigen könne aus der Tatsache, dass er vor annähernd 11 Jahren eine Zweitehe geschlossen habe nicht darauf geschlossen werden, dass er aktuell die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung nicht akzeptiere.
Mit Bescheid vom 02.07.2010 lehnte das Landratsamt Karlsruhe den Einbürgerungsantrag ab. Dagegen legte der Kläger am 19.07.2010 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er mit Schriftsatz vom 31.08.2010 ergänzend vortragen ließ, er habe die Existenz dieser Ehe nie verheimlicht und sie sei in Einklang mit den iranischen Gesetzen gestanden. Mit der Argumentation der Behörde würde jeder Ehebrecher in Deutschland nicht die Gewähr dafür bieten, dass er die soziale und rechtliche Ordnung und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung akzeptiere. Selbst amtierende Ministerpräsidenten oder Minister seien in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen durch Ehebrüche in das Licht der Öffentlichkeit gerückt, ohne dass ernsthaft behauptet werde, dass diese hierdurch gezeigt hätten, dass sie gegen die in der Bundesrepublik geltende soziale und rechtliche Grundordnung verstoßen hätten und sie diese Grundordnung nicht akzeptieren würden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2010 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch gegen die Entscheidung des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 als unbegründet zurück. Darin ist unter anderem ausgeführt, das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse auch inhaltlich zutreffen. Durch sein Verhalten in der Vergangenheit habe der Kläger deutlich gemacht, dass er im Kollisionsfall die nach seinem Heimatrecht geltenden Grundsätze über die des Grundgesetzes stelle. So habe er am „03.03.1989“ (gemeint ist 1999) im Iran eine Zweitehe geschlossen, obwohl er seit 1980 bereits verheiratet gewesen sei. Der Einwand, er habe als Nichtjurist nicht wissen können, dass Art. 6 GG lediglich die Einehe schütze, werfe ein bedenkliches Licht auf seine Integration. Zum Zeitpunkt der Eheschließung habe er sich seit 22 Jahren in Deutschland aufgehalten, ein Studium absolviert und sei 19 Jahre deutsch verheiratet gewesen. Auch ohne Jurist zu sein, dürfe von ihm erwartet werden, dass er das Prinzip der Einehe in Deutschland kenne. Soweit er ausführe, er sei die Ehe eingegangen, um im Iran einer strafrechtlichen Verurteilung zu entgehen, dokumentiere dies gerade, dass er sich im Zweifel nicht am Grundgesetz, sondern an seinem Heimatrecht orientiert habe. Im Übrigen habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt und sei daher nicht schutzlos der iranischen Strafverfolgung ausgesetzt gewesen. Die Doppelehe habe er bis zur Scheidung seiner Ehefrau im Jahr 2006, also bis vor vier Jahren tatsächlich geführt. Der Widerspruchsbescheid wurde am 03.11.2010 zugestellt.
Am 08.10.2010 hat der Kläger Klage erhoben; er beantragt,
den Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.10.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn in den deutschen Staatsverbund einzubürgern.
10 
Zur Begründung trägt er ergänzend zu den bisherigen Ausführungen vor: Er habe in einer Ausnahmesituation im Jahr 1999 seine iranische Frau geheiratet, weil sie damals schwanger gewesen sei und ihr im Iran deswegen die Steinigung habe drohen können. Nach Auffassung seiner Vertreters sei die iranische Ehe hier unwirksam. Er, der Kläger, habe seine deutsche Ehefrau darüber informiert, auch seine iranische Ehefrau habe bei der Heirat von der deutschen Frau gewusst. Seine erste (deutsche) Ehefrau habe sich nicht scheiden lassen wollen, er habe die finanziellen Voraussetzungen für die Scheidung geschaffen, indem er seiner deutschen Frau Zeit gelassen habe, bis sie selbst habe Geld verdienen können. Die Ehe habe eigentlich seit Langem nicht mehr bestanden, er sei beruflich oft unterwegs gewesen, meistens im Iran. Von der Einehe habe er erstmals im Einbürgerungsantragsformular erfahren. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, erstmals mit dem Einbürgerungstest habe er vom Grundsatz der Einehe in Deutschland erfahren. Bei Abschluss seiner Ehe im Iran habe er sich keine bzw. wenig Gedanken darüber gemacht, ob sie im Bundesgebiet wirksam sei. Er könne und wolle nur mit einer Frau zusammenleben.
11 
Der Beklagte beantragt,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Er verweist auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und ist der Ansicht, der Kläger halte sich nicht an die Rechtsordnung. Geschützt sei nur die Einehe, an die sich der Kläger nicht gehalten habe. Hinzuweisen sei auch darauf, dass er die Ehe mit seiner ersten Frau in Dänemark geschlossen habe.
14 
Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung der Berichterstatterin anstelle der Kammer einverstanden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die dem Gericht vorliegenden Akten (2 Hefte) sowie auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten und des Regierungspräsidiums Karlsruhe sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren dementsprechend aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Kläger in den deutschen Staatenverbund einzubürgern (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16 
Die Frage, ob dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch zukommt, beurteilt sich nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, ). Für den am 05.10.2009 gestellten Einbürgerungsantrag gilt § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der ab 01.08.2012 gültigen Fassung vom 01.06.2012 - StAG -.
17 
Der Kläger erfüllt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG, insbesondere sind die Voraussetzungen der Nrn. 2 bis 7 unstreitig gegeben. Er hat seit acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Kläger war ab 31.10.1984 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, ab 22.08.1989 hatte er Aufenthaltsberechtigung. Nach Aktenlage erhielt er am 17.09.1993 eine bis 17.09.1996 gültige Aufenthaltsberechtigung, die ab 05.07.2001 als Niederlassungserlaubnis übertragen wurde. Ob die Ausländerbehörde die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung wegen der von 1999 bis 2006 geführten Doppelehe hätte zurücknehmen können, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. z.B. Bay.VGH, Beschl. v. 20.09.2012 - 19 ZB 12.1396 -, ; OVG NW, Urt. v. 03.12.2009 - 18 A 1787/06 -, ; OVG Saarland, Urt. v. 11.03.2010 - 2 A 491/09 -, ).
18 
Zur Klarstellung weist das Gericht hinsichtlich der Wirksamkeit und Strafbarkeit (s. § 10 Abs. 1 Nr. 5 STAG) der von 1999 bis 2006 existent gewesenen Doppelehe des Klägers mit einer deutschen und (ab 1999) iranischen Staatsangehörigen auf Folgendes hin: Die am 03.03.1999 im Iran geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und einer iranischen Staatsangehörigen ist nach iranischem und deutschem Recht wirksam und berührt nicht § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 StAG. Dabei ist der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens für eine Eheschließung zweier iranischer Staatsangehöriger im Iran nicht eröffnet (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010 - 31 Wx 37/09, 31 Wx 037/09 -, m.w.N.). Für die Frage der Formgültigkeit einer Ehe wird das anwendbare Recht für eine Heirat im Ausland durch Art. 11 EGBGB bestimmt, der auch die Eheschließung umfasst (vgl. auch Art. 13 Abs. 1 und 3 EGBGB für eine Eheschließung im Bundesgebiet). Danach ist eine Ehe formgültig, wenn sie entweder die Formerfordernisse des inhaltlich maßgeblichen Rechts (Geschäftsrecht) oder die Formerfordernisse des Rechts am Ort der Vornahme (Ortsrecht) erfüllt (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.; Kaiser, FamRZ 2013, 77 ff., 80). In der Praxis erfolgen im Iran die Eheschließung und die Registrierung zeitgleich vor den amtlichen Eheschließungs- und Ehescheidungsbüros, deren Beamte die Eheschließung durch die Ehegatten beurkunden und sie in einem standardisierten amtlichen Trauschein registrieren (s. § 1 Abs. 1 Satz 1 Iranisches Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931 in: Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 23 ff., 148 f; Yassari, FamRZ 2011, 1 ff.). Die beim „Heiratsnotariat Nr. 450 zu Teheran“ am 03.03.1999 geschlossene Ehe ist hiernach rechtsgültig. Eine im Iran nach dortigem Recht formgültig geschlossene Ehe ist gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB auch nach deutschem Recht wirksam (BayOLG, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.).
19 
Die Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund ist dem Kläger nicht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG zu versagen. Der Kläger ist ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs nicht vorbestraft. Wegen der Doppelehe konnte er nicht nach deutschem Recht bestraft werden, weil die Mehrehe nach iranischem Recht erlaubt ist. Für einen Deutschen, der eine Doppelehe im Ausland schließt, gilt das deutsche Strafrecht nur, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 StGB), dann also nicht, wenn das betreffende Auslandsrecht die weitere Eheschließung zulässt (Dippel/Leipziger, Kommentar zum StGB, § 172 Rn. 8 unter Hinweis auf Fischer, StGB, 59. Aufl., § 172 StGB Rn. 4). Strafbar macht sich also nicht, wer in einem Staat eine wirksame Zweitehe abschließt, die dort erlaubt ist, wie es für den Iran der Fall ist (z.B. Yassari, FamRZ 2011, 1 ff., 2 f und Fußnote 20, 24; zum Iranischen Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931: Bergmann/Ferid/Heinrich, a.a.O., Iran, S. 23 ff., 148 f).
20 
Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG sind mit dem erfolgreich abgelegten Einbürgerungstest belegt.
21 
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ebenfalls erfüllt, weil sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung überzeugend zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere zur Einehe, bekannt und sich von der Führung einer Doppelehe abgewandt hat. Der Umstand, dass der Kläger die von 1999 bis zur Scheidung von seiner deutschen Ehefrau am 13.11.2006 wirksam gewesene Doppelehe und zwei daraus hervorgegangene Kinder bis zum Einbürgerungsantrag gegenüber der Ausländerbehörde verschwiegen hat, verstößt nicht gegen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (i. Erg. ebenso. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.12.2007 - 2 M 303/07 -, zum Verschweigen von ehelichen Kindern; s. auch Hess. VGH, Urt. v. 28.05.1998 - 12 UE 1542/98 -, ). Dem Kläger oblag nach Erhalt der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis keine Auskunftspflicht nach § 82 AufenthG über seine familiären Verhältnisse, die verletzt sein könnte und deshalb die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erfüllt wären.
22 
Selbst wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die 1999 geschlossene Zweitehe und die Aufrechterhaltung der Doppelehe bis zum 13.11.2006 berührt wäre, hat sich der Kläger jedenfalls von einer möglicherweise in der Vergangenheit innegehabten nicht in Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Einstellung bezüglich einer Doppelehe abgewandt und eindeutig zur Einehe und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt.
23 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, oder wenn er glaubhaft macht, dass er sich von einer früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). In engem Zusammenhang mit dieser Einbürgerungsvoraussetzung steht der Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, wonach die Einbürgerung ausgeschlossen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einzubürgernde Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, „es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat“ (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, u. Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 -, m.w.N., nachgehend BVerwG, Beschl. v. 08.12.2008 - 5 B 58/08 -, ). Bei der Feststellung zu § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist einerseits eine wertende Betrachtungsweise vorzunehmen, bei der auch die Ausländern zustehenden Grundrechte (etwa Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen sind. Andererseits können grundsätzlich auch legale Betätigungen herangezogen werden. Mit § 11 StAG wird der Sicherheitsschutz im Einbürgerungsrecht mithin weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen (BayVGH, Urt. v. 27.02.2013 - 5 B 11.2418 -, m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, ).
24 
Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in der Vergangenheit und Gegenwart abverlangt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, ). Ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit zumindest einfache Grundkenntnisse besitzt und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.2008, a.a.O., m.w.N.; i. Erg. ebenso BayVGH, Urt. v. 19.01.2012 - 5 B 11.732 -, ). Bei Erfüllung aller tatbestandlichen Einbürgerungsvoraussetzungen hat der Ausländer einen strikten subjektiv-öffentlich-rechtlichen Einbürgerungsanspruch. Ein Ermessen steht der Einbürgerungsbehörde nicht zu (Berlit, GK-StAG, § 10 Rn. 39 m.w.N.).
25 
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG stellt mit dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung klar, dass damit nicht die gesamte deutsche Rechtsordnung gemeint ist und dass im Unterschied zur Ermessenseinbürgerung gemäß § 9 StAG für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erforderlich ist, dass gewährleistet ist, dass sich der Einbürgerungsbewerber in die „deutschen Lebensverhältnisse“ einordnen wird (s. auch BT-Drucksache 16/5107 S. 1 und 14). Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG ist im Hinblick auf dessen verfassungsrechtliche Bedeutung auszulegen. Im Grundgesetz taucht dieser Begriff mehrfach auf, in den Artikeln 21 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, 18 und 87 a Abs. 4 GG (s. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff., 218 f. m.w.N.). Zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 -, SRP-Verbot) Folgendes ausgeführt: „So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (Urt. v. 23.10.1952, a.a.O., s. auch BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 Bv2 BvR 1152/10 -, BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - 1 A 3/94 -, DVBL 1999, 1743 ff.).
26 
In einfachgesetzlichen Regelungen findet sich der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung z.B. in § 54 Nr. 5a AufenthG 2004 (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.10.2009 - 7 A 10165/09 -, ) bzw. ehemals in § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG sowie in § 8 Soldatengesetz. Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung von Spezialgesetzen muss dieser Begriff aber nicht zwingend identisch ausgelegt werden. Die Literatur versteht die freiheitlich demokratische Grundordnung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG u.a. in der Weise, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.). Zu den in § 4 Abs. 2 Buchst. g) BVerfSchG genannten Menschenrechten zählen insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) (OVG NW, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 -, Rn. 283 ff. m.w.N.). Diese als nicht abschließend zu verstehende Aufzählung lässt offen, ob und welche Grundrechte zu den Menschenrechten im vorgenannten Sinne rechnen. Nicht ausreichend für einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist deshalb der Hinweis darauf, dass die Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland rechnet (s. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.08.2007 - 11 S 995/07 -, ) bzw. zur deutschen Rechtsordnung, worauf die angefochtenen Bescheide abstellen.
27 
Ob die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Einehe (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323, 330; BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58 ff. Spanier-Entscheidung; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 -, BVerfGE 76, 1, 41 ff.) zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (so z. B. VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ; wohl auch VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -, S. 11, 2. Absatz) gehört oder als Menschenrecht im vorgenannten Sinne anzusehen ist, gegen das die Doppelehe verstößt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil sich der Kläger, worauf noch eingegangen wird, mit dem Loyalitätstest und ergänzend in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Einehe bekannt hat.
28 
Offenbleiben kann deshalb auch, ob ein polygame Ehe in jeder Hinsicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG steht oder nicht, weil Art. 6 Abs. 1 GG nämlich neben der Ehe auch die Familie schützt (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O.), also auch die aus einer Zweitehe hervorgegangenen Kinder und deren Beziehung zu ihren Eltern. Klarstellend sei angemerkt, dass allerdings anders als einige Grundrechtsbestimmungen Art. 6 Abs. 1 GG keine Beschränkung auf Deutsche enthält, zudem betrifft das Grundrecht einen für alle Menschen bedeutsamen Bereich der persönlichsten Lebensgestaltung (BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971, a.a.O.). Dies und die mit dem Grundrecht verbundene Institutsgarantie (BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982, a.a.O., m.w.N.) lassen sich für eine Qualifizierung als Menschenrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG anführen.
29 
Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unter Art. 1 Abs. 2 GG fällt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln; er verpflichtet dazu, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.09.2007 - 2 BvR 855/06 -, Rn. 18 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könnte darin gesehen werden, dass die Mehrehe nach Iranischem Recht nur für Männer gilt, nicht auch für Frauen (Bergmann/Ferid, a.a.O., S 43 unter Hinweis auf § 1050 ZGB; einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bejahen: VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ).
30 
Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, indem er glaubhaft erklärte, dass er nur in einer Einehe leben wolle und könne. Der Umstand, dass er von 1999 bis zu seiner Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in einer Mehrehe gelebt hat, hindert das Gericht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger sowie seinen glaubhaften Erklärungen nicht daran, ihm darin zu folgen, dass sein Bekenntnis zur Einehe kein reines Lippenbekenntnis ist, sondern seiner mittlerweile gefestigten Überzeugung vom Zusammenleben von Mann und Frau entspricht. Er hat offen bekundet, dass er das Prinzip der Einehe erstmals im Einbürgerungstest gelernt habe. Anlass für die Eheschließung im Jahr 1999 im Iran war, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf informatorische Befragung seitens des Gerichts glaubhaft erklärte, dass seine damalige iranische Lebensgefährtin von ihm ein Kind erwartete. Weil eine Schwangerschaft einer ledigen Frau im Iran möglicherweise zu drakonischen Strafen führen kann, heiratete er sie alsbald nachdem ihm die Schwangerschaft bekannt war. Diese Befürchtung des Klägers war nicht von der Hand zu weisen. Insoweit ist zu beachten, dass unerlaubter (also auch außerehelicher) Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nach Art. 63 IranStGB verboten ist und die Hadd-Strafe der Steinigung nach sich ziehen kann. Die Anforderungen an Beweise, Zeugenaussagen und Geständnisse sind aber derart hoch (Art. 68-79 IranStGB), dass sie kaum zu erfüllen sind. Weiterhin gibt es eine Reihe von Ausnahmeregelungen (Art. 64-67, 86), die die Verhängung der Hadd-Strafe verhindern. Üblicherweise wird eine Tazir-Strafe nach Art. 637 IranStGB von bis zu 99 Peitschenhieben wegen unzüchtigen Verhaltens verhängt, die meist durch eine Geldbuße abgelöst wird (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gutachten vom 04.11.1998 an VG Augsburg). Selbst wenn hiernach davon ausgegangen werden könnte, dass eine Körperstrafe durch Zahlung einer Geldstrafe möglicherweise hätte abgewendet werden können, existierte für den Kläger und seine iranische Frau sowie deren Verwandtschaft und soziales Umfeld die Befürchtung, dass ihr eine Körperstrafe drohen könnte. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung des Klägers, er habe seine damals mit dem ersten gemeinsamen Kind schwanger gewesene iranische Freundin im Iran geheiratet, um eine Steinigung oder andere Strafen von ihr abzuwenden, plausibel und glaubhaft und als solche geeignet, festzustellen, dass sein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist. Dass der Kläger trotz seiner bestehenden Ehe mit seiner deutschen Ehefrau unter diesen Vorgaben eine Zweitehe im Iran einging, ist auch deshalb verständlich, weil er aufgrund seiner Herkunft aus dem Iran mit der Vorstellung einer Mehrehe vertraut war und sich deshalb mit seinen Worten „keine oder nicht viel Gedanken“ gemacht hat, ob seine im Iran geschlossene Ehe im Bundesgebiet „akzeptiert“ werde bzw. wirksam ist. Dies mag zwar bei Eingehen der Zweitehe in moralischer Hinsicht bedenklich gewesen sein, sein diesbezüglicher Einwand vermag aber im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit seines Bekenntnisses zur Einehe mehr begründen. Nicht entscheidend ins Gewicht fällt auch seine Aussage, unter „Persern“, wozu er gehört, sei eine Mehrehe weniger gebräuchlich, dagegen sei eine Mehrehe von bis zu vier Frauen bei arabisch stämmigen Iranern üblich. Denn das iranische Recht trennt bei der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Mehrehe nicht nach der Volkszugehörigkeit, also nicht nach persischer oder arabischer Herkunft. Im Zeitpunkt seiner zweiten Eheschließung war seine erste Ehe mit seinen Worten eigentlich beendet. Seine erste (deutsche) Ehefrau willigte aber nicht unmittelbar, nachdem sie vom Kläger über die Zweitehe informiert worden ist, in die Scheidung ein. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhalf er ihr in den folgenden Jahren dazu, erst die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie selbst Geld verdienen konnte. Dass er seit 1977 im Bundesgebiet gelebt hat und ihm hier nicht entgangen sein kann, dass im Bundesgebiet nur die Einehe geschützt ist, steht der Glaubhaftigkeit seiner in der mündlichen Verhandlung gemachten Erklärung, dass er nur mit einer Frau zusammenleben könne und wolle, also seinem ausdrücklichen Bekenntnis zur Einehe, nicht entgegen. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass für ihn seine erste Ehe seit Langem nicht mehr bestanden habe und dass er beruflich viel unterwegs gewesen sei, meistens im Iran, wo er seine zweite Frau kennen gelernt habe. Dass er die Scheidung von seiner ersten Frau rechtlich nicht früher durchgesetzt hat, ist ihm nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten des Falles, auch der fehlenden Einwilligung in die Scheidung, nicht, jedenfalls nicht mit ausschlaggebendem Gewicht, nachteilig anzulasten. Das Gericht ist deshalb aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Gesamteindrucks vom Kläger überzeugt, dass seine Angaben zur Einehe glaubhaft sind.
31 
Ebenso wenig ist der Hinweis der Vertreter des beklagten Landes darauf, dass seine erste Ehe in Dänemark geschlossen wurde, geeignet, sein jetziges Bekenntnis zur Einehe in Frage zu stellen. Der dahinter stehende Vorwurf, der Kläger habe damals in Dänemark geheiratet, damit er möglichst unbürokratisch in den Genuss einer von seiner deutschen Ehefrau ableitbaren Aufenthaltserlaubnis gelangen konnte, vermag selbst dann, wenn er zutreffen würde, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Richtigkeit seines in der mündlichen Verhandlung überzeugend zum Ausdruck gebrachten Bekenntnisses zur Einehe und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufkommen lassen. Von seiner ehemals innegehabten Einstellung zur Mehrehe hat er sich glaubhaft abgewandt (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Hiernach liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr dafür vor, die Zweifel aufwerfen könnten, ob das Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine zeitweise existierende Mehrehe (hier über ca. 6 Jahre) eines Ausländers (hier: eines Iraners) mit seiner (ersten) deutschen Frau und einer iranischen Frau gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verstößt und eine plausible und glaubhafte Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, mit der er sich zur Einehe bekennt, den Anforderungen an ein „Bekenntnis“ entsprechen und die Voraussetzung erfüllen kann, dass er sich „abgewandt“ hat im Sinne des §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf EUR 10.000.-- festgesetzt.
36 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

Gründe

 
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten und des Regierungspräsidiums Karlsruhe sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren dementsprechend aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Kläger in den deutschen Staatenverbund einzubürgern (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16 
Die Frage, ob dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch zukommt, beurteilt sich nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, ). Für den am 05.10.2009 gestellten Einbürgerungsantrag gilt § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der ab 01.08.2012 gültigen Fassung vom 01.06.2012 - StAG -.
17 
Der Kläger erfüllt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG, insbesondere sind die Voraussetzungen der Nrn. 2 bis 7 unstreitig gegeben. Er hat seit acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Kläger war ab 31.10.1984 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, ab 22.08.1989 hatte er Aufenthaltsberechtigung. Nach Aktenlage erhielt er am 17.09.1993 eine bis 17.09.1996 gültige Aufenthaltsberechtigung, die ab 05.07.2001 als Niederlassungserlaubnis übertragen wurde. Ob die Ausländerbehörde die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung wegen der von 1999 bis 2006 geführten Doppelehe hätte zurücknehmen können, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. z.B. Bay.VGH, Beschl. v. 20.09.2012 - 19 ZB 12.1396 -, ; OVG NW, Urt. v. 03.12.2009 - 18 A 1787/06 -, ; OVG Saarland, Urt. v. 11.03.2010 - 2 A 491/09 -, ).
18 
Zur Klarstellung weist das Gericht hinsichtlich der Wirksamkeit und Strafbarkeit (s. § 10 Abs. 1 Nr. 5 STAG) der von 1999 bis 2006 existent gewesenen Doppelehe des Klägers mit einer deutschen und (ab 1999) iranischen Staatsangehörigen auf Folgendes hin: Die am 03.03.1999 im Iran geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und einer iranischen Staatsangehörigen ist nach iranischem und deutschem Recht wirksam und berührt nicht § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 StAG. Dabei ist der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens für eine Eheschließung zweier iranischer Staatsangehöriger im Iran nicht eröffnet (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010 - 31 Wx 37/09, 31 Wx 037/09 -, m.w.N.). Für die Frage der Formgültigkeit einer Ehe wird das anwendbare Recht für eine Heirat im Ausland durch Art. 11 EGBGB bestimmt, der auch die Eheschließung umfasst (vgl. auch Art. 13 Abs. 1 und 3 EGBGB für eine Eheschließung im Bundesgebiet). Danach ist eine Ehe formgültig, wenn sie entweder die Formerfordernisse des inhaltlich maßgeblichen Rechts (Geschäftsrecht) oder die Formerfordernisse des Rechts am Ort der Vornahme (Ortsrecht) erfüllt (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.; Kaiser, FamRZ 2013, 77 ff., 80). In der Praxis erfolgen im Iran die Eheschließung und die Registrierung zeitgleich vor den amtlichen Eheschließungs- und Ehescheidungsbüros, deren Beamte die Eheschließung durch die Ehegatten beurkunden und sie in einem standardisierten amtlichen Trauschein registrieren (s. § 1 Abs. 1 Satz 1 Iranisches Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931 in: Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 23 ff., 148 f; Yassari, FamRZ 2011, 1 ff.). Die beim „Heiratsnotariat Nr. 450 zu Teheran“ am 03.03.1999 geschlossene Ehe ist hiernach rechtsgültig. Eine im Iran nach dortigem Recht formgültig geschlossene Ehe ist gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB auch nach deutschem Recht wirksam (BayOLG, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.).
19 
Die Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund ist dem Kläger nicht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG zu versagen. Der Kläger ist ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs nicht vorbestraft. Wegen der Doppelehe konnte er nicht nach deutschem Recht bestraft werden, weil die Mehrehe nach iranischem Recht erlaubt ist. Für einen Deutschen, der eine Doppelehe im Ausland schließt, gilt das deutsche Strafrecht nur, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 StGB), dann also nicht, wenn das betreffende Auslandsrecht die weitere Eheschließung zulässt (Dippel/Leipziger, Kommentar zum StGB, § 172 Rn. 8 unter Hinweis auf Fischer, StGB, 59. Aufl., § 172 StGB Rn. 4). Strafbar macht sich also nicht, wer in einem Staat eine wirksame Zweitehe abschließt, die dort erlaubt ist, wie es für den Iran der Fall ist (z.B. Yassari, FamRZ 2011, 1 ff., 2 f und Fußnote 20, 24; zum Iranischen Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931: Bergmann/Ferid/Heinrich, a.a.O., Iran, S. 23 ff., 148 f).
20 
Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG sind mit dem erfolgreich abgelegten Einbürgerungstest belegt.
21 
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ebenfalls erfüllt, weil sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung überzeugend zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere zur Einehe, bekannt und sich von der Führung einer Doppelehe abgewandt hat. Der Umstand, dass der Kläger die von 1999 bis zur Scheidung von seiner deutschen Ehefrau am 13.11.2006 wirksam gewesene Doppelehe und zwei daraus hervorgegangene Kinder bis zum Einbürgerungsantrag gegenüber der Ausländerbehörde verschwiegen hat, verstößt nicht gegen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (i. Erg. ebenso. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.12.2007 - 2 M 303/07 -, zum Verschweigen von ehelichen Kindern; s. auch Hess. VGH, Urt. v. 28.05.1998 - 12 UE 1542/98 -, ). Dem Kläger oblag nach Erhalt der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis keine Auskunftspflicht nach § 82 AufenthG über seine familiären Verhältnisse, die verletzt sein könnte und deshalb die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erfüllt wären.
22 
Selbst wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die 1999 geschlossene Zweitehe und die Aufrechterhaltung der Doppelehe bis zum 13.11.2006 berührt wäre, hat sich der Kläger jedenfalls von einer möglicherweise in der Vergangenheit innegehabten nicht in Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Einstellung bezüglich einer Doppelehe abgewandt und eindeutig zur Einehe und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt.
23 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, oder wenn er glaubhaft macht, dass er sich von einer früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). In engem Zusammenhang mit dieser Einbürgerungsvoraussetzung steht der Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, wonach die Einbürgerung ausgeschlossen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einzubürgernde Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, „es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat“ (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, u. Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 -, m.w.N., nachgehend BVerwG, Beschl. v. 08.12.2008 - 5 B 58/08 -, ). Bei der Feststellung zu § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist einerseits eine wertende Betrachtungsweise vorzunehmen, bei der auch die Ausländern zustehenden Grundrechte (etwa Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen sind. Andererseits können grundsätzlich auch legale Betätigungen herangezogen werden. Mit § 11 StAG wird der Sicherheitsschutz im Einbürgerungsrecht mithin weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen (BayVGH, Urt. v. 27.02.2013 - 5 B 11.2418 -, m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, ).
24 
Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in der Vergangenheit und Gegenwart abverlangt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, ). Ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit zumindest einfache Grundkenntnisse besitzt und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.2008, a.a.O., m.w.N.; i. Erg. ebenso BayVGH, Urt. v. 19.01.2012 - 5 B 11.732 -, ). Bei Erfüllung aller tatbestandlichen Einbürgerungsvoraussetzungen hat der Ausländer einen strikten subjektiv-öffentlich-rechtlichen Einbürgerungsanspruch. Ein Ermessen steht der Einbürgerungsbehörde nicht zu (Berlit, GK-StAG, § 10 Rn. 39 m.w.N.).
25 
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG stellt mit dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung klar, dass damit nicht die gesamte deutsche Rechtsordnung gemeint ist und dass im Unterschied zur Ermessenseinbürgerung gemäß § 9 StAG für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erforderlich ist, dass gewährleistet ist, dass sich der Einbürgerungsbewerber in die „deutschen Lebensverhältnisse“ einordnen wird (s. auch BT-Drucksache 16/5107 S. 1 und 14). Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG ist im Hinblick auf dessen verfassungsrechtliche Bedeutung auszulegen. Im Grundgesetz taucht dieser Begriff mehrfach auf, in den Artikeln 21 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, 18 und 87 a Abs. 4 GG (s. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff., 218 f. m.w.N.). Zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 -, SRP-Verbot) Folgendes ausgeführt: „So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (Urt. v. 23.10.1952, a.a.O., s. auch BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 Bv2 BvR 1152/10 -, BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - 1 A 3/94 -, DVBL 1999, 1743 ff.).
26 
In einfachgesetzlichen Regelungen findet sich der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung z.B. in § 54 Nr. 5a AufenthG 2004 (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.10.2009 - 7 A 10165/09 -, ) bzw. ehemals in § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG sowie in § 8 Soldatengesetz. Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung von Spezialgesetzen muss dieser Begriff aber nicht zwingend identisch ausgelegt werden. Die Literatur versteht die freiheitlich demokratische Grundordnung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG u.a. in der Weise, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.). Zu den in § 4 Abs. 2 Buchst. g) BVerfSchG genannten Menschenrechten zählen insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) (OVG NW, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 -, Rn. 283 ff. m.w.N.). Diese als nicht abschließend zu verstehende Aufzählung lässt offen, ob und welche Grundrechte zu den Menschenrechten im vorgenannten Sinne rechnen. Nicht ausreichend für einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist deshalb der Hinweis darauf, dass die Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland rechnet (s. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.08.2007 - 11 S 995/07 -, ) bzw. zur deutschen Rechtsordnung, worauf die angefochtenen Bescheide abstellen.
27 
Ob die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Einehe (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323, 330; BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58 ff. Spanier-Entscheidung; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 -, BVerfGE 76, 1, 41 ff.) zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (so z. B. VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ; wohl auch VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -, S. 11, 2. Absatz) gehört oder als Menschenrecht im vorgenannten Sinne anzusehen ist, gegen das die Doppelehe verstößt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil sich der Kläger, worauf noch eingegangen wird, mit dem Loyalitätstest und ergänzend in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Einehe bekannt hat.
28 
Offenbleiben kann deshalb auch, ob ein polygame Ehe in jeder Hinsicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG steht oder nicht, weil Art. 6 Abs. 1 GG nämlich neben der Ehe auch die Familie schützt (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O.), also auch die aus einer Zweitehe hervorgegangenen Kinder und deren Beziehung zu ihren Eltern. Klarstellend sei angemerkt, dass allerdings anders als einige Grundrechtsbestimmungen Art. 6 Abs. 1 GG keine Beschränkung auf Deutsche enthält, zudem betrifft das Grundrecht einen für alle Menschen bedeutsamen Bereich der persönlichsten Lebensgestaltung (BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971, a.a.O.). Dies und die mit dem Grundrecht verbundene Institutsgarantie (BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982, a.a.O., m.w.N.) lassen sich für eine Qualifizierung als Menschenrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG anführen.
29 
Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unter Art. 1 Abs. 2 GG fällt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln; er verpflichtet dazu, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.09.2007 - 2 BvR 855/06 -, Rn. 18 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könnte darin gesehen werden, dass die Mehrehe nach Iranischem Recht nur für Männer gilt, nicht auch für Frauen (Bergmann/Ferid, a.a.O., S 43 unter Hinweis auf § 1050 ZGB; einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bejahen: VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ).
30 
Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, indem er glaubhaft erklärte, dass er nur in einer Einehe leben wolle und könne. Der Umstand, dass er von 1999 bis zu seiner Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in einer Mehrehe gelebt hat, hindert das Gericht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger sowie seinen glaubhaften Erklärungen nicht daran, ihm darin zu folgen, dass sein Bekenntnis zur Einehe kein reines Lippenbekenntnis ist, sondern seiner mittlerweile gefestigten Überzeugung vom Zusammenleben von Mann und Frau entspricht. Er hat offen bekundet, dass er das Prinzip der Einehe erstmals im Einbürgerungstest gelernt habe. Anlass für die Eheschließung im Jahr 1999 im Iran war, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf informatorische Befragung seitens des Gerichts glaubhaft erklärte, dass seine damalige iranische Lebensgefährtin von ihm ein Kind erwartete. Weil eine Schwangerschaft einer ledigen Frau im Iran möglicherweise zu drakonischen Strafen führen kann, heiratete er sie alsbald nachdem ihm die Schwangerschaft bekannt war. Diese Befürchtung des Klägers war nicht von der Hand zu weisen. Insoweit ist zu beachten, dass unerlaubter (also auch außerehelicher) Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nach Art. 63 IranStGB verboten ist und die Hadd-Strafe der Steinigung nach sich ziehen kann. Die Anforderungen an Beweise, Zeugenaussagen und Geständnisse sind aber derart hoch (Art. 68-79 IranStGB), dass sie kaum zu erfüllen sind. Weiterhin gibt es eine Reihe von Ausnahmeregelungen (Art. 64-67, 86), die die Verhängung der Hadd-Strafe verhindern. Üblicherweise wird eine Tazir-Strafe nach Art. 637 IranStGB von bis zu 99 Peitschenhieben wegen unzüchtigen Verhaltens verhängt, die meist durch eine Geldbuße abgelöst wird (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gutachten vom 04.11.1998 an VG Augsburg). Selbst wenn hiernach davon ausgegangen werden könnte, dass eine Körperstrafe durch Zahlung einer Geldstrafe möglicherweise hätte abgewendet werden können, existierte für den Kläger und seine iranische Frau sowie deren Verwandtschaft und soziales Umfeld die Befürchtung, dass ihr eine Körperstrafe drohen könnte. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung des Klägers, er habe seine damals mit dem ersten gemeinsamen Kind schwanger gewesene iranische Freundin im Iran geheiratet, um eine Steinigung oder andere Strafen von ihr abzuwenden, plausibel und glaubhaft und als solche geeignet, festzustellen, dass sein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist. Dass der Kläger trotz seiner bestehenden Ehe mit seiner deutschen Ehefrau unter diesen Vorgaben eine Zweitehe im Iran einging, ist auch deshalb verständlich, weil er aufgrund seiner Herkunft aus dem Iran mit der Vorstellung einer Mehrehe vertraut war und sich deshalb mit seinen Worten „keine oder nicht viel Gedanken“ gemacht hat, ob seine im Iran geschlossene Ehe im Bundesgebiet „akzeptiert“ werde bzw. wirksam ist. Dies mag zwar bei Eingehen der Zweitehe in moralischer Hinsicht bedenklich gewesen sein, sein diesbezüglicher Einwand vermag aber im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit seines Bekenntnisses zur Einehe mehr begründen. Nicht entscheidend ins Gewicht fällt auch seine Aussage, unter „Persern“, wozu er gehört, sei eine Mehrehe weniger gebräuchlich, dagegen sei eine Mehrehe von bis zu vier Frauen bei arabisch stämmigen Iranern üblich. Denn das iranische Recht trennt bei der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Mehrehe nicht nach der Volkszugehörigkeit, also nicht nach persischer oder arabischer Herkunft. Im Zeitpunkt seiner zweiten Eheschließung war seine erste Ehe mit seinen Worten eigentlich beendet. Seine erste (deutsche) Ehefrau willigte aber nicht unmittelbar, nachdem sie vom Kläger über die Zweitehe informiert worden ist, in die Scheidung ein. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhalf er ihr in den folgenden Jahren dazu, erst die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie selbst Geld verdienen konnte. Dass er seit 1977 im Bundesgebiet gelebt hat und ihm hier nicht entgangen sein kann, dass im Bundesgebiet nur die Einehe geschützt ist, steht der Glaubhaftigkeit seiner in der mündlichen Verhandlung gemachten Erklärung, dass er nur mit einer Frau zusammenleben könne und wolle, also seinem ausdrücklichen Bekenntnis zur Einehe, nicht entgegen. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass für ihn seine erste Ehe seit Langem nicht mehr bestanden habe und dass er beruflich viel unterwegs gewesen sei, meistens im Iran, wo er seine zweite Frau kennen gelernt habe. Dass er die Scheidung von seiner ersten Frau rechtlich nicht früher durchgesetzt hat, ist ihm nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten des Falles, auch der fehlenden Einwilligung in die Scheidung, nicht, jedenfalls nicht mit ausschlaggebendem Gewicht, nachteilig anzulasten. Das Gericht ist deshalb aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Gesamteindrucks vom Kläger überzeugt, dass seine Angaben zur Einehe glaubhaft sind.
31 
Ebenso wenig ist der Hinweis der Vertreter des beklagten Landes darauf, dass seine erste Ehe in Dänemark geschlossen wurde, geeignet, sein jetziges Bekenntnis zur Einehe in Frage zu stellen. Der dahinter stehende Vorwurf, der Kläger habe damals in Dänemark geheiratet, damit er möglichst unbürokratisch in den Genuss einer von seiner deutschen Ehefrau ableitbaren Aufenthaltserlaubnis gelangen konnte, vermag selbst dann, wenn er zutreffen würde, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Richtigkeit seines in der mündlichen Verhandlung überzeugend zum Ausdruck gebrachten Bekenntnisses zur Einehe und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufkommen lassen. Von seiner ehemals innegehabten Einstellung zur Mehrehe hat er sich glaubhaft abgewandt (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Hiernach liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr dafür vor, die Zweifel aufwerfen könnten, ob das Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine zeitweise existierende Mehrehe (hier über ca. 6 Jahre) eines Ausländers (hier: eines Iraners) mit seiner (ersten) deutschen Frau und einer iranischen Frau gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verstößt und eine plausible und glaubhafte Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, mit der er sich zur Einehe bekennt, den Anforderungen an ein „Bekenntnis“ entsprechen und die Voraussetzung erfüllen kann, dass er sich „abgewandt“ hat im Sinne des §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf EUR 10.000.-- festgesetzt.
36 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 19. Dezember 2012 wird der Bescheid des Beklagten vom 24. Mai 2011 aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Kläger einzubürgern.

Die Kosten des Verfahrens fallen dem Beklagten zur Last.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger, ein 1942 geborener türkischer Staatsangehöriger, der seit 1990 mit seiner Ehefrau im Bundesgebiet lebt und 1993 als Asylberechtigter anerkannt wurde, begehrt seine Einbürgerung.

Er verfügt seit 1993 über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und seit 2009 über eine Niederlassungserlaubnis. Durch amtsärztliche Untersuchung vom 10.12.2001 wurde - vorbehaltlich des Entscheids des Rentenversicherungsträgers - Erwerbsunfähigkeit festgestellt. In einer im Rahmen der Überprüfung eines Anspruchs auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ausgestellten Bescheinigung der Landesversicherungsanstalt für das Saarland vom 20.5.2003 ist festgehalten, dass der Kläger unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert ist und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Er bestreitet seinen Unterhalt seit seiner Einreise durch den Bezug von Sozialleistungen.

Am 8.1.2010 beantragten der Kläger und seine Ehefrau ihre Einbürgerung. Beigefügt war ein Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten, in dem es u.a. heißt, der Kläger und seine Ehefrau verfügten zwar weder über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache noch über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG. Von diesen Voraussetzungen sei aber gemäß § 10 Abs. 6 StAG abzusehen, weil sie altersbedingt nicht erfüllt werden könnten.

In einer Stellungnahme der Wohnsitzgemeinde vom 13.1.2010 heißt es, der Kläger spreche gebrochen deutsch und seine Ehefrau sei Analphabetin.

Durch Bescheid vom 24.5.2011, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 26.5.2011, lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Hinweis auf die fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache und der Rechts- und Gesellschaftsordnung ab. Der Kläger sei mit 48 Jahren in das Bundesgebiet eingereist. Angesichts der seither verstrichenen 20 Jahre lägen Anhaltspunkte für ein „Ersitzen“ der Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 6 StAG vor. Ein solches „Hineinwachsen“ in das altersbedingte Unvermögen ohne ausreichende Bemühungen könne nur in Betracht kommen, wenn krankheitsbedingt für den Nichterwerb der Kenntnisse ursächliche Einschränkungen vorlägen, was durch entsprechende medizinische Nachweise zu belegen sei. Solche Nachweise seien trotz Anforderung nicht vorgelegt worden. Zudem stehe der Kläger seit seiner Einreise im Sozialhilfebezug, so dass auch eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG nicht in Betracht komme.

Hiergegen hat der Kläger am 27.6.2011, einem Montag, Klage erhoben und ausgeführt, dass im Rahmen der Prüfung nach § 10 Abs. 6 StAG nicht von Bedeutung sei, ob der Ausländer die Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 StAG mit Blick auf seinen jahrelangen Aufenthalt im Inland zu vertreten habe. Entscheidend sei, dass er sie altersbedingt nicht mehr erfüllen könne. Zudem sei offenkundig, dass er, der nie im Leben eine Schule besucht habe, diesen Voraussetzungen nicht gerecht werden könne. Hinsichtlich des Sozialhilfebezugs habe er mit dem Einbürgerungsantrag ein Attest vorgelegt, aus dem ersichtlich sei, dass er seit seiner Einreise aufgrund mehrerer Operationen sozialrechtlich als nicht erwerbsfähig geführt werde. Er habe den Sozialhilfebezug daher nicht zu vertreten.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn einzubürgern,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen,
äußerst hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Ausführungen zur Begründung seines Bescheids bekräftigt, nach denen die Voraussetzungen weder einer Anspruchs- noch einer Ermessenseinbürgerung vorlägen. Dem Kläger sei trotz seines Analphabetismus zumutbar gewesen und noch zumutbar, durch entsprechende Kurse das geforderte Sprachniveau zu erreichen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 19.12.2012 abgewiesen. Der Bezug von Sozialleistungen stehe der Einbürgerung nicht entgegen, da der Kläger die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel angesichts seiner vollen Erwerbsunfähigkeit nicht zu vertreten habe. Ein Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG scheitere jedoch an den mangelnden Kenntnissen der deutschen Sprache bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse in Deutschland. Der Kläger könne sich insoweit nicht auf das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes nach § 10 Abs. 6 StAG berufen. Zwar scheide die Anwendung dieser Vorschrift nicht bereits aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich schon seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich die von § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Kenntnisse in früherer Zeit hätte aneignen können, denn auf ein Vertretenmüssen habe der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt. Dennoch greife die Ausnahmevorschrift nicht ein, weil die Ursache des Unvermögens des Klägers nicht in einem der dort aufgeführten Gründe liege. Er habe keine bestehende Erkrankung, Behinderung oder altersbedingte Beeinträchtigung, die das Erlernen der deutschen Sprache unmöglich mache, nachgewiesen. Analphabetismus sei keine Krankheit oder Behinderung im Sinne der Vorschrift und stelle in Anbetracht der Gesamtumstände ebenso wenig wie das Lebensalter einen Grund dar, der es rechtfertigen könnte, auf jegliche Sprachkenntnisse zu verzichten. Auch die Verwaltungspraxis des Beklagten, bei Einbürgerungsbewerbern, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und erst im höheren Lebensalter eingereist sind, ohne gesonderten Nachweis durch Attest von einem altersbedingten Unvermögen auszugehen, könne dem Kläger, der bereits mit 48 Jahren eingereist sei, nicht weiterhelfen. Eine Einbürgerung nach § 10 StAG sei daher ausgeschlossen und eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG scheitere daran, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen bestreiten könne, was einer Ermessenseinbürgerung unabhängig von der Frage des Vertretenmüssens entgegenstehe, sowie am Nichtvorliegen der Voraussetzungen eines öffentlichen Interesses bzw. einer besonderen Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG.

Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22.1.2013 zugestellt.

Am 13.2.2013 beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung und begründete diesen Antrag. Durch Beschluss vom 11.4.2013, dem Kläger zugestellt am 16.4.2013, hat der Senat die Berufung zugelassen.

Der Kläger hat seine Berufung am 15.5.2013 begründet. Er vertieft seine Auffassung, dass in seinem Fall nach § 10 Abs. 6 StAG von den Einbürgerungsvoraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 der Vorschrift mit Blick auf sein Alter und das dadurch bedingte Unvermögen, sich die notwendigen Kenntnisse noch anzueignen, abzusehen sei. Allein entscheidend sei, dass der Hinderungsgrund des altersbedingten Unvermögens im Zeitpunkt der Einbürgerung vorliege. Dabei sei nicht erforderlich, dass – neben dem Alter – irgendwelche „vom Lebensalter herrührenden Beeinträchtigungen“ bestünden. Es komme nicht darauf an, ob in früheren Zeiten ein Erlernen möglich gewesen wäre. Dies ergebe sich aus dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens und der Gesetzesbegründung sowie dem Wortlaut, der Systematik und Sinn und Zweck der Regelungen in § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 und Abs. 6 StAG. Da es auf Vertretenmüssen nicht ankomme, dürfe die Frage nach der Ursache des altersbedingten Unvermögens nicht gestellt werden. Insbesondere dürfe nicht argumentiert werden, dass die Ursache für die fehlenden Kenntnisse des Klägers das Nichtbeheben seines Analphabetismus, das Nichterlernen der deutschen Sprache und das Nichterlangen staatsbürgerlicher Kenntnisse sei. Andernfalls werde auf zurechenbares Handeln oder Unterlassen des Klägers, mithin auf das Vertretenmüssen, abgestellt. Da das Gesetz keine starre Altersgrenze vorgebe, sei eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen. Der mittlerweile 71-jährige Kläger, der primärer Analphabet sei, könne ganz offensichtlich altersbedingt die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG nicht mehr erfüllen, ohne dass dies gesondert nachgewiesen werden müsse. Dies werde beklagtenseits nicht bestritten und könne auch nicht ernstlich bestritten werden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 19.12.2012 den Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn einzubürgern,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen,
äußerst hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er meint, eine Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 6 StAG scheitere am Fehlen des Tatbestandsmerkmals „altersbedingt“ und hält diesbezüglich daran fest, dass ein altersbedingtes Unvermögen im Sinne der Ausnahmevorschrift voraussetze, dass der Einbürgerungsbewerber schon im Zeitpunkt der Einreise lebensälter und daher nicht in der Lage war, sich innerhalb der erforderlichen Aufenthaltsdauer von acht Jahren staatsbürgerliche Kenntnisse und Sprachkenntnisse auf dem geforderten Niveau B 1 anzueignen und daher das in acht Jahren regelmäßig erreichbare Integrationsmaß nicht erlangen könne. Nur in solchen Fällen sei es Verwaltungspraxis, die Ausnahmeregelung anzuwenden. Personen, die in jüngeren Jahren eingereist seien und von daher ausreichend Möglichkeit gehabt hätten, die deutsche Sprache zu erlernen, müssten hingegen bei Antragstellung im fortgeschrittenen Alter gerade infolge ihres Alters in Bezug auf die Voraussetzungen der Nrn. 6 und 7 „gehandicapt“ sein und das Unvermögen, die entsprechenden Tests – etwa wegen Nachlassens der kognitiven/geistigen Leistungsfähigkeit – zu absolvieren, konkret nachweisen. Eine Regelvermutung allein auf Grund des Erreichens eines bestimmten Alters sei hier nicht angezeigt und - da im Gesetz nicht festgeschrieben - vom Gesetzgeber nicht gewollt. Angezeigt sei vielmehr eine „flexible Einzelfallbetrachtung“, was sich auch dadurch rechtfertige, dass es in der täglichen Praxis immer wieder Einbürgerungsbewerber gebe, die den Einbürgerungstest und den Sprachtest noch mit über 70 Jahren erfolgreich ablegen. Auch die historische Auslegung der Norm spreche für diese Sichtweise. So habe das Gesetz bis ins Jahr 2000 im Rahmen der Anspruchseinbürgerung überhaupt keine Deutschnachweise gefordert, in den Jahren 2000 – 2007 seien Sprachkenntnisse auf dem leichteren Niveau A 2 erforderlich gewesen und bei der Gesetzesreform 2007 habe der Gesetzgeber sich nochmals bewusst für eine Verschärfung der sprachlichen Anforderungen auf das Niveau B 1 entschieden. Er sei davon ausgegangen, dass die Sprachkenntnisse der unverzichtbare Grundstein einer jeden sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Integration sei, weswegen es völlig widersinnig wäre, anzunehmen, er habe von dieser grundlegenden Integrationsanforderung gerade solche Personen ausnehmen wollen, die seit vielen Jahren und Jahrzehnten in Deutschland leben, ohne sich um hinreichende Sprachkenntnisse und damit die Grundvoraussetzung einer Integration zu bemühen. Gleichzeitig habe der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen, dass manche, aber bei weitem nicht alle Menschen im Alter geistig/kognitiv abbauen und deshalb in § 10 Abs. 6 ein Absehen von den Sprach- und staatsbürgerlichen Kenntnissen vorgesehen, wenn die Betroffenen diese auf Grund altersbedingter Beeinträchtigungen jetzt nicht mehr erbringen können. Dass die Ausnahmevorschrift im Präsens formuliert ist, sei vor allem den Ausnahmevarianten der körperlichen, geistigen oder seelischen Erkrankung oder Behinderung geschuldet. Der Gesetzgeber habe ihrer Natur nach unterschiedliche Ansatzpunkte in dieser Ausnahmeregelung zusammengefasst. Hinsichtlich der Variante „altersbedingtes Unvermögen“ sei unabhängig vom Grund der fehlenden Kenntnisse Anknüpfungspunkt zwar das Alter des Einbürgerungsbewerbers im Zeitpunkt der Antragstellung, wobei dieses je nach Konstellation die Vermutung des Unvermögens begründe oder dem Einbürgerungsbewerber den Weg eröffne, sein Unvermögen individuell nachzuweisen und auf dieser Grundlage von der Notwendigkeit, die entsprechenden Tests zu bestehen, entbunden zu werden. Das Unvermögen müsse seinen Grund in einer vom Lebensalter herrührenden Beeinträchtigung haben. Wenn der Grund für die fehlenden Kenntnisse ein anderer sei, sei er eben nicht „altersbedingt“ und somit nicht tatbestandsbegründend. Allein so verstanden sei die gesetzliche Regelung in sich schlüssig und stehe im Einklang mit dem Reformansatz und der Ziel- und Grundvorstellung des Gesetzgebers. Nur bei diesem Verständnis sei auch die vom Gesetzgeber ausnahmsweise als ausreichend angesehene „Teilintegration“ aus übergeordneten Erwägungen nachvollziehbar und rechtfertige ein Zurücktreten des gesellschaftspolitischen Integrationsinteresses zu Gunsten des individuellen Einbürgerungsinteresses. Gemessen hieran könne dem Kläger die Ausnahmevorschrift nur zugute kommen, wenn er den individuellen Nachweis altersbedingten Unvermögens führen würde. Zutreffend sei, dass es im Rahmen des § 10 Abs. 6 StAG nicht auf ein Verschulden ankomme, vielmehr gehe es um die vorwurfsfreie und wertneutrale Ursächlichkeitsfrage nach dem Grund der fehlenden Sprach- und staatsbürgerlichen Kenntnisse. Sei der Grund für die fehlenden Kenntnisse nicht eine altersbedingte Beeinträchtigung, sondern etwa ein früheres Unterlassen, so sei der Tatbestand der Ausnahmevorschrift nicht erfüllt. Fallbezogen sei daher entscheidend, dass Ursache für die fehlenden Kenntnisse des Klägers das Nichtbeheben seines Analphabetismus, das Nichterlernen der deutschen Sprache und das Nichterlangen staatsbürgerlicher Kenntnisse seit seiner Einreise im Jahr 1990 sei und nicht eine jetzige altersbedingte Beeinträchtigung. Dass ihn heute altersbedingte Beeinträchtigungen daran hinderten, diese Versäumnisse nachzuholen, habe er nicht vorgetragen und erst recht nicht nachgewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten ( 1 Ordner), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts unterliegt der Abänderung, denn die auf Einbürgerung des Klägers gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht auf der Grundlage des § 10 StAG ein Anspruch auf Einbürgerung zu. Der dies verkennende Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist daher aufzuheben und gleichzeitig ist der Beklagte zu verpflichten, den Kläger einzubürgern.

§ 10 StAG legt fest, unter welchen Voraussetzungen ein Einbürgerungsbewerber einen Anspruch auf Einbürgerung hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger mit Ausnahme der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit Absatz 4 Satz 1 der Vorschrift geforderten Kenntnisse der deutschen Sprache und der nach Absatz 1 Nr. 7 der Vorschrift erforderlichen Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland. Sowohl hinsichtlich der geforderten Sprachkenntnisse als auch hinsichtlich der staatsbürgerlichen Kenntnisse enthält § 10 Abs. 6 StAG eine Ausnahmevorschrift, nach welcher von diesen Anforderungen abzusehen ist, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann. Aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des gesamten Akteninhalts hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG altersbedingt nicht erfüllen kann.

Die bisherige Rechtsprechung zu dem am 28.8.2007 in Kraft getretenen Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013 - 19 A 364/10 -, juris Rdnrn. 22 ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011 - 11 K 839/11 -, juris Rdnrn. 30 f.; VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013 - 4 K 1072/11 -, juris Rdnr. 27; ebenso hinsichtlich krankheitsbedingter Einschränkungen: HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013 - 5 A 1390/12.Z -, InfAuslR 2013, 202, 203,) und die einschlägige Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR,  Stand: 28. Erg.lfg. Dezember 2013,  § 10 Rdnr. 406 m.w.N.) stimmen darin überein, dass für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands „altersbedingt nicht erfüllen kann“ allein entscheidend ist, ob der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen nicht mehr abverlangt werden kann. Man ist sich einig, dass das Eingreifen des Ausnahmetatbestands nicht voraussetzt, dass der Einbürgerungsbewerber seine mangelnden Kenntnisse nicht zu vertreten hat.

So hat das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011, a.a.O., Rdnr. 31) ausgeführt, § 10 Abs. 6 stelle nicht darauf ab, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können. Maßgeblich sei allein, ob der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor Gericht wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG nicht mehr erfüllen könne. Die Anwendung des § 10 Abs. 6 StAG scheide deshalb nicht bereits dann aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich bereits seit vielen Jahren/Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich in früherer Zeit die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Erkenntnisse hätte aneignen können; auf ein Vertretenmüssen habe der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt.

Dieser Sichtweise stimmt das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013, a.a.O., juris Rdnrn. 23 ff.(Revision unter Geschäfts-Nr. 5 C 15/13 anhängig, Terminierung noch nicht absehbar)) mit ausführlicher Begründung zu. Für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 10 Abs. 6 StAG sei allein entscheidend, ob die Hinderungsgründe im Zeitpunkt der Einbürgerung vorlägen. Versäumnisse hinsichtlich des Erwerbs der maßgeblichen Kenntnisse in der Vergangenheit würden nicht berücksichtigt. Hierfür spreche der Wortlaut, die historische und genetische sowie die systematische Auslegung der Vorschrift. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden dieser Auslegung nicht entgegen. So stehe der maßgebliche zweite Halbsatz der Vorschrift im Präsens, was aufzeige, dass die gegenwärtige Situation entscheidend sei. Auch die Gesetzesbegründung mache - wie im Einzelnen ausgeführt wird - deutlich, dass der Gesetzgeber auf die gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten der Einbürgerungsbewerber und nicht auf frühere Versäumnisse abstelle. Die Einbürgerungsvoraussetzungen seien neu geregelt worden und hinsichtlich der Anforderungen an ausreichende Sprachkenntnisse deutlich strenger geworden. Gleichzeitig sei erstmalig ein Ausnahmetatbestand in das Gesetz aufgenommen und seien die Einbürgerungsbewerber insoweit begünstigt worden. Diese Ausnahme kompensiere für einen bestimmten Personenkreis die verschärften Anforderungen. In systematischer Hinsicht müsse gesehen werden, dass der Gesetzgeber hinsichtlich des Bezugs von Sozialleistungen in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG ausdrücklich vorgegeben habe, dass dieser einbürgerungshindernd sei, wenn der Einbürgerungsbewerber ihn zu vertreten habe. In Absatz 6 der Vorschrift fehle eine vergleichbare Regelung, was zeige, dass der Gesetzgeber hier nicht auf ein Vertretenmüssen habe abstellen wollen. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden der Unmaßgeblichkeit von Versäumnissen in der Vergangenheit nicht entgegen. Der Gesetzgeber nehme in den geregelten Ausnahmefällen hin, dass die üblicherweise mit einem mindestens achtjährigen Aufenthalt im Inland verbundene Integrationserwartung des Erwerbs ausreichender Sprachkenntnisse nicht erfüllt werde, lasse also insoweit eine Teilintegration ausreichen.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013, a.a.O., S. 203) hat in Bezug auf die Relevanz einer Prüfungsphobie ausgeführt, schon nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 6 StAG komme es hinsichtlich der Frage, ob der Ausländer die Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG wegen einer Krankheit nicht erfüllen könne, nur auf den Zeitpunkt der Einbürgerung an.

Das Verwaltungsgericht Aachen(VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013, a.a.O., Rdnr. 17) sieht den Anknüpfungspunkt der altersbedingten Gründe darin, dass mit zunehmendem Lebensalter regelmäßig die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen. Personen gehobenen Alters solle nicht ausnahmslos abverlangt werden, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Altersgrenze könne allerdings nicht gezogen werden, da Kenntnisse und Fähigkeiten von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben, abhingen. Der Begriff „altersbedingt“ sei daher einzelfallabhängig. Entscheidend sei dabei, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien hingegen unbeachtlich. § 10 Abs. 6 StAG stelle nämlich anders als bei der Unterhaltsfähigkeit nicht auf Vertretenmüssen ab und damit auch nicht darauf, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können.

In der einschlägigen Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnrn. 404 ff.) heißt es zur Problematik, Abs. 6 enthalte eine strikte Pflicht, von den Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 abzusehen, wenn diese wegen Alters oder Behinderung nicht erfüllt werden könnten. Der Gesetzgeber habe ein im Ansatz unflexibles „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ normiert. Die Anforderungen könnten nicht nach Maßgabe des Grades alters- oder behinderungsbedingter Beeinträchtigungen abgesenkt werden. Sie seien entweder vollständig zu erfüllen oder es sei von ihnen vollständig abzusehen. Zwischen dem Alter oder der Behinderung und dem subjektiven Unvermögen des Einbürgerungsbewerbers, die Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 zu erfüllen, müsse eine kausale Verknüpfung bestehen. Abs. 6 stelle Personen nicht allein wegen ihres Alters oder ihrer Behinderung von der Erfüllung der Anforderungen frei. Diese - abschließend benannten Umstände - müssten (nachweislich) Ursache für das Unvermögen sein, diesen Anforderungen zu entsprechen. Die altersbedingten Gründe knüpften daran an, dass - bei einer typisierenden Betrachtungsweise - die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, und es Personen gehobenen Alters auch nicht abverlangt werden solle, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Alters(unter)grenze könne nicht gezogen werden, weil Fähigkeit und - vor allem - abzuverlangende Bereitschaft zum Erwerb zusätzlicher (sprachlicher oder staatsbürgerlicher) Kenntnisse auch abhingen von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem anderweitig erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe (und den dort zu bewältigenden Herausforderungen) sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben. Dieser Ausnahmegrund sei damit offen für eine umfassende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Vor dem Erreichen des 50. Lebensjahres werde regelmäßig indes ein altersbedingtes Unvermögen ausscheiden; ab der Vollendung des 60. Lebensjahres liege es jedenfalls nahe. Eine Übertragung der für § 12 Abs. 1 Nr. 4 StAG für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung „älterer Personen“ zu ziehenden Altersgrenze scheide wegen der funktionalen Verknüpfung von Alter und Unvermögen zur Erfüllung der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 aus. Entscheidend sei allein, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien unbeachtlich.

Nach alldem gehen Rechtsprechung und Kommentarliteratur einvernehmlich davon aus, dass der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG darauf abstellt, ob der Einbürgerungsbewerber die in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 geforderten Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann oder hieran infolge einer Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt gehindert ist, wobei es auf ein etwaiges Vertretenmüssen in Bezug auf Versäumnisse in der Vergangenheit nicht ankommt. In diese Richtung weist insbesondere auch die Formulierung in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, wonach Personen begünstigt werden sollen, die die Anforderungen aufgrund ihres Alters „nicht mehr erfüllen können“.(BT-Drs. 16/5065, S. 229) Dieser Sichtweise stimmt der Senat vollumfänglich zu.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Beschluss vom 2.7.2013 - 11 K 1279/13 -, juris Rdnrn. 3 f.) hat sich kürzlich anlässlich eines Prozesskostenhilfeantrags, den es abgelehnt hat, erneut mit der Problematik befasst und seine oben zitierte Rechtsprechung zum altersbedingten Unvermögen dahingehend präzisiert, dass das Erreichen eines Alters von 67 Jahren für die Annahme, altersbedingt keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache erwerben zu können, allein nicht ausreiche. Denn nicht nur die Krankheit oder Behinderung, sondern auch das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein. Ein hohes Alter führe nicht regelmäßig dazu, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG geforderten Kenntnisse gehindert ist. Der Einbürgerungsbewerber habe deshalb substantiiert darzutun (§ 37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 AufenthG), dass er gerade aufgrund seines Alters nicht (mehr) in der Lage sei, die geforderten Kenntnisse zu erwerben. Dieser Mitwirkungspflicht sei nicht genügt worden.

Dieser Argumentation ist hinsichtlich der Annahme, dass das Erreichen eines bestimmten Alters zur Tatbestandserfüllung nicht ausreiche, weil ein hohes Alter nicht regelmäßig dazu führe, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der geforderten Kenntnisse gehindert ist – zuzustimmen. Die weitere Formulierung, das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein, erscheint indes gemessen am Regelungsgehalt des § 10 Abs. 6 StAG problematisch.

§ 10 Abs. 6 StAG stellt – wie ausgeführt und auch vom Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 2.12.2011 ausdrücklich anerkannt – darauf ab, ob der Einbürgerungsbewerber die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nrn. 6 und 7 im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann. Der Ausnahmetatbestand knüpft nicht an den Umstand an, dass der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen zur Zeit der Antragstellung nicht erfüllt, und befasst sich daher nicht mit der Frage, aus welchen Gründen er diesen Anforderungen derzeit nicht genügt. Tatbestandrelevant ist vielmehr, ob der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen „erfüllen kann“. Entscheidend ist daher, ob er sie erfüllen könnte, wenn er dies wollte und entsprechende Bemühungen zum Erwerb der geforderten Kenntnisse unternähme, oder ob er die Anforderungen infolge krankheits- oder altersbedingter Einschränkungen auch bei Entfalten diesbezüglicher Anstrengungen nicht mehr erfüllen kann. Damit ist einzelfallbezogen zu klären, ob trotz Krankheit oder Behinderung oder fortgeschrittenen Lebensalters unter Berücksichtigung der konkreten Lebensentwicklung und -umstände des Einbürgerungsbewerbers davon auszugehen ist, dass dessen etwaige Bemühungen, Sprachkenntnisse auf dem durch § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG vorgegebenen Niveau sowie die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, erfolgversprechend wären. Bejahendenfalls ist ihm zuzumuten, diese Bemühungen zu unternehmen, wobei sich im Falle eines Nichtbestehens der anschließenden Prüfungen die Frage stellen würde, ob das – behördlicher- bzw. gerichtlicherseits nicht erwartete – Scheitern seine Ursache in unzureichenden Anstrengungen, sonstigen Gründen (z.B. Analphabetismus eines noch lebensjungen Einbürgerungsbewerbers(BVerwG, Urteil vom 27.5.2010 - 5 C 8/09 -, juris)) oder einem der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Gründe hat. Denn es soll – so auch Berlit(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) – Einbürgerungsbewerbern im fortgeschrittenen Lebensalter angesichts der typischerweise im Alter schwindenden Fähigkeit, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, nicht ausnahmslos zugemutet werden, entsprechende Bemühungen, Kenntnisse auf dem geforderten Niveau zu erwerben, zu entfalten. Nach alldem geht es in § 10 Abs. 6 StAG um die Ursache für ein etwaiges Unvermögen, sich fehlende Kenntnisse anzueignen, nicht hingegen – wie das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 2.7.2013 möglicherweise andeuten will und der Beklagte im Einzelnen argumentiert – um die Ursache für den Umstand, dass der Einbürgerungsbewerber die geforderten Kenntnisse aktuell nicht erfüllt. Die vom Beklagten vertretene Kausalitätsbetrachtung geht am Tatbestand des § 10 Abs. 6 StAG vorbei, denn sie setzt an einem falschen Punkt an. Der Beklagte sucht die Ursache der fehlenden Kenntnisse, die er in dem Unterlassen in der Vergangenheit sieht. Nach dem Gesetz ist indes zu klären, ob der Einbürgerungsbewerber aktuell über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt oder eben etwa aufgrund seines Alters nicht mehr verfügt. Entscheidungserheblich ist daher nicht, ob in der Vergangenheit die Möglichkeit des Erwerbs der Kenntnisse bestanden hätte, aber nicht genutzt wurde, sondern allein, ob die geforderten Kenntnisse derzeit aufgrund eines der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Tatbestände nicht mehr erworben werden können. Es trifft nach alldem nicht zu, dass in den Genuss der Ausnahmevorschrift grundsätzlich nur kommen soll, wer erst im hohen Alter eingereist ist.

In rechtlicher Hinsicht ist des Weiteren zu bekräftigen, dass § 10 Abs. 6 StAG kein Ermessen eröffnet. Liegt einer der Ausnahmetatbestände vor, so „ist abzusehen“, d.h. der Einbürgerungsbewerber hat - soweit er die übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt - einen Anspruch darauf, dass er trotz des Fehlens der Kenntnisse eingebürgert wird. § 10 Abs. 6 StAG ist Teil der am 28.8.2007 in Kraft getretenen Neuregelung des Einbürgerungsrechts. Im Gesetzgebungsverfahren war auf Betreiben der Länder erwogen worden, den Ausnahmetatbestand als Ermessensvorschrift auszugestalten, dieser Ansatz konnte sich aber nicht durchsetzen. Diesbezüglich heißt es in der Gesetzesbegründung(BT-Drs. 16/5107, S. 13) : „Die Ermessensregelung in Abs. 6 lehnt die Bundesregierung ab, da bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kein Raum mehr für ein Ermessen der Staatsangehörigkeitsbehörde bleibt. Wenn der Einbürgerungsbewerber aufgrund seiner Behinderung oder seiner altersbedingten Beeinträchtigung den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse oder staatsbürgerlicher Kenntnisse nicht erbringen kann, muss zwingend von diesen Voraussetzungen abgesehen werden.“

Im Rahmen der damit vorzunehmenden Einzelfallprüfung können die Behörden oder das Gericht sich zwar bei Bedarf sachverständiger Hilfe bedienen, müssen dies aber nicht, wenn die konkreten Umstände keinen vernünftigen Zweifel daran lassen, dass einer der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Ausnahmetatbestände erfüllt ist.(so auch Nr. 10.6 der Vorläufigen Anwendungshinweise des BMI vom 17.4.2009) So liegt der Fall hier.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und den sich aus dem Akteninhalt ergebenden Erkenntnissen ist nicht anzunehmen, dass der Kläger in der Lage wäre, sich Kenntnisse der deutschen Sprache in mündlicher und schriftlicher Form auf dem durch § 10 Abs. 4 StAG vorgegebenen Niveau sowie die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG geforderten Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach § 10 Abs. 5 Satz 1 StAG in der Regel durch das Bestehen eines Einbürgerungstests nachzuweisen sind, anzueignen.

Der Kläger ist inzwischen 71 Jahre alt und befindet sich damit in einem Lebensalter, in dem die Fähigkeit, sich neue Kenntnisse anzueignen zwar durchaus bestehen, aber nicht als im Regelfall gegeben unterstellt werden kann.(vgl. hierzu auch Berlit in GK-StAG, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) Seine persönlichen Lebensumstände spielen daher eine maßgebliche Rolle für die Entscheidung der Frage, ob davon ausgegangen werden kann, dass er bei Entfalten entsprechender Bemühungen in der Lage wäre, die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG zu erfüllen.

Nach den Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger nie eine Schule besucht und nie das Lesen und Schreiben gelernt, sondern seit jungen Jahren Arbeit auf dem Feld verrichten müssen. Dass diese Angaben nicht zutreffen könnten, ist nicht anzunehmen. Der Kläger ist 1942 geboren. Dass Ende der vierziger Jahre in den kurdischen Gebieten der Türkei flächendeckend die Möglichkeit oder gar Pflicht bestanden haben könnte, eine Schule zu besuchen, erscheint äußerst fernliegend. Der Senat hegt daher keinen Zweifel daran, dass der Kläger in seinem Herkunftsland, das er im Alter von 48 Jahren verlassen hat, nie eine Schule besucht und auch sonst keine Ausbildung absolviert hat, sondern vielmehr Tätigkeiten nachgegangen ist, die ihn sicherlich weitaus mehr in körperlicher als in geistiger Hinsicht gefordert haben.

Der Sohn des Klägers hat weiter angegeben, bei den ärztlichen Untersuchungen anlässlich der Einreise des Klägers sei die Notwendigkeit mehrerer Operationen festgestellt worden. Entsprechende Behandlungsmöglichkeiten hätten dem Kläger in der Türkei nicht offen gestanden. Trotz allem habe seine Arbeitsfähigkeit nicht wiederhergestellt werden können. Eine Arbeitsaufnahme sei ihm behördlicherseits und seitens seiner Ärzte strikt untersagt worden. Mit diesen Angaben korrespondiert, dass ausweislich Blatt 184 der Verwaltungsakte anlässlich einer auf Betreiben des Sozialamtes der Gemeinde A-Stadt durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung vom 10.12.2001 festgestellt wurde, dass der Kläger auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig und – vorbehaltlich eines Entscheids des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers – erwerbsunfähig ist. Ausweislich Blatt 32 und 33 der Verwaltungsakte hat der sozialmedizinische Dienst der Landesversicherungsanstalt für das Saarland als Rentenversicherungsträger auf ein Ersuchen nach dem Grundsicherungsgesetz mit Schreiben vom 20.5.2003 bestätigt, dass der Kläger unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Damit steht für den Senat außer Zweifel, dass der Kläger sich auch nach seiner Einreise nie in einer Situation befunden hat, in der er gehalten gewesen wäre, sich zwecks Ausübung einer Erwerbstätigkeit gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen, ohne die selbst eine ungelernte Kraft auf dem hiesigen Arbeitsmarkt nicht auskommen kann. Er war mithin – abgesehen von der früheren (sicherlich primär durch körperlichen Einsatz geprägten) Arbeit auf dem Feld – nie in der Situation, Anweisungen und Arbeitsabläufe verstehen, mit anderen arbeitsteilig zusammenarbeiten und sich in einen Kollegenkreis einbringen zu müssen. Er konnte demgemäß nicht von Kontakten zu Arbeitskollegen und der Notwendigkeit, sich im Erwerbsleben zurechtfinden zu müssen und sich verständlich zu machen, profitieren. Eine „Erwerbsteilnahme“ im Sinne der oben wiedergegebenen Ausführungen in der Kommentierung von Berlit gab es daher nie. Infolge seiner Erwerbsunfähigkeit bestand für ihn keine Möglichkeit, sich über die normalen Anforderungen einer Erwerbstätigkeit sprachlich und sozial in die hiesigen Lebensverhältnisse zu integrieren. Insofern verwundert auch nicht, dass er nach den glaubhaften Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seit seiner Einreise sehr zurückgezogen und ohne nennenswerte soziale Kontakte zu Deutschen lebt.

Nach alldem sind die Lebensbedingungen und die aktuelle Lebenssituation des Klägers maßgeblich dadurch geprägt, dass er noch nie in seinem Leben in beachtlicher Weise geistig gefordert war.

Dem Senat erschließt sich nicht, woran in einem solchen Fall die Erwartung anknüpfen sollte, der Kläger sei ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters und unter Berücksichtigung seiner ganz persönlichen Lebensumstände gegenwärtig in der Lage, erstmals in seinem Leben eine Fremdsprache so zu erlernen, dass er dem seit 2007 verschärften Anforderungsniveau gerecht wird und zudem die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, die ihrerseits ein gewisses Sprachverständnis und die Fähigkeit, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge erfassen zu können, voraussetzen. Die Schlussfolgerung, dass es dem 71-jährigen Kläger nicht mehr gelingen wird, sich die geforderten Kenntnisse anzueignen, liegt so nahe, dass es ihrer Bestätigung durch Einholung eines (amts-)ärztlichen Gutachtens nicht bedarf.

Soweit die Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die Nichtnutzung der Möglichkeit hingewiesen hat, sich in jüngeren Jahren in Volkshochschulkursen Sprachkenntnisse anzueignen, ist weder geklärt, ob es ein solches Angebot für kurdisch sprechende Interessenten gegeben hat, noch ist dies entscheidungserheblich. Denn es kommt – wie ausgeführt – nicht darauf an, ob der Kläger in der Vergangenheit versäumt hat, ihm offenstehende Möglichkeiten, Sprachkenntnisse zu erwerben, zu nutzen, sondern entscheidend ist, dass angesichts seines fortgeschrittenen – typischerweise mit schwindender Lernfähigkeit verbundenen – Lebensalters und seiner gesamten Lebensumstände nicht angenommen werden kann, dass er heute noch über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt.

Die weitere rechtliche Argumentation der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, die im Rahmen von Ermessenseinbürgerungen bestehenden Möglichkeiten, Einbürgerungsbewerbern unter bestimmten Voraussetzungen Privilegierungen zukommen zu lassen, wären sinnlos und gesetzestechnisch unverständlich, wenn § 10 Abs. 6 StAG das „Ersitzen“ einer Anspruchseinbürgerung ermöglichen würde, geht ebenfalls fehl. Wie ausgeführt bedarf es im Rahmen des Ausnahmetatbestandes des Absatzes 6 einer konkreten Einzelfallbetrachtung, die nicht nur das jeweilige Alter in den Blick nimmt, sondern unter Würdigung aller für und gegen ein (Fort-)Bestehen hinreichender Lernfähigkeit sprechenden persönlichen Lebensumstände entweder den Schluss rechtfertigt, dass ungeachtet des fortgeschrittenen Alters noch eine ausreichende Lernfähigkeit besteht oder eben nicht erwartet werden kann. Mit „Ersitzen“ hat diese Regelung nichts zu tun.

Da der Kläger als Asylberechtigter anerkannt ist, ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 6 StAG von der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG (Aufgabe oder Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit) abzusehen.

Die Berufung des Klägers ist nach alldem mit seinem im Hauptantrag verfolgten Begehren, ihn einzubürgern, erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Der Senat hat im Einklang mit der einhelligen Rechtsprechung eine Einzelfallentscheidung getroffen.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 10.000,-- Euro festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 42.1 der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts unterliegt der Abänderung, denn die auf Einbürgerung des Klägers gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht auf der Grundlage des § 10 StAG ein Anspruch auf Einbürgerung zu. Der dies verkennende Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist daher aufzuheben und gleichzeitig ist der Beklagte zu verpflichten, den Kläger einzubürgern.

§ 10 StAG legt fest, unter welchen Voraussetzungen ein Einbürgerungsbewerber einen Anspruch auf Einbürgerung hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger mit Ausnahme der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit Absatz 4 Satz 1 der Vorschrift geforderten Kenntnisse der deutschen Sprache und der nach Absatz 1 Nr. 7 der Vorschrift erforderlichen Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland. Sowohl hinsichtlich der geforderten Sprachkenntnisse als auch hinsichtlich der staatsbürgerlichen Kenntnisse enthält § 10 Abs. 6 StAG eine Ausnahmevorschrift, nach welcher von diesen Anforderungen abzusehen ist, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann. Aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des gesamten Akteninhalts hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG altersbedingt nicht erfüllen kann.

Die bisherige Rechtsprechung zu dem am 28.8.2007 in Kraft getretenen Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013 - 19 A 364/10 -, juris Rdnrn. 22 ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011 - 11 K 839/11 -, juris Rdnrn. 30 f.; VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013 - 4 K 1072/11 -, juris Rdnr. 27; ebenso hinsichtlich krankheitsbedingter Einschränkungen: HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013 - 5 A 1390/12.Z -, InfAuslR 2013, 202, 203,) und die einschlägige Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR,  Stand: 28. Erg.lfg. Dezember 2013,  § 10 Rdnr. 406 m.w.N.) stimmen darin überein, dass für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands „altersbedingt nicht erfüllen kann“ allein entscheidend ist, ob der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen nicht mehr abverlangt werden kann. Man ist sich einig, dass das Eingreifen des Ausnahmetatbestands nicht voraussetzt, dass der Einbürgerungsbewerber seine mangelnden Kenntnisse nicht zu vertreten hat.

So hat das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011, a.a.O., Rdnr. 31) ausgeführt, § 10 Abs. 6 stelle nicht darauf ab, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können. Maßgeblich sei allein, ob der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor Gericht wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG nicht mehr erfüllen könne. Die Anwendung des § 10 Abs. 6 StAG scheide deshalb nicht bereits dann aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich bereits seit vielen Jahren/Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich in früherer Zeit die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Erkenntnisse hätte aneignen können; auf ein Vertretenmüssen habe der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt.

Dieser Sichtweise stimmt das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013, a.a.O., juris Rdnrn. 23 ff.(Revision unter Geschäfts-Nr. 5 C 15/13 anhängig, Terminierung noch nicht absehbar)) mit ausführlicher Begründung zu. Für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 10 Abs. 6 StAG sei allein entscheidend, ob die Hinderungsgründe im Zeitpunkt der Einbürgerung vorlägen. Versäumnisse hinsichtlich des Erwerbs der maßgeblichen Kenntnisse in der Vergangenheit würden nicht berücksichtigt. Hierfür spreche der Wortlaut, die historische und genetische sowie die systematische Auslegung der Vorschrift. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden dieser Auslegung nicht entgegen. So stehe der maßgebliche zweite Halbsatz der Vorschrift im Präsens, was aufzeige, dass die gegenwärtige Situation entscheidend sei. Auch die Gesetzesbegründung mache - wie im Einzelnen ausgeführt wird - deutlich, dass der Gesetzgeber auf die gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten der Einbürgerungsbewerber und nicht auf frühere Versäumnisse abstelle. Die Einbürgerungsvoraussetzungen seien neu geregelt worden und hinsichtlich der Anforderungen an ausreichende Sprachkenntnisse deutlich strenger geworden. Gleichzeitig sei erstmalig ein Ausnahmetatbestand in das Gesetz aufgenommen und seien die Einbürgerungsbewerber insoweit begünstigt worden. Diese Ausnahme kompensiere für einen bestimmten Personenkreis die verschärften Anforderungen. In systematischer Hinsicht müsse gesehen werden, dass der Gesetzgeber hinsichtlich des Bezugs von Sozialleistungen in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG ausdrücklich vorgegeben habe, dass dieser einbürgerungshindernd sei, wenn der Einbürgerungsbewerber ihn zu vertreten habe. In Absatz 6 der Vorschrift fehle eine vergleichbare Regelung, was zeige, dass der Gesetzgeber hier nicht auf ein Vertretenmüssen habe abstellen wollen. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden der Unmaßgeblichkeit von Versäumnissen in der Vergangenheit nicht entgegen. Der Gesetzgeber nehme in den geregelten Ausnahmefällen hin, dass die üblicherweise mit einem mindestens achtjährigen Aufenthalt im Inland verbundene Integrationserwartung des Erwerbs ausreichender Sprachkenntnisse nicht erfüllt werde, lasse also insoweit eine Teilintegration ausreichen.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013, a.a.O., S. 203) hat in Bezug auf die Relevanz einer Prüfungsphobie ausgeführt, schon nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 6 StAG komme es hinsichtlich der Frage, ob der Ausländer die Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG wegen einer Krankheit nicht erfüllen könne, nur auf den Zeitpunkt der Einbürgerung an.

Das Verwaltungsgericht Aachen(VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013, a.a.O., Rdnr. 17) sieht den Anknüpfungspunkt der altersbedingten Gründe darin, dass mit zunehmendem Lebensalter regelmäßig die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen. Personen gehobenen Alters solle nicht ausnahmslos abverlangt werden, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Altersgrenze könne allerdings nicht gezogen werden, da Kenntnisse und Fähigkeiten von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben, abhingen. Der Begriff „altersbedingt“ sei daher einzelfallabhängig. Entscheidend sei dabei, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien hingegen unbeachtlich. § 10 Abs. 6 StAG stelle nämlich anders als bei der Unterhaltsfähigkeit nicht auf Vertretenmüssen ab und damit auch nicht darauf, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können.

In der einschlägigen Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnrn. 404 ff.) heißt es zur Problematik, Abs. 6 enthalte eine strikte Pflicht, von den Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 abzusehen, wenn diese wegen Alters oder Behinderung nicht erfüllt werden könnten. Der Gesetzgeber habe ein im Ansatz unflexibles „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ normiert. Die Anforderungen könnten nicht nach Maßgabe des Grades alters- oder behinderungsbedingter Beeinträchtigungen abgesenkt werden. Sie seien entweder vollständig zu erfüllen oder es sei von ihnen vollständig abzusehen. Zwischen dem Alter oder der Behinderung und dem subjektiven Unvermögen des Einbürgerungsbewerbers, die Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 zu erfüllen, müsse eine kausale Verknüpfung bestehen. Abs. 6 stelle Personen nicht allein wegen ihres Alters oder ihrer Behinderung von der Erfüllung der Anforderungen frei. Diese - abschließend benannten Umstände - müssten (nachweislich) Ursache für das Unvermögen sein, diesen Anforderungen zu entsprechen. Die altersbedingten Gründe knüpften daran an, dass - bei einer typisierenden Betrachtungsweise - die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, und es Personen gehobenen Alters auch nicht abverlangt werden solle, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Alters(unter)grenze könne nicht gezogen werden, weil Fähigkeit und - vor allem - abzuverlangende Bereitschaft zum Erwerb zusätzlicher (sprachlicher oder staatsbürgerlicher) Kenntnisse auch abhingen von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem anderweitig erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe (und den dort zu bewältigenden Herausforderungen) sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben. Dieser Ausnahmegrund sei damit offen für eine umfassende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Vor dem Erreichen des 50. Lebensjahres werde regelmäßig indes ein altersbedingtes Unvermögen ausscheiden; ab der Vollendung des 60. Lebensjahres liege es jedenfalls nahe. Eine Übertragung der für § 12 Abs. 1 Nr. 4 StAG für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung „älterer Personen“ zu ziehenden Altersgrenze scheide wegen der funktionalen Verknüpfung von Alter und Unvermögen zur Erfüllung der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 aus. Entscheidend sei allein, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien unbeachtlich.

Nach alldem gehen Rechtsprechung und Kommentarliteratur einvernehmlich davon aus, dass der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG darauf abstellt, ob der Einbürgerungsbewerber die in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 geforderten Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann oder hieran infolge einer Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt gehindert ist, wobei es auf ein etwaiges Vertretenmüssen in Bezug auf Versäumnisse in der Vergangenheit nicht ankommt. In diese Richtung weist insbesondere auch die Formulierung in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, wonach Personen begünstigt werden sollen, die die Anforderungen aufgrund ihres Alters „nicht mehr erfüllen können“.(BT-Drs. 16/5065, S. 229) Dieser Sichtweise stimmt der Senat vollumfänglich zu.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Beschluss vom 2.7.2013 - 11 K 1279/13 -, juris Rdnrn. 3 f.) hat sich kürzlich anlässlich eines Prozesskostenhilfeantrags, den es abgelehnt hat, erneut mit der Problematik befasst und seine oben zitierte Rechtsprechung zum altersbedingten Unvermögen dahingehend präzisiert, dass das Erreichen eines Alters von 67 Jahren für die Annahme, altersbedingt keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache erwerben zu können, allein nicht ausreiche. Denn nicht nur die Krankheit oder Behinderung, sondern auch das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein. Ein hohes Alter führe nicht regelmäßig dazu, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG geforderten Kenntnisse gehindert ist. Der Einbürgerungsbewerber habe deshalb substantiiert darzutun (§ 37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 AufenthG), dass er gerade aufgrund seines Alters nicht (mehr) in der Lage sei, die geforderten Kenntnisse zu erwerben. Dieser Mitwirkungspflicht sei nicht genügt worden.

Dieser Argumentation ist hinsichtlich der Annahme, dass das Erreichen eines bestimmten Alters zur Tatbestandserfüllung nicht ausreiche, weil ein hohes Alter nicht regelmäßig dazu führe, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der geforderten Kenntnisse gehindert ist – zuzustimmen. Die weitere Formulierung, das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein, erscheint indes gemessen am Regelungsgehalt des § 10 Abs. 6 StAG problematisch.

§ 10 Abs. 6 StAG stellt – wie ausgeführt und auch vom Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 2.12.2011 ausdrücklich anerkannt – darauf ab, ob der Einbürgerungsbewerber die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nrn. 6 und 7 im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann. Der Ausnahmetatbestand knüpft nicht an den Umstand an, dass der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen zur Zeit der Antragstellung nicht erfüllt, und befasst sich daher nicht mit der Frage, aus welchen Gründen er diesen Anforderungen derzeit nicht genügt. Tatbestandrelevant ist vielmehr, ob der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen „erfüllen kann“. Entscheidend ist daher, ob er sie erfüllen könnte, wenn er dies wollte und entsprechende Bemühungen zum Erwerb der geforderten Kenntnisse unternähme, oder ob er die Anforderungen infolge krankheits- oder altersbedingter Einschränkungen auch bei Entfalten diesbezüglicher Anstrengungen nicht mehr erfüllen kann. Damit ist einzelfallbezogen zu klären, ob trotz Krankheit oder Behinderung oder fortgeschrittenen Lebensalters unter Berücksichtigung der konkreten Lebensentwicklung und -umstände des Einbürgerungsbewerbers davon auszugehen ist, dass dessen etwaige Bemühungen, Sprachkenntnisse auf dem durch § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG vorgegebenen Niveau sowie die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, erfolgversprechend wären. Bejahendenfalls ist ihm zuzumuten, diese Bemühungen zu unternehmen, wobei sich im Falle eines Nichtbestehens der anschließenden Prüfungen die Frage stellen würde, ob das – behördlicher- bzw. gerichtlicherseits nicht erwartete – Scheitern seine Ursache in unzureichenden Anstrengungen, sonstigen Gründen (z.B. Analphabetismus eines noch lebensjungen Einbürgerungsbewerbers(BVerwG, Urteil vom 27.5.2010 - 5 C 8/09 -, juris)) oder einem der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Gründe hat. Denn es soll – so auch Berlit(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) – Einbürgerungsbewerbern im fortgeschrittenen Lebensalter angesichts der typischerweise im Alter schwindenden Fähigkeit, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, nicht ausnahmslos zugemutet werden, entsprechende Bemühungen, Kenntnisse auf dem geforderten Niveau zu erwerben, zu entfalten. Nach alldem geht es in § 10 Abs. 6 StAG um die Ursache für ein etwaiges Unvermögen, sich fehlende Kenntnisse anzueignen, nicht hingegen – wie das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 2.7.2013 möglicherweise andeuten will und der Beklagte im Einzelnen argumentiert – um die Ursache für den Umstand, dass der Einbürgerungsbewerber die geforderten Kenntnisse aktuell nicht erfüllt. Die vom Beklagten vertretene Kausalitätsbetrachtung geht am Tatbestand des § 10 Abs. 6 StAG vorbei, denn sie setzt an einem falschen Punkt an. Der Beklagte sucht die Ursache der fehlenden Kenntnisse, die er in dem Unterlassen in der Vergangenheit sieht. Nach dem Gesetz ist indes zu klären, ob der Einbürgerungsbewerber aktuell über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt oder eben etwa aufgrund seines Alters nicht mehr verfügt. Entscheidungserheblich ist daher nicht, ob in der Vergangenheit die Möglichkeit des Erwerbs der Kenntnisse bestanden hätte, aber nicht genutzt wurde, sondern allein, ob die geforderten Kenntnisse derzeit aufgrund eines der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Tatbestände nicht mehr erworben werden können. Es trifft nach alldem nicht zu, dass in den Genuss der Ausnahmevorschrift grundsätzlich nur kommen soll, wer erst im hohen Alter eingereist ist.

In rechtlicher Hinsicht ist des Weiteren zu bekräftigen, dass § 10 Abs. 6 StAG kein Ermessen eröffnet. Liegt einer der Ausnahmetatbestände vor, so „ist abzusehen“, d.h. der Einbürgerungsbewerber hat - soweit er die übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt - einen Anspruch darauf, dass er trotz des Fehlens der Kenntnisse eingebürgert wird. § 10 Abs. 6 StAG ist Teil der am 28.8.2007 in Kraft getretenen Neuregelung des Einbürgerungsrechts. Im Gesetzgebungsverfahren war auf Betreiben der Länder erwogen worden, den Ausnahmetatbestand als Ermessensvorschrift auszugestalten, dieser Ansatz konnte sich aber nicht durchsetzen. Diesbezüglich heißt es in der Gesetzesbegründung(BT-Drs. 16/5107, S. 13) : „Die Ermessensregelung in Abs. 6 lehnt die Bundesregierung ab, da bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kein Raum mehr für ein Ermessen der Staatsangehörigkeitsbehörde bleibt. Wenn der Einbürgerungsbewerber aufgrund seiner Behinderung oder seiner altersbedingten Beeinträchtigung den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse oder staatsbürgerlicher Kenntnisse nicht erbringen kann, muss zwingend von diesen Voraussetzungen abgesehen werden.“

Im Rahmen der damit vorzunehmenden Einzelfallprüfung können die Behörden oder das Gericht sich zwar bei Bedarf sachverständiger Hilfe bedienen, müssen dies aber nicht, wenn die konkreten Umstände keinen vernünftigen Zweifel daran lassen, dass einer der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Ausnahmetatbestände erfüllt ist.(so auch Nr. 10.6 der Vorläufigen Anwendungshinweise des BMI vom 17.4.2009) So liegt der Fall hier.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und den sich aus dem Akteninhalt ergebenden Erkenntnissen ist nicht anzunehmen, dass der Kläger in der Lage wäre, sich Kenntnisse der deutschen Sprache in mündlicher und schriftlicher Form auf dem durch § 10 Abs. 4 StAG vorgegebenen Niveau sowie die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG geforderten Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach § 10 Abs. 5 Satz 1 StAG in der Regel durch das Bestehen eines Einbürgerungstests nachzuweisen sind, anzueignen.

Der Kläger ist inzwischen 71 Jahre alt und befindet sich damit in einem Lebensalter, in dem die Fähigkeit, sich neue Kenntnisse anzueignen zwar durchaus bestehen, aber nicht als im Regelfall gegeben unterstellt werden kann.(vgl. hierzu auch Berlit in GK-StAG, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) Seine persönlichen Lebensumstände spielen daher eine maßgebliche Rolle für die Entscheidung der Frage, ob davon ausgegangen werden kann, dass er bei Entfalten entsprechender Bemühungen in der Lage wäre, die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG zu erfüllen.

Nach den Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger nie eine Schule besucht und nie das Lesen und Schreiben gelernt, sondern seit jungen Jahren Arbeit auf dem Feld verrichten müssen. Dass diese Angaben nicht zutreffen könnten, ist nicht anzunehmen. Der Kläger ist 1942 geboren. Dass Ende der vierziger Jahre in den kurdischen Gebieten der Türkei flächendeckend die Möglichkeit oder gar Pflicht bestanden haben könnte, eine Schule zu besuchen, erscheint äußerst fernliegend. Der Senat hegt daher keinen Zweifel daran, dass der Kläger in seinem Herkunftsland, das er im Alter von 48 Jahren verlassen hat, nie eine Schule besucht und auch sonst keine Ausbildung absolviert hat, sondern vielmehr Tätigkeiten nachgegangen ist, die ihn sicherlich weitaus mehr in körperlicher als in geistiger Hinsicht gefordert haben.

Der Sohn des Klägers hat weiter angegeben, bei den ärztlichen Untersuchungen anlässlich der Einreise des Klägers sei die Notwendigkeit mehrerer Operationen festgestellt worden. Entsprechende Behandlungsmöglichkeiten hätten dem Kläger in der Türkei nicht offen gestanden. Trotz allem habe seine Arbeitsfähigkeit nicht wiederhergestellt werden können. Eine Arbeitsaufnahme sei ihm behördlicherseits und seitens seiner Ärzte strikt untersagt worden. Mit diesen Angaben korrespondiert, dass ausweislich Blatt 184 der Verwaltungsakte anlässlich einer auf Betreiben des Sozialamtes der Gemeinde A-Stadt durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung vom 10.12.2001 festgestellt wurde, dass der Kläger auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig und – vorbehaltlich eines Entscheids des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers – erwerbsunfähig ist. Ausweislich Blatt 32 und 33 der Verwaltungsakte hat der sozialmedizinische Dienst der Landesversicherungsanstalt für das Saarland als Rentenversicherungsträger auf ein Ersuchen nach dem Grundsicherungsgesetz mit Schreiben vom 20.5.2003 bestätigt, dass der Kläger unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Damit steht für den Senat außer Zweifel, dass der Kläger sich auch nach seiner Einreise nie in einer Situation befunden hat, in der er gehalten gewesen wäre, sich zwecks Ausübung einer Erwerbstätigkeit gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen, ohne die selbst eine ungelernte Kraft auf dem hiesigen Arbeitsmarkt nicht auskommen kann. Er war mithin – abgesehen von der früheren (sicherlich primär durch körperlichen Einsatz geprägten) Arbeit auf dem Feld – nie in der Situation, Anweisungen und Arbeitsabläufe verstehen, mit anderen arbeitsteilig zusammenarbeiten und sich in einen Kollegenkreis einbringen zu müssen. Er konnte demgemäß nicht von Kontakten zu Arbeitskollegen und der Notwendigkeit, sich im Erwerbsleben zurechtfinden zu müssen und sich verständlich zu machen, profitieren. Eine „Erwerbsteilnahme“ im Sinne der oben wiedergegebenen Ausführungen in der Kommentierung von Berlit gab es daher nie. Infolge seiner Erwerbsunfähigkeit bestand für ihn keine Möglichkeit, sich über die normalen Anforderungen einer Erwerbstätigkeit sprachlich und sozial in die hiesigen Lebensverhältnisse zu integrieren. Insofern verwundert auch nicht, dass er nach den glaubhaften Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seit seiner Einreise sehr zurückgezogen und ohne nennenswerte soziale Kontakte zu Deutschen lebt.

Nach alldem sind die Lebensbedingungen und die aktuelle Lebenssituation des Klägers maßgeblich dadurch geprägt, dass er noch nie in seinem Leben in beachtlicher Weise geistig gefordert war.

Dem Senat erschließt sich nicht, woran in einem solchen Fall die Erwartung anknüpfen sollte, der Kläger sei ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters und unter Berücksichtigung seiner ganz persönlichen Lebensumstände gegenwärtig in der Lage, erstmals in seinem Leben eine Fremdsprache so zu erlernen, dass er dem seit 2007 verschärften Anforderungsniveau gerecht wird und zudem die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, die ihrerseits ein gewisses Sprachverständnis und die Fähigkeit, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge erfassen zu können, voraussetzen. Die Schlussfolgerung, dass es dem 71-jährigen Kläger nicht mehr gelingen wird, sich die geforderten Kenntnisse anzueignen, liegt so nahe, dass es ihrer Bestätigung durch Einholung eines (amts-)ärztlichen Gutachtens nicht bedarf.

Soweit die Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die Nichtnutzung der Möglichkeit hingewiesen hat, sich in jüngeren Jahren in Volkshochschulkursen Sprachkenntnisse anzueignen, ist weder geklärt, ob es ein solches Angebot für kurdisch sprechende Interessenten gegeben hat, noch ist dies entscheidungserheblich. Denn es kommt – wie ausgeführt – nicht darauf an, ob der Kläger in der Vergangenheit versäumt hat, ihm offenstehende Möglichkeiten, Sprachkenntnisse zu erwerben, zu nutzen, sondern entscheidend ist, dass angesichts seines fortgeschrittenen – typischerweise mit schwindender Lernfähigkeit verbundenen – Lebensalters und seiner gesamten Lebensumstände nicht angenommen werden kann, dass er heute noch über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt.

Die weitere rechtliche Argumentation der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, die im Rahmen von Ermessenseinbürgerungen bestehenden Möglichkeiten, Einbürgerungsbewerbern unter bestimmten Voraussetzungen Privilegierungen zukommen zu lassen, wären sinnlos und gesetzestechnisch unverständlich, wenn § 10 Abs. 6 StAG das „Ersitzen“ einer Anspruchseinbürgerung ermöglichen würde, geht ebenfalls fehl. Wie ausgeführt bedarf es im Rahmen des Ausnahmetatbestandes des Absatzes 6 einer konkreten Einzelfallbetrachtung, die nicht nur das jeweilige Alter in den Blick nimmt, sondern unter Würdigung aller für und gegen ein (Fort-)Bestehen hinreichender Lernfähigkeit sprechenden persönlichen Lebensumstände entweder den Schluss rechtfertigt, dass ungeachtet des fortgeschrittenen Alters noch eine ausreichende Lernfähigkeit besteht oder eben nicht erwartet werden kann. Mit „Ersitzen“ hat diese Regelung nichts zu tun.

Da der Kläger als Asylberechtigter anerkannt ist, ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 6 StAG von der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG (Aufgabe oder Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit) abzusehen.

Die Berufung des Klägers ist nach alldem mit seinem im Hauptantrag verfolgten Begehren, ihn einzubürgern, erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Der Senat hat im Einklang mit der einhelligen Rechtsprechung eine Einzelfallentscheidung getroffen.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 10.000,-- Euro festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 42.1 der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 19. Dezember 2012 wird der Bescheid des Beklagten vom 24. Mai 2011 aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Kläger einzubürgern.

Die Kosten des Verfahrens fallen dem Beklagten zur Last.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger, ein 1942 geborener türkischer Staatsangehöriger, der seit 1990 mit seiner Ehefrau im Bundesgebiet lebt und 1993 als Asylberechtigter anerkannt wurde, begehrt seine Einbürgerung.

Er verfügt seit 1993 über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und seit 2009 über eine Niederlassungserlaubnis. Durch amtsärztliche Untersuchung vom 10.12.2001 wurde - vorbehaltlich des Entscheids des Rentenversicherungsträgers - Erwerbsunfähigkeit festgestellt. In einer im Rahmen der Überprüfung eines Anspruchs auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ausgestellten Bescheinigung der Landesversicherungsanstalt für das Saarland vom 20.5.2003 ist festgehalten, dass der Kläger unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert ist und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Er bestreitet seinen Unterhalt seit seiner Einreise durch den Bezug von Sozialleistungen.

Am 8.1.2010 beantragten der Kläger und seine Ehefrau ihre Einbürgerung. Beigefügt war ein Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten, in dem es u.a. heißt, der Kläger und seine Ehefrau verfügten zwar weder über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache noch über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG. Von diesen Voraussetzungen sei aber gemäß § 10 Abs. 6 StAG abzusehen, weil sie altersbedingt nicht erfüllt werden könnten.

In einer Stellungnahme der Wohnsitzgemeinde vom 13.1.2010 heißt es, der Kläger spreche gebrochen deutsch und seine Ehefrau sei Analphabetin.

Durch Bescheid vom 24.5.2011, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 26.5.2011, lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Hinweis auf die fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache und der Rechts- und Gesellschaftsordnung ab. Der Kläger sei mit 48 Jahren in das Bundesgebiet eingereist. Angesichts der seither verstrichenen 20 Jahre lägen Anhaltspunkte für ein „Ersitzen“ der Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 6 StAG vor. Ein solches „Hineinwachsen“ in das altersbedingte Unvermögen ohne ausreichende Bemühungen könne nur in Betracht kommen, wenn krankheitsbedingt für den Nichterwerb der Kenntnisse ursächliche Einschränkungen vorlägen, was durch entsprechende medizinische Nachweise zu belegen sei. Solche Nachweise seien trotz Anforderung nicht vorgelegt worden. Zudem stehe der Kläger seit seiner Einreise im Sozialhilfebezug, so dass auch eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG nicht in Betracht komme.

Hiergegen hat der Kläger am 27.6.2011, einem Montag, Klage erhoben und ausgeführt, dass im Rahmen der Prüfung nach § 10 Abs. 6 StAG nicht von Bedeutung sei, ob der Ausländer die Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 StAG mit Blick auf seinen jahrelangen Aufenthalt im Inland zu vertreten habe. Entscheidend sei, dass er sie altersbedingt nicht mehr erfüllen könne. Zudem sei offenkundig, dass er, der nie im Leben eine Schule besucht habe, diesen Voraussetzungen nicht gerecht werden könne. Hinsichtlich des Sozialhilfebezugs habe er mit dem Einbürgerungsantrag ein Attest vorgelegt, aus dem ersichtlich sei, dass er seit seiner Einreise aufgrund mehrerer Operationen sozialrechtlich als nicht erwerbsfähig geführt werde. Er habe den Sozialhilfebezug daher nicht zu vertreten.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn einzubürgern,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen,
äußerst hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Ausführungen zur Begründung seines Bescheids bekräftigt, nach denen die Voraussetzungen weder einer Anspruchs- noch einer Ermessenseinbürgerung vorlägen. Dem Kläger sei trotz seines Analphabetismus zumutbar gewesen und noch zumutbar, durch entsprechende Kurse das geforderte Sprachniveau zu erreichen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 19.12.2012 abgewiesen. Der Bezug von Sozialleistungen stehe der Einbürgerung nicht entgegen, da der Kläger die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel angesichts seiner vollen Erwerbsunfähigkeit nicht zu vertreten habe. Ein Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG scheitere jedoch an den mangelnden Kenntnissen der deutschen Sprache bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse in Deutschland. Der Kläger könne sich insoweit nicht auf das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes nach § 10 Abs. 6 StAG berufen. Zwar scheide die Anwendung dieser Vorschrift nicht bereits aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich schon seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich die von § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Kenntnisse in früherer Zeit hätte aneignen können, denn auf ein Vertretenmüssen habe der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt. Dennoch greife die Ausnahmevorschrift nicht ein, weil die Ursache des Unvermögens des Klägers nicht in einem der dort aufgeführten Gründe liege. Er habe keine bestehende Erkrankung, Behinderung oder altersbedingte Beeinträchtigung, die das Erlernen der deutschen Sprache unmöglich mache, nachgewiesen. Analphabetismus sei keine Krankheit oder Behinderung im Sinne der Vorschrift und stelle in Anbetracht der Gesamtumstände ebenso wenig wie das Lebensalter einen Grund dar, der es rechtfertigen könnte, auf jegliche Sprachkenntnisse zu verzichten. Auch die Verwaltungspraxis des Beklagten, bei Einbürgerungsbewerbern, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und erst im höheren Lebensalter eingereist sind, ohne gesonderten Nachweis durch Attest von einem altersbedingten Unvermögen auszugehen, könne dem Kläger, der bereits mit 48 Jahren eingereist sei, nicht weiterhelfen. Eine Einbürgerung nach § 10 StAG sei daher ausgeschlossen und eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG scheitere daran, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen bestreiten könne, was einer Ermessenseinbürgerung unabhängig von der Frage des Vertretenmüssens entgegenstehe, sowie am Nichtvorliegen der Voraussetzungen eines öffentlichen Interesses bzw. einer besonderen Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG.

Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22.1.2013 zugestellt.

Am 13.2.2013 beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung und begründete diesen Antrag. Durch Beschluss vom 11.4.2013, dem Kläger zugestellt am 16.4.2013, hat der Senat die Berufung zugelassen.

Der Kläger hat seine Berufung am 15.5.2013 begründet. Er vertieft seine Auffassung, dass in seinem Fall nach § 10 Abs. 6 StAG von den Einbürgerungsvoraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 der Vorschrift mit Blick auf sein Alter und das dadurch bedingte Unvermögen, sich die notwendigen Kenntnisse noch anzueignen, abzusehen sei. Allein entscheidend sei, dass der Hinderungsgrund des altersbedingten Unvermögens im Zeitpunkt der Einbürgerung vorliege. Dabei sei nicht erforderlich, dass – neben dem Alter – irgendwelche „vom Lebensalter herrührenden Beeinträchtigungen“ bestünden. Es komme nicht darauf an, ob in früheren Zeiten ein Erlernen möglich gewesen wäre. Dies ergebe sich aus dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens und der Gesetzesbegründung sowie dem Wortlaut, der Systematik und Sinn und Zweck der Regelungen in § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 und Abs. 6 StAG. Da es auf Vertretenmüssen nicht ankomme, dürfe die Frage nach der Ursache des altersbedingten Unvermögens nicht gestellt werden. Insbesondere dürfe nicht argumentiert werden, dass die Ursache für die fehlenden Kenntnisse des Klägers das Nichtbeheben seines Analphabetismus, das Nichterlernen der deutschen Sprache und das Nichterlangen staatsbürgerlicher Kenntnisse sei. Andernfalls werde auf zurechenbares Handeln oder Unterlassen des Klägers, mithin auf das Vertretenmüssen, abgestellt. Da das Gesetz keine starre Altersgrenze vorgebe, sei eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen. Der mittlerweile 71-jährige Kläger, der primärer Analphabet sei, könne ganz offensichtlich altersbedingt die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG nicht mehr erfüllen, ohne dass dies gesondert nachgewiesen werden müsse. Dies werde beklagtenseits nicht bestritten und könne auch nicht ernstlich bestritten werden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 19.12.2012 den Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn einzubürgern,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen,
äußerst hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er meint, eine Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 6 StAG scheitere am Fehlen des Tatbestandsmerkmals „altersbedingt“ und hält diesbezüglich daran fest, dass ein altersbedingtes Unvermögen im Sinne der Ausnahmevorschrift voraussetze, dass der Einbürgerungsbewerber schon im Zeitpunkt der Einreise lebensälter und daher nicht in der Lage war, sich innerhalb der erforderlichen Aufenthaltsdauer von acht Jahren staatsbürgerliche Kenntnisse und Sprachkenntnisse auf dem geforderten Niveau B 1 anzueignen und daher das in acht Jahren regelmäßig erreichbare Integrationsmaß nicht erlangen könne. Nur in solchen Fällen sei es Verwaltungspraxis, die Ausnahmeregelung anzuwenden. Personen, die in jüngeren Jahren eingereist seien und von daher ausreichend Möglichkeit gehabt hätten, die deutsche Sprache zu erlernen, müssten hingegen bei Antragstellung im fortgeschrittenen Alter gerade infolge ihres Alters in Bezug auf die Voraussetzungen der Nrn. 6 und 7 „gehandicapt“ sein und das Unvermögen, die entsprechenden Tests – etwa wegen Nachlassens der kognitiven/geistigen Leistungsfähigkeit – zu absolvieren, konkret nachweisen. Eine Regelvermutung allein auf Grund des Erreichens eines bestimmten Alters sei hier nicht angezeigt und - da im Gesetz nicht festgeschrieben - vom Gesetzgeber nicht gewollt. Angezeigt sei vielmehr eine „flexible Einzelfallbetrachtung“, was sich auch dadurch rechtfertige, dass es in der täglichen Praxis immer wieder Einbürgerungsbewerber gebe, die den Einbürgerungstest und den Sprachtest noch mit über 70 Jahren erfolgreich ablegen. Auch die historische Auslegung der Norm spreche für diese Sichtweise. So habe das Gesetz bis ins Jahr 2000 im Rahmen der Anspruchseinbürgerung überhaupt keine Deutschnachweise gefordert, in den Jahren 2000 – 2007 seien Sprachkenntnisse auf dem leichteren Niveau A 2 erforderlich gewesen und bei der Gesetzesreform 2007 habe der Gesetzgeber sich nochmals bewusst für eine Verschärfung der sprachlichen Anforderungen auf das Niveau B 1 entschieden. Er sei davon ausgegangen, dass die Sprachkenntnisse der unverzichtbare Grundstein einer jeden sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Integration sei, weswegen es völlig widersinnig wäre, anzunehmen, er habe von dieser grundlegenden Integrationsanforderung gerade solche Personen ausnehmen wollen, die seit vielen Jahren und Jahrzehnten in Deutschland leben, ohne sich um hinreichende Sprachkenntnisse und damit die Grundvoraussetzung einer Integration zu bemühen. Gleichzeitig habe der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen, dass manche, aber bei weitem nicht alle Menschen im Alter geistig/kognitiv abbauen und deshalb in § 10 Abs. 6 ein Absehen von den Sprach- und staatsbürgerlichen Kenntnissen vorgesehen, wenn die Betroffenen diese auf Grund altersbedingter Beeinträchtigungen jetzt nicht mehr erbringen können. Dass die Ausnahmevorschrift im Präsens formuliert ist, sei vor allem den Ausnahmevarianten der körperlichen, geistigen oder seelischen Erkrankung oder Behinderung geschuldet. Der Gesetzgeber habe ihrer Natur nach unterschiedliche Ansatzpunkte in dieser Ausnahmeregelung zusammengefasst. Hinsichtlich der Variante „altersbedingtes Unvermögen“ sei unabhängig vom Grund der fehlenden Kenntnisse Anknüpfungspunkt zwar das Alter des Einbürgerungsbewerbers im Zeitpunkt der Antragstellung, wobei dieses je nach Konstellation die Vermutung des Unvermögens begründe oder dem Einbürgerungsbewerber den Weg eröffne, sein Unvermögen individuell nachzuweisen und auf dieser Grundlage von der Notwendigkeit, die entsprechenden Tests zu bestehen, entbunden zu werden. Das Unvermögen müsse seinen Grund in einer vom Lebensalter herrührenden Beeinträchtigung haben. Wenn der Grund für die fehlenden Kenntnisse ein anderer sei, sei er eben nicht „altersbedingt“ und somit nicht tatbestandsbegründend. Allein so verstanden sei die gesetzliche Regelung in sich schlüssig und stehe im Einklang mit dem Reformansatz und der Ziel- und Grundvorstellung des Gesetzgebers. Nur bei diesem Verständnis sei auch die vom Gesetzgeber ausnahmsweise als ausreichend angesehene „Teilintegration“ aus übergeordneten Erwägungen nachvollziehbar und rechtfertige ein Zurücktreten des gesellschaftspolitischen Integrationsinteresses zu Gunsten des individuellen Einbürgerungsinteresses. Gemessen hieran könne dem Kläger die Ausnahmevorschrift nur zugute kommen, wenn er den individuellen Nachweis altersbedingten Unvermögens führen würde. Zutreffend sei, dass es im Rahmen des § 10 Abs. 6 StAG nicht auf ein Verschulden ankomme, vielmehr gehe es um die vorwurfsfreie und wertneutrale Ursächlichkeitsfrage nach dem Grund der fehlenden Sprach- und staatsbürgerlichen Kenntnisse. Sei der Grund für die fehlenden Kenntnisse nicht eine altersbedingte Beeinträchtigung, sondern etwa ein früheres Unterlassen, so sei der Tatbestand der Ausnahmevorschrift nicht erfüllt. Fallbezogen sei daher entscheidend, dass Ursache für die fehlenden Kenntnisse des Klägers das Nichtbeheben seines Analphabetismus, das Nichterlernen der deutschen Sprache und das Nichterlangen staatsbürgerlicher Kenntnisse seit seiner Einreise im Jahr 1990 sei und nicht eine jetzige altersbedingte Beeinträchtigung. Dass ihn heute altersbedingte Beeinträchtigungen daran hinderten, diese Versäumnisse nachzuholen, habe er nicht vorgetragen und erst recht nicht nachgewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten ( 1 Ordner), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts unterliegt der Abänderung, denn die auf Einbürgerung des Klägers gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht auf der Grundlage des § 10 StAG ein Anspruch auf Einbürgerung zu. Der dies verkennende Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist daher aufzuheben und gleichzeitig ist der Beklagte zu verpflichten, den Kläger einzubürgern.

§ 10 StAG legt fest, unter welchen Voraussetzungen ein Einbürgerungsbewerber einen Anspruch auf Einbürgerung hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger mit Ausnahme der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit Absatz 4 Satz 1 der Vorschrift geforderten Kenntnisse der deutschen Sprache und der nach Absatz 1 Nr. 7 der Vorschrift erforderlichen Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland. Sowohl hinsichtlich der geforderten Sprachkenntnisse als auch hinsichtlich der staatsbürgerlichen Kenntnisse enthält § 10 Abs. 6 StAG eine Ausnahmevorschrift, nach welcher von diesen Anforderungen abzusehen ist, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann. Aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des gesamten Akteninhalts hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG altersbedingt nicht erfüllen kann.

Die bisherige Rechtsprechung zu dem am 28.8.2007 in Kraft getretenen Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013 - 19 A 364/10 -, juris Rdnrn. 22 ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011 - 11 K 839/11 -, juris Rdnrn. 30 f.; VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013 - 4 K 1072/11 -, juris Rdnr. 27; ebenso hinsichtlich krankheitsbedingter Einschränkungen: HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013 - 5 A 1390/12.Z -, InfAuslR 2013, 202, 203,) und die einschlägige Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR,  Stand: 28. Erg.lfg. Dezember 2013,  § 10 Rdnr. 406 m.w.N.) stimmen darin überein, dass für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands „altersbedingt nicht erfüllen kann“ allein entscheidend ist, ob der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen nicht mehr abverlangt werden kann. Man ist sich einig, dass das Eingreifen des Ausnahmetatbestands nicht voraussetzt, dass der Einbürgerungsbewerber seine mangelnden Kenntnisse nicht zu vertreten hat.

So hat das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011, a.a.O., Rdnr. 31) ausgeführt, § 10 Abs. 6 stelle nicht darauf ab, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können. Maßgeblich sei allein, ob der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor Gericht wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG nicht mehr erfüllen könne. Die Anwendung des § 10 Abs. 6 StAG scheide deshalb nicht bereits dann aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich bereits seit vielen Jahren/Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich in früherer Zeit die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Erkenntnisse hätte aneignen können; auf ein Vertretenmüssen habe der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt.

Dieser Sichtweise stimmt das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013, a.a.O., juris Rdnrn. 23 ff.(Revision unter Geschäfts-Nr. 5 C 15/13 anhängig, Terminierung noch nicht absehbar)) mit ausführlicher Begründung zu. Für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 10 Abs. 6 StAG sei allein entscheidend, ob die Hinderungsgründe im Zeitpunkt der Einbürgerung vorlägen. Versäumnisse hinsichtlich des Erwerbs der maßgeblichen Kenntnisse in der Vergangenheit würden nicht berücksichtigt. Hierfür spreche der Wortlaut, die historische und genetische sowie die systematische Auslegung der Vorschrift. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden dieser Auslegung nicht entgegen. So stehe der maßgebliche zweite Halbsatz der Vorschrift im Präsens, was aufzeige, dass die gegenwärtige Situation entscheidend sei. Auch die Gesetzesbegründung mache - wie im Einzelnen ausgeführt wird - deutlich, dass der Gesetzgeber auf die gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten der Einbürgerungsbewerber und nicht auf frühere Versäumnisse abstelle. Die Einbürgerungsvoraussetzungen seien neu geregelt worden und hinsichtlich der Anforderungen an ausreichende Sprachkenntnisse deutlich strenger geworden. Gleichzeitig sei erstmalig ein Ausnahmetatbestand in das Gesetz aufgenommen und seien die Einbürgerungsbewerber insoweit begünstigt worden. Diese Ausnahme kompensiere für einen bestimmten Personenkreis die verschärften Anforderungen. In systematischer Hinsicht müsse gesehen werden, dass der Gesetzgeber hinsichtlich des Bezugs von Sozialleistungen in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG ausdrücklich vorgegeben habe, dass dieser einbürgerungshindernd sei, wenn der Einbürgerungsbewerber ihn zu vertreten habe. In Absatz 6 der Vorschrift fehle eine vergleichbare Regelung, was zeige, dass der Gesetzgeber hier nicht auf ein Vertretenmüssen habe abstellen wollen. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden der Unmaßgeblichkeit von Versäumnissen in der Vergangenheit nicht entgegen. Der Gesetzgeber nehme in den geregelten Ausnahmefällen hin, dass die üblicherweise mit einem mindestens achtjährigen Aufenthalt im Inland verbundene Integrationserwartung des Erwerbs ausreichender Sprachkenntnisse nicht erfüllt werde, lasse also insoweit eine Teilintegration ausreichen.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013, a.a.O., S. 203) hat in Bezug auf die Relevanz einer Prüfungsphobie ausgeführt, schon nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 6 StAG komme es hinsichtlich der Frage, ob der Ausländer die Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG wegen einer Krankheit nicht erfüllen könne, nur auf den Zeitpunkt der Einbürgerung an.

Das Verwaltungsgericht Aachen(VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013, a.a.O., Rdnr. 17) sieht den Anknüpfungspunkt der altersbedingten Gründe darin, dass mit zunehmendem Lebensalter regelmäßig die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen. Personen gehobenen Alters solle nicht ausnahmslos abverlangt werden, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Altersgrenze könne allerdings nicht gezogen werden, da Kenntnisse und Fähigkeiten von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben, abhingen. Der Begriff „altersbedingt“ sei daher einzelfallabhängig. Entscheidend sei dabei, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien hingegen unbeachtlich. § 10 Abs. 6 StAG stelle nämlich anders als bei der Unterhaltsfähigkeit nicht auf Vertretenmüssen ab und damit auch nicht darauf, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können.

In der einschlägigen Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnrn. 404 ff.) heißt es zur Problematik, Abs. 6 enthalte eine strikte Pflicht, von den Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 abzusehen, wenn diese wegen Alters oder Behinderung nicht erfüllt werden könnten. Der Gesetzgeber habe ein im Ansatz unflexibles „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ normiert. Die Anforderungen könnten nicht nach Maßgabe des Grades alters- oder behinderungsbedingter Beeinträchtigungen abgesenkt werden. Sie seien entweder vollständig zu erfüllen oder es sei von ihnen vollständig abzusehen. Zwischen dem Alter oder der Behinderung und dem subjektiven Unvermögen des Einbürgerungsbewerbers, die Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 zu erfüllen, müsse eine kausale Verknüpfung bestehen. Abs. 6 stelle Personen nicht allein wegen ihres Alters oder ihrer Behinderung von der Erfüllung der Anforderungen frei. Diese - abschließend benannten Umstände - müssten (nachweislich) Ursache für das Unvermögen sein, diesen Anforderungen zu entsprechen. Die altersbedingten Gründe knüpften daran an, dass - bei einer typisierenden Betrachtungsweise - die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, und es Personen gehobenen Alters auch nicht abverlangt werden solle, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Alters(unter)grenze könne nicht gezogen werden, weil Fähigkeit und - vor allem - abzuverlangende Bereitschaft zum Erwerb zusätzlicher (sprachlicher oder staatsbürgerlicher) Kenntnisse auch abhingen von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem anderweitig erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe (und den dort zu bewältigenden Herausforderungen) sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben. Dieser Ausnahmegrund sei damit offen für eine umfassende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Vor dem Erreichen des 50. Lebensjahres werde regelmäßig indes ein altersbedingtes Unvermögen ausscheiden; ab der Vollendung des 60. Lebensjahres liege es jedenfalls nahe. Eine Übertragung der für § 12 Abs. 1 Nr. 4 StAG für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung „älterer Personen“ zu ziehenden Altersgrenze scheide wegen der funktionalen Verknüpfung von Alter und Unvermögen zur Erfüllung der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 aus. Entscheidend sei allein, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien unbeachtlich.

Nach alldem gehen Rechtsprechung und Kommentarliteratur einvernehmlich davon aus, dass der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG darauf abstellt, ob der Einbürgerungsbewerber die in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 geforderten Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann oder hieran infolge einer Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt gehindert ist, wobei es auf ein etwaiges Vertretenmüssen in Bezug auf Versäumnisse in der Vergangenheit nicht ankommt. In diese Richtung weist insbesondere auch die Formulierung in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, wonach Personen begünstigt werden sollen, die die Anforderungen aufgrund ihres Alters „nicht mehr erfüllen können“.(BT-Drs. 16/5065, S. 229) Dieser Sichtweise stimmt der Senat vollumfänglich zu.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Beschluss vom 2.7.2013 - 11 K 1279/13 -, juris Rdnrn. 3 f.) hat sich kürzlich anlässlich eines Prozesskostenhilfeantrags, den es abgelehnt hat, erneut mit der Problematik befasst und seine oben zitierte Rechtsprechung zum altersbedingten Unvermögen dahingehend präzisiert, dass das Erreichen eines Alters von 67 Jahren für die Annahme, altersbedingt keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache erwerben zu können, allein nicht ausreiche. Denn nicht nur die Krankheit oder Behinderung, sondern auch das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein. Ein hohes Alter führe nicht regelmäßig dazu, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG geforderten Kenntnisse gehindert ist. Der Einbürgerungsbewerber habe deshalb substantiiert darzutun (§ 37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 AufenthG), dass er gerade aufgrund seines Alters nicht (mehr) in der Lage sei, die geforderten Kenntnisse zu erwerben. Dieser Mitwirkungspflicht sei nicht genügt worden.

Dieser Argumentation ist hinsichtlich der Annahme, dass das Erreichen eines bestimmten Alters zur Tatbestandserfüllung nicht ausreiche, weil ein hohes Alter nicht regelmäßig dazu führe, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der geforderten Kenntnisse gehindert ist – zuzustimmen. Die weitere Formulierung, das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein, erscheint indes gemessen am Regelungsgehalt des § 10 Abs. 6 StAG problematisch.

§ 10 Abs. 6 StAG stellt – wie ausgeführt und auch vom Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 2.12.2011 ausdrücklich anerkannt – darauf ab, ob der Einbürgerungsbewerber die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nrn. 6 und 7 im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann. Der Ausnahmetatbestand knüpft nicht an den Umstand an, dass der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen zur Zeit der Antragstellung nicht erfüllt, und befasst sich daher nicht mit der Frage, aus welchen Gründen er diesen Anforderungen derzeit nicht genügt. Tatbestandrelevant ist vielmehr, ob der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen „erfüllen kann“. Entscheidend ist daher, ob er sie erfüllen könnte, wenn er dies wollte und entsprechende Bemühungen zum Erwerb der geforderten Kenntnisse unternähme, oder ob er die Anforderungen infolge krankheits- oder altersbedingter Einschränkungen auch bei Entfalten diesbezüglicher Anstrengungen nicht mehr erfüllen kann. Damit ist einzelfallbezogen zu klären, ob trotz Krankheit oder Behinderung oder fortgeschrittenen Lebensalters unter Berücksichtigung der konkreten Lebensentwicklung und -umstände des Einbürgerungsbewerbers davon auszugehen ist, dass dessen etwaige Bemühungen, Sprachkenntnisse auf dem durch § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG vorgegebenen Niveau sowie die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, erfolgversprechend wären. Bejahendenfalls ist ihm zuzumuten, diese Bemühungen zu unternehmen, wobei sich im Falle eines Nichtbestehens der anschließenden Prüfungen die Frage stellen würde, ob das – behördlicher- bzw. gerichtlicherseits nicht erwartete – Scheitern seine Ursache in unzureichenden Anstrengungen, sonstigen Gründen (z.B. Analphabetismus eines noch lebensjungen Einbürgerungsbewerbers(BVerwG, Urteil vom 27.5.2010 - 5 C 8/09 -, juris)) oder einem der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Gründe hat. Denn es soll – so auch Berlit(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) – Einbürgerungsbewerbern im fortgeschrittenen Lebensalter angesichts der typischerweise im Alter schwindenden Fähigkeit, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, nicht ausnahmslos zugemutet werden, entsprechende Bemühungen, Kenntnisse auf dem geforderten Niveau zu erwerben, zu entfalten. Nach alldem geht es in § 10 Abs. 6 StAG um die Ursache für ein etwaiges Unvermögen, sich fehlende Kenntnisse anzueignen, nicht hingegen – wie das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 2.7.2013 möglicherweise andeuten will und der Beklagte im Einzelnen argumentiert – um die Ursache für den Umstand, dass der Einbürgerungsbewerber die geforderten Kenntnisse aktuell nicht erfüllt. Die vom Beklagten vertretene Kausalitätsbetrachtung geht am Tatbestand des § 10 Abs. 6 StAG vorbei, denn sie setzt an einem falschen Punkt an. Der Beklagte sucht die Ursache der fehlenden Kenntnisse, die er in dem Unterlassen in der Vergangenheit sieht. Nach dem Gesetz ist indes zu klären, ob der Einbürgerungsbewerber aktuell über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt oder eben etwa aufgrund seines Alters nicht mehr verfügt. Entscheidungserheblich ist daher nicht, ob in der Vergangenheit die Möglichkeit des Erwerbs der Kenntnisse bestanden hätte, aber nicht genutzt wurde, sondern allein, ob die geforderten Kenntnisse derzeit aufgrund eines der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Tatbestände nicht mehr erworben werden können. Es trifft nach alldem nicht zu, dass in den Genuss der Ausnahmevorschrift grundsätzlich nur kommen soll, wer erst im hohen Alter eingereist ist.

In rechtlicher Hinsicht ist des Weiteren zu bekräftigen, dass § 10 Abs. 6 StAG kein Ermessen eröffnet. Liegt einer der Ausnahmetatbestände vor, so „ist abzusehen“, d.h. der Einbürgerungsbewerber hat - soweit er die übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt - einen Anspruch darauf, dass er trotz des Fehlens der Kenntnisse eingebürgert wird. § 10 Abs. 6 StAG ist Teil der am 28.8.2007 in Kraft getretenen Neuregelung des Einbürgerungsrechts. Im Gesetzgebungsverfahren war auf Betreiben der Länder erwogen worden, den Ausnahmetatbestand als Ermessensvorschrift auszugestalten, dieser Ansatz konnte sich aber nicht durchsetzen. Diesbezüglich heißt es in der Gesetzesbegründung(BT-Drs. 16/5107, S. 13) : „Die Ermessensregelung in Abs. 6 lehnt die Bundesregierung ab, da bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kein Raum mehr für ein Ermessen der Staatsangehörigkeitsbehörde bleibt. Wenn der Einbürgerungsbewerber aufgrund seiner Behinderung oder seiner altersbedingten Beeinträchtigung den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse oder staatsbürgerlicher Kenntnisse nicht erbringen kann, muss zwingend von diesen Voraussetzungen abgesehen werden.“

Im Rahmen der damit vorzunehmenden Einzelfallprüfung können die Behörden oder das Gericht sich zwar bei Bedarf sachverständiger Hilfe bedienen, müssen dies aber nicht, wenn die konkreten Umstände keinen vernünftigen Zweifel daran lassen, dass einer der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Ausnahmetatbestände erfüllt ist.(so auch Nr. 10.6 der Vorläufigen Anwendungshinweise des BMI vom 17.4.2009) So liegt der Fall hier.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und den sich aus dem Akteninhalt ergebenden Erkenntnissen ist nicht anzunehmen, dass der Kläger in der Lage wäre, sich Kenntnisse der deutschen Sprache in mündlicher und schriftlicher Form auf dem durch § 10 Abs. 4 StAG vorgegebenen Niveau sowie die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG geforderten Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach § 10 Abs. 5 Satz 1 StAG in der Regel durch das Bestehen eines Einbürgerungstests nachzuweisen sind, anzueignen.

Der Kläger ist inzwischen 71 Jahre alt und befindet sich damit in einem Lebensalter, in dem die Fähigkeit, sich neue Kenntnisse anzueignen zwar durchaus bestehen, aber nicht als im Regelfall gegeben unterstellt werden kann.(vgl. hierzu auch Berlit in GK-StAG, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) Seine persönlichen Lebensumstände spielen daher eine maßgebliche Rolle für die Entscheidung der Frage, ob davon ausgegangen werden kann, dass er bei Entfalten entsprechender Bemühungen in der Lage wäre, die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG zu erfüllen.

Nach den Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger nie eine Schule besucht und nie das Lesen und Schreiben gelernt, sondern seit jungen Jahren Arbeit auf dem Feld verrichten müssen. Dass diese Angaben nicht zutreffen könnten, ist nicht anzunehmen. Der Kläger ist 1942 geboren. Dass Ende der vierziger Jahre in den kurdischen Gebieten der Türkei flächendeckend die Möglichkeit oder gar Pflicht bestanden haben könnte, eine Schule zu besuchen, erscheint äußerst fernliegend. Der Senat hegt daher keinen Zweifel daran, dass der Kläger in seinem Herkunftsland, das er im Alter von 48 Jahren verlassen hat, nie eine Schule besucht und auch sonst keine Ausbildung absolviert hat, sondern vielmehr Tätigkeiten nachgegangen ist, die ihn sicherlich weitaus mehr in körperlicher als in geistiger Hinsicht gefordert haben.

Der Sohn des Klägers hat weiter angegeben, bei den ärztlichen Untersuchungen anlässlich der Einreise des Klägers sei die Notwendigkeit mehrerer Operationen festgestellt worden. Entsprechende Behandlungsmöglichkeiten hätten dem Kläger in der Türkei nicht offen gestanden. Trotz allem habe seine Arbeitsfähigkeit nicht wiederhergestellt werden können. Eine Arbeitsaufnahme sei ihm behördlicherseits und seitens seiner Ärzte strikt untersagt worden. Mit diesen Angaben korrespondiert, dass ausweislich Blatt 184 der Verwaltungsakte anlässlich einer auf Betreiben des Sozialamtes der Gemeinde A-Stadt durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung vom 10.12.2001 festgestellt wurde, dass der Kläger auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig und – vorbehaltlich eines Entscheids des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers – erwerbsunfähig ist. Ausweislich Blatt 32 und 33 der Verwaltungsakte hat der sozialmedizinische Dienst der Landesversicherungsanstalt für das Saarland als Rentenversicherungsträger auf ein Ersuchen nach dem Grundsicherungsgesetz mit Schreiben vom 20.5.2003 bestätigt, dass der Kläger unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Damit steht für den Senat außer Zweifel, dass der Kläger sich auch nach seiner Einreise nie in einer Situation befunden hat, in der er gehalten gewesen wäre, sich zwecks Ausübung einer Erwerbstätigkeit gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen, ohne die selbst eine ungelernte Kraft auf dem hiesigen Arbeitsmarkt nicht auskommen kann. Er war mithin – abgesehen von der früheren (sicherlich primär durch körperlichen Einsatz geprägten) Arbeit auf dem Feld – nie in der Situation, Anweisungen und Arbeitsabläufe verstehen, mit anderen arbeitsteilig zusammenarbeiten und sich in einen Kollegenkreis einbringen zu müssen. Er konnte demgemäß nicht von Kontakten zu Arbeitskollegen und der Notwendigkeit, sich im Erwerbsleben zurechtfinden zu müssen und sich verständlich zu machen, profitieren. Eine „Erwerbsteilnahme“ im Sinne der oben wiedergegebenen Ausführungen in der Kommentierung von Berlit gab es daher nie. Infolge seiner Erwerbsunfähigkeit bestand für ihn keine Möglichkeit, sich über die normalen Anforderungen einer Erwerbstätigkeit sprachlich und sozial in die hiesigen Lebensverhältnisse zu integrieren. Insofern verwundert auch nicht, dass er nach den glaubhaften Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seit seiner Einreise sehr zurückgezogen und ohne nennenswerte soziale Kontakte zu Deutschen lebt.

Nach alldem sind die Lebensbedingungen und die aktuelle Lebenssituation des Klägers maßgeblich dadurch geprägt, dass er noch nie in seinem Leben in beachtlicher Weise geistig gefordert war.

Dem Senat erschließt sich nicht, woran in einem solchen Fall die Erwartung anknüpfen sollte, der Kläger sei ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters und unter Berücksichtigung seiner ganz persönlichen Lebensumstände gegenwärtig in der Lage, erstmals in seinem Leben eine Fremdsprache so zu erlernen, dass er dem seit 2007 verschärften Anforderungsniveau gerecht wird und zudem die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, die ihrerseits ein gewisses Sprachverständnis und die Fähigkeit, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge erfassen zu können, voraussetzen. Die Schlussfolgerung, dass es dem 71-jährigen Kläger nicht mehr gelingen wird, sich die geforderten Kenntnisse anzueignen, liegt so nahe, dass es ihrer Bestätigung durch Einholung eines (amts-)ärztlichen Gutachtens nicht bedarf.

Soweit die Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die Nichtnutzung der Möglichkeit hingewiesen hat, sich in jüngeren Jahren in Volkshochschulkursen Sprachkenntnisse anzueignen, ist weder geklärt, ob es ein solches Angebot für kurdisch sprechende Interessenten gegeben hat, noch ist dies entscheidungserheblich. Denn es kommt – wie ausgeführt – nicht darauf an, ob der Kläger in der Vergangenheit versäumt hat, ihm offenstehende Möglichkeiten, Sprachkenntnisse zu erwerben, zu nutzen, sondern entscheidend ist, dass angesichts seines fortgeschrittenen – typischerweise mit schwindender Lernfähigkeit verbundenen – Lebensalters und seiner gesamten Lebensumstände nicht angenommen werden kann, dass er heute noch über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt.

Die weitere rechtliche Argumentation der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, die im Rahmen von Ermessenseinbürgerungen bestehenden Möglichkeiten, Einbürgerungsbewerbern unter bestimmten Voraussetzungen Privilegierungen zukommen zu lassen, wären sinnlos und gesetzestechnisch unverständlich, wenn § 10 Abs. 6 StAG das „Ersitzen“ einer Anspruchseinbürgerung ermöglichen würde, geht ebenfalls fehl. Wie ausgeführt bedarf es im Rahmen des Ausnahmetatbestandes des Absatzes 6 einer konkreten Einzelfallbetrachtung, die nicht nur das jeweilige Alter in den Blick nimmt, sondern unter Würdigung aller für und gegen ein (Fort-)Bestehen hinreichender Lernfähigkeit sprechenden persönlichen Lebensumstände entweder den Schluss rechtfertigt, dass ungeachtet des fortgeschrittenen Alters noch eine ausreichende Lernfähigkeit besteht oder eben nicht erwartet werden kann. Mit „Ersitzen“ hat diese Regelung nichts zu tun.

Da der Kläger als Asylberechtigter anerkannt ist, ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 6 StAG von der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG (Aufgabe oder Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit) abzusehen.

Die Berufung des Klägers ist nach alldem mit seinem im Hauptantrag verfolgten Begehren, ihn einzubürgern, erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Der Senat hat im Einklang mit der einhelligen Rechtsprechung eine Einzelfallentscheidung getroffen.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 10.000,-- Euro festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 42.1 der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts unterliegt der Abänderung, denn die auf Einbürgerung des Klägers gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht auf der Grundlage des § 10 StAG ein Anspruch auf Einbürgerung zu. Der dies verkennende Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist daher aufzuheben und gleichzeitig ist der Beklagte zu verpflichten, den Kläger einzubürgern.

§ 10 StAG legt fest, unter welchen Voraussetzungen ein Einbürgerungsbewerber einen Anspruch auf Einbürgerung hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger mit Ausnahme der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit Absatz 4 Satz 1 der Vorschrift geforderten Kenntnisse der deutschen Sprache und der nach Absatz 1 Nr. 7 der Vorschrift erforderlichen Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland. Sowohl hinsichtlich der geforderten Sprachkenntnisse als auch hinsichtlich der staatsbürgerlichen Kenntnisse enthält § 10 Abs. 6 StAG eine Ausnahmevorschrift, nach welcher von diesen Anforderungen abzusehen ist, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann. Aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des gesamten Akteninhalts hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG altersbedingt nicht erfüllen kann.

Die bisherige Rechtsprechung zu dem am 28.8.2007 in Kraft getretenen Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013 - 19 A 364/10 -, juris Rdnrn. 22 ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011 - 11 K 839/11 -, juris Rdnrn. 30 f.; VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013 - 4 K 1072/11 -, juris Rdnr. 27; ebenso hinsichtlich krankheitsbedingter Einschränkungen: HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013 - 5 A 1390/12.Z -, InfAuslR 2013, 202, 203,) und die einschlägige Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR,  Stand: 28. Erg.lfg. Dezember 2013,  § 10 Rdnr. 406 m.w.N.) stimmen darin überein, dass für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands „altersbedingt nicht erfüllen kann“ allein entscheidend ist, ob der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen nicht mehr abverlangt werden kann. Man ist sich einig, dass das Eingreifen des Ausnahmetatbestands nicht voraussetzt, dass der Einbürgerungsbewerber seine mangelnden Kenntnisse nicht zu vertreten hat.

So hat das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011, a.a.O., Rdnr. 31) ausgeführt, § 10 Abs. 6 stelle nicht darauf ab, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können. Maßgeblich sei allein, ob der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor Gericht wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG nicht mehr erfüllen könne. Die Anwendung des § 10 Abs. 6 StAG scheide deshalb nicht bereits dann aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich bereits seit vielen Jahren/Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich in früherer Zeit die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Erkenntnisse hätte aneignen können; auf ein Vertretenmüssen habe der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt.

Dieser Sichtweise stimmt das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013, a.a.O., juris Rdnrn. 23 ff.(Revision unter Geschäfts-Nr. 5 C 15/13 anhängig, Terminierung noch nicht absehbar)) mit ausführlicher Begründung zu. Für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 10 Abs. 6 StAG sei allein entscheidend, ob die Hinderungsgründe im Zeitpunkt der Einbürgerung vorlägen. Versäumnisse hinsichtlich des Erwerbs der maßgeblichen Kenntnisse in der Vergangenheit würden nicht berücksichtigt. Hierfür spreche der Wortlaut, die historische und genetische sowie die systematische Auslegung der Vorschrift. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden dieser Auslegung nicht entgegen. So stehe der maßgebliche zweite Halbsatz der Vorschrift im Präsens, was aufzeige, dass die gegenwärtige Situation entscheidend sei. Auch die Gesetzesbegründung mache - wie im Einzelnen ausgeführt wird - deutlich, dass der Gesetzgeber auf die gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten der Einbürgerungsbewerber und nicht auf frühere Versäumnisse abstelle. Die Einbürgerungsvoraussetzungen seien neu geregelt worden und hinsichtlich der Anforderungen an ausreichende Sprachkenntnisse deutlich strenger geworden. Gleichzeitig sei erstmalig ein Ausnahmetatbestand in das Gesetz aufgenommen und seien die Einbürgerungsbewerber insoweit begünstigt worden. Diese Ausnahme kompensiere für einen bestimmten Personenkreis die verschärften Anforderungen. In systematischer Hinsicht müsse gesehen werden, dass der Gesetzgeber hinsichtlich des Bezugs von Sozialleistungen in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG ausdrücklich vorgegeben habe, dass dieser einbürgerungshindernd sei, wenn der Einbürgerungsbewerber ihn zu vertreten habe. In Absatz 6 der Vorschrift fehle eine vergleichbare Regelung, was zeige, dass der Gesetzgeber hier nicht auf ein Vertretenmüssen habe abstellen wollen. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden der Unmaßgeblichkeit von Versäumnissen in der Vergangenheit nicht entgegen. Der Gesetzgeber nehme in den geregelten Ausnahmefällen hin, dass die üblicherweise mit einem mindestens achtjährigen Aufenthalt im Inland verbundene Integrationserwartung des Erwerbs ausreichender Sprachkenntnisse nicht erfüllt werde, lasse also insoweit eine Teilintegration ausreichen.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013, a.a.O., S. 203) hat in Bezug auf die Relevanz einer Prüfungsphobie ausgeführt, schon nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 6 StAG komme es hinsichtlich der Frage, ob der Ausländer die Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG wegen einer Krankheit nicht erfüllen könne, nur auf den Zeitpunkt der Einbürgerung an.

Das Verwaltungsgericht Aachen(VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013, a.a.O., Rdnr. 17) sieht den Anknüpfungspunkt der altersbedingten Gründe darin, dass mit zunehmendem Lebensalter regelmäßig die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen. Personen gehobenen Alters solle nicht ausnahmslos abverlangt werden, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Altersgrenze könne allerdings nicht gezogen werden, da Kenntnisse und Fähigkeiten von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben, abhingen. Der Begriff „altersbedingt“ sei daher einzelfallabhängig. Entscheidend sei dabei, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien hingegen unbeachtlich. § 10 Abs. 6 StAG stelle nämlich anders als bei der Unterhaltsfähigkeit nicht auf Vertretenmüssen ab und damit auch nicht darauf, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können.

In der einschlägigen Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnrn. 404 ff.) heißt es zur Problematik, Abs. 6 enthalte eine strikte Pflicht, von den Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 abzusehen, wenn diese wegen Alters oder Behinderung nicht erfüllt werden könnten. Der Gesetzgeber habe ein im Ansatz unflexibles „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ normiert. Die Anforderungen könnten nicht nach Maßgabe des Grades alters- oder behinderungsbedingter Beeinträchtigungen abgesenkt werden. Sie seien entweder vollständig zu erfüllen oder es sei von ihnen vollständig abzusehen. Zwischen dem Alter oder der Behinderung und dem subjektiven Unvermögen des Einbürgerungsbewerbers, die Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 zu erfüllen, müsse eine kausale Verknüpfung bestehen. Abs. 6 stelle Personen nicht allein wegen ihres Alters oder ihrer Behinderung von der Erfüllung der Anforderungen frei. Diese - abschließend benannten Umstände - müssten (nachweislich) Ursache für das Unvermögen sein, diesen Anforderungen zu entsprechen. Die altersbedingten Gründe knüpften daran an, dass - bei einer typisierenden Betrachtungsweise - die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, und es Personen gehobenen Alters auch nicht abverlangt werden solle, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Alters(unter)grenze könne nicht gezogen werden, weil Fähigkeit und - vor allem - abzuverlangende Bereitschaft zum Erwerb zusätzlicher (sprachlicher oder staatsbürgerlicher) Kenntnisse auch abhingen von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem anderweitig erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe (und den dort zu bewältigenden Herausforderungen) sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben. Dieser Ausnahmegrund sei damit offen für eine umfassende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Vor dem Erreichen des 50. Lebensjahres werde regelmäßig indes ein altersbedingtes Unvermögen ausscheiden; ab der Vollendung des 60. Lebensjahres liege es jedenfalls nahe. Eine Übertragung der für § 12 Abs. 1 Nr. 4 StAG für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung „älterer Personen“ zu ziehenden Altersgrenze scheide wegen der funktionalen Verknüpfung von Alter und Unvermögen zur Erfüllung der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 aus. Entscheidend sei allein, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien unbeachtlich.

Nach alldem gehen Rechtsprechung und Kommentarliteratur einvernehmlich davon aus, dass der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG darauf abstellt, ob der Einbürgerungsbewerber die in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 geforderten Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann oder hieran infolge einer Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt gehindert ist, wobei es auf ein etwaiges Vertretenmüssen in Bezug auf Versäumnisse in der Vergangenheit nicht ankommt. In diese Richtung weist insbesondere auch die Formulierung in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, wonach Personen begünstigt werden sollen, die die Anforderungen aufgrund ihres Alters „nicht mehr erfüllen können“.(BT-Drs. 16/5065, S. 229) Dieser Sichtweise stimmt der Senat vollumfänglich zu.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Beschluss vom 2.7.2013 - 11 K 1279/13 -, juris Rdnrn. 3 f.) hat sich kürzlich anlässlich eines Prozesskostenhilfeantrags, den es abgelehnt hat, erneut mit der Problematik befasst und seine oben zitierte Rechtsprechung zum altersbedingten Unvermögen dahingehend präzisiert, dass das Erreichen eines Alters von 67 Jahren für die Annahme, altersbedingt keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache erwerben zu können, allein nicht ausreiche. Denn nicht nur die Krankheit oder Behinderung, sondern auch das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein. Ein hohes Alter führe nicht regelmäßig dazu, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG geforderten Kenntnisse gehindert ist. Der Einbürgerungsbewerber habe deshalb substantiiert darzutun (§ 37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 AufenthG), dass er gerade aufgrund seines Alters nicht (mehr) in der Lage sei, die geforderten Kenntnisse zu erwerben. Dieser Mitwirkungspflicht sei nicht genügt worden.

Dieser Argumentation ist hinsichtlich der Annahme, dass das Erreichen eines bestimmten Alters zur Tatbestandserfüllung nicht ausreiche, weil ein hohes Alter nicht regelmäßig dazu führe, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der geforderten Kenntnisse gehindert ist – zuzustimmen. Die weitere Formulierung, das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein, erscheint indes gemessen am Regelungsgehalt des § 10 Abs. 6 StAG problematisch.

§ 10 Abs. 6 StAG stellt – wie ausgeführt und auch vom Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 2.12.2011 ausdrücklich anerkannt – darauf ab, ob der Einbürgerungsbewerber die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nrn. 6 und 7 im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann. Der Ausnahmetatbestand knüpft nicht an den Umstand an, dass der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen zur Zeit der Antragstellung nicht erfüllt, und befasst sich daher nicht mit der Frage, aus welchen Gründen er diesen Anforderungen derzeit nicht genügt. Tatbestandrelevant ist vielmehr, ob der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen „erfüllen kann“. Entscheidend ist daher, ob er sie erfüllen könnte, wenn er dies wollte und entsprechende Bemühungen zum Erwerb der geforderten Kenntnisse unternähme, oder ob er die Anforderungen infolge krankheits- oder altersbedingter Einschränkungen auch bei Entfalten diesbezüglicher Anstrengungen nicht mehr erfüllen kann. Damit ist einzelfallbezogen zu klären, ob trotz Krankheit oder Behinderung oder fortgeschrittenen Lebensalters unter Berücksichtigung der konkreten Lebensentwicklung und -umstände des Einbürgerungsbewerbers davon auszugehen ist, dass dessen etwaige Bemühungen, Sprachkenntnisse auf dem durch § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG vorgegebenen Niveau sowie die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, erfolgversprechend wären. Bejahendenfalls ist ihm zuzumuten, diese Bemühungen zu unternehmen, wobei sich im Falle eines Nichtbestehens der anschließenden Prüfungen die Frage stellen würde, ob das – behördlicher- bzw. gerichtlicherseits nicht erwartete – Scheitern seine Ursache in unzureichenden Anstrengungen, sonstigen Gründen (z.B. Analphabetismus eines noch lebensjungen Einbürgerungsbewerbers(BVerwG, Urteil vom 27.5.2010 - 5 C 8/09 -, juris)) oder einem der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Gründe hat. Denn es soll – so auch Berlit(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) – Einbürgerungsbewerbern im fortgeschrittenen Lebensalter angesichts der typischerweise im Alter schwindenden Fähigkeit, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, nicht ausnahmslos zugemutet werden, entsprechende Bemühungen, Kenntnisse auf dem geforderten Niveau zu erwerben, zu entfalten. Nach alldem geht es in § 10 Abs. 6 StAG um die Ursache für ein etwaiges Unvermögen, sich fehlende Kenntnisse anzueignen, nicht hingegen – wie das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 2.7.2013 möglicherweise andeuten will und der Beklagte im Einzelnen argumentiert – um die Ursache für den Umstand, dass der Einbürgerungsbewerber die geforderten Kenntnisse aktuell nicht erfüllt. Die vom Beklagten vertretene Kausalitätsbetrachtung geht am Tatbestand des § 10 Abs. 6 StAG vorbei, denn sie setzt an einem falschen Punkt an. Der Beklagte sucht die Ursache der fehlenden Kenntnisse, die er in dem Unterlassen in der Vergangenheit sieht. Nach dem Gesetz ist indes zu klären, ob der Einbürgerungsbewerber aktuell über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt oder eben etwa aufgrund seines Alters nicht mehr verfügt. Entscheidungserheblich ist daher nicht, ob in der Vergangenheit die Möglichkeit des Erwerbs der Kenntnisse bestanden hätte, aber nicht genutzt wurde, sondern allein, ob die geforderten Kenntnisse derzeit aufgrund eines der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Tatbestände nicht mehr erworben werden können. Es trifft nach alldem nicht zu, dass in den Genuss der Ausnahmevorschrift grundsätzlich nur kommen soll, wer erst im hohen Alter eingereist ist.

In rechtlicher Hinsicht ist des Weiteren zu bekräftigen, dass § 10 Abs. 6 StAG kein Ermessen eröffnet. Liegt einer der Ausnahmetatbestände vor, so „ist abzusehen“, d.h. der Einbürgerungsbewerber hat - soweit er die übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt - einen Anspruch darauf, dass er trotz des Fehlens der Kenntnisse eingebürgert wird. § 10 Abs. 6 StAG ist Teil der am 28.8.2007 in Kraft getretenen Neuregelung des Einbürgerungsrechts. Im Gesetzgebungsverfahren war auf Betreiben der Länder erwogen worden, den Ausnahmetatbestand als Ermessensvorschrift auszugestalten, dieser Ansatz konnte sich aber nicht durchsetzen. Diesbezüglich heißt es in der Gesetzesbegründung(BT-Drs. 16/5107, S. 13) : „Die Ermessensregelung in Abs. 6 lehnt die Bundesregierung ab, da bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kein Raum mehr für ein Ermessen der Staatsangehörigkeitsbehörde bleibt. Wenn der Einbürgerungsbewerber aufgrund seiner Behinderung oder seiner altersbedingten Beeinträchtigung den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse oder staatsbürgerlicher Kenntnisse nicht erbringen kann, muss zwingend von diesen Voraussetzungen abgesehen werden.“

Im Rahmen der damit vorzunehmenden Einzelfallprüfung können die Behörden oder das Gericht sich zwar bei Bedarf sachverständiger Hilfe bedienen, müssen dies aber nicht, wenn die konkreten Umstände keinen vernünftigen Zweifel daran lassen, dass einer der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Ausnahmetatbestände erfüllt ist.(so auch Nr. 10.6 der Vorläufigen Anwendungshinweise des BMI vom 17.4.2009) So liegt der Fall hier.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und den sich aus dem Akteninhalt ergebenden Erkenntnissen ist nicht anzunehmen, dass der Kläger in der Lage wäre, sich Kenntnisse der deutschen Sprache in mündlicher und schriftlicher Form auf dem durch § 10 Abs. 4 StAG vorgegebenen Niveau sowie die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG geforderten Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach § 10 Abs. 5 Satz 1 StAG in der Regel durch das Bestehen eines Einbürgerungstests nachzuweisen sind, anzueignen.

Der Kläger ist inzwischen 71 Jahre alt und befindet sich damit in einem Lebensalter, in dem die Fähigkeit, sich neue Kenntnisse anzueignen zwar durchaus bestehen, aber nicht als im Regelfall gegeben unterstellt werden kann.(vgl. hierzu auch Berlit in GK-StAG, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) Seine persönlichen Lebensumstände spielen daher eine maßgebliche Rolle für die Entscheidung der Frage, ob davon ausgegangen werden kann, dass er bei Entfalten entsprechender Bemühungen in der Lage wäre, die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG zu erfüllen.

Nach den Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger nie eine Schule besucht und nie das Lesen und Schreiben gelernt, sondern seit jungen Jahren Arbeit auf dem Feld verrichten müssen. Dass diese Angaben nicht zutreffen könnten, ist nicht anzunehmen. Der Kläger ist 1942 geboren. Dass Ende der vierziger Jahre in den kurdischen Gebieten der Türkei flächendeckend die Möglichkeit oder gar Pflicht bestanden haben könnte, eine Schule zu besuchen, erscheint äußerst fernliegend. Der Senat hegt daher keinen Zweifel daran, dass der Kläger in seinem Herkunftsland, das er im Alter von 48 Jahren verlassen hat, nie eine Schule besucht und auch sonst keine Ausbildung absolviert hat, sondern vielmehr Tätigkeiten nachgegangen ist, die ihn sicherlich weitaus mehr in körperlicher als in geistiger Hinsicht gefordert haben.

Der Sohn des Klägers hat weiter angegeben, bei den ärztlichen Untersuchungen anlässlich der Einreise des Klägers sei die Notwendigkeit mehrerer Operationen festgestellt worden. Entsprechende Behandlungsmöglichkeiten hätten dem Kläger in der Türkei nicht offen gestanden. Trotz allem habe seine Arbeitsfähigkeit nicht wiederhergestellt werden können. Eine Arbeitsaufnahme sei ihm behördlicherseits und seitens seiner Ärzte strikt untersagt worden. Mit diesen Angaben korrespondiert, dass ausweislich Blatt 184 der Verwaltungsakte anlässlich einer auf Betreiben des Sozialamtes der Gemeinde A-Stadt durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung vom 10.12.2001 festgestellt wurde, dass der Kläger auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig und – vorbehaltlich eines Entscheids des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers – erwerbsunfähig ist. Ausweislich Blatt 32 und 33 der Verwaltungsakte hat der sozialmedizinische Dienst der Landesversicherungsanstalt für das Saarland als Rentenversicherungsträger auf ein Ersuchen nach dem Grundsicherungsgesetz mit Schreiben vom 20.5.2003 bestätigt, dass der Kläger unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Damit steht für den Senat außer Zweifel, dass der Kläger sich auch nach seiner Einreise nie in einer Situation befunden hat, in der er gehalten gewesen wäre, sich zwecks Ausübung einer Erwerbstätigkeit gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen, ohne die selbst eine ungelernte Kraft auf dem hiesigen Arbeitsmarkt nicht auskommen kann. Er war mithin – abgesehen von der früheren (sicherlich primär durch körperlichen Einsatz geprägten) Arbeit auf dem Feld – nie in der Situation, Anweisungen und Arbeitsabläufe verstehen, mit anderen arbeitsteilig zusammenarbeiten und sich in einen Kollegenkreis einbringen zu müssen. Er konnte demgemäß nicht von Kontakten zu Arbeitskollegen und der Notwendigkeit, sich im Erwerbsleben zurechtfinden zu müssen und sich verständlich zu machen, profitieren. Eine „Erwerbsteilnahme“ im Sinne der oben wiedergegebenen Ausführungen in der Kommentierung von Berlit gab es daher nie. Infolge seiner Erwerbsunfähigkeit bestand für ihn keine Möglichkeit, sich über die normalen Anforderungen einer Erwerbstätigkeit sprachlich und sozial in die hiesigen Lebensverhältnisse zu integrieren. Insofern verwundert auch nicht, dass er nach den glaubhaften Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seit seiner Einreise sehr zurückgezogen und ohne nennenswerte soziale Kontakte zu Deutschen lebt.

Nach alldem sind die Lebensbedingungen und die aktuelle Lebenssituation des Klägers maßgeblich dadurch geprägt, dass er noch nie in seinem Leben in beachtlicher Weise geistig gefordert war.

Dem Senat erschließt sich nicht, woran in einem solchen Fall die Erwartung anknüpfen sollte, der Kläger sei ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters und unter Berücksichtigung seiner ganz persönlichen Lebensumstände gegenwärtig in der Lage, erstmals in seinem Leben eine Fremdsprache so zu erlernen, dass er dem seit 2007 verschärften Anforderungsniveau gerecht wird und zudem die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, die ihrerseits ein gewisses Sprachverständnis und die Fähigkeit, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge erfassen zu können, voraussetzen. Die Schlussfolgerung, dass es dem 71-jährigen Kläger nicht mehr gelingen wird, sich die geforderten Kenntnisse anzueignen, liegt so nahe, dass es ihrer Bestätigung durch Einholung eines (amts-)ärztlichen Gutachtens nicht bedarf.

Soweit die Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die Nichtnutzung der Möglichkeit hingewiesen hat, sich in jüngeren Jahren in Volkshochschulkursen Sprachkenntnisse anzueignen, ist weder geklärt, ob es ein solches Angebot für kurdisch sprechende Interessenten gegeben hat, noch ist dies entscheidungserheblich. Denn es kommt – wie ausgeführt – nicht darauf an, ob der Kläger in der Vergangenheit versäumt hat, ihm offenstehende Möglichkeiten, Sprachkenntnisse zu erwerben, zu nutzen, sondern entscheidend ist, dass angesichts seines fortgeschrittenen – typischerweise mit schwindender Lernfähigkeit verbundenen – Lebensalters und seiner gesamten Lebensumstände nicht angenommen werden kann, dass er heute noch über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt.

Die weitere rechtliche Argumentation der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, die im Rahmen von Ermessenseinbürgerungen bestehenden Möglichkeiten, Einbürgerungsbewerbern unter bestimmten Voraussetzungen Privilegierungen zukommen zu lassen, wären sinnlos und gesetzestechnisch unverständlich, wenn § 10 Abs. 6 StAG das „Ersitzen“ einer Anspruchseinbürgerung ermöglichen würde, geht ebenfalls fehl. Wie ausgeführt bedarf es im Rahmen des Ausnahmetatbestandes des Absatzes 6 einer konkreten Einzelfallbetrachtung, die nicht nur das jeweilige Alter in den Blick nimmt, sondern unter Würdigung aller für und gegen ein (Fort-)Bestehen hinreichender Lernfähigkeit sprechenden persönlichen Lebensumstände entweder den Schluss rechtfertigt, dass ungeachtet des fortgeschrittenen Alters noch eine ausreichende Lernfähigkeit besteht oder eben nicht erwartet werden kann. Mit „Ersitzen“ hat diese Regelung nichts zu tun.

Da der Kläger als Asylberechtigter anerkannt ist, ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 6 StAG von der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG (Aufgabe oder Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit) abzusehen.

Die Berufung des Klägers ist nach alldem mit seinem im Hauptantrag verfolgten Begehren, ihn einzubürgern, erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Der Senat hat im Einklang mit der einhelligen Rechtsprechung eine Einzelfallentscheidung getroffen.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 10.000,-- Euro festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 42.1 der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 19. Dezember 2012 wird der Bescheid des Beklagten vom 24. Mai 2011 aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Kläger einzubürgern.

Die Kosten des Verfahrens fallen dem Beklagten zur Last.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger, ein 1942 geborener türkischer Staatsangehöriger, der seit 1990 mit seiner Ehefrau im Bundesgebiet lebt und 1993 als Asylberechtigter anerkannt wurde, begehrt seine Einbürgerung.

Er verfügt seit 1993 über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und seit 2009 über eine Niederlassungserlaubnis. Durch amtsärztliche Untersuchung vom 10.12.2001 wurde - vorbehaltlich des Entscheids des Rentenversicherungsträgers - Erwerbsunfähigkeit festgestellt. In einer im Rahmen der Überprüfung eines Anspruchs auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ausgestellten Bescheinigung der Landesversicherungsanstalt für das Saarland vom 20.5.2003 ist festgehalten, dass der Kläger unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert ist und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Er bestreitet seinen Unterhalt seit seiner Einreise durch den Bezug von Sozialleistungen.

Am 8.1.2010 beantragten der Kläger und seine Ehefrau ihre Einbürgerung. Beigefügt war ein Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten, in dem es u.a. heißt, der Kläger und seine Ehefrau verfügten zwar weder über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache noch über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG. Von diesen Voraussetzungen sei aber gemäß § 10 Abs. 6 StAG abzusehen, weil sie altersbedingt nicht erfüllt werden könnten.

In einer Stellungnahme der Wohnsitzgemeinde vom 13.1.2010 heißt es, der Kläger spreche gebrochen deutsch und seine Ehefrau sei Analphabetin.

Durch Bescheid vom 24.5.2011, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 26.5.2011, lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Hinweis auf die fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache und der Rechts- und Gesellschaftsordnung ab. Der Kläger sei mit 48 Jahren in das Bundesgebiet eingereist. Angesichts der seither verstrichenen 20 Jahre lägen Anhaltspunkte für ein „Ersitzen“ der Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 6 StAG vor. Ein solches „Hineinwachsen“ in das altersbedingte Unvermögen ohne ausreichende Bemühungen könne nur in Betracht kommen, wenn krankheitsbedingt für den Nichterwerb der Kenntnisse ursächliche Einschränkungen vorlägen, was durch entsprechende medizinische Nachweise zu belegen sei. Solche Nachweise seien trotz Anforderung nicht vorgelegt worden. Zudem stehe der Kläger seit seiner Einreise im Sozialhilfebezug, so dass auch eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG nicht in Betracht komme.

Hiergegen hat der Kläger am 27.6.2011, einem Montag, Klage erhoben und ausgeführt, dass im Rahmen der Prüfung nach § 10 Abs. 6 StAG nicht von Bedeutung sei, ob der Ausländer die Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 StAG mit Blick auf seinen jahrelangen Aufenthalt im Inland zu vertreten habe. Entscheidend sei, dass er sie altersbedingt nicht mehr erfüllen könne. Zudem sei offenkundig, dass er, der nie im Leben eine Schule besucht habe, diesen Voraussetzungen nicht gerecht werden könne. Hinsichtlich des Sozialhilfebezugs habe er mit dem Einbürgerungsantrag ein Attest vorgelegt, aus dem ersichtlich sei, dass er seit seiner Einreise aufgrund mehrerer Operationen sozialrechtlich als nicht erwerbsfähig geführt werde. Er habe den Sozialhilfebezug daher nicht zu vertreten.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn einzubürgern,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen,
äußerst hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Ausführungen zur Begründung seines Bescheids bekräftigt, nach denen die Voraussetzungen weder einer Anspruchs- noch einer Ermessenseinbürgerung vorlägen. Dem Kläger sei trotz seines Analphabetismus zumutbar gewesen und noch zumutbar, durch entsprechende Kurse das geforderte Sprachniveau zu erreichen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 19.12.2012 abgewiesen. Der Bezug von Sozialleistungen stehe der Einbürgerung nicht entgegen, da der Kläger die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel angesichts seiner vollen Erwerbsunfähigkeit nicht zu vertreten habe. Ein Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG scheitere jedoch an den mangelnden Kenntnissen der deutschen Sprache bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse in Deutschland. Der Kläger könne sich insoweit nicht auf das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes nach § 10 Abs. 6 StAG berufen. Zwar scheide die Anwendung dieser Vorschrift nicht bereits aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich schon seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich die von § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Kenntnisse in früherer Zeit hätte aneignen können, denn auf ein Vertretenmüssen habe der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt. Dennoch greife die Ausnahmevorschrift nicht ein, weil die Ursache des Unvermögens des Klägers nicht in einem der dort aufgeführten Gründe liege. Er habe keine bestehende Erkrankung, Behinderung oder altersbedingte Beeinträchtigung, die das Erlernen der deutschen Sprache unmöglich mache, nachgewiesen. Analphabetismus sei keine Krankheit oder Behinderung im Sinne der Vorschrift und stelle in Anbetracht der Gesamtumstände ebenso wenig wie das Lebensalter einen Grund dar, der es rechtfertigen könnte, auf jegliche Sprachkenntnisse zu verzichten. Auch die Verwaltungspraxis des Beklagten, bei Einbürgerungsbewerbern, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und erst im höheren Lebensalter eingereist sind, ohne gesonderten Nachweis durch Attest von einem altersbedingten Unvermögen auszugehen, könne dem Kläger, der bereits mit 48 Jahren eingereist sei, nicht weiterhelfen. Eine Einbürgerung nach § 10 StAG sei daher ausgeschlossen und eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG scheitere daran, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen bestreiten könne, was einer Ermessenseinbürgerung unabhängig von der Frage des Vertretenmüssens entgegenstehe, sowie am Nichtvorliegen der Voraussetzungen eines öffentlichen Interesses bzw. einer besonderen Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG.

Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22.1.2013 zugestellt.

Am 13.2.2013 beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung und begründete diesen Antrag. Durch Beschluss vom 11.4.2013, dem Kläger zugestellt am 16.4.2013, hat der Senat die Berufung zugelassen.

Der Kläger hat seine Berufung am 15.5.2013 begründet. Er vertieft seine Auffassung, dass in seinem Fall nach § 10 Abs. 6 StAG von den Einbürgerungsvoraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 der Vorschrift mit Blick auf sein Alter und das dadurch bedingte Unvermögen, sich die notwendigen Kenntnisse noch anzueignen, abzusehen sei. Allein entscheidend sei, dass der Hinderungsgrund des altersbedingten Unvermögens im Zeitpunkt der Einbürgerung vorliege. Dabei sei nicht erforderlich, dass – neben dem Alter – irgendwelche „vom Lebensalter herrührenden Beeinträchtigungen“ bestünden. Es komme nicht darauf an, ob in früheren Zeiten ein Erlernen möglich gewesen wäre. Dies ergebe sich aus dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens und der Gesetzesbegründung sowie dem Wortlaut, der Systematik und Sinn und Zweck der Regelungen in § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 und Abs. 6 StAG. Da es auf Vertretenmüssen nicht ankomme, dürfe die Frage nach der Ursache des altersbedingten Unvermögens nicht gestellt werden. Insbesondere dürfe nicht argumentiert werden, dass die Ursache für die fehlenden Kenntnisse des Klägers das Nichtbeheben seines Analphabetismus, das Nichterlernen der deutschen Sprache und das Nichterlangen staatsbürgerlicher Kenntnisse sei. Andernfalls werde auf zurechenbares Handeln oder Unterlassen des Klägers, mithin auf das Vertretenmüssen, abgestellt. Da das Gesetz keine starre Altersgrenze vorgebe, sei eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen. Der mittlerweile 71-jährige Kläger, der primärer Analphabet sei, könne ganz offensichtlich altersbedingt die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG nicht mehr erfüllen, ohne dass dies gesondert nachgewiesen werden müsse. Dies werde beklagtenseits nicht bestritten und könne auch nicht ernstlich bestritten werden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 19.12.2012 den Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn einzubürgern,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen,
äußerst hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er meint, eine Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 6 StAG scheitere am Fehlen des Tatbestandsmerkmals „altersbedingt“ und hält diesbezüglich daran fest, dass ein altersbedingtes Unvermögen im Sinne der Ausnahmevorschrift voraussetze, dass der Einbürgerungsbewerber schon im Zeitpunkt der Einreise lebensälter und daher nicht in der Lage war, sich innerhalb der erforderlichen Aufenthaltsdauer von acht Jahren staatsbürgerliche Kenntnisse und Sprachkenntnisse auf dem geforderten Niveau B 1 anzueignen und daher das in acht Jahren regelmäßig erreichbare Integrationsmaß nicht erlangen könne. Nur in solchen Fällen sei es Verwaltungspraxis, die Ausnahmeregelung anzuwenden. Personen, die in jüngeren Jahren eingereist seien und von daher ausreichend Möglichkeit gehabt hätten, die deutsche Sprache zu erlernen, müssten hingegen bei Antragstellung im fortgeschrittenen Alter gerade infolge ihres Alters in Bezug auf die Voraussetzungen der Nrn. 6 und 7 „gehandicapt“ sein und das Unvermögen, die entsprechenden Tests – etwa wegen Nachlassens der kognitiven/geistigen Leistungsfähigkeit – zu absolvieren, konkret nachweisen. Eine Regelvermutung allein auf Grund des Erreichens eines bestimmten Alters sei hier nicht angezeigt und - da im Gesetz nicht festgeschrieben - vom Gesetzgeber nicht gewollt. Angezeigt sei vielmehr eine „flexible Einzelfallbetrachtung“, was sich auch dadurch rechtfertige, dass es in der täglichen Praxis immer wieder Einbürgerungsbewerber gebe, die den Einbürgerungstest und den Sprachtest noch mit über 70 Jahren erfolgreich ablegen. Auch die historische Auslegung der Norm spreche für diese Sichtweise. So habe das Gesetz bis ins Jahr 2000 im Rahmen der Anspruchseinbürgerung überhaupt keine Deutschnachweise gefordert, in den Jahren 2000 – 2007 seien Sprachkenntnisse auf dem leichteren Niveau A 2 erforderlich gewesen und bei der Gesetzesreform 2007 habe der Gesetzgeber sich nochmals bewusst für eine Verschärfung der sprachlichen Anforderungen auf das Niveau B 1 entschieden. Er sei davon ausgegangen, dass die Sprachkenntnisse der unverzichtbare Grundstein einer jeden sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Integration sei, weswegen es völlig widersinnig wäre, anzunehmen, er habe von dieser grundlegenden Integrationsanforderung gerade solche Personen ausnehmen wollen, die seit vielen Jahren und Jahrzehnten in Deutschland leben, ohne sich um hinreichende Sprachkenntnisse und damit die Grundvoraussetzung einer Integration zu bemühen. Gleichzeitig habe der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen, dass manche, aber bei weitem nicht alle Menschen im Alter geistig/kognitiv abbauen und deshalb in § 10 Abs. 6 ein Absehen von den Sprach- und staatsbürgerlichen Kenntnissen vorgesehen, wenn die Betroffenen diese auf Grund altersbedingter Beeinträchtigungen jetzt nicht mehr erbringen können. Dass die Ausnahmevorschrift im Präsens formuliert ist, sei vor allem den Ausnahmevarianten der körperlichen, geistigen oder seelischen Erkrankung oder Behinderung geschuldet. Der Gesetzgeber habe ihrer Natur nach unterschiedliche Ansatzpunkte in dieser Ausnahmeregelung zusammengefasst. Hinsichtlich der Variante „altersbedingtes Unvermögen“ sei unabhängig vom Grund der fehlenden Kenntnisse Anknüpfungspunkt zwar das Alter des Einbürgerungsbewerbers im Zeitpunkt der Antragstellung, wobei dieses je nach Konstellation die Vermutung des Unvermögens begründe oder dem Einbürgerungsbewerber den Weg eröffne, sein Unvermögen individuell nachzuweisen und auf dieser Grundlage von der Notwendigkeit, die entsprechenden Tests zu bestehen, entbunden zu werden. Das Unvermögen müsse seinen Grund in einer vom Lebensalter herrührenden Beeinträchtigung haben. Wenn der Grund für die fehlenden Kenntnisse ein anderer sei, sei er eben nicht „altersbedingt“ und somit nicht tatbestandsbegründend. Allein so verstanden sei die gesetzliche Regelung in sich schlüssig und stehe im Einklang mit dem Reformansatz und der Ziel- und Grundvorstellung des Gesetzgebers. Nur bei diesem Verständnis sei auch die vom Gesetzgeber ausnahmsweise als ausreichend angesehene „Teilintegration“ aus übergeordneten Erwägungen nachvollziehbar und rechtfertige ein Zurücktreten des gesellschaftspolitischen Integrationsinteresses zu Gunsten des individuellen Einbürgerungsinteresses. Gemessen hieran könne dem Kläger die Ausnahmevorschrift nur zugute kommen, wenn er den individuellen Nachweis altersbedingten Unvermögens führen würde. Zutreffend sei, dass es im Rahmen des § 10 Abs. 6 StAG nicht auf ein Verschulden ankomme, vielmehr gehe es um die vorwurfsfreie und wertneutrale Ursächlichkeitsfrage nach dem Grund der fehlenden Sprach- und staatsbürgerlichen Kenntnisse. Sei der Grund für die fehlenden Kenntnisse nicht eine altersbedingte Beeinträchtigung, sondern etwa ein früheres Unterlassen, so sei der Tatbestand der Ausnahmevorschrift nicht erfüllt. Fallbezogen sei daher entscheidend, dass Ursache für die fehlenden Kenntnisse des Klägers das Nichtbeheben seines Analphabetismus, das Nichterlernen der deutschen Sprache und das Nichterlangen staatsbürgerlicher Kenntnisse seit seiner Einreise im Jahr 1990 sei und nicht eine jetzige altersbedingte Beeinträchtigung. Dass ihn heute altersbedingte Beeinträchtigungen daran hinderten, diese Versäumnisse nachzuholen, habe er nicht vorgetragen und erst recht nicht nachgewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten ( 1 Ordner), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts unterliegt der Abänderung, denn die auf Einbürgerung des Klägers gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht auf der Grundlage des § 10 StAG ein Anspruch auf Einbürgerung zu. Der dies verkennende Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist daher aufzuheben und gleichzeitig ist der Beklagte zu verpflichten, den Kläger einzubürgern.

§ 10 StAG legt fest, unter welchen Voraussetzungen ein Einbürgerungsbewerber einen Anspruch auf Einbürgerung hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger mit Ausnahme der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit Absatz 4 Satz 1 der Vorschrift geforderten Kenntnisse der deutschen Sprache und der nach Absatz 1 Nr. 7 der Vorschrift erforderlichen Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland. Sowohl hinsichtlich der geforderten Sprachkenntnisse als auch hinsichtlich der staatsbürgerlichen Kenntnisse enthält § 10 Abs. 6 StAG eine Ausnahmevorschrift, nach welcher von diesen Anforderungen abzusehen ist, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann. Aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des gesamten Akteninhalts hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG altersbedingt nicht erfüllen kann.

Die bisherige Rechtsprechung zu dem am 28.8.2007 in Kraft getretenen Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013 - 19 A 364/10 -, juris Rdnrn. 22 ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011 - 11 K 839/11 -, juris Rdnrn. 30 f.; VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013 - 4 K 1072/11 -, juris Rdnr. 27; ebenso hinsichtlich krankheitsbedingter Einschränkungen: HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013 - 5 A 1390/12.Z -, InfAuslR 2013, 202, 203,) und die einschlägige Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR,  Stand: 28. Erg.lfg. Dezember 2013,  § 10 Rdnr. 406 m.w.N.) stimmen darin überein, dass für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands „altersbedingt nicht erfüllen kann“ allein entscheidend ist, ob der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen nicht mehr abverlangt werden kann. Man ist sich einig, dass das Eingreifen des Ausnahmetatbestands nicht voraussetzt, dass der Einbürgerungsbewerber seine mangelnden Kenntnisse nicht zu vertreten hat.

So hat das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011, a.a.O., Rdnr. 31) ausgeführt, § 10 Abs. 6 stelle nicht darauf ab, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können. Maßgeblich sei allein, ob der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor Gericht wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG nicht mehr erfüllen könne. Die Anwendung des § 10 Abs. 6 StAG scheide deshalb nicht bereits dann aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich bereits seit vielen Jahren/Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich in früherer Zeit die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Erkenntnisse hätte aneignen können; auf ein Vertretenmüssen habe der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt.

Dieser Sichtweise stimmt das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013, a.a.O., juris Rdnrn. 23 ff.(Revision unter Geschäfts-Nr. 5 C 15/13 anhängig, Terminierung noch nicht absehbar)) mit ausführlicher Begründung zu. Für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 10 Abs. 6 StAG sei allein entscheidend, ob die Hinderungsgründe im Zeitpunkt der Einbürgerung vorlägen. Versäumnisse hinsichtlich des Erwerbs der maßgeblichen Kenntnisse in der Vergangenheit würden nicht berücksichtigt. Hierfür spreche der Wortlaut, die historische und genetische sowie die systematische Auslegung der Vorschrift. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden dieser Auslegung nicht entgegen. So stehe der maßgebliche zweite Halbsatz der Vorschrift im Präsens, was aufzeige, dass die gegenwärtige Situation entscheidend sei. Auch die Gesetzesbegründung mache - wie im Einzelnen ausgeführt wird - deutlich, dass der Gesetzgeber auf die gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten der Einbürgerungsbewerber und nicht auf frühere Versäumnisse abstelle. Die Einbürgerungsvoraussetzungen seien neu geregelt worden und hinsichtlich der Anforderungen an ausreichende Sprachkenntnisse deutlich strenger geworden. Gleichzeitig sei erstmalig ein Ausnahmetatbestand in das Gesetz aufgenommen und seien die Einbürgerungsbewerber insoweit begünstigt worden. Diese Ausnahme kompensiere für einen bestimmten Personenkreis die verschärften Anforderungen. In systematischer Hinsicht müsse gesehen werden, dass der Gesetzgeber hinsichtlich des Bezugs von Sozialleistungen in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG ausdrücklich vorgegeben habe, dass dieser einbürgerungshindernd sei, wenn der Einbürgerungsbewerber ihn zu vertreten habe. In Absatz 6 der Vorschrift fehle eine vergleichbare Regelung, was zeige, dass der Gesetzgeber hier nicht auf ein Vertretenmüssen habe abstellen wollen. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden der Unmaßgeblichkeit von Versäumnissen in der Vergangenheit nicht entgegen. Der Gesetzgeber nehme in den geregelten Ausnahmefällen hin, dass die üblicherweise mit einem mindestens achtjährigen Aufenthalt im Inland verbundene Integrationserwartung des Erwerbs ausreichender Sprachkenntnisse nicht erfüllt werde, lasse also insoweit eine Teilintegration ausreichen.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013, a.a.O., S. 203) hat in Bezug auf die Relevanz einer Prüfungsphobie ausgeführt, schon nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 6 StAG komme es hinsichtlich der Frage, ob der Ausländer die Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG wegen einer Krankheit nicht erfüllen könne, nur auf den Zeitpunkt der Einbürgerung an.

Das Verwaltungsgericht Aachen(VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013, a.a.O., Rdnr. 17) sieht den Anknüpfungspunkt der altersbedingten Gründe darin, dass mit zunehmendem Lebensalter regelmäßig die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen. Personen gehobenen Alters solle nicht ausnahmslos abverlangt werden, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Altersgrenze könne allerdings nicht gezogen werden, da Kenntnisse und Fähigkeiten von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben, abhingen. Der Begriff „altersbedingt“ sei daher einzelfallabhängig. Entscheidend sei dabei, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien hingegen unbeachtlich. § 10 Abs. 6 StAG stelle nämlich anders als bei der Unterhaltsfähigkeit nicht auf Vertretenmüssen ab und damit auch nicht darauf, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können.

In der einschlägigen Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnrn. 404 ff.) heißt es zur Problematik, Abs. 6 enthalte eine strikte Pflicht, von den Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 abzusehen, wenn diese wegen Alters oder Behinderung nicht erfüllt werden könnten. Der Gesetzgeber habe ein im Ansatz unflexibles „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ normiert. Die Anforderungen könnten nicht nach Maßgabe des Grades alters- oder behinderungsbedingter Beeinträchtigungen abgesenkt werden. Sie seien entweder vollständig zu erfüllen oder es sei von ihnen vollständig abzusehen. Zwischen dem Alter oder der Behinderung und dem subjektiven Unvermögen des Einbürgerungsbewerbers, die Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 zu erfüllen, müsse eine kausale Verknüpfung bestehen. Abs. 6 stelle Personen nicht allein wegen ihres Alters oder ihrer Behinderung von der Erfüllung der Anforderungen frei. Diese - abschließend benannten Umstände - müssten (nachweislich) Ursache für das Unvermögen sein, diesen Anforderungen zu entsprechen. Die altersbedingten Gründe knüpften daran an, dass - bei einer typisierenden Betrachtungsweise - die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, und es Personen gehobenen Alters auch nicht abverlangt werden solle, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Alters(unter)grenze könne nicht gezogen werden, weil Fähigkeit und - vor allem - abzuverlangende Bereitschaft zum Erwerb zusätzlicher (sprachlicher oder staatsbürgerlicher) Kenntnisse auch abhingen von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem anderweitig erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe (und den dort zu bewältigenden Herausforderungen) sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben. Dieser Ausnahmegrund sei damit offen für eine umfassende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Vor dem Erreichen des 50. Lebensjahres werde regelmäßig indes ein altersbedingtes Unvermögen ausscheiden; ab der Vollendung des 60. Lebensjahres liege es jedenfalls nahe. Eine Übertragung der für § 12 Abs. 1 Nr. 4 StAG für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung „älterer Personen“ zu ziehenden Altersgrenze scheide wegen der funktionalen Verknüpfung von Alter und Unvermögen zur Erfüllung der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 aus. Entscheidend sei allein, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien unbeachtlich.

Nach alldem gehen Rechtsprechung und Kommentarliteratur einvernehmlich davon aus, dass der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG darauf abstellt, ob der Einbürgerungsbewerber die in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 geforderten Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann oder hieran infolge einer Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt gehindert ist, wobei es auf ein etwaiges Vertretenmüssen in Bezug auf Versäumnisse in der Vergangenheit nicht ankommt. In diese Richtung weist insbesondere auch die Formulierung in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, wonach Personen begünstigt werden sollen, die die Anforderungen aufgrund ihres Alters „nicht mehr erfüllen können“.(BT-Drs. 16/5065, S. 229) Dieser Sichtweise stimmt der Senat vollumfänglich zu.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Beschluss vom 2.7.2013 - 11 K 1279/13 -, juris Rdnrn. 3 f.) hat sich kürzlich anlässlich eines Prozesskostenhilfeantrags, den es abgelehnt hat, erneut mit der Problematik befasst und seine oben zitierte Rechtsprechung zum altersbedingten Unvermögen dahingehend präzisiert, dass das Erreichen eines Alters von 67 Jahren für die Annahme, altersbedingt keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache erwerben zu können, allein nicht ausreiche. Denn nicht nur die Krankheit oder Behinderung, sondern auch das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein. Ein hohes Alter führe nicht regelmäßig dazu, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG geforderten Kenntnisse gehindert ist. Der Einbürgerungsbewerber habe deshalb substantiiert darzutun (§ 37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 AufenthG), dass er gerade aufgrund seines Alters nicht (mehr) in der Lage sei, die geforderten Kenntnisse zu erwerben. Dieser Mitwirkungspflicht sei nicht genügt worden.

Dieser Argumentation ist hinsichtlich der Annahme, dass das Erreichen eines bestimmten Alters zur Tatbestandserfüllung nicht ausreiche, weil ein hohes Alter nicht regelmäßig dazu führe, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der geforderten Kenntnisse gehindert ist – zuzustimmen. Die weitere Formulierung, das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein, erscheint indes gemessen am Regelungsgehalt des § 10 Abs. 6 StAG problematisch.

§ 10 Abs. 6 StAG stellt – wie ausgeführt und auch vom Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 2.12.2011 ausdrücklich anerkannt – darauf ab, ob der Einbürgerungsbewerber die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nrn. 6 und 7 im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann. Der Ausnahmetatbestand knüpft nicht an den Umstand an, dass der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen zur Zeit der Antragstellung nicht erfüllt, und befasst sich daher nicht mit der Frage, aus welchen Gründen er diesen Anforderungen derzeit nicht genügt. Tatbestandrelevant ist vielmehr, ob der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen „erfüllen kann“. Entscheidend ist daher, ob er sie erfüllen könnte, wenn er dies wollte und entsprechende Bemühungen zum Erwerb der geforderten Kenntnisse unternähme, oder ob er die Anforderungen infolge krankheits- oder altersbedingter Einschränkungen auch bei Entfalten diesbezüglicher Anstrengungen nicht mehr erfüllen kann. Damit ist einzelfallbezogen zu klären, ob trotz Krankheit oder Behinderung oder fortgeschrittenen Lebensalters unter Berücksichtigung der konkreten Lebensentwicklung und -umstände des Einbürgerungsbewerbers davon auszugehen ist, dass dessen etwaige Bemühungen, Sprachkenntnisse auf dem durch § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG vorgegebenen Niveau sowie die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, erfolgversprechend wären. Bejahendenfalls ist ihm zuzumuten, diese Bemühungen zu unternehmen, wobei sich im Falle eines Nichtbestehens der anschließenden Prüfungen die Frage stellen würde, ob das – behördlicher- bzw. gerichtlicherseits nicht erwartete – Scheitern seine Ursache in unzureichenden Anstrengungen, sonstigen Gründen (z.B. Analphabetismus eines noch lebensjungen Einbürgerungsbewerbers(BVerwG, Urteil vom 27.5.2010 - 5 C 8/09 -, juris)) oder einem der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Gründe hat. Denn es soll – so auch Berlit(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) – Einbürgerungsbewerbern im fortgeschrittenen Lebensalter angesichts der typischerweise im Alter schwindenden Fähigkeit, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, nicht ausnahmslos zugemutet werden, entsprechende Bemühungen, Kenntnisse auf dem geforderten Niveau zu erwerben, zu entfalten. Nach alldem geht es in § 10 Abs. 6 StAG um die Ursache für ein etwaiges Unvermögen, sich fehlende Kenntnisse anzueignen, nicht hingegen – wie das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 2.7.2013 möglicherweise andeuten will und der Beklagte im Einzelnen argumentiert – um die Ursache für den Umstand, dass der Einbürgerungsbewerber die geforderten Kenntnisse aktuell nicht erfüllt. Die vom Beklagten vertretene Kausalitätsbetrachtung geht am Tatbestand des § 10 Abs. 6 StAG vorbei, denn sie setzt an einem falschen Punkt an. Der Beklagte sucht die Ursache der fehlenden Kenntnisse, die er in dem Unterlassen in der Vergangenheit sieht. Nach dem Gesetz ist indes zu klären, ob der Einbürgerungsbewerber aktuell über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt oder eben etwa aufgrund seines Alters nicht mehr verfügt. Entscheidungserheblich ist daher nicht, ob in der Vergangenheit die Möglichkeit des Erwerbs der Kenntnisse bestanden hätte, aber nicht genutzt wurde, sondern allein, ob die geforderten Kenntnisse derzeit aufgrund eines der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Tatbestände nicht mehr erworben werden können. Es trifft nach alldem nicht zu, dass in den Genuss der Ausnahmevorschrift grundsätzlich nur kommen soll, wer erst im hohen Alter eingereist ist.

In rechtlicher Hinsicht ist des Weiteren zu bekräftigen, dass § 10 Abs. 6 StAG kein Ermessen eröffnet. Liegt einer der Ausnahmetatbestände vor, so „ist abzusehen“, d.h. der Einbürgerungsbewerber hat - soweit er die übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt - einen Anspruch darauf, dass er trotz des Fehlens der Kenntnisse eingebürgert wird. § 10 Abs. 6 StAG ist Teil der am 28.8.2007 in Kraft getretenen Neuregelung des Einbürgerungsrechts. Im Gesetzgebungsverfahren war auf Betreiben der Länder erwogen worden, den Ausnahmetatbestand als Ermessensvorschrift auszugestalten, dieser Ansatz konnte sich aber nicht durchsetzen. Diesbezüglich heißt es in der Gesetzesbegründung(BT-Drs. 16/5107, S. 13) : „Die Ermessensregelung in Abs. 6 lehnt die Bundesregierung ab, da bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kein Raum mehr für ein Ermessen der Staatsangehörigkeitsbehörde bleibt. Wenn der Einbürgerungsbewerber aufgrund seiner Behinderung oder seiner altersbedingten Beeinträchtigung den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse oder staatsbürgerlicher Kenntnisse nicht erbringen kann, muss zwingend von diesen Voraussetzungen abgesehen werden.“

Im Rahmen der damit vorzunehmenden Einzelfallprüfung können die Behörden oder das Gericht sich zwar bei Bedarf sachverständiger Hilfe bedienen, müssen dies aber nicht, wenn die konkreten Umstände keinen vernünftigen Zweifel daran lassen, dass einer der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Ausnahmetatbestände erfüllt ist.(so auch Nr. 10.6 der Vorläufigen Anwendungshinweise des BMI vom 17.4.2009) So liegt der Fall hier.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und den sich aus dem Akteninhalt ergebenden Erkenntnissen ist nicht anzunehmen, dass der Kläger in der Lage wäre, sich Kenntnisse der deutschen Sprache in mündlicher und schriftlicher Form auf dem durch § 10 Abs. 4 StAG vorgegebenen Niveau sowie die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG geforderten Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach § 10 Abs. 5 Satz 1 StAG in der Regel durch das Bestehen eines Einbürgerungstests nachzuweisen sind, anzueignen.

Der Kläger ist inzwischen 71 Jahre alt und befindet sich damit in einem Lebensalter, in dem die Fähigkeit, sich neue Kenntnisse anzueignen zwar durchaus bestehen, aber nicht als im Regelfall gegeben unterstellt werden kann.(vgl. hierzu auch Berlit in GK-StAG, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) Seine persönlichen Lebensumstände spielen daher eine maßgebliche Rolle für die Entscheidung der Frage, ob davon ausgegangen werden kann, dass er bei Entfalten entsprechender Bemühungen in der Lage wäre, die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG zu erfüllen.

Nach den Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger nie eine Schule besucht und nie das Lesen und Schreiben gelernt, sondern seit jungen Jahren Arbeit auf dem Feld verrichten müssen. Dass diese Angaben nicht zutreffen könnten, ist nicht anzunehmen. Der Kläger ist 1942 geboren. Dass Ende der vierziger Jahre in den kurdischen Gebieten der Türkei flächendeckend die Möglichkeit oder gar Pflicht bestanden haben könnte, eine Schule zu besuchen, erscheint äußerst fernliegend. Der Senat hegt daher keinen Zweifel daran, dass der Kläger in seinem Herkunftsland, das er im Alter von 48 Jahren verlassen hat, nie eine Schule besucht und auch sonst keine Ausbildung absolviert hat, sondern vielmehr Tätigkeiten nachgegangen ist, die ihn sicherlich weitaus mehr in körperlicher als in geistiger Hinsicht gefordert haben.

Der Sohn des Klägers hat weiter angegeben, bei den ärztlichen Untersuchungen anlässlich der Einreise des Klägers sei die Notwendigkeit mehrerer Operationen festgestellt worden. Entsprechende Behandlungsmöglichkeiten hätten dem Kläger in der Türkei nicht offen gestanden. Trotz allem habe seine Arbeitsfähigkeit nicht wiederhergestellt werden können. Eine Arbeitsaufnahme sei ihm behördlicherseits und seitens seiner Ärzte strikt untersagt worden. Mit diesen Angaben korrespondiert, dass ausweislich Blatt 184 der Verwaltungsakte anlässlich einer auf Betreiben des Sozialamtes der Gemeinde A-Stadt durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung vom 10.12.2001 festgestellt wurde, dass der Kläger auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig und – vorbehaltlich eines Entscheids des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers – erwerbsunfähig ist. Ausweislich Blatt 32 und 33 der Verwaltungsakte hat der sozialmedizinische Dienst der Landesversicherungsanstalt für das Saarland als Rentenversicherungsträger auf ein Ersuchen nach dem Grundsicherungsgesetz mit Schreiben vom 20.5.2003 bestätigt, dass der Kläger unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Damit steht für den Senat außer Zweifel, dass der Kläger sich auch nach seiner Einreise nie in einer Situation befunden hat, in der er gehalten gewesen wäre, sich zwecks Ausübung einer Erwerbstätigkeit gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen, ohne die selbst eine ungelernte Kraft auf dem hiesigen Arbeitsmarkt nicht auskommen kann. Er war mithin – abgesehen von der früheren (sicherlich primär durch körperlichen Einsatz geprägten) Arbeit auf dem Feld – nie in der Situation, Anweisungen und Arbeitsabläufe verstehen, mit anderen arbeitsteilig zusammenarbeiten und sich in einen Kollegenkreis einbringen zu müssen. Er konnte demgemäß nicht von Kontakten zu Arbeitskollegen und der Notwendigkeit, sich im Erwerbsleben zurechtfinden zu müssen und sich verständlich zu machen, profitieren. Eine „Erwerbsteilnahme“ im Sinne der oben wiedergegebenen Ausführungen in der Kommentierung von Berlit gab es daher nie. Infolge seiner Erwerbsunfähigkeit bestand für ihn keine Möglichkeit, sich über die normalen Anforderungen einer Erwerbstätigkeit sprachlich und sozial in die hiesigen Lebensverhältnisse zu integrieren. Insofern verwundert auch nicht, dass er nach den glaubhaften Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seit seiner Einreise sehr zurückgezogen und ohne nennenswerte soziale Kontakte zu Deutschen lebt.

Nach alldem sind die Lebensbedingungen und die aktuelle Lebenssituation des Klägers maßgeblich dadurch geprägt, dass er noch nie in seinem Leben in beachtlicher Weise geistig gefordert war.

Dem Senat erschließt sich nicht, woran in einem solchen Fall die Erwartung anknüpfen sollte, der Kläger sei ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters und unter Berücksichtigung seiner ganz persönlichen Lebensumstände gegenwärtig in der Lage, erstmals in seinem Leben eine Fremdsprache so zu erlernen, dass er dem seit 2007 verschärften Anforderungsniveau gerecht wird und zudem die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, die ihrerseits ein gewisses Sprachverständnis und die Fähigkeit, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge erfassen zu können, voraussetzen. Die Schlussfolgerung, dass es dem 71-jährigen Kläger nicht mehr gelingen wird, sich die geforderten Kenntnisse anzueignen, liegt so nahe, dass es ihrer Bestätigung durch Einholung eines (amts-)ärztlichen Gutachtens nicht bedarf.

Soweit die Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die Nichtnutzung der Möglichkeit hingewiesen hat, sich in jüngeren Jahren in Volkshochschulkursen Sprachkenntnisse anzueignen, ist weder geklärt, ob es ein solches Angebot für kurdisch sprechende Interessenten gegeben hat, noch ist dies entscheidungserheblich. Denn es kommt – wie ausgeführt – nicht darauf an, ob der Kläger in der Vergangenheit versäumt hat, ihm offenstehende Möglichkeiten, Sprachkenntnisse zu erwerben, zu nutzen, sondern entscheidend ist, dass angesichts seines fortgeschrittenen – typischerweise mit schwindender Lernfähigkeit verbundenen – Lebensalters und seiner gesamten Lebensumstände nicht angenommen werden kann, dass er heute noch über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt.

Die weitere rechtliche Argumentation der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, die im Rahmen von Ermessenseinbürgerungen bestehenden Möglichkeiten, Einbürgerungsbewerbern unter bestimmten Voraussetzungen Privilegierungen zukommen zu lassen, wären sinnlos und gesetzestechnisch unverständlich, wenn § 10 Abs. 6 StAG das „Ersitzen“ einer Anspruchseinbürgerung ermöglichen würde, geht ebenfalls fehl. Wie ausgeführt bedarf es im Rahmen des Ausnahmetatbestandes des Absatzes 6 einer konkreten Einzelfallbetrachtung, die nicht nur das jeweilige Alter in den Blick nimmt, sondern unter Würdigung aller für und gegen ein (Fort-)Bestehen hinreichender Lernfähigkeit sprechenden persönlichen Lebensumstände entweder den Schluss rechtfertigt, dass ungeachtet des fortgeschrittenen Alters noch eine ausreichende Lernfähigkeit besteht oder eben nicht erwartet werden kann. Mit „Ersitzen“ hat diese Regelung nichts zu tun.

Da der Kläger als Asylberechtigter anerkannt ist, ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 6 StAG von der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG (Aufgabe oder Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit) abzusehen.

Die Berufung des Klägers ist nach alldem mit seinem im Hauptantrag verfolgten Begehren, ihn einzubürgern, erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Der Senat hat im Einklang mit der einhelligen Rechtsprechung eine Einzelfallentscheidung getroffen.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 10.000,-- Euro festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 42.1 der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts unterliegt der Abänderung, denn die auf Einbürgerung des Klägers gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht auf der Grundlage des § 10 StAG ein Anspruch auf Einbürgerung zu. Der dies verkennende Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist daher aufzuheben und gleichzeitig ist der Beklagte zu verpflichten, den Kläger einzubürgern.

§ 10 StAG legt fest, unter welchen Voraussetzungen ein Einbürgerungsbewerber einen Anspruch auf Einbürgerung hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger mit Ausnahme der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit Absatz 4 Satz 1 der Vorschrift geforderten Kenntnisse der deutschen Sprache und der nach Absatz 1 Nr. 7 der Vorschrift erforderlichen Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland. Sowohl hinsichtlich der geforderten Sprachkenntnisse als auch hinsichtlich der staatsbürgerlichen Kenntnisse enthält § 10 Abs. 6 StAG eine Ausnahmevorschrift, nach welcher von diesen Anforderungen abzusehen ist, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann. Aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des gesamten Akteninhalts hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG altersbedingt nicht erfüllen kann.

Die bisherige Rechtsprechung zu dem am 28.8.2007 in Kraft getretenen Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013 - 19 A 364/10 -, juris Rdnrn. 22 ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011 - 11 K 839/11 -, juris Rdnrn. 30 f.; VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013 - 4 K 1072/11 -, juris Rdnr. 27; ebenso hinsichtlich krankheitsbedingter Einschränkungen: HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013 - 5 A 1390/12.Z -, InfAuslR 2013, 202, 203,) und die einschlägige Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR,  Stand: 28. Erg.lfg. Dezember 2013,  § 10 Rdnr. 406 m.w.N.) stimmen darin überein, dass für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands „altersbedingt nicht erfüllen kann“ allein entscheidend ist, ob der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen nicht mehr abverlangt werden kann. Man ist sich einig, dass das Eingreifen des Ausnahmetatbestands nicht voraussetzt, dass der Einbürgerungsbewerber seine mangelnden Kenntnisse nicht zu vertreten hat.

So hat das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011, a.a.O., Rdnr. 31) ausgeführt, § 10 Abs. 6 stelle nicht darauf ab, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können. Maßgeblich sei allein, ob der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor Gericht wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG nicht mehr erfüllen könne. Die Anwendung des § 10 Abs. 6 StAG scheide deshalb nicht bereits dann aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich bereits seit vielen Jahren/Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich in früherer Zeit die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Erkenntnisse hätte aneignen können; auf ein Vertretenmüssen habe der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt.

Dieser Sichtweise stimmt das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013, a.a.O., juris Rdnrn. 23 ff.(Revision unter Geschäfts-Nr. 5 C 15/13 anhängig, Terminierung noch nicht absehbar)) mit ausführlicher Begründung zu. Für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 10 Abs. 6 StAG sei allein entscheidend, ob die Hinderungsgründe im Zeitpunkt der Einbürgerung vorlägen. Versäumnisse hinsichtlich des Erwerbs der maßgeblichen Kenntnisse in der Vergangenheit würden nicht berücksichtigt. Hierfür spreche der Wortlaut, die historische und genetische sowie die systematische Auslegung der Vorschrift. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden dieser Auslegung nicht entgegen. So stehe der maßgebliche zweite Halbsatz der Vorschrift im Präsens, was aufzeige, dass die gegenwärtige Situation entscheidend sei. Auch die Gesetzesbegründung mache - wie im Einzelnen ausgeführt wird - deutlich, dass der Gesetzgeber auf die gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten der Einbürgerungsbewerber und nicht auf frühere Versäumnisse abstelle. Die Einbürgerungsvoraussetzungen seien neu geregelt worden und hinsichtlich der Anforderungen an ausreichende Sprachkenntnisse deutlich strenger geworden. Gleichzeitig sei erstmalig ein Ausnahmetatbestand in das Gesetz aufgenommen und seien die Einbürgerungsbewerber insoweit begünstigt worden. Diese Ausnahme kompensiere für einen bestimmten Personenkreis die verschärften Anforderungen. In systematischer Hinsicht müsse gesehen werden, dass der Gesetzgeber hinsichtlich des Bezugs von Sozialleistungen in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG ausdrücklich vorgegeben habe, dass dieser einbürgerungshindernd sei, wenn der Einbürgerungsbewerber ihn zu vertreten habe. In Absatz 6 der Vorschrift fehle eine vergleichbare Regelung, was zeige, dass der Gesetzgeber hier nicht auf ein Vertretenmüssen habe abstellen wollen. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden der Unmaßgeblichkeit von Versäumnissen in der Vergangenheit nicht entgegen. Der Gesetzgeber nehme in den geregelten Ausnahmefällen hin, dass die üblicherweise mit einem mindestens achtjährigen Aufenthalt im Inland verbundene Integrationserwartung des Erwerbs ausreichender Sprachkenntnisse nicht erfüllt werde, lasse also insoweit eine Teilintegration ausreichen.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013, a.a.O., S. 203) hat in Bezug auf die Relevanz einer Prüfungsphobie ausgeführt, schon nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 6 StAG komme es hinsichtlich der Frage, ob der Ausländer die Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG wegen einer Krankheit nicht erfüllen könne, nur auf den Zeitpunkt der Einbürgerung an.

Das Verwaltungsgericht Aachen(VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013, a.a.O., Rdnr. 17) sieht den Anknüpfungspunkt der altersbedingten Gründe darin, dass mit zunehmendem Lebensalter regelmäßig die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen. Personen gehobenen Alters solle nicht ausnahmslos abverlangt werden, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Altersgrenze könne allerdings nicht gezogen werden, da Kenntnisse und Fähigkeiten von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben, abhingen. Der Begriff „altersbedingt“ sei daher einzelfallabhängig. Entscheidend sei dabei, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien hingegen unbeachtlich. § 10 Abs. 6 StAG stelle nämlich anders als bei der Unterhaltsfähigkeit nicht auf Vertretenmüssen ab und damit auch nicht darauf, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können.

In der einschlägigen Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnrn. 404 ff.) heißt es zur Problematik, Abs. 6 enthalte eine strikte Pflicht, von den Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 abzusehen, wenn diese wegen Alters oder Behinderung nicht erfüllt werden könnten. Der Gesetzgeber habe ein im Ansatz unflexibles „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ normiert. Die Anforderungen könnten nicht nach Maßgabe des Grades alters- oder behinderungsbedingter Beeinträchtigungen abgesenkt werden. Sie seien entweder vollständig zu erfüllen oder es sei von ihnen vollständig abzusehen. Zwischen dem Alter oder der Behinderung und dem subjektiven Unvermögen des Einbürgerungsbewerbers, die Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 zu erfüllen, müsse eine kausale Verknüpfung bestehen. Abs. 6 stelle Personen nicht allein wegen ihres Alters oder ihrer Behinderung von der Erfüllung der Anforderungen frei. Diese - abschließend benannten Umstände - müssten (nachweislich) Ursache für das Unvermögen sein, diesen Anforderungen zu entsprechen. Die altersbedingten Gründe knüpften daran an, dass - bei einer typisierenden Betrachtungsweise - die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, und es Personen gehobenen Alters auch nicht abverlangt werden solle, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Alters(unter)grenze könne nicht gezogen werden, weil Fähigkeit und - vor allem - abzuverlangende Bereitschaft zum Erwerb zusätzlicher (sprachlicher oder staatsbürgerlicher) Kenntnisse auch abhingen von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem anderweitig erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe (und den dort zu bewältigenden Herausforderungen) sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben. Dieser Ausnahmegrund sei damit offen für eine umfassende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Vor dem Erreichen des 50. Lebensjahres werde regelmäßig indes ein altersbedingtes Unvermögen ausscheiden; ab der Vollendung des 60. Lebensjahres liege es jedenfalls nahe. Eine Übertragung der für § 12 Abs. 1 Nr. 4 StAG für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung „älterer Personen“ zu ziehenden Altersgrenze scheide wegen der funktionalen Verknüpfung von Alter und Unvermögen zur Erfüllung der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 aus. Entscheidend sei allein, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien unbeachtlich.

Nach alldem gehen Rechtsprechung und Kommentarliteratur einvernehmlich davon aus, dass der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG darauf abstellt, ob der Einbürgerungsbewerber die in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 geforderten Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann oder hieran infolge einer Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt gehindert ist, wobei es auf ein etwaiges Vertretenmüssen in Bezug auf Versäumnisse in der Vergangenheit nicht ankommt. In diese Richtung weist insbesondere auch die Formulierung in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, wonach Personen begünstigt werden sollen, die die Anforderungen aufgrund ihres Alters „nicht mehr erfüllen können“.(BT-Drs. 16/5065, S. 229) Dieser Sichtweise stimmt der Senat vollumfänglich zu.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Beschluss vom 2.7.2013 - 11 K 1279/13 -, juris Rdnrn. 3 f.) hat sich kürzlich anlässlich eines Prozesskostenhilfeantrags, den es abgelehnt hat, erneut mit der Problematik befasst und seine oben zitierte Rechtsprechung zum altersbedingten Unvermögen dahingehend präzisiert, dass das Erreichen eines Alters von 67 Jahren für die Annahme, altersbedingt keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache erwerben zu können, allein nicht ausreiche. Denn nicht nur die Krankheit oder Behinderung, sondern auch das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein. Ein hohes Alter führe nicht regelmäßig dazu, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG geforderten Kenntnisse gehindert ist. Der Einbürgerungsbewerber habe deshalb substantiiert darzutun (§ 37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 AufenthG), dass er gerade aufgrund seines Alters nicht (mehr) in der Lage sei, die geforderten Kenntnisse zu erwerben. Dieser Mitwirkungspflicht sei nicht genügt worden.

Dieser Argumentation ist hinsichtlich der Annahme, dass das Erreichen eines bestimmten Alters zur Tatbestandserfüllung nicht ausreiche, weil ein hohes Alter nicht regelmäßig dazu führe, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der geforderten Kenntnisse gehindert ist – zuzustimmen. Die weitere Formulierung, das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein, erscheint indes gemessen am Regelungsgehalt des § 10 Abs. 6 StAG problematisch.

§ 10 Abs. 6 StAG stellt – wie ausgeführt und auch vom Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 2.12.2011 ausdrücklich anerkannt – darauf ab, ob der Einbürgerungsbewerber die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nrn. 6 und 7 im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann. Der Ausnahmetatbestand knüpft nicht an den Umstand an, dass der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen zur Zeit der Antragstellung nicht erfüllt, und befasst sich daher nicht mit der Frage, aus welchen Gründen er diesen Anforderungen derzeit nicht genügt. Tatbestandrelevant ist vielmehr, ob der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen „erfüllen kann“. Entscheidend ist daher, ob er sie erfüllen könnte, wenn er dies wollte und entsprechende Bemühungen zum Erwerb der geforderten Kenntnisse unternähme, oder ob er die Anforderungen infolge krankheits- oder altersbedingter Einschränkungen auch bei Entfalten diesbezüglicher Anstrengungen nicht mehr erfüllen kann. Damit ist einzelfallbezogen zu klären, ob trotz Krankheit oder Behinderung oder fortgeschrittenen Lebensalters unter Berücksichtigung der konkreten Lebensentwicklung und -umstände des Einbürgerungsbewerbers davon auszugehen ist, dass dessen etwaige Bemühungen, Sprachkenntnisse auf dem durch § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG vorgegebenen Niveau sowie die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, erfolgversprechend wären. Bejahendenfalls ist ihm zuzumuten, diese Bemühungen zu unternehmen, wobei sich im Falle eines Nichtbestehens der anschließenden Prüfungen die Frage stellen würde, ob das – behördlicher- bzw. gerichtlicherseits nicht erwartete – Scheitern seine Ursache in unzureichenden Anstrengungen, sonstigen Gründen (z.B. Analphabetismus eines noch lebensjungen Einbürgerungsbewerbers(BVerwG, Urteil vom 27.5.2010 - 5 C 8/09 -, juris)) oder einem der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Gründe hat. Denn es soll – so auch Berlit(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) – Einbürgerungsbewerbern im fortgeschrittenen Lebensalter angesichts der typischerweise im Alter schwindenden Fähigkeit, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, nicht ausnahmslos zugemutet werden, entsprechende Bemühungen, Kenntnisse auf dem geforderten Niveau zu erwerben, zu entfalten. Nach alldem geht es in § 10 Abs. 6 StAG um die Ursache für ein etwaiges Unvermögen, sich fehlende Kenntnisse anzueignen, nicht hingegen – wie das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 2.7.2013 möglicherweise andeuten will und der Beklagte im Einzelnen argumentiert – um die Ursache für den Umstand, dass der Einbürgerungsbewerber die geforderten Kenntnisse aktuell nicht erfüllt. Die vom Beklagten vertretene Kausalitätsbetrachtung geht am Tatbestand des § 10 Abs. 6 StAG vorbei, denn sie setzt an einem falschen Punkt an. Der Beklagte sucht die Ursache der fehlenden Kenntnisse, die er in dem Unterlassen in der Vergangenheit sieht. Nach dem Gesetz ist indes zu klären, ob der Einbürgerungsbewerber aktuell über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt oder eben etwa aufgrund seines Alters nicht mehr verfügt. Entscheidungserheblich ist daher nicht, ob in der Vergangenheit die Möglichkeit des Erwerbs der Kenntnisse bestanden hätte, aber nicht genutzt wurde, sondern allein, ob die geforderten Kenntnisse derzeit aufgrund eines der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Tatbestände nicht mehr erworben werden können. Es trifft nach alldem nicht zu, dass in den Genuss der Ausnahmevorschrift grundsätzlich nur kommen soll, wer erst im hohen Alter eingereist ist.

In rechtlicher Hinsicht ist des Weiteren zu bekräftigen, dass § 10 Abs. 6 StAG kein Ermessen eröffnet. Liegt einer der Ausnahmetatbestände vor, so „ist abzusehen“, d.h. der Einbürgerungsbewerber hat - soweit er die übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt - einen Anspruch darauf, dass er trotz des Fehlens der Kenntnisse eingebürgert wird. § 10 Abs. 6 StAG ist Teil der am 28.8.2007 in Kraft getretenen Neuregelung des Einbürgerungsrechts. Im Gesetzgebungsverfahren war auf Betreiben der Länder erwogen worden, den Ausnahmetatbestand als Ermessensvorschrift auszugestalten, dieser Ansatz konnte sich aber nicht durchsetzen. Diesbezüglich heißt es in der Gesetzesbegründung(BT-Drs. 16/5107, S. 13) : „Die Ermessensregelung in Abs. 6 lehnt die Bundesregierung ab, da bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kein Raum mehr für ein Ermessen der Staatsangehörigkeitsbehörde bleibt. Wenn der Einbürgerungsbewerber aufgrund seiner Behinderung oder seiner altersbedingten Beeinträchtigung den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse oder staatsbürgerlicher Kenntnisse nicht erbringen kann, muss zwingend von diesen Voraussetzungen abgesehen werden.“

Im Rahmen der damit vorzunehmenden Einzelfallprüfung können die Behörden oder das Gericht sich zwar bei Bedarf sachverständiger Hilfe bedienen, müssen dies aber nicht, wenn die konkreten Umstände keinen vernünftigen Zweifel daran lassen, dass einer der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Ausnahmetatbestände erfüllt ist.(so auch Nr. 10.6 der Vorläufigen Anwendungshinweise des BMI vom 17.4.2009) So liegt der Fall hier.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und den sich aus dem Akteninhalt ergebenden Erkenntnissen ist nicht anzunehmen, dass der Kläger in der Lage wäre, sich Kenntnisse der deutschen Sprache in mündlicher und schriftlicher Form auf dem durch § 10 Abs. 4 StAG vorgegebenen Niveau sowie die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG geforderten Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach § 10 Abs. 5 Satz 1 StAG in der Regel durch das Bestehen eines Einbürgerungstests nachzuweisen sind, anzueignen.

Der Kläger ist inzwischen 71 Jahre alt und befindet sich damit in einem Lebensalter, in dem die Fähigkeit, sich neue Kenntnisse anzueignen zwar durchaus bestehen, aber nicht als im Regelfall gegeben unterstellt werden kann.(vgl. hierzu auch Berlit in GK-StAG, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) Seine persönlichen Lebensumstände spielen daher eine maßgebliche Rolle für die Entscheidung der Frage, ob davon ausgegangen werden kann, dass er bei Entfalten entsprechender Bemühungen in der Lage wäre, die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG zu erfüllen.

Nach den Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger nie eine Schule besucht und nie das Lesen und Schreiben gelernt, sondern seit jungen Jahren Arbeit auf dem Feld verrichten müssen. Dass diese Angaben nicht zutreffen könnten, ist nicht anzunehmen. Der Kläger ist 1942 geboren. Dass Ende der vierziger Jahre in den kurdischen Gebieten der Türkei flächendeckend die Möglichkeit oder gar Pflicht bestanden haben könnte, eine Schule zu besuchen, erscheint äußerst fernliegend. Der Senat hegt daher keinen Zweifel daran, dass der Kläger in seinem Herkunftsland, das er im Alter von 48 Jahren verlassen hat, nie eine Schule besucht und auch sonst keine Ausbildung absolviert hat, sondern vielmehr Tätigkeiten nachgegangen ist, die ihn sicherlich weitaus mehr in körperlicher als in geistiger Hinsicht gefordert haben.

Der Sohn des Klägers hat weiter angegeben, bei den ärztlichen Untersuchungen anlässlich der Einreise des Klägers sei die Notwendigkeit mehrerer Operationen festgestellt worden. Entsprechende Behandlungsmöglichkeiten hätten dem Kläger in der Türkei nicht offen gestanden. Trotz allem habe seine Arbeitsfähigkeit nicht wiederhergestellt werden können. Eine Arbeitsaufnahme sei ihm behördlicherseits und seitens seiner Ärzte strikt untersagt worden. Mit diesen Angaben korrespondiert, dass ausweislich Blatt 184 der Verwaltungsakte anlässlich einer auf Betreiben des Sozialamtes der Gemeinde A-Stadt durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung vom 10.12.2001 festgestellt wurde, dass der Kläger auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig und – vorbehaltlich eines Entscheids des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers – erwerbsunfähig ist. Ausweislich Blatt 32 und 33 der Verwaltungsakte hat der sozialmedizinische Dienst der Landesversicherungsanstalt für das Saarland als Rentenversicherungsträger auf ein Ersuchen nach dem Grundsicherungsgesetz mit Schreiben vom 20.5.2003 bestätigt, dass der Kläger unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Damit steht für den Senat außer Zweifel, dass der Kläger sich auch nach seiner Einreise nie in einer Situation befunden hat, in der er gehalten gewesen wäre, sich zwecks Ausübung einer Erwerbstätigkeit gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen, ohne die selbst eine ungelernte Kraft auf dem hiesigen Arbeitsmarkt nicht auskommen kann. Er war mithin – abgesehen von der früheren (sicherlich primär durch körperlichen Einsatz geprägten) Arbeit auf dem Feld – nie in der Situation, Anweisungen und Arbeitsabläufe verstehen, mit anderen arbeitsteilig zusammenarbeiten und sich in einen Kollegenkreis einbringen zu müssen. Er konnte demgemäß nicht von Kontakten zu Arbeitskollegen und der Notwendigkeit, sich im Erwerbsleben zurechtfinden zu müssen und sich verständlich zu machen, profitieren. Eine „Erwerbsteilnahme“ im Sinne der oben wiedergegebenen Ausführungen in der Kommentierung von Berlit gab es daher nie. Infolge seiner Erwerbsunfähigkeit bestand für ihn keine Möglichkeit, sich über die normalen Anforderungen einer Erwerbstätigkeit sprachlich und sozial in die hiesigen Lebensverhältnisse zu integrieren. Insofern verwundert auch nicht, dass er nach den glaubhaften Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seit seiner Einreise sehr zurückgezogen und ohne nennenswerte soziale Kontakte zu Deutschen lebt.

Nach alldem sind die Lebensbedingungen und die aktuelle Lebenssituation des Klägers maßgeblich dadurch geprägt, dass er noch nie in seinem Leben in beachtlicher Weise geistig gefordert war.

Dem Senat erschließt sich nicht, woran in einem solchen Fall die Erwartung anknüpfen sollte, der Kläger sei ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters und unter Berücksichtigung seiner ganz persönlichen Lebensumstände gegenwärtig in der Lage, erstmals in seinem Leben eine Fremdsprache so zu erlernen, dass er dem seit 2007 verschärften Anforderungsniveau gerecht wird und zudem die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, die ihrerseits ein gewisses Sprachverständnis und die Fähigkeit, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge erfassen zu können, voraussetzen. Die Schlussfolgerung, dass es dem 71-jährigen Kläger nicht mehr gelingen wird, sich die geforderten Kenntnisse anzueignen, liegt so nahe, dass es ihrer Bestätigung durch Einholung eines (amts-)ärztlichen Gutachtens nicht bedarf.

Soweit die Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die Nichtnutzung der Möglichkeit hingewiesen hat, sich in jüngeren Jahren in Volkshochschulkursen Sprachkenntnisse anzueignen, ist weder geklärt, ob es ein solches Angebot für kurdisch sprechende Interessenten gegeben hat, noch ist dies entscheidungserheblich. Denn es kommt – wie ausgeführt – nicht darauf an, ob der Kläger in der Vergangenheit versäumt hat, ihm offenstehende Möglichkeiten, Sprachkenntnisse zu erwerben, zu nutzen, sondern entscheidend ist, dass angesichts seines fortgeschrittenen – typischerweise mit schwindender Lernfähigkeit verbundenen – Lebensalters und seiner gesamten Lebensumstände nicht angenommen werden kann, dass er heute noch über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt.

Die weitere rechtliche Argumentation der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, die im Rahmen von Ermessenseinbürgerungen bestehenden Möglichkeiten, Einbürgerungsbewerbern unter bestimmten Voraussetzungen Privilegierungen zukommen zu lassen, wären sinnlos und gesetzestechnisch unverständlich, wenn § 10 Abs. 6 StAG das „Ersitzen“ einer Anspruchseinbürgerung ermöglichen würde, geht ebenfalls fehl. Wie ausgeführt bedarf es im Rahmen des Ausnahmetatbestandes des Absatzes 6 einer konkreten Einzelfallbetrachtung, die nicht nur das jeweilige Alter in den Blick nimmt, sondern unter Würdigung aller für und gegen ein (Fort-)Bestehen hinreichender Lernfähigkeit sprechenden persönlichen Lebensumstände entweder den Schluss rechtfertigt, dass ungeachtet des fortgeschrittenen Alters noch eine ausreichende Lernfähigkeit besteht oder eben nicht erwartet werden kann. Mit „Ersitzen“ hat diese Regelung nichts zu tun.

Da der Kläger als Asylberechtigter anerkannt ist, ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 6 StAG von der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG (Aufgabe oder Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit) abzusehen.

Die Berufung des Klägers ist nach alldem mit seinem im Hauptantrag verfolgten Begehren, ihn einzubürgern, erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Der Senat hat im Einklang mit der einhelligen Rechtsprechung eine Einzelfallentscheidung getroffen.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 10.000,-- Euro festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 42.1 der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 19. Dezember 2012 wird der Bescheid des Beklagten vom 24. Mai 2011 aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Kläger einzubürgern.

Die Kosten des Verfahrens fallen dem Beklagten zur Last.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger, ein 1942 geborener türkischer Staatsangehöriger, der seit 1990 mit seiner Ehefrau im Bundesgebiet lebt und 1993 als Asylberechtigter anerkannt wurde, begehrt seine Einbürgerung.

Er verfügt seit 1993 über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und seit 2009 über eine Niederlassungserlaubnis. Durch amtsärztliche Untersuchung vom 10.12.2001 wurde - vorbehaltlich des Entscheids des Rentenversicherungsträgers - Erwerbsunfähigkeit festgestellt. In einer im Rahmen der Überprüfung eines Anspruchs auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ausgestellten Bescheinigung der Landesversicherungsanstalt für das Saarland vom 20.5.2003 ist festgehalten, dass der Kläger unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert ist und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Er bestreitet seinen Unterhalt seit seiner Einreise durch den Bezug von Sozialleistungen.

Am 8.1.2010 beantragten der Kläger und seine Ehefrau ihre Einbürgerung. Beigefügt war ein Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten, in dem es u.a. heißt, der Kläger und seine Ehefrau verfügten zwar weder über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache noch über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG. Von diesen Voraussetzungen sei aber gemäß § 10 Abs. 6 StAG abzusehen, weil sie altersbedingt nicht erfüllt werden könnten.

In einer Stellungnahme der Wohnsitzgemeinde vom 13.1.2010 heißt es, der Kläger spreche gebrochen deutsch und seine Ehefrau sei Analphabetin.

Durch Bescheid vom 24.5.2011, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 26.5.2011, lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Hinweis auf die fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache und der Rechts- und Gesellschaftsordnung ab. Der Kläger sei mit 48 Jahren in das Bundesgebiet eingereist. Angesichts der seither verstrichenen 20 Jahre lägen Anhaltspunkte für ein „Ersitzen“ der Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 6 StAG vor. Ein solches „Hineinwachsen“ in das altersbedingte Unvermögen ohne ausreichende Bemühungen könne nur in Betracht kommen, wenn krankheitsbedingt für den Nichterwerb der Kenntnisse ursächliche Einschränkungen vorlägen, was durch entsprechende medizinische Nachweise zu belegen sei. Solche Nachweise seien trotz Anforderung nicht vorgelegt worden. Zudem stehe der Kläger seit seiner Einreise im Sozialhilfebezug, so dass auch eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG nicht in Betracht komme.

Hiergegen hat der Kläger am 27.6.2011, einem Montag, Klage erhoben und ausgeführt, dass im Rahmen der Prüfung nach § 10 Abs. 6 StAG nicht von Bedeutung sei, ob der Ausländer die Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 StAG mit Blick auf seinen jahrelangen Aufenthalt im Inland zu vertreten habe. Entscheidend sei, dass er sie altersbedingt nicht mehr erfüllen könne. Zudem sei offenkundig, dass er, der nie im Leben eine Schule besucht habe, diesen Voraussetzungen nicht gerecht werden könne. Hinsichtlich des Sozialhilfebezugs habe er mit dem Einbürgerungsantrag ein Attest vorgelegt, aus dem ersichtlich sei, dass er seit seiner Einreise aufgrund mehrerer Operationen sozialrechtlich als nicht erwerbsfähig geführt werde. Er habe den Sozialhilfebezug daher nicht zu vertreten.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn einzubürgern,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen,
äußerst hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Ausführungen zur Begründung seines Bescheids bekräftigt, nach denen die Voraussetzungen weder einer Anspruchs- noch einer Ermessenseinbürgerung vorlägen. Dem Kläger sei trotz seines Analphabetismus zumutbar gewesen und noch zumutbar, durch entsprechende Kurse das geforderte Sprachniveau zu erreichen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 19.12.2012 abgewiesen. Der Bezug von Sozialleistungen stehe der Einbürgerung nicht entgegen, da der Kläger die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel angesichts seiner vollen Erwerbsunfähigkeit nicht zu vertreten habe. Ein Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG scheitere jedoch an den mangelnden Kenntnissen der deutschen Sprache bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse in Deutschland. Der Kläger könne sich insoweit nicht auf das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes nach § 10 Abs. 6 StAG berufen. Zwar scheide die Anwendung dieser Vorschrift nicht bereits aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich schon seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich die von § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Kenntnisse in früherer Zeit hätte aneignen können, denn auf ein Vertretenmüssen habe der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt. Dennoch greife die Ausnahmevorschrift nicht ein, weil die Ursache des Unvermögens des Klägers nicht in einem der dort aufgeführten Gründe liege. Er habe keine bestehende Erkrankung, Behinderung oder altersbedingte Beeinträchtigung, die das Erlernen der deutschen Sprache unmöglich mache, nachgewiesen. Analphabetismus sei keine Krankheit oder Behinderung im Sinne der Vorschrift und stelle in Anbetracht der Gesamtumstände ebenso wenig wie das Lebensalter einen Grund dar, der es rechtfertigen könnte, auf jegliche Sprachkenntnisse zu verzichten. Auch die Verwaltungspraxis des Beklagten, bei Einbürgerungsbewerbern, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und erst im höheren Lebensalter eingereist sind, ohne gesonderten Nachweis durch Attest von einem altersbedingten Unvermögen auszugehen, könne dem Kläger, der bereits mit 48 Jahren eingereist sei, nicht weiterhelfen. Eine Einbürgerung nach § 10 StAG sei daher ausgeschlossen und eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG scheitere daran, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen bestreiten könne, was einer Ermessenseinbürgerung unabhängig von der Frage des Vertretenmüssens entgegenstehe, sowie am Nichtvorliegen der Voraussetzungen eines öffentlichen Interesses bzw. einer besonderen Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG.

Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22.1.2013 zugestellt.

Am 13.2.2013 beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung und begründete diesen Antrag. Durch Beschluss vom 11.4.2013, dem Kläger zugestellt am 16.4.2013, hat der Senat die Berufung zugelassen.

Der Kläger hat seine Berufung am 15.5.2013 begründet. Er vertieft seine Auffassung, dass in seinem Fall nach § 10 Abs. 6 StAG von den Einbürgerungsvoraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 der Vorschrift mit Blick auf sein Alter und das dadurch bedingte Unvermögen, sich die notwendigen Kenntnisse noch anzueignen, abzusehen sei. Allein entscheidend sei, dass der Hinderungsgrund des altersbedingten Unvermögens im Zeitpunkt der Einbürgerung vorliege. Dabei sei nicht erforderlich, dass – neben dem Alter – irgendwelche „vom Lebensalter herrührenden Beeinträchtigungen“ bestünden. Es komme nicht darauf an, ob in früheren Zeiten ein Erlernen möglich gewesen wäre. Dies ergebe sich aus dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens und der Gesetzesbegründung sowie dem Wortlaut, der Systematik und Sinn und Zweck der Regelungen in § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 und Abs. 6 StAG. Da es auf Vertretenmüssen nicht ankomme, dürfe die Frage nach der Ursache des altersbedingten Unvermögens nicht gestellt werden. Insbesondere dürfe nicht argumentiert werden, dass die Ursache für die fehlenden Kenntnisse des Klägers das Nichtbeheben seines Analphabetismus, das Nichterlernen der deutschen Sprache und das Nichterlangen staatsbürgerlicher Kenntnisse sei. Andernfalls werde auf zurechenbares Handeln oder Unterlassen des Klägers, mithin auf das Vertretenmüssen, abgestellt. Da das Gesetz keine starre Altersgrenze vorgebe, sei eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen. Der mittlerweile 71-jährige Kläger, der primärer Analphabet sei, könne ganz offensichtlich altersbedingt die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG nicht mehr erfüllen, ohne dass dies gesondert nachgewiesen werden müsse. Dies werde beklagtenseits nicht bestritten und könne auch nicht ernstlich bestritten werden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 19.12.2012 den Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn einzubürgern,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen,
äußerst hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er meint, eine Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 6 StAG scheitere am Fehlen des Tatbestandsmerkmals „altersbedingt“ und hält diesbezüglich daran fest, dass ein altersbedingtes Unvermögen im Sinne der Ausnahmevorschrift voraussetze, dass der Einbürgerungsbewerber schon im Zeitpunkt der Einreise lebensälter und daher nicht in der Lage war, sich innerhalb der erforderlichen Aufenthaltsdauer von acht Jahren staatsbürgerliche Kenntnisse und Sprachkenntnisse auf dem geforderten Niveau B 1 anzueignen und daher das in acht Jahren regelmäßig erreichbare Integrationsmaß nicht erlangen könne. Nur in solchen Fällen sei es Verwaltungspraxis, die Ausnahmeregelung anzuwenden. Personen, die in jüngeren Jahren eingereist seien und von daher ausreichend Möglichkeit gehabt hätten, die deutsche Sprache zu erlernen, müssten hingegen bei Antragstellung im fortgeschrittenen Alter gerade infolge ihres Alters in Bezug auf die Voraussetzungen der Nrn. 6 und 7 „gehandicapt“ sein und das Unvermögen, die entsprechenden Tests – etwa wegen Nachlassens der kognitiven/geistigen Leistungsfähigkeit – zu absolvieren, konkret nachweisen. Eine Regelvermutung allein auf Grund des Erreichens eines bestimmten Alters sei hier nicht angezeigt und - da im Gesetz nicht festgeschrieben - vom Gesetzgeber nicht gewollt. Angezeigt sei vielmehr eine „flexible Einzelfallbetrachtung“, was sich auch dadurch rechtfertige, dass es in der täglichen Praxis immer wieder Einbürgerungsbewerber gebe, die den Einbürgerungstest und den Sprachtest noch mit über 70 Jahren erfolgreich ablegen. Auch die historische Auslegung der Norm spreche für diese Sichtweise. So habe das Gesetz bis ins Jahr 2000 im Rahmen der Anspruchseinbürgerung überhaupt keine Deutschnachweise gefordert, in den Jahren 2000 – 2007 seien Sprachkenntnisse auf dem leichteren Niveau A 2 erforderlich gewesen und bei der Gesetzesreform 2007 habe der Gesetzgeber sich nochmals bewusst für eine Verschärfung der sprachlichen Anforderungen auf das Niveau B 1 entschieden. Er sei davon ausgegangen, dass die Sprachkenntnisse der unverzichtbare Grundstein einer jeden sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Integration sei, weswegen es völlig widersinnig wäre, anzunehmen, er habe von dieser grundlegenden Integrationsanforderung gerade solche Personen ausnehmen wollen, die seit vielen Jahren und Jahrzehnten in Deutschland leben, ohne sich um hinreichende Sprachkenntnisse und damit die Grundvoraussetzung einer Integration zu bemühen. Gleichzeitig habe der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen, dass manche, aber bei weitem nicht alle Menschen im Alter geistig/kognitiv abbauen und deshalb in § 10 Abs. 6 ein Absehen von den Sprach- und staatsbürgerlichen Kenntnissen vorgesehen, wenn die Betroffenen diese auf Grund altersbedingter Beeinträchtigungen jetzt nicht mehr erbringen können. Dass die Ausnahmevorschrift im Präsens formuliert ist, sei vor allem den Ausnahmevarianten der körperlichen, geistigen oder seelischen Erkrankung oder Behinderung geschuldet. Der Gesetzgeber habe ihrer Natur nach unterschiedliche Ansatzpunkte in dieser Ausnahmeregelung zusammengefasst. Hinsichtlich der Variante „altersbedingtes Unvermögen“ sei unabhängig vom Grund der fehlenden Kenntnisse Anknüpfungspunkt zwar das Alter des Einbürgerungsbewerbers im Zeitpunkt der Antragstellung, wobei dieses je nach Konstellation die Vermutung des Unvermögens begründe oder dem Einbürgerungsbewerber den Weg eröffne, sein Unvermögen individuell nachzuweisen und auf dieser Grundlage von der Notwendigkeit, die entsprechenden Tests zu bestehen, entbunden zu werden. Das Unvermögen müsse seinen Grund in einer vom Lebensalter herrührenden Beeinträchtigung haben. Wenn der Grund für die fehlenden Kenntnisse ein anderer sei, sei er eben nicht „altersbedingt“ und somit nicht tatbestandsbegründend. Allein so verstanden sei die gesetzliche Regelung in sich schlüssig und stehe im Einklang mit dem Reformansatz und der Ziel- und Grundvorstellung des Gesetzgebers. Nur bei diesem Verständnis sei auch die vom Gesetzgeber ausnahmsweise als ausreichend angesehene „Teilintegration“ aus übergeordneten Erwägungen nachvollziehbar und rechtfertige ein Zurücktreten des gesellschaftspolitischen Integrationsinteresses zu Gunsten des individuellen Einbürgerungsinteresses. Gemessen hieran könne dem Kläger die Ausnahmevorschrift nur zugute kommen, wenn er den individuellen Nachweis altersbedingten Unvermögens führen würde. Zutreffend sei, dass es im Rahmen des § 10 Abs. 6 StAG nicht auf ein Verschulden ankomme, vielmehr gehe es um die vorwurfsfreie und wertneutrale Ursächlichkeitsfrage nach dem Grund der fehlenden Sprach- und staatsbürgerlichen Kenntnisse. Sei der Grund für die fehlenden Kenntnisse nicht eine altersbedingte Beeinträchtigung, sondern etwa ein früheres Unterlassen, so sei der Tatbestand der Ausnahmevorschrift nicht erfüllt. Fallbezogen sei daher entscheidend, dass Ursache für die fehlenden Kenntnisse des Klägers das Nichtbeheben seines Analphabetismus, das Nichterlernen der deutschen Sprache und das Nichterlangen staatsbürgerlicher Kenntnisse seit seiner Einreise im Jahr 1990 sei und nicht eine jetzige altersbedingte Beeinträchtigung. Dass ihn heute altersbedingte Beeinträchtigungen daran hinderten, diese Versäumnisse nachzuholen, habe er nicht vorgetragen und erst recht nicht nachgewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten ( 1 Ordner), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts unterliegt der Abänderung, denn die auf Einbürgerung des Klägers gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht auf der Grundlage des § 10 StAG ein Anspruch auf Einbürgerung zu. Der dies verkennende Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist daher aufzuheben und gleichzeitig ist der Beklagte zu verpflichten, den Kläger einzubürgern.

§ 10 StAG legt fest, unter welchen Voraussetzungen ein Einbürgerungsbewerber einen Anspruch auf Einbürgerung hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger mit Ausnahme der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit Absatz 4 Satz 1 der Vorschrift geforderten Kenntnisse der deutschen Sprache und der nach Absatz 1 Nr. 7 der Vorschrift erforderlichen Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland. Sowohl hinsichtlich der geforderten Sprachkenntnisse als auch hinsichtlich der staatsbürgerlichen Kenntnisse enthält § 10 Abs. 6 StAG eine Ausnahmevorschrift, nach welcher von diesen Anforderungen abzusehen ist, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann. Aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des gesamten Akteninhalts hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG altersbedingt nicht erfüllen kann.

Die bisherige Rechtsprechung zu dem am 28.8.2007 in Kraft getretenen Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013 - 19 A 364/10 -, juris Rdnrn. 22 ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011 - 11 K 839/11 -, juris Rdnrn. 30 f.; VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013 - 4 K 1072/11 -, juris Rdnr. 27; ebenso hinsichtlich krankheitsbedingter Einschränkungen: HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013 - 5 A 1390/12.Z -, InfAuslR 2013, 202, 203,) und die einschlägige Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR,  Stand: 28. Erg.lfg. Dezember 2013,  § 10 Rdnr. 406 m.w.N.) stimmen darin überein, dass für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands „altersbedingt nicht erfüllen kann“ allein entscheidend ist, ob der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen nicht mehr abverlangt werden kann. Man ist sich einig, dass das Eingreifen des Ausnahmetatbestands nicht voraussetzt, dass der Einbürgerungsbewerber seine mangelnden Kenntnisse nicht zu vertreten hat.

So hat das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011, a.a.O., Rdnr. 31) ausgeführt, § 10 Abs. 6 stelle nicht darauf ab, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können. Maßgeblich sei allein, ob der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor Gericht wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG nicht mehr erfüllen könne. Die Anwendung des § 10 Abs. 6 StAG scheide deshalb nicht bereits dann aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich bereits seit vielen Jahren/Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich in früherer Zeit die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Erkenntnisse hätte aneignen können; auf ein Vertretenmüssen habe der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt.

Dieser Sichtweise stimmt das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013, a.a.O., juris Rdnrn. 23 ff.(Revision unter Geschäfts-Nr. 5 C 15/13 anhängig, Terminierung noch nicht absehbar)) mit ausführlicher Begründung zu. Für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 10 Abs. 6 StAG sei allein entscheidend, ob die Hinderungsgründe im Zeitpunkt der Einbürgerung vorlägen. Versäumnisse hinsichtlich des Erwerbs der maßgeblichen Kenntnisse in der Vergangenheit würden nicht berücksichtigt. Hierfür spreche der Wortlaut, die historische und genetische sowie die systematische Auslegung der Vorschrift. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden dieser Auslegung nicht entgegen. So stehe der maßgebliche zweite Halbsatz der Vorschrift im Präsens, was aufzeige, dass die gegenwärtige Situation entscheidend sei. Auch die Gesetzesbegründung mache - wie im Einzelnen ausgeführt wird - deutlich, dass der Gesetzgeber auf die gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten der Einbürgerungsbewerber und nicht auf frühere Versäumnisse abstelle. Die Einbürgerungsvoraussetzungen seien neu geregelt worden und hinsichtlich der Anforderungen an ausreichende Sprachkenntnisse deutlich strenger geworden. Gleichzeitig sei erstmalig ein Ausnahmetatbestand in das Gesetz aufgenommen und seien die Einbürgerungsbewerber insoweit begünstigt worden. Diese Ausnahme kompensiere für einen bestimmten Personenkreis die verschärften Anforderungen. In systematischer Hinsicht müsse gesehen werden, dass der Gesetzgeber hinsichtlich des Bezugs von Sozialleistungen in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG ausdrücklich vorgegeben habe, dass dieser einbürgerungshindernd sei, wenn der Einbürgerungsbewerber ihn zu vertreten habe. In Absatz 6 der Vorschrift fehle eine vergleichbare Regelung, was zeige, dass der Gesetzgeber hier nicht auf ein Vertretenmüssen habe abstellen wollen. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden der Unmaßgeblichkeit von Versäumnissen in der Vergangenheit nicht entgegen. Der Gesetzgeber nehme in den geregelten Ausnahmefällen hin, dass die üblicherweise mit einem mindestens achtjährigen Aufenthalt im Inland verbundene Integrationserwartung des Erwerbs ausreichender Sprachkenntnisse nicht erfüllt werde, lasse also insoweit eine Teilintegration ausreichen.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013, a.a.O., S. 203) hat in Bezug auf die Relevanz einer Prüfungsphobie ausgeführt, schon nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 6 StAG komme es hinsichtlich der Frage, ob der Ausländer die Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG wegen einer Krankheit nicht erfüllen könne, nur auf den Zeitpunkt der Einbürgerung an.

Das Verwaltungsgericht Aachen(VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013, a.a.O., Rdnr. 17) sieht den Anknüpfungspunkt der altersbedingten Gründe darin, dass mit zunehmendem Lebensalter regelmäßig die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen. Personen gehobenen Alters solle nicht ausnahmslos abverlangt werden, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Altersgrenze könne allerdings nicht gezogen werden, da Kenntnisse und Fähigkeiten von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben, abhingen. Der Begriff „altersbedingt“ sei daher einzelfallabhängig. Entscheidend sei dabei, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien hingegen unbeachtlich. § 10 Abs. 6 StAG stelle nämlich anders als bei der Unterhaltsfähigkeit nicht auf Vertretenmüssen ab und damit auch nicht darauf, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können.

In der einschlägigen Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnrn. 404 ff.) heißt es zur Problematik, Abs. 6 enthalte eine strikte Pflicht, von den Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 abzusehen, wenn diese wegen Alters oder Behinderung nicht erfüllt werden könnten. Der Gesetzgeber habe ein im Ansatz unflexibles „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ normiert. Die Anforderungen könnten nicht nach Maßgabe des Grades alters- oder behinderungsbedingter Beeinträchtigungen abgesenkt werden. Sie seien entweder vollständig zu erfüllen oder es sei von ihnen vollständig abzusehen. Zwischen dem Alter oder der Behinderung und dem subjektiven Unvermögen des Einbürgerungsbewerbers, die Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 zu erfüllen, müsse eine kausale Verknüpfung bestehen. Abs. 6 stelle Personen nicht allein wegen ihres Alters oder ihrer Behinderung von der Erfüllung der Anforderungen frei. Diese - abschließend benannten Umstände - müssten (nachweislich) Ursache für das Unvermögen sein, diesen Anforderungen zu entsprechen. Die altersbedingten Gründe knüpften daran an, dass - bei einer typisierenden Betrachtungsweise - die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, und es Personen gehobenen Alters auch nicht abverlangt werden solle, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Alters(unter)grenze könne nicht gezogen werden, weil Fähigkeit und - vor allem - abzuverlangende Bereitschaft zum Erwerb zusätzlicher (sprachlicher oder staatsbürgerlicher) Kenntnisse auch abhingen von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem anderweitig erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe (und den dort zu bewältigenden Herausforderungen) sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben. Dieser Ausnahmegrund sei damit offen für eine umfassende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Vor dem Erreichen des 50. Lebensjahres werde regelmäßig indes ein altersbedingtes Unvermögen ausscheiden; ab der Vollendung des 60. Lebensjahres liege es jedenfalls nahe. Eine Übertragung der für § 12 Abs. 1 Nr. 4 StAG für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung „älterer Personen“ zu ziehenden Altersgrenze scheide wegen der funktionalen Verknüpfung von Alter und Unvermögen zur Erfüllung der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 aus. Entscheidend sei allein, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien unbeachtlich.

Nach alldem gehen Rechtsprechung und Kommentarliteratur einvernehmlich davon aus, dass der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG darauf abstellt, ob der Einbürgerungsbewerber die in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 geforderten Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann oder hieran infolge einer Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt gehindert ist, wobei es auf ein etwaiges Vertretenmüssen in Bezug auf Versäumnisse in der Vergangenheit nicht ankommt. In diese Richtung weist insbesondere auch die Formulierung in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, wonach Personen begünstigt werden sollen, die die Anforderungen aufgrund ihres Alters „nicht mehr erfüllen können“.(BT-Drs. 16/5065, S. 229) Dieser Sichtweise stimmt der Senat vollumfänglich zu.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Beschluss vom 2.7.2013 - 11 K 1279/13 -, juris Rdnrn. 3 f.) hat sich kürzlich anlässlich eines Prozesskostenhilfeantrags, den es abgelehnt hat, erneut mit der Problematik befasst und seine oben zitierte Rechtsprechung zum altersbedingten Unvermögen dahingehend präzisiert, dass das Erreichen eines Alters von 67 Jahren für die Annahme, altersbedingt keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache erwerben zu können, allein nicht ausreiche. Denn nicht nur die Krankheit oder Behinderung, sondern auch das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein. Ein hohes Alter führe nicht regelmäßig dazu, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG geforderten Kenntnisse gehindert ist. Der Einbürgerungsbewerber habe deshalb substantiiert darzutun (§ 37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 AufenthG), dass er gerade aufgrund seines Alters nicht (mehr) in der Lage sei, die geforderten Kenntnisse zu erwerben. Dieser Mitwirkungspflicht sei nicht genügt worden.

Dieser Argumentation ist hinsichtlich der Annahme, dass das Erreichen eines bestimmten Alters zur Tatbestandserfüllung nicht ausreiche, weil ein hohes Alter nicht regelmäßig dazu führe, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der geforderten Kenntnisse gehindert ist – zuzustimmen. Die weitere Formulierung, das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein, erscheint indes gemessen am Regelungsgehalt des § 10 Abs. 6 StAG problematisch.

§ 10 Abs. 6 StAG stellt – wie ausgeführt und auch vom Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 2.12.2011 ausdrücklich anerkannt – darauf ab, ob der Einbürgerungsbewerber die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nrn. 6 und 7 im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann. Der Ausnahmetatbestand knüpft nicht an den Umstand an, dass der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen zur Zeit der Antragstellung nicht erfüllt, und befasst sich daher nicht mit der Frage, aus welchen Gründen er diesen Anforderungen derzeit nicht genügt. Tatbestandrelevant ist vielmehr, ob der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen „erfüllen kann“. Entscheidend ist daher, ob er sie erfüllen könnte, wenn er dies wollte und entsprechende Bemühungen zum Erwerb der geforderten Kenntnisse unternähme, oder ob er die Anforderungen infolge krankheits- oder altersbedingter Einschränkungen auch bei Entfalten diesbezüglicher Anstrengungen nicht mehr erfüllen kann. Damit ist einzelfallbezogen zu klären, ob trotz Krankheit oder Behinderung oder fortgeschrittenen Lebensalters unter Berücksichtigung der konkreten Lebensentwicklung und -umstände des Einbürgerungsbewerbers davon auszugehen ist, dass dessen etwaige Bemühungen, Sprachkenntnisse auf dem durch § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG vorgegebenen Niveau sowie die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, erfolgversprechend wären. Bejahendenfalls ist ihm zuzumuten, diese Bemühungen zu unternehmen, wobei sich im Falle eines Nichtbestehens der anschließenden Prüfungen die Frage stellen würde, ob das – behördlicher- bzw. gerichtlicherseits nicht erwartete – Scheitern seine Ursache in unzureichenden Anstrengungen, sonstigen Gründen (z.B. Analphabetismus eines noch lebensjungen Einbürgerungsbewerbers(BVerwG, Urteil vom 27.5.2010 - 5 C 8/09 -, juris)) oder einem der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Gründe hat. Denn es soll – so auch Berlit(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) – Einbürgerungsbewerbern im fortgeschrittenen Lebensalter angesichts der typischerweise im Alter schwindenden Fähigkeit, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, nicht ausnahmslos zugemutet werden, entsprechende Bemühungen, Kenntnisse auf dem geforderten Niveau zu erwerben, zu entfalten. Nach alldem geht es in § 10 Abs. 6 StAG um die Ursache für ein etwaiges Unvermögen, sich fehlende Kenntnisse anzueignen, nicht hingegen – wie das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 2.7.2013 möglicherweise andeuten will und der Beklagte im Einzelnen argumentiert – um die Ursache für den Umstand, dass der Einbürgerungsbewerber die geforderten Kenntnisse aktuell nicht erfüllt. Die vom Beklagten vertretene Kausalitätsbetrachtung geht am Tatbestand des § 10 Abs. 6 StAG vorbei, denn sie setzt an einem falschen Punkt an. Der Beklagte sucht die Ursache der fehlenden Kenntnisse, die er in dem Unterlassen in der Vergangenheit sieht. Nach dem Gesetz ist indes zu klären, ob der Einbürgerungsbewerber aktuell über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt oder eben etwa aufgrund seines Alters nicht mehr verfügt. Entscheidungserheblich ist daher nicht, ob in der Vergangenheit die Möglichkeit des Erwerbs der Kenntnisse bestanden hätte, aber nicht genutzt wurde, sondern allein, ob die geforderten Kenntnisse derzeit aufgrund eines der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Tatbestände nicht mehr erworben werden können. Es trifft nach alldem nicht zu, dass in den Genuss der Ausnahmevorschrift grundsätzlich nur kommen soll, wer erst im hohen Alter eingereist ist.

In rechtlicher Hinsicht ist des Weiteren zu bekräftigen, dass § 10 Abs. 6 StAG kein Ermessen eröffnet. Liegt einer der Ausnahmetatbestände vor, so „ist abzusehen“, d.h. der Einbürgerungsbewerber hat - soweit er die übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt - einen Anspruch darauf, dass er trotz des Fehlens der Kenntnisse eingebürgert wird. § 10 Abs. 6 StAG ist Teil der am 28.8.2007 in Kraft getretenen Neuregelung des Einbürgerungsrechts. Im Gesetzgebungsverfahren war auf Betreiben der Länder erwogen worden, den Ausnahmetatbestand als Ermessensvorschrift auszugestalten, dieser Ansatz konnte sich aber nicht durchsetzen. Diesbezüglich heißt es in der Gesetzesbegründung(BT-Drs. 16/5107, S. 13) : „Die Ermessensregelung in Abs. 6 lehnt die Bundesregierung ab, da bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kein Raum mehr für ein Ermessen der Staatsangehörigkeitsbehörde bleibt. Wenn der Einbürgerungsbewerber aufgrund seiner Behinderung oder seiner altersbedingten Beeinträchtigung den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse oder staatsbürgerlicher Kenntnisse nicht erbringen kann, muss zwingend von diesen Voraussetzungen abgesehen werden.“

Im Rahmen der damit vorzunehmenden Einzelfallprüfung können die Behörden oder das Gericht sich zwar bei Bedarf sachverständiger Hilfe bedienen, müssen dies aber nicht, wenn die konkreten Umstände keinen vernünftigen Zweifel daran lassen, dass einer der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Ausnahmetatbestände erfüllt ist.(so auch Nr. 10.6 der Vorläufigen Anwendungshinweise des BMI vom 17.4.2009) So liegt der Fall hier.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und den sich aus dem Akteninhalt ergebenden Erkenntnissen ist nicht anzunehmen, dass der Kläger in der Lage wäre, sich Kenntnisse der deutschen Sprache in mündlicher und schriftlicher Form auf dem durch § 10 Abs. 4 StAG vorgegebenen Niveau sowie die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG geforderten Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach § 10 Abs. 5 Satz 1 StAG in der Regel durch das Bestehen eines Einbürgerungstests nachzuweisen sind, anzueignen.

Der Kläger ist inzwischen 71 Jahre alt und befindet sich damit in einem Lebensalter, in dem die Fähigkeit, sich neue Kenntnisse anzueignen zwar durchaus bestehen, aber nicht als im Regelfall gegeben unterstellt werden kann.(vgl. hierzu auch Berlit in GK-StAG, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) Seine persönlichen Lebensumstände spielen daher eine maßgebliche Rolle für die Entscheidung der Frage, ob davon ausgegangen werden kann, dass er bei Entfalten entsprechender Bemühungen in der Lage wäre, die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG zu erfüllen.

Nach den Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger nie eine Schule besucht und nie das Lesen und Schreiben gelernt, sondern seit jungen Jahren Arbeit auf dem Feld verrichten müssen. Dass diese Angaben nicht zutreffen könnten, ist nicht anzunehmen. Der Kläger ist 1942 geboren. Dass Ende der vierziger Jahre in den kurdischen Gebieten der Türkei flächendeckend die Möglichkeit oder gar Pflicht bestanden haben könnte, eine Schule zu besuchen, erscheint äußerst fernliegend. Der Senat hegt daher keinen Zweifel daran, dass der Kläger in seinem Herkunftsland, das er im Alter von 48 Jahren verlassen hat, nie eine Schule besucht und auch sonst keine Ausbildung absolviert hat, sondern vielmehr Tätigkeiten nachgegangen ist, die ihn sicherlich weitaus mehr in körperlicher als in geistiger Hinsicht gefordert haben.

Der Sohn des Klägers hat weiter angegeben, bei den ärztlichen Untersuchungen anlässlich der Einreise des Klägers sei die Notwendigkeit mehrerer Operationen festgestellt worden. Entsprechende Behandlungsmöglichkeiten hätten dem Kläger in der Türkei nicht offen gestanden. Trotz allem habe seine Arbeitsfähigkeit nicht wiederhergestellt werden können. Eine Arbeitsaufnahme sei ihm behördlicherseits und seitens seiner Ärzte strikt untersagt worden. Mit diesen Angaben korrespondiert, dass ausweislich Blatt 184 der Verwaltungsakte anlässlich einer auf Betreiben des Sozialamtes der Gemeinde A-Stadt durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung vom 10.12.2001 festgestellt wurde, dass der Kläger auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig und – vorbehaltlich eines Entscheids des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers – erwerbsunfähig ist. Ausweislich Blatt 32 und 33 der Verwaltungsakte hat der sozialmedizinische Dienst der Landesversicherungsanstalt für das Saarland als Rentenversicherungsträger auf ein Ersuchen nach dem Grundsicherungsgesetz mit Schreiben vom 20.5.2003 bestätigt, dass der Kläger unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Damit steht für den Senat außer Zweifel, dass der Kläger sich auch nach seiner Einreise nie in einer Situation befunden hat, in der er gehalten gewesen wäre, sich zwecks Ausübung einer Erwerbstätigkeit gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen, ohne die selbst eine ungelernte Kraft auf dem hiesigen Arbeitsmarkt nicht auskommen kann. Er war mithin – abgesehen von der früheren (sicherlich primär durch körperlichen Einsatz geprägten) Arbeit auf dem Feld – nie in der Situation, Anweisungen und Arbeitsabläufe verstehen, mit anderen arbeitsteilig zusammenarbeiten und sich in einen Kollegenkreis einbringen zu müssen. Er konnte demgemäß nicht von Kontakten zu Arbeitskollegen und der Notwendigkeit, sich im Erwerbsleben zurechtfinden zu müssen und sich verständlich zu machen, profitieren. Eine „Erwerbsteilnahme“ im Sinne der oben wiedergegebenen Ausführungen in der Kommentierung von Berlit gab es daher nie. Infolge seiner Erwerbsunfähigkeit bestand für ihn keine Möglichkeit, sich über die normalen Anforderungen einer Erwerbstätigkeit sprachlich und sozial in die hiesigen Lebensverhältnisse zu integrieren. Insofern verwundert auch nicht, dass er nach den glaubhaften Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seit seiner Einreise sehr zurückgezogen und ohne nennenswerte soziale Kontakte zu Deutschen lebt.

Nach alldem sind die Lebensbedingungen und die aktuelle Lebenssituation des Klägers maßgeblich dadurch geprägt, dass er noch nie in seinem Leben in beachtlicher Weise geistig gefordert war.

Dem Senat erschließt sich nicht, woran in einem solchen Fall die Erwartung anknüpfen sollte, der Kläger sei ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters und unter Berücksichtigung seiner ganz persönlichen Lebensumstände gegenwärtig in der Lage, erstmals in seinem Leben eine Fremdsprache so zu erlernen, dass er dem seit 2007 verschärften Anforderungsniveau gerecht wird und zudem die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, die ihrerseits ein gewisses Sprachverständnis und die Fähigkeit, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge erfassen zu können, voraussetzen. Die Schlussfolgerung, dass es dem 71-jährigen Kläger nicht mehr gelingen wird, sich die geforderten Kenntnisse anzueignen, liegt so nahe, dass es ihrer Bestätigung durch Einholung eines (amts-)ärztlichen Gutachtens nicht bedarf.

Soweit die Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die Nichtnutzung der Möglichkeit hingewiesen hat, sich in jüngeren Jahren in Volkshochschulkursen Sprachkenntnisse anzueignen, ist weder geklärt, ob es ein solches Angebot für kurdisch sprechende Interessenten gegeben hat, noch ist dies entscheidungserheblich. Denn es kommt – wie ausgeführt – nicht darauf an, ob der Kläger in der Vergangenheit versäumt hat, ihm offenstehende Möglichkeiten, Sprachkenntnisse zu erwerben, zu nutzen, sondern entscheidend ist, dass angesichts seines fortgeschrittenen – typischerweise mit schwindender Lernfähigkeit verbundenen – Lebensalters und seiner gesamten Lebensumstände nicht angenommen werden kann, dass er heute noch über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt.

Die weitere rechtliche Argumentation der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, die im Rahmen von Ermessenseinbürgerungen bestehenden Möglichkeiten, Einbürgerungsbewerbern unter bestimmten Voraussetzungen Privilegierungen zukommen zu lassen, wären sinnlos und gesetzestechnisch unverständlich, wenn § 10 Abs. 6 StAG das „Ersitzen“ einer Anspruchseinbürgerung ermöglichen würde, geht ebenfalls fehl. Wie ausgeführt bedarf es im Rahmen des Ausnahmetatbestandes des Absatzes 6 einer konkreten Einzelfallbetrachtung, die nicht nur das jeweilige Alter in den Blick nimmt, sondern unter Würdigung aller für und gegen ein (Fort-)Bestehen hinreichender Lernfähigkeit sprechenden persönlichen Lebensumstände entweder den Schluss rechtfertigt, dass ungeachtet des fortgeschrittenen Alters noch eine ausreichende Lernfähigkeit besteht oder eben nicht erwartet werden kann. Mit „Ersitzen“ hat diese Regelung nichts zu tun.

Da der Kläger als Asylberechtigter anerkannt ist, ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 6 StAG von der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG (Aufgabe oder Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit) abzusehen.

Die Berufung des Klägers ist nach alldem mit seinem im Hauptantrag verfolgten Begehren, ihn einzubürgern, erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Der Senat hat im Einklang mit der einhelligen Rechtsprechung eine Einzelfallentscheidung getroffen.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 10.000,-- Euro festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 42.1 der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts unterliegt der Abänderung, denn die auf Einbürgerung des Klägers gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht auf der Grundlage des § 10 StAG ein Anspruch auf Einbürgerung zu. Der dies verkennende Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist daher aufzuheben und gleichzeitig ist der Beklagte zu verpflichten, den Kläger einzubürgern.

§ 10 StAG legt fest, unter welchen Voraussetzungen ein Einbürgerungsbewerber einen Anspruch auf Einbürgerung hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger mit Ausnahme der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit Absatz 4 Satz 1 der Vorschrift geforderten Kenntnisse der deutschen Sprache und der nach Absatz 1 Nr. 7 der Vorschrift erforderlichen Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland. Sowohl hinsichtlich der geforderten Sprachkenntnisse als auch hinsichtlich der staatsbürgerlichen Kenntnisse enthält § 10 Abs. 6 StAG eine Ausnahmevorschrift, nach welcher von diesen Anforderungen abzusehen ist, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann. Aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des gesamten Akteninhalts hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG altersbedingt nicht erfüllen kann.

Die bisherige Rechtsprechung zu dem am 28.8.2007 in Kraft getretenen Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013 - 19 A 364/10 -, juris Rdnrn. 22 ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011 - 11 K 839/11 -, juris Rdnrn. 30 f.; VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013 - 4 K 1072/11 -, juris Rdnr. 27; ebenso hinsichtlich krankheitsbedingter Einschränkungen: HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013 - 5 A 1390/12.Z -, InfAuslR 2013, 202, 203,) und die einschlägige Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR,  Stand: 28. Erg.lfg. Dezember 2013,  § 10 Rdnr. 406 m.w.N.) stimmen darin überein, dass für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands „altersbedingt nicht erfüllen kann“ allein entscheidend ist, ob der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen nicht mehr abverlangt werden kann. Man ist sich einig, dass das Eingreifen des Ausnahmetatbestands nicht voraussetzt, dass der Einbürgerungsbewerber seine mangelnden Kenntnisse nicht zu vertreten hat.

So hat das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011, a.a.O., Rdnr. 31) ausgeführt, § 10 Abs. 6 stelle nicht darauf ab, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können. Maßgeblich sei allein, ob der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor Gericht wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG nicht mehr erfüllen könne. Die Anwendung des § 10 Abs. 6 StAG scheide deshalb nicht bereits dann aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich bereits seit vielen Jahren/Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich in früherer Zeit die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Erkenntnisse hätte aneignen können; auf ein Vertretenmüssen habe der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt.

Dieser Sichtweise stimmt das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013, a.a.O., juris Rdnrn. 23 ff.(Revision unter Geschäfts-Nr. 5 C 15/13 anhängig, Terminierung noch nicht absehbar)) mit ausführlicher Begründung zu. Für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 10 Abs. 6 StAG sei allein entscheidend, ob die Hinderungsgründe im Zeitpunkt der Einbürgerung vorlägen. Versäumnisse hinsichtlich des Erwerbs der maßgeblichen Kenntnisse in der Vergangenheit würden nicht berücksichtigt. Hierfür spreche der Wortlaut, die historische und genetische sowie die systematische Auslegung der Vorschrift. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden dieser Auslegung nicht entgegen. So stehe der maßgebliche zweite Halbsatz der Vorschrift im Präsens, was aufzeige, dass die gegenwärtige Situation entscheidend sei. Auch die Gesetzesbegründung mache - wie im Einzelnen ausgeführt wird - deutlich, dass der Gesetzgeber auf die gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten der Einbürgerungsbewerber und nicht auf frühere Versäumnisse abstelle. Die Einbürgerungsvoraussetzungen seien neu geregelt worden und hinsichtlich der Anforderungen an ausreichende Sprachkenntnisse deutlich strenger geworden. Gleichzeitig sei erstmalig ein Ausnahmetatbestand in das Gesetz aufgenommen und seien die Einbürgerungsbewerber insoweit begünstigt worden. Diese Ausnahme kompensiere für einen bestimmten Personenkreis die verschärften Anforderungen. In systematischer Hinsicht müsse gesehen werden, dass der Gesetzgeber hinsichtlich des Bezugs von Sozialleistungen in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG ausdrücklich vorgegeben habe, dass dieser einbürgerungshindernd sei, wenn der Einbürgerungsbewerber ihn zu vertreten habe. In Absatz 6 der Vorschrift fehle eine vergleichbare Regelung, was zeige, dass der Gesetzgeber hier nicht auf ein Vertretenmüssen habe abstellen wollen. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden der Unmaßgeblichkeit von Versäumnissen in der Vergangenheit nicht entgegen. Der Gesetzgeber nehme in den geregelten Ausnahmefällen hin, dass die üblicherweise mit einem mindestens achtjährigen Aufenthalt im Inland verbundene Integrationserwartung des Erwerbs ausreichender Sprachkenntnisse nicht erfüllt werde, lasse also insoweit eine Teilintegration ausreichen.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013, a.a.O., S. 203) hat in Bezug auf die Relevanz einer Prüfungsphobie ausgeführt, schon nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 6 StAG komme es hinsichtlich der Frage, ob der Ausländer die Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG wegen einer Krankheit nicht erfüllen könne, nur auf den Zeitpunkt der Einbürgerung an.

Das Verwaltungsgericht Aachen(VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013, a.a.O., Rdnr. 17) sieht den Anknüpfungspunkt der altersbedingten Gründe darin, dass mit zunehmendem Lebensalter regelmäßig die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen. Personen gehobenen Alters solle nicht ausnahmslos abverlangt werden, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Altersgrenze könne allerdings nicht gezogen werden, da Kenntnisse und Fähigkeiten von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben, abhingen. Der Begriff „altersbedingt“ sei daher einzelfallabhängig. Entscheidend sei dabei, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien hingegen unbeachtlich. § 10 Abs. 6 StAG stelle nämlich anders als bei der Unterhaltsfähigkeit nicht auf Vertretenmüssen ab und damit auch nicht darauf, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können.

In der einschlägigen Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnrn. 404 ff.) heißt es zur Problematik, Abs. 6 enthalte eine strikte Pflicht, von den Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 abzusehen, wenn diese wegen Alters oder Behinderung nicht erfüllt werden könnten. Der Gesetzgeber habe ein im Ansatz unflexibles „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ normiert. Die Anforderungen könnten nicht nach Maßgabe des Grades alters- oder behinderungsbedingter Beeinträchtigungen abgesenkt werden. Sie seien entweder vollständig zu erfüllen oder es sei von ihnen vollständig abzusehen. Zwischen dem Alter oder der Behinderung und dem subjektiven Unvermögen des Einbürgerungsbewerbers, die Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 zu erfüllen, müsse eine kausale Verknüpfung bestehen. Abs. 6 stelle Personen nicht allein wegen ihres Alters oder ihrer Behinderung von der Erfüllung der Anforderungen frei. Diese - abschließend benannten Umstände - müssten (nachweislich) Ursache für das Unvermögen sein, diesen Anforderungen zu entsprechen. Die altersbedingten Gründe knüpften daran an, dass - bei einer typisierenden Betrachtungsweise - die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, und es Personen gehobenen Alters auch nicht abverlangt werden solle, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Alters(unter)grenze könne nicht gezogen werden, weil Fähigkeit und - vor allem - abzuverlangende Bereitschaft zum Erwerb zusätzlicher (sprachlicher oder staatsbürgerlicher) Kenntnisse auch abhingen von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem anderweitig erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe (und den dort zu bewältigenden Herausforderungen) sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben. Dieser Ausnahmegrund sei damit offen für eine umfassende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Vor dem Erreichen des 50. Lebensjahres werde regelmäßig indes ein altersbedingtes Unvermögen ausscheiden; ab der Vollendung des 60. Lebensjahres liege es jedenfalls nahe. Eine Übertragung der für § 12 Abs. 1 Nr. 4 StAG für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung „älterer Personen“ zu ziehenden Altersgrenze scheide wegen der funktionalen Verknüpfung von Alter und Unvermögen zur Erfüllung der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 aus. Entscheidend sei allein, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien unbeachtlich.

Nach alldem gehen Rechtsprechung und Kommentarliteratur einvernehmlich davon aus, dass der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG darauf abstellt, ob der Einbürgerungsbewerber die in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 geforderten Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann oder hieran infolge einer Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt gehindert ist, wobei es auf ein etwaiges Vertretenmüssen in Bezug auf Versäumnisse in der Vergangenheit nicht ankommt. In diese Richtung weist insbesondere auch die Formulierung in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, wonach Personen begünstigt werden sollen, die die Anforderungen aufgrund ihres Alters „nicht mehr erfüllen können“.(BT-Drs. 16/5065, S. 229) Dieser Sichtweise stimmt der Senat vollumfänglich zu.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Beschluss vom 2.7.2013 - 11 K 1279/13 -, juris Rdnrn. 3 f.) hat sich kürzlich anlässlich eines Prozesskostenhilfeantrags, den es abgelehnt hat, erneut mit der Problematik befasst und seine oben zitierte Rechtsprechung zum altersbedingten Unvermögen dahingehend präzisiert, dass das Erreichen eines Alters von 67 Jahren für die Annahme, altersbedingt keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache erwerben zu können, allein nicht ausreiche. Denn nicht nur die Krankheit oder Behinderung, sondern auch das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein. Ein hohes Alter führe nicht regelmäßig dazu, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG geforderten Kenntnisse gehindert ist. Der Einbürgerungsbewerber habe deshalb substantiiert darzutun (§ 37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 AufenthG), dass er gerade aufgrund seines Alters nicht (mehr) in der Lage sei, die geforderten Kenntnisse zu erwerben. Dieser Mitwirkungspflicht sei nicht genügt worden.

Dieser Argumentation ist hinsichtlich der Annahme, dass das Erreichen eines bestimmten Alters zur Tatbestandserfüllung nicht ausreiche, weil ein hohes Alter nicht regelmäßig dazu führe, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der geforderten Kenntnisse gehindert ist – zuzustimmen. Die weitere Formulierung, das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein, erscheint indes gemessen am Regelungsgehalt des § 10 Abs. 6 StAG problematisch.

§ 10 Abs. 6 StAG stellt – wie ausgeführt und auch vom Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 2.12.2011 ausdrücklich anerkannt – darauf ab, ob der Einbürgerungsbewerber die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nrn. 6 und 7 im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann. Der Ausnahmetatbestand knüpft nicht an den Umstand an, dass der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen zur Zeit der Antragstellung nicht erfüllt, und befasst sich daher nicht mit der Frage, aus welchen Gründen er diesen Anforderungen derzeit nicht genügt. Tatbestandrelevant ist vielmehr, ob der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen „erfüllen kann“. Entscheidend ist daher, ob er sie erfüllen könnte, wenn er dies wollte und entsprechende Bemühungen zum Erwerb der geforderten Kenntnisse unternähme, oder ob er die Anforderungen infolge krankheits- oder altersbedingter Einschränkungen auch bei Entfalten diesbezüglicher Anstrengungen nicht mehr erfüllen kann. Damit ist einzelfallbezogen zu klären, ob trotz Krankheit oder Behinderung oder fortgeschrittenen Lebensalters unter Berücksichtigung der konkreten Lebensentwicklung und -umstände des Einbürgerungsbewerbers davon auszugehen ist, dass dessen etwaige Bemühungen, Sprachkenntnisse auf dem durch § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG vorgegebenen Niveau sowie die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, erfolgversprechend wären. Bejahendenfalls ist ihm zuzumuten, diese Bemühungen zu unternehmen, wobei sich im Falle eines Nichtbestehens der anschließenden Prüfungen die Frage stellen würde, ob das – behördlicher- bzw. gerichtlicherseits nicht erwartete – Scheitern seine Ursache in unzureichenden Anstrengungen, sonstigen Gründen (z.B. Analphabetismus eines noch lebensjungen Einbürgerungsbewerbers(BVerwG, Urteil vom 27.5.2010 - 5 C 8/09 -, juris)) oder einem der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Gründe hat. Denn es soll – so auch Berlit(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) – Einbürgerungsbewerbern im fortgeschrittenen Lebensalter angesichts der typischerweise im Alter schwindenden Fähigkeit, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, nicht ausnahmslos zugemutet werden, entsprechende Bemühungen, Kenntnisse auf dem geforderten Niveau zu erwerben, zu entfalten. Nach alldem geht es in § 10 Abs. 6 StAG um die Ursache für ein etwaiges Unvermögen, sich fehlende Kenntnisse anzueignen, nicht hingegen – wie das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 2.7.2013 möglicherweise andeuten will und der Beklagte im Einzelnen argumentiert – um die Ursache für den Umstand, dass der Einbürgerungsbewerber die geforderten Kenntnisse aktuell nicht erfüllt. Die vom Beklagten vertretene Kausalitätsbetrachtung geht am Tatbestand des § 10 Abs. 6 StAG vorbei, denn sie setzt an einem falschen Punkt an. Der Beklagte sucht die Ursache der fehlenden Kenntnisse, die er in dem Unterlassen in der Vergangenheit sieht. Nach dem Gesetz ist indes zu klären, ob der Einbürgerungsbewerber aktuell über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt oder eben etwa aufgrund seines Alters nicht mehr verfügt. Entscheidungserheblich ist daher nicht, ob in der Vergangenheit die Möglichkeit des Erwerbs der Kenntnisse bestanden hätte, aber nicht genutzt wurde, sondern allein, ob die geforderten Kenntnisse derzeit aufgrund eines der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Tatbestände nicht mehr erworben werden können. Es trifft nach alldem nicht zu, dass in den Genuss der Ausnahmevorschrift grundsätzlich nur kommen soll, wer erst im hohen Alter eingereist ist.

In rechtlicher Hinsicht ist des Weiteren zu bekräftigen, dass § 10 Abs. 6 StAG kein Ermessen eröffnet. Liegt einer der Ausnahmetatbestände vor, so „ist abzusehen“, d.h. der Einbürgerungsbewerber hat - soweit er die übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt - einen Anspruch darauf, dass er trotz des Fehlens der Kenntnisse eingebürgert wird. § 10 Abs. 6 StAG ist Teil der am 28.8.2007 in Kraft getretenen Neuregelung des Einbürgerungsrechts. Im Gesetzgebungsverfahren war auf Betreiben der Länder erwogen worden, den Ausnahmetatbestand als Ermessensvorschrift auszugestalten, dieser Ansatz konnte sich aber nicht durchsetzen. Diesbezüglich heißt es in der Gesetzesbegründung(BT-Drs. 16/5107, S. 13) : „Die Ermessensregelung in Abs. 6 lehnt die Bundesregierung ab, da bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kein Raum mehr für ein Ermessen der Staatsangehörigkeitsbehörde bleibt. Wenn der Einbürgerungsbewerber aufgrund seiner Behinderung oder seiner altersbedingten Beeinträchtigung den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse oder staatsbürgerlicher Kenntnisse nicht erbringen kann, muss zwingend von diesen Voraussetzungen abgesehen werden.“

Im Rahmen der damit vorzunehmenden Einzelfallprüfung können die Behörden oder das Gericht sich zwar bei Bedarf sachverständiger Hilfe bedienen, müssen dies aber nicht, wenn die konkreten Umstände keinen vernünftigen Zweifel daran lassen, dass einer der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Ausnahmetatbestände erfüllt ist.(so auch Nr. 10.6 der Vorläufigen Anwendungshinweise des BMI vom 17.4.2009) So liegt der Fall hier.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und den sich aus dem Akteninhalt ergebenden Erkenntnissen ist nicht anzunehmen, dass der Kläger in der Lage wäre, sich Kenntnisse der deutschen Sprache in mündlicher und schriftlicher Form auf dem durch § 10 Abs. 4 StAG vorgegebenen Niveau sowie die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG geforderten Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach § 10 Abs. 5 Satz 1 StAG in der Regel durch das Bestehen eines Einbürgerungstests nachzuweisen sind, anzueignen.

Der Kläger ist inzwischen 71 Jahre alt und befindet sich damit in einem Lebensalter, in dem die Fähigkeit, sich neue Kenntnisse anzueignen zwar durchaus bestehen, aber nicht als im Regelfall gegeben unterstellt werden kann.(vgl. hierzu auch Berlit in GK-StAG, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) Seine persönlichen Lebensumstände spielen daher eine maßgebliche Rolle für die Entscheidung der Frage, ob davon ausgegangen werden kann, dass er bei Entfalten entsprechender Bemühungen in der Lage wäre, die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG zu erfüllen.

Nach den Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger nie eine Schule besucht und nie das Lesen und Schreiben gelernt, sondern seit jungen Jahren Arbeit auf dem Feld verrichten müssen. Dass diese Angaben nicht zutreffen könnten, ist nicht anzunehmen. Der Kläger ist 1942 geboren. Dass Ende der vierziger Jahre in den kurdischen Gebieten der Türkei flächendeckend die Möglichkeit oder gar Pflicht bestanden haben könnte, eine Schule zu besuchen, erscheint äußerst fernliegend. Der Senat hegt daher keinen Zweifel daran, dass der Kläger in seinem Herkunftsland, das er im Alter von 48 Jahren verlassen hat, nie eine Schule besucht und auch sonst keine Ausbildung absolviert hat, sondern vielmehr Tätigkeiten nachgegangen ist, die ihn sicherlich weitaus mehr in körperlicher als in geistiger Hinsicht gefordert haben.

Der Sohn des Klägers hat weiter angegeben, bei den ärztlichen Untersuchungen anlässlich der Einreise des Klägers sei die Notwendigkeit mehrerer Operationen festgestellt worden. Entsprechende Behandlungsmöglichkeiten hätten dem Kläger in der Türkei nicht offen gestanden. Trotz allem habe seine Arbeitsfähigkeit nicht wiederhergestellt werden können. Eine Arbeitsaufnahme sei ihm behördlicherseits und seitens seiner Ärzte strikt untersagt worden. Mit diesen Angaben korrespondiert, dass ausweislich Blatt 184 der Verwaltungsakte anlässlich einer auf Betreiben des Sozialamtes der Gemeinde A-Stadt durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung vom 10.12.2001 festgestellt wurde, dass der Kläger auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig und – vorbehaltlich eines Entscheids des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers – erwerbsunfähig ist. Ausweislich Blatt 32 und 33 der Verwaltungsakte hat der sozialmedizinische Dienst der Landesversicherungsanstalt für das Saarland als Rentenversicherungsträger auf ein Ersuchen nach dem Grundsicherungsgesetz mit Schreiben vom 20.5.2003 bestätigt, dass der Kläger unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Damit steht für den Senat außer Zweifel, dass der Kläger sich auch nach seiner Einreise nie in einer Situation befunden hat, in der er gehalten gewesen wäre, sich zwecks Ausübung einer Erwerbstätigkeit gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen, ohne die selbst eine ungelernte Kraft auf dem hiesigen Arbeitsmarkt nicht auskommen kann. Er war mithin – abgesehen von der früheren (sicherlich primär durch körperlichen Einsatz geprägten) Arbeit auf dem Feld – nie in der Situation, Anweisungen und Arbeitsabläufe verstehen, mit anderen arbeitsteilig zusammenarbeiten und sich in einen Kollegenkreis einbringen zu müssen. Er konnte demgemäß nicht von Kontakten zu Arbeitskollegen und der Notwendigkeit, sich im Erwerbsleben zurechtfinden zu müssen und sich verständlich zu machen, profitieren. Eine „Erwerbsteilnahme“ im Sinne der oben wiedergegebenen Ausführungen in der Kommentierung von Berlit gab es daher nie. Infolge seiner Erwerbsunfähigkeit bestand für ihn keine Möglichkeit, sich über die normalen Anforderungen einer Erwerbstätigkeit sprachlich und sozial in die hiesigen Lebensverhältnisse zu integrieren. Insofern verwundert auch nicht, dass er nach den glaubhaften Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seit seiner Einreise sehr zurückgezogen und ohne nennenswerte soziale Kontakte zu Deutschen lebt.

Nach alldem sind die Lebensbedingungen und die aktuelle Lebenssituation des Klägers maßgeblich dadurch geprägt, dass er noch nie in seinem Leben in beachtlicher Weise geistig gefordert war.

Dem Senat erschließt sich nicht, woran in einem solchen Fall die Erwartung anknüpfen sollte, der Kläger sei ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters und unter Berücksichtigung seiner ganz persönlichen Lebensumstände gegenwärtig in der Lage, erstmals in seinem Leben eine Fremdsprache so zu erlernen, dass er dem seit 2007 verschärften Anforderungsniveau gerecht wird und zudem die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, die ihrerseits ein gewisses Sprachverständnis und die Fähigkeit, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge erfassen zu können, voraussetzen. Die Schlussfolgerung, dass es dem 71-jährigen Kläger nicht mehr gelingen wird, sich die geforderten Kenntnisse anzueignen, liegt so nahe, dass es ihrer Bestätigung durch Einholung eines (amts-)ärztlichen Gutachtens nicht bedarf.

Soweit die Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die Nichtnutzung der Möglichkeit hingewiesen hat, sich in jüngeren Jahren in Volkshochschulkursen Sprachkenntnisse anzueignen, ist weder geklärt, ob es ein solches Angebot für kurdisch sprechende Interessenten gegeben hat, noch ist dies entscheidungserheblich. Denn es kommt – wie ausgeführt – nicht darauf an, ob der Kläger in der Vergangenheit versäumt hat, ihm offenstehende Möglichkeiten, Sprachkenntnisse zu erwerben, zu nutzen, sondern entscheidend ist, dass angesichts seines fortgeschrittenen – typischerweise mit schwindender Lernfähigkeit verbundenen – Lebensalters und seiner gesamten Lebensumstände nicht angenommen werden kann, dass er heute noch über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt.

Die weitere rechtliche Argumentation der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, die im Rahmen von Ermessenseinbürgerungen bestehenden Möglichkeiten, Einbürgerungsbewerbern unter bestimmten Voraussetzungen Privilegierungen zukommen zu lassen, wären sinnlos und gesetzestechnisch unverständlich, wenn § 10 Abs. 6 StAG das „Ersitzen“ einer Anspruchseinbürgerung ermöglichen würde, geht ebenfalls fehl. Wie ausgeführt bedarf es im Rahmen des Ausnahmetatbestandes des Absatzes 6 einer konkreten Einzelfallbetrachtung, die nicht nur das jeweilige Alter in den Blick nimmt, sondern unter Würdigung aller für und gegen ein (Fort-)Bestehen hinreichender Lernfähigkeit sprechenden persönlichen Lebensumstände entweder den Schluss rechtfertigt, dass ungeachtet des fortgeschrittenen Alters noch eine ausreichende Lernfähigkeit besteht oder eben nicht erwartet werden kann. Mit „Ersitzen“ hat diese Regelung nichts zu tun.

Da der Kläger als Asylberechtigter anerkannt ist, ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 6 StAG von der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG (Aufgabe oder Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit) abzusehen.

Die Berufung des Klägers ist nach alldem mit seinem im Hauptantrag verfolgten Begehren, ihn einzubürgern, erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Der Senat hat im Einklang mit der einhelligen Rechtsprechung eine Einzelfallentscheidung getroffen.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 10.000,-- Euro festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 42.1 der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

(1) Fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz ist, wer das 16. Lebensjahr vollendet hat, sofern er nicht nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs geschäftsunfähig oder im Falle seiner Volljährigkeit in dieser Angelegenheit zu betreuen und einem Einwilligungsvorbehalt zu unterstellen wäre. § 80 Absatz 3 und § 82 des Aufenthaltsgesetzes gelten entsprechend.

(2) Die Einbürgerungsbehörden übermitteln den Verfassungsschutzbehörden zur Ermittlung von Ausschlussgründen nach § 11 die bei ihnen gespeicherten personenbezogenen Daten der Antragsteller, die das 16. Lebensjahr vollendet haben. Die Verfassungsschutzbehörden unterrichten die anfragende Stelle unverzüglich nach Maßgabe der insoweit bestehenden besonderen gesetzlichen Verarbeitungsregelungen.

(1) Der Ausländer ist verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise über seine persönlichen Verhältnisse, sonstige erforderliche Bescheinigungen und Erlaubnisse sowie sonstige erforderliche Nachweise, die er erbringen kann, unverzüglich beizubringen. Die Ausländerbehörde kann ihm dafür eine angemessene Frist setzen. Sie setzt ihm eine solche Frist, wenn sie die Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wegen fehlender oder unvollständiger Angaben aussetzt, und benennt dabei die nachzuholenden Angaben. Nach Ablauf der Frist geltend gemachte Umstände und beigebrachte Nachweise können unberücksichtigt bleiben. Der Ausländer, der eine ICT-Karte nach § 19b beantragt hat, ist verpflichtet, der zuständigen Ausländerbehörde jede Änderung mitzuteilen, die während des Antragsverfahrens eintritt und die Auswirkungen auf die Voraussetzungen der Erteilung der ICT-Karte hat.

(2) Absatz 1 findet im Widerspruchsverfahren entsprechende Anwendung.

(3) Der Ausländer soll auf seine Pflichten nach Absatz 1 sowie seine wesentlichen Rechte und Pflichten nach diesem Gesetz, insbesondere die Verpflichtungen aus den §§ 44a, 48, 49 und 81 hingewiesen werden. Im Falle der Fristsetzung ist er auf die Folgen der Fristversäumung hinzuweisen.

(4) Soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen erforderlich ist, kann angeordnet werden, dass ein Ausländer bei der zuständigen Behörde sowie den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich erscheint sowie eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit durchgeführt wird. Kommt der Ausländer einer Anordnung nach Satz 1 nicht nach, kann sie zwangsweise durchgesetzt werden. § 40 Abs. 1 und 2, die §§ 41, 42 Abs. 1 Satz 1 und 3 des Bundespolizeigesetzes finden entsprechende Anwendung.

(5) Der Ausländer, für den nach diesem Gesetz, dem Asylgesetz oder den zur Durchführung dieser Gesetze erlassenen Bestimmungen ein Dokument ausgestellt werden soll, hat auf Verlangen

1.
ein aktuelles Lichtbild nach Maßgabe einer nach § 99 Abs. 1 Nr. 13 und 13a erlassenen Rechtsverordnung vorzulegen oder bei der Aufnahme eines solchen Lichtbildes mitzuwirken und
2.
bei der Abnahme seiner Fingerabdrücke nach Maßgabe einer nach § 99 Absatz 1 Nummer 13 und 13a erlassenen Rechtsverordnung mitzuwirken.
Das Lichtbild und die Fingerabdrücke dürfen in Dokumente nach Satz 1 eingebracht und von den zuständigen Behörden zur Sicherung und einer späteren Feststellung der Identität verarbeitet werden.

(6) Ausländer, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach Kapitel 2 Abschnitt 3 oder 4 sind, sind verpflichtet, der zuständigen Ausländerbehörde innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis mitzuteilen, dass die Ausbildung oder die Erwerbstätigkeit, für die der Aufenthaltstitel erteilt wurde, vorzeitig beendet wurde. Der Ausländer ist bei Erteilung des Aufenthaltstitels über seine Verpflichtung nach Satz 1 zu unterrichten.

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers für das erstinstanzliche Klageverfahren zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dieses biete nicht die nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht.

Der Senat schließt sich der Auffassung des Verwaltungsgerichts an. Gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO sieht er insoweit von einer eigene Darstellung ab und folgt den Gründen der angefochtenen Entscheidung.

Das Beschwerdevorbringen gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Es ist dem Kläger auch hiermit nicht gelungen, seiner Mitwirkungspflicht gemäß § 37 Abs. 1 StAG i. V. m. § 82 Abs. 1 AufenthG entsprechend hinreichend substantiiert darzulegen, dass er aufgrund einer körperlichen Krankheit die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StAG nicht erfüllen kann (§ 10 Abs. 6 StAG).

Die Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. med. K. S., vom 17. August 2012 verleiht der Klage keine hinreichende Erfolgsaussicht. Sie ist inhaltlich nicht hinreichend belastbar, um die komplexe Diagnostik einer durch multiple Sklerose hervorgerufenen Lernschwäche zu leisten.

Grundsätzlich muss sich aus einem ärztlichen Gutachten nachvollziehbar mindestens ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat, welche Art von Befunderhebung stattgefunden hat und ob die von Patienten geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben (vgl. BVerwG, B. v. 26.7.2012 - 10 B 21.12 - juris Rn. 7).

Das vorgelegte Attest leistet dies nicht. Es enthält lediglich die pauschale Behauptung, der Kläger leide an einer schubförmig verlaufenden multiplen Sklerose, die zu einer erheblichen hirnorganischen Beeinträchtigung führe, so dass er nicht in der Lage erscheine, die geforderten Sprachprüfungen durchzuführen, ohne aber darzulegen, seit wann, mit welchem Schweregrad und welchen konkreten Auswirkungen die Krankheit beim Kläger besteht oder auf welcher Grundlage die Diagnose ergangen ist. Konkrete Befundtatsachen, aus denen der Facharzt seine Behauptung ableitet, der Kläger leide an multipler Sklerose mit der Folge erheblicher hirnorganischer Beeinträchtigungen, werden nicht benannt. Dabei geben die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten in seiner Beschwerdebegründung zu der Frage Anlass, ob Herr Dr. S. mit dem Kläger überhaupt ein Gespräch geführt hat, nachdem er in einem Telefonat mit dem Klägerbevollmächtigten darauf hingewiesen hatte, er sei zur Begutachtung des Klägers „definitiv nicht in der Lage“, weil er die russische Sprache nicht beherrsche. Das Attest vom 17. August 2012 erfüllt nach alledem unter keinem Aspekt die inhaltlichen Mindestanforderungen an eine - hier erforderliche - fachärztliche Stellungnahme und ist daher nicht geeignet, die Behauptung des Klägers, er sei aufgrund einer Erkrankung daran gehindert, sich die fehlenden bzw. unzureichenden Kenntnisse der deutschen Sprache bzw. der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse in Deutschland anzueignen, zu substantiieren.

Soweit der Klägerbevollmächtigte in seiner Beschwerdebegründung darauf hinweist, dass er im Hauptsacheverfahren die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür beantragen will, dass der Kläger an einer Erkrankung leidet, die seine kognitive Leistungsfähigkeit so erheblich beeinträchtigt, dass sie ursächlich für dessen Unvermögen ist, die geforderten Tests zu bestehen, kann dies die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht der Klage nicht begründen. Denn der in Aussicht gestellte Beweisantrag würde einen unzulässigen Ausforschungsbeweis darstellen und ist daher vorliegend unbeachtlich.

Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag liegt in Bezug auf solche Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbaren Anhaltspunkt willkürlich „ins Blaue hinein“ aufgestellt werden, für die tatsächliche Grundlagen jedoch fehlen. So liegt der Fall hier: Das Attest des Dr. S. ist, wie oben dargestellt, nicht geeignet, die Behauptung des Klägers substantiiert zu belegen, er sei aufgrund einer MS-Erkrankung nicht in der Lage, die deutsche Sprache zu erlernen. In dieser Situation hätte es dem Kläger oblegen, sich an Herrn Dr. S. zu wenden und sich die Unterlagen geben zu lassen, auf deren Grundlage der Arzt das vorgelegte Attest erstellt hat. Fehlt es aber - wie hier - schon an einem substantiierten Sachvortrag, stellt sich ein Beweisantrag mit dem Ziel, ein Sachverständigengutachten einzuholen, als unzulässiger Ausforschungsbeweisantrag dar, da die Beweisaufnahme erst die zur Klagebegründung dienenden Tatsachen ergeben soll (vgl. BSG, B. v. 19.11.2009 - B 13 R 303/09 - juris Rn. 12; BGH, U. v. 27.5.2003 - IX ZR 283/99 - MDR 2003, 1365/1366).

Die Angaben des Klägers zu den zu erwartenden Kosten von ca. 3.000 € für die Durchführung einer ärztlichen Begutachtung des Klägers sind nicht nachvollziehbar. Eine entsprechend umfangreiche Begutachtung wurde vom Kläger nicht verlangt. Bei der behaupteten Schwere der Erkrankung ist davon auszugehen, dass sich der bei der AOK pflichtversicherte Kläger bereits seit geraumer Zeit in ärztlicher Behandlung befindet und in der Lage sein müsste, zumindest die beim behandelnden Arzt befindlichen, konkrete Befundtatsachen bzw. bildgebende Befunde enthaltenden Patientenakten bei der zuständigen Behörde vorzulegen, was für den Kläger mit keinerlei Kosten verbunden wäre. Warum das nicht möglich sein soll, erschließt sich dem Senat nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Anders als das Prozesskostenhilfeverfahren in erster Instanz ist das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen kostenpflichtig. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 19. Dezember 2012 wird der Bescheid des Beklagten vom 24. Mai 2011 aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Kläger einzubürgern.

Die Kosten des Verfahrens fallen dem Beklagten zur Last.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger, ein 1942 geborener türkischer Staatsangehöriger, der seit 1990 mit seiner Ehefrau im Bundesgebiet lebt und 1993 als Asylberechtigter anerkannt wurde, begehrt seine Einbürgerung.

Er verfügt seit 1993 über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und seit 2009 über eine Niederlassungserlaubnis. Durch amtsärztliche Untersuchung vom 10.12.2001 wurde - vorbehaltlich des Entscheids des Rentenversicherungsträgers - Erwerbsunfähigkeit festgestellt. In einer im Rahmen der Überprüfung eines Anspruchs auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ausgestellten Bescheinigung der Landesversicherungsanstalt für das Saarland vom 20.5.2003 ist festgehalten, dass der Kläger unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert ist und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Er bestreitet seinen Unterhalt seit seiner Einreise durch den Bezug von Sozialleistungen.

Am 8.1.2010 beantragten der Kläger und seine Ehefrau ihre Einbürgerung. Beigefügt war ein Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten, in dem es u.a. heißt, der Kläger und seine Ehefrau verfügten zwar weder über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache noch über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG. Von diesen Voraussetzungen sei aber gemäß § 10 Abs. 6 StAG abzusehen, weil sie altersbedingt nicht erfüllt werden könnten.

In einer Stellungnahme der Wohnsitzgemeinde vom 13.1.2010 heißt es, der Kläger spreche gebrochen deutsch und seine Ehefrau sei Analphabetin.

Durch Bescheid vom 24.5.2011, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 26.5.2011, lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Hinweis auf die fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache und der Rechts- und Gesellschaftsordnung ab. Der Kläger sei mit 48 Jahren in das Bundesgebiet eingereist. Angesichts der seither verstrichenen 20 Jahre lägen Anhaltspunkte für ein „Ersitzen“ der Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 6 StAG vor. Ein solches „Hineinwachsen“ in das altersbedingte Unvermögen ohne ausreichende Bemühungen könne nur in Betracht kommen, wenn krankheitsbedingt für den Nichterwerb der Kenntnisse ursächliche Einschränkungen vorlägen, was durch entsprechende medizinische Nachweise zu belegen sei. Solche Nachweise seien trotz Anforderung nicht vorgelegt worden. Zudem stehe der Kläger seit seiner Einreise im Sozialhilfebezug, so dass auch eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG nicht in Betracht komme.

Hiergegen hat der Kläger am 27.6.2011, einem Montag, Klage erhoben und ausgeführt, dass im Rahmen der Prüfung nach § 10 Abs. 6 StAG nicht von Bedeutung sei, ob der Ausländer die Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 StAG mit Blick auf seinen jahrelangen Aufenthalt im Inland zu vertreten habe. Entscheidend sei, dass er sie altersbedingt nicht mehr erfüllen könne. Zudem sei offenkundig, dass er, der nie im Leben eine Schule besucht habe, diesen Voraussetzungen nicht gerecht werden könne. Hinsichtlich des Sozialhilfebezugs habe er mit dem Einbürgerungsantrag ein Attest vorgelegt, aus dem ersichtlich sei, dass er seit seiner Einreise aufgrund mehrerer Operationen sozialrechtlich als nicht erwerbsfähig geführt werde. Er habe den Sozialhilfebezug daher nicht zu vertreten.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn einzubürgern,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen,
äußerst hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Ausführungen zur Begründung seines Bescheids bekräftigt, nach denen die Voraussetzungen weder einer Anspruchs- noch einer Ermessenseinbürgerung vorlägen. Dem Kläger sei trotz seines Analphabetismus zumutbar gewesen und noch zumutbar, durch entsprechende Kurse das geforderte Sprachniveau zu erreichen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 19.12.2012 abgewiesen. Der Bezug von Sozialleistungen stehe der Einbürgerung nicht entgegen, da der Kläger die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel angesichts seiner vollen Erwerbsunfähigkeit nicht zu vertreten habe. Ein Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG scheitere jedoch an den mangelnden Kenntnissen der deutschen Sprache bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse in Deutschland. Der Kläger könne sich insoweit nicht auf das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes nach § 10 Abs. 6 StAG berufen. Zwar scheide die Anwendung dieser Vorschrift nicht bereits aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich schon seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich die von § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Kenntnisse in früherer Zeit hätte aneignen können, denn auf ein Vertretenmüssen habe der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt. Dennoch greife die Ausnahmevorschrift nicht ein, weil die Ursache des Unvermögens des Klägers nicht in einem der dort aufgeführten Gründe liege. Er habe keine bestehende Erkrankung, Behinderung oder altersbedingte Beeinträchtigung, die das Erlernen der deutschen Sprache unmöglich mache, nachgewiesen. Analphabetismus sei keine Krankheit oder Behinderung im Sinne der Vorschrift und stelle in Anbetracht der Gesamtumstände ebenso wenig wie das Lebensalter einen Grund dar, der es rechtfertigen könnte, auf jegliche Sprachkenntnisse zu verzichten. Auch die Verwaltungspraxis des Beklagten, bei Einbürgerungsbewerbern, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und erst im höheren Lebensalter eingereist sind, ohne gesonderten Nachweis durch Attest von einem altersbedingten Unvermögen auszugehen, könne dem Kläger, der bereits mit 48 Jahren eingereist sei, nicht weiterhelfen. Eine Einbürgerung nach § 10 StAG sei daher ausgeschlossen und eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG scheitere daran, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen bestreiten könne, was einer Ermessenseinbürgerung unabhängig von der Frage des Vertretenmüssens entgegenstehe, sowie am Nichtvorliegen der Voraussetzungen eines öffentlichen Interesses bzw. einer besonderen Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG.

Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22.1.2013 zugestellt.

Am 13.2.2013 beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung und begründete diesen Antrag. Durch Beschluss vom 11.4.2013, dem Kläger zugestellt am 16.4.2013, hat der Senat die Berufung zugelassen.

Der Kläger hat seine Berufung am 15.5.2013 begründet. Er vertieft seine Auffassung, dass in seinem Fall nach § 10 Abs. 6 StAG von den Einbürgerungsvoraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 der Vorschrift mit Blick auf sein Alter und das dadurch bedingte Unvermögen, sich die notwendigen Kenntnisse noch anzueignen, abzusehen sei. Allein entscheidend sei, dass der Hinderungsgrund des altersbedingten Unvermögens im Zeitpunkt der Einbürgerung vorliege. Dabei sei nicht erforderlich, dass – neben dem Alter – irgendwelche „vom Lebensalter herrührenden Beeinträchtigungen“ bestünden. Es komme nicht darauf an, ob in früheren Zeiten ein Erlernen möglich gewesen wäre. Dies ergebe sich aus dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens und der Gesetzesbegründung sowie dem Wortlaut, der Systematik und Sinn und Zweck der Regelungen in § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 und Abs. 6 StAG. Da es auf Vertretenmüssen nicht ankomme, dürfe die Frage nach der Ursache des altersbedingten Unvermögens nicht gestellt werden. Insbesondere dürfe nicht argumentiert werden, dass die Ursache für die fehlenden Kenntnisse des Klägers das Nichtbeheben seines Analphabetismus, das Nichterlernen der deutschen Sprache und das Nichterlangen staatsbürgerlicher Kenntnisse sei. Andernfalls werde auf zurechenbares Handeln oder Unterlassen des Klägers, mithin auf das Vertretenmüssen, abgestellt. Da das Gesetz keine starre Altersgrenze vorgebe, sei eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen. Der mittlerweile 71-jährige Kläger, der primärer Analphabet sei, könne ganz offensichtlich altersbedingt die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG nicht mehr erfüllen, ohne dass dies gesondert nachgewiesen werden müsse. Dies werde beklagtenseits nicht bestritten und könne auch nicht ernstlich bestritten werden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 19.12.2012 den Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn einzubürgern,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen,
äußerst hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er meint, eine Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 6 StAG scheitere am Fehlen des Tatbestandsmerkmals „altersbedingt“ und hält diesbezüglich daran fest, dass ein altersbedingtes Unvermögen im Sinne der Ausnahmevorschrift voraussetze, dass der Einbürgerungsbewerber schon im Zeitpunkt der Einreise lebensälter und daher nicht in der Lage war, sich innerhalb der erforderlichen Aufenthaltsdauer von acht Jahren staatsbürgerliche Kenntnisse und Sprachkenntnisse auf dem geforderten Niveau B 1 anzueignen und daher das in acht Jahren regelmäßig erreichbare Integrationsmaß nicht erlangen könne. Nur in solchen Fällen sei es Verwaltungspraxis, die Ausnahmeregelung anzuwenden. Personen, die in jüngeren Jahren eingereist seien und von daher ausreichend Möglichkeit gehabt hätten, die deutsche Sprache zu erlernen, müssten hingegen bei Antragstellung im fortgeschrittenen Alter gerade infolge ihres Alters in Bezug auf die Voraussetzungen der Nrn. 6 und 7 „gehandicapt“ sein und das Unvermögen, die entsprechenden Tests – etwa wegen Nachlassens der kognitiven/geistigen Leistungsfähigkeit – zu absolvieren, konkret nachweisen. Eine Regelvermutung allein auf Grund des Erreichens eines bestimmten Alters sei hier nicht angezeigt und - da im Gesetz nicht festgeschrieben - vom Gesetzgeber nicht gewollt. Angezeigt sei vielmehr eine „flexible Einzelfallbetrachtung“, was sich auch dadurch rechtfertige, dass es in der täglichen Praxis immer wieder Einbürgerungsbewerber gebe, die den Einbürgerungstest und den Sprachtest noch mit über 70 Jahren erfolgreich ablegen. Auch die historische Auslegung der Norm spreche für diese Sichtweise. So habe das Gesetz bis ins Jahr 2000 im Rahmen der Anspruchseinbürgerung überhaupt keine Deutschnachweise gefordert, in den Jahren 2000 – 2007 seien Sprachkenntnisse auf dem leichteren Niveau A 2 erforderlich gewesen und bei der Gesetzesreform 2007 habe der Gesetzgeber sich nochmals bewusst für eine Verschärfung der sprachlichen Anforderungen auf das Niveau B 1 entschieden. Er sei davon ausgegangen, dass die Sprachkenntnisse der unverzichtbare Grundstein einer jeden sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Integration sei, weswegen es völlig widersinnig wäre, anzunehmen, er habe von dieser grundlegenden Integrationsanforderung gerade solche Personen ausnehmen wollen, die seit vielen Jahren und Jahrzehnten in Deutschland leben, ohne sich um hinreichende Sprachkenntnisse und damit die Grundvoraussetzung einer Integration zu bemühen. Gleichzeitig habe der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen, dass manche, aber bei weitem nicht alle Menschen im Alter geistig/kognitiv abbauen und deshalb in § 10 Abs. 6 ein Absehen von den Sprach- und staatsbürgerlichen Kenntnissen vorgesehen, wenn die Betroffenen diese auf Grund altersbedingter Beeinträchtigungen jetzt nicht mehr erbringen können. Dass die Ausnahmevorschrift im Präsens formuliert ist, sei vor allem den Ausnahmevarianten der körperlichen, geistigen oder seelischen Erkrankung oder Behinderung geschuldet. Der Gesetzgeber habe ihrer Natur nach unterschiedliche Ansatzpunkte in dieser Ausnahmeregelung zusammengefasst. Hinsichtlich der Variante „altersbedingtes Unvermögen“ sei unabhängig vom Grund der fehlenden Kenntnisse Anknüpfungspunkt zwar das Alter des Einbürgerungsbewerbers im Zeitpunkt der Antragstellung, wobei dieses je nach Konstellation die Vermutung des Unvermögens begründe oder dem Einbürgerungsbewerber den Weg eröffne, sein Unvermögen individuell nachzuweisen und auf dieser Grundlage von der Notwendigkeit, die entsprechenden Tests zu bestehen, entbunden zu werden. Das Unvermögen müsse seinen Grund in einer vom Lebensalter herrührenden Beeinträchtigung haben. Wenn der Grund für die fehlenden Kenntnisse ein anderer sei, sei er eben nicht „altersbedingt“ und somit nicht tatbestandsbegründend. Allein so verstanden sei die gesetzliche Regelung in sich schlüssig und stehe im Einklang mit dem Reformansatz und der Ziel- und Grundvorstellung des Gesetzgebers. Nur bei diesem Verständnis sei auch die vom Gesetzgeber ausnahmsweise als ausreichend angesehene „Teilintegration“ aus übergeordneten Erwägungen nachvollziehbar und rechtfertige ein Zurücktreten des gesellschaftspolitischen Integrationsinteresses zu Gunsten des individuellen Einbürgerungsinteresses. Gemessen hieran könne dem Kläger die Ausnahmevorschrift nur zugute kommen, wenn er den individuellen Nachweis altersbedingten Unvermögens führen würde. Zutreffend sei, dass es im Rahmen des § 10 Abs. 6 StAG nicht auf ein Verschulden ankomme, vielmehr gehe es um die vorwurfsfreie und wertneutrale Ursächlichkeitsfrage nach dem Grund der fehlenden Sprach- und staatsbürgerlichen Kenntnisse. Sei der Grund für die fehlenden Kenntnisse nicht eine altersbedingte Beeinträchtigung, sondern etwa ein früheres Unterlassen, so sei der Tatbestand der Ausnahmevorschrift nicht erfüllt. Fallbezogen sei daher entscheidend, dass Ursache für die fehlenden Kenntnisse des Klägers das Nichtbeheben seines Analphabetismus, das Nichterlernen der deutschen Sprache und das Nichterlangen staatsbürgerlicher Kenntnisse seit seiner Einreise im Jahr 1990 sei und nicht eine jetzige altersbedingte Beeinträchtigung. Dass ihn heute altersbedingte Beeinträchtigungen daran hinderten, diese Versäumnisse nachzuholen, habe er nicht vorgetragen und erst recht nicht nachgewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten ( 1 Ordner), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts unterliegt der Abänderung, denn die auf Einbürgerung des Klägers gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht auf der Grundlage des § 10 StAG ein Anspruch auf Einbürgerung zu. Der dies verkennende Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist daher aufzuheben und gleichzeitig ist der Beklagte zu verpflichten, den Kläger einzubürgern.

§ 10 StAG legt fest, unter welchen Voraussetzungen ein Einbürgerungsbewerber einen Anspruch auf Einbürgerung hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger mit Ausnahme der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit Absatz 4 Satz 1 der Vorschrift geforderten Kenntnisse der deutschen Sprache und der nach Absatz 1 Nr. 7 der Vorschrift erforderlichen Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland. Sowohl hinsichtlich der geforderten Sprachkenntnisse als auch hinsichtlich der staatsbürgerlichen Kenntnisse enthält § 10 Abs. 6 StAG eine Ausnahmevorschrift, nach welcher von diesen Anforderungen abzusehen ist, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann. Aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des gesamten Akteninhalts hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG altersbedingt nicht erfüllen kann.

Die bisherige Rechtsprechung zu dem am 28.8.2007 in Kraft getretenen Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013 - 19 A 364/10 -, juris Rdnrn. 22 ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011 - 11 K 839/11 -, juris Rdnrn. 30 f.; VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013 - 4 K 1072/11 -, juris Rdnr. 27; ebenso hinsichtlich krankheitsbedingter Einschränkungen: HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013 - 5 A 1390/12.Z -, InfAuslR 2013, 202, 203,) und die einschlägige Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR,  Stand: 28. Erg.lfg. Dezember 2013,  § 10 Rdnr. 406 m.w.N.) stimmen darin überein, dass für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands „altersbedingt nicht erfüllen kann“ allein entscheidend ist, ob der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen nicht mehr abverlangt werden kann. Man ist sich einig, dass das Eingreifen des Ausnahmetatbestands nicht voraussetzt, dass der Einbürgerungsbewerber seine mangelnden Kenntnisse nicht zu vertreten hat.

So hat das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011, a.a.O., Rdnr. 31) ausgeführt, § 10 Abs. 6 stelle nicht darauf ab, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können. Maßgeblich sei allein, ob der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor Gericht wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG nicht mehr erfüllen könne. Die Anwendung des § 10 Abs. 6 StAG scheide deshalb nicht bereits dann aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich bereits seit vielen Jahren/Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich in früherer Zeit die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Erkenntnisse hätte aneignen können; auf ein Vertretenmüssen habe der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt.

Dieser Sichtweise stimmt das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013, a.a.O., juris Rdnrn. 23 ff.(Revision unter Geschäfts-Nr. 5 C 15/13 anhängig, Terminierung noch nicht absehbar)) mit ausführlicher Begründung zu. Für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 10 Abs. 6 StAG sei allein entscheidend, ob die Hinderungsgründe im Zeitpunkt der Einbürgerung vorlägen. Versäumnisse hinsichtlich des Erwerbs der maßgeblichen Kenntnisse in der Vergangenheit würden nicht berücksichtigt. Hierfür spreche der Wortlaut, die historische und genetische sowie die systematische Auslegung der Vorschrift. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden dieser Auslegung nicht entgegen. So stehe der maßgebliche zweite Halbsatz der Vorschrift im Präsens, was aufzeige, dass die gegenwärtige Situation entscheidend sei. Auch die Gesetzesbegründung mache - wie im Einzelnen ausgeführt wird - deutlich, dass der Gesetzgeber auf die gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten der Einbürgerungsbewerber und nicht auf frühere Versäumnisse abstelle. Die Einbürgerungsvoraussetzungen seien neu geregelt worden und hinsichtlich der Anforderungen an ausreichende Sprachkenntnisse deutlich strenger geworden. Gleichzeitig sei erstmalig ein Ausnahmetatbestand in das Gesetz aufgenommen und seien die Einbürgerungsbewerber insoweit begünstigt worden. Diese Ausnahme kompensiere für einen bestimmten Personenkreis die verschärften Anforderungen. In systematischer Hinsicht müsse gesehen werden, dass der Gesetzgeber hinsichtlich des Bezugs von Sozialleistungen in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG ausdrücklich vorgegeben habe, dass dieser einbürgerungshindernd sei, wenn der Einbürgerungsbewerber ihn zu vertreten habe. In Absatz 6 der Vorschrift fehle eine vergleichbare Regelung, was zeige, dass der Gesetzgeber hier nicht auf ein Vertretenmüssen habe abstellen wollen. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden der Unmaßgeblichkeit von Versäumnissen in der Vergangenheit nicht entgegen. Der Gesetzgeber nehme in den geregelten Ausnahmefällen hin, dass die üblicherweise mit einem mindestens achtjährigen Aufenthalt im Inland verbundene Integrationserwartung des Erwerbs ausreichender Sprachkenntnisse nicht erfüllt werde, lasse also insoweit eine Teilintegration ausreichen.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013, a.a.O., S. 203) hat in Bezug auf die Relevanz einer Prüfungsphobie ausgeführt, schon nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 6 StAG komme es hinsichtlich der Frage, ob der Ausländer die Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG wegen einer Krankheit nicht erfüllen könne, nur auf den Zeitpunkt der Einbürgerung an.

Das Verwaltungsgericht Aachen(VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013, a.a.O., Rdnr. 17) sieht den Anknüpfungspunkt der altersbedingten Gründe darin, dass mit zunehmendem Lebensalter regelmäßig die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen. Personen gehobenen Alters solle nicht ausnahmslos abverlangt werden, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Altersgrenze könne allerdings nicht gezogen werden, da Kenntnisse und Fähigkeiten von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben, abhingen. Der Begriff „altersbedingt“ sei daher einzelfallabhängig. Entscheidend sei dabei, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien hingegen unbeachtlich. § 10 Abs. 6 StAG stelle nämlich anders als bei der Unterhaltsfähigkeit nicht auf Vertretenmüssen ab und damit auch nicht darauf, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können.

In der einschlägigen Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnrn. 404 ff.) heißt es zur Problematik, Abs. 6 enthalte eine strikte Pflicht, von den Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 abzusehen, wenn diese wegen Alters oder Behinderung nicht erfüllt werden könnten. Der Gesetzgeber habe ein im Ansatz unflexibles „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ normiert. Die Anforderungen könnten nicht nach Maßgabe des Grades alters- oder behinderungsbedingter Beeinträchtigungen abgesenkt werden. Sie seien entweder vollständig zu erfüllen oder es sei von ihnen vollständig abzusehen. Zwischen dem Alter oder der Behinderung und dem subjektiven Unvermögen des Einbürgerungsbewerbers, die Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 zu erfüllen, müsse eine kausale Verknüpfung bestehen. Abs. 6 stelle Personen nicht allein wegen ihres Alters oder ihrer Behinderung von der Erfüllung der Anforderungen frei. Diese - abschließend benannten Umstände - müssten (nachweislich) Ursache für das Unvermögen sein, diesen Anforderungen zu entsprechen. Die altersbedingten Gründe knüpften daran an, dass - bei einer typisierenden Betrachtungsweise - die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, und es Personen gehobenen Alters auch nicht abverlangt werden solle, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Alters(unter)grenze könne nicht gezogen werden, weil Fähigkeit und - vor allem - abzuverlangende Bereitschaft zum Erwerb zusätzlicher (sprachlicher oder staatsbürgerlicher) Kenntnisse auch abhingen von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem anderweitig erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe (und den dort zu bewältigenden Herausforderungen) sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben. Dieser Ausnahmegrund sei damit offen für eine umfassende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Vor dem Erreichen des 50. Lebensjahres werde regelmäßig indes ein altersbedingtes Unvermögen ausscheiden; ab der Vollendung des 60. Lebensjahres liege es jedenfalls nahe. Eine Übertragung der für § 12 Abs. 1 Nr. 4 StAG für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung „älterer Personen“ zu ziehenden Altersgrenze scheide wegen der funktionalen Verknüpfung von Alter und Unvermögen zur Erfüllung der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 aus. Entscheidend sei allein, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien unbeachtlich.

Nach alldem gehen Rechtsprechung und Kommentarliteratur einvernehmlich davon aus, dass der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG darauf abstellt, ob der Einbürgerungsbewerber die in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 geforderten Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann oder hieran infolge einer Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt gehindert ist, wobei es auf ein etwaiges Vertretenmüssen in Bezug auf Versäumnisse in der Vergangenheit nicht ankommt. In diese Richtung weist insbesondere auch die Formulierung in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, wonach Personen begünstigt werden sollen, die die Anforderungen aufgrund ihres Alters „nicht mehr erfüllen können“.(BT-Drs. 16/5065, S. 229) Dieser Sichtweise stimmt der Senat vollumfänglich zu.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Beschluss vom 2.7.2013 - 11 K 1279/13 -, juris Rdnrn. 3 f.) hat sich kürzlich anlässlich eines Prozesskostenhilfeantrags, den es abgelehnt hat, erneut mit der Problematik befasst und seine oben zitierte Rechtsprechung zum altersbedingten Unvermögen dahingehend präzisiert, dass das Erreichen eines Alters von 67 Jahren für die Annahme, altersbedingt keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache erwerben zu können, allein nicht ausreiche. Denn nicht nur die Krankheit oder Behinderung, sondern auch das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein. Ein hohes Alter führe nicht regelmäßig dazu, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG geforderten Kenntnisse gehindert ist. Der Einbürgerungsbewerber habe deshalb substantiiert darzutun (§ 37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 AufenthG), dass er gerade aufgrund seines Alters nicht (mehr) in der Lage sei, die geforderten Kenntnisse zu erwerben. Dieser Mitwirkungspflicht sei nicht genügt worden.

Dieser Argumentation ist hinsichtlich der Annahme, dass das Erreichen eines bestimmten Alters zur Tatbestandserfüllung nicht ausreiche, weil ein hohes Alter nicht regelmäßig dazu führe, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der geforderten Kenntnisse gehindert ist – zuzustimmen. Die weitere Formulierung, das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein, erscheint indes gemessen am Regelungsgehalt des § 10 Abs. 6 StAG problematisch.

§ 10 Abs. 6 StAG stellt – wie ausgeführt und auch vom Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 2.12.2011 ausdrücklich anerkannt – darauf ab, ob der Einbürgerungsbewerber die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nrn. 6 und 7 im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann. Der Ausnahmetatbestand knüpft nicht an den Umstand an, dass der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen zur Zeit der Antragstellung nicht erfüllt, und befasst sich daher nicht mit der Frage, aus welchen Gründen er diesen Anforderungen derzeit nicht genügt. Tatbestandrelevant ist vielmehr, ob der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen „erfüllen kann“. Entscheidend ist daher, ob er sie erfüllen könnte, wenn er dies wollte und entsprechende Bemühungen zum Erwerb der geforderten Kenntnisse unternähme, oder ob er die Anforderungen infolge krankheits- oder altersbedingter Einschränkungen auch bei Entfalten diesbezüglicher Anstrengungen nicht mehr erfüllen kann. Damit ist einzelfallbezogen zu klären, ob trotz Krankheit oder Behinderung oder fortgeschrittenen Lebensalters unter Berücksichtigung der konkreten Lebensentwicklung und -umstände des Einbürgerungsbewerbers davon auszugehen ist, dass dessen etwaige Bemühungen, Sprachkenntnisse auf dem durch § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG vorgegebenen Niveau sowie die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, erfolgversprechend wären. Bejahendenfalls ist ihm zuzumuten, diese Bemühungen zu unternehmen, wobei sich im Falle eines Nichtbestehens der anschließenden Prüfungen die Frage stellen würde, ob das – behördlicher- bzw. gerichtlicherseits nicht erwartete – Scheitern seine Ursache in unzureichenden Anstrengungen, sonstigen Gründen (z.B. Analphabetismus eines noch lebensjungen Einbürgerungsbewerbers(BVerwG, Urteil vom 27.5.2010 - 5 C 8/09 -, juris)) oder einem der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Gründe hat. Denn es soll – so auch Berlit(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) – Einbürgerungsbewerbern im fortgeschrittenen Lebensalter angesichts der typischerweise im Alter schwindenden Fähigkeit, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, nicht ausnahmslos zugemutet werden, entsprechende Bemühungen, Kenntnisse auf dem geforderten Niveau zu erwerben, zu entfalten. Nach alldem geht es in § 10 Abs. 6 StAG um die Ursache für ein etwaiges Unvermögen, sich fehlende Kenntnisse anzueignen, nicht hingegen – wie das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 2.7.2013 möglicherweise andeuten will und der Beklagte im Einzelnen argumentiert – um die Ursache für den Umstand, dass der Einbürgerungsbewerber die geforderten Kenntnisse aktuell nicht erfüllt. Die vom Beklagten vertretene Kausalitätsbetrachtung geht am Tatbestand des § 10 Abs. 6 StAG vorbei, denn sie setzt an einem falschen Punkt an. Der Beklagte sucht die Ursache der fehlenden Kenntnisse, die er in dem Unterlassen in der Vergangenheit sieht. Nach dem Gesetz ist indes zu klären, ob der Einbürgerungsbewerber aktuell über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt oder eben etwa aufgrund seines Alters nicht mehr verfügt. Entscheidungserheblich ist daher nicht, ob in der Vergangenheit die Möglichkeit des Erwerbs der Kenntnisse bestanden hätte, aber nicht genutzt wurde, sondern allein, ob die geforderten Kenntnisse derzeit aufgrund eines der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Tatbestände nicht mehr erworben werden können. Es trifft nach alldem nicht zu, dass in den Genuss der Ausnahmevorschrift grundsätzlich nur kommen soll, wer erst im hohen Alter eingereist ist.

In rechtlicher Hinsicht ist des Weiteren zu bekräftigen, dass § 10 Abs. 6 StAG kein Ermessen eröffnet. Liegt einer der Ausnahmetatbestände vor, so „ist abzusehen“, d.h. der Einbürgerungsbewerber hat - soweit er die übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt - einen Anspruch darauf, dass er trotz des Fehlens der Kenntnisse eingebürgert wird. § 10 Abs. 6 StAG ist Teil der am 28.8.2007 in Kraft getretenen Neuregelung des Einbürgerungsrechts. Im Gesetzgebungsverfahren war auf Betreiben der Länder erwogen worden, den Ausnahmetatbestand als Ermessensvorschrift auszugestalten, dieser Ansatz konnte sich aber nicht durchsetzen. Diesbezüglich heißt es in der Gesetzesbegründung(BT-Drs. 16/5107, S. 13) : „Die Ermessensregelung in Abs. 6 lehnt die Bundesregierung ab, da bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kein Raum mehr für ein Ermessen der Staatsangehörigkeitsbehörde bleibt. Wenn der Einbürgerungsbewerber aufgrund seiner Behinderung oder seiner altersbedingten Beeinträchtigung den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse oder staatsbürgerlicher Kenntnisse nicht erbringen kann, muss zwingend von diesen Voraussetzungen abgesehen werden.“

Im Rahmen der damit vorzunehmenden Einzelfallprüfung können die Behörden oder das Gericht sich zwar bei Bedarf sachverständiger Hilfe bedienen, müssen dies aber nicht, wenn die konkreten Umstände keinen vernünftigen Zweifel daran lassen, dass einer der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Ausnahmetatbestände erfüllt ist.(so auch Nr. 10.6 der Vorläufigen Anwendungshinweise des BMI vom 17.4.2009) So liegt der Fall hier.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und den sich aus dem Akteninhalt ergebenden Erkenntnissen ist nicht anzunehmen, dass der Kläger in der Lage wäre, sich Kenntnisse der deutschen Sprache in mündlicher und schriftlicher Form auf dem durch § 10 Abs. 4 StAG vorgegebenen Niveau sowie die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG geforderten Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach § 10 Abs. 5 Satz 1 StAG in der Regel durch das Bestehen eines Einbürgerungstests nachzuweisen sind, anzueignen.

Der Kläger ist inzwischen 71 Jahre alt und befindet sich damit in einem Lebensalter, in dem die Fähigkeit, sich neue Kenntnisse anzueignen zwar durchaus bestehen, aber nicht als im Regelfall gegeben unterstellt werden kann.(vgl. hierzu auch Berlit in GK-StAG, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) Seine persönlichen Lebensumstände spielen daher eine maßgebliche Rolle für die Entscheidung der Frage, ob davon ausgegangen werden kann, dass er bei Entfalten entsprechender Bemühungen in der Lage wäre, die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG zu erfüllen.

Nach den Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger nie eine Schule besucht und nie das Lesen und Schreiben gelernt, sondern seit jungen Jahren Arbeit auf dem Feld verrichten müssen. Dass diese Angaben nicht zutreffen könnten, ist nicht anzunehmen. Der Kläger ist 1942 geboren. Dass Ende der vierziger Jahre in den kurdischen Gebieten der Türkei flächendeckend die Möglichkeit oder gar Pflicht bestanden haben könnte, eine Schule zu besuchen, erscheint äußerst fernliegend. Der Senat hegt daher keinen Zweifel daran, dass der Kläger in seinem Herkunftsland, das er im Alter von 48 Jahren verlassen hat, nie eine Schule besucht und auch sonst keine Ausbildung absolviert hat, sondern vielmehr Tätigkeiten nachgegangen ist, die ihn sicherlich weitaus mehr in körperlicher als in geistiger Hinsicht gefordert haben.

Der Sohn des Klägers hat weiter angegeben, bei den ärztlichen Untersuchungen anlässlich der Einreise des Klägers sei die Notwendigkeit mehrerer Operationen festgestellt worden. Entsprechende Behandlungsmöglichkeiten hätten dem Kläger in der Türkei nicht offen gestanden. Trotz allem habe seine Arbeitsfähigkeit nicht wiederhergestellt werden können. Eine Arbeitsaufnahme sei ihm behördlicherseits und seitens seiner Ärzte strikt untersagt worden. Mit diesen Angaben korrespondiert, dass ausweislich Blatt 184 der Verwaltungsakte anlässlich einer auf Betreiben des Sozialamtes der Gemeinde A-Stadt durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung vom 10.12.2001 festgestellt wurde, dass der Kläger auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig und – vorbehaltlich eines Entscheids des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers – erwerbsunfähig ist. Ausweislich Blatt 32 und 33 der Verwaltungsakte hat der sozialmedizinische Dienst der Landesversicherungsanstalt für das Saarland als Rentenversicherungsträger auf ein Ersuchen nach dem Grundsicherungsgesetz mit Schreiben vom 20.5.2003 bestätigt, dass der Kläger unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Damit steht für den Senat außer Zweifel, dass der Kläger sich auch nach seiner Einreise nie in einer Situation befunden hat, in der er gehalten gewesen wäre, sich zwecks Ausübung einer Erwerbstätigkeit gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen, ohne die selbst eine ungelernte Kraft auf dem hiesigen Arbeitsmarkt nicht auskommen kann. Er war mithin – abgesehen von der früheren (sicherlich primär durch körperlichen Einsatz geprägten) Arbeit auf dem Feld – nie in der Situation, Anweisungen und Arbeitsabläufe verstehen, mit anderen arbeitsteilig zusammenarbeiten und sich in einen Kollegenkreis einbringen zu müssen. Er konnte demgemäß nicht von Kontakten zu Arbeitskollegen und der Notwendigkeit, sich im Erwerbsleben zurechtfinden zu müssen und sich verständlich zu machen, profitieren. Eine „Erwerbsteilnahme“ im Sinne der oben wiedergegebenen Ausführungen in der Kommentierung von Berlit gab es daher nie. Infolge seiner Erwerbsunfähigkeit bestand für ihn keine Möglichkeit, sich über die normalen Anforderungen einer Erwerbstätigkeit sprachlich und sozial in die hiesigen Lebensverhältnisse zu integrieren. Insofern verwundert auch nicht, dass er nach den glaubhaften Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seit seiner Einreise sehr zurückgezogen und ohne nennenswerte soziale Kontakte zu Deutschen lebt.

Nach alldem sind die Lebensbedingungen und die aktuelle Lebenssituation des Klägers maßgeblich dadurch geprägt, dass er noch nie in seinem Leben in beachtlicher Weise geistig gefordert war.

Dem Senat erschließt sich nicht, woran in einem solchen Fall die Erwartung anknüpfen sollte, der Kläger sei ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters und unter Berücksichtigung seiner ganz persönlichen Lebensumstände gegenwärtig in der Lage, erstmals in seinem Leben eine Fremdsprache so zu erlernen, dass er dem seit 2007 verschärften Anforderungsniveau gerecht wird und zudem die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, die ihrerseits ein gewisses Sprachverständnis und die Fähigkeit, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge erfassen zu können, voraussetzen. Die Schlussfolgerung, dass es dem 71-jährigen Kläger nicht mehr gelingen wird, sich die geforderten Kenntnisse anzueignen, liegt so nahe, dass es ihrer Bestätigung durch Einholung eines (amts-)ärztlichen Gutachtens nicht bedarf.

Soweit die Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die Nichtnutzung der Möglichkeit hingewiesen hat, sich in jüngeren Jahren in Volkshochschulkursen Sprachkenntnisse anzueignen, ist weder geklärt, ob es ein solches Angebot für kurdisch sprechende Interessenten gegeben hat, noch ist dies entscheidungserheblich. Denn es kommt – wie ausgeführt – nicht darauf an, ob der Kläger in der Vergangenheit versäumt hat, ihm offenstehende Möglichkeiten, Sprachkenntnisse zu erwerben, zu nutzen, sondern entscheidend ist, dass angesichts seines fortgeschrittenen – typischerweise mit schwindender Lernfähigkeit verbundenen – Lebensalters und seiner gesamten Lebensumstände nicht angenommen werden kann, dass er heute noch über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt.

Die weitere rechtliche Argumentation der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, die im Rahmen von Ermessenseinbürgerungen bestehenden Möglichkeiten, Einbürgerungsbewerbern unter bestimmten Voraussetzungen Privilegierungen zukommen zu lassen, wären sinnlos und gesetzestechnisch unverständlich, wenn § 10 Abs. 6 StAG das „Ersitzen“ einer Anspruchseinbürgerung ermöglichen würde, geht ebenfalls fehl. Wie ausgeführt bedarf es im Rahmen des Ausnahmetatbestandes des Absatzes 6 einer konkreten Einzelfallbetrachtung, die nicht nur das jeweilige Alter in den Blick nimmt, sondern unter Würdigung aller für und gegen ein (Fort-)Bestehen hinreichender Lernfähigkeit sprechenden persönlichen Lebensumstände entweder den Schluss rechtfertigt, dass ungeachtet des fortgeschrittenen Alters noch eine ausreichende Lernfähigkeit besteht oder eben nicht erwartet werden kann. Mit „Ersitzen“ hat diese Regelung nichts zu tun.

Da der Kläger als Asylberechtigter anerkannt ist, ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 6 StAG von der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG (Aufgabe oder Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit) abzusehen.

Die Berufung des Klägers ist nach alldem mit seinem im Hauptantrag verfolgten Begehren, ihn einzubürgern, erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Der Senat hat im Einklang mit der einhelligen Rechtsprechung eine Einzelfallentscheidung getroffen.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 10.000,-- Euro festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 42.1 der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts unterliegt der Abänderung, denn die auf Einbürgerung des Klägers gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht auf der Grundlage des § 10 StAG ein Anspruch auf Einbürgerung zu. Der dies verkennende Bescheid des Beklagten vom 24.5.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist daher aufzuheben und gleichzeitig ist der Beklagte zu verpflichten, den Kläger einzubürgern.

§ 10 StAG legt fest, unter welchen Voraussetzungen ein Einbürgerungsbewerber einen Anspruch auf Einbürgerung hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger mit Ausnahme der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit Absatz 4 Satz 1 der Vorschrift geforderten Kenntnisse der deutschen Sprache und der nach Absatz 1 Nr. 7 der Vorschrift erforderlichen Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland. Sowohl hinsichtlich der geforderten Sprachkenntnisse als auch hinsichtlich der staatsbürgerlichen Kenntnisse enthält § 10 Abs. 6 StAG eine Ausnahmevorschrift, nach welcher von diesen Anforderungen abzusehen ist, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann. Aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des gesamten Akteninhalts hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG altersbedingt nicht erfüllen kann.

Die bisherige Rechtsprechung zu dem am 28.8.2007 in Kraft getretenen Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013 - 19 A 364/10 -, juris Rdnrn. 22 ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011 - 11 K 839/11 -, juris Rdnrn. 30 f.; VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013 - 4 K 1072/11 -, juris Rdnr. 27; ebenso hinsichtlich krankheitsbedingter Einschränkungen: HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013 - 5 A 1390/12.Z -, InfAuslR 2013, 202, 203,) und die einschlägige Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR,  Stand: 28. Erg.lfg. Dezember 2013,  § 10 Rdnr. 406 m.w.N.) stimmen darin überein, dass für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands „altersbedingt nicht erfüllen kann“ allein entscheidend ist, ob der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen nicht mehr abverlangt werden kann. Man ist sich einig, dass das Eingreifen des Ausnahmetatbestands nicht voraussetzt, dass der Einbürgerungsbewerber seine mangelnden Kenntnisse nicht zu vertreten hat.

So hat das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011, a.a.O., Rdnr. 31) ausgeführt, § 10 Abs. 6 stelle nicht darauf ab, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können. Maßgeblich sei allein, ob der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor Gericht wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG nicht mehr erfüllen könne. Die Anwendung des § 10 Abs. 6 StAG scheide deshalb nicht bereits dann aus, wenn der Einbürgerungsbewerber sich bereits seit vielen Jahren/Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich in früherer Zeit die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG geforderten Erkenntnisse hätte aneignen können; auf ein Vertretenmüssen habe der Gesetzgeber gerade nicht abgestellt.

Dieser Sichtweise stimmt das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.1.2013, a.a.O., juris Rdnrn. 23 ff.(Revision unter Geschäfts-Nr. 5 C 15/13 anhängig, Terminierung noch nicht absehbar)) mit ausführlicher Begründung zu. Für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 10 Abs. 6 StAG sei allein entscheidend, ob die Hinderungsgründe im Zeitpunkt der Einbürgerung vorlägen. Versäumnisse hinsichtlich des Erwerbs der maßgeblichen Kenntnisse in der Vergangenheit würden nicht berücksichtigt. Hierfür spreche der Wortlaut, die historische und genetische sowie die systematische Auslegung der Vorschrift. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden dieser Auslegung nicht entgegen. So stehe der maßgebliche zweite Halbsatz der Vorschrift im Präsens, was aufzeige, dass die gegenwärtige Situation entscheidend sei. Auch die Gesetzesbegründung mache - wie im Einzelnen ausgeführt wird - deutlich, dass der Gesetzgeber auf die gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten der Einbürgerungsbewerber und nicht auf frühere Versäumnisse abstelle. Die Einbürgerungsvoraussetzungen seien neu geregelt worden und hinsichtlich der Anforderungen an ausreichende Sprachkenntnisse deutlich strenger geworden. Gleichzeitig sei erstmalig ein Ausnahmetatbestand in das Gesetz aufgenommen und seien die Einbürgerungsbewerber insoweit begünstigt worden. Diese Ausnahme kompensiere für einen bestimmten Personenkreis die verschärften Anforderungen. In systematischer Hinsicht müsse gesehen werden, dass der Gesetzgeber hinsichtlich des Bezugs von Sozialleistungen in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG ausdrücklich vorgegeben habe, dass dieser einbürgerungshindernd sei, wenn der Einbürgerungsbewerber ihn zu vertreten habe. In Absatz 6 der Vorschrift fehle eine vergleichbare Regelung, was zeige, dass der Gesetzgeber hier nicht auf ein Vertretenmüssen habe abstellen wollen. Sinn und Zweck der Einbürgerung stünden der Unmaßgeblichkeit von Versäumnissen in der Vergangenheit nicht entgegen. Der Gesetzgeber nehme in den geregelten Ausnahmefällen hin, dass die üblicherweise mit einem mindestens achtjährigen Aufenthalt im Inland verbundene Integrationserwartung des Erwerbs ausreichender Sprachkenntnisse nicht erfüllt werde, lasse also insoweit eine Teilintegration ausreichen.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HessVGH, Beschluss vom 12.2.2013, a.a.O., S. 203) hat in Bezug auf die Relevanz einer Prüfungsphobie ausgeführt, schon nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 6 StAG komme es hinsichtlich der Frage, ob der Ausländer die Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG wegen einer Krankheit nicht erfüllen könne, nur auf den Zeitpunkt der Einbürgerung an.

Das Verwaltungsgericht Aachen(VG Aachen, Urteil vom 8.5.2013, a.a.O., Rdnr. 17) sieht den Anknüpfungspunkt der altersbedingten Gründe darin, dass mit zunehmendem Lebensalter regelmäßig die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen. Personen gehobenen Alters solle nicht ausnahmslos abverlangt werden, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Altersgrenze könne allerdings nicht gezogen werden, da Kenntnisse und Fähigkeiten von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben, abhingen. Der Begriff „altersbedingt“ sei daher einzelfallabhängig. Entscheidend sei dabei, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien hingegen unbeachtlich. § 10 Abs. 6 StAG stelle nämlich anders als bei der Unterhaltsfähigkeit nicht auf Vertretenmüssen ab und damit auch nicht darauf, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache (bzw. der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland) in der Vergangenheit habe aneignen können.

In der einschlägigen Kommentarliteratur(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnrn. 404 ff.) heißt es zur Problematik, Abs. 6 enthalte eine strikte Pflicht, von den Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 abzusehen, wenn diese wegen Alters oder Behinderung nicht erfüllt werden könnten. Der Gesetzgeber habe ein im Ansatz unflexibles „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ normiert. Die Anforderungen könnten nicht nach Maßgabe des Grades alters- oder behinderungsbedingter Beeinträchtigungen abgesenkt werden. Sie seien entweder vollständig zu erfüllen oder es sei von ihnen vollständig abzusehen. Zwischen dem Alter oder der Behinderung und dem subjektiven Unvermögen des Einbürgerungsbewerbers, die Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 zu erfüllen, müsse eine kausale Verknüpfung bestehen. Abs. 6 stelle Personen nicht allein wegen ihres Alters oder ihrer Behinderung von der Erfüllung der Anforderungen frei. Diese - abschließend benannten Umstände - müssten (nachweislich) Ursache für das Unvermögen sein, diesen Anforderungen zu entsprechen. Die altersbedingten Gründe knüpften daran an, dass - bei einer typisierenden Betrachtungsweise - die Fähigkeit schwinde, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, und es Personen gehobenen Alters auch nicht abverlangt werden solle, entsprechende Bemühungen zu entfalten. Eine strikte Alters(unter)grenze könne nicht gezogen werden, weil Fähigkeit und - vor allem - abzuverlangende Bereitschaft zum Erwerb zusätzlicher (sprachlicher oder staatsbürgerlicher) Kenntnisse auch abhingen von soziokulturellen Merkmalen wie insbesondere dem anderweitig erreichten Bildungsstand, der Erwerbsteilhabe (und den dort zu bewältigenden Herausforderungen) sowie den Anregungen, die sich aus dem individuellen Lebensumfeld ergäben. Dieser Ausnahmegrund sei damit offen für eine umfassende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Vor dem Erreichen des 50. Lebensjahres werde regelmäßig indes ein altersbedingtes Unvermögen ausscheiden; ab der Vollendung des 60. Lebensjahres liege es jedenfalls nahe. Eine Übertragung der für § 12 Abs. 1 Nr. 4 StAG für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung „älterer Personen“ zu ziehenden Altersgrenze scheide wegen der funktionalen Verknüpfung von Alter und Unvermögen zur Erfüllung der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 aus. Entscheidend sei allein, ob im Zeitpunkt der Einbürgerung aus Altersgründen der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse (noch) abverlangt werden könne; Versäumnisse in der Vergangenheit seien unbeachtlich.

Nach alldem gehen Rechtsprechung und Kommentarliteratur einvernehmlich davon aus, dass der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 6 StAG darauf abstellt, ob der Einbürgerungsbewerber die in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 geforderten Kenntnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann oder hieran infolge einer Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt gehindert ist, wobei es auf ein etwaiges Vertretenmüssen in Bezug auf Versäumnisse in der Vergangenheit nicht ankommt. In diese Richtung weist insbesondere auch die Formulierung in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, wonach Personen begünstigt werden sollen, die die Anforderungen aufgrund ihres Alters „nicht mehr erfüllen können“.(BT-Drs. 16/5065, S. 229) Dieser Sichtweise stimmt der Senat vollumfänglich zu.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart(VG Stuttgart, Beschluss vom 2.7.2013 - 11 K 1279/13 -, juris Rdnrn. 3 f.) hat sich kürzlich anlässlich eines Prozesskostenhilfeantrags, den es abgelehnt hat, erneut mit der Problematik befasst und seine oben zitierte Rechtsprechung zum altersbedingten Unvermögen dahingehend präzisiert, dass das Erreichen eines Alters von 67 Jahren für die Annahme, altersbedingt keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache erwerben zu können, allein nicht ausreiche. Denn nicht nur die Krankheit oder Behinderung, sondern auch das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein. Ein hohes Alter führe nicht regelmäßig dazu, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG geforderten Kenntnisse gehindert ist. Der Einbürgerungsbewerber habe deshalb substantiiert darzutun (§ 37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 AufenthG), dass er gerade aufgrund seines Alters nicht (mehr) in der Lage sei, die geforderten Kenntnisse zu erwerben. Dieser Mitwirkungspflicht sei nicht genügt worden.

Dieser Argumentation ist hinsichtlich der Annahme, dass das Erreichen eines bestimmten Alters zur Tatbestandserfüllung nicht ausreiche, weil ein hohes Alter nicht regelmäßig dazu führe, dass der Einbürgerungsbewerber an der Erlangung der geforderten Kenntnisse gehindert ist – zuzustimmen. Die weitere Formulierung, das Alter müsse kausal für die unzureichenden bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache sein, erscheint indes gemessen am Regelungsgehalt des § 10 Abs. 6 StAG problematisch.

§ 10 Abs. 6 StAG stellt – wie ausgeführt und auch vom Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 2.12.2011 ausdrücklich anerkannt – darauf ab, ob der Einbürgerungsbewerber die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nrn. 6 und 7 im Zeitpunkt der Einbürgerung erfüllen kann. Der Ausnahmetatbestand knüpft nicht an den Umstand an, dass der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen zur Zeit der Antragstellung nicht erfüllt, und befasst sich daher nicht mit der Frage, aus welchen Gründen er diesen Anforderungen derzeit nicht genügt. Tatbestandrelevant ist vielmehr, ob der Einbürgerungsbewerber die Anforderungen „erfüllen kann“. Entscheidend ist daher, ob er sie erfüllen könnte, wenn er dies wollte und entsprechende Bemühungen zum Erwerb der geforderten Kenntnisse unternähme, oder ob er die Anforderungen infolge krankheits- oder altersbedingter Einschränkungen auch bei Entfalten diesbezüglicher Anstrengungen nicht mehr erfüllen kann. Damit ist einzelfallbezogen zu klären, ob trotz Krankheit oder Behinderung oder fortgeschrittenen Lebensalters unter Berücksichtigung der konkreten Lebensentwicklung und -umstände des Einbürgerungsbewerbers davon auszugehen ist, dass dessen etwaige Bemühungen, Sprachkenntnisse auf dem durch § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG vorgegebenen Niveau sowie die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, erfolgversprechend wären. Bejahendenfalls ist ihm zuzumuten, diese Bemühungen zu unternehmen, wobei sich im Falle eines Nichtbestehens der anschließenden Prüfungen die Frage stellen würde, ob das – behördlicher- bzw. gerichtlicherseits nicht erwartete – Scheitern seine Ursache in unzureichenden Anstrengungen, sonstigen Gründen (z.B. Analphabetismus eines noch lebensjungen Einbürgerungsbewerbers(BVerwG, Urteil vom 27.5.2010 - 5 C 8/09 -, juris)) oder einem der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Gründe hat. Denn es soll – so auch Berlit(Berlit in GK-StAR, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) – Einbürgerungsbewerbern im fortgeschrittenen Lebensalter angesichts der typischerweise im Alter schwindenden Fähigkeit, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, nicht ausnahmslos zugemutet werden, entsprechende Bemühungen, Kenntnisse auf dem geforderten Niveau zu erwerben, zu entfalten. Nach alldem geht es in § 10 Abs. 6 StAG um die Ursache für ein etwaiges Unvermögen, sich fehlende Kenntnisse anzueignen, nicht hingegen – wie das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 2.7.2013 möglicherweise andeuten will und der Beklagte im Einzelnen argumentiert – um die Ursache für den Umstand, dass der Einbürgerungsbewerber die geforderten Kenntnisse aktuell nicht erfüllt. Die vom Beklagten vertretene Kausalitätsbetrachtung geht am Tatbestand des § 10 Abs. 6 StAG vorbei, denn sie setzt an einem falschen Punkt an. Der Beklagte sucht die Ursache der fehlenden Kenntnisse, die er in dem Unterlassen in der Vergangenheit sieht. Nach dem Gesetz ist indes zu klären, ob der Einbürgerungsbewerber aktuell über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt oder eben etwa aufgrund seines Alters nicht mehr verfügt. Entscheidungserheblich ist daher nicht, ob in der Vergangenheit die Möglichkeit des Erwerbs der Kenntnisse bestanden hätte, aber nicht genutzt wurde, sondern allein, ob die geforderten Kenntnisse derzeit aufgrund eines der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Tatbestände nicht mehr erworben werden können. Es trifft nach alldem nicht zu, dass in den Genuss der Ausnahmevorschrift grundsätzlich nur kommen soll, wer erst im hohen Alter eingereist ist.

In rechtlicher Hinsicht ist des Weiteren zu bekräftigen, dass § 10 Abs. 6 StAG kein Ermessen eröffnet. Liegt einer der Ausnahmetatbestände vor, so „ist abzusehen“, d.h. der Einbürgerungsbewerber hat - soweit er die übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt - einen Anspruch darauf, dass er trotz des Fehlens der Kenntnisse eingebürgert wird. § 10 Abs. 6 StAG ist Teil der am 28.8.2007 in Kraft getretenen Neuregelung des Einbürgerungsrechts. Im Gesetzgebungsverfahren war auf Betreiben der Länder erwogen worden, den Ausnahmetatbestand als Ermessensvorschrift auszugestalten, dieser Ansatz konnte sich aber nicht durchsetzen. Diesbezüglich heißt es in der Gesetzesbegründung(BT-Drs. 16/5107, S. 13) : „Die Ermessensregelung in Abs. 6 lehnt die Bundesregierung ab, da bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kein Raum mehr für ein Ermessen der Staatsangehörigkeitsbehörde bleibt. Wenn der Einbürgerungsbewerber aufgrund seiner Behinderung oder seiner altersbedingten Beeinträchtigung den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse oder staatsbürgerlicher Kenntnisse nicht erbringen kann, muss zwingend von diesen Voraussetzungen abgesehen werden.“

Im Rahmen der damit vorzunehmenden Einzelfallprüfung können die Behörden oder das Gericht sich zwar bei Bedarf sachverständiger Hilfe bedienen, müssen dies aber nicht, wenn die konkreten Umstände keinen vernünftigen Zweifel daran lassen, dass einer der in § 10 Abs. 6 StAG aufgeführten Ausnahmetatbestände erfüllt ist.(so auch Nr. 10.6 der Vorläufigen Anwendungshinweise des BMI vom 17.4.2009) So liegt der Fall hier.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und den sich aus dem Akteninhalt ergebenden Erkenntnissen ist nicht anzunehmen, dass der Kläger in der Lage wäre, sich Kenntnisse der deutschen Sprache in mündlicher und schriftlicher Form auf dem durch § 10 Abs. 4 StAG vorgegebenen Niveau sowie die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG geforderten Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach § 10 Abs. 5 Satz 1 StAG in der Regel durch das Bestehen eines Einbürgerungstests nachzuweisen sind, anzueignen.

Der Kläger ist inzwischen 71 Jahre alt und befindet sich damit in einem Lebensalter, in dem die Fähigkeit, sich neue Kenntnisse anzueignen zwar durchaus bestehen, aber nicht als im Regelfall gegeben unterstellt werden kann.(vgl. hierzu auch Berlit in GK-StAG, a.a.O., § 10 Rdnr. 406) Seine persönlichen Lebensumstände spielen daher eine maßgebliche Rolle für die Entscheidung der Frage, ob davon ausgegangen werden kann, dass er bei Entfalten entsprechender Bemühungen in der Lage wäre, die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 StAG zu erfüllen.

Nach den Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger nie eine Schule besucht und nie das Lesen und Schreiben gelernt, sondern seit jungen Jahren Arbeit auf dem Feld verrichten müssen. Dass diese Angaben nicht zutreffen könnten, ist nicht anzunehmen. Der Kläger ist 1942 geboren. Dass Ende der vierziger Jahre in den kurdischen Gebieten der Türkei flächendeckend die Möglichkeit oder gar Pflicht bestanden haben könnte, eine Schule zu besuchen, erscheint äußerst fernliegend. Der Senat hegt daher keinen Zweifel daran, dass der Kläger in seinem Herkunftsland, das er im Alter von 48 Jahren verlassen hat, nie eine Schule besucht und auch sonst keine Ausbildung absolviert hat, sondern vielmehr Tätigkeiten nachgegangen ist, die ihn sicherlich weitaus mehr in körperlicher als in geistiger Hinsicht gefordert haben.

Der Sohn des Klägers hat weiter angegeben, bei den ärztlichen Untersuchungen anlässlich der Einreise des Klägers sei die Notwendigkeit mehrerer Operationen festgestellt worden. Entsprechende Behandlungsmöglichkeiten hätten dem Kläger in der Türkei nicht offen gestanden. Trotz allem habe seine Arbeitsfähigkeit nicht wiederhergestellt werden können. Eine Arbeitsaufnahme sei ihm behördlicherseits und seitens seiner Ärzte strikt untersagt worden. Mit diesen Angaben korrespondiert, dass ausweislich Blatt 184 der Verwaltungsakte anlässlich einer auf Betreiben des Sozialamtes der Gemeinde A-Stadt durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung vom 10.12.2001 festgestellt wurde, dass der Kläger auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig und – vorbehaltlich eines Entscheids des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers – erwerbsunfähig ist. Ausweislich Blatt 32 und 33 der Verwaltungsakte hat der sozialmedizinische Dienst der Landesversicherungsanstalt für das Saarland als Rentenversicherungsträger auf ein Ersuchen nach dem Grundsicherungsgesetz mit Schreiben vom 20.5.2003 bestätigt, dass der Kläger unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert und es unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Damit steht für den Senat außer Zweifel, dass der Kläger sich auch nach seiner Einreise nie in einer Situation befunden hat, in der er gehalten gewesen wäre, sich zwecks Ausübung einer Erwerbstätigkeit gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen, ohne die selbst eine ungelernte Kraft auf dem hiesigen Arbeitsmarkt nicht auskommen kann. Er war mithin – abgesehen von der früheren (sicherlich primär durch körperlichen Einsatz geprägten) Arbeit auf dem Feld – nie in der Situation, Anweisungen und Arbeitsabläufe verstehen, mit anderen arbeitsteilig zusammenarbeiten und sich in einen Kollegenkreis einbringen zu müssen. Er konnte demgemäß nicht von Kontakten zu Arbeitskollegen und der Notwendigkeit, sich im Erwerbsleben zurechtfinden zu müssen und sich verständlich zu machen, profitieren. Eine „Erwerbsteilnahme“ im Sinne der oben wiedergegebenen Ausführungen in der Kommentierung von Berlit gab es daher nie. Infolge seiner Erwerbsunfähigkeit bestand für ihn keine Möglichkeit, sich über die normalen Anforderungen einer Erwerbstätigkeit sprachlich und sozial in die hiesigen Lebensverhältnisse zu integrieren. Insofern verwundert auch nicht, dass er nach den glaubhaften Bekundungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seit seiner Einreise sehr zurückgezogen und ohne nennenswerte soziale Kontakte zu Deutschen lebt.

Nach alldem sind die Lebensbedingungen und die aktuelle Lebenssituation des Klägers maßgeblich dadurch geprägt, dass er noch nie in seinem Leben in beachtlicher Weise geistig gefordert war.

Dem Senat erschließt sich nicht, woran in einem solchen Fall die Erwartung anknüpfen sollte, der Kläger sei ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters und unter Berücksichtigung seiner ganz persönlichen Lebensumstände gegenwärtig in der Lage, erstmals in seinem Leben eine Fremdsprache so zu erlernen, dass er dem seit 2007 verschärften Anforderungsniveau gerecht wird und zudem die geforderten staatsbürgerlichen Kenntnisse zu erwerben, die ihrerseits ein gewisses Sprachverständnis und die Fähigkeit, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge erfassen zu können, voraussetzen. Die Schlussfolgerung, dass es dem 71-jährigen Kläger nicht mehr gelingen wird, sich die geforderten Kenntnisse anzueignen, liegt so nahe, dass es ihrer Bestätigung durch Einholung eines (amts-)ärztlichen Gutachtens nicht bedarf.

Soweit die Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die Nichtnutzung der Möglichkeit hingewiesen hat, sich in jüngeren Jahren in Volkshochschulkursen Sprachkenntnisse anzueignen, ist weder geklärt, ob es ein solches Angebot für kurdisch sprechende Interessenten gegeben hat, noch ist dies entscheidungserheblich. Denn es kommt – wie ausgeführt – nicht darauf an, ob der Kläger in der Vergangenheit versäumt hat, ihm offenstehende Möglichkeiten, Sprachkenntnisse zu erwerben, zu nutzen, sondern entscheidend ist, dass angesichts seines fortgeschrittenen – typischerweise mit schwindender Lernfähigkeit verbundenen – Lebensalters und seiner gesamten Lebensumstände nicht angenommen werden kann, dass er heute noch über die für den Erwerb der geforderten Kenntnisse notwendige Lernfähigkeit verfügt.

Die weitere rechtliche Argumentation der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, die im Rahmen von Ermessenseinbürgerungen bestehenden Möglichkeiten, Einbürgerungsbewerbern unter bestimmten Voraussetzungen Privilegierungen zukommen zu lassen, wären sinnlos und gesetzestechnisch unverständlich, wenn § 10 Abs. 6 StAG das „Ersitzen“ einer Anspruchseinbürgerung ermöglichen würde, geht ebenfalls fehl. Wie ausgeführt bedarf es im Rahmen des Ausnahmetatbestandes des Absatzes 6 einer konkreten Einzelfallbetrachtung, die nicht nur das jeweilige Alter in den Blick nimmt, sondern unter Würdigung aller für und gegen ein (Fort-)Bestehen hinreichender Lernfähigkeit sprechenden persönlichen Lebensumstände entweder den Schluss rechtfertigt, dass ungeachtet des fortgeschrittenen Alters noch eine ausreichende Lernfähigkeit besteht oder eben nicht erwartet werden kann. Mit „Ersitzen“ hat diese Regelung nichts zu tun.

Da der Kläger als Asylberechtigter anerkannt ist, ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 6 StAG von der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG (Aufgabe oder Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit) abzusehen.

Die Berufung des Klägers ist nach alldem mit seinem im Hauptantrag verfolgten Begehren, ihn einzubürgern, erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Der Senat hat im Einklang mit der einhelligen Rechtsprechung eine Einzelfallentscheidung getroffen.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 10.000,-- Euro festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 42.1 der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers für das erstinstanzliche Klageverfahren zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dieses biete nicht die nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht.

Der Senat schließt sich der Auffassung des Verwaltungsgerichts an. Gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO sieht er insoweit von einer eigene Darstellung ab und folgt den Gründen der angefochtenen Entscheidung.

Das Beschwerdevorbringen gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Es ist dem Kläger auch hiermit nicht gelungen, seiner Mitwirkungspflicht gemäß § 37 Abs. 1 StAG i. V. m. § 82 Abs. 1 AufenthG entsprechend hinreichend substantiiert darzulegen, dass er aufgrund einer körperlichen Krankheit die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StAG nicht erfüllen kann (§ 10 Abs. 6 StAG).

Die Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. med. K. S., vom 17. August 2012 verleiht der Klage keine hinreichende Erfolgsaussicht. Sie ist inhaltlich nicht hinreichend belastbar, um die komplexe Diagnostik einer durch multiple Sklerose hervorgerufenen Lernschwäche zu leisten.

Grundsätzlich muss sich aus einem ärztlichen Gutachten nachvollziehbar mindestens ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat, welche Art von Befunderhebung stattgefunden hat und ob die von Patienten geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben (vgl. BVerwG, B. v. 26.7.2012 - 10 B 21.12 - juris Rn. 7).

Das vorgelegte Attest leistet dies nicht. Es enthält lediglich die pauschale Behauptung, der Kläger leide an einer schubförmig verlaufenden multiplen Sklerose, die zu einer erheblichen hirnorganischen Beeinträchtigung führe, so dass er nicht in der Lage erscheine, die geforderten Sprachprüfungen durchzuführen, ohne aber darzulegen, seit wann, mit welchem Schweregrad und welchen konkreten Auswirkungen die Krankheit beim Kläger besteht oder auf welcher Grundlage die Diagnose ergangen ist. Konkrete Befundtatsachen, aus denen der Facharzt seine Behauptung ableitet, der Kläger leide an multipler Sklerose mit der Folge erheblicher hirnorganischer Beeinträchtigungen, werden nicht benannt. Dabei geben die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten in seiner Beschwerdebegründung zu der Frage Anlass, ob Herr Dr. S. mit dem Kläger überhaupt ein Gespräch geführt hat, nachdem er in einem Telefonat mit dem Klägerbevollmächtigten darauf hingewiesen hatte, er sei zur Begutachtung des Klägers „definitiv nicht in der Lage“, weil er die russische Sprache nicht beherrsche. Das Attest vom 17. August 2012 erfüllt nach alledem unter keinem Aspekt die inhaltlichen Mindestanforderungen an eine - hier erforderliche - fachärztliche Stellungnahme und ist daher nicht geeignet, die Behauptung des Klägers, er sei aufgrund einer Erkrankung daran gehindert, sich die fehlenden bzw. unzureichenden Kenntnisse der deutschen Sprache bzw. der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse in Deutschland anzueignen, zu substantiieren.

Soweit der Klägerbevollmächtigte in seiner Beschwerdebegründung darauf hinweist, dass er im Hauptsacheverfahren die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür beantragen will, dass der Kläger an einer Erkrankung leidet, die seine kognitive Leistungsfähigkeit so erheblich beeinträchtigt, dass sie ursächlich für dessen Unvermögen ist, die geforderten Tests zu bestehen, kann dies die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht der Klage nicht begründen. Denn der in Aussicht gestellte Beweisantrag würde einen unzulässigen Ausforschungsbeweis darstellen und ist daher vorliegend unbeachtlich.

Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag liegt in Bezug auf solche Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbaren Anhaltspunkt willkürlich „ins Blaue hinein“ aufgestellt werden, für die tatsächliche Grundlagen jedoch fehlen. So liegt der Fall hier: Das Attest des Dr. S. ist, wie oben dargestellt, nicht geeignet, die Behauptung des Klägers substantiiert zu belegen, er sei aufgrund einer MS-Erkrankung nicht in der Lage, die deutsche Sprache zu erlernen. In dieser Situation hätte es dem Kläger oblegen, sich an Herrn Dr. S. zu wenden und sich die Unterlagen geben zu lassen, auf deren Grundlage der Arzt das vorgelegte Attest erstellt hat. Fehlt es aber - wie hier - schon an einem substantiierten Sachvortrag, stellt sich ein Beweisantrag mit dem Ziel, ein Sachverständigengutachten einzuholen, als unzulässiger Ausforschungsbeweisantrag dar, da die Beweisaufnahme erst die zur Klagebegründung dienenden Tatsachen ergeben soll (vgl. BSG, B. v. 19.11.2009 - B 13 R 303/09 - juris Rn. 12; BGH, U. v. 27.5.2003 - IX ZR 283/99 - MDR 2003, 1365/1366).

Die Angaben des Klägers zu den zu erwartenden Kosten von ca. 3.000 € für die Durchführung einer ärztlichen Begutachtung des Klägers sind nicht nachvollziehbar. Eine entsprechend umfangreiche Begutachtung wurde vom Kläger nicht verlangt. Bei der behaupteten Schwere der Erkrankung ist davon auszugehen, dass sich der bei der AOK pflichtversicherte Kläger bereits seit geraumer Zeit in ärztlicher Behandlung befindet und in der Lage sein müsste, zumindest die beim behandelnden Arzt befindlichen, konkrete Befundtatsachen bzw. bildgebende Befunde enthaltenden Patientenakten bei der zuständigen Behörde vorzulegen, was für den Kläger mit keinerlei Kosten verbunden wäre. Warum das nicht möglich sein soll, erschließt sich dem Senat nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Anders als das Prozesskostenhilfeverfahren in erster Instanz ist das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen kostenpflichtig. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers für das erstinstanzliche Klageverfahren zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dieses biete nicht die nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht.

Der Senat schließt sich der Auffassung des Verwaltungsgerichts an. Gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO sieht er insoweit von einer eigene Darstellung ab und folgt den Gründen der angefochtenen Entscheidung.

Das Beschwerdevorbringen gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Es ist dem Kläger auch hiermit nicht gelungen, seiner Mitwirkungspflicht gemäß § 37 Abs. 1 StAG i. V. m. § 82 Abs. 1 AufenthG entsprechend hinreichend substantiiert darzulegen, dass er aufgrund einer körperlichen Krankheit die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StAG nicht erfüllen kann (§ 10 Abs. 6 StAG).

Die Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. med. K. S., vom 17. August 2012 verleiht der Klage keine hinreichende Erfolgsaussicht. Sie ist inhaltlich nicht hinreichend belastbar, um die komplexe Diagnostik einer durch multiple Sklerose hervorgerufenen Lernschwäche zu leisten.

Grundsätzlich muss sich aus einem ärztlichen Gutachten nachvollziehbar mindestens ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat, welche Art von Befunderhebung stattgefunden hat und ob die von Patienten geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben (vgl. BVerwG, B. v. 26.7.2012 - 10 B 21.12 - juris Rn. 7).

Das vorgelegte Attest leistet dies nicht. Es enthält lediglich die pauschale Behauptung, der Kläger leide an einer schubförmig verlaufenden multiplen Sklerose, die zu einer erheblichen hirnorganischen Beeinträchtigung führe, so dass er nicht in der Lage erscheine, die geforderten Sprachprüfungen durchzuführen, ohne aber darzulegen, seit wann, mit welchem Schweregrad und welchen konkreten Auswirkungen die Krankheit beim Kläger besteht oder auf welcher Grundlage die Diagnose ergangen ist. Konkrete Befundtatsachen, aus denen der Facharzt seine Behauptung ableitet, der Kläger leide an multipler Sklerose mit der Folge erheblicher hirnorganischer Beeinträchtigungen, werden nicht benannt. Dabei geben die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten in seiner Beschwerdebegründung zu der Frage Anlass, ob Herr Dr. S. mit dem Kläger überhaupt ein Gespräch geführt hat, nachdem er in einem Telefonat mit dem Klägerbevollmächtigten darauf hingewiesen hatte, er sei zur Begutachtung des Klägers „definitiv nicht in der Lage“, weil er die russische Sprache nicht beherrsche. Das Attest vom 17. August 2012 erfüllt nach alledem unter keinem Aspekt die inhaltlichen Mindestanforderungen an eine - hier erforderliche - fachärztliche Stellungnahme und ist daher nicht geeignet, die Behauptung des Klägers, er sei aufgrund einer Erkrankung daran gehindert, sich die fehlenden bzw. unzureichenden Kenntnisse der deutschen Sprache bzw. der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse in Deutschland anzueignen, zu substantiieren.

Soweit der Klägerbevollmächtigte in seiner Beschwerdebegründung darauf hinweist, dass er im Hauptsacheverfahren die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür beantragen will, dass der Kläger an einer Erkrankung leidet, die seine kognitive Leistungsfähigkeit so erheblich beeinträchtigt, dass sie ursächlich für dessen Unvermögen ist, die geforderten Tests zu bestehen, kann dies die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht der Klage nicht begründen. Denn der in Aussicht gestellte Beweisantrag würde einen unzulässigen Ausforschungsbeweis darstellen und ist daher vorliegend unbeachtlich.

Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag liegt in Bezug auf solche Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbaren Anhaltspunkt willkürlich „ins Blaue hinein“ aufgestellt werden, für die tatsächliche Grundlagen jedoch fehlen. So liegt der Fall hier: Das Attest des Dr. S. ist, wie oben dargestellt, nicht geeignet, die Behauptung des Klägers substantiiert zu belegen, er sei aufgrund einer MS-Erkrankung nicht in der Lage, die deutsche Sprache zu erlernen. In dieser Situation hätte es dem Kläger oblegen, sich an Herrn Dr. S. zu wenden und sich die Unterlagen geben zu lassen, auf deren Grundlage der Arzt das vorgelegte Attest erstellt hat. Fehlt es aber - wie hier - schon an einem substantiierten Sachvortrag, stellt sich ein Beweisantrag mit dem Ziel, ein Sachverständigengutachten einzuholen, als unzulässiger Ausforschungsbeweisantrag dar, da die Beweisaufnahme erst die zur Klagebegründung dienenden Tatsachen ergeben soll (vgl. BSG, B. v. 19.11.2009 - B 13 R 303/09 - juris Rn. 12; BGH, U. v. 27.5.2003 - IX ZR 283/99 - MDR 2003, 1365/1366).

Die Angaben des Klägers zu den zu erwartenden Kosten von ca. 3.000 € für die Durchführung einer ärztlichen Begutachtung des Klägers sind nicht nachvollziehbar. Eine entsprechend umfangreiche Begutachtung wurde vom Kläger nicht verlangt. Bei der behaupteten Schwere der Erkrankung ist davon auszugehen, dass sich der bei der AOK pflichtversicherte Kläger bereits seit geraumer Zeit in ärztlicher Behandlung befindet und in der Lage sein müsste, zumindest die beim behandelnden Arzt befindlichen, konkrete Befundtatsachen bzw. bildgebende Befunde enthaltenden Patientenakten bei der zuständigen Behörde vorzulegen, was für den Kläger mit keinerlei Kosten verbunden wäre. Warum das nicht möglich sein soll, erschließt sich dem Senat nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Anders als das Prozesskostenhilfeverfahren in erster Instanz ist das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen kostenpflichtig. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.