Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 01. Dez. 2017 - 4 A 1438/14

bei uns veröffentlicht am01.12.2017

Tenor

Der Verwaltungsakt der Beklagten zur Aufhebung der teilweisen Stundung des Schmutzwasserbeitrags gemäß Schreiben vom 30. April 2014 und ihr Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 2014 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger ficht einen Verwaltungsakt zur Aufhebung einer teilweisen Stundung eines Schmutzwasseranschlussbeitrags an.

2

Er ist Eigentümer eines Hausgrundstücks, bestehend aus dem 2.401 m² großen Flurstück a der Flur b, Gemarkung B-Stadt. Er bewohnt das Haus und nutzt es zugleich als Bäckerei seit dem Grundstückskauf im Oktober 1998. Dies teilte der Kläger der Beklagten mit Formular-Änderungsmeldung vom 8. Januar (wohl) 1999 mit. Etwa in einem Trinkwassergebührenbescheid der Beklagten vom 12. Februar 2003 heißt es neben der Adresse des Klägers „W Bäcker“.

3

Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Erhebung eines Herstellungsbeitrags zur „Schmutzwassererschließung“ vom 20. August 2007 teilte die Beklagte dem Kläger eine „reduzierte Grundstücksfläche“ von 1.600 m² gemäß Beschluss der Verbandsversammlung vom 20. Dezember 2005 „32/68/2005“ mit. Im anschließend erlassenen entsprechenden Beitragsbescheid vom 18. Juni 2009 ging sie allerdings von der gesamten Grundstücksfläche aus. Mit Schreiben vom 26. Juni 2009 hob die Beklagte deshalb diesen Bescheid auf und teilte dem Kläger mit, ausgehend von der Grundstücksfläche von 2.401 m² sei gemäß dem – nicht beigefügtem – Beschluss der Verbandsversammlung vom 20. Dezember 2005 zunächst nur der Anteil zu bezahlen, der auf die Grundstücksfläche von 1.600 m² entfalle.

4

Mit dem nachfolgenden Bescheid über den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser vom 22. Juli 2009 erhob die Beklagte vom Kläger im Hinblick auf dieses Grundstück einen solchen Beitrag in Höhe von 11.164,65 €. Bei der Bestimmung des Zahlungsgebots wurde darauf hingewiesen, dass laut – nicht beigefügtem – Beschluss der Verbandsversammlung vom 20. Dezember 2005 hiervon zunächst nur ein Anteil zu bezahlen sei, der auf die Grundstücksfläche von 1.600 m² entfalle. Der Teilbeitrag von 7.440 € sei zum dort angegebenen Zeitpunkt fällig. Der überschießende Teilbeitrag in Höhe von 3.724,65 € werde bis zur weiteren Bebauung der Grundstücksteilfläche, die außerhalb der im anliegenden Flurkartenauszug markierten Grundstücksteilfläche liege, zinslos gestundet. Der Grundstückseigentümer werde verpflichtet, bei Veränderung der Bebauung auf dem Grundstück dies dem Zweckverband unverzüglich anzuzeigen. Im beigefügten Flurkartenauszug ist die gestundete Fläche durch gelbe Quadrate eingezeichnet; die Fläche befindet sich im hinteren Bereich des Grundstücks. Im zur Straße gelegenen vorderen Bereich des Grundstücks befinden sich Gebäude. Wegen der weiteren Einzelheiten seines Inhalts wird auf den Bescheid Bezug genommen.

5

Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 2010 zurück, wobei sie darin als Ermächtigungsgrundlage für den Beitragsbescheid die Beitragssatzung Schmutzwasser vom 3. März 2010 nennt. Klage dagegen hat der Kläger nicht erhoben.

6

Ohne vorherige Anhörung eröffnete die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 30. April 2014 ohne Rechtsbehelfsbelehrung, er habe nicht mitgeteilt, dass es sich bei dem Grundstück um ein Gewerbegrundstück handele. In diesem Fall hätte eine Kappung auf 1.600 m² gemäß dem Beschluss der Verbandsversammlung nicht erfolgen dürfen. Die Kappung bzw. die Stundung der 1.600 m² übersteigenden Fläche diene der Intention, zentral angeschlossene Grundstücke von besonders großer Größe beitragsbezogen zu „reduzieren“, um zu gewährleisten, dass bei einer verhältnismäßig geringen Bebauung für diese nicht ein Beitrag zu zahlen sei, der die im Falle einer dezentralen Erschließung eintretende Kostenbelastung in unbilliger Weise überschreite. Das klägerische Grundstück sei nicht unverhältnismäßig groß und auf ihm befinde sich auch keine geringe Bebauung. Es sei zu ca. 50 % bebaut, u. a. mit Betriebsgebäuden. Der Kläger wurde aufgefordert, den bisher gestundeten Betrag nunmehr binnen sechs Wochen zu überweisen.

7

Gegen dieses Schreiben legte der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 30. Mai 2014 Widerspruch ein. Sein Grundstück sei zu keinem Zeitpunkt hinsichtlich seiner Bebauung oder Nutzung verändert worden. Er beantragte u. a., ihm den Kappungsbeschluss der Verbandsversammlung vom 20. Dezember 2005 zu übersenden.

8

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 2014 zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die damalige Stundung rechtsfehlerhaft und irrtümlich erfolgt sei. Rechtsgrundlage für den Ausgangsbescheid sei § 130 AO. Erst bei einer Überprüfung der Grundstücksakte und anschließender Inaugenscheinnahme Mitte April 2014 sei festgestellt worden, dass es sich um ein Gewerbegrundstück handele, das zu mehr als 50 % bebaut sei. Nach alledem sei nicht ersichtlich, wie ihr Haus bei ordnungsgemäßer Ermessensausübung unter Berücksichtigung der Rechte und Interessen der anderen Abgabenpflichtigen anders hätte entscheiden sollen und können.

9

Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 4. Juli 2014 zugestellt.

10

Mit Schreiben vom 3. Juli 2014 übersandte die Beklagte zunächst den Beschluss der Verbandsversammlung vom 12. Dezember 2012, danach denjenigen vom 20. Dezember 2005.

11

Der Kläger hat am 4. August 2014 Klage erhoben, mit der er vorträgt:

12

Der Wortlaut des Beschlusses vom 20. Dezember 2005 enthalte im Gegensatz zum Beschluss der Verbandsversammlung vom 12. Dezember 2012 keine Einschränkungen oder zusätzliche Voraussetzungen. Weder habe die Nutzung der Bebauung noch deren Größe eine Rolle gespielt.

13

Er hätte zu keinem Zeitpunkt Bedenken an der Stundungsentscheidung hegen können, da die Voraussetzungen der damaligen Stundungsanweisung keinen Hinweis darauf enthielten, dass sein Grundstück aufgrund der zusätzlichen gewerblichen Nutzung nicht davon profitieren könne. Mehr als die Zusendung des zugrunde liegenden Beschlusses und die Kenntnisnahme dessen Inhalts könne von ihm nicht gefordert werden.

14

Dass aktuell ein neuer Beschluss zur Stundung angewendet werde, der bereits vom Wortlaut her eine Reihe von Einschränkungen enthalte, möge dahinstehen, denn er sei nicht rückwirkend auf den Bescheid aus dem Jahre 2009 anwendbar.

15

Wenn es sich bei der Stundungsaufhebung um eine Rücknahme handele, könne sie nur nach den §§ 130 ff. AO zurückgenommen werden. Dabei sei nach § 130 Abs. 3 AO die Jahresfrist zu beachten. Der Beklagten sei der Betrieb der Bäckerei auf dem Grundstück, das er im Übrigen bewohne, bereits seit 1998 bekannt.

16

Die Stundungsentscheidung sei für viele Beitragsbelastete auch ein Argument gewesen, gegen die Beitragsbescheide keine „Rechtsmittel“ einzulegen. Unter anderem aus diesen Gründen sei die Kappungsgrenze beschlossen worden.

17

Der Kläger beantragt,

18

den Bescheid der Beklagten vom 30. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Juli 2014 aufzuheben.

19

Die Beklagte beantragt,

20

die Klage abzuweisen,

21

und trägt dazu unter sinngemäßem Verweis auf den Widerspruchsbescheid vor:

22

Es sei auf die Grundsätze zur Nacherhebung versehentlich zu Unrecht nicht erhobener Beiträge und die Pflicht des Aufgabenträgers zu verweisen, den Beitragsanspruch im Sinne der Rechte und Interessen der Allgemeinheit auszuschöpfen. Dies gelte ungeachtet der §§ 130 ff. AO wie auch des § 172 AO, die wohl jeweils nicht anwendbar seien bzw. zumindest hier angesichts der höhergewichtigen Interessen der Allgemeinheit in der Abwägung „weggewogen“ würden.

23

Eine versehentlich gewährte Stundung könne dabei keiner anderen Wertung unterliegen (und ggf. bis in alle Ewigkeit Bestand haben) als etwa eine versehentlich nicht berücksichtigte Grundstücksteilfläche oder ein zweites Geschoss.

24

Dies gelte umso mehr, da der stundungsrelevante Beschluss im Stundungsbescheid genannt worden sei und durch den Kläger hätte beschafft werden können. Er hätte unschwer ersehen können, dass sein Grundstück die erforderlichen Voraussetzungen nicht erfülle. Schon allein aus diesem Grund sei Vertrauensschutz nicht zu gewähren. Erhöhte Fahrlässigkeitsmaßstäbe pp., wie sie die Abgabenordnung normiere, würden aus den genannten Gründen nicht gelten.

25

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 28. Juli 2016 zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Entscheidungsgründe

26

Die Anfechtungsklage hat Erfolg.

27

Der Verwaltungsakt der Beklagten vom 30. April 2014 in Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 2. Juli 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

28

Rechtsgrundlage der behördlichen Entscheidung zur (konkludenten) Aufhebung einer getroffenen Stundungsregelung ist die von der Beklagten erstmals im Widerspruchsbescheid genannte Vorschrift des § 130 der Abgabenordnung (AO) i. V. m. § 12 Abs. 1 des Kommunalabgabengesetzes (KAG M-V) sein. Die §§ 172 ff. AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V sind nur auf die Abgabenbescheide selbst - hier den Anschlussbeitragsbescheid mit seinen Festsetzungen zum Beitrag und dem Zahlungsgebot - anwendbar (vgl. etwa Urt. des Gerichts vom 16. Mai 2017 – 4 A 2568/16 SN –, S. 14 ff. des amtlichen Umdrucks m. w. N.).

29

Der anwaltliche Vortrag der Beklagten im Klageverfahren ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, legt er doch nahe, dass die Beklagte nicht einmal die Abgabenordnung im Hinblick auf die vorliegende Problematik anwenden will. Dies wäre jedenfalls für die an Recht und Gesetz gebundene Beklagte grob rechtswidrig und höchst befremdlich.

30

Genauer gesagt richtet sich vorliegend die Frage, ob der damalige Bescheid im Hinblick auf die teilweise Stundung des Anschlussbeitrags zurückgenommen werden kann, nach § 130 Abs. 2 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V. Es handelt sich bei der Stundung um einen Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet (sog. begünstigender Verwaltungsakt).

31

Von den dortigen Alternativen, wann ein solcher begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen werden darf, kommt allein – so auch die Beklagte im Widerspruchsbescheid – § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V in Betracht. Danach darf ein begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen werden, wenn seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.

32

I. Bereits diese Voraussetzungen für die Rücknahme des (Anschlussbeitrags- und) Teilstundungsbescheids vom 22. Juli 2009 liegen nicht vor, zudem läge selbst im bejahenden Falle ein Ermessensfehler vor.

33

1. Die in diesem Bescheid zugleich und wohl auf der Grundlage des § 222 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V erlassene Entscheidung zur teilweisen Stundung des festgesetzten Schmutzwasseranschlussbeitrags ist nicht rechtswidrig.

34

Die Beschlussvorlage zum Beschluss zur Stundung von Beiträgen bei übergroßen Grundstücken vom 20. Dezember 2005 führt zur Begründung auf, das Verwaltungsgericht habe in einem Klageverfahren im Juni 2004 die angewandte Kappungsgrenze von 1.600 m² bemängelt, da hier auf Beiträge verzichtet werde. Da in der Satzung eine Flächenbegrenzung aus rechtlichen Gründen nicht möglich sei, sei in Zukunft die Beitragserhebung für die gesamte beitragspflichtige Fläche erforderlich. Eine Stundung von Beiträgen sei (dagegen) rechtlich unbedenklich. Beschlossen wurde dann, dass die Verbandsversammlung die Verwaltung des Zweckverbands anweise, bei der Beitragserhebung von Grundstücken mit Einzel- und Doppelhausbebauung die Flächen, die 1.600 m² beitragspflichtige Fläche überstiegen, zu stunden. (Gemeint ist offenkundig, insoweit den festgesetzten Beitrag im Hinblick und im Umfang auf diese Flächen zu stunden.)

35

Diese Voraussetzungen zur Gewährung der teilweisen Stundung des Schmutzwasseranschlussbeitrags sind im vorliegenden Fall bei der Stundungsentscheidung Mitte 2009 erfüllt gewesen. Das Grundstück des Klägers ist mit einem „Einzelhaus“ bebaut. Ein Einzelhaus ist ein freistehendes Haus in offener Bauweise, also mit seitlichem Grenzabstand, das bis 50 m lang sein darf (vgl. § 22 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der Baunutzungsverordnung). Bei der damals von der Verbandsversammlung gewählten Formulierung sind dem Wortlaut nach allein Hausgruppen auf größeren Grundstücken von der Stundungsgewährung ausgeschlossen.

36

Die weiteren Ausschlusskriterien, die die Beklagte vorliegend eingeführt hat, sind aber ohne jeden Anhalt in der damaligen Stundungsanweisung der Verbandsversammlung vom 20. Dezember 2005. Offenbar hat sie sich bei ihrer Rücknahmeentscheidung an den neueren Stundungsvoraussetzungen orientiert, die im Beschluss der Verbandsversammlung vom 12. Dezember 2012 niedergelegt sind. Dort heißt es u. a., dass die Stundungsanweisung u. a. nur gelte, wenn das Grundstück ausschließlich zu Wohnzwecken diene und maximal zwei Wohneinheiten vorhanden seien. Insofern sind wohl auch seither (!) sowohl privat als auch gewerblich – erst recht ausschließlich gewerblich – genutzte Hausgrundstücke von einer Stundung ausgenommen. Davon ist aber in der auch noch im Juli 2009 bei der Beitragsbescheidung des Klägers geltenden Stundungsanweisung nicht die Rede. Soweit die Verbandsversammlung mithin die Stundungsgewährung mehr als drei Jahre nach der hier gewährten Teilstundung von engeren Voraussetzungen abhängig macht, können diese Kriterien nicht auf früher gewährte Stundungsentscheidungen angewandt werden, die damals noch nicht galten.

37

Soweit die Beklagte einwenden möge, sie seien aber auch damals so „gedacht“ gewesen, ist zu entgegnen, dass für eine Anweisung - noch dazu eines mehrköpfigen Gremiums wie der Verbandsversammlung - an die Verwaltung nicht entscheidend ist, wie sie im Insgeheimen gewollt gewesen, sondern wie sie formuliert worden ist bzw. verstanden werden muss. Selbst wenn insoweit, analog zur Auslegung von Gesetzen, hier die Begründung der Beschlussvorlage oder aber eine etwaige „Aussprache“/Diskussion in der Verbandversammlung vor Beschlussfassung herangezogen wird, um den Beschluss zur Anweisung der teilweisen Beitragsstundung zu ergründen und zu verstehen, ergibt sich kein anderes Ergebnis. In der Beschlussvorlage wird zunächst sinngemäß wiedergegeben, dass das Verwaltungsgericht beanstandet hatte, dass die Beklagte in vorangegangenen Beitragsbescheiden auch bei darüber hinaus gehenden Grundstücken nur Flächen bis 1.600 m² der Beitragsfestsetzung zugrunde gelegt hatte. Dem wird nunmehr als Lösungsvorschlag präsentiert, dass eine Stundung des (vollumfänglich festgesetzten) Anschlussbeitrags, soweit er sich sinngemäß aus der Berücksichtigung auch der Flächen jenseits von 1.600 m² ergibt, rechtlich unbedenklich sei. Mit keinem Wort wird selbst dort die alleinige Anwendung der Teilstundung des Anschlussbeitrags bei über 1.600 m² großen Grundstücken auf ausschließlich als Wohnung genutzte Einzel- oder Doppelhäuser begrenzt bzw. (mindestens auch) gewerblich genutzte Hausgrundstücke von der Teilstundungsgewährung ausgenommen. Entsprechendes gilt für das Protokoll der damaligen Verbandsversammlung vom 20. Dezember 2005 und den dortigen Wortbeiträgen.

38

Ein Stundungsmerkmal einer (nur) „geringen Bebauung“, wie es im Ausgangsverwaltungsakt anklingt und auf dessen Argumentation im Widerspruchsbescheid vollumfänglich verwiesen wird, ist ebenfalls der einschlägigen Anweisung der Verbandsversammlung vom 20. Dezember 2005 nicht zu entnehmen. Dass das Grundstück des Klägers nicht zu „ca. 50 % bebaut“ bzw. – korrekt – überbaut ist, wie nunmehr auch die Beklagte einräumt, sei deshalb nur am Rande angemerkt.

39

Schließlich gibt es keine Stundungsvoraussetzung einer von der Verwaltung auslegungsbedürftigen „unverhältnismäßigen“ Größe des Grundstücks, wie sie ebenfalls im Ausgangsverwaltungsakt vom 30. April 2014, auf dessen Argumentation im Widerspruchsbescheid vollumfänglich verwiesen wird, Gegenstand ist. Vielmehr wird dieser mögliche Hintergrund des Beschlusses der Verbandsversammlung in selbigem gerade konkretisiert auf Flächen über 1.600 m². Insoweit ist es der Beklagten verwehrt, stattdessen erst ab einer größeren Fläche den Anschlussbeitrag teilweise zu stunden.

40

2. Selbst wenn aber von einer – hier unterstellten – Rechtswidrigkeit der damaligen Stundungsgewährung im Bescheid vom 22. Juli 2009 auszugehen sein sollte, gibt es keinen Anhalt, dass die Unrechtmäßigkeit dem begünstigten Kläger zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.

41

Maßgeblich für die Beurteilung der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis ist der Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes, also der Zeitpunkt seiner Bekanntgabe (vgl. statt vieler etwa Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 7. März 2013 – 11 K 62/12 –, juris Rn. 39 m. w. N.).

42

Positive Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Stundungsentscheidung im Rahmen des Anschlussbeitragsbescheids ist bei dem Kläger weder zu diesem Zeitpunkt noch später nicht erkennbar und wird auch von der Beklagten nicht vorgetragen.

43

Aber selbst Anhaltspunkte für eine grobe Fahrlässigkeit der Rechtswidrigkeit der Stundungsentscheidung beim Kläger liegen nicht vor. Die Formulierungen im Widerspruchsbescheid – der Ausgangsverwaltungsakt ist insoweit untauglich – deuten ohnehin darauf hin, dass die Beklagte dem Kläger nur einfache Fahrlässigkeit vorwirft. Darauf weist auch die Klagerwiderung im Schriftsatz vom 29. August 2014 hin, wo die Beklagte am Ende ihrer Ausführungen meint, dass „erhöhte Fahrlässigkeitsmaßstäbe pp., wie sie die AO normiert, ... aus den o. g. Gründen nicht (gelten).“

44

Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Abgabenpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und nicht entschuldbarer Weise verletzt (vgl. statt vieler Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 10. November 2004 – 11 K 1855/02 –, juris Rn. 26 m. w. N.)

45

Davon kann beim Kläger, der im Übrigen vom Beruf auch kein Jurist, sondern ein Bäcker(meister?) ist, nicht die Rede sein.

46

Der damalige Beschluss der Verbandsversammlung vom 20. Dezember 2005 wird zwar seit der Anhörung bis zum Erlass des fraglichen Beitragsbescheids vom 22. Juli 2009 von der Beklagten mehrfach erwähnt, aber weder wörtlich noch sinngemäß wiedergegeben oder als Anlage beigefügt. Vielmehr wird für einen verständigen Empfänger nicht nur in diesem Bescheid der Eindruck erweckt, dass es für die Teilbeitragsstundung überhaupt keine Voraussetzungen außer einer über 1.600 m² großen Grundstücksfläche gibt. Bereits zuvor findet sich im Schreiben der Beklagten vom 26. Juni 2009 die auch im Beitragsbescheid gewählte Formulierung, dass gemäß diesem Beschluss der Verbandsversammlung „von“ der anrechenbaren Grundstücksfläche von 2.401 m² „zunächst nur der Anteil zu bezahlen (ist), der auf die Grundstücksfläche von 1.600 m² entfällt.“

47

Der Beitragsbescheid vom 22. Juli 2009 enthält dann im Weiteren so etwas wie Widerrufsbedingungen, wenn sinngemäß nämlich eine zukünftige weitere Bebauung der Grundstücksteilfläche, die im beigefügten Flurkartenauszug markiert ist, erfolgt. Gleiches gilt ausdrücklich im Falle eines Insolvenzverfahrens bzw. einer Zwangsversteigerung des Grundstücks, wobei dort sogar der gesamte Beitrag sofort fällig sein soll.

48

Bei einer derart unzureichenden Bescheidung – soweit die Beklagte nämlich weitere Stundungsvoraussetzungen bzw. entsprechende Einschränkungen einführen wollte – einschließlich des zuvor geführten Schriftverkehrs es dann dem Kläger anzulasten, dass er sich nach dem Inhalt des Beschlusses der Verbandsversammlung hätte erkundigen müssen, ist nicht angängig und begründet im Falle seiner Untätigkeit wohl nicht einmal einfache, zumindest aber nicht grobe Fahrlässigkeit der Rechtswidrigkeit der Teilbeitragsstundung. Ihn trifft keine Obliegenheit, sich vor der Stundungsentscheidung über den Inhalt dieses ihm jedenfalls von der Beklagten als günstig suggerierten Beschlusses der Verbandsversammlung zu erkundigen, namentlich um selbst(kritisch) zu hinterfragen, ob er dem Anwendungsbereich dieser Vergünstigung denn auch tatsächlich unterfällt. Die Beklagte legt nicht dar und für das Gericht ist auch nicht ersichtlich, woher solche (für grobe Fahrlässigkeit wohl auch sehr großen) Zweifel dem Kläger hätten kommen sollen. Irgendein Anlass, ihn argwöhnen zu lassen, dass auch er an dieser von der Beklagten dargestellten Begünstigung partizipieren darf, war für ihn nicht gegeben.

49

Und selbst wenn dem Kläger damals der Beschluss der Verbandsversammlung vom 20. Dezember 2005 vor Erlass des Anschlussbeitrags- und Teilstundungsbescheids zur Kenntnis gebracht worden wäre, hätte er nicht erkennen können, dass die ihm gewährte Stundungsentscheidung nicht rechtens ist, weil er auf seinem Hausgrundstück auch ein Gewerbe betreibt. Insoweit kann auf das oben Ausgeführte verwiesen werden. Wenn nicht einmal das Gericht dies erkennt, kann dies erst recht nicht Anlass für den Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit bei dem Kläger sein.

50

3. Schließlich wäre selbst bei tatbestandlicher Erfüllung der Rücknahmevoraussetzungen im Hinblick auf die Teilstundung des Anschlussbeitrags das Ermessen der Beklagten rechtsfehlerhaft ausgeübt.

51

Der Ausgangsverwaltungsakt lässt schon nicht einmal ansatzweise erkennen, dass der Beklagten bewusst war, dass ihr bei ihrer Entscheidung Ermessen zusteht. Entscheidend ist allerdings insoweit die Gestalt, die dieser Verwaltungsakt durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Darin wird allerdings dazu allein Folgendes ausgeführt:

52

„…Nach alledem ist nicht ersichtlich, wie unser Haus bei ordnungsgemäßer Ermessensausübung unter Berücksichtigung der Rechte und Interessen der anderen Abgabenpflichtigen anders hätte entscheiden sollen und können …“

53

Die Beklagte hat insoweit zwar zutreffend bemerkt, dass ihr bei der Frage der Rücknahme der Teilstundung ein Ermessen zusteht, meint aber mit dieser Aussage offenbar, hier liege eine Ermessensreduzierung auf null vor, hier könne also nicht anders entschieden werden, als die Teilstundung zurückzunehmen (vgl. dazu etwa Wolff, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 114 Rn. 128 ff.).

54

Warum die Beklagte zu dieser Auffassung gelangt, hat sie weder dort noch – soweit rechtlich zulässig – im gerichtlichen Verfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung (vgl. § 114 Satz 2 VwGO) ausführt. Das Gericht jedenfalls teilt diese Rechtsmeinung nicht und wertet diese Äußerung der Beklagten als Ausdruck ihres (fortdauernden) Ermessenausfalls bzw. ihres Ermessensnichtgebrauchs. Ein Fall des sog. intendierten Ermessens, wo die „Entscheidungsrichtung“ in der Norm oder den einschlägigen Rechtsgrundsätzen gleichsam vorgegeben und deshalb auch die Darlegung der Ermessenserwägungen grundsätzlich obsolet ist (vgl. dazu Wolff, a. a. O., Rn. 143 ff.), liegt bei der vorliegenden rechtlichen Konstellation nicht vor.

55

So wäre etwa im Rahmen der Ermessensüberlegungen er- und abwägenswert gewesen, ob die Rücknahme der - hier unterstellten – rücknahmefähigen Teilstundungsentscheidung der Beklagten im Bescheid vom 22. Juli 2009 nicht deshalb zu unterbleiben hat, weil sie maßgeblichen Einfluss auf die Frage gehabt haben könnte, ob sich ein Anschlussbeitragspflichtiger gegen seine Heranziehung juristisch zur Wehr setzt. Gleiches gilt für den Umstand, dass der Kläger (trotz der teilweisen Beitragsstundung) zwar gegen den Anschlussbeitragsbescheid Widerspruch eingelegt hatte, nach Erlass des seinen Widerspruch zurückweisenden Widerspruchsbescheids vom 7. September 2010 aber keine Anfechtungsklage erhoben hat. Eine solche Würdigung im Rahmen der Ermessenausübung wäre auch deshalb angebracht, weil die Beklagte sich insoweit kurzerhand und ohnehin weitere Ausführungen dazu auf eine neue Rechtsgrundlage für diesen Bescheid berufen hatte, nämlich die Beitragssatzung vom 3. März 2010 statt der zuvor (vermeintlich) geltenden vom 7. Mai 2009.

56

II. Auch eine - soweit zulässige - Auslegung bzw. Umdeutung des angefochtenen Verwaltungsakts als Widerruf eines rechtmäßigen Bescheids nach § 131 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V führt zu keinem anderen Ergebnis. Jedenfalls bliebe auch ein solcher Bescheid mindestens aus den vorgenannten Gründen ermessensfehlerhaft. Darüber hinaus müsste sich die Behörde wohl auch bei dieser Aufhebungsrechtsgrundlage zusätzlich Gedanken über einen (weitergehenden) Vertrauensschutz des Klägers machen, wenn sie nunmehr die verschärften Maßstäbe der neuen Teilbeitragsstundungsanweisung der Verbandsversammlung vom 12. Dezember 2012 auch auf Altfälle anzuwenden gedenkt.

57

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

58

Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

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Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

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Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens übersch

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(1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist 1. der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat,2. der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält. (2) Der

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Abgabenordnung - AO 1977 | § 130 Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts


(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. (2) Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich er

Abgabenordnung - AO 1977 | § 131 Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts


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Abgabenordnung - AO 1977 | § 222 Stundung


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Tenor Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibende

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(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur dann zurückgenommen werden, wenn

1.
er von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist,
2.
er durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist,
3.
ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren,
4.
seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.

(3) Erhält die Finanzbehörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Fall des Absatzes 2 Nr. 2.

(4) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts die nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zuständige Finanzbehörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Finanzbehörde erlassen worden ist; § 26 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Ein Steuerbescheid darf, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden,

1.
wenn er Verbrauchsteuern betrifft,
2.
wenn er andere Steuern als Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union oder Verbrauchsteuern betrifft,
a)
soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird; dies gilt jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen nur, soweit er vor Ablauf der Einspruchsfrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat oder soweit die Finanzbehörde einem Einspruch oder einer Klage abhilft,
b)
soweit er von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist,
c)
soweit er durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist,
d)
soweit dies sonst gesetzlich zugelassen ist; die §§ 130 und 131 gelten nicht.
Dies gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid durch Einspruchsentscheidung bestätigt oder geändert worden ist. In den Fällen des Satzes 2 ist Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a ebenfalls anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige vor Ablauf der Klagefrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat; Erklärungen und Beweismittel, die nach § 364b Abs. 2 in der Einspruchsentscheidung nicht berücksichtigt wurden, dürfen hierbei nicht berücksichtigt werden.

(2) Absatz 1 gilt auch für einen Verwaltungsakt, durch den ein Antrag auf Erlass, Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids ganz oder teilweise abgelehnt wird.

(3) Anhängige, außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens gestellte Anträge auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung, die eine vom Gerichtshof der Europäischen Union, vom Bundesverfassungsgericht oder vom Bundesfinanzhof entschiedene Rechtsfrage betreffen und denen nach dem Ausgang des Verfahrens vor diesen Gerichten nicht entsprochen werden kann, können durch Allgemeinverfügung insoweit zurückgewiesen werden. § 367 Abs. 2b Satz 2 bis 6 gilt entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur dann zurückgenommen werden, wenn

1.
er von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist,
2.
er durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist,
3.
ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren,
4.
seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.

(3) Erhält die Finanzbehörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Fall des Absatzes 2 Nr. 2.

(4) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts die nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zuständige Finanzbehörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Finanzbehörde erlassen worden ist; § 26 Satz 2 bleibt unberührt.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt im Wesentlichen das Wiederaufgreifen der Verwaltungsverfahren bzw. eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme von acht bestandskräftigen Anschlussbeitragsbescheiden.

A)

2

I. Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem Mietswohnhaus bebauten Grundstücks in der H.straße q in B., bestehend aus dem Flurstück a der Flur b, Gemarkung B..

3

Mit Bescheid über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19. April 2006, Bescheidnummer B2006000146, zog der Beklagte die Klägerin für dieses Grundstück zu einem entsprechenden Beitrag in Höhe von 9.091,82 € heran.

4

Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin gegen diesen Bescheid Klage erhoben, die das Gericht mit Urteil vom 13. Juni 2013 (Az. 4 A 1460/12, zuvor 4 A 1021/06) abgewiesen hat. Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern wies die vom erkennenden Gericht zugelassene Berufung mit Urteil vom 1. April 2014 zurück (Az. 1 L 207/13). Die vom OVG zugelassene Revision hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 15. April 2015 zurückgewiesen (Az. 9 C 19.14, juris). Die gegen die Urteile erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Nichtannahmebeschluss vom 3. November 2015 nicht zur Entscheidung angenommen (Az. 1 BvR 1766/15 –, juris).

5

II. Die Klägerin ist weiterhin Eigentümerin des Grundstücks in der Straße K. D. Hausnummern … in der Gemeinde W., bestehend aus dem Flurstück c der Flur d, Gemarkung W..

6

Mit Bescheid über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19. April 2006, Bescheidnummer B2006000151, zog der Beklagte die Klägerin für dieses Grundstück zu einem entsprechenden Beitrag in Höhe von 4.758,80 € heran.

7

Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin gegen diesen Bescheid Klage erhoben, die das Gericht mit Urteil vom 13. Juni 2013 (Az. 4 A 1461/12, zuvor 4 A 1025/06) abgewiesen hat. Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern wies die vom erkennenden Gericht zugelassene Berufung mit Urteil vom 1. April 2014 zurück (Az. 1 L 208/13). Die vom OVG zugelassene Revision hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 15. April 2015 zurückgewiesen (Az. 9 C 20.14). Die gegen die Urteile erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Nichtannahmebeschluss vom 3. November 2015 nicht zur Entscheidung angenommen (Az. 1 BvR 1766/15 oder 1 BvR 1783/15 oder 1 BvR 1815/15, juris).

8

III. Die Klägerin ist ebenso Eigentümerin des Grundstücks in der H.straße r in der Gemeinde B., bestehend aus dem Flurstück d der Flur e, Gemarkung B..

9

Mit Bescheid über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19. April 2006, Bescheidnummer B2006000147, zog der Beklagte die Klägerin für dieses Grundstück zu einem entsprechenden Beitrag in Höhe von 6.305,04 € heran.

10

Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin gegen diesen Bescheid Klage erhoben (Az. 4 A 1022/ 06), die mit einem Verfahrensvergleich gemäß Beschluss vom 15. Februar 2006 beendet wurde. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin so gestellt werde, wie sie im Musterverfahren 4 A 1460/12 (damals 4 A 1021/06) nach dessen rechtskräftigem Abschluss bezüglich der Festsetzung des Anschlussbeitrags für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung der Schmutzwasserbeseitigung gestellt sei.

11

IV. Die Klägerin ist außerdem Eigentümerin des Grundstücks in der H.straße s in der Gemeinde B., bestehend aus dem Flurstück f der Flur g, Gemarkung B..

12

Mit Bescheid über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19. April 2006, Bescheidnummer B2006000148, zog der Beklagte die Klägerin für dieses Grundstück zu einem entsprechenden Beitrag in Höhe von 3.657,92 € heran.

13

Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin gegen diesen Bescheid Klage erhoben (Az. 4 A 1023/ 06), die mit einem Verfahrensvergleich gemäß Beschluss vom 15. Februar 2006 beendet wurde. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin so gestellt werde, wie sie im Musterverfahren 4 A 1460/12 (damals 4 A 1021/06) nach dessen rechtskräftigem Abschluss bezüglich der Festsetzung des Anschlussbeitrags für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung der Schmutzwasserbeseitigung gestellt sei.

14

V. Die Klägerin ist darüber hinaus Eigentümerin des Grundstücks in der H.straße t in der Gemeinde B., bestehend aus dem Flurstück h der Flur i, Gemarkung B..

15

Mit Bescheid über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19. April 2006, Bescheidnummer B2006000149, zog der Beklagte die Klägerin für dieses Grundstück zu einem entsprechenden Beitrag in Höhe von 28.531,18 € heran.

16

Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin gegen diesen Bescheid Klage erhoben (Az. 4 A 1024/ 06), die mit einem Verfahrensvergleich gemäß Beschluss vom 15. Februar 2006 beendet wurde. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin so gestellt werde, wie sie im Musterverfahren 4 A 1460/12 (damals 4 A 1021/06) nach dessen rechtskräftigem Abschluss bezüglich der Festsetzung des Anschlussbeitrags für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung der Schmutzwasserbeseitigung gestellt sei.

17

VI. Die Klägerin ist ferner Eigentümerin des Grundstücks in der S.straße u in der heutigen Gemeinde (seit 2004) K.-W., bestehend aus den Flurstücken j und k der Flur l, Gemarkung W.

18

Mit Bescheid über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 24. Oktober 2001, Bescheidnummer B2001000508, zog der Beklagte die Klägerin für dieses Grundstück zu einem entsprechenden Beitrag in Höhe von 34.311,20 DM (= 17.543,04 €) heran.

19

Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin gegen diesen Bescheid Klage erhoben (Az. 4 A 1798/02). Mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2005 hat der Beklagte den Beitrag auf 15.329,75 € reduziert. Das mit Aufnahme des zuvor ruhend gestellten Verfahrens neue Aktenzeichen der Klage wurde dann 4 A 1613/12. Mit Urteil vom 13. Juni 2013 hat das Gericht das Verfahren im Umfang der übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das vom erkennenden Gericht zugelassene Berufungsverfahren wurde mit einem Verfahrensvergleich gemäß Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 3. Februar 2014 beendet (Az. 1 L 209/13). Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin so gestellt werde, wie sie im Musterverfahren 4 A 1628/12 nach dessen rechtskräftigem Abschluss bezüglich der Festsetzung des Anschlussbeitrags für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung der Schmutzwasserbeseitigung gestellt sei.

20

VII. Die Klägerin ist überdies Eigentümerin des Grundstücks in der Straße K. D … in der Gemeinde W., bestehend aus dem Flurstück m der Flur n, Gemarkung W..

21

Mit Bescheid über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19. April 2006, Bescheidnummer B2006000152, zog der Beklagte die Klägerin für dieses Grundstück zu einem entsprechenden Beitrag in Höhe von 5.319,25 € heran.

22

Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin gegen diesen Bescheid Klage erhoben (Az. 4 A 1026/ 06), die mit einem Verfahrensvergleich gemäß Beschluss vom 15. Februar 2006 beendet wurde. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin so gestellt werde, wie sie im Musterverfahren 4 A 1461/12 (damals 4 A 1025/06) nach dessen rechtskräftigem Abschluss bezüglich der Festsetzung des Anschlussbeitrags für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung der Schmutzwasserbeseitigung gestellt sei.

23

VIII. Die Klägerin ist schließlich auch Eigentümerin des mit einem Mietswohnhaus bebauten Grundstücks in der S.straße …. in (seit 2004) K.-W., eingetragen im Grundbuch von W., Blatt o, bestehend aus dem Flurstück p der Flur q, Gemarkung W.

24

Mit Bescheid über einen Anschlussbeitrag vom 24. Oktober 2001, Bescheidnummer B2001000509, zog der Beklagte die Klägerin (mit anderer Bezeichnung) für dieses Grundstück zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag in Höhe von 20.137,60 DM (= 10.296,19 €) heran.

25

Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin gegen diesen Bescheid Klage erhoben (4 A 1799/02). Mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2005 hat der Beklagte zum einen den Bescheid vom 24. Oktober 2001 dahingehend „konkretisiert“, dass dessen Adressat die Klägerin sei, und zum anderen den Anschlussbeitrag unter Hinweis auf die Satzung vom 3. Dezember 2004 auf 8.997,19 € reduziert. Das mit Aufnahme des zuvor ruhend gestellten Verfahrens neue Aktenzeichen der Klage wurde dann 4 A 1628/12. Mit Urteil vom 13. Juni 2013 hat das Gericht das Verfahren im Umfang der übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt und im Übrigen die Klage abgewiesen.

26

Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern wies die vom erkennenden Gericht zugelassene Berufung mit Urteil vom 1. April 2014 zurück (Az. 1 L 210/13). Die vom OVG zugelassene Revision hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 15. April 2015 zurückgewiesen (Az. 9 C 21.14). Die gegen die Urteile erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Nichtannahmebeschluss vom 3. November 2015 nicht zur Entscheidung angenommen (Az. 1 BvR 1766/15 oder 1 BvR 1783/15 oder 1 BvR 1815/15, juris).

B)

27

Mit mehreren anwaltlichen Schreiben vom 10. Juni 2016 beantragte die Klägerin das Wiederaufgreifen der vorgenannten acht Verwaltungsverfahren und die Rücknahme der Anschlussbeitragsbescheide.

28

Der Beklagte lehnte die Anträge sinngemäß mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 14. Juni 2016 ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die bestandskräftigen Bescheide rechtmäßig seien, wie die Gerichte übereinstimmend festgestellt hätten. Zweifel des Bundesverwaltungsgerichts an der Verfassungsgemäßheit des § 9 Abs. 3 KAG M-V hätten sich nicht auf die Rechtmäßigkeit der Bescheide ausgewirkt, da diese vor dem 31. Dezember 2008 erlassen worden seien.

29

Die von der Klägerin angenommene Änderung der Rechtsprechung gehöre auch nicht zu einem Tatbestand, der nach der Abgabenordnung ein behördliches Ermessen zu einer Änderung oder Aufhebung von Beitragsbescheiden eröffne. Hinzu komme, dass eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 9 Abs. 3 KAG M-V auch dann keine Auswirkungen auf bestandskräftige Bescheide habe, wenn diese Norm für verfassungswidrig erklärt werden sollte. Auf § 79 Abs. 2 BVerfGG werde hingewiesen.

30

Mit anwaltlichem Schreiben vom 15. Juli 2016 legte die Klägerin gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Zur Begründung verwies sie u. a. darauf, dass sie einen Anspruch auf Aufhebung der rechtswidrigen Anschlussbeitragsbescheide aus § 3 Abs. 1 des Staatshaftungsgesetzes habe. Das im Jahre 2009 aufgehobene Staatshaftungsgesetz bleibe auf einen vor Inkrafttreten des Aufhebungsgesetzes entstandenen Schadensersatzanspruch weiter anwendbar. Alle acht Anschlussbeitragsbescheide seien lange vor dem Jahr 2009 erlassen worden.

31

Aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (Az. 1 BvR 3051/14) zur gleichlautenden Regelung des Kommunalabgabengesetzes Brandenburg sei indes schon jetzt davon auszugehen, dass die damaligen Anschlussbeitragsbescheide rechtswidrig seien. Denn die Regelung des § 9 Abs. 3 KAG M-V sei verfassungswidrig.

32

Die Klägerin stellte in diesem Widerspruchsschreiben zugleich Antrag auf Schadensersatz nach dem Staatshaftungsgesetz.

33

Der Beklagte wies den Widerspruch mit am 8. August 2016 zugestelltem Widerspruchsbescheid vom 2. August 2016 zurück.

34

Die Klägerin hat am 8. September 2016 Klage erhoben, mit der sie vorträgt:

35

Durch Beschluss vom 12. November 2015 habe das Bundesverfassungsgericht eine dem § 9 Abs. 3 KAG M-V gleichlautende Regelung des Kommunalabgabengesetzes Brandenburg für verfassungswidrig erklärt. Es spreche alles dafür, dass auch § 9 Abs. 3 KAG M-V verfassungswidrig sei.

36

Dem Beklagten stehe nach § 3 Abs. 1 des Staatshaftungsgesetzes der ehemaligen DDR auch das Recht zu, den Schaden durch Wiederherstellung des Zustandes, der vor dem Schadensfall bestanden habe, auszugleichen.

37

Die Bescheide seien ermessensfehlerhaft. Der Beklagte habe die Anträge auf Wiederaufgreifen und auf Rücknahme zurückgewiesen, ohne die zutreffenden Rechtsvorschriften anzuwenden und sein Ermessen auszuüben (Ermessensunterschreitung).

38

Die Anwendbarkeit des § 51 VwVfG M-V, die grundsätzlich auch auf Beitragsbescheide anzuwenden sei (VG München, Urt. v. 6. Okt. 2015 - M 16 K 15.2780 -), werde verkannt. § 12 Abs. 1 KAG M-V enthalte keine Generalverweisung auf die Vorschriften der Abgabenordnung, sondern diese seien nur insoweit entsprechend anwendbar, soweit nicht andere Gesetze besondere Vorschriften enthielten. Denn die Abgabenordnung gelte trotz der Verweisung nach der Legaldefinition des § 3 AO nur für Steueransprüche. Da die gesamte Abgabenordnung insbesondere auf Steuern zugeschnitten sei, könne sie – was näher ausgeführt wird – nicht uneingeschränkt für Beitragsbescheide gelten. § 12 Abs. 1 KAG M-V müsse dahingehend verfassungskonform ausgelegt werden, dass nur diejenigen Vorschriften der Abgabenordnung auf Beitragsbescheide entsprechend anwendbar seien, die nicht steuerspezifisch seien, wie insbesondere die §§ 172 ff. AO. Zudem seien aufgrund des bereits hervorgehobenen Gesetzeswortlauts des § 12 Abs. 1 KAG M-V die Vorschriften des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes und die (sinngemäß anwendbaren) Vorschriften der Abgabenordnung nebeneinander anwendbar und insbesondere dann heranzuziehen, wenn Regelungslücken bestünden oder sich die rechtliche Ausgestaltung von rechtlichen Instrumentarien der Abgabenordnung nicht auf Beitragsbescheide übertragen lasse. § 51 VwVfG M-V sei eine besondere Vorschrift eines anderen Gesetzes i. S. des § 12 Abs. 1 KAG M-V.

39

Der Beklagte gehe ferner rechtsirrig davon aus, dass eine Rücknahme von Beitragsbescheiden nur aufgrund von § 172 AO möglich sei und übersehe, dass auch § 130 Abs. 1 und 3 AO die Rücknahme rechtswidriger Beitragsbescheide regle.

40

Die §§ 130 ff. AO würden hinsichtlich der (mittelbar) streitgegenständlichen Beitragsbescheide auch durch die Regelungen der §§ 172 ff. AO nicht verdrängt. Denn letztere Vorschriften enthielten ein steuerspezifisches Regelungsinstrumentarium, welches auf Beitragsbescheide auch sinngemäß nicht anwendbar sei.

41

Im Übrigen könne der Landesgesetzgeber eine vom Bundesverfassungsgericht noch festzustellende Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs. 3 KAG M-V nicht dadurch heilen, dass er den Rechtsmangel für unbeachtlich erkläre; § 22 Abs. 3 KAG M-V sei gleichermaßen verfassungswidrig. Dem Gesetzgeber fehle die Kompetenz, für verfassungswidrig erklärte Rechtslagen für „rechtmäßig“ zu erklären. Es werde auf § 31 Abs. 1 und 2 BVerfGG und Art. 31 GG verwiesen.

42

Dass nach der Aufhebung des Vorlagebeschlusses eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 9 Abs. 3 KAG M-V mit Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG jetzt nicht mehr zu erwarten sei, lasse den Anspruch der Klägerin auf ermessensfehlerfreie Entscheidung unberührt, zumal die Aufhebung ebenso wie die Gesetzesänderung erst nach Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts erfolgt seien.

43

Die Gesetzesänderung könne die Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs. 3 (i. V. m. § 12) KAG M-V nicht rückwirkend bis zum Tag des Inkrafttretens der Neufassung am 30. Juli 2016 beseitigen. Andernfalls läge ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vor, Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG. Die Anträge vom 10. Juni 2016 seien daher jedenfalls als Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung begründet gewesen.

44

Durch die mit dem Vorlagebeschluss dokumentierte Änderung der Rechtsprechung habe sich die Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen i. S. von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG geändert und seien dem Beklagten damit auch Tatsachen bekannt geworden i. S. von § 130 Abs. 3 AO, die die Rücknahme rechtfertigen könnten. Der ablehnende Bescheid und der Widerspruchsbescheid seien rechtswidrig gewesen.

45

Der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO bestehe insbesondere auch unabhängig davon, ob die Behörde den begehrten Verwaltungsakt ermessensfehlerfrei hätte ablehnen können.

46

§ 12 Abs. 2 Ziff. 1 KAG M-V n. F. sei im Übrigen verfassungswidrig und nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar, nach der der Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt zulässig sei. Es sei evident, dass allein die neue zeitliche Obergrenze des „§ 169 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 KAG M-V“ (gemeint ist offenbar § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V) von 20 Jahren nicht mehr mit dieser Rechtsprechung (vom 5. März 2013) in Einklang stehe, nach der bereits zwölf Jahre zu lang seien, wobei ja noch hinzu komme, dass diese Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2000 zu laufen beginne. Der Vorteil könne aber bereits 1990 erlangt worden sei, so dass de facto eine Inanspruchnahme von bis zu 30 Jahren nach Erlangung des Vorteils ermöglicht werde. Dies sei evident verfassungswidrig.

47

Werde der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung negiert und habe sie, die Klägerin, keinen Anspruch mehr auf eine solche Bescheidung, hätte sich der Verwaltungsakt infolge der späteren Gesetzesänderung sowie der darauffolgenden Aufhebung des Vorlagebeschlusses „anderweitig erledigt“ i. S. des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Denn zum Zeitpunkt der Antragstellung und bei Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts habe der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung der Anträge auf Wiederaufgreifen und Rücknahme bestanden.

48

Das besondere Feststellungsinteresse an dem Hilfsantrag nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ergebe sich zum einen daraus, dass die Klägerin aufgrund des rechtswidrigen, da ermessensfehlerhaften Bescheids vom 14. Juni 2016 ihre Prozessbevollmächtigten mit der Durchführung eines Widerspruchs- und anschließenden Klageverfahrens hätten beauftragen müssen. Diese Kosten wären nicht entstanden, hätte der Beklagte ermessensfehlerfrei entschieden.

49

Zum anderen ergebe sich dieses Interesse aus dem Umstand, dass die Klägerin Ansprüche nach dem Staatshaftungsgesetz erhoben habe. Es werde auf dessen § 2 hingewiesen.

50

Die Klägerin beantragt,

51

den Bescheid des Beklagten vom 14. Juni 2016 und seinen Widerspruchsbescheid vom 2. August 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Anträge auf Wiederaufgreifen der acht Anschlussbeitragsverfahren und auf Rücknahme dieser Bescheide gemäß Klageschrift vom 8. September 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden,

52

hilfsweise,

53

festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 14. Juni 2016 und sein Widerspruchsbescheid vom 2. August 2016 rechtswidrig gewesen sind.

54

Der Beklagte beantragt,

55

die Klage abzuweisen,

56

und trägt dazu vor:

57

Er sei nicht verpflichtet, die bestandskräftigen Anschlussbeitragsbescheide gegen die Klägerin zurückzunehmen oder die Verfahren wieder aufzugreifen. Dafür existiere keine Rechtsgrundlage.

58

Die Unanwendbarkeit des § 51 VwVfG M-V auf Kommunalabgabenverfahren ergebe sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 dieses Gesetzes. In Bayern gelte eine andere Rechtslage. Auch wenn einige Vorschriften der Abgabenordnung und des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes inhaltsgleich seien, so gelte dies für das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG M-V nicht.

59

Der Anwendungsbereich der §§ 130, 131 AO sei nicht sonderlich groß, weil die §§ 172 ff. AO als Sonderregelungen für Abgabenbescheide gelten würden. Die §§ 130, 131 AO erfassten nur die „übrigen“ Verwaltungsakte wie z. B. Stundungsbescheide (Aussprung zu § 12 KAG M-V Punkt 35). Auf Beitragsbescheide seien diese Normen nicht anwendbar.

60

Eine Aufhebung von kommunalen Abgabenbescheiden, die einer erhöhten Bestandskraft unterlägen, könne allenfalls erfolgen, soweit dies – was hier nicht der Fall sei - sonst gesetzlich zugelassen sei, § 172 Abs. 1 Ziff. 2 lit. d AO, oder gemäß 3 175 AO aufgrund eines Ereignisses, welches Wirkung für die Vergangenheit habe.

61

Die Rechtmäßigkeit der hier (mittelbar) streitbefangenen Beitragsbescheide sei bis zum Bundesverwaltungsgericht bestätigt worden.

62

Es sei auch kein Ereignis eingetreten, demgemäß die Beitragserhebung in der Vergangenheit nicht zulässig gewesen wäre.

63

Die Rechtsprechung in Mecklenburg-Vorpommern zur Frage der Verfassungsgemäßheit des § 9 Abs. 3 KAG M-V habe sich nicht der Rechtsprechung in Brandenburg angeschlossen. Die Rechtslage in Brandenburg unterscheide sich grundlegend von der in Mecklenburg-Vorpommern.

64

Das Anschlussbeitragsrecht sei hier durch die Neufassung des Kommunalabgabengesetzes vom 12. April 2005 nicht rückwirkend geändert worden.

65

Auch die Änderung des Kommunalabgabengesetzes durch das Gesetz vom 14. Juli 2016 lasse die Beitragserhebung nicht nachträglich entfallen. Gemäß § 12 Abs. 2 Ziff. 1 KAG M-V n. F. sei für Beiträge, auch wenn der tatsächliche Anschluss vor 1990 erfolgt sei, noch keine Verjährung eingetreten.

66

Ferner sei ein sich eventuell aus dem Fehlen einer zeitlichen Obergrenze für die Erhebung von kommunalen Beitragen ergebender Rechtsmangel in den Beitragssatzungen gemäß § 22 Abs. 3 KAG M-V n. F. unbeachtlich.

67

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 26. Oktober 2016 zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Entscheidungsgründe

68

Die Klage hat insgesamt keinen Erfolg.

69

I. Die im Hauptantrag als Unterfall der Verpflichtungsklage verfolgte Neubescheidungsklage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neubescheidung ihrer Anträge auf Wiederaufgreifen der Verwaltungsverfahren zu den unanfechtbar gewordenen Anschlussbeitragsbescheiden mit dem Ziel ihrer Rücknahme, § 113 Abs. 5 VwGO.

70

1. Die mit der Neubescheidungsklage angegriffenen Bescheide des Beklagten haben sich jedenfalls nicht vollumfänglich durch das Änderungsgesetz zum Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 2016 erledigt, soweit diesem Gesetz überhaupt Auswirkung auf die Problematik der Rechtmäßigkeit der 2001 und 2006 ergangenen Anschlussbeitragsbescheide zukommt (dazu im Folgenden). So geht die Klägerin auch von einer die Rechtmäßigkeit dieser Anschlussbeitragsbescheide beeinträchtigenden Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs. 3 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes (KAG M-V) aus, die sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 12. November 2015 (Az. 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14) ergeben soll, ebenso von der Verfassungswidrigkeit des Änderungsgesetzes vom 14. Juli 2016 (dazu ebenfalls im Folgenden).

71

2. Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt § 51 des Verwaltungsverfahrens-, Zustellungs- und Vollstreckungsgesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Landesverwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG M-V) weder unmittelbar noch in analoger Anwendung für Verwaltungsverfahren auf dem Gebiet des kommunalen Abgabengesetzes (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht, 9. Auflage 2012, § 25 Rn. 7; Driehaus, in: ders. [Hrsg.], Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2017, § 8 Rn. 182; vgl. auch Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschl. v. 3. Sept. 2014 – 20 ZB 14.1531 –, juris Rn. 4; VGH Mannheim, Urt. v. 27. Juli 2012 – 9 S 569/11 –, juris Rn. 30; VG Magdeburg, Urt. v. 1. Okt. 2015 – 9 A 349/14 –, juris Rn. 18; VG Düsseldorf, Urt. v. 4. Nov. 2013 – 17 K 8594/12 –, juris, Rn. 42). Vielmehr schließt dies § 2 Abs. 1 Ziff. 1 VwVfG M-V i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V aus. Nach der erstgenannten Norm gelten die Vorschriften dieses Hauptteils des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes – zu denen auch § 51 gehört – nicht für Verfahren, die nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sind; lediglich § 61 Abs. 3 und § 80 Abs. 4 Nr. 2 VwVfG M-V werden davon ausgenommen. Kommunalabgabenrechtliche Verfahren werden zwar nicht unmittelbar nach dem Bundesgesetz der Abgabenordnung durchgeführt. Allerdings sind die Vorschriften der Abgabenordnung - als Landesrecht - über die dynamische Verweisung in § 12 Abs. 1 KAG M-V in diesen Verfahren entsprechend anzuwenden, soweit nicht das Kommunalabgabengesetz oder andere Gesetze besondere Vorschriften enthalten.

72

Weder das eine noch das andere ist hier der Fall. Auch die Klägerin benennt kein solches „anderes Gesetz“, dass für die vorliegenden kommunalabgabenrechtlichen Verwaltungsverfahren die (entsprechende) Anwendbarkeit des § 51 VwVfG M-V ausspricht. Die Bezugnahme der Klägerin auf das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 6. Oktober 2015 – M 16 K 15.2780 – hilft nicht weiter. Der dort zugrunde liegende Fall betraf bestandskräftige Beitragsbescheide einer Industrie- und Handelskammer auf der Grundlage von Wirtschaftsplänen gemäß einer Beitragsordnung (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern), dagegen nicht unanfechtbar gewordene kommunalabgabenrechtliche Beitragsbescheide von (bayerischen) Gemeinden, Zweckverbänden oder Landkreisen.

73

3. Die hier im Range von Landesrecht geltende Abgabenordnung kennt keine dem § 51 VwVfG M-V entsprechende Vorschrift zum Wiederaufgreifen des Abgabenverfahrens (VG Schwerin, Urteil v. 7. März 2016 – 4 A 152/15 –, juris Rn. 70 m. w. N.).

74

4. Insoweit besteht auch keine Regelungslücke, erst recht keine durch verfassungskonforme Auslegung zu vermeidende Verfassungswidrigkeit, welche zur entsprechenden Anwendung des § 51 VwVfG M-V zwänge. Es gilt vielmehr:

75

5. Das „Wiederaufgreifen“ bestandskräftig abgeschlossener kommunalabgabenrechtlicher Verfahren wird durch die entsprechend anwendbaren Normen der Abgabenordnung abschließend geregelt (vgl. Sauthoff, in: Driehaus [Hrsg.], a. a. O., § 12 Rn. 6).

76

6. Dazu hat das Gericht bereits mit rechtskräftigem Urteil vom 7. März 2016 in der Sache 4 A 152/15 (juris) entschieden:

77

„…In Betracht kommen könnten für das Begehren des Klägers zu 2 stattdessen zum einen der § 130 AO – Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts – oder (erst recht im Falle der Rechtswidrigkeit) der § 131 AO – Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts – i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V (vgl. Sauthoff, a. a. O. [=, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: September 2015, § 12 Rn. 6, Ergänzung durch das erkennende Gericht]).

78

Möglichkeiten zur Aufhebung und Änderung eines bestandskräftigen Abgabenbescheids eröffnen allerdings zum anderen auch die §§ 172 ff. AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V. Diese Normen stellen nach Auffassung des Gerichts in ihrem Anwendungsbereich, der kommunale Abgabenbescheide in Mecklenburg-Vorpommern umfasst, die §§ 130, 131 AO verdrängende Sonderregelungen dar (vgl. § 172 Abs. 1 Nr. 2 lit. d AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V, der ausdrücklich ausspricht, dass „die §§ 130 und 131... nicht (gelten)“, für § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V auch Urteil der Kammer vom 8. Okt. 2015 – 4 A 1861/13 –). Kommunale Abgabenbescheide in Mecklenburg-Vorpommern unterliegen danach (gegenüber sonstigen Verwaltungsakten) einer besonderen – nämlich erhöhten - Bestandskraft (so auch für das dortige Landesrecht der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urt. v. 10. Dezember 2015 – 2 S 1516/14 –, juris Rn. 87 m. w. N., Urteil v. 27. Juli 2012 – 9 S 569/11 –, juris Rn. 30 und Urt. v. 15. September 2011 – 2 S 654/11 –, juris Rn. 24). Die Rücknahmemöglichkeit des § 130 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V etwa erfasst mithin nur die „übrigen Verwaltungsakte“ im kommunalen Abgabenrecht wie etwa abgabenrechtliche Stundungsbescheide usw. (Aussprung, a. a. O., § 12 Erl. 35 unter Hinweis auf die Kommentarliteratur zur Abgabenordnung, ebenso Erl. 50.1), um die es hier indessen nicht geht.

79

aa) Einer teilweisen Aufhebung oder Änderung des Anschlussbeitragsbescheids vom 4. Januar 2001 steht allerdings die Vorschrift des § 169 Abs. 1 Satz 1 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V nicht entgegen. Nach Ablauf der Festsetzungsfrist ist nach dieser Vorschrift zwar die Aufhebung oder Änderung einer (hier:) Abgabenfestsetzung ausgeschlossen (vgl. dazu etwa VG Greifswald, Urt. v. 10. August 2011 – 3 A 141/08 –, juris Rn. 22). Darauf, ob die Änderung zu Lasten oder zu Gunsten des Abgabenpflichtigen erfolgen soll, kommt es dabei nicht an (VGH Mannheim, Urt. v. 15. September 2011, a. a. O., juris Rn. 28 m. w. N.). …

80

bb) Die Voraussetzungen für die Aufhebungs- und Änderungsmöglichkeit eines Abgabenbescheids nach § 172 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V hat der Kläger zu 2 nicht dargetan; sie sind, soweit sie für kommunale Abgabenbescheide entsprechend anwendbar sind (vom Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift wohl nur Nr. 2 lit. b bis d AO), auch nicht ersichtlich.

81

cc) Die Voraussetzungen zur (zwingenden) Aufhebung und Änderung eines kommunalen Abgabenbescheids durch die Abgabenbehörde nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V liegen ebenfalls nicht vor. Hier wird weder vorgetragen noch ist ersichtlich, dass Tatsachen oder Beweismittel, die für das Buchgrundstück … zu einem niedrigeren Anschlussbeitrag führen, nachträglich bekannt geworden sind und den Kläger zu 2 kein grobes Verschulden daran trifft, dass dies erst nachträglich bekannt geworden ist. … Mit Tatsachen sind in dieser Vorschrift ausschließlich solche gemeint, die in der tatsächlichen Sphäre des Abgabenpflichtigen begründet sind, nicht aber etwa geänderte Rechtsgrundlagen (vgl. Loose, in: Tipke/Kruse, a. a. O. [= AO, Stand: Februar 2016, Ergänzung durch das erkennende Gericht], § 173 Rn. 2 f.; ebenso verneint für eine rückwirkend in Kraft getretene Abgabensatzung VG Freiburg [Breisgau], Urt. v. 11. Nov. 2015 – 1 K 2954/14 –, juris Rn. 15 m. w. N.). Zudem handelt es sich dabei [vorliegend, Ergänzung durch das erkennende Gericht] nicht um eine nachträglich bekannt werdende Tatsache, also um eine solche, die bereits vorhanden, aber noch unbekannt war (vgl. Aussprung, a. a. O. [, in: ders./Siemers/Holz/Seppelt, Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern, Stand: November 2015, Ergänzung durch das erkennende Gericht], § 12 Erl. 51; vgl. ebenso Loose, a. a. O., § 173 Rn. 25 f.). …

82

Eine Tatsache i. S. dieser Norm ist ebenfalls nicht der vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2013 aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG entwickelte (aber auch schon vorher vorhandene, wenngleich bis dahin nicht be- und erkannte) verfassungsrechtliche Grundsatz der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit (Beschl. v. 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 -, BVerfGE 133, 143-163), der zur derzeitigen Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V führt, weil im Kommunalabgabengesetz damals wie heute eine gesetzliche Bestimmung des absoluten Endes einer Beitragserhebungsmöglichkeit fehlt (BVerwG, Urteile v. 15. April 2015 – 9 C 19/14 u. a. –, juris; siehe nunmehr den Aussetzungs- und Vorlagebeschluss der Kammer v. 31. März 2016 – 4 A 94/11 –, juris; vgl. aber auch den von der Landesregierung eingebrachten und in Erster Lesung am 20. April 2016 im Landtag debattierten Gesetzesentwurf zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes, LT-Drucks. 6/5257, der bei Erlass und Inkrafttreten eines solchen Gesetzes die aktuell bestehende Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V „verflüchtigen“ würde). Dieser Umstand betrifft lediglich die Rechtslage, nicht aber die Tatsachensituation.

83

dd) Auch § 175 Abs. 1 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V als weitere mögliche Norm zur „zwingenden“ teilweisen Änderung-/Aufhebung eines Anschlussbeitragsbescheids ist vorliegend tatbestandlich nicht erfüllt. Namentlich handelt es sich weder bei dem Erlass der aktuellen Beitragssatzung mit dem nunmehr niedrigeren Schmutzwasseranschlussbeitragssatz noch bei dem nunmehr festgestellten Verfassungsverstoß um ein nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V eingetretenes Ereignis, das abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Dem Begriff des Ereignisses unterfallen nur nachträglich „sachverhaltsändernde“ Geschehnisse, nicht aber Fälle rückwirkender materieller Gesetze bzw. Gesetzesänderungen einschließlich Satzungen und Satzungsänderungen (Aussprung, a. a. O., § 12 Erl. 53 m. w. N.) oder etwa die rückwirkende Nichtigerklärung von Normen durch das Bundesverfassungsgericht (Loose, a. a. O., § 175 Rn. 25 m. w. N.). Im Übrigen legitimiert die Vorschrift nicht zu einer Aufhebung oder Änderung eines kommunalen Abgabenbescheids, der von vornherein rechtswidrig war und es nicht erst durch eine nachträgliche Änderung des Sachverhalts geworden ist (vgl. Loose, a. a. O., § 175 Rn. 26 m. w. N. aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs).

84

ee) Aber selbst im Falle der parallelen Anwendbarkeit der §§ 130, 131 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V hätte die Klage des Klägers zu 2 keinen Erfolg. Im Folgenden ist dazu für den vordringlichen Bereich der Rücknahme – für die bei Rechtswidrigkeit erst recht geltende Möglichkeit eines Widerrufs gilt dies gleichermaßen - Folgendes auszuführen:

85

Zwar dürfte der Schmutzwasseranschlussbeitragsbescheid vom 4. Januar 2001 wegen Unwirksamkeit der damaligen Satzung des Zweckverbands sowie der vorangegangenen rechtswidrig sein (vgl. statt vieler das Urteil des Gerichts vom 26. März 2015 – 4 A 1300/10 -, S. 23-26 des amtlichen Umdrucks, das insoweit aus dem Kammerurteil vom 11. April 2013 – 4 A 1250/12 - zitiert).

86

Für die zu treffende teilumfängliche Aufhebungsentscheidung gilt jedoch, dass sie nach dieser Vorschrift im Ermessen der Abgabenbehörde steht. Für einen ermessensreduzierenden Anspruch auf Rücknahme eines rechtswidrigen (bestandskräftigen) Beitragsbescheides ist maßgebend, ob die Behörde unter Berücksichtigung der Vorgaben des jeweils betroffenen Rechtsbereichs in Abwägung zwischen der materiellen Gerechtigkeit einerseits, die für die Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts streitet, und der Rechtssicherheit andererseits, die für die Aufrechterhaltung bestandskräftiger Verwaltungsakte streitet, fehlerfrei von ihrem Aufhebungsermessen Gebrauch gemacht hat oder nicht. Es liegen im vorliegenden Fall aber keine Umstände vor, nach denen sich das der Beklagten eingeräumte Ermessen dahin verdichtet hat, dass nur die Entscheidung zur teilweisen Aufhebung des damaligen Anschlussbeitragsbescheids ermessensfehlerfrei wäre.

87

Dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit kommt prinzipiell kein größeres Gewicht zu als dem Gebot der Rechtssicherheit, sofern dem anzuwendenden Recht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen ist. Für Letzteres ist aber im kommunalen Abgabenrecht – wie wohl auch in den meisten anderen öffentlich-rechtlichen Rechtsgebieten - nichts ersichtlich. Weder das Kommunalabgabengesetz noch die darin in Bezug genommenen Vorschriften der Abgabenordnung enthalten Vorschriften, denen zu entnehmen ist, dass die materielle Richtigkeit der Abgabenerhebung grundsätzlich Vorrang gegenüber der Rechtssicherheit zu erhalten hat. Es bleibt vielmehr grundsätzlich bei der allgemeinen Regelung der Verwaltungsgerichtsordnung, die für die Anfechtung von Verwaltungsakten (bzw. Einlegung von Rechtsmitteln gegen Urteile) Fristen vorschreibt und damit der Rechtssicherheit einen hohen Stellenwert zumisst. Entscheidet sich ein Beitragspflichtiger für die Hinnahme des Verwaltungsakts, kann er nicht deshalb, weil andere erfolgreich das Risiko eines Rechtsbehelfs eingegangen sind, eine Gleichbehandlung mit diesen verlangen (OVG Münster, Beschl. vom 9. Sept. 2009 - 15 A 1881/09 -, juris Rn. 11). Dem Interesse der Allgemeinheit an Rechtssicherheit und Rechtsfrieden kommt nach Eintritt der Bestandskraft besonderes Gewicht zu, weil durch § 130 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V die Rechtsmittelfristen nicht unterlaufen werden dürfen (BFH, Urt. v. 9. März 1989 – VI R 101/84 –, BFHE 157, 1 = juris Rn. 32 m. w. N.; Rüsken, in: Klein, AO, 12. Aufl. 2014, § 130 Rn. 29). Wird die teilweise oder vollständige Rücknahme eines rechtswidrigen Beitragsbescheids in Durchbrechung seiner Bestandskraft beantragt, ist die Ablehnungsentscheidung der Behörde in der Regel frei von Ermessensfehlern, wenn nur solche Umstände vorgetragen werden, die im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Abgabenbescheid hätten geltend gemacht werden können (VGH München, Urt. v. 15. Juli 2010 - 6 BV 08.1087 -, juris Rn. 24; Rüsken, a. a. O., § 130 Rn. 29a). Unter diesen Umständen ist es in aller Regel gerechtfertigt, wenn die Behörde der Rechtssicherheit den Vorzug vor der materiellen Gerechtigkeit einräumt (vgl. statt vieler etwa VG Düsseldorf, Urt. v. 4. Nov. 2013, a. a. O., juris Rn. 65 f. m. w. N.).

88

Das Ermessen reduziert sich indessen auf eine Pflicht zur Rücknahme (bzw. zum Widerruf), wenn die Aufrechterhaltung des Bescheids schlechthin unerträglich wäre (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 17. Jan. 2007 - 6 C 32.06 -, juris Rn. 13 m. w. N.; VGH München, Urt. v. 15. Juli 2010, a. a. O., juris Rn. 25; VG Lüneburg, Urt. v. 18. August 2004 – 1 A 344/00 –, juris, Rn. 25 m. w. N.) oder Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit des Bescheids als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (OVG Münster, Beschl. v. 9. September 2009, a. a. O., juris Rn. 4 m. w. N.; Driehaus, a. a. O., § 25 Rn. 8 m. w. N. ; Rüsken, a. a. O., § 130 Rn. 29a m. w. N.). Letzteres könnte zutreffen, wenn die Gemeinde in Kenntnis der Rechtswidrigkeit den bestandskräftigen Bescheid erlassen hätte. Denn angesichts der Bindung der Gemeinde an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) würde es gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, einen rechtswidrigen Verwaltungsakt zu erlassen in der Hoffnung, er werde mangels Anfechtung bestandskräftig werden und könne dann durchgesetzt werden (OVG Münster, Beschl. v. 9. September 2009, a. a. O., juris Rn. 6; Aussprung, a. a. O., § 12 Erl. 35 S. 40) …“

89

7. An diesen Ausführungen hält das Gericht fest. Vorliegend ist Folgendes zu ergänzen:

90

Die vorgenannten Spezialvorschriften greifen auch hier aus den genannten Gründen nicht Platz.

91

Soweit Rechtsgrundlagen für das klägerische Begehren die §§ 130, 131 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V sein könnten, fehlt es bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 2. August 2016 an der (fortbestehenden) Rechtswidrigkeit der unanfechtbar gewordenen damaligen Anschlussbeitragsbescheide, die gegenüber der Klägerin erlassen worden waren. Zu der erst im Rahmen der Rechtsfolge zu beantwortenden Frage, ob der Beklagte sein – soweit die genannten Normen überhaupt einschlägig sind (s. o.) - Rücknahmeermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, dringt das Gericht bereits mangels tatbestandlicher Rechtswidrigkeit der damaligen Anschlussbeitragsbescheide nicht vor.

92

a) Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2015 (etwa 9 C 19/14) liegt mit Blick auf die hier betroffenen Anschlussbeitragsbescheide aus den Jahren 2001 und 2006 bereits keine Verfassungswidrigkeit wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit vor.

93

b) Selbst wenn dies nicht gälte, dürfte zwar die bis Mitte 2016 bestehende Verfassungswidrigkeit mindestens des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V (und wohl auch der Vorgängerregelung im Kommunalabgabengesetz in der Fassung bis zum 30. März 2005) wegen Verstoßes gegen den im Jahre 2013 vom Bundesverfassungsgericht entwickelten genannten verfassungsrechtlichen Grundsatz die hier in Rede stehenden Anschlussbeitragsbescheide aus den Jahren 2001 und 2006 zunächst – gleichsam „rückwirkend“ – mangels wirksamer Rechtsgrundlage rechtswidrig gemacht haben.

94

c) Dies kann indessen letztlich auch bei dieser Annahme dahin stehen. Denn seit dem 30. Juli 2016, also noch vor Erlass des vorliegenden Widerspruchsbescheids vom 2. August 2016, besteht diese Phase der temporären Verfassungswidrigkeit – es lag ein verfassungswidriges legislatives Unterlassen vor – nicht mehr. Mit diesen Tag des Inkrafttretens des sog. Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Juli 2016 (GVOBl. S. 584) am 30. Juli 2016 hat der Landesgesetzgeber in dem geänderten § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V die verfassungsrechtlich geforderte absolute zeitliche Obergrenze für eine Beitragserhebung gesetzt.

95

d) Diese neue Norm begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. dazu etwa nicht rechtskräftiges Urteil der Kammer vom 21. November 2016 – 4 A 94/11 -, S. 15 ff. des amtlichen Umdrucks). Entgegen der Lesart der Klägerin sind dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 (a. a. O.) keine inhaltlichen Festlegungen zur zeitlichen Obergrenze einer Beitragserhebung zu entnehmen, namentlich nicht etwa, dass bereits zwölf Jahre zu lang seien, um eine solche wirksame Obergrenze verfassungsrechtlich zu legitimieren. Die mehrfache Verwendung der angeblichen „Evidenz“ der Verfassungswidrigkeit ersetzt keine juristische Auseinandersetzung und Argumentation mit dem Verfassungsrecht, an der es bei der Klägerin gerade fehlt. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht es auch insoweit dem bayerischen Landesgesetzgeber überlassen, den verfassungswidrigen Zustand durch verschiedene Möglichkeiten zu beseitigen (a. a. O., Rn. 50); selbst dort wurden keine zeitlichen Vorgaben kraft Verfassungsrechts gemacht.

96

Dass dem Gesetzgeber, wie die Klägerin meint, die Kompetenz fehle, verfassungswidrige Rechtslagen für „rechtmäßig“ zu erklären, ist schräg formuliert und in der Sache jedenfalls unzutreffend. Im vorliegenden Fall des (zunächst) verfassungswidrigen gesetzgeberischen Unterlassens einer verfassungsrechtlich erforderlichen parlamentarischen Gesetzesregelung kommt dem Landesgesetzgeber genau diese Aufgabe zu. Dazu sei etwa auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 (a. a. O., Rn. 49) verwiesen:

97

„…Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG). Hier kommt zunächst jedoch nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen …“

98

e) Demgegenüber geht die Klägerin fehl in der rechtlichen Einschätzung, § 9 Abs. 3 KAG M-V sei auch aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (Az. 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14) verfassungswidrig und begründe insoweit die tatbestandliche Rücknahmevoraussetzung der Rechtswidrigkeit der fraglichen Anschlussbeitragsbescheide.

99

Im Hinblick auf diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegt bereits keine Rechtswidrigkeit dieser Bescheide vor. Auch hierzu kann auf die Ausführungen im Kammerurteil vom 21. November 2016 (a. a. O., S. 10 ff. des amtlichen Umdrucks) Bezug genommen werden, denen sich das Gericht auch im vorliegenden Fall vollumfänglich anschließt:

100

„…Dem zwei Verfassungsbeschwerden stattgebenden Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 – (NVwZ 2016, 300 und etwa juris) zum Kommunalabgabengesetz des Landes Brandenburg liegt eine andere Sach- und Rechtslage zugrunde und er bindet die Kammer allein deswegen schon nicht. Dort ging es um Fragen der gesetzlichen Rückwirkung einer Änderung des Brandenburgischen Kommunalabgabengesetzes. Das hiesige Landesrecht beinhaltet aber im Hinblick auf die Änderung des Kommunalabgabengesetzes durch Einfügung des Wortes „wirksam(en)“ keine – weder eine echte noch eine unechte – Rückwirkung.

101

Die hiesige zuvor geltende gesetzliche Vorschrift des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 wurde nicht mit dem Ersten Änderungsgesetz vom 14. März 2005 im nunmehr geltenden § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V in dem Sinne geändert, dass dadurch („wieder“) Anschlussbeiträge erhoben werden konnten, die nach der vormals geltenden Vorschrift bzw. deren Auslegung – etwa wegen zwischenzeitlich bereits eingetretener Festsetzungsverjährung – nicht mehr hätten erhoben werden dürfen. Ebenso wenig wurde in eine laufende Frist, etwa in den Lauf der Festsetzungsverjährung, eingegriffen.

102

a) Anders als im Kommunalabgabenrecht des Landes Brandenburg entsprach es schon vor dem genannten Ersten Änderungsgesetz vom 14. März 2005 der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (und der erstinstanzlichen Gerichte), die sachliche Anschlussbeitragspflicht unter der Geltung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 frühestens dann entstehen zu lassen, wenn eine wirksame Anschlussbeitragssatzung vorliegt (obergerichtlich, soweit ersichtlich, erstmals im Beschluss vom 8. April 1999 – 1 M 41/99 – ausgesprochen, siehe danach etwa OVG Greifswald, Urteil vom 13. November 2001 – 4 K 16/00 –, juris Rn. 65, Urteil vom 2. Juni 2004 – 4 K 38/02 –, juris Rn. 76 m. w. N.; vgl. die weiteren obergerichtlichen Rechtsprechungsnachweise bei Aussprung, in: ders./Siemers/Holz/Seppelt, Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern, 33. Ergänzungslieferung November 2015, § 9 Erl. 7.2).

103

Soweit man juristisch überhaupt davon sprechen kann, wäre mithin schon zuvor durch die (ober)verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung die Rechtslage geprägt gewesen. Der Landesgesetzgeber hat lediglich zur („wahren“, wenngleich – dazu sogleich – juristisch überflüssigen) Klarstellung ausdrücklich in den seit Ende März 2005 geltenden § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V das hineingeschrieben, was nach der landesobergerichtlichen Rechtsprechung gegolten hat (ebenso für das Kommunalabgabengesetz des Landes Sachsen-Anhalt das OVG Magdeburg, Beschl. v. 17. Febr. 2016 – 4 L 119/15 -, LKV 2016, 186, 191; OVG Weimar, Urt. v. 12. Januar 2016 – 4 KO 850/09 –, juris Rn. 48-56 für das Kommunalabgabengesetz des Landes Thüringen).

104

Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat in dem nach hiesiger Urteilsfällung entschiedenen Normenkontrollurteil vom 5. Dezember 2016 (a. a. O., S. 12 f. des amtlichen Umdrucks) ergänzend Folgendes ausgeführt:

105

„… Dass das Kommunalabgabenrecht in Mecklenburg-Vorpommern die sachliche Anschlussbeitragspflicht nicht vor dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung entstehen lässt, liegt im rechtlichen Charakter der sachlichen Beitragspflicht begründet. Das Landesrecht geht davon aus, dass der beitragsrelevante Vorteil mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung bereits vollständig ausgebildet ist und die Erhebung des Beitrags in voller Höhe rechtfertigt. Das setzt voraus, dass der Beitrag, mit dem das bevorteilte Grundstück zu den Herstellungskosten herangezogen wird und der als öffentliche Last auf dem Grundstück (§ 7 Abs. 6 KAG M-V) ruht, auch der Höhe nach ausgeprägt ist. Die sachliche Beitragspflicht steht der Höhe nach unveränderlich fest und begründet mit diesem Inhalt ein abstraktes Beitragsschuldverhältnis. Da die Höhe des Beitrags unter anderem von den Maßstabsregeln und dem Beitragssatz abhängt, die in der Beitragssatzung normiert sind, ist ein Entstehen der sachlichen Beitragspflicht vor dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung ausgeschlossen (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 15.12.2009 - 1 L 323/06 -, juris Rn. 50 f.). Zu einem früheren Zeitpunkt kann die sachliche Beitragspflicht nicht entstehen. Es ist rechtlich zwingend, das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht tatbestandlich vom Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung abhängig zu machen …“

106

b) Aber nicht einmal um die Frage einer durch Rechtsprechung zu klärenden Gesetzesauslegung und ihrem späteren textlichen Einfließen in das ausgelegte Gesetz ging und geht es hier bei genauerer Betrachtung des geltenden Landesrechts im Lichte des Grundgesetzes wie auch der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern letztlich.

107

Das Kommunalabgabengesetz ist – wie wohl mindestens ganz überwiegend auch die entsprechenden Gesetze anderer Bundesländer - dadurch geprägt, dass es nicht bereits auf der Ebene dieses Parlamentsgesetzes das Entstehen der sachlichen („abstrakten“) Beitragspflicht normiert, sondern dazu zwingend eine satzungsrechtliche Entscheidung des Ortsgesetzgebers fordert (§ 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V, so auch in den Vorgängerfassungen, vorliegend i. V. m. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V).

108

Letztlich hat der Landesgesetzgeber – wie bereits zuvor mit ebensolcher Selbstverständlichkeit und deshalb wohl ohne nähere Darlegung der dahinstehenden juristischen Dogmatik die Verwaltungsgerichte – schlicht einen verfassungsrechtlichen Allgemeinplatz in das Kommunalabgabengesetz geschrieben, der auch ohne ausdrückliche einfachgesetzliche Vorschrift gilt; wohl treffender, wenn er denn unbedingt gesetzlich – im Sinne eines Pleonasmus, vergleichbar etwa mit einer Zeitungsmeldung über eine „tote Leiche“ – erwähnt werden soll, wäre der Hinweis auf die erforderliche Gültigkeit einer Abgabensatzung in § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V zu geben: Abgaben dürfen nur aufgrund einerwirksamen Satzung erhoben werden (vgl. auch das erst nach hiesiger Urteilsfällung ergangene Normenkontrollurteil des OVG Greifswald vom 5. Dez. 2016, a. a. O., S. 7 des amtlichen Umdrucks, wo ebenfalls betont wird, dass „… ohne eine wirksame Satzung gemeindliche Abgaben gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 … KAG M-V … nicht erhoben werden dürfen ….“).

109

Aus dem Rechtsstaatsprinzip und vor allem dem Wesen der Grundrechte, soweit dies im jeweiligen Grundrecht nicht sogar explizit gefordert wird, ist die rechtliche Selbstverständlichkeit, dass die sachliche Beitragspflicht eine gültige Beitragssatzung erfordert, wie folgt abzuleiten: Ein staatlicher Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts muss durch Schranken dieses Grundrechts legitimiert sein. Mit anderen Worten muss eine Behörde, will sie den Schutzbereich des Grundrechtsträgers beeinträchtigen, dafür eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung haben. Ein staatlicher Eingriff in das hier einschlägige Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 (1. HS) GG, vorliegend verkörpert durch den erlassenen Beitragsbescheid der Beklagten, ist daher nur legitimiert, wenn er Ausdruck der verfassungsrechtlichen Schranke dieses Grundrechts ist.

110

Eine Schranke der Freiheit eines jeden im Geltungsbereich des Grundgesetzes lebenden Menschen, mit seinen Vermögenswerten im Sinne einer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit tun und lassen zu können, was er will, setzt bei dem hier einschlägigen Grundrecht (neben den Rechten anderer und dem Sittengesetz) insbesondere die „verfassungsmäßige Ordnung“ (Art. 2 Abs. 1 [HS 2] GG). Stützt sich ein die allgemeine Handlungsfreiheit berührender Akt der öffentlichen Gewalt auf eine Rechtsnorm, so ist zu prüfen, ob diese Norm zur verfassungsmäßigen Ordnung gehört, d. h. formell und materiell mit den Normen der Verfassung in Einklang steht (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, etwa BVerfG, Beschl. v. 6. Juni 1989 – 1 BvR 921/85 –, BVerfGE 80, 137 ff., juris Rn. 62 m. w. N.). Nur, wenn dies bei der – hier – den Grundrechtseingriff rechtfertigenden Beitragssatzung mit seinen materiell-rechtlichen Regelungen der Fall ist und auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird, bildet die wirksame Satzung eine wirksame Schranke für die Grundrechtsausübung. Mit anderen Worten zwingt das höherrangige Verfassungsrecht auch im Rahmen von Anfechtungsklagen gegen Beitragsbescheide zur Prüfung, ob die Beitragssatzung formell und materiell (gesamt-)wirksam ist, da die in dem Grundrecht beschriebene Freiheit des Grundrechtinhabers nur mit einem Verwaltungsakt, der sich auf eine wirksame Rechtsgrundlage stützen kann, eingeengt werden darf und kann.

111

Dass dies nichts stets in dieser Ausführlichkeit ausdrücklich angesprochen wird, ändert nichts. Von daher ist auch eine etwaige Begründung des Landesgesetzgebers, in dem der verfassungsrechtliche Umstand einer wirksamen/gültigen Beitragssatzung nicht ausdrücklich erwähnt wird, ohne Bedeutung. Es ist im Übrigen juristisch absurd, aus dieser Nichterwähnung in den historischen Dokumenten den Willen des damaligen Landesgesetzgebers zu extrahieren, damit sei erkennbar, dass er bei der Beschlussfassung über das damalige Kommunalabgabengesetz (1991 und 1993) besonderen Wert darauf gelegt habe, dass jede Satzung, die erstmals den Anschlussbeitrag nach neuem Recht regle, die Anschlussbeitragspflicht entstehen lasse und eine Rechtswirksamkeit keine Voraussetzung für die Beitragspflicht sein solle.

112

c) Divergierende Auslegungen des jeweiligen Landesrechts durch andere Verwaltungsgerichte anderer Bundesländer, wie sie die Kläger näher darlegen, führt auch nicht zur Annahme, es habe bundesweit Verwirrungen im Recht gegeben, die der (hiesige) Landesgesetzgeber zum Anlass für eine Änderung seines Landesrechts genommen habe, die dann auf dem Prüfstand einer gesetzlichen Rückwirkung zu stellen wäre.

113

Wie bereits im Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 31. März 2016 ausgeführt, verkennen die Kläger insoweit, dass es in Mecklenburg-Vorpommern – und nur darauf kommt es an – vor dem Ersten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. März 2005 keine Divergenzen in der Auslegung des zuvor geltenden § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 bzw. 1991 gegeben hat; insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Vorliegend handelt es sich um Landesrecht. Zur Auslegung von Landesrecht, hier des Kommunalabgabengesetzes des Bundeslands Mecklenburg-Vorpommern, sind die dortigen Landesfachgerichte, insoweit vorliegend die beiden Verwaltungsgerichte in Schwerin und Greifswald und vor allem das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern in Greifswald berufen, niemals aber die Verwaltungsgerichte anderer Bundesländer. Der Hinweis, wie andere (Ober-)Gerichte anderer Bundesländer „ihr“ dort jeweils geltendes Landesrecht, mag es auch wortlautidentisch sein, auslegen, ist nicht geeignet, eine kontroverse Auslegungslage in Mecklenburg-Vorpommern für das nur hier geltende Kommunalabgabengesetz (dieses Bundeslandes) herbeizureden. Die Kläger ignorieren den föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik nach Art. 20 Abs. 1 GG („Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialerBundesstaat.“, Hervorhebung durch die Kammer). Eine „länderübergreifende“ Übereinstimmung oder Homogenität in der Auslegung wortgleichen Landesrechts mehrerer Bundesländer ist von Verfassungs wegen grundsätzlich nicht erforderlich. Dies gilt auch mit Blick auf das Grundrecht in Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu et al., GG Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 3 Rn. 27 m. w. N.). Der allgemeine Gleichheitssatz wird nicht deshalb verletzt, weil ein Bundesland den gleichen Sachverhalt anders behandelt als ein anderes Bundesland, eine Landesbehörde „ihr“ Landesrecht anders anwendet als Landesbehörden anderer Bundesländer „ihr“ jeweiliges Landesrecht oder ein Gericht das dort geltende Landesrecht nicht so auslegt, wie es andere Gerichte in anderen Bundesländern für deren Landesrecht judizieren (vgl. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 14. Aufl. 2014, Rn. 9 m. w. N. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Das Grundrecht fordert die Einhaltung des allgemeinen Gleichheitssatzes nur innerhalb der (hier: Landes-) Grenzen des jeweiligen Rechtssystems bzw. bindet – aus grundrechtlicher Perspektive betrachtet – nur den jeweiligen Träger öffentlicher Gewalt innerhalb des von ihm geschaffenen oder anzuwendenden (hier: Landes-)Rechts für den Kreis der dadurch rechtsunterworfenen Grundrechtsträger …“

114

II. Auch die hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist jedenfalls unbegründet.

115

Ob die Tätigkeit des Landesgesetzgebers Mitte des Jahres 2016 in dem Sinne Auswirkungen auf die betroffenen Verwaltungsakte haben, dass sie sich wenigstens „anderweitig“ vollumfänglich erledigen, erscheint jedenfalls dann zweifelhaft, wenn – wie hier - Angriffe gegen die bestandskräftigen Anschlussbeitragsbescheide und ihre Rechtsgrundlagen auch unabhängig von der verfassungsrechtlichen Problematik der gesetzlich zu normierenden Endlichkeit kommunaler Beiträge erfolgen (s. o.).

116

Aus den unter der Ziffer I dargelegten Gründen sind der Ausgangsbescheid des Beklagten vom 14. Juni 2016 und sein Widerspruchsbescheid vom 2. August 2016 aber selbst in diesem Falle rechtmäßig gewesen. Ausgangs- und Widerspruchsbescheid bilden insoweit eine Einheit (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO; dazu etwa W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 79 Rn. 1 m. w. N.); entscheidend ist letztlich die Rechtmäßigkeit der behördlichen (hier: ablehnenden) Entscheidung im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids. Maßgeblich ist m. a. W., ob ggf. ursprünglich bestehende Rechtmäßigkeitsbedenken gegen die ablehnende Entscheidung der Behörde bis zu diesem Zeitpunkt ausgeräumt („geheilt“) sind. Dies ist hier der Fall.

117

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

118

Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur dann zurückgenommen werden, wenn

1.
er von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist,
2.
er durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist,
3.
ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren,
4.
seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.

(3) Erhält die Finanzbehörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Fall des Absatzes 2 Nr. 2.

(4) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts die nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zuständige Finanzbehörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Finanzbehörde erlassen worden ist; § 26 Satz 2 bleibt unberührt.

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint. Die Stundung soll in der Regel nur auf Antrag und gegen Sicherheitsleistung gewährt werden. Steueransprüche gegen den Steuerschuldner können nicht gestundet werden, soweit ein Dritter (Entrichtungspflichtiger) die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten, insbesondere einzubehalten und abzuführen hat. Die Stundung des Haftungsanspruchs gegen den Entrichtungspflichtigen ist ausgeschlossen, soweit er Steuerabzugsbeträge einbehalten oder Beträge, die eine Steuer enthalten, eingenommen hat.

(1) Im Bebauungsplan kann die Bauweise als offene oder geschlossene Bauweise festgesetzt werden.

(2) In der offenen Bauweise werden die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen errichtet. Die Länge der in Satz 1 bezeichneten Hausformen darf höchstens 50 m betragen. Im Bebauungsplan können Flächen festgesetzt werden, auf denen nur Einzelhäuser, nur Doppelhäuser, nur Hausgruppen oder nur zwei dieser Hausformen zulässig sind.

(3) In der geschlossenen Bauweise werden die Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand errichtet, es sei denn, dass die vorhandene Bebauung eine Abweichung erfordert.

(4) Im Bebauungsplan kann eine von Absatz 1 abweichende Bauweise festgesetzt werden. Dabei kann auch festgesetzt werden, inwieweit an die vorderen, rückwärtigen und seitlichen Grundstücksgrenzen herangebaut werden darf oder muss.

(1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist

1.
der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat,
2.
der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält.

(2) Der Widerspruchsbescheid kann auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. § 78 Abs. 2 gilt entsprechend.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.

(2) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden,

1.
wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist,
2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat,
3.
wenn die Finanzbehörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde.
§ 130 Abs. 3 gilt entsprechend.

(3) Der widerrufene Verwaltungsakt wird mit dem Wirksamwerden des Widerrufs unwirksam, wenn die Finanzbehörde keinen späteren Zeitpunkt bestimmt.

(4) Über den Widerruf entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts die nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zuständige Finanzbehörde; dies gilt auch dann, wenn der zu widerrufende Verwaltungsakt von einer anderen Finanzbehörde erlassen worden ist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.