Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 30. Okt. 2018 - 3 A 3364/17 As SN

bei uns veröffentlicht am30.10.2018

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt der Kläger.

Tatbestand

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Der Kläger, ein syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit, islamischer Religionszugehörigkeit sunnitischer Prägung, begehrt die Anerkennung als Flüchtling.

2

Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 27. November 2014 aus Syrien aus. Er reiste am 23. März 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 26. März 2016 einen Asylantrag.

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Zur Begründung seines Asylantrages gab er im Wesentlichen an, dass er an der Universität Teschrin in einer Studentenbewegung aktiv gewesen sei. Durch die Zugehörigkeit zu dieser Bewegung haben alle Checkpoints seinen Namen gehabt und er war dadurch in seiner Bewegungsfreiheit sehr eingeschränkt. Es habe in seiner Fakultät Ende 2012/Anfang 2013 einen Vorfall gegeben, weil die Fahne der Revolution gezeigt worden war. Einige Studenten seien daraufhin eingeladen und verhaftet worden. Auch ein Cousin von ihm sei verhaftet worden. Er selbst sei jedoch nicht verhaftet worden. Bei dieser Veranstaltung seien alle Studenten beschimpft worden. Außerdem trug der Kläger vor, dass seine Zurückstellung vom Wehrdienst abgelaufen sei.

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Dem Bundesamt legte er seine ID Card vor, die 2011 ausgestellt worden ist, sowie sei Wehrdienstheft, wonach er bis zum 15. März 2014 vom Wehrdienst befreit worden ist.

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Mit Bescheid der Beklagten vom 2. August 2017 wurde dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt (Ziffer 1. des Bescheides) und der Asylantrag im Übrigen abgelehnt (Ziffer 2. des Bescheides).

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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG vorlägen. Dies träfe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG und Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG nicht zu.

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Am 16. August 2017 hat der Kläger Klage erhoben und begründet diese im Wesentlichen mit seinen Angaben beim Bundesamt.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. August 2017 (5948283- 475) insoweit aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Beteiligten zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze, den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind, sowie auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, weil sie ordnungsgemäß geladen und in der Ladung daraufhingewiesen worden ist, dass im Falle ihres Ausbleibens auch ohne sie verhandelt und entschiedenwerden kann, § 101 Abs. 2 VwGO.

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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht – über den ihm zuerkannten Status als subsidiär Schutzberechtigtem gem. § 4 Abs. 1 S. 1 des Asylgesetzes (AsylG) hinaus – kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu, § 113 Abs. 5 VwGO.

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Zwar wird dem Kläger eine Rückkehr nach Syrien auf Grund des zuerkannten Schutzstatus nicht tatsächlich abverlangt. Zwecks Prüfung des weitergehenden Schutzbegehrens ist eine solche Rückkehr aber fiktiv zu unterstellen und das Schutzbedürfnis nach Maßgabe der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung herrschenden Verhältnisse zu beurteilen (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG).

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Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (Herkunftsland) und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

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Ergänzend hierzu bestimmt § 3a AsylG die Verfolgungshandlungen, § 3b AsylG die Verfolgungsgründe, § 3c AsylG die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, § 3d AsylG die Akteure, die Schutz bieten können und § 3e AsylG den internen Schutz. § 3a Abs. 3 AsylG regelt, dass eine Verknüpfung zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen muss.

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Ob der Ausländer sich im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG aus begründeter Furcht vor einer solchen Verfolgung außerhalb des Herkunftslandes befindet, ist anhand einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die auf der Grundlage einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in sein Herkunftsland zum Gegenstand hat. Diese Prognose erfolgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Umsetzung von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (RL 2011/95/EU – Qualifikationsrichtlinie; vorher Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG) anhand des Maßstabes der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ (vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, Urteile vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10 –, juris Rn. 22; vom 17. November 2011 – 10 C 13/10, juris Rn. 20; vom 1. März 2012 – 10 C 7/11 –, juris Rn. 12; vom 20. Februar 2013, –10 C 23.12 –, juris Rn. 32; Beschluss vom 15. August 2017 – 1 B 120/17 – juris Rn. 8; vgl. auch Berlit, Die Bestimmung der „Gefahrendichte“ im Rahmen der Prüfung der Anerkennung als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter, ZAR 3/2017, 110, 117 ff.). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 derKonvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) auf eine tatsächliche Gefahr – „real risk“ – abstellt (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011, a.a.O., mit Verweis auf EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 – Nr. 37201/06, Saadi/Italien – NVwZ 2008, 1330, Rn. 125 ff.).

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Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn auf Grund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist dann anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich, ob eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar für den Asylsuchenden erscheint. Die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung reicht hierfür nicht aus; ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände hingegen auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffes in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen, zum Beispiel ob er lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in das Herkunftsland nicht auf sich nehmen (vgl. zu alledem BVerwG, Urteile vom 5. November 1991 – 9 C 118/90 –, juris Rn. 17; vom 1. Juni 2011 – a.a.O., juris Rn. 24; vom 20. Februar 2013, a.a.O.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. März 2018 – OVG 3 B 28/17 –, juris Rn. 38; OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A –, juris Rn. 38; je m.w.N.).

21

Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, unabhängig von einer bereits erlittenen Verfolgung (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011, a.a.O., Rn. 22; OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018, a.a.O., Rn. 40). Vorverfolgte werden allerdings durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU privilegiert. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Gleichgestellt mit einer bereits erlittenen Verfolgung wird eine unmittelbar, das heißt eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung. Diese setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hatte, dass der Betroffene für seine Person ohne weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen musste. Diese tatsächliche Vermutung kann jedoch widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer solchen Verfolgung entkräften (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. März 2018, a.a.O., Rn. 20; OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018, a.a.O., OVG Lüneburg, Urteil vom 18. Mai 2018 – 2 LB 172/18 –, juris Rn. 33;je m.w.N.).

22

Es ist bei alledem vor allem Sache des Klägers, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich zur Überzeugung des Gerichts ergibt, dass bei verständiger Würdigung Verfolgung droht oder bereits stattgefunden hat. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen (vgl. OVG Münster, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris, Rn. 33, m.w.N.). Hinsichtlich der Anforderungen an den Klägervortrag muss zwischen den in die eigene Sphäre des Schutzsuchenden fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, und den in den allgemeinen Verhältnissen seines Herkunftslandes liegenden Umständen, die seine Furcht vor Verfolgung rechtfertigen sollen, unterschieden werden (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018, a.a.O., Rn. 41; OVG Lüneburg, Urteil vom 18. Mai 2018, a.a.O., Rn. 34).

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In Bezug auf persönliche Erlebnisse muss der Kläger eine Schilderung geben, die geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen. Dabei ist die besondere Beweisnot des nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts mit der materiellen Beweislast beschwerten Klägers zu berücksichtigen, dem häufig die üblichen Beweismittel fehlen. Insbesondere können in der Regel unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu. Zur Anerkennung kann schon allein sein Tatsachenvortrag führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne "glaubhaft" sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO wird der Richter hierdurch jedoch nicht enthoben. Das Fehlen von Beweismitteln mag die Meinungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss – wenn nicht anders möglich – in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Kläger glaubt (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018, a.a.O., Rn. 42; OVG Lüneburg, Urteil vom 18. Mai 2018, a.a.O., Rn. 35; je m.w.N.). Dafür ist eine bewertende Gesamtschau des klägerischen Vorbringens unter Berücksichtigung der individuellen Aussagekompetenz und Glaubwürdigkeit erforderlich, welche die Stimmigkeit des Vorbringens an sich, dessen Detailtiefe und Individualität, sowie dessen Übereinstimmung mit den relevanten und verfügbaren Erkenntnismitteln ebenso wie die Plausibilität des Vorbringens berücksichtigt.

24

Hinsichtlich der allgemeinen politischen Verhältnisse im Herkunftsland reicht es hingegen wegen der zumeist auf einen engeren Lebenskreis beschränkten Erfahrungen und Kenntnisse des Klägers aus, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen sich – ihre Wahrheit unterstellt – hinreichende Anhaltspunkte für eine nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung für den Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland ergeben. Hier ist es Aufgabe der Beklagten und der Gerichte, unter vollständiger Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen, die Gegebenheiten im Herkunftsland aufzuklären und darauf aufbauend eine von Rationalität und Plausibilität getragene Prognose zu treffen (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018, a.a.O., Rn. 43; OVG Lüneburg, Urteil vom 18. Mai 2018, a.a.O., Rn. 36; je m.w.N.).

25

Führt die vorstehend beschriebene Betrachtung zu keinem für den Schutzsuchenden günstigen Ergebnis, verbleibt es bei den allgemeinen Beweislastregeln (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 – 10 C 7/11 – juris Rn. 16 a.E.; vorgehend OVG A-Stadt, Beschluss vom 9. März 2011 – 2 L 212/08 – unveröffentlicht). Kann nicht festgestellt werden, dass einem Schutzsuchenden Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in dem oben beschriebenen Sinne droht, kommt eine Anerkennung als Asylberechtigter oder eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft deshalb nicht in Betracht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. August 2017, a.a.O.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. März 2018, a.a.O., Rn. 20). Die humanitäre Schutzrichtung des Asyl- und Flüchtlingsrechts gebietet weder eine Umkehr der objektiven Beweislast noch bei Unklarheiten eine Folgenabwägung im Sinne eines „better safe than sorry“ (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018, a.a.O., Rn. 45, m.w.N.). Das Gesetz verlangt zur Entscheidung über den erhobenen Anspruch keine Eindeutigkeit von Rückschlüssen, Prognosen oder Faktenlagen (vgl. OVG Münster, Urteil vom 1. August 2018 – 14 A 619/17.A –, Rn. 55, juris). Materiell-rechtlich unzutreffend ist es daher, den Begriff der beachtlichen Wahrscheinlichkeit so weit auszulegen, dass eine solche (bzw. ein „real risk“) bereits dann anzunehmen ist, „wenn wegen der Schwierigkeiten der Erkenntnisgewinnung eine eindeutige Faktenlage nicht ermittelt werden kann, sondern in der Gesamtsicht der vorliegenden Erkenntnisse ausreichende Anhaltspunkte für eine Prognose sowohl in die eine wie die andere Richtung vorliegen, also eine Situation vorliegt, die einem non-liquet vergleichbar ist“ (so aber OVG A-Stadt, Urteil vom 21. März 2018 – 2 L 238/13 – juris, nicht rechtskräftig; entgegnend vgl. OVG Münster, Urteil vom 1. August 2018 a.a.O.).

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Unter Anwendung dieser Maßstäbe steht dem Kläger kein Anspruch auf Gewährung des Flüchtlingsstatus zu.

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Das Gericht ist nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb Syriens befindet. Er ist weder wegen einer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ausgereist (1.) noch sind nach Verlassen des Herkunftslandes bei ihm Nachfluchtgründe (§ 28 Abs. 1a AsylG) entstanden, die die Annahme einer drohenden Verfolgung im Falle einer fiktiven Rückkehr rechtfertigen würden (2.).

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1. Eine Vorverfolgung des Klägers vor seiner Ausreise ist nicht ersichtlich. Seine Angaben zu einer Verfolgung in Syrien waren widersprüchlich, unwahrscheinlich und damit unglaubhaft.

29

Der Kläger ist der Ansicht, er werde/wurde in Syrien gesucht. Er bezog sich in seinen Anhörungen auf ein Ereignis in der Universität bei dem die Fahne der Opposition gehisst worden sei. Nach diesem Ereignis soll nach den Angaben des Klägers in der Anhörung in der mündlichen Verhandlung im März 2012 ein Gespräch mit einem im zivil gekleideten Kommissar stattgefunden haben. Der Kläger trug vor, dass er aufgrund seines Lebens-/Wohnortes in Daraa bei den Sicherheitskräften leicht in Verdacht geriet, zu den Oppositionellen zu gehören. 20 Studenten aus Daraa seien bei diesem Gespräch gewesen. Bei einem weiteren Gespräch drei Wochen später sei er nicht dabei gewesen. Alle Anwesenden seien bei diesem zweiten Treffen verhaftet worden, weshalb er nach dem 18. Mai 2012 nicht mehr zur Universität gegangen sei.

30

Widersprüchlich waren in diesem Zusammenhang die Angaben zu seinem Cousin. In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, der Cousin (es handele sich um den Cousin seines Vaters) war Leiter der Baath Partei im Stadtteil Umwalad und habe den Vater gewarnt, der Kläger würde auf der Liste für gesuchte Personen stehen. Der Kläger ist ausführlich zu diesem Cousin befragt worden. Er erklärte, dass dieser auch Abgeordneter gewesen und nach Jordanien geflohen ist. Angesichts der Bedeutung dieses Vortrages wäre zu erwarten gewesen, dass der Kläger entsprechend auch beim Bundesamt vorgetragen hätte. Dies war jedoch nicht der Fall. In der Anhörung beim Bundesamt erwähnte er zwar auch einen Cousin, bei diesem handelte es sich jedoch um einen anderen, der beim zweiten Treffen in der Universität verhaftet worden sein soll. Auf entsprechendes Nachfragen in der mündlichen Verhandlung konnte er sich jedoch an einen anderen Cousin zunächst nicht erinnern. Für das Gericht ist aufgrund des Vortragsverhaltens des Klägers offenkundig, dass der Vortrag nicht der Wahrheit entspricht.

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Seine Angaben, er werde gesucht, sind aber auch aus einem weiteren Grund ersichtlich unwahr. Denn der Kläger ist jährlich von den Behörden wegen seines Studiums zurückgestellt worden. Die letzte Rückstellung datiert ausweislich seines Militärheftes vom 13. März 2013, hiernach ist er bis zum 15. März 2014 von der Ableistung des Wehrdienstes befreit. Da eine Zurückstellung nur nach Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung der Universität erfolgt, sieht das Gericht seine Angaben, im Mai 2012 zuletzt an der Universität gewesen zu sein, als widerlegt an. Außerdem wäre dem Kläger auch keine Freistellung ausgehändigt worden, wenn er denn tatsächlich gesucht worden wäre.

32

In der mündlichen Verhandlung ist der Kläger ausführlich zu diesem Komplex befragt worden. Der studierte Kläger bemerkte in der mündlichen Verhandlung sogleich, dass eine Freistellung im Jahre 2013 (bis zum März 2014) seinem Vortrag entgegenstehen würde, weshalb er versuchte die letzte Freistellung im Jahre 2012 einzuordnen. Die ihm vorgehaltenen Angaben im Wehrdienstheft/Militärheft bestritt er zunächst ausdrücklich; erst nach eigenem Lesen des Wehrdienstheftes räumte er die Freistellung 2013 ein, um sogleich zu ergänzen, diese sei nur gegen Bestechung (4000 syr Lira, umgerechnet 20 €) erwirkt worden.

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2.Nach Verlassen des Herkunftslandes eingetretene Gründe (Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG), die es rechtfertigen würden, im Falle einer fiktiven Rückkehr des Klägers nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Bedrohung auszugehen, liegen ebenfalls nicht vor.

34

Das Gericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass syrischen Staatsangehörigen im Falle der Rückkehr nach Syrien nicht bereits allein wegen der illegalen – und erst recht nicht der legalen – Ausreise, der Asylantragstellung sowie eines längeren Auslandsaufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung droht, weil bereits diese Handlungen vom syrischen Staat als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst würden und jeder Asylantragsteller bei einer Rückkehr nach Syrien in Anknüpfung an seine jedenfalls vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hätte (vgl. nur VG Schwerin, Urteile vom 14. November 2016 – 3 A 1358/16 As SN –, juris Rn. 21 ff., und 21. April 2017 – 16 A 1543/16 As SN –, juris Rn. 38 ff.). Eine hierzu gegenteilige Auffassung wird auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung – soweit ersichtlich – nicht mehr ausdrücklich vertreten (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 18. Mai 2018, a.a.O., Rn. 117; OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018, a.a.O., Rn. 52 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. März 2018, a.a.O., Rn. 23; OVG Bautzen, Urteil vom 7. Februar 2018, – 5 A 1245/17.A –, juris Rn. 21 ff.; OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 –, juris Rn. 39; OVG Saarlouis, Urteil vom 22. August 2017 – 2 A 263/17 –, juris, Rn. 22; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 -, juris; OVG Münster, Urteile vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A –, juris Rn. 32, und vom 21. Februar 2017, – 14 A 2316/16.A –, juris Rn. 47 ff.; OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 –, juris; offen gelassen vom VGH Mannheim, Urteil vom 21. August 2017 – A 11 S 513/17 –, juris; je m.w.N.). Zur Begründung wird zunächst auf die vorgenannten Entscheidungen Bezug genommen.

35

Dem Gericht sind auch keinerlei belastbare Erkenntnisse dafür bekannt, dass sich die Situation in jüngerer Zeit geändert hätte. Der syrische Staat reagiert, obwohl er sich in den letzten Jahren zeitweise erheblich durch die oppositionellen Gruppierungen in die Defensive gedrängt sah, weiterhin nicht in der Weise, dass er jegliche Reisetätigkeit seiner Bürger untersagt, auch wenn er grundsätzlich militärdienstpflichtigen Männern nicht erlaubt, Syrien zu verlassen, es sei denn, sie verfügen über eine offizielle Bescheinigung des Militärs, dass sie derzeit vom Militärdienst befreit sind (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28. März 2015; Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23. März 2017). Auch Reservisten, die bereits einen Pass haben, brauchen die Bewilligung des Rekrutierungsbüros, damit sie das Land verlassen können (vgl. SFH, Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23. März 2017). Insgesamt hat der syrische Staat noch im Jahr 2015 ca. 800.000 Reisepässe ausgestellt bzw. verlängert. Teilweise wird über den Hintergrund dieser Maßnahme zwar gemutmaßt, dass der syrische Staat an den daraus erzielten Einnahmen zur Erhöhung des Staatshaushaltes interessiert sei (vgl. VG Köln, Urteil vom 23. Juni 2016 –20 K 1599/16.A, juris, Seite 6 des Urteilsabdrucks). Im Ergebnis ist aber festzustellen, dass der syrische Staat augenscheinlich der Ausreisemöglichkeit für diesen erheblichen Personenkreis bei Abwägung zwischen Einnahmen und der Gefahr der Bildung einer machtvollen Opposition im Ausland letzterer nicht die ausschlaggebende Bedeutung beimisst.

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Von den ca. 5 Millionen in das Ausland geflüchteten syrischen Staatsbürgern reisen weiterhin – und in jüngerer Zeit vermehrt - jährlich Hunderttausende - auch legal - zurück nach Syrien, weil sie ihr Besitztum kontrollieren, Dokumente ausstellen lassen oder verlängern oder Familienangehörige besuchen wollen (vgl. Immigration and Refugee Board of Canada, Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, …, 19. Januar 2016; UNHCR, UNHCR meldet Anstieg bei Rückkehrern nach Syrien, abgerufen unter: http://www.unhcr.org/dach/ de/15457-unhcr-meldet-anstieg-bei-rueckkehrern-nach-syrien.html; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Österreich (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Syrien, 25. Januar 2018, Seite 81 ff.; Auswärtiges Amt vom 2. Februar 2018 an OVG Hamburg, Gz. 508-516.80/50080). Daraus ist nach Auffassung des Gerichts unter anderem zu schließen, dass nicht jeder in das Ausland geflüchtete syrische Staatsangehörige im Falle seiner Rückkehr nach Syrien in der Gefahr steht, als mutmaßlicher Oppositioneller staatlicher Verfolgung zu unterliegen. Denn falls eine erhebliche Anzahl von Rückkehrern bei ihrer Einreise über die übliche Einreiseprozedur, die eine Abfrage in Datenbanken sowie eine Befragung der Einreisenden zum Gegenstand hat mit dem Ziel festzustellen, ob nach diesen Personen gesucht wird, hinaus festgenommen oder verhört würden und im Rahmen dessen asylerheblichen Übergriffen ausgesetzt wären, wäre dieser beachtliche Reiseverkehr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Erliegen gekommen. Angesichts des bekannten äußerst brutalen Vorgehens syrischer Sicherheitskräfte im Rahmen von Festnahmen und Verhören würde ein vernünftig denkender Mensch das Risiko eines derartigen Übergriffs im Rahmen der Einreise nicht eingehen. Insoweit geht das Gericht davon aus, dass ein solches Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte bei den Einreisekontrollen alsbald bekannt würde, weil Personen im Falle von Festnahmen von ihren Angehörigen vermisst werden würden. Das Bekanntwerden entsprechender Vorfälle würde letztlich auch das Verhalten der im Ausland lebenden Syrer lenken.

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Zwar gehen nach dem Immigration and Refugee Board of Canada (19. Januar 2016, a.a.O.) zwei dort als Quellen benannte Personen davon aus, dass abgelehnte Asylbewerber grundsätzlich bei der Einreise nach Syrien in der Gefahr stehen, festgenommen bzw. verhaftet zu werden. Die von diesen Quellen benannten Einzelfälle, die zudem weder in Hinblick auf ihre konkrete Herkunft und noch auf die jeweilige Sachkompetenz überprüft werden können, sind zudem nach Auffassung des Gerichts auch deshalb nicht geeignet, eine generelle gesteigerte Rückkehrgefahr für abgelehnte Asylbewerber zu begründen, weil sie ihre Auffassung nicht näher erläutern.

38

Aus den Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 7. November 2016 und 23. Februar 2017 an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht wie auch aus der Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2016 ergibt sich, dass auch nach den dortigen Einschätzungen eine besondere Rückkehrgefahr aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthaltes nicht besteht. Die Auskunft, „dem Auswärtigen Amt liegen keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden haben“, versteht das Gericht nicht so, dass die Botschaft zu dieser Frage schlicht nichts sagen konnte, denn sie bezieht sich in ihrer Antwort auch auf die Erkenntnisse von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeitet (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016). Stattdessen ist diese Auskunft nach Auffassung des Gerichts so zu verstehen, dass es auch nach Auswertung aller verfügbaren Erkenntnisquellen keine Hinweise darauf gibt, dass allein der Auslandsaufenthalt eine gesteigerte Rückkehrgefahr begründet.

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Das Gericht vermag auch den Berichten des UNHCR unter Berücksichtigung der dort in Bezug genommenen Erkenntnisquellen keine hinreichende Tatsachengrundlage für die Prognose zu entnehmen, dass syrischen Staatsbürgern im Falle ihrer – hypothetischen – Rückkehr allein aufgrund der legalen oder illegalen Ausreise, einem länger währenden Aufenthalt in Europa sowie der Asylantragstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche Übergriffe drohen (vgl. UNHCR, „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“, 4. aktualisierte Auflage, November 2015; 5. aktualisierte Auflage, November 2017; Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien, - Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien - „illegale Ausreise“ aus Syrien und verwandte Themen, 1. Februar 2017 [deutsche Version von 04/2017]). Wie das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht zutreffend ausführt, hat der UNHCR weder in der 4. noch in der 5. aktualisierten Auflage der „… Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ ausdrücklich ein Risikoprofil für die vorgenannte Gruppe formuliert (vergleiche OVG Schleswig, Urteil vom 4. Mai 2018 – 2 LB 18/18 –, juris Rn. 66 ff). Soweit der UNHCR in den „Relevante(n) Herkunftslandinformationen …“ ein Risikoprofil für „Personen, die im Ausland auf bestimmte Weise aktiv sind“ formuliert und diesem Risikoprofil auch Anträge auf Asyl zuordnet (UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen …,Februar/April 2017, a.a.O., S.30), vermag das Gericht den vom UNHCR benannten Erkenntnisquellen kein solches Gewicht beizumessen, dass darauf die Prognose der beachtlichen Wahrscheinlichkeit von asylerheblichen Übergriffen aufgrund der Asylantragstellung im Ausland gestützt werden könnte (ebenso mit vertiefender Begründung OVG Schleswig, Urteil vom 4. Mai 2018, a.a.O, Rn. 60 ff., insbesondere Rn. 66 ff.)

40

Dies wird alles auch durch eigene Erkenntnisse des Gerichts aus bislang verhandelten Verfahren über die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus für syrische Staatsangehörige bestätigt. Klägerinnen und Kläger haben mehrfach vorgetragen, während des laufenden Asylverfahrens aus unterschiedlichen Gründen nach Syrien zurückgekehrt zu sein. In keinem dieser Einzelfälle ist von Repressalien syrischer Behörden berichtet worden, obwohl es Kontakte zu staatlichen Stellen – zum Beispiel anlässlich der Erneuerung eines Reisepasses – gegeben hat.

41

In der Gesamtschau lassen die oben stehenden Erkenntnisse zur Überzeugung des Gerichts keine Prognose zu, dass jede Person allein aufgrund ihres längeren Auslandsaufenthalts und einer etwaigen Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland im Falle ihrer Rückkehr beachtlich wahrscheinlich einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt wäre. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass im Hinblick auf die vorhandenen Kommunikationsmöglichkeiten davon auszugehen ist, dass – falls zurückkehrende Personen tatsächlich asylerheblichen Übergriffen ausgesetzt gewesen oder gar verschwunden wären – solche Geschehnisse sehr zügig bekannt geworden wären. Es fehlt jedoch insoweit an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten.

42

Gegen ein generelles Misstrauen der syrischen Sicherheitskräfte gegenüber Personen, die sich längere Zeit im Ausland aufgehalten haben, spricht überdies die Tatsache, dass aufgrund des Präsidialdekrets Nr. 17 des Ministry of Foreign Affairs and Immigration der Republik Syrien vom 21. April 2015 (abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/ 58a5e27d4.html; in Bezug genommen vom UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf, 4. aktualisierte Fassung, S. 7, Fn. 36) die Anweisungen an die im Ausland befindlichen syrischen Botschaften dahingehend gelockert worden sind, dass auch syrischen Staatsbürgern, die das Land illegal verlassen haben, Reisepässe ausgestellt oder verlängert werden können. Dies lässt nicht einmal indiziell den Schluss zu, dass der syrische Staat generell einen Argwohn gegenüber Personen hat, die sich längere Zeit im Ausland befinden, weil in diesem Fall nicht davon auszugehen wäre, dass er solchen Personen die Rückkehr nach Syrien durch die Ausstellung von Reisepapieren erleichtern würde. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass der syrische Staat als „janusköpfig“ in dem Sinne anzusehen wäre, dass er im Ausland befindliche Staatsangehörige in Sicherheit wiegt, indem er ihnen freizügig Personalpapiere ausgibt, sie aber im Falle ihrer Rückkehr unnachgiebig als vermeintliche Oppositionelle verfolgen würde, gibt es hierfür keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte, wie etwa Berichte über Übergriffe auf Familienangehörige unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft für den im Ausland befindlichen Verwandten. Denn für Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sieht der UNHCR eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit (vgl. UNHCR, „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf …“ a.a.O., 4. aktualisierte Fassung, Rn. 38 ff. bzw. 5. aktualisierte Fassung, S. 36 ff.).

43

Das Gericht geht deshalb davon aus, dass sich eine beachtliche Rückkehrgefahr erst aus weitergehenden Kriterien als der illegalen – und erst recht der legalen – Ausreise, dem länger währenden Aufenthalt in Europa sowie der Asylantragstellung ergeben kann, wie zum Beispiel dem konkreten Verdacht einer oppositionellen Betätigung während der Abwesenheit aus Syrien. Anhaltspunkte hierfür sind jedoch ebenfalls nicht ersichtlich.

44

3. Vorliegend rechtfertigt insbesondere nicht die vom Kläger geäußerte Befürchtung, im Falle einer Rückkehr nach Syrien zum Wehrdienst eingezogen zu werden, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

45

Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse zu den Regelungen über den Wehr- und Militärdienst und die Praxis deren Umsetzung geht das Gericht zunächst davon aus, dass der Kläger bisher nicht gegen Vorschriften des syrischen Rechts im Zusammenhang mit der Wehrpflicht verstoßen hat (a). Aber auch dann, wenn das Gericht unterstellt, dass der Kläger aufgrund seines längeren Auslandsaufenthalts über den Beginn des wehrdienstfähigen Alters hinaus bei einer hypothetischen Rückkehr vom syrischen Militär- und Geheimdienst wie ein Wehr- bzw. Militärdienstentzieher bzw. -verweigerer behandelt werden würde, bestehen zu ihrer Überzeugung keine hinreichenden Erkenntnisse, dass ihm in Anknüpfung daran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen wegen flüchtlingsrechtlich erheblicher Merkmale drohen (b).

46

a) Der Kläger hat sich zunächst durch seine Ausreise nicht einer konkret bestehenden Wehrdienstpflicht entzogen. Eine entsprechende Aufforderung hat er nach eigenen Angaben beim Bundesamt nicht bekommen.

47

In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht. Jeder Mann im Alter von 18 bis 42 Jahren ist verpflichtet, einen Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten abzuleisten (zum Alter der Militärdienstpflichtigen: AA, Auskunft an VG Düsseldorf zum Az. 5 K 7480/16.A vom 2. Januar 2017, S. 3 [zu den dort benannten „anderen“ Quellen s.u.]; BFA, 25. Januar 2018, a.a.O. S. 39; zusätzlich zur Länge des Wehrdienstes: SFH, 23. März 2017, a.a.O., S. 5 mit Hinweis auf Legislative Decree Nr. 30/ 2007). Grundsätzlich gilt die Wehrpflicht für alle syrischen Männer unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund wie auch für Palästinenser, die in Syrien leben. Sie wird auch weiterhin durchgesetzt. Auch Oppositionelle werden einberufen. Die Registrierung für die Wehrpflicht erfolgt im Alter von 18 Jahren. Nach Auskunft des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich sind junge Männer im Alter von 17 Jahren aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von mindestens 18 Jahren werden die Männer grundsätzlich per Einberufungsbescheid zum Ableisten des Wehrdienstes aufgefordert. Normalerweise werden Einberufungsbefehle schriftlich mit der Post zugestellt, zurzeit wird jedoch eher auf persönlichem Wege zum verpflichtenden Militärdienst rekrutiert, um ein Untertauchen der potentiellen Rekruten möglichst zu verhindern. Zu diesem Zweck werden Mitarbeiter des Rekrutierungsbüros zum Haus der Wehrpflichtigen geschickt. Wenn der Gesuchte zu Hause ist, wird er direkt mitgenommen. Wenn er nicht zu Hause ist, wird der Familie mitgeteilt, dass er sich bei der nächsten Kaserne zu melden habe (vgl. BFA, 25. Januar 2018, a.a.O., S. 37 ff.). Zudem wird berichtet, dass junge Männer an Checkpoints (zwangs)rekrutiert werden (vgl. AA, a.a.O. 2. Januar 2017, S. 3 unter Bezugnahme nicht näher dargelegter Berichte). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (vgl. BFA Länderinformation, 25. Januar 2018, a.a.O., S. 39) berichtet unter Berufung auf eine nicht näher überprüfbare Quelle zudem, dass es auch zu Razzien auf öffentlichen Plätzen gekommen sei.

48

Ausnahmen von der Wehrpflicht werden allein – von Bestechungen abgesehen – bei Personen jüdischen Glaubens (vgl. SFH, 23. März 2017, a.a.O., S. 5, mit Hinweis auf Legislative Decree Nr. 30/ 2007) oder bei Untauglichkeit gemacht. Zudem bestehen Regelungen über Ansprüche auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes etwa für den einzigen Sohn einer Familie oder Studenten – hier je nach Art des Studiums gestaffelt, regelmäßig höchstens jedoch bis zum 27. Lebensjahr (vgl. BFA, 25. Januar 2018, a.a.O., S. 38 f.). Für im Ausland lebende Männer – aber nach übereinstimmenden Berichten von Klägern nicht nur für diese -gibt es zum Teil die Möglichkeit, sich gegen Zahlung einer Geldkompensation vom Militärdienst zu befreien. Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (vgl. SFH, 23. März 2017,a.a.O., S. 8). Entlassungen aus dem Militärdienst sind seit dem Jahr 2011, dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung, eher zur Ausnahme geworden; viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden. Die letzte Entlassungsrunde fand im Jahr 2011 statt (vgl. SFH, 23. März 2017, a.a.O., S. 5 f., mit Verweis auf Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG, 26. Februar 2015, S. 6, www.refworld.org/docid/54fd6c884.html).

49

Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdienstes als Reservisten jederzeit abrufbar sein. Seit Herbst 2014 kommt es angesichts einer erheblichen Dezimierung der syrischen Armee durch Desertion und Verluste in großem Umfang zur Mobilisierung von Rekruten und Reservisten sowie zur Verhaftung von Deserteuren und Männern, die sich bislang dem Wehrdienst entzogen haben (vgl. SFH, 23. März 2017, a.a.O., S. 6). Es gibt aber auch Männer im wehrpflichtigen Alter, die in Syrien zivilen Tätigkeiten nachgehen. Insgesamt ist es schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee tatsächlich durchgesetzt wird. In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden. So gibt es Beispiele, dass Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann (vgl. BFA, 25. Januar 2018, a.a.O., S. 39).Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen seit März 2012 nur mit einer offiziellen Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie von der Wehrpflicht bzw. vom Militärdienst freigestellt sind, das Land verlassen (vgl. SFH, 23. März 2017, a.a.O., S. 13). Darüber hinaus wird jungen Männern vor Erreichen des 18. Lebensjahres die Ausreise erschwert, indem ihnen Reisepässe teilweise gar nicht oder nur für eine kurze Gültigkeitsdauer ausgestellt werden (vgl. SFH, 23. März 2017, a.a.O, S. 13 mit Verweis auf Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Sup-porting Syrian Regime and Armed Opposition, 23. August 2016, S. 8, 12 f.)

50

In Syrien stellt Wehrdienstentziehung eine Straftat dar, für die gesetzliche Sanktionen vorgesehen sind. Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet (vgl. SFH, 23. März 2017, a.a.O., S. 8 f.). Danach wird, wer sich der Einberufung entzieht, mit Haft zwischen einem und sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft. Wer das Land verlässt, ohne eine Adresse zu hinterlassen, unter der er immer erreichbar ist, und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion im eigentlichen Sinn werden fünf Jahre Haft angedroht bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft (vgl. AA, a.a.O., 2. Januar 2017, S. 4 f.). Die Umsetzung der Bestrafung scheint willkürlich zu sein. Insoweit gibt es einerseits Stellungnahmen, dass zurückkehrenden Wehrdienstpflichtigen Haft, Folter, Misshandlungen, Einsatz an der Front sowie dauerhaftes Verschwinden bzw. Tod drohe. Andererseits wird aber auch berichtet, dass die Bestrafung häufig von der Position und dem Rang des Betreffenden, seinem Profil, aber auch dem Bedarf an der Front abhänge. Weiter wird ausgeführt, dass einige der Verhafteten zwar zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen würden, andere aber lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt würden. Insgesamt ist die Zahl der Wehr- bzw. Militärdienstverweigerer sehr hoch. Nicht in jedem Einzelfall würden Nachforschungen betrieben (vgl. SFH, 23. März 2017, a.a.O., S. 8 ff., BFA 25. Januar 2018, a.a.O., S. 43 f.; UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen…, 1. Februar 2017 [deutsche Version von 04/2017], a.a.O., S. 22 ff.).

51

Ausgehend von den eigenen Angaben des Klägers ist das Gericht der Überzeugung, dass er durch seine Ausreise und seinen Auslandsaufenthalt nicht gegen die Vorschriften des syrischen Strafrechts verstoßen hat, indem er sich dem Militärdienst entzogen hat. Nach Auffassung des Gerichts setzt eine nach den oben stehenden Erwägungen strafrechtlich relevante Entziehung von der Wehr- bzw. Reservedienstpflicht voraus, dass der Asylantragsteller bereits im Zeitpunkt seiner Ausreise einen konkreten Einberufungsbescheid erhalten hat.

52

Dies war vorliegend nicht der Fall.

53

b) Aber selbst wenn das Gericht unterstellt, dass der syrische Staat den Kläger aufgrund des längeren Auslandsaufenthalts in einem – zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung – mittlerweile auch wehrdienstpflichtigen Alter bei einer hypothetischen Rückkehr wie einen Wehr- bzw. Militärdienstentzieher behandeln würde, der gegen Vorschriften des syrischen Strafrechts verstoßen hat, lässt sich den vorliegenden Erkenntnisquellen nicht hinreichend verlässlich entnehmen, dass ihm beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgungshandlung aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründen, insbesondere wegen einer unterstellten Regimegegnerschaft, droht.

54

Der Umstand, dass der Kläger mittlerweile nach syrischem Recht wehrdienstpflichtig geworden ist, wird zur Überzeugung des Gerichts zwar mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass er im Falle einer unterstellten Rückkehr bereits bei seiner Einreise über den Flughafen in Damaskus festgehalten und alsbald zum Militärdienst eingezogen werden wird. Die demnach unmittelbar drohende Einberufung allein stellt in Fortführung der ständigen Rechtsprechung des Gerichts allerdings noch keinen asylerheblichen Übergriff im Sinne des § 3a AsylG dar. Denn hierbei handelt es sich gerade nicht um eine ausgrenzende Maßnahme, sondern um eine Verpflichtung, die grundsätzlich alle wehrpflichtigen Männer des Staates trifft (vgl. VG Schwerin, Urteil vom 14. November 2016 – 3 A 1440/16 As SN –, juris Rn. 33, mit Verweis auf BVerfG, Urteile vom 11. Dezember 1985 – 2 BvR 361/83, 2 BvR 449/83 –; BVerwG, Urteil vom 31. März 1981 – 9 C 6/80 –, juris Rn. 14; OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018, a.a.O., Rn. 142; OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. September 2017, – 2 LB 750/17 – juris Rn. 63).

55

Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass einem Wehrdienst- bzw. Militärdienstentzieher neben oder anstatt einer Einziehung zum Wehrdienst und einem Militäreinsatz eine Inhaftierung bzw. ein Strafverfahren droht, ergeben sich aus den vorliegenden Erkenntnisquellen nicht. Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen beurteilen die Folgen einer Entziehung vom Wehr- bzw. Militärdienst uneinheitlich. Zudem lassen sich ihnen keine hinreichend gesicherten Fakten dafür entnehmen, dass den Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Bestrafung und/oder Inhaftierung droht, sofern keine weiteren auf eine Regimefeindlichkeit hindeutenden Anhaltspunkte vorliegen. Darüber hinaus fehlt es – trotz offenkundiger Rückkehrbewegungen – auch an Berichten zu aus dem Ausland zurückkehrenden Personen, die sich durch Ausreise dem Wehrdienst bzw. dem Militärdienst entzogen haben.

56

Soweit anstatt von einer strafrechtlichen Sanktion von einem Einsatz an vorderster Front innerhalb von wenigen Tagen und Wochen nach der Festnahme, oft mit nur minimaler Ausbildung, berichtet wird (vgl. nur UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen …, a.a.O., Februar/April 2017, a.a.O., S. 23 und Fn. 113; UNHCR, Antwort an den Hessischen VGH vom 20. Mai 2017, S. 3), kann nicht beachtlich wahrscheinlich festgestellt werden, dass Militärdienstentzieher nach ihrer Festnahme härter behandelt werden als Personen, die der Einberufung zum Wehrdienst bzw. der Einberufung als Reservist gefolgt sind. Denn es wird ebenso ausgeführt (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen …, Februar/April 2017, a.a.O., S. 25 und Fn. 122), dass es gängige Praxis sei, Wehrpflichtige und Reservisten nach begrenzter oder ganz ohne militärische Ausbildung an den Frontlinien einzusetzen. Im Übrigen scheint angesichts des derzeitigen Frontverlaufs, der sich nur noch an der Provinz Idlib befindet, die Befürchtung eines Fronteinsatzes von „Zwangsrekrutierten“ kaum nachvollziehbar, da sie aufgrund der militärischen Stärke der syrischen Regierung und ihrer Verbündeten nicht erforderlich sein dürften. Überdies bestehen erhebliche Zweifel an einer drohenden Bestrafung oder Inhaftierung, wenn keine individuellen Anhaltspunkte auf eine Regimegegnerschaft hindeuten, weil dies dem anhaltenden Personalbedarf der syrischen Armee entgegenstünde. Dem Bestreben des syrischen Regimes nach einer Erhöhung der Zahl seiner Militärangehörigen durch Rekrutierung würde es – auch angesichts der Berichte darüber, dass den Einberufungen im großem Umfang nicht Folge geleistet wird – zuwider laufen, wenn die so rekrutierten Soldaten zunächst inhaftiert, misshandelt und im schlimmsten Fall getötet würden (vgl. zu alledem mit ausführlicher Auswertung einer Vielzahl von Erkenntnisquellen OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018, a.a.O., Rn. 107 ff., m.w.N.; auf die dortigen Ausführungen wird vollumfänglich Bezug genommen und macht sich das Gericht zu Eigen).

57

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem aktuellsten Lagebericht des UNHCR vom November 2017 (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf…, 5. aktualisierte Auflage, November 2017, a.a.O.). Zwar wird in dem Bericht unter Bezugnahme auf verschiedene Quellen die Einschätzung vertreten, dass der Wehrdienstentzug von der syrischen Regierung als politischer Akt gewertet werde, der sich gegen die Regierung richte (vgl. UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf…, 5. aktualisierte Auflage, a.a.O., November 2017, S. 43 ff.). Allerdings ist den dort wiedergegebenen Email-Auszügen jeweils nicht zu entnehmen, woraus die genannten Quellen ihre Einschätzungen ableiten. Zudem lässt auch die beschriebene Bandbreite denkbarer Folgen nicht mit hinreichender Verlässlichkeit den Schluss auf eine einheitliche oder auch nur beachtlich wahrscheinliche Reaktion des syrischen Regimes zu (so auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. März 2018, a.a.O., Rn. 36). Da das Ergebnis nicht von hinreichend quantifizierten Belegen gestützt wird, ist auch unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisquelle eine von den vorstehenden Ausführungen abweichende Entscheidung zur beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr von Wehr- und Militärdienstentziehern im Falle ihrer – unterstellten – Rückkehr nach Syrien nicht geboten.

58

Auch allgemeine Erwägungen lassen zweifeln, ob Wehr- bzw. Militärdienstentziehern beachtlich wahrscheinlich eine regimefeindliche Haltung unterstellt werden wird. Hierfür sprechen insbesondere die Ausführungen der Schweizer Flüchtlingshilfe unter Bezugnahme auf verschiedene, teils nicht näher überprüfbare Quellen (vgl. SFH, 23. März 2017, a.a.O., S. 7). Hiernach sei nach Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, verlangt worden, dass die jungen Männer in die syrische Armee eintreten. Auch würden Häftlinge unter Druck gesetzt, in die Armee einzutreten. Das Verhalten des syrischen Regimes scheint danach insoweit primär durch Überlegungen zur Erhaltung seiner Macht gekennzeichnet zu sein. In diesem Kontext fehlen hinreichend verdichtete Erkenntnisse darüber, wie das syrische Regime mit einer Vielzahl zurückkehrender Männer, die sich der Einberufung zum Wehrdienst oder dem Wehrdienst durch Flucht ins Ausland entzogen haben, umgehen würde (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018, a.a.O., Rn. 131 ff., m.w.N.).

59

Das Gericht teilt nach alledem auch weiterhin vollumfänglich die Auffassung des OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 21. März 2018 a.a.O. Rn. 26 ff.), OVG Bremen (Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris Rn. 47 ff.), OVG Hamburg (Urteil vom 11. Januar 2018, a.a.O.Rn. 90 ff.), OVG Saarlouis (Urteil vom 17. Oktober 2017 – 2 A 365/17 – juris Rn. 26 ff.), OVG Lüneburg (Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris Rn. 72) und OVG Münster (Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris Rn. 37 ff.), dass sich bei syrischen Wehrdienstentziehern nach allen erreichbaren Erkenntnissen nicht die Annahme rechtfertigen lässt, bei ihnen lägen gefahrerhöhende Merkmale vor, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen müssten (a.A.: OVG A-Stadt, Urteil vom 21. März 2018, – 2 L 238/13 – juris; VGH München, Urteil vom 14. Februar 2017 – 21 B 16.31001 – juris Rn. 22, für einen wehrpflichtigen Reservisten; VGH Kassel, Urteil vom 6. Juni 2017 – 3 A 3040/16.A – juris Rn. 51 ff., für einen Wehrdienstentzieher, der aus einer vermeintlich regierungsfeindlichen Zone stammt; VGH Mannheim, Urteil vom 14. Juni 2017 – A 11 S 511/17 – juris Rn. 34 ff.;OVG Bautzen, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17.A – juris Rn. 26 ff.).

60

Dem Kläger ist darüber hinaus auch nicht deshalb der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, weil ihm in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG eine Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes droht, der Verstöße gegen das Völkerstrafrecht i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG).

61

Auch bei Vorliegen einer Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist es nach § 3 Abs. 3 AsylG erforderlich, dass die Verfolgungshandlung – vorliegend eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes – wegen einer der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründe besteht (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018, a.a.O., Rn. 153; OVG Münster, a.a.O., Rn. 100; offen gelassen: OVG Lüneburg, Urteil vom 12. September 2017, a.a.O.,Rn. 70 ff.; jeweils unter juris).

62

Da die Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG an die (drohende) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes anknüpft, wird insoweit regelmäßig eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen einer politischen Überzeugung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG vorliegen. Denn die Verweigerung des Militärdienstes, um nicht an Kriegsverbrechen i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG mitzuwirken oder diese zu unterstützen, dürfte regelmäßig Ausdruck einer politischen Überzeugung sein. Die gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG privilegierte Verfolgungshandlung knüpft jedoch an eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes an, wenn der Militärdienst die Begehung von Kriegsverbrechen i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG umfassen würde. Unter den Anwendungsbereich der Regelung fallen deshalb nur Ausländer, die ihrer gesetzlich angeordneten Wehrpflicht folgen, freiwillig Wehrdienst oder als Berufssoldaten Militärdienst leisten (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Auflage 2012, § 14 Rn. 176), sofern die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind. Voraussetzung für die Anwendung von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist folglich, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Kläger entweder Militärangehöriger ist bzw. vor seiner Flucht war, und sich dem Militärdienst durch Flucht entzogen hat bzw. entzieht. Dies setzt jedenfalls eine konkrete Einberufung zum Militärdienst voraus, da nur dann der Kläger im weitesten Sinne als Militärangehöriger angesehen werden kann und der persönliche Anwendungsbereich der Regelung eröffnet ist. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist jedoch nach ihrem Wortlaut und ihrer Zielrichtung nicht eröffnet, das heißt ein „Militärdienst“ liegt nicht vor, wenn und solange nur eine militärische Ausbildung erfolgt, in der der Soldat nicht in Teile des Militärs eingebunden ist, die an einer militärischen Auseinandersetzung beteiligt sind.

63

 Voraussetzung ist hingegen nicht, dass dem Kläger eine persönliche Verantwortung für die Teilnahme an Kriegsverbrechen nachgewiesen wird, wie es der Fall sein müsste, wenn dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft im Hinblick auf die Ausschlusstatbestände des § 3 Abs. 2 AsylG versagt werden würde. Denn es handelt sich bei § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG um eine präventive Norm, die diejenigen Militärangehörigen schützen will, die Verbrechen gegen das humanitäre Völkerrecht nicht begehen wollen. Insoweit ist hinreichend, wenn der Kläger darzulegen vermag, dass solche Verbrechen mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Einheit, der er angehört, begangen wurden oder werden (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018, a.a.O., Rn. 154 ff., m.w.N. unter Bezugnahme auf EUGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 –, Shepherd, EuGRZ 2015, 160, juris Rn. 34; vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017, a.a.O., juris Rn. 102 ff.; OVG Münster, a.a.O., Rn. 95 ff.).

64

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Wie bereits oben ausgeführt, ist der Kläger kein Militärangehöriger gewesen.

65

Es ist deshalb nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Syrien über die gewöhnliche Einreiseprozedur und gegebenenfalls den Einzug zum Militärdienst hinaus mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verhöre, Festnahmen oder weitergehende Inhaftierungen zu befürchten hätte.

66

Vor spezifisch kriegsbedingten Bedrohungen und Beeinträchtigungen ist er durch den gewährten subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) ausreichend geschützt.

67

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gerichtsverfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.

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bei uns veröffentlicht am 04.05.2018

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 30. August 2016 – 12. Kammer, Einzelrichter – geändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 21. März 2018 - 2 L 238/13

bei uns veröffentlicht am 21.03.2018

Tenor Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 25. September 2013 wird geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres insoweit entgegenstehenden Bescheides vom 24. Februar 2011 in der Fassung des Bescheides vom 23. März 2012 verpf

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 11. Jan. 2018 - 1 Bf 81/17.A

bei uns veröffentlicht am 11.01.2018

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. März 2017 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens. Ger

Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 16. Dez. 2016 - 1 A 10922/16

bei uns veröffentlicht am 16.12.2016

weitere Fundstellen ... Diese Entscheidung wird zitiert Tenor Unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 16. Juni 2016 wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger; Gericht

Verwaltungsgericht Köln Urteil, 23. Juni 2016 - 20 K 1599/16.A

bei uns veröffentlicht am 23.06.2016

Tenor Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 22.04.2016 verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Beklagte. 1T a t

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 01. März 2012 - 10 C 7/11

bei uns veröffentlicht am 01.03.2012

Tatbestand 1 Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf ihrer Flüchtlingsanerkennung. 2

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 17. Nov. 2011 - 10 C 13/10

bei uns veröffentlicht am 17.11.2011

Tatbestand 1 Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm im Irak drohender Gefahren.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 01. Juni 2011 - 10 C 25/10

bei uns veröffentlicht am 01.06.2011

Tatbestand 1 Der Kläger, ein 1960 geborener algerischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung.

Referenzen

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein 1960 geborener algerischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung.

2

Er stellte im Oktober 1992 einen Asylantrag. Nachdem er unbekannt verzogen war, lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) - den Antrag mit Bescheid vom 8. November 1993 als offensichtlich unbegründet ab. Einen weiteren Asylantrag unter einem Aliasnamen lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 24. September 1993 ab.

3

Im November 1994 wurde der Kläger von den französischen Behörden wegen des Verdachts der Vorbereitung terroristischer Aktionen in Algerien festgenommen. Das Tribunal de Grande Instance de Paris verurteilte ihn am 22. Januar 1999 u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Gefängnisstrafe von acht Jahren.

4

Nachdem der Kläger im März 2001 aus französischer Haft entlassen worden war, stellte er im Juli 2001 in Deutschland einen Asylfolgeantrag, den er auf die überregionale Berichterstattung über den Strafprozess in Frankreich und die daraus resultierende Verfolgungsgefahr in Algerien stützte. Er gab an, nie für eine terroristische Vereinigung aktiv gewesen zu sein; der Prozess in Frankreich sei eine Farce gewesen. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2002 lehnte das Bundesamt die Anerkennung als Asylberechtigter ab, stellte jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Algeriens fest. Angesichts der Berichterstattung über den Strafprozess müsse davon ausgegangen werden, dass der algerische Auslandsgeheimdienst den Prozess beobachtet habe und der Kläger in das Blickfeld algerischer Behörden geraten sei. Bei einer Rückkehr nach Algerien bestehe deshalb die beachtliche Gefahr von Folter und Haft.

5

Mit Bescheid vom 1. Juni 2005 nahm das Bundesamt den Anerkennungsbescheid vom 15. Oktober 2002 mit Wirkung für die Zukunft zurück. Die Feststellung sei von Anfang an fehlerhaft gewesen, da das Vorliegen der Ausnahmetatbestände in § 51 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 und Satz 2 Alt. 3 AuslG verkannt worden sei. Angesichts der rechtskräftigen Verurteilung in Frankreich stehe fest, dass der Kläger eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Das Verwaltungsgericht hat den Rücknahmebescheid mit rechtskräftigem Urteil vom 27. Oktober 2006 aufgehoben, da das Bundesamt die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG versäumt habe.

6

Mit Schreiben vom 10. Juli 2007 leitete das Bundesamt ein Widerrufsverfahren ein, in dessen Verlauf der Kläger bestritt, dass sich die Verhältnisse in Algerien entscheidungserheblich geändert hätten. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2007 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 15. Oktober 2002 getroffene Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Darüber hinaus stellte es fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Durch die im September 2005 per Referendum angenommene "Charta für Frieden und nationale Aussöhnung" sowie die zu deren Umsetzung erlassenen Vorschriften habe Algerien weitgehende Straferlasse für Mitglieder islamistischer Terrorgruppen eingeführt. Die Amnestieregelungen würden konsequent und großzügig umgesetzt und fänden auch nach Ablauf des vorgesehenen Stichtags weiter Anwendung. Der Kläger habe daher im Falle seiner Rückkehr nach Algerien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch motivierte Verfolgung zu befürchten.

7

Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid durch Urteil vom 20. Mai 2008 aufgehoben, da dem Widerruf bereits die Rechtskraft des Urteils vom 27. Oktober 2006 entgegenstehe. Der angefochtene Widerruf erweise sich im Ergebnis als eine die Rücknahme vom 1. Juni 2005 ersetzende Entscheidung.

8

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 15. Dezember 2009 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zwar stehe die Rechtskraft des die Rücknahme aufhebenden Urteils dem Widerruf nicht entgegen, denn die Streitgegenstände dieser beiden Verwaltungsakte seien nicht identisch. Dennoch erweise sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis als richtig, da die Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nicht vorlägen. Dieser sei gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nur möglich, wenn der Betroffene wegen zwischenzeitlicher Veränderungen im Heimatstaat vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher sei. Das sei beim Kläger nicht der Fall. Er falle nicht unter die Stichtagsregelung der Amnestieregelung; ob die Anwendungspraxis auch den Fall des Klägers erfasse, sei unsicher. Angesichts der weiterhin bestehenden Repressionsstrukturen seien ausreichende Anhaltspunkte für eine allgemeine Liberalisierung in Algerien nicht vorhanden.

9

Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte, das Berufungsgericht sei zu Unrecht von dem abgesenkten Wahrscheinlichkeitsmaßstab ausgegangen. Unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie würde selbst ein Vorverfolgter nur durch die widerlegbare Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie privilegiert. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH sei beim Widerruf eines nicht Vorverfolgten der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen.

10

Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil aus den Gründen der Ausgangsentscheidung. Darüber hinaus macht er geltend, dass einem anerkannten Flüchtling aufgrund seines Aufenthalts in der Bundesrepublik und des Vertrauens auf seinen gefestigten Status ein größerer Schutz zu gewähren sei als einem Asylbewerber bei der Entscheidung über seine Anerkennung.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet, denn das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Zwar hat das Berufungsgericht den Widerrufsbescheid zu Recht sachlich geprüft und nicht bereits wegen des aus der Rechtskraft folgenden Wiederholungsverbots aufgehoben (1.). Es hat aber der Verfolgungsprognose, die es bei Prüfung der Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung gestellt hat, einen unzutreffenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt (2.). Mangels der für eine abschließende Entscheidung notwendigen tatsächlichen Feststellungen kann der Senat in der Sache weder in positiver noch in negativer Hinsicht selbst entscheiden. Die Sache ist daher an den Verwaltungsgerichtshof zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

12

1. Dem Erlass des streitgegenständlichen Widerrufsbescheids steht nicht entgegen, dass die zuvor verfügte Rücknahme der Flüchtlingsanerkennung im Vorprozess rechtskräftig aufgehoben worden ist. Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Soweit der personelle und sachliche Umfang der Rechtskraft reicht, ist die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage daran gehindert, einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen zu erlassen (vgl. Urteile vom 8. Dezember 1992 - BVerwG 1 C 12.92 - BVerwGE 91, 256 <257 f.> = Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 63 und vom 28. Januar 2010 - BVerwG 4 C 6.08 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 99). Das Wiederholungsverbot erfasst aber nur inhaltsgleiche Verwaltungsakte, d.h. die Regelung desselben Sachverhalts durch Anordnung der gleichen Rechtsfolge (Urteil vom 30. August 1962 - BVerwG 1 C 161.58 - BVerwGE 14, 359 <362> = Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 4 und Beschluss vom 15. März 1968 - BVerwG 7 C 183.65 - BVerwGE 29, 210 <213 f.>).

13

In Anwendung dieser Kriterien erweisen sich Rücknahme einer Flüchtlingsanerkennung wegen Nichtbeachtung zwingender Ausschlussgründe und deren Widerruf wegen Wegfalls der sie begründenden Umstände nicht als inhaltsgleich. Zwar erfolgte die Rücknahme im Fall des Klägers nur mit Wirkung für die Zukunft, so dass die beiden Verwaltungsakte auf dieselbe Rechtsfolge gerichtet waren (vgl. aus einer anderen Perspektive Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 9 C 53.97 - BVerwGE 108, 30 <35>). Aber die den beiden Aufhebungsakten zugrunde liegenden rechtlichen Voraussetzungen und die hierbei zu berücksichtigenden Tatsachen unterscheiden sich: Während die Rücknahme auf einer anderen rechtlichen Beurteilung eines vergangenen Sachverhalts beruht, stützt sich der Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG auf eine nach der Anerkennung eingetretene Sachverhaltsänderung. Daher greift das Wiederholungsverbot im vorliegenden Fall nicht.

14

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Widerrufs ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798). Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

15

Mit § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Daher sind die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren. Dies gilt auch für Fälle, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind (vgl. Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - juris Rn. 9; zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen).

16

Der angefochtene Bescheid erweist sich nicht deshalb als rechtswidrig, weil das Bundesamt bei seiner Widerrufsentscheidung kein Ermessen ausgeübt hat. Durch die klarstellende Neuregelung in § 73 Abs. 7 AsylVfG ist geklärt, dass in den Fällen, in denen - wie vorliegend - die Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist, die Prüfung nach § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu erfolgen hat. Damit hat der Gesetzgeber eine Übergangsregelung für vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar gewordene Altanerkennungen getroffen und festgelegt, bis wann diese auf einen Widerruf oder eine Rücknahme zu überprüfen sind. Daraus folgt, dass es vor einer solchen Prüfung und Verneinung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen in dem seit dem 1. Januar 2005 vorgeschriebenen Verfahren (Negativentscheidung) keiner Ermessensentscheidung bedarf (Urteil vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 53.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 31 Rn. 13 ff.).

17

Das Berufungsurteil ist aber hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen und speziell mit Blick auf den der Verfolgungsprognose zugrunde gelegten Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG zu vereinbaren, der im Lichte der Richtlinie 2004/83/EG auszulegen ist. Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie ist ein Drittstaatsangehöriger nicht mehr Flüchtling, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Bei der Prüfung dieses Erlöschensgrundes haben die Mitgliedstaaten zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie). Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offenzulegen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweist, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist.

18

a) Diese unionsrechtlichen Vorgaben hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 2. März 2010 (Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505) dahingehend konkretisiert, dass der in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie angesprochene "Schutz des Landes" sich nur auf den bis dahin fehlenden Schutz vor den in der Richtlinie aufgeführten Verfolgungshandlungen bezieht (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 67, 76, 78 f.). Dazu hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass sich die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland grundsätzlich spiegelbildlich zur Anerkennung verhält. Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG sieht - ebenso wie Art. 1 C Nr. 5 GFK - vor, dass die Flüchtlingseigenschaft erlischt, wenn die Umstände, aufgrund derer sie zuerkannt wurde, weggefallen sind, wenn also die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht mehr vorliegen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 65). Nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie ist Flüchtling, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes seiner Staatsangehörigkeit befindet, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr als begründet, kann der Betreffende es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 66), soweit er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss (ebd. Rn. 76). Die Umstände, die zur Zuerkennung oder umgekehrt zum Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft führen, stehen sich mithin in symmetrischer Weise gegenüber (so EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 68).

19

Mit Blick auf die Maßstäbe für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und Abs. 2 der Richtlinie hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend sein muss, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 72). Dafür muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 73).

20

aa) Eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände setzt voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben. In der vergleichenden Betrachtung der Umstände im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung und der für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Sachlage muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus, denn reiner Zeitablauf bewirkt für sich genommen keine Sachlagenänderung. Allerdings sind wegen der Zeit- und Faktizitätsbedingtheit einer asylrechtlichen Gefahrenprognose Fallkonstellationen denkbar, in denen der Ablauf einer längeren Zeitspanne ohne besondere Ereignisse im Verfolgerstaat im Zusammenhang mit anderen Faktoren eine vergleichsweise höhere Bedeutung als in anderen Rechtsgebieten zukommt (vgl. Urteile vom 19. September 2000 - BVerwG 9 C 12.00 - BVerwGE 112, 80 <84> und vom 18. September 2001 - BVerwG 1 C 7.01 - BVerwGE 115, 118 <124 f.>).

21

Wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft kann seit Umsetzung der in Art. 11 und Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der bisherigen, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 73 AsylVfG nicht festgehalten werden. Danach setzte der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung voraus, dass sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist (Urteile vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 277 <281> und vom 12. Juni 2007 - BVerwG 10 C 24.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 Rn. 18; so auch das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung). Dieser gegenüber der beachtlichen Wahrscheinlichkeit abgesenkte Maßstab ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht für Fälle der Vorverfolgung entwickelt worden. Er wurde dann auf den Flüchtlingsschutz übertragen und hat schließlich Eingang in die Widerrufsvoraussetzungen gefunden, soweit nicht eine gänzlich neue oder andersartige Verfolgung geltend gemacht wird, die in keinem inneren Zusammenhang mehr mit der früheren steht (Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 26).

22

Dieses materiellrechtliche Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose ist der Richtlinie 2004/83/EG fremd. Sie verfolgt vielmehr bei einheitlichem Prognosemaßstab für die Begründung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er bei der Nachweispflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 14 Abs. 2 und der tatsächlichen Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zum Ausdruck kommt (Urteile vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 20 ff. und vom 7. September 2010 - BVerwG 10 C 11.09 - juris Rn. 15). Das ergibt sich neben dem Wortlaut der zuletzt genannten Vorschrift auch aus der Entstehungsgeschichte, denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Demzufolge gilt unionsrechtlich beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 ; Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 22).

23

Aus der konstruktiven Spiegelbildlichkeit von Anerkennungs- und Erlöschensprüfung, in der die gleiche Frage des Vorliegens einer begründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 9 i.V.m. Art. 10 der Richtlinie zu beurteilen ist, ergibt sich, dass sich der Maßstab der Erheblichkeit für die Veränderung der Umstände danach bestimmt, ob noch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 84 ff., 98 f.). Die Richtlinie kennt nur diesen einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr unabhängig davon, in welchem Stadium - Zuerkennen oder Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - diese geprüft wird. Es spricht viel dafür, dass die Mitgliedstaaten hiervon in Widerrufsverfahren nicht nach Art. 3 der Richtlinie zugunsten des Betroffenen abweichen können. Denn die zwingenden Erlöschensgründe dürften zu den Kernregelungen zählen, die in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen sind, um das von der Richtlinie 2004/83/EG geschaffene System nicht zu beeinträchtigen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - Rs. C-57/09 und C-101/09, B und D - NVwZ 2011, 285 Rn. 120 zu den Ausschlussgründen). Das kann aber hier dahinstehen, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der deutsche Gesetzgeber mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 bei der Flüchtlingsanerkennung an den oben dargelegten unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben des nationalen Rechts festhalten wollte. Vielmehr belegt der neu eingefügte § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG, demzufolge für die Feststellung einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ergänzend anzuwenden ist, dass der Gesetzgeber sich den beweisrechtlichen Ansatz der Richtlinie zu eigen gemacht hat.

24

bb) Des Weiteren darf die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG nicht nur vorübergehender Natur sein. Vielmehr muss festgestellt werden, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründen und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 72 ff.). Für den nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie dem Mitgliedstaat obliegenden Nachweis, dass eine Person nicht länger Flüchtling ist, reicht nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, d.h. dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Der Senat hat in einem Fall, in dem ein verfolgendes Regime gestürzt worden ist (Irak), bereits entschieden, dass eine Veränderung in der Regel nur dann als dauerhaft angesehen werden kann, wenn im Herkunftsland ein Staat oder ein sonstiger Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung zu verhindern (Urteil vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 17). Denn der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nur gerechtfertigt, wenn dem Betroffenen im Herkunftsstaat nachhaltiger Schutz geboten wird, nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. So wie die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung im Rahmen der Verfolgungsprognose eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung aus der Sicht eines vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen nicht zuletzt unter Einbeziehung der Schwere des befürchteten Eingriffs verlangt und damit dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit Rechnung trägt (Urteil vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>; Beschluss vom 7. Februar 2008 a.a.O. juris Rn. 37), gilt dies auch für das Kriterium der Dauerhaftigkeit. Je größer das Risiko einer auch unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit verbleibenden Verfolgung ist, desto nachhaltiger muss die Stabilität der Veränderung der Verhältnisse sein und prognostiziert werden können. Sind - wie hier - Veränderungen innerhalb eines fortbestehenden Regimes zu beurteilen, die zum Wegfall der Flüchtlingseigenschaft führen sollen, sind an deren Dauerhaftigkeit ebenfalls hohe Anforderungen zu stellen. Unionsrecht gebietet, dass die Beurteilung der Größe der Gefahr von Verfolgung mit Wachsamkeit und Vorsicht vorzunehmen ist, da Fragen der Integrität der menschlichen Person und der individuellen Freiheiten betroffen sind, die zu den Grundwerten der Europäischen Union gehören (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 90). Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbare Zeit kann indes nicht verlangt werden.

25

b) Das Berufungsgericht hat vorliegend bei seiner Verfolgungsprognose den Maßstab der hinreichenden Sicherheit zugrunde gelegt. Damit hat es § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG verletzt; auf dieser Verletzung beruht die Berufungsentscheidung. Da das Berufungsgericht seine tatsächlichen Feststellungen unter einem - wie dargelegt - rechtlich unzutreffenden Maßstab getroffen hat, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Denn es ist Aufgabe des Berufungsgerichts als Tatsacheninstanz, die Verhältnisse im Herkunftsland auf der Grundlage einer Gesamtschau zu würdigen und mit Blick auf die Umstände, die der Flüchtlingsanerkennung des Betroffenen zugrunde lagen, eine Gefahrenprognose unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zu erstellen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm im Irak drohender Gefahren.

2

Der 1976 in Mosul geborene Kläger ist kurdischer Volkszugehöriger sunnitischen Glaubens. Zur Begründung des im Juli 2001 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) gestellten Asylantrags gab er an, dass er in Mosul ein Lebensmittelgeschäft betrieben habe. Eine von einem Kunden in seinem Laden abgestellte Tasche, die Flugblätter von Schiiten enthalten habe, sei von einem Unbekannten inspiziert worden. Sein Vater habe ihm daraufhin zur Flucht geraten und sei seinetwegen später verhaftet worden. Er befürchte, wegen des Vorfalls getötet oder lebenslang inhaftiert zu werden. Mit Bescheid vom 14. September 2001 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab, stellte jedoch fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (inzwischen § 60 Abs. 1 AufenthG) hinsichtlich des Irak vorliegen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung verfolgt werde.

3

Wegen der veränderten politischen Verhältnisse im Irak widerrief das Bundesamt am 16. März 2006 die Flüchtlingsanerkennung und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen.

4

Die hiergegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 1. Februar 2007 im Wesentlichen ausgeführt, der Widerruf sei rechtmäßig, weil der Kläger im Irak nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein keine Verfolgung mehr zu befürchten habe. Er könne auch keine Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bzw. subsidiären Schutz gemäß Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG beanspruchen. Im Irak liege kein landesweiter innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor. Zudem habe der Kläger die Möglichkeit, in Teilen des Irak internen Schutz zu finden. Im Übrigen stehe die Erlasslage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, die bei allgemeinen Gefahren vergleichbaren Abschiebungsschutz biete, der Gewährung richtliniengemäßen subsidiären Schutzes entgegen.

5

Während des Revisionsverfahrens hat der Kläger seine Revision hinsichtlich des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung zurückgenommen. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 44.07 - das Revisionsverfahren insoweit eingestellt. Im Übrigen hat er, soweit die Verpflichtung zur Feststellung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise nationalen Abschiebungsschutzes aus § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird, das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat er darauf abgestellt, dass § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG keinen landesweiten bewaffneten Konflikt voraussetze. Die zusätzliche Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger könne innerhalb des Irak internen Schutz finden, beruhe auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Schließlich verletze der Verweis auf die Aussetzung von Abschiebungen durch ministerielle Erlasse revisibles Recht. Denn § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sei richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Sperrwirkung nicht greife, wenn die Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt seien.

6

Während des neuen Berufungsverfahrens hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sei. Damit sei sein Aufenthalt gesichert und es komme auf subsidiären Schutz nicht mehr an.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 21. Januar 2010 zurückgewiesen, soweit sie sich auf das noch anhängige Begehren zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezieht. Die Berufung sei zulässig, denn für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl der Kläger mittlerweile im Besitz einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG sei. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach Art. 18 der Richtlinie 2004/83/EG könne dem Kläger eine zusätzliche Rechtsposition vermitteln. Die Berufung sei aber unbegründet. Mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG führt das Berufungsgericht aus, es könne dahinstehen, ob die im Irak seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren seien. Jedenfalls sei der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt. An seinem Herkunftsort in Mosul bestehe keine so hohe Gefahrendichte, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sei. Dies ergebe sich aus der Zahl der Anschläge und der Anzahl der Opfer im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Die Wahrscheinlichkeit, durch einen Terroranschlag in der Provinz Ninive verletzt oder getötet zu werden, habe 2009 ca. 0,12 % oder ca. 1:800 pro Jahr betragen. Für eine Verschärfung der Sicherheitslage gebe es keine Anhaltspunkte. Gefahrerhöhende individuelle Umstände seien bei dem Kläger nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des hilfsweise begehrten nationalen Abschiebungsschutzes (§ 60 Abs. 7 Satz 1 und § 60 Abs. 5 AufenthG) lägen ebenfalls nicht vor.

8

Mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision wendet sich der Kläger allein gegen die Ablehnung der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Er rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe bei der Ermittlung der Gefahrendichte auf die im Rahmen der Gruppenverfolgung entwickelten Kriterien der Verfolgungsdichte abgestellt, ohne zwischen den Schutzsystemen zu differenzieren und die Besonderheiten des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen. Auch seien die in das Verfahren eingeführten Quellen zur Häufigkeit von Anschlägen im Irak und zur Zahl der Toten und Verletzten nicht interpretiert und bewertet worden.

9

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat die begehrte Verpflichtung zur Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes ohne Verstoß gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) abgelehnt.

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch das Verpflichtungsbegehren auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Die darüber hinausgehende Beschränkung des Revisionsantrags auf das Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 16). Eine Revision kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13).

12

Für diesen Verpflichtungsantrag ist, obwohl der Kläger mittlerweile eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG besitzt, entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen. Dieses Interesse fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 3 C 25.03 - BVerwGE 121, 1 <3>). Der Beklagten ist einzuräumen, dass sich nach nationalem Aufenthaltsrecht die Rechtsstellung eines Ausländers in der Situation des Klägers, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG ist, durch die Zuerkennung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes derzeit nicht verbessern kann. Diese Betrachtung greift aber zu kurz. Denn aus dem Umsetzungsdefizit des deutschen Gesetzgebers, der - entgegen den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG im 5. Erwägungsgrund, in Art. 2 Buchst. f und in Art. 18 - den Status des subsidiär Schutzberechtigten im nationalen Recht nicht explizit ausgeformt hat, darf für den Kläger kein Nachteil entstehen (vgl. auch Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 13). Er hat daher ein legitimes Interesse, dass trotz seiner gesicherten aufenthaltsrechtlichen Stellung mit Blick auf diesen Schutzstatus und die damit einhergehenden Vergünstigungen über das Bestehen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots entschieden wird.

13

Die zulässige Klage ist aber unbegründet. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und das Revisionsgericht daher bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) greift keines der auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG).

14

1. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Senats trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG und ist in diesem Sinne auszulegen (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 17 und Rn. 36).

15

Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die im Irak seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt anzusprechen sind, weil der Kläger auch bei Annahme eines derartigen Konflikts keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wären. Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

16

a) Für seine Prognose, ob der Kläger bei Rückkehr in den Irak einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht auf die tatsächlichen Verhältnisse in seiner Herkunftsregion Mosul abgestellt. Dort hat der Kläger zuletzt gelebt, so dass die Annahme gerechtfertigt ist, dass er dorthin zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17).

17

b) Das Berufungsgericht hat des Weiteren zutreffend geprüft, ob von dem - zugunsten des Klägers unterstellten - bewaffneten Konflikt in der Region von Mosul für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr ausgeht, die sich in der Person des Klägers so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darstellt. Denn auch eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr kann sich individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllen (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 34).

18

Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 33). Gefahrerhöhende individuelle Umstände hat das Berufungsgericht bei dem Kläger nicht festgestellt (UA S. 12); dem ist der Kläger mit der Revision auch nicht entgegengetreten.

19

Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann aber auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (Urteil vom 14. Juli 2009 a.a.O. Rn. 15 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - Slg. 2009, I-921 = NVwZ 2009, 705). Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 33).

20

In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Das ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." in Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG. Der darin enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR (GK), Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG).

21

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen tatsächlichen Vermutung setzt aber auch im Rahmen des subsidiären Schutzes voraus, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder damals unmittelbar drohenden Schaden (Vorschädigung) und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zugrunde liegende Wiederholungsvermutung beruht wesentlich auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 31).

22

Eine für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichende Gefahrendichte hat das Berufungsgericht für den Bereich der Stadt Mosul verneint. Es hat - in Anlehnung an die Vorgehensweise zur Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts (vgl. dazu Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 20 ff.) - aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Provinz Ninive und deren Hauptstadt Mosul lebenden Zivilpersonen annäherungsweise ermittelt und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung gesetzt. Dabei hat es festgestellt, dass das Risiko, in der Provinz Ninive verletzt oder getötet zu werden, für das gesamte Jahr 2009 ungefähr 1:800 betrug. Einen Trend zur Verschlechterung der Sicherheitslage vermochte es nicht festzustellen (UA S. 12). Seine auf der Grundlage dieser Feststellungen gezogene Schlussfolgerung, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, ist revisionsgerichtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden.

23

Zwar bedarf es - wie die Revision im Ansatz zu Recht rügt - neben dieser quantitativen Ermittlung auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 33). Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Der Mangel in der Vorgehensweise des Berufungsgerichts bleibt aber im vorliegenden Fall ohne Folgen. Denn die Höhe des vom Berufungsgericht festgestellten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens ist so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass sich der Mangel im Ergebnis nicht auszuwirken vermag.

24

Auch der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG eingegangen ist, verhilft der Revision nicht zum Erfolg, denn das Vorfluchtschicksal des Klägers gab dazu keinen Anlass. Dieses lässt keine Beeinträchtigung erkennen, die auch unter dem Blickwinkel des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG die Qualität einer Vorschädigung erreichen könnte. Zudem bestünde kein sachlicher Zusammenhang mit den nunmehr im Irak drohenden Gefahren.

25

2. Das Berufungsgericht hat auch die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG in den Blick genommen, sie aber nicht als durchgreifend angesehen. Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf ihrer Flüchtlingsanerkennung.

2

Die 1967 geborene Klägerin ist togoische Staatsangehörige. Sie reiste 1998 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Mit Bescheid vom 28. Mai 1999 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - den Asylantrag ab. Im Klageverfahren verpflichtete das Verwaltungsgericht das Bundesamt, hinsichtlich der Klägerin das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG) festzustellen. Das Bundesamt kam dieser Verpflichtung im Juni 2004 nach.

3

Anfang 2008 leitete das Bundesamt wegen der in Togo zwischenzeitlich eingetretenen politischen Veränderungen ein Widerrufsverfahren ein. Nach Anhörung widerrief es mit Bescheid vom 28. Februar 2008 die Flüchtlingsanerkennung der Klägerin. Von einer Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG wurde abgesehen, da der Widerruf aus Gründen der Statusbereinigung erfolge. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Schwerin mit Urteil vom 26. August 2008 abgewiesen.

4

Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern mit Beschluss vom 9. März 2011 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und den Bescheid des Bundesamts aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Widerrufsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG lägen nicht vor. Die maßgeblichen Verhältnisse in Togo hätten sich nicht so verändert, dass bei einer Rückkehr eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sei.

5

Die Beklagte erstrebt mit der Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Zur Begründung macht sie geltend, das Berufungsgericht habe seiner Verfolgungsprognose einen falschen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt.

6

Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung. Das Erfordernis der hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung entspreche im Widerrufsverfahren bei Vorverfolgten dem Beweislastmaßstab aus Art. 14 Abs. 2 i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Selbst wenn das Berufungsgericht von einem fehlerhaften Maßstab ausgegangen sein sollte, beruhe die Entscheidung zumindest nicht auf diesem Fehler, da es keinen Sachverhalt festgestellt habe, der einen Widerruf rechtfertigen würde. Hilfsweise beantragt sie die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung und Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Der Beschluss des Berufungsgerichts beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung mit einer Begründung verneint, die mit Blick auf den seiner Verfolgungsprognose zugrunde gelegten Wahrscheinlichkeitsmaßstab mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG nicht zu vereinbaren ist (1.). Die Berufungsentscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO) (2.). Der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union bedarf es nicht (3.). Mangels der für eine abschließende Entscheidung notwendigen tatsächlichen Feststellungen kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Das Verfahren ist daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) (4.).

8

1. Bei dem Widerruf der Flüchtlingsanerkennung, der im vorliegenden Fall formell nicht zu beanstanden ist (s.a. Urteil vom 29. September 2011 - BVerwG 10 C 24.10 - juris Rn. 11 ff.), ist für die Verfolgungsprognose auf den Maßstab der beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit abzustellen, den das Berufungsgericht verfehlt hat.

9

1.1 Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG sind daher unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren (vgl. Urteile vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - BVerwGE 139, 109 und vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - InfAuslR 2011, 408 ; zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen).

10

Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG ist ein Drittstaatsangehöriger nicht mehr Flüchtling, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Bei der Prüfung dieses Erlöschensgrundes haben die Mitgliedstaaten nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offenzulegen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweist, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist.

11

Die unionsrechtlichen Vorgaben für ein Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in seinem Urteil vom 2. März 2010 (Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505) weiter konkretisiert. Danach muss die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend sein, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Eine erhebliche Veränderung der der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände setzt voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland deutlich und wesentlich geändert haben. Des Weiteren darf die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nicht nur vorübergehender Natur sein. Vielmehr muss festgestellt werden, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 72 ff.; zur Erheblichkeit und Dauerhaftigkeit vgl. auch BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 20 und 24 m.w.N.).

12

Veränderungen im Heimatland sind nur dann hinreichend erheblich und dauerhaft, wenn sie dazu führen, dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Die Prüfung einer derartigen Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland ist mithin untrennbar mit einer individuellen Verfolgungsprognose verbunden. Diese hat nach Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG anhand des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu erfolgen. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 21 ff.), kann wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft seit Umsetzung der in Art. 11 und 14 Abs. 2 dieser Richtlinie enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der früheren, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 73 AsylVfG nicht festgehalten werden. Der Richtlinie 2004/83/EG ist ein solches materiellrechtliches Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose fremd. Sie verfolgt vielmehr unter Zugrundelegung eines einheitlichen Prognosemaßstabs für die Begründung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er bei der tatsächlichen Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 und der Nachweispflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie zum Ausdruck kommt. Demzufolge gilt beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose nunmehr ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Aus der konstruktiven Spiegelbildlichkeit von Anerkennungs- und Erlöschensprüfung, in der die gleiche Frage des Vorliegens einer begründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 9 i.V.m. Art. 10 der Richtlinie zu beurteilen ist, ergibt sich, dass sich auch das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft danach bestimmt, ob noch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 84 ff., 98 f.).

13

Die Frage, ob die Mitgliedstaaten von diesem Prognosemaßstab in Widerrufsverfahren nach Art. 3 der Richtlinie zugunsten des Betroffenen abweichen können, bedarf vorliegend keiner Entscheidung und braucht folglich nicht, wie von der Klägerin beantragt, dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt zu werden. Denn es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der deutsche Gesetzgeber mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 bei der Flüchtlingsanerkennung an der bisherigen Anwendung unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe nach nationalem Recht festhalten wollte. Vielmehr belegt gerade der neu eingefügte § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG, demzufolge für die Feststellung einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ergänzend anzuwenden ist, dass der Gesetzgeber sich bei der Flüchtlingsanerkennung - abweichend von der bisherigen nationalen Rechtslage - den beweisrechtlichen Ansatz der Richtlinie 2004/83/EG zu eigen gemacht hat. Damit hat er auch ein - nach Umsetzung der Richtlinie ohnehin nicht zu vermeidendes - Auseinanderfallen der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Asyl nach Art. 16a GG einerseits und für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft andererseits bewusst in Kauf genommen.

14

1.2 Das Berufungsgericht hat vorliegend eine solche erhebliche und dauerhafte Veränderung der Verhältnisse im Herkunftsland auf der Grundlage einer fehlerhaften Verfolgungsprognose verneint. Denn es hat seiner Verfolgungsprognose nicht den Maßstab der beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit, sondern den der hinreichenden Verfolgungssicherheit zugrunde gelegt (BA S. 4). Dies bekräftigt im Übrigen auch der Hinweis des Berufungsgerichts, dass es im Jahr 2008 in einem Anerkennungsverfahren bei Anwendung eines anderen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs zu einem anderen Ergebnis gelangt sei (BA S. 6).

15

1.3. Die Berufungsentscheidung beruht - entgegen der Auffassung der Klägerin - auch auf dieser Verletzung des § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG. Mit den vom Bundesamt zum Anlass für eine Überprüfung der Flüchtlingsanerkennung genommenen politischen Änderungen in Togo (hier: insbesondere der Tod des früheren Präsidenten Eyadema im Februar 2005 und der von seinem Sohn im April 2006 eingeleitete strukturierte Dialog mit der Opposition) ist nach der Anerkennung der Klägerin eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in ihrem Heimatland eingetreten. Das Berufungsgericht hatte daher zu prüfen, ob es sich hierbei um eine hinreichend erhebliche und dauerhafte Veränderung der Umstände im Sinne des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG handelt, weil sich eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben hat, so dass keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung mehr besteht (Urteil vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 20, 23). Seine Bewertung, dass die bisherigen Machtstrukturen des früheren Regimes Eyadema sich nicht wesentlich verändert hätten, beruht demgegenüber auf einer Verfolgungsprognose, der ein rechtlich unzutreffender Maßstab zugrunde liegt. Sie enthält keine Aussage zur Wesentlichkeit der Veränderungen in Bezug auf den anzuwendenden Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.

16

2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zu den asylerheblichen Verhältnissen in Togo erlauben dem Senat keine eigene Verfolgungsprognose auf der Grundlage des zutreffenden Prognosemaßstabes. Auch im Falle der gerichtlichen Anfechtung eines Widerrufs ist es grundsätzlich Aufgabe des Berufungsgerichts als Tatsacheninstanz, die Verhältnisse im Herkunftsland auf der Grundlage einer Gesamtschau zu würdigen und mit Blick auf die Umstände, die der Flüchtlingsanerkennung zugrunde lagen, eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Gefahrenprognose zu erstellen. Anders als in dem vom Senat mit Urteil vom 7. Juli 2011 (BVerwG 10 C 26.10 - juris Rn. 18; zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) entschiedenen Fall tragen die bisherigen tatrichterlichen Feststellungen vorliegend auch nicht ausnahmsweise den Schluss, dass bei Zugrundelegung der unionsrechtlichen Vorgaben die Veränderungen in Togo nicht so erheblich sind, dass sie den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung der Klägerin rechtfertigen. Das Berufungsgericht hat nicht geprüft, wie sich die in Togo nach dem Tod Eyademas eingetretenen Änderungen der politischen Verhältnisse konkret in Ansehung der in der Person der Klägerin liegenden Umstände und Verhältnisse auswirken, sondern sich mit einer allgemeinen Bewertung der asylrelevanten Lage in Togo begnügt. Seine zusammenfassende Bewertung, die Menschenrechtslage werde weiterhin als ernst bewertet, die Reformen des Justizapparats schienen noch keine greifbaren Ergebnisse gebracht zu haben und die bisherigen Machtstrukturen hätten sich nicht wesentlich geändert, beschränkt sich im Kern auf eine Ergebnismitteilung, ohne die zugrunde liegenden Tatsachen für eine Neubewertung anhand des zutreffenden Prognosemaßstabs hinreichend differenziert aufzubereiten. Sie stützt sich zudem im Wesentlichen auf Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte, die fast alle aus der Zeit vor der Klärung der unionsrechtlichen Anforderungen an das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 2. März 2010 (a.a.O.) stammen und ihrer Gefahrenprognose ebenfalls den falschen Maßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit zugrunde legen. Damit fehlt es an hinreichenden tatrichterlichen Feststellungen für eine - auf den Fall der Klägerin bezogene - individuelle Verfolgungsprognose. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen daher nicht den Schluss, dass der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung (März 2011) bei einer Rückkehr weiterhin wegen ihrer früheren politischen Aktivitäten gegen das Regime Eyadema oder aus anderen, an ihre politische Überzeugung anknüpfenden Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht. Der Berufungsentscheidung kann auch nicht entnommen werden, dass es bei Anwendung des richtigen Maßstabs zu einem "non liquet" und damit der Notwendigkeit einer Beweislastentscheidung gekommen wäre.

17

3. Der - von der Klägerin hilfsweise beantragten - Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union bedarf es schon deshalb nicht, weil der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen nicht abschließend entscheiden kann. Dessen ungeachtet wirft die Auslegung und Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG im vorliegenden Verfahren auch keine Zweifelsfragen auf. Dem Wortlaut der Richtlinie ist zu entnehmen, dass ihr für die Begründung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft materiell ein einheitlicher Prognosemaßstab zugrunde liegt und sie statt unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe - mit Art. 14 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 4 - einen beweisrechtlichen Ansatz verfolgt. Hiervon geht auch der EuGH in seinem Urteil vom 2. März 2010 (a.a.O.) aus. Zugleich hat er in dieser Entscheidung geklärt, unter welchen Voraussetzungen die Flüchtlingsanerkennung nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie erlischt. Dabei differenziert er zwischen den Umständen, aufgrund derer der Betroffene als Flüchtling anerkannt wurde, und anderen Umständen, aufgrund derer er entweder aus dem gleichen oder aus einem anderen (Verfolgungs-)Grund begründete Furcht vor Verfolgung hat. Ob die Umstände, auf denen die Anerkennung beruht, weggefallen sind, beurteilt sich ausschließlich nach Art. 11 der Richtlinie. Gleiches gilt regelmäßig auch für andere Umstände, mit denen sich der Betroffene auf eine Verfolgung aus demselben Verfolgungsgrund beruft. Dabei liegt die Beweislast nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie bei der Behörde. Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie findet beim Erlöschen hingegen regelmäßig nur bei anderen Umständen Anwendung, bei denen sich der Betroffene auf einen anderen Verfolgungsgrund beruft (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 95 ff.).

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4. Unter Beachtung dieser Vorgaben wird das Berufungsgericht in dem neuen Berufungsverfahren prüfen müssen, ob sich die Verhältnisse in Togo inzwischen so erheblich und nicht nur vorübergehend geändert haben, dass für die Klägerin bei einer Rückkehr keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung mehr besteht. Hierzu bedarf es auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnisquellen einer umfassenden Würdigung der aktuellen tatsächlichen Verhältnisse in Togo mit Blick auf die Umstände, die der Flüchtlingsanerkennung der Klägerin zugrunde lagen, und darauf aufbauend einer individuellen Verfolgungsprognose. In diesem Zusammenhang wird sich das Berufungsgericht auch mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zur Lage in Togo auseinanderzusetzen haben. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass es für einen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung grundsätzlich unerheblich ist, ob der Betroffene sein Heimatland unverfolgt oder - wie die Klägerin nach den Feststellungen im Anerkennungsverfahren - vorverfolgt verlassen hat. Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kommt in diesen Fällen regelmäßig nicht zur Anwendung. Die Prüfung, ob die Umstände, die zur Anerkennung geführt haben, nachträglich weggefallen sind, richtet sich vielmehr nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie. Bei der Erstellung der Verfolgungsprognose wird das Berufungsgericht schließlich auch der Behauptung der Beklagten im Beschwerdeverfahren nachzugehen haben, dass der Vorsitzende der CAR, für deren Jugendorganisation sich die Klägerin nach ihren Angaben im Anerkennungsverfahren in Togo vor ihrer Ausreise u.a. politisch betätigt hat, ab September 2006 Premierminister von Togo gewesen sei.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. März 2017 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Hinsichtlich der Kosten des gesamten Verfahrens ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der auf Grund des Urteils vollstreckbaren Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe der zu vollstreckenden Kosten leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger, nach eigenen Angaben ein am ... Januar 1998 in Khan Amaba/Region Qunaitra geborener Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien, tscherkessischer Volkszugehörigkeit und moslemischen (sunnitischen) Glaubens, begehrt über den gewährten subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 14. Januar 2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, meldete sich am 29. Januar 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und beantragte am 13. Mai 2016 die Gewährung von Asyl. Er legte einen Reisepass der Arabischen Republik Syrien vor, der am 30. Dezember 2015 im „Qunaitra-Center“ mit einer Gültigkeitsdauer von 2 Jahren ausgestellt worden ist und als Geburtsort „Qunaitra“ angibt. Zugleich legte er einen vom Innenministerium der Arabischen Republik Syrien am 3. Oktober 2012 ausgestellten Personalausweis vor, wonach er in Khan Amaba geboren und in Bariqa wohnhaft ist.

3

In seiner Anhörung am 28. Juli 2016 vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab der Kläger an, Syrien am 6. Januar 2016 auf dem Luftweg von Damaskus über Beirut verlassen zu haben und über Istanbul, Griechenland, die Balkanroute und Österreich in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Die Reise habe 1 Mio. syrische Lira gekostet. Das Geld stamme von seinen Eltern. Er habe Syrien legal verlassen. Am Flughafen habe eine Kontrolle stattgefunden. Er habe seinen Reisepass vorgelegt. Es habe keine Probleme gegeben. Er habe zuletzt in Damaskus mit seinen Eltern und seinen Geschwistern gelebt. Seine Schwester sei mit ihm ausgereist und befinde sich im Bundesgebiet. Sein Bruder lebe bei seinen Eltern in Damaskus. Er selbst habe die 11. Schulklasse abgeschlossen, die Schule aber ohne Abitur verlassen, weil er Angst gehabt habe, ggf. Wehrdienst verrichten zu müssen. Im Dezember 2015 sei eine Regelung in Kraft getreten, wonach der Geburtsjahrgang 1998 zum Wehrdienst eingezogen werden könne. Er habe eine Zwangsrekrutierung an einer Kontrollstelle beobachtet, sich selbst aber noch schnell entfernen können. Vertreter des Militärs hätten ihn weder aufgesucht noch schriftlich kontaktiert. Er hätte aber sein Wehrdienstbuch am 2. Januar 2016 abholen sollen. Dies habe er nicht getan. Bei der Ausreise sei er am Flughafen gefragt worden, ob er abhauen wolle. Er habe gesagt, er begleite seine Schwester. Er habe zu keinem Zeitpunkt in Syrien Probleme mit Behörden oder offiziellen Stellen gehabt und habe sich nie politisch engagiert. Er befürchte, bei seiner Rückkehr willkürliches Opfer des Krieges zu werden und zum Wehrdienst eingezogen zu werden. Im Falle einer Rückkehr würde man ihn unverzüglich inhaftieren.

4

Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 30. August 2016 wurde dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt und im Übrigen der Asylantrag abgelehnt (Ziffer 2. des Bescheids). Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, der Kläger habe eine Furcht vor einer Einberufung zum Wehrdienst weder konkret noch substantiiert dargelegt. Er habe auch keine geeigneten Beweismittel vorgelegt, die eine begründete Furcht unterstreichen würden. Der Bescheid ist dem Kläger am 8. September 2016 zugestellt worden.

5

Am 21. September 2016 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Er macht geltend, ihm drohe eine die Flüchtlingseigenschaft begründende Bestrafung, weil er sich dem Wehrdienst entzogen habe. Zudem sei beachtlich wahrscheinlich, dass er im Falle einer Rückkehr nach Syrien allein wegen der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung sowie des längeren Auslandsaufenthalts verfolgt werde; es würde vermutet werden, dass er gegen das Assad-Regime eingestellt sei. Insoweit sei die Flüchtlingseigenschaft auch ohne individuelle Verfolgungsgeschichte zuzuerkennen. Diese Gefährdungslage sei für wehrpflichtige Männer erhöht. Jedenfalls sei beachtlich wahrscheinlich, dass er nach Rückkehr zum Militärdienst eingezogen und damit gezwungen werde, sich in eine Armee einzufügen, aus deren Reihen heraus im aktuell herrschenden Bürgerkrieg Kriegsverbrechen und Folter begangen würden. Zudem weise er nochmals vorsichtshalber darauf hin, dass er Tscherkesse sei.

6

Ergänzend hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er nicht zum Militär wolle, weil er niemanden umbringen und nicht getötet werden wolle. Sein Wehrbuch habe er nicht abholen können. An Kriegsverbrechen wolle er nicht teilnehmen, würde aber wohl dazu gezwungen werden. Das Militär habe sich nach seiner Ausreise nicht an seine Eltern gewandt. Er sei Tscherkesse und werde als solcher in Syrien nicht gemocht. Er habe in Syrien viele Sachen verloren. Seine Familie sei derzeit in Syrien.

7

Der Kläger hat beantragt,

8

unter Aufhebung des Bescheids vom 30. August 2016 in Ziffer 2 die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen.

9

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

11

Mit Urteil vom 15. März 2017 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Dem Kläger drohe im Falle einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien nicht beachtlich wahrscheinlich Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG. Der Kläger habe vor seiner Ausreise keine Verfolgung in Syrien erlitten. Dem Kläger drohe auch nicht wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längeren Auslandsaufenthalts beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgung. Es gebe keine zureichenden tatsächlichen Erkenntnisse, dass die syrischen Sicherheitsbehörden letztlich jedem Rückkehrer, der Syrien (illegal) verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im Ausland aufgehalten habe, der Opposition zurechnen würden. Dies erscheine lebensfremd, da angesichts von fast 5 Millionen Flüchtlingen auch aus der Sicht des syrischen Staates erkennbar sein dürfte, dass der Großteil der Ausgereisten das Land nicht als Ausdruck politischer Gegnerschaft zum Staat und seiner Regierung, sondern aus Angst vor dem Bürgerkrieg verlassen habe. Obwohl in den Jahren 2013 bis 2015 ca. 127.800 Syrer nach erfolgter Ausreise in ihr Heimatland zurückgekehrt seien und trotz der engagierten und intensiven Beobachtung durch oppositionelle Gruppen, internationale Helfer und Hilfsorganisationen fehle es an Informationen, die eine Gefahrenlage für rückkehrende Syrer wegen ihres Asylantrages und Aufenthalts im Bundesgebiet und wegen illegalen Verlassens Syriens belegen würden. Vor diesem Hintergrund könnten Berichte über Einzelvorkommnisse nicht von ausschlaggebender Bedeutung für die Begründung einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit sein. Dem Kläger drohe auch nicht in Bezug auf eine mögliche Wehrdienstentziehung, die er begangen haben könnte, weil er Syrien ohne die notwendige Ausreisegenehmigung verlassen habe, beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgung. Es bestünden keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass ihm eine erhebliche Verfolgungshandlung wegen einer aufgrund der Wehrdienstentziehung vermuteten oppositionellen Einstellung drohen würden. Denn unter den 4,9 Millionen Flüchtlingen, die Syrien bis Ende 2015 verlassen hätten, dürften sich Hunderttausende junge Männer befinden, die noch nicht einberufen worden seien. Jedenfalls hinsichtlich dieser Personen dürfte es dem syrischen Staat vor allem darum gehen, die Betroffenen schnellstmöglich dem Militärdienst zuzuführen. Auch die Zahl der Rückkehrer, unter denen sich auch Militärdienstpflichtige befinden dürften, spreche gegen eine solche Gefahr. Schließlich stelle der mögliche Umstand, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr zum Militär einberufen würde und an Kriegshandlungen teilnehmen müsste, die sich als Kriegsverbrechen darstellen könnten, keine geschlechtsspezifische Verfolgung der Gruppe der Männer im wehrpflichtigen Alter dar. Eine Verfolgungswahrscheinlichkeit ergebe sich auch nicht daraus, dass der Kläger eigenen Angaben zufolge vor der Ausreise in Damaskus gelebt habe und dem sunnitischen Glauben angehöre. Das Urteil ist der Klägervertreterin am 24. März 2017 zugestellt worden.

12

Auf den klägerischen Antrag vom 24. April 2017 hat der Senat mit Beschluss vom 19. Juli 2017 die Berufung zugelassen. Der Beschluss ist dem Kläger am 24. Juli 2017 zugestellt worden. Auf den klägerischen Antrag vom selben Tag ist die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 11. September 2017 verlängert worden. Mit am 11. September 2017 eingegangenem Schriftsatz trägt der Kläger vor, die Klage sei begründet. Ihm stehe ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu, da ihm bei Rückkehr nach Syrien begründete Furcht vor Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG drohe. Es sei beachtlich wahrscheinlich, dass ihm Strafverfolgung oder Bestrafung drohe wegen der Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, in dem der Militärdienst Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG umfassen würde. Angesichts der fehlenden Möglichkeit, den Wehrdienst in Syrien zu verweigern und einen zivilen Ersatzdienst zu leisten sowie der damit drohenden möglichen Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung im Falle einer Verweigerung eines militärischen Einsatzes, sei die Flucht die einzig sichere Möglichkeit, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Eine aktive Wehrdienstverweigerung gegenüber der syrischen Armee könne unter diesen Umständen nicht verlangt werden. Dies entspreche den Richtlinien des UNHCR zum internationalen Schutz (Nr. 10), nach welchen auch Personen, die sich vorsorglich, also vor Einberufung, dem Wehrdienst entziehen würden, unter die Schutzvorschrift fallen würden. Nach der Shepherd-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes sei die Inanspruchnahme des internationalen Schutzes nicht nur denjenigen vorbehalten, die persönlich die als Kriegsverbrechen einzustufenden Handlungen begehen müssten, insbesondere den Kampftruppen. Vielmehr sei der Schutz auch auf andere Personen auszudehnen, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheine, dass sie sich bei der Ausübung ihrer Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müssten bzw. dass sie durch die Ausübung ihrer Funktion eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würden. Verübe wie in Syrien die gesamte Armee und nicht nur einzelne Einheiten Kriegsverbrechen, so sei es hinreichend, dass das „Militär als solches“ Kriegsverbrechen begehe. Insoweit unterscheide sich die syrische Armee von den US-Streitkräften, zu der die Shepherd-Entscheidung ergangen sei. Vor dem Hintergrund, dass die gesamte syrische Armee Kriegsverbrechen verübe, sei es offenkundig „hinreichend plausibel“, dass jeder Militärdienst, der bei der syrischen Armee abgeleistet werde, die Vorbereitung oder Durchführung der Handlungen nach § 3 Abs. 2 AsylG unerlässlich unterstütze. Hierzu zähle auch die Rekrutierung und Ausbildung neuer Streitkräfte, auch wenn noch nicht bekannt sei, welcher Einheit der Wehrpflichtige angehören werde. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass der Nachweis der sicheren eigenen Teilnahme an Verbrechen oder systematischen Rechtsverstößen der Einsatzeinheit nicht erforderlich sei, da dies den Prognosemaßstab der begründeten Furcht überdehnen würde. Entsprechendes ergebe sich auch aus den Zurechnungsmaßstäben des Bundesgerichtshofes zur strafrechtlichen Beihilfe an staatlich organisierten Massenverbrechen. In Bezug auf die syrische Armee sei insoweit maßgeblich zu berücksichtigen, dass die gesamte Armee als Apparat staatlich organisierte Kriegsverbrechen begehe und nicht nur bestimmte Einheiten oder gar Personen an diesen beteiligt seien. Sei eine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG beachtlich wahrscheinlich, so bedürfe es keiner Verknüpfung mit einem Anknüpfungsmerkmal i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Insoweit finde die Verpflichtung aus dem humanitären Völkerrecht und dem internationalen Strafrecht, bestimmte Handlungen in bewaffneten Konflikten zu unterlassen, ihre Entsprechung im internationalen Flüchtlingsrecht im Fall von Personen, die eine Bestrafung zu gewärtigen hätten, weil sie die von ihnen gemäß Völkerrechts erwartete Zurückhaltung geübt hätten. Selbst wenn man jedoch die Erfüllung eines Anknüpfungsmerkmales im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG verlangen würde, so läge ein solches in der sozialen Gruppe von Männern, die sich der Einberufung oder Mobilisierung entzogen hätten. Den diversen sachverständigen Berichten, Auskünften und Stellungnahmen könne auch nicht die eigene „Lebenserfahrung“ entgegengehalten werden. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof habe insoweit zutreffend ausgeführt, dass der syrische Staat in Anbetracht der unbeschreiblichen Menschenrechtsverstöße ein willkürlich handelndes Unrechtssystem darstelle, das sich der Messung an Maßstäben wie der Lebenserfahrung entziehe. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass der UNHCR von Gerichten weltweit als maßgebliche Instanz zitiert werde und ihm unstreitig eine Aufsichtsfunktion über die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention zukomme. Auch ein internationaler Rechtsvergleich ergebe, dass der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen sei, wenn der Flüchtling den Wehrdienst verweigere, um derzeit oder in einem späteren Kriegsfall keine Kriegsverbrechen begehen zu müssen. Ergänzend wird auf den Schriftsatz der Klägervertreterin vom 2. Januar 2018 Bezug genommen.

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Der Kläger beantragt,

14

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 15. März 2017 (Az: 16 A 5081/16) und des Bescheides vom 30. August 2016 - soweit dieser entgegensteht - die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

17

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, aus der Quellenlage lasse sich nicht tragfähig ableiten, dass im Rahmen der Einreisekontrollen oder in der Folgezeit wehrdienstpflichtige Rückkehrer, die bislang noch keinen Einberufungsbefehl erhalten hätten, deshalb mit dem Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen befürchten müssten, weil sie nun im militärpflichtigen Alter zurückkehrten. In den vom Kläger angeführten Erkenntnisquellen werde insoweit letztlich übereinstimmend nur ausgeführt, dass Verfolgungsfälle überwiegend im Zusammenhang mit oppositionellen Aktivitäten oder einem nicht abgeleisteten Wehrdienst stünden. Den Quellen fehle jede nähere zahlenmäßige Konkretisierung. Dabei sprächen andere Quellen erkennbar gegen eine hinreichende Gefährdung. Denn laut Schätzungen der Vereinten Nationen und der Regierungen der Länder, die Flüchtlinge aufgenommen hätten, reisten jedes Jahr Hunderttausende von Flüchtlingen nach Syrien, die meisten, um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen würden. Eine solch umfangreiche Reisetätigkeit zeige, dass die in den benachbarten Ländern lebenden syrischen Flüchtlinge trotz des extrem repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgingen, im Rahmen der auch an den übrigen Grenzübergängen zu Syrien strengen Grenzkontrollen keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Es liege dabei nahe, dass solche zeitweisen Rückreisen nicht nur Frauen und nicht bzw. nicht mehr wehrdienstpflichtige Männer unternähmen, sondern dass sich unter diesen zeitweisen Rückkehrern auch ein erheblicher Anteil an grundsätzlich wehrdienstpflichtigen Männern befinde, jedenfalls soweit diese noch nicht einberufen worden seien. Aus den klägerischen Ausführungen sei zudem nicht erkennbar, dass die Ableistung des Militärdienstes zwangsläufig als Teilnahme an Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtswidrigen Handlungen einzustufen sei. Die Einberufung zu einer bestimmten Einheit, deren Angehörige allesamt durch die Ausübung ihrer Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung von Kriegsverbrechen zumindest unerlässliche Unterstützung leisten würden, sei weder behauptet noch nach den Umständen des Einzelfalls naheliegend. Trotz der Berichte über völkerrechtswidrige Handlungen zeige sich nach der Auskunftslage kein Bild von einem landesweit in solchem Ausmaß praktizierten Vorgehen, dass jedweder Militärangehörige bereits durch seinen Dienst zwangsläufig eine unerlässliche Unterstützung für die Vorbereitung oder für die Durchführung dieser Verbrechen leisten müsste bzw. würde. Auch nach der vom Kläger zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes sei es erforderlich, dass bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheine, dass der Betreffende durch die Ausübung seiner Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leiste. Nicht zu teilen sei die Auffassung des Klägers, dass es bei einer Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG keines festzustellenden Verfolgungsgrundes bedürfe, mit dem die Verfolgungshandlung verknüpft sei. Das Gegenteil ergebe sich ohne weiteres aus der eindeutigen gesetzlichen Regelung in § 3a Abs. 3 AsylG. Im Übrigen erfordere die tragfähige Prognoseerstellung, dass eine wenngleich notwendig hypothetische, so doch möglichst realitätsnahe Rückkehrsituation zugrunde gelegt werde. Von daher könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass dem Kläger bereits der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt sei, er daher allein dann einer Einreiseüberprüfung durch die syrischen Sicherheitskräfte ausgesetzt sein könne, wenn er freiwillig zurückkehre. Es sei nicht anzunehmen, dass die syrischen Sicherheitskräfte dem (hypothetisch) freiwillig zurückkehrenden Kläger eine oppositionelle Gesinnung unterstellen würden.

18

Hinsichtlich des Vortrags der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung, insbesondere in Bezug auf die Anhörung des Klägers, wird ergänzend auf das Protokoll Bezug genommen. Das Gericht hat u.a. die das Asylverfahren der Schwester des Klägers betreffende Akte beigezogen. Die vom Gericht beigezogenen Akten sowie die im Protokoll der mündlichen Verhandlung näher genannten Erkenntnisquellen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige, insbesondere fristgerecht begründete Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu.

A.

20

Die Klage ist zulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis für die auf Gewährung des Flüchtlingsstatus gerichtete Verpflichtungsklage bei vorhandenem subsidiärem Schutzstatus ist im Hinblick auf die unterschiedliche Ausgestaltung des nachfolgenden Aufenthaltsstatus (vgl. Aufenthaltsstatus nach § 25 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. [Flüchtling] oder 2. Alt. [subsidiärer Schutz] AufenthG; § 26 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG) sowie dessen Verfestigungsmöglichkeiten (vgl. § 26 Abs. 3 und 4 AufenthG) unzweifelhaft gegeben (vgl. auch: OVG Lüneburg, Urt. v. 27.6.2017, 2 LB 91/17, juris Rn. 24).

B.

21

Die Klage ist nicht begründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 3 Abs. 1 AsylG zu.

22

In großen Teilen Syriens herrscht ein komplexer Bürgerkrieg (vgl. insgesamt: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - nachfolgend: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bzw. BFA -, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Syrien, v. 5.1.2017, G 26/17; IFK [das Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement - IFK - ist eine Forschungsabteilung der Landesverteidigungsakademie, der höchsten Lehr- und Bildungsstätte des Österreichischen Bundesheeres], Fact Sheet Syrien, Nr. 59 – 65 v. 10.02.2017, 27.03.2017, 28.04.2017, 09.06.2017, 25.07,2017, 15.09.2017, 13.10.2017). Daran beteiligt sind eskalierend seit 2011 neben einer sehr großen Anzahl kleinerer Gruppierungen nach derzeitigem Erkenntnisstand folgende größere Machtblöcke:

23

- der syrische Staat mit verschiedenen z.T. selbständig agierenden regierungsfreundlichen syrischen Milizen; diese werden durch Russland und den Iran sowie dem Iran nahestehende bzw. von diesem finanzierte überwiegend schiitische Milizen gestützt,

24

- unterschiedlich ausgeprägte islamistische Gruppierungen, die u.a. die Rebellenallianz der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) gebildet haben, von denen ein Teil mit der Unterstützung der Türkei im Nordwesten Syriens agiert,

25

- der Islamische Staat (Al-Dalls al-Islamiyaa -DAISH; nachfolgend: IS), sowie

26

- die Volksverteidigungseinheiten der kurdischen Partiya Yekitiya Demokrat (Partei der demokratischen Union, PYD), die durch die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützt werden.

27

Diese Akteure stehen wieder in Allianzen mit anderen kleineren Verbänden. Die „Frontlinien“ sind nicht scharf abtrennbar, jede Gruppe verfolgt ihre eigenen Interessen, die sich teilweise mit denen anderer Gruppierungen überlappen können (vgl. Gerlach, „Was geschieht in Syrien“, Bundeszentrale für politische Bildung, Aus Politik und Zeitgeschichte, 8/2016 S. 6 ff.). Die örtlichen Grenzverläufe unterliegen bisher einem ständigen Wandel (vgl. auch: Auswärtiges Amt [AA] v. 2.1.2017 an VG Düsseldorf, Az.508-9-516.80/48808, zu 5 K 7480/16.A, 2017/1; Deutsches Orient-Institut [DOI] v. 22.2.2017 an VGH Baden-Württemberg, G 1/2017; DOI, v. 1.2.2017 an Hessischen VGH, G 6/17). Im Mai 2017 wurden unter der Vermittlung Russlands, des Irans und der Türkei vier Deeskalationszonen eingerichtet (Idlib, Nord-Hama, Nord-Damaskus, Südsyrien), in denen die Kampfhandlungen zunächst für sechs Monate eingestellt werden sollten. Dennoch kam es in einigen Deeskalationszonen weiterhin zu deutlichen Kampfeinsätzen. Im Laufe des Jahres 2017 ist der Einflussbereich des durch den IS kontrollierten Gebiets erheblich zurückgedrängt worden. Nach Pressemeldungen hat Russland den Krieg gegen den IS Anfang Dezember 2017 für beendet erklärt; kurz darauf erklärte der Irak den IS für besiegt. Seitdem scheint es zu einer Konsolidierung der Machtbereiche des syrischen Regimes und der durch die Volksverteidigungseinheiten der kurdischen PYD kontrollierten Gebiete zu kommen (Truppendienst - herausgegeben vom Bundesminister für Landesverteidigung, Österreich -, Der syrische Bürgerkrieg - Update 06 12 2017). Der UNHCR (Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien von Februar 2017, Deutsche Version April 2017, G 7/17) spricht u.a. davon, dass „Regierungskräfte und ISIS ... weiterhin Verbrechen gegen die Menschlichkeit (begehen). Es werden hemmungslos Kriegsverbrechen begangen“ (vgl. Fn. 102). Diese Einschätzung ist im Wesentlichen gestützt auf die Berichte der im August 2011 von der vom Menschenrechtsrat der Generalversammlung der Vereinten Nationen (Human Rights Council der UN-Generalversammlung, UNHRC, nachfolgend: HRC) eingesetzten unabhängigen Untersuchungskommission betreffend die Arabische Republik Syrien (Independant International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic; nachfolgend: COI; u.a. Berichte vom 8.8.2017 - Fassung 6.9.2017 -, A/HCR/36/55, G 25/17; v. 10.3.2017, A/HRC/34/CRP.3, G 24/17; v. 2.2.2017, A/HRC/34/64, G 14/17; v. 11.8.2016, A HRC/33/55, G 14/16).

28

Der Machtbereich des Assad-Regimes ist gekennzeichnet durch ein System von Geheimdiensten, die versuchen, vom Assad-Regime abweichende Stimmen zu unterdrücken. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führt zu diesen aus (BFA v. 5.1.2017, G 26/17, S. 17):

29

„Syrien verfügt über eine Myriade von Sicherheits- und Geheimdiensten mit überlappenden Mandaten zur Sammlung von Informationen über die innere Sicherheit. Diese Einheiten können Gegner des Regimes festnehmen und neutralisieren (...). Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen (...).

30

Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste. Der Militärische Nachrichtendienst, der Luftwaffennachrichtendienst und das Direktorat für Politische Sicherheit unterstehen dem Innenministerium. Das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat ist eine alleinstehende Organisation und untersteht direkt dem Präsidenten. Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken Stimmen innerhalb Syriens, die vom Regime abweichen (...). Der Staatssicherheitsapparat wird verwendet, um den Aufstand zu unterdrücken (...). Die größeren Organisationen haben ihre eigenen Gefängniszellen und Verhörzentren (...).“

31

Eine homogene bürgerliche Zivilgesellschaft und ein Verständnis von Staat als Solidaritätsgemeinschaft gibt es in Syrien eher nicht. Im Vordergrund steht regelmäßig der Zusammenhalt über den Clan/den Stamm. Besonders riskant ist diese Situation jeweils für diejenigen, die in ihrem Aufenthaltsbereich von Bevölkerungsgruppen mit anderen Merkmalen dominiert werden, und für diejenigen, die ohnehin im Verhältnis zu ihren Mitbürgern „schwach“ sind. Hinzu kommt, dass die Eingruppierung als Täter bzw. als Opfer in einer solchen Bürgerkriegssituation schwankend sein kann, je nachdem, in welchem Umfeld sich der Betreffende gerade behaupten muss.

32

In diesem Gesamtkontext hat die Beklagte dem Kläger den subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG zuerkannt, da davon auszugehen sei, dass dem Kläger bei Rückkehr nach Syrien ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG drohe, d.h. eine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vorliege.

33

Vorliegend ist allein die davon zu trennende Frage der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 3 Abs. 1 AsylG Streitgegenstand. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt über die zuvor bestehende Gefahr hinausgehend voraus, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich eine zielgerichtete Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe droht; aufgrund des dem Kläger gewährten subsidiären Schutzstatus ist eine Rückkehr dabei nur gedanklich - hypothetisch - zu unterstellen.

34

Zur Überzeugung des Gerichts sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus (nachfolgend I.) nicht erfüllt. Der Kläger ist unverfolgt aus Syrien ausgereist (nachfolgend II.). Ihm droht bei einer gedanklich zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien nach der Erkenntnislage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung keine Verfolgungshandlung - Inhaftierung oder Rekrutierung - wegen eines die Flüchtlingseigenschaft begründenden Verfolgungsgrundes, weil er sich dem Wehrdienst entzogen hat (nachfolgend IV.), oder wegen anderer Anknüpfungspunkte, wie u.a. seines sunnitischen Glaubens (nachfolgend III.). Ihm ist auch nicht der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, weil ihm aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG beschriebenen flüchtlingsrelevanten Anknüpfungsmerkmalen Bestrafung oder Strafverfolgung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt droht, in dem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 3 Abs. 2 AsylG ausschließen würden (wie z.B. Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit), vgl. §§ 3 Abs. 1 i.V.m. 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG (nachfolgend V.).

I.

35

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftslands) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt demnach die begründete Furcht vor einer Verfolgungshandlung voraus, die wegen eines für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft relevanten Verfolgungsgrundes erfolgt.

36

Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG sind Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, u. a. der Staat oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.

37

Zwischen den Verfolgungsgründen und Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich z.B. die religiösen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Für den Bereich des Asylrechts hat das Bundesverfassungsgericht diese Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund dahingehend konkretisiert, dass es für eine politische Verfolgung ausreiche, wenn der Ausländer der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Unerheblich ist dabei, ob der Betreffende aufgrund der ihm zugeschriebenen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung (überhaupt) tätig geworden ist (BVerfG, Beschl. v. 22.11.1996, 2 BvR 1753/96, juris, Rn. 5; BVerwG, Beschl. v. 27.4.2017, 1 B 63.17, 1 PKH 21 PKH 23.17, juris Rn. 11). Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.1.2009, 10 C 52.07, BVerwGE 133, 55, Rn. 22, 24; Marx, AsylG, 9. Auflage 2017, § 3a Rn. 50 ff.).

38

Eine „begründete Furcht“ vor Verfolgung liegt vor, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23.12, BVerwGE 146, 67, juris Rn. 19). Der danach maßgebliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Zu bewerten ist letztlich, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint; insoweit geht es also um die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urt. v. 6.3.1990, 9 C 14.89, BVerwGE 85, 12, juris Rn. 13). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. Ergeben die Gesamtumstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung, wird ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (BVerwG, Urt. v. 5.11.1991, 9 C 118.90, BVerwGE 89, 162, juris Rn. 17). Auch in solchen Fällen müssen aber die festgestellten Verfolgungsfälle nach Intensität und Häufigkeit zur Größe der Zahl der Verfolgten als ins Gewicht fallend angesehen werden können, wenn das Anknüpfungsmerkmal für eine mögliche Verfolgung auf eine Vielzahl von Personen zutrifft (hier: Entziehung vor Einberufung bzw. Wehrdienstverweigerung); es muss dann also - vergleichbar einer Gruppenverfolgung - eine entsprechende Verfolgungsdichte vorliegen. Hiervon kann nur dann abgesehen werden, wenn ein staatliches Verfolgungsprogramm besteht, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht und das deshalb hinreichend wahrscheinlich eine Verfolgung erwarten lässt (vgl. Berlit, ZAR 2017, 110, 115 m.w.N.; vgl. zur Gruppenverfolgung, Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit und gruppengerichteter Verfolgung: Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Auflage 2012, § 30 Rn. 8 ff. ). Die Schwere des befürchteten Eingriffs kann dabei je nach Einzelfall, insbesondere im Zusammenhang mit willkürlich handelnden Staatsmächten, nur bedingt Erkenntnisse zur Gerichtetheit der Verfolgung geben. Dabei entspricht die zunächst zum nationalen Recht entwickelte Rechtsdogmatik zur Frage der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ auch dem neueren europäischen Recht, welches hierfür den Begriff des „real risk“ verwendet (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.6.2011, 10 C 25.10, BVerwGE 140, 22, juris Rn. 22; Berlit, ZAR 2017, 110, 117).

39

Bei der Bewertung, ob die im Einzelfall festgestellten Umstände eine die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG rechtfertigende Verfolgungsgefahr begründen, ist zwischen der Frage, ob dem Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung gemäß den §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG droht, und der Frage einer ebenfalls beachtlich wahrscheinlichen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund zu unterscheiden.

40

Beim Flüchtlingsschutz gilt für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU, nicht (mehr) durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.6.2011, 10 C 25.10, BVerwGE 140, 22, juris Rn. 21 f.; vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 4.5.2017, 14 A 2023/16.A, NVwZ 2017, 1218, juris Rn. 21 f., OVG Saarlouis, Urt. v. 11.3.2017, 2 A 215/17, NVwZ-RR 2017, 588, juris Rn. 19; Berlit, ZAR 2017, 110 ff.)

41

Hinsichtlich der Anforderungen an den Klägervortrag muss unterschieden werden zwischen den in die eigene Sphäre des Asylsuchenden (bzw. hier: des um Flüchtlingsschutz Nachsuchenden) fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, und den in den allgemeinen Verhältnissen seines Herkunftslandes liegenden Umständen, die seine Furcht vor Verfolgung rechtfertigen sollen.

42

Lediglich in Bezug auf erstere muss er eine Schilderung geben, die geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen. Dabei ist die besondere Beweisnot des nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts mit der materiellen Beweislast beschwerten Klägers zu berücksichtigen, dem häufig die üblichen Beweismittel fehlen. Insbesondere können in der Regel unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Daher kann den eigenen Erklärungen des Klägers größere Bedeutung beizumessen sein, als dies meist sonst in der Prozesspraxis bei Bekundungen einer Partei der Fall ist. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu. Zur Anerkennung kann schon allein sein Tatsachenvortrag führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne "glaubhaft" sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Dem Klagebegehren darf jedenfalls nicht mit der Begründung der Erfolg versagt werden, dass neben der Einlassung des Schutzsuchenden keine Beweismittel zur Verfügung stehen. Der Richter ist aus Rechtsgründen schon allgemein nicht daran gehindert, eine Parteibehauptung ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen; das gilt für Asylverfahren (bzw. wie hier in Verfahren auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft) mit seinen typischen Schwierigkeiten, für das individuelle Schicksal des Antragstellers auf andere Beweismittel zurückzugreifen, in besonderem Maße. Einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO wird der Richter hierdurch jedoch nicht enthoben. Das Fehlen von Beweismitteln mag die Meinungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss - wenn nicht anders möglich - in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Kläger glaubt (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.1981, 9 C 251.81, InfAuslR 1982, 156; Urt. v. 22.3.1983, 9 C 68.81, juris Rn. 5; Urt. v. 16.4.1985, 9 C 109.84, BVerwGE 71, 180, juris Rn. 16; OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016, 1 A 10922/16, juris Rn. 32; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Auflage, S. 289).

43

Hinsichtlich der allgemeinen politischen Verhältnisse im Herkunftsland reicht es hingegen wegen seiner zumeist auf einen engeren Lebenskreis beschränkten Erfahrungen und Kenntnisse aus, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, aus denen sich - ihre Wahrheit unterstellt - hinreichende Anhaltspunkte für eine nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung für den Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland ergeben (BVerwG, Urt. v. 24.11.1981, 9 C 251.81, InfAuslR 1982, 156; Urt. v. 22.3.1983, 9 C 68.81, juris; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Auflage, S. 288 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: 3/2017, B 1 Rn. 255). Hier ist es Aufgabe der Beklagten und der Gerichte, unter vollständiger Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen, die Gegebenheiten im Herkunftsstaat aufzuklären und darauf aufbauend eine von Rationalität und Plausibilität getragene Prognose zu treffen (Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, aaO., S. 295 f.).

44

In Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsland sind die Gerichte regelmäßig darauf angewiesen, sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher Erkenntnisse gleichsam mosaikartig ein Bild zu machen. Da Abschiebungen nach Syrien jedenfalls seit 2012 nicht mehr erfolgen, hat die Prognose, ob bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG droht, - wie oben dargelegt - aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Umstände zu erfolgen.

45

Führt diese Betrachtung zu keinem für den Schutzsuchenden günstigen Ergebnis, verbleibt es bei allgemeinen Beweislastregeln. Die humanitäre Schutzrichtung des Asyl- und Flüchtlingsrechts gebietet weder eine Umkehr der objektiven Beweislast noch eine Folgenabwägung im Sinne eines „better safe than sorry“ (vgl. hierzu Ellerbrok/Hartmann, NVwZ 2017, 522, 523). Diesem Ansatz kann vorliegend auch deshalb nicht gefolgt werden, weil es allein um die genaue Ausprägung des Schutzstatus, nicht aber um das Ob der Schutzgewährung geht. Eine denkbare gerichtliche Fehlbeurteilung bei der Frage der Gewährung des Flüchtlingsstatus birgt kein persönliches Risiko für den Schutzsuchenden, weil er infolge des zuerkannten subsidiären Schutzes nachhaltigen Schutz genießt und nicht in Gefahr ist, nach Syrien zurückkehren zu müssen. Die hypothetische Rückkehr ist vielmehr im Rahmen der vorzunehmenden rechtlichen Bewertung ein allein gedanklicher Ansatz, der der Sicherstellung eines einheitlichen Prüfungsmaßstabs geschuldet ist. Gefahrenperpetuierende Auswirkungen kann eine fehlerhafte Verneinung einer politischen Verfolgung allerdings für Angehörige des Schutzsuchenden haben, die derzeit befristet von einem Nachzug ausgeschlossen sind.

46

Nach Auffassung des Senats ist der dargelegte Wahrscheinlichkeitsmaßstab auch dann anzuwenden, wenn ein effektiver Menschenrechtsschutz bereits durch die Gewährung des subsidiären Schutzstatus gewährleistet ist (zweifelnd, aber offen gelassen: VGH Mannheim, Urt. v. 21.8.2017, A 11 S 513/17, S. 13 UA, juris).

47

Unter Anwendung dieser Maßstäbe steht dem Kläger kein Anspruch auf Gewährung des Flüchtlingsstatus zu.

II.

48

Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Nach seinen eigenen Angaben hat er Syrien über den Flughafen Damaskus offiziell und ohne Probleme verlassen.

49

Eine beachtliche Verfolgung wegen seiner tscherkessischen Volkszugehörigkeit ist nicht vorgetragen. In seiner Anhörung beim Bundesamt hat der Kläger vorgebracht, dass er wegen seiner Volkszugehörigkeit nicht wirklich Probleme gehabt habe. Er sei schon einmal angesprochen worden, was er denn in Syrien wolle, das seien aber keine Probleme gewesen (Bl. 81 Beiakte A). In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat er ausgeführt, im „Dorf“ seien die Leute nicht nett zu den Tscherkessen gewesen. Militär und Zivilleute hätten sie für Verräter gehalten. Auch diesem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung ist keine beachtliche Verfolgungshandlung zu entnehmen. Zudem steht dem entgegen, dass der Vater des Klägers Beamter war und die Familie nach Angaben des Klägers im Jahr 2013 nach Damaskus gezogen ist und dort vom Assad-Regime unbehelligt gelebt hat; sie ist damit aus dem von der Freien Syrischen Armee gehaltenen Gebiet weggezogen in ein Gebiet, das durch das Assad-Regime gehalten wird. Seine Eltern und sein Bruder leben weiterhin in Damaskus. Von aktuellen Verfolgungshandlungen gegen seine in Damaskus lebenden Familienangehörigen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht berichtet.

III.

50

Der Senat hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass dem Kläger bei einer gedanklich zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich erhebliche Merkmale wegen seiner Ausreise, der erfolgten Asylantragstellung, seines längeren Aufenthalts im westlichen Ausland, seiner Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben, seiner tscherkessischen Volkszugehörigkeit oder/und seiner Abstammung aus der Region Qunaitra - einer seit ca. 2012 von der Freien Syrischen Armee gehaltenen Region - droht. Der Senat sieht es nicht als beachtlich wahrscheinlich an, dass dem Kläger wegen der zuvor genannten Umstände - einzeln oder in ihrer Gesamtheit - durch staatliche Stellen eine regimefeindliche Haltung unterstellt wird.

51

Dass Rückkehrer (gegenwärtig nur aus dem arabischen Raum, zu dem noch Flugverbindungen bestehen) am Flughafen von Damaskus und ggfls. Latakia intensiven Kontrollen ausgesetzt werden und dass Personen, bei denen der Verdacht besteht, dass diese gegen das Assad-Regime eingestellt sind oder sich oppositionell betätigt haben, den Flughafen nicht wie beabsichtigt wieder verlassen können und ihnen Folter und schlimmste Misshandlungen drohen, wird allgemein angenommen und dürfte hinreichend gesichert sein (vgl. Amnesty International - AI -, Report 2017, Syrien, v. 19.2.2017, G 16/17; AI, Human Slaughterhouse, v. Februar 2017, G 15/17; AI, It breaks the human – torture, disease and death in Syria’s prisons, v. August 2016, G 13/16; Human Rights Watch – HRW -: Syrien: Die Geschichten hinter den Fotos getöteter Gefangener - Opfer auf den „Ceasar“-Fotos -, Dezember 2015, G 21/16; ECCHR, Sondernewsletter Menschenrechtsverbrechen in Syrien, Teil I: Folter unter Assad, Strafanzeige in Deutschland gegen hochrangige Angehörige der syrischen Geheimdienste, Oktober 2017, G 48/17; ECCHR, Portraits, Strafanzeige von syrischen Folterüberlebenden zu Folter durch Syriens Luftwaffengeheimdienst, November 2017, G 47/17).

52

1. Der Senat hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass dem Kläger im Hinblick auf seine Ausreise, die erfolgte Asylantragstellung, seinen längeren Aufenthalt im westlichen Ausland, seine Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben und/oder seine Abstammung aus einer Region, die von regierungsfeindlichen Gruppen gehalten wird (hier: Qunaitra), bei Rückkehr nach Syrien eine (Verfolgungs-)Handlung i.S.d. § 3a AsylG - hier: Befragung mit der konkreten Gefahr einer Verhaftung und/oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung - beachtlich wahrscheinlich droht (die Gefahr einerVerfolgungshandlung mit beachtlichen Gründen verneinend: OVG Münster, Urt. v. 21.2.2017, 14 A 2316/16, DVBl. 2017, 639, juris, Rn. 35 ff.; aufgrund der Zweifel eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungshandlung verneinend: OVG Lüneburg, Urt. v. 27.6.2017, 2 LB 91/17, juris Rn. 44; Beschl. v. 12.9.2017, 2 LB 750/17, juris Rn. 40; zweifelnd, aber offenlassend: OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016, 1 A 10922/16, juris Rn. 48 ff., OVG Saarlouis, Urt. v. 2.2.2017, 2 A 515/16, juris Rn. 22; zuletzt v. 17.10.2017, 2 A 365/17, juris Rn. 22; offen gelassen zur einer rückkehrenden Syrerin: VGH Mannheim, Urt. v. 21.8.2017, A 11 S 513/17, S. 13 Urteilsabdruck - UA- in juris).

53

Dem Senat liegt keine hinreichend dichte Erkenntnislage vor, auf die die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Verfolgungshandlung gestützt werden könnte. Über die Behandlung von Rückkehrern nach Syrien liegen dem UNHCR (Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien, von Februar 2017, deutsche Übersetzung von April 2017, G 7/17, S. 5) „kaum konkrete Informationen“ vor. Dem Auswärtigen Amt (Auskunft v. 2.1.2017 an VG Düsseldorf, zu 5 K 7221/16.A, Az.: 508-9-516.80/48840, 2017/2; v. 7.11.2016 an das OVG Schleswig, 2016/4) liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass unverfolgt Ausgereiste nach Rückkehr systematisch befragt werden.

54

Der UNHCR (April 2017, G 7/17, S. 15 ff.) sieht Personen, die aus einem Ort stammen, der in einem Gebiet liegt, das sich derzeit oder vormals unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen befindet oder befand, in der Gefahr, Opfer von Verfolgung durch das Assad-Regime zu werden. Die dort benannten Referenzfälle (vgl. Fn. 75, 78 - 83) beziehen sich überwiegend auf Angriffe auf die Zivilbevölkerung im Rahmen von Rückeroberungen von Gebieten durch die Regierungstruppen - wie z.B. die Angriffe auf die Zivilbevölkerung in Ost-Aleppo oder Ar Raqqah während der Belagerung -, auf die Rückführung von Bevölkerung aus belagerten Gebieten aus von Regierungstruppen eingenommenen Nachbarorten sowie auf Personen, die regierungsfeindlichen Gruppen Schutz geboten oder die Informationen über regierungsfeindliche Personen haben könnten, etwa im Rahmen von Verhaftungswellen unmittelbar nach der Rückeroberung von Gebieten durch die Regierungstruppen. In einer ähnlichen Situation befindet sich der ins Ausland geflüchteten Kläger, der sich seit ca. 2 Jahre außerhalb Syriens aufhält, nicht. Gegen eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgung allein in Anknüpfung an den sunnitischen Glauben sowie die Herkunft aus einer Region, die von regierungsfeindlichen Gruppen gehalten wird, spricht auch die Vielzahl von Binnenvertriebenen. Bei Beginn des Bürgerkrieges waren ca. drei Viertel der syrischen Bevölkerung sunnitischen Glaubens (AA, Lagebericht vom 27.9.2010, 2010/4). Angesichts dessen dürfte eine Vielzahl der 6,3 Millionen binnenvertriebenen Syrer (UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic, update V, HCR/PC/SYR/17/01, November 2017, G 35/17, S. 7) sunnitischen Glaubens sein und ursprünglich aus Regionen stammen, die derzeit oder zeitweise während des Bürgerkrieges in der Hand regierungsfeindlicher Gruppen sind bzw. waren. Von diesen sind im 1. Halbjahr 2017 ca. 440.000 in ehemals von regierungsfeindlichen Gruppen gehaltene Gebiete zurückgekehrt, insbesondere nach Aleppo, Hama, Homs und Damaskus (UNHCR, „UNHCR meldet Anstieg bei Rückkehrern nach Syrien“, v. 30.6.2017, G 21/17, S. 2).

55

Zweifel an einer Verfolgung von aus dem Ausland zurückkehrenden Asylbewerbern sunnitischen Glaubens, die aus Gebieten stammen, die derzeit oder ehemals unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen Gruppen stehen oder standen, ergeben sich zudem angesichts der ständig gestiegenen Zahl - derzeit insgesamt ca. 6,4 Millionen - der in den letzten Jahren aus Syrien Geflohenen (Ende 2011: 19.900; Ende 2012: rund 728.000; Ende 2015: rund 4.800.000; zitiert nach OVG Lüneburg, Urt. v. 27.6.2017, 2 LB 91/17, juris Rn. 44; Ende 2017 - rund 5,44 Mio. in die Nachbarstaaten der Region und zusätzlich ca. 1 Mio. in Staaten des westlichen Europas, vgl. UNHCR, Syria, Regional Refugee Response, abgerufen am 13.12.2017, G 36/17). Dies ist mehr als ein Viertel der Bevölkerung von rd. 22 Millionen Einwohnern Syriens bei Beginn des Bürgerkrieges (vgl. AA, Länderinformation Syrien, August 2016, 2016/1). Auf die weit überwiegende Zahl der ins Ausland Geflüchteten werden die oben genannten Kriterien zutreffen.

56

Des Weiteren ergeben sich Zweifel an einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgung jedes Rückkehrers bzw. einer beachtlichen Größenordnung von Rückkehrern aus der nicht geringen Zahl freiwilliger Rückkehrer aus dem Ausland. So sollen im August 2015 mehrere tausend Personen über die syrisch-jordanische Grenze zurückgekehrt sein und im Juli 2015 rd. 2300 aus dem Irak (vgl. SFH, Syrien: Rückkehr, v. 21.3.2017, G 5/17, S. 4; DOI, v. 22.2.2017, G 1/17; DOI, Auskunft an VGH Kassel v. 1.2.2017, G 6/17, S. 1). Andere Berichte (vgl. Immigration and Refugee Board of Canada - IRB -, Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, v. 19.01.2016, G 5/16, S. 2 - zitiert nach der deutschen Übersetzung -) gehen davon aus, dass „Hunderttausende von Flüchtlingen jedes Jahr nach Syrien reisen, meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen“. Nach Angaben des UNHCR (v. 30.6.2017, G 21/17) sind seit 2015 insgesamt 260.000 syrische Flüchtlinge aus den angrenzenden Nachbarländern nach Syrien zurückgekehrt, davon die meisten aus der Türkei in den Norden Syriens; im 1. Halbjahr 2017 sind 31.000 Syrer aus den angrenzenden Nachbarländern nach Syrien zurückgekehrt. Die vielfach beobachtete Land-Einreise über die Staatsgrenzen (u.a. aus Jordanien, Irak, Türkei) lässt zwar keine zwingenden Rückschlüsse auf die Umstände einer Einreise über den für Rückkehrer derzeit vor allem in Betracht zu ziehenden Flughafen Damaskus, ggfls. auch den Flughafen Latakia (vgl. SFH v. 21.3.2017, G 5/17, S. 6) zu, sie zeigt aber, dass diese Personen trotz der vorherigen Flucht das Risiko einer Rückkehr auf sich genommen haben.

57

Das Auswärtige Amt (v. 2.1.2017, 2017/2) führt ebenfalls aus, dass ihm Fälle bekannt sind, in denen syrische Staatsangehörige nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus dem Bundesgebiet für mehrere Monate nach Syrien zurückgekehrt sind.

58

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das vorstehend Ausgeführte noch in verstärktem Maße gelten würde, wenn im Rahmen einer gedanklichen Rückkehrsituation zu berücksichtigen wäre, dass die Situation, in der sich der Kläger befindet, auf eine Vielzahl von ins Ausland geflüchteten Syrern zutrifft und daher gedanklich die Rückkehr einer Vielzahl dieser Personen zu unterstellen wäre.

59

2. Der Senat hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass dem Kläger bei Rückkehr nach Syrien im Hinblick auf seine tscherkessische Volkszugehörigkeit eine (Verfolgungs-)Handlung i.S.d. § 3a AsylG beachtlich wahrscheinlich droht.

60

Hiergegen spricht bereits, dass der Kläger unverfolgt ausgereist ist, die Familie des Klägers weiterhin in Damaskus lebt und der Kläger auch in Bezug auf diese nicht von Verfolgung berichtet hat. Aus der von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht eingereichten Anfragebeantwortung von ACCORD vom 21. Mai 2014 ergeben sich für den Senat keine anderen Erkenntnisse. Diese lässt eher den Schluss zu, dass dem Kläger durch das Assad-Regime aufgrund der tscherkessischen Volkszugehörigkeit keine Regimegegnerschaft zugeschrieben wird. Dort wird die Einschätzung wiedergegeben, dass sich das Assad-Regime auf die Loyalität der Minderheiten in Syrien habe verlassen können, zu denen auch das Volk der Tscherkessen zähle. Unter Baschar al-Assad habe es sogar einen tscherkessischen General gegeben, der zum Innenminister ernannt worden sei. Die Unterstützung des Assad-Regimes durch die Tscherkessen schwinde aber im Laufe des Bürgerkrieges. Auch die Tscherkessen müssten im Bürgerkrieg u.a. durch die Kriegshandlungen im Bereich der von Tscherkessen besiedelten Golanhöhen Partei ergreifen und sich auf die Seite des Assad-Regimes oder die Seite anderer Bürgerkriegsparteien stellen. Über die Lage von nach Syrien zurückkehrenden Tscherkessen lägen keine Informationen vor.

61

In Übereinstimmung mit der so beschriebenen Situation der Tscherkessen ist die Familie des Klägers wegen der Kriegshandlungen in der Region Qunaitra nach Angaben des Klägers im Jahr 2013 von dort nach Damaskus verzogen. Sie haben sich damit in ein Gebiet begeben, das durch das Assad-Regime gehalten wird und damit - wenn überhaupt - zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht auf Seiten der regimefeindlichen Kräfte stehen. Dass sich nach Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Familie des Klägers nicht umgemeldet habe, ändert daran nach Einschätzung des Senats nichts. Zudem bestehen an der Richtigkeit dieser Einlassung des Klägers durchgreifende Zweifel. Insoweit wird auf die Ausführungen hierzu unter IV. 2. c) Bezug genommen.

62

3. Selbst wenn das Gericht die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG bei Rückkehr bejahte, fehlt es an der beachtlichen Wahrscheinlichkeit bezüglich der nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG. Um als Flüchtling anerkannt zu werden, müsste zu einer Verfolgungshandlung hinzukommen, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit diese Verfolgungshandlung aus flüchtlingsrelevanten Verfolgungsgründen i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erfolgt. Die dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen lassen einen solchen hinreichend verlässlichen Schluss auf das Bestehen der notwendigen Verknüpfung nicht zu.

63

a) Es lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass das Assad-Regime mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jedem unverfolgt für längere Zeit ausgereisten syrischen Staatsbürger, der im Ausland ein Asylverfahren betrieben hatte und wieder zurückkehrt, pauschal unterstellt, ein Regimegegner zu sein bzw. in Verbindung mit oppositionellen Kreisen im Exil zu stehen, sofern nicht besondere, individuelle gefahrerhöhende Merkmale vorliegen (wie hier auch: OVG Münster, Urt. v. 21.2.2017, 14 A 2316/16.A, DVBl. 2017, 639, juris; Urt. v. 4.5.2017, 14 A 2023/16.A., NVwZ 2017, 1218, juris; OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016, 1 A 10922/16, juris; OVG Saarlouis, Urt. v. 2.2.2017, 2 A 515/16, juris; Urt. v. 17.10.2017, 2 A 365/17, juris; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.9.2017, 2 LB 750/17, juris; zu einer Syrerin: VGH Mannheim, Urt. v. 21.8.2017, A 11 S 513/17, S. 13 UA, juris; OVG Schleswig, Urt. v. 23.11.2016, 3 LB 17/16, juris; VGH München, Urt. v. 12.12.2016, 21 B 16.30338, juris; a.A. UNHCR, v. 04/2017, G 7/17, S. 30; allerdings führt der UNHCR diese Gruppe im Bericht vom November 2017, G 35/17, S. 35 f. -, nicht mehr auf).

64

Allerdings entsprach es für die Zeit vor Ausbruch der Unruhen in Syrien und bis in die Anfangszeit des Bürgerkriegs hinein wohl weitgehend gesicherter Erkenntnis, dass nach der ständigen Praxis der syrischen Sicherheitskräfte (im weitesten Sinn) bei der offiziellen Wiedereinreise nach einem längeren Auslandsaufenthalt Rückkehrer regelmäßig einem intensiven Verhör unterzogen wurden, das je nach den Umständen auch Stunden dauern konnte. Insbesondere im Falle einer Verbringung der Betreffenden in ein Haft- oder Verhörzentrum der (vier) syrischen Geheimdienste drohte zudem konkret die Anwendung von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung, wobei hiermit regelmäßig auch Informationen über eventuelle eigene regimekritische Handlungen im Ausland, aber auch über die Exilszene im Allgemeinen herausgepresst werden sollten. Diese Gefahr wurde etwa vom Auswärtigen Amt als sehr hoch eingeschätzt (vgl. Lagebericht vom 27.9.2010, 2010/4, S. 16). In der Rechtsprechung wurde deshalb z.T. angenommen, dass den staatlichen Maßnahmen auch die erforderliche Gerichtetheit zukam (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 19.6.2013, A 11 S 927/13, juris; a.A. aber etwa OVG Münster, Beschl. v. 7.5.2013, 14 A 1008/13.A, juris).

65

Im Laufe des Bürgerkriegs haben sich jedoch in verschiedener Hinsicht Veränderungen in Syrien ergeben. So kann insbesondere aus verschiedenen Berichten von Amnesty International eine endemische Zunahme von Misshandlungen und Folter einschließlich Verschwindenlassen der Betroffenen entnommen werden (vgl. AI, 8/2016, G 13/16, S. 12 ff.; AI, v. 2/2017, G 15/17; AI, Report 2016/2017, v. 22.2.2017, G 17/17 – vgl. auch dt. Übersetzung v. 19.2.2017, G 16/17, S. 9 f.). Es handelt sich um Praktiken, die von Seiten des syrischen Regimes im Grundsatz schon seit vielen Jahren systematisch eingesetzt werden, um jede Opposition und jeden Widerstand zu unterdrücken bzw. zu zerschlagen (vgl. BFA, v. 5.1.2017, S. 19 f., G 26/17). Zudem ist die Zahl der im Ausland lebenden syrischen Flüchtlinge seit dem Beginn des Bürgerkriegs auf ca. 6,4 Millionen gestiegen ist (s.o.; vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 21.02.2017, 14 A 2316/16.A, DVBl. 2017, 639).

66

Bei dieser Ausgangslage kann der Senat nach Auswertung der vorliegenden Erkenntnisquellen nicht die Überzeugung gewinnen, dass syrische Sicherheitskräfte unterschiedslos jedem rückkehrenden Asylbewerber unterstellen, (vermeintlich) ein Regimegegner zu sein, sofern nicht besondere, individuelle gefahrerhöhende Merkmale vorliegen. Vor diesem Hintergrund ist ein Rückschluss von vor Beginn oder zu Anfang des Bürgerkriegs vermutlich stattgefundenen flüchtlingsrelevanten Eingriffen im Kontext der Einreise auf die heutigen Verhältnisse nicht tragfähig und kann die weitgehend fehlenden Erkenntnisse nicht ersetzen. Aus diesem Grund bestehen auch keine weiteren erfolgversprechenden Ermittlungsansätze.

67

Wie ausgeführt liegen nur wenige Dokumente vor, die die hier interessierende Fragestellung der aktuellen Behandlung von Rückkehrern erörtern. Ihnen lassen sich ausnahmslos keine konkreten und nachvollziehbaren Gesichtspunkte entnehmen, die einen verlässlichen Schluss auf die erforderliche Gerichtetheit zulassen. Hierzu führt das OVG Lüneburg in einem die Rückkehr eines Syrers betreffenden Verfahren nach Ansicht des Senats zutreffend aus (Urt. v. 27.6.2017, 2 LB 91/17, juris Rn. 53 - 67):

68

„Der vom UNHCR 4/2017 gezogenen Folgerung, sein Bericht belege eine politische Verfolgung durch staatliche Kräfte bei Rückkehr nach Syrien (vgl. S. 30 unter 5. mit Fußn. 146), vermag der Senat nicht zu folgen. Belastbare Erkenntnisse, dass die syrischen Sicherheitsbehörden dem Grunde nach diesen Rückkehrern eine oppositionelle Haltung zuschreiben, sind dem Bericht nicht zu entnehmen. Zum einen beruhen die vom UNHCR 4/2017 wiedergegebenen - teilweise lediglich telefonisch (vgl. hierzu IRB Canada v. 19.1.2016) erfolgten - Einschätzungen nur auf Berichten/ Wertungen einzelner Personen und dabei wiederum vor allem auf „Hörensagen“, nicht aber auf zurechenbaren Äußerungen von Personen, die aus eigener Erfahrung Mitteilung über verschiedene Einzelfälle machen können; Einzelschicksale sind danach nicht nachprüfbar. So wird - unter Hinweis auf das Immigration and Refugee Board of Canada (IRB Canada v. 19.1.2016) - eine emeritierte Professorin für Anthropologie und erzwungener Migration an der Oxford Universität, vormals Leiterin des Refugee Studies Centre in Oxford erwähnt, die ihre Einschätzung wiedergibt, aber keine konkreten Fälle benennt. Auch der Executive Direktor des Syria Justice and Accountability Center benennt keine konkreten, nachprüfbaren Einzelfälle, sondern teilt seine Bewertung der Lage mit, wobei er einerseits darauf hinweist, ein rückkehrender Asylantragsteller gelte als regierungsfeindlich, was als Zuschreibung eines Verfolgungsgrundes zu bewerten wäre, andererseits aber auch ausführt, Rückkehrer würden gefoltert, weil der Staat über andere Asylbewerber/Oppositionelle Informationen gewinnen wolle - was auf ein lediglich wahllos routiniertes Zugreifen mit dem Ziel, möglicherweise verwertbaren Informationen über regimegegnerische Bestrebungen überhaupt erst zu erlangen („fischen“) weist und als solches keine auf einen Verfolgungsgrund „gerichtete“ Maßnahme darstellen würde (vgl. dazu unten). Die dritte genannte Quelle, ein Gastwissenschaftler des Kings College London, der Spezialist für Syrien sei und Sachverständigenaussagen in Asylverfahren von Syrern in Großbritannien gemacht haben soll, trägt die Folgerung des UNHCR schon deswegen nicht, weil diese Quelle lediglich erklärt hat, ein rückkehrender Asylbewerber könne festgenommen werden, dies geschehe aber nicht automatisch; einige Regierungsmitarbeiter betrachteten Rückkehrer als Regierungskritiker, andere Regierungsmitarbeiter würden dagegen anerkennen, dass es auch andere Gründe gebe, das Land zu verlassen (vgl. Fußn. 146). Hinsichtlich der weiteren Ausführungen des IRB Canada (v. 19.1.2016) hat bereits das OVG NW (Urt. v. 21.2.2016 - 14 A 2316/16 -, juris Rnr. 51 ff) festgehalten, dass der dort unter Nr. 3 geschilderten Fall eines aus Australien rückkehrenden Asylbewerbers besonders liege, weil dieser wegen des mitgeführten Geldes in den Verdacht eines Revolutionsfinanciers gekommen war (vgl. auch OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG Rnr. 91) und weiter zutreffend ausgeführt:

69

„Weitere Meldungen über Festnahmen bei Einreise (die Rede ist in der genannten Antwort von etwa 35 nach Ägypten geflohenen Palästinensern) lassen mangels Kenntnis der Einzelumstände keinen Rückschluss auf den Anlass der Festnahmen zu. Das Immigration and Refugee Board of Canada zitiert im Weiteren lediglich die Meinung eines Oxford-Professors, eines Forschers am Londoner King's College und eines Funktionärs einer Menschenrechtsorganisation (Syria Justice and Accountability Centre, vgl. die Selbstdarstellung im Internet unter https://syriaaccountability.org/about/), dass abgelehnte Asylbewerber wegen ihres Asylantrags verfolgt würden, ohne dass dafür tatsächliche Anhaltspunkte aufgezeigt würden. Daher kann dies nicht als relevante tatsächliche Erkenntnis, sondern als nicht weiter begründete Meinung gewertet werden.“

70

Das vom UNHCR 4/2017 weiter zitierte US Departement of State führt in seinem „Country Report on Human Rights Practices for 2015“ für Syrien (S. 34, ebenso Country Report on Human Rights Practices for 2016, S. 36) zwar aus, dass Personen, die erfolglos Asyl in anderen Ländern beantragt hätten, verfolgt worden seien, jedoch ohne Nennung konkreter Vorfälle. Zudem verweist der Bericht auf ein Gesetz, dass denjenigen mit Verfolgung bedroht, der in einem anderen Land Zuflucht sucht, um einer Strafe in Syrien zu entgehen. Auch aus dieser Fundstelle kann daher nicht die Erkenntnis gewonnen werden, dass dem Grunde nach jeder rückkehrende Asylbewerber als vermeintlicher Oppositioneller vom syrischen Staat Verfolgungshandlungen zu befürchten hat (so zutreffend OVG NW, Urt. v. 21.2.2017, aaO., Rnr 54 f).

71

Soweit UNHCR 4/2017 (Fußnote146) zum anderen auf Quellen aus der Zeit vor 2011 verweist, die die Gleichstellung einer illegalen Ausreise und Asylantragstellung mit einer regimefeindlichen Gesinnung belegten (vgl. dazu OVG Sachsen-Anh., Urt. v. 18.7.2012 - 3 L 147/12 -, juris; kritisch zu dieser Einschätzung Bay. VGH, Urt. v. 12.12.2016 - 21 B 16.30371 -, juris, OVG Rheinl-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris), kann auf diese Einschätzungen aus jener Zeit schon aufgrund der gravierenden Veränderung der politischen Situation und des infolgedessen - ohne die rd. 6,6 Mio. Binnenflüchtlinge (vgl. AI, Report 2016/2017, Syrien) - auf rd. 4,8 Mio. angewachsenen Flüchtlingsstroms (Ende 2011 waren es lediglich rd. 19.900, s.o.) nicht mehr zurückgegriffen werden (vgl. nunmehr auch OVG Sachsen-Anh., Beschl. v. 29.3.2017 - 3 L 249/16 -, juris).

72

Der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH v. 21.3.2017 Syrien: Rückkehr) sind ebenfalls keine konkreten individualisierbaren Einzelfälle zur Behandlung von Rückkehrern zu entnehmen. Die SFH verweist vielmehr ihrerseits u.a. auf das IRB Canada (v. 19.1.2016) und auf die darin erwähnten Informationen sowie auf die Stellungnahme des US Department of State (s.o.). Letztlich beziehen sich mithin eine Vielzahl von Quellen aufeinander, ohne den Erkenntnishorizont durch neue belastbare Erkenntnisse erweitern zu können.

73

Ein erhebliches Indiz dafür, dass Rückkehrer vom syrischen Staat nicht ohne weiteres als Regimegegner eingeschätzt werden, ergibt sich für den Senat aus der genannten Stellungnahme des IRB Canada unter Nr. 1 „Overwiew“, wonach Hunderttausende Flüchtlinge aus den Anrainerstaaten jedes Jahr nach Syrien einreisen sollen, um dort persönliche Angelegenheiten zu regeln, meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in die benachbarten Länder zurückkehren. Eine solche umfangreiche Reisetätigkeit zeigt, dass die in die benachbarten Ländern Geflohenen trotz des (extrem) repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgehen, im Rahmen der Grenzübergänge zu Syrien keiner gravierenden Gefährdung ausgesetzt zu sein (vgl. auch OVG NW, Urt. 21.2.2017, aaO., Rnr. 53, Bay VGH, Urt. v. 12.12.2016, aaO, Rnr. 78).

74

Die Annahme, erfolglose Asylbewerber aus dem westlichen Ausland würden - im Gegensatz zu den in die Anrainerstaaten Syriens Geflüchteten - deshalb (unterschiedslos) als Oppositionelle betrachtet, weil die syrische Regierung eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land für den Ursprung des Bürgerkriegs verantwortlich mache, ist eine bloße Vermutung, die angesichts der hohen Zahl in das westliche Ausland geflüchteter und hypothetisch zurückkehrender Syrer dem Senat nicht plausibel erscheint. Mag es bei einer überschaubaren Anzahl von Flüchtlingen wie vor 2011 noch nachvollziehbar gewesen sein, dass diese vom syrischen Regime durchweg als potentielle Gegner angesehen werden könnten, kann dies nicht mehr bei den heutigen Zahlen gelten. Im Gegensatz zur damaligen Lage ist die Zahl derer, die Syrien verlassen haben, heute nicht mehr relativ gering. Zudem ist es mittlerweile nicht mehr erforderlich, eine etwaige von außen organisierte Verschwörung aufzudecken. Die Beteiligung zahlreicher anderer (Groß-)Mächte an den Auseinandersetzungen, die jeweils eigene unterschiedliche Ziele verfolgen, steht vielmehr fest (vgl. oben).

75

Den Verfassungsschutzberichten (zitiert bei OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rnr. 121) lässt sich eine systematische Beobachtung aller mittlerweile im Bundesgebiet lebenden Syrer ebenfalls nicht entnehmen. Ihre Beobachtung gilt in erster Linie oppositionellen Tätigkeiten. Eine umfassende Beobachtung wäre angesichts der großen Zahl hier aufhältiger Personen aus Syrien schon faktisch ausgeschlossen (vgl. OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - juris, Rnr. 121).

76

Die generell nicht auszuschließende Anwendung von Misshandlung oder Folter bei Rückkehr stellt als solche schließlich kein wesentliches Indiz für eine politische Motiviertheit der Verfolgung dar; denn es ist zu bedenken, dass dieses Verhalten nicht erst anlässlich der aktuellen bürgerkriegsähnlichen Situation seit 2011 entstanden ist, sondern in Syrien die Sicherheitsdienste aufgrund des seit 1963 bestehenden Ausnahmezustandes in der Praxis immer schon weder parlamentarischen noch gerichtlichen Kontrollmechanismen unterworfen und auch in der Vergangenheit verantwortlich für willkürliche Verhaftungen, Folter und Isolationshaft waren. Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste hatten schon in der Vergangenheit systematisch Gewalt angewandt, ohne dass die Möglichkeit effektiver strafrechtlicher Abwehr bestand. Schon unter Hafis al-Assad wurde jegliche Opposition brutal unterdrückt und es verschwanden Personen, so sollen seit 1980 bis 2010 rd. 17.000 Personen verschwunden sein (AA, Lagebericht v. 27.9.2010; allg. vgl. Lange „Ein historischer Überblick“, Bundeszentrale für politische Bildung, Aus Politik und Zeitgeschichte, 8/2013 S. 37, 42 f.; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - juris, Rnr. 154; zur langjährigen Praxis von Misshandlungen und Folter vgl. auch VGH Bad.-Württb., Urt. v. 2.5.2017 - A 11 S 562/17 -, juris Rnr. 48).

77

Soweit Rückkehrer unter Drangsalierungen bis hin zur Folter befragt werden sollten, würde sich dies daher in Anlehnung an die Ausführungen des OVG Rheinland-Pfalz auch nach Auffassung des Senats um ein willkürliches, von keiner irgendwie gearteten Gerichtetheit bestimmtes Verhalten der in rechtsfreien Räumen agierenden verschiedenen Sicherheitskräfte handeln, möglicherweise auch um ein wahllos-routiniertes Fischen nach Informationen, wodurch einen konkreten Verdacht überhaupt erst begründende Hinweise gewonnen werden sollen, aufgrund derer sodann eine Zuschreibung von Verfolgungsgründen erfolgen könnte (vgl. OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016, aaO. Rnr. 121, vgl. auch OVG d. Saarl. v. 11.3.2017 - 2 A 215/17 -, juris).

78

Schon das Auswärtige Amt (Ad-hoc-Bericht v. 17.2.2012) hat auf willkürliche Verhaftungen und darauf hingewiesen, dass die Sicherheitskräfte im Zuge der Bekämpfung der Opposition von dem syrischen Regime eine „carte blanche“ erhalten hätten, jeder agiere für sich im rechtsfreien Raum.

79

Dieses willkürlich-wahllose Verhalten bei etwaigen Rückkehrer-Befragungen wird auch durch den UNHCR-Bericht 4/2017 selbst deutlich. So heißt es dort, dass Personen „ohne bestimmten Grund entsprechend der weit verbreiteten Willkür und des Machtmissbrauchs durch Sicherheitsbeamte inhaftiert und misshandelt“ werden (S. 6), das System sei „äußerst unvorhersehbar“, es seien „alle Personen“ einem Misshandlungsrisiko durch Grenzbehörden ausgesetzt (Fußnote 32), die einzelnen regierungstreuen Sicherheitsbereiche hätte gleichsam freie Hand erhalten, es erfolgten Übergriffe auf Einwohner Syriens, die tatsächliche oder vermeintliche regierungskritische politische Ansichten „im weitesten Sinn“ verträten, es seien „zahlreiche Protesteilnehmer, Aktivisten, Wehrdienstentzieher, Deserteure, Laienjournalisten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Ärzte und andere Personen, denen regierungsfeindliche Haltungen zugeschrieben wurden, willkürlich verhaftet worden“. Ein unterschiedsloses Vorgehen belegt auch der Hinweis, dass die International Crisis Group (ICG) den Einsatz von Luftschlägen durch die syrische Regierung als „Teil einer Strategie der verbrannten Erde und der kollektiven Bestrafung“ bezeichnet habe (S. 18).

80

Die SFH sprich in ihrer Stellungnahme ebenfalls von „Willkür“ (vgl. Überschrift Punkt 5.2) und weist unter Bezugnahme auf AI (Between Prison and the Grave, v. 5.11.2015) auf den „verbreiteten Opportunismus der syrischen Sicherheitsbeamten (hin), die entweder aus Profitgier oder aus persönlicher Rache Menschen verhaften und verschwinden lassen“. Der Verweis auf die Möglichkeit, sich mit Hilfe von Bestechung zu arrangieren (im Korruptionswahrnehmungsindex steht Syrien an 173. Stelle von 176 untersuchten Ländern, UNHCR Fußnote 9), bestätigt die Annahme rein willkürlichen/wahllosen Verhaltens.

81

Gleiches ergibt sich aus dem vom IRB (v. 19.1.2016, S. 5) zitierten OHCHR-Report 2014, der zwar zunächst verschiedene, möglicherweise noch unterscheidbare in das Blickfeld des syrischen Staates geratene Gruppierungen nennt (u.a. activists, students, humanitarian workers), letztlich aber die Bedrohung unterschiedslos ausdehnt auf „those who were in the wrong place at the wrong time“.

82

Erfolgen etwaige Übergriffe aber unterschiedslos, so geschehen sie letztlich wahllos, mithin ohne Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund (vgl. hierzu, BVerwG, Beschl. v. 27.4.2017 - 1 B 63.17 -, juris, vgl. OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris, OVG d. Saarl., Urt. v. 11.3.2017 - 2 A 215/17 -, juris).“

83

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der UNHCR in seinem Bericht von November 2017 (G 35/17, insbesondere S. 35 ff.) nicht mehr erwähnt, dass aus dem Ausland zurückkehrenden syrischen Asylbewerbern allein aufgrund des im Ausland betriebenen Asylverfahrens beachtlich wahrscheinlich eine oppositionelle Haltung zugeschrieben werde. Auch das Auswärtige Amt spricht in seiner Stellungnahme vom 17. Oktober 2017 (Auskunft an VG Magdeburg, 2017/10) davon, dass die Willkür von Inhaftierungen, auch zum Erpressen von Lösegeld etc. extrem hoch sei.

84

b) Die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben stellt zur Überzeugung des Senats keinen risikoerhöhenden Faktor dar, aufgrund dessen dem Kläger bei einer Rückkehr nach Damaskus beachtlich wahrscheinlich die Gefahr einer Verfolgung drohen würde, weil ihm deshalb eine regimefeindliche Haltung zugeschrieben werden würde.

85

Soweit der UNHCR in seiner Stellungnahme von November 2015 (Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, G 15/15, S. 26) davon ausgeht, dass die Mitgliedschaft in religiösen Gruppen - darunter auch die Sunniten - ein gefahrerhöhendes Moment sein könne, kann dieses nicht generell gelten, sondern muss jeweils im regionalen Kontext und in der ggf. spezifischen Konfliktsituation beurteilt werden. Dies gilt zur Überzeugung des Senats gerade in Bezug auf Personen sunnitischen Glaubens, da knapp drei Viertel der syrischen Bevölkerung bei Ausbruch des Bürgerkriegs sunnitischen Glaubens waren und Angehörige des sunnitischen Glaubens innerhalb des Assad-Regimes hohe Stellungen einnehmen.

86

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der UNHCR in seiner Stellungnahme von November 2017 (G 35/17, S. 54 ff.) die Angehörigkeit zum sunnitischen Glauben nicht mehr als per se risikoerhöhenden Faktor ansieht und auch nicht als ein Merkmal, aufgrund dessen der Person regierungsfeindliche Absichten unterstellt werden (ebenso: VGH Mannheim, Urt. v. 9.8.2017, A 11 S 710/17, DVBl. 2017, 1317, juris Rn. 48). Vielmehr geht der UNHCR davon aus, dass die Verfolgungsgefahr für Mitglieder religiöser und ethnischer Gruppen von Region zu Region variiert und von den spezifischen Konfliktbedingungen der jeweiligen Region abhänge. Eine Verfolgungsgefahr ergebe sich insbesondere für Angehörige religiöser und ethnischer Gruppen, die aus Gebieten stammten, die von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden würden, so dass diesen abhängig von den individuellen Umständen des Einzelfalles der Flüchtlingsschutz zu gewähren sei. Hierunter fällt der Kläger als Sunnit nicht. Zu berücksichtigen ist dabei zudem, dass der Kläger seit 2013 bis zu seiner Ausreise in Damaskus gelebt hat. Dafür dass Sunniten in Damaskus wegen ihrer Religionszugehörigkeit durch das Assad-Regime verfolgt werden, liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor.

87

c) Der Senat hat keine belastbaren Erkenntnisse, dass die tscherkessische Volkszugehörigkeit Anknüpfungspunkt für eine Verfolgung durch das Assad-Regime ist. Insoweit wird ergänzend auf die vorstehenden Ausführungen unter 2. Bezug genommen.

88

d) Das Gericht hat auch keine belastbaren Erkenntnisse, dass die Herkunft des Klägers aus der Region Qunaitra, die ca. seit 2012 von der Freien Syrischen Armee gehalten wird, beachtlich wahrscheinlich Anknüpfungspunkt für eine Verfolgung durch das Assad-Regime ist, weil ihm deshalb eine regimefeindliche Haltung zugeschrieben werden würde. Hiergegen spricht bereits, dass die Familie des Klägers nach seinen eigenen Angaben 2013 nach Damaskus umgezogen ist und seitdem dort lebt, ohne in Schwierigkeiten mit dem Assad-Regime gekommen zu sein. Der Kläger ist nach seinem eigenen Vorbringen bis zu seiner (offiziellen) Ausreise über den Flughafen Damaskus zur Schule gegangen; insoweit geht das Gericht davon aus, dass er in Damaskus zur Schule gegangen ist (vgl. zur Herkunft aus Aleppo: VGH Mannheim, Urt. v. 9.8.2017, A 11 S 710/17, DVBl. 2017, 1317, juris Rn. 49). Auch seine Schwester hat in Damaskus gelebt und dort von 2013 - Mitte 2015 studiert.

89

e) Nach Ansicht des Senats begründet auch die Gesamtheit dieser Umstände keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung in Anknüpfung an die aufgeführten Umstände; insbesondere liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass beachtlich wahrscheinlich dem Kläger bei Rückkehr in Anknüpfung daran eine regimefeindliche Haltung unterstellt werden würde.

IV.

90

Eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgung des Klägers in Anknüpfung an asylrechtlich erhebliche Merkmale wegen seines Auslandsaufenthalts im wehrdienstfähigen Alter konnte - auch in Verbindung mit den vorgenannten Umständen - zur Überzeugung des Senats nicht ermittelt werden. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse zu den Regelungen über den Wehr- und Militärdienst und die Praxis deren Umsetzung (1.) geht der Senat davon aus, dass der Kläger bisher nicht gegen Vorschriften des syrischen Rechts im Zusammenhang mit der Wehrpflicht verstoßen hat (2.). Aber auch wenn der Senat unterstellt, dass das Assad-Regime den Kläger aufgrund des längeren Aufenthalts im wehrdienstfähigen Alter bei einer hypothetischen Rückkehr wie einen Wehr- bzw. Militärdienstentziehber bzw. -verweigerer behandeln würde, bestehen zur Überzeugung des Senats keine hinreichenden Erkenntnisse, dass dem Kläger bei Rückkehr in Anknüpfung daran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen (3.) wegen flüchtlingsrechtlich erheblicher Merkmale (4.) drohen würden.

91

1. Zum Wehr- bzw. Militärdienst geht der Senat von Folgendem aus (soweit nicht besonders aufgeführt, liegen der Einschätzung folgende Erkenntnisquellen zugrunde: AA, v. 2.1.2017, 2017/1; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft an das BAMF v. 3.2.2016, 2016/1; BFA, v. 5.1.2017, G 26/17; BFA, Fact Finding Mission Report Syrien v. August 2017, G 11/17; DOI, v. 1.2.2017, G 6/17; DOI, Auskunft an das OVG Schleswig v. 8.11.2016, G 3/16; Danish Refugee Council - DRC -, Syria v. August 2017, G 23/17; SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion v. 23.3.2017, G 19/17; SFH v. 21.3.2017, G 5/17; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.3.2015, G 8/15; SFH, Syrien: Die National Defense Forces v. 28.3.2015, G 9/15; SFH, Syrien: Umsetzung der Amnestien v. 14.4.2015, G 10/15; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, v. 30.7.2014, G 3/14; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“ v. 20.10.2015, G 13/15; Finnische Einwanderungsbehörde, Syria: Military Service, National Defense Forces, armed groups supporting Syrian Regime and armed opposition, v. 23.08.2016, G 15/16; UNHCR, April 2017, G 7/17; UNHCR, November 2017, G 35/17):

92

In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund wie auch für Palästinenser, die in Syrien leben, gilt; auch Oppositionelle werden einberufen. Die Registrierung für die Wehrpflicht erfolgt im Alter von 18 Jahren. Nach Auskunft des BFA (08/2017, G 11/17, S. 18) sind junge Männer im Alter von 17 Jahren aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von mindestens 18 Jahren werden die Männer per Einberufungsbescheid zum Ableisten des Wehrdienstes aufgefordert. Zudem werden junge Männer an Kontrollstellen oder bei Razzien auf öffentlichen Plätzen (zwangs)rekrutiert (AA, 2.1.2017, 2017/1; BFA, 08/2017, G 11/17,S. 18; DRC, 08/2017, G 23/17, S. 13,). Jeder Mann im Alter zwischen 18 und 42 Jahren ist verpflichtet, einen zweijährigen Militärdienst abzuleisten. Allerdings weisen einzelne Quellen darauf hin, wonach die Wehrpflicht in der Praxis in Einzelfällen bis zum 50. bzw. sogar bis zum 60. Lebensjahr ausgeweitet wird bzw. jeder Mann in einem im weitesten Sinne wehrfähigen Alter rekrutiert werden kann; daneben soll es auch zu Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen kommen (BFA, 08/2017, G 11/17, S. 18; DRC, 08/2017, G 23/17, S. 8; SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 5 ff.).

93

Ausnahmen von der Wehrpflicht werden - von Bestechungen abgesehen - bei Personen jüdischen Glaubens oder bei Untauglichkeit gemacht. Zudem bestehen Regelungen über Ansprüche auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes etwa für Einzelkinder oder Studenten - hier je nach Art des Studiums gestaffelt, regelmäßig höchstens bis 27 Jahre. Diese Regelungen gelten zwar formal weiter, in der Praxis finden sie allerdings aufgrund des stark zunehmenden Personalbedarfs nur eingeschränkt und zunehmend willkürlich Anwendung. Für im Ausland lebende Männer gibt es z.T. die Möglichkeit, sich gegen Zahlung einer Geldkompensation vom Militärdienst zu befreien (vgl. BFA, 08/2017, G 11/17, S. 19 f.; DRC, 08/2017, G 23/17, S. 8 f.; SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 8).

94

Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten. Entlassungen aus dem Militärdienst sind nach den verwerteten Erkenntnisquellen seit dem Jahre 2011, dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung, eher zur Ausnahme geworden; viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden.

95

Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdienstes als Reservisten jederzeit abrufbar sein. In der Vergangenheit wurden alle Männer bis zum Alter von 42 Jahren als Reservisten geführt; aufgrund der prekären Personalsituation gibt es gegenwärtig kein festgesetztes Höchstalter für die Aktivierung von Reservisten mehr, vielmehr werden nach den vorliegenden Auskünften im Einzelfall - je nach Ausbildung und bisheriger Tätigkeiten für die Armee - Männer im Alter von bis zu 50 oder sogar 60 Jahren erneut zum Dienst verpflichtet.

96

Über die aktuelle Praxis der Rekrutierung wird berichtet (vgl. insgesamt zum Nachfolgenden: BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 23; DRC, 08/2017, G 23/17, S. 8, 13), dass es im Zeitraum von März 2016 bis März 2017 keine Generalmobilmachung gegeben hat. Jedoch wurden offenbar in verschiedenen Wellen die Bemühungen intensiviert, Wehrpflichtige und Reservisten einzuziehen; nach einigen Quellenangaben erfolgte dies deshalb, weil nur wenige Männer auf die Einberufung reagiert und sich zum Dienst eingefunden haben (DRC, 08/2017, G 23/17, S. 8). Die regulären Rekrutierungsmethoden würden immer noch angewendet werden, weil das Regime zeigen wolle, dass sich nichts verändert habe. So würden Rekrutierungsschreiben verschickt, wenn Männer das wehrfähige Alter erreichen. Es gebe aber auch Männer im wehrpflichtigen Alter, die frei in Syrien lebten (BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 23). Insgesamt sei schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee tatsächlich durchgesetzt werde. In der syrischen Armee herrsche zunehmende Willkür und die Situation könne sich von einer Person zur anderen unterscheiden (BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 22). So wird über die im Land errichteten Kontrollstellen beispielsweise berichtet (UNHCR, April 2017, G 7/17, S. 24 ff.; UNHCR, Auskunft an VGH Kassel v. 30.5.2017, G 9/17, S. 2), dass an diesen in großem Maße Männer im wehrdienstfähigen Alter, die einen Einberufungsbescheid erhalten hätten, aber auch solche, bei denen dies noch nicht der Fall gewesen sei, eingezogen würden, während an anderer Stelle berichtet wird, an diesen würden massenhaft Bestechungsgelder verlangt (vgl. zur finanziellen Lage: Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 06 12 2017, S. 7, und Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 15 07 2017, S. 3, ca. 2000 Kontrollstellen; Truppendienst, Streitkräfte des Assad-Regimes, Februar 2017, S. 2: „... während die Armee Bestechungsgelder an Kontrollpunkten kassiert ...“).

97

Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen seit März 2012 nur mit einer offiziellen Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie von der Wehrpflicht bzw. vom Militärdienst freigestellt sind, das Land verlassen; seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, ein generelles Ausreiseverbot. Jungen Männern vor Erreichen des 18. Lebensjahres wird die Ausreise erschwert, indem Reisepässe nur für eine kurze Gültigkeitsdauer ausgestellt werden (BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 24).

98

Neben den Streitkräften des Assad-Regimes, der Syrisch-Arabischen Armee (nachfolgend: syrische Armee), besteht eine Vielzahl von dem Assad-Regime treuen Milizen und Kampfverbänden, die vom Assad-Regime unterstützt werden. Sie werden von politischen Akteuren wie der Syrisch Arabischen Baath Partei, von Palästinensern, reichen Geschäftsmännern oder ethnischen Akteuren angeführt. Auch die verschiedenen Geheimdienste rekrutieren ihre eigenen paramilitärischen Gruppen. Die lokalen Verteidigungsmilizen sind oft nach Konfession organisiert und kämpfen, um ihre Herkunftsregion zu verteidigen (SFH v. 23.3.2017, G 19/17, S. 3). Das Assad-Regime hat mit der Unterstützung des Irans versucht, diese Milizen in den 2013 gegründeten Nationalen Verteidigungskräften (National Defense Forces, NDF) zu bündeln und unter die Kontrolle der syrischen Armee zu bringen. Dabei scheint es so zu sein, dass die NDF als Dachorganisation konzipiert wurde, unter dem regimefreundliche Milizen unter der Kontrolle der syrischen Armee organisiert wurden (DRC, 08/2017, G 23/17, S. 15; BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 25). Die genaue Mannstärke der NDF ist nicht bekannt, Schätzungen reichen von 60.000 bis 100.000 Mitglieder. Kämpfer der NDF gelten als dem Regime loyaler als die Wehrdienstleistenden in der Armee. Indem man der NDF beitrete, könne man den Wehr- bzw. Militärdienst bei der syrischen Armee vermeiden und den Einsatzort besser beeinflussen. Der Beitritt zu den NDF sei grundsätzlich freiwillig, allerdings solle es auch Zwangsrekrutierungen gegeben haben. Daneben gibt es auch Hinweise, dass das Assad-Regime versucht, Männer in den Militärdienst einzuziehen, die sich gemäß ihrem Versprechen anstelle des Militärdienstes bereits einer lokalen Miliz angeschlossen haben (vgl. BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 25 f.; SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 3, 6). Die NDF unter der Führung des Assad-Regimes sollen 2016 weitgehend auseinandergebrochen sein. Da die paramilitärischen Gruppen von unterschiedlichen Geldgebern mit eigenen Zielen geführt wurden, ist es auch zu direkten Konfrontationen mit dem Assad-Regime gekommen (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 3; DRC, 08/2017, G 23/17, S. 15). Aktuell wird berichtet, dass den Milizen der NDF etwa 100.000 Männer angehören, die mit der syrischen Armee kämpfen, diese Milizen jedoch inzwischen durch den Iran bezahlt werden und unter deren Befehlsgewalt eingegliedert sind (vgl. Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 06 12 2017, S. 7). Hinzu kommen Lokale Verteidigungskräfte (LDF), die Teil der vom Iran finanzierten und kontrollierten Hisbollah/Syrien sein sollen, die vom Assad-Regime als „Mitglieder der syrischen Streitkräfte“ angesehen werden, obwohl diese nicht unter dem Kommando des Assad-Regimes stehen (vgl. Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 06 12 2017, S. 7).

99

Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet (vgl. AA, 2.1.2017, 2017/1; Dt. Botschaft Beirut, 3.2.2016, 2016/1; SFH, 30.07.2014, G 3/14; SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 8 f.). Nach dessen Artikel 98 wird, wer sich der Einberufung entzieht, mit Haft zwischen einem und sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft. Wer das Land verlässt, ohne eine Adresse zu hinterlassen, unter der er immer erreichbar ist, und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion im eigentlichen Sinn werden in Artikel 101 fünf Jahre Haft angedroht bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft. Berichten zufolge kann auch ein Wehrdienstentzug durch illegale Ausreise von nicht gemusterten bzw. nicht einberufenen Wehrpflichtigen mit Geldbuße oder Gefängnis bestraft werden (AA, 02.01.2017, 2017/1, S. 5).

100

Die Umsetzung der Bestrafung scheint willkürlich zu sein (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 10 f.). Insoweit gibt es einerseits Stellungnahmen, dass zurückkehrenden Wehrdienstpflichtigen Haft, Folter, Misshandlungen, Einsatz an der Front sowie dauerhaftes Verschwinden bzw. Tod drohe (vgl. DOI, 8.11.2016, G 3/16, wonach bei Wehrdienstentziehung eine harte Strafe bis hin zu Todesstrafe, aber oft auch Folter drohe; Dt. Botschaft Beirut, 3.2.2016, 2016/1, wonach im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst Fälle von Haft oder dauerndem Verschwinden bekannt geworden seien; IRB Canada, 19.1.2016, G 5/16, wonach Wehrdienstpflichtige eine sehr vulnerable Gruppe darstellen; Danish Refugee Council, SYRIA, Update on Military Service, September 2015, G 11/15, S. 18, wonach das syrische Regime bei Wehrdienstentziehung mit Einberufung nach Arrest, Einsatz an der Front, Bestrafung, Misshandlung reagiert; SFH v. 28.3.2015, G 8/15, wonach es bei ergriffenen Wehrdienstverweigerern in der Haft zu Folter komme). Andererseits wird aber auch berichtet, dass die Bestrafung häufig von der Position und dem Rang des Betreffenden, seinem Profil, aber auch dem Bedarf an der Front abhänge (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 10). Weiter wird ausgeführt, dass einige der Verhafteten zwar zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen würden, andere aber lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt würden (SFH, 28.3.2015, G 8/15; BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 27). Das DRC berichtet unter Berufung auf verschiedene Quellen, u.a. C. Kozak (DRC, 08/2017, G 23/17, S. 13 f., Fn. 62), dass Wehrdienstentzieher, wenn sie aufgegriffen werden, riskieren in den Militärdienst gesandt zu werden, während Deserteuren härtere Strafen drohten, wie z.B. Haft oder Todesstrafe. Der UNHCR (11/2017, G 35/17, S. 39 unten/S. 40 oben) führt hierzu aus, dass unabhängige Beobachter bemerken, dass Wehrdienstentziehung von der Regierung wahrscheinlich als politischer, gegen die Regierung gerichteter Akt betrachtet werde, der zu einer Bestrafung führen könne, die über die strafrechtlich vorgesehenen Sanktionen hinausgehe, einschließlich härterer Behandlung bei der Inhaftierung, während der Haft und Befragungen sowie während des militärischen Einsatzes, wenn sie wieder eingesetzt werden. In der Praxis würden Berichten zufolge Wehrdienstentzieher aber eher, als dass sie nach dem Militärstrafgesetzbuch bestraft würden, innerhalb von Tagen oder Wochen nach ihrer Verhaftung an die Front geschickt, oft nach nur minimaler Ausbildung. Nach anderen Berichten gebe es aber auch Deserteure, die nachdem sie wieder aufgegriffen worden seien, in den Militärdienst bzw. an die Front geschickt worden seien (DRC, 08/2017, G 23/17, S. 14 mit Fn. 67 - 69). Insgesamt ist die Zahl der Wehr- bzw. Militärdienstverweigerer sehr hoch (DRC, 08/2017, G 23/17, S. 13; UNHCR, 30.5.2017, G 9/17, S. 2; UNHCR, April 2017, G 7/17, Fn. 117). Nicht in jedem Einzelfall würden Nachforschungen betrieben (DRC, 08/2017, G 23/17, S. 13).

101

2. Der Kläger konnte den Senat nicht davon überzeugen, dass er durch seine Ausreise und seinen Auslandsaufenthalt gegen Vorschriften des syrischen Strafrechts verstoßen hat, weil er sich dem Militärdienst entzogen habe.

102

a) Eine Entziehung von der Wehrpflicht setzt nach den vorstehenden Ausführungen voraus, dass der Kläger einen Einberufungsbescheid erhalten hat. Der Umstand, dass der Kläger sein Wehrbuch nicht abgeholt hat, ist insoweit nicht ausreichend. Nach seinem Vorbringen hat der Kläger bis zu seiner Ausreise keinen Einberufungsbescheid erhalten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger erklärt, seinen Eltern sei nach seiner Ausreise kein Einberufungsbescheid zugegangen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat er dies nicht weiter ergänzt.

103

b) Angesichts des Umstandes, dass der Kläger am 6. Januar 2016 Syrien über den Flughafen Damaskus legal verlassen hat, geht der Senat zudem davon aus, dass der Kläger vom Militärdienst freigestellt war. Zum Zeitpunkt der Ausreise war der Kläger bereits 18 Jahre alt. Nach den vorstehend genannten Quellen ist eine legale Ausreise für Männer ab 18 Jahren nur mit Genehmigung der Militärbehörden möglich. Am Flughafen Damaskus finden umfangreiche Personen- und Grenzkontrollen statt, so dass eine illegale Ausreise nahezu unmöglich sein dürfte (vgl. AA, Auskunft an VG Trier v. 12.10.2016, 2016/5). Soweit der Kläger in der Befragung bei dem Bundesamt berichtet hat, dass er am Flughafen in Damaskus von Kontrollbeamten befragt worden sei, ob er sich der Wehrpflicht entziehen wolle, und er dies verneint habe und man ihn dann habe passieren lassen, ist dies für das Gericht nicht glaubhaft. Die Schilderung ist detailarm und erfolgte erst auf Nachfrage, obwohl dies für den Kläger auch angesichts der drohenden Verhaftung eine sehr prekäre Situation gewesen sein muss. Soweit der Kläger seinen Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bekräftigt und ergänzt sowie mit der Aussage seiner Schwester harmonisiert hat, die erklärt hat, der Kläger habe sich am Flughafen nicht geäußert, ist auch diese Aussage zur Überzeugung des Berufungsgerichts nicht glaubhaft. Hinsichtlich der Frage, wann der Reisepass von den syrischen Beamten gestempelt worden ist, ist sie zudem in sich widersprüchlich und auch deshalb unglaubhaft. Beide Aussagen widersprechen der oben ausgeführten Faktenlage, wonach bei der Ausreisekontrolle - gerade auch am Flughafen Damaskus - gezielt überprüft wird, ob eine ggf. notwendige Genehmigung der Militärbehörden vorliegt.

104

Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht zudem erklärt hat, dass er keine Bestechungsgelder für seine Ausreise geleistet hat, geht der Senat davon aus, dass der Kläger von der Wehrpflicht freigestellt war, da er nur so Syrien legal verlassen konnte. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht Gegenteiliges behauptet hat, hält der Senat dies angesichts der vorstehenden Ausführungen nicht für glaubhaft.

105

c) Es ist auch nicht zu erkennen, dass der Kläger das Land entgegen den gesetzlichen Bestimmungen verlassen hat, ohne eine Adresse hinterlassen zu haben, unter der er erreichbar ist, und sich so der Einberufung entzogen hat. Der Senat geht vielmehr davon aus, dass der Kläger bis zu seiner Ausreise bei seinen Eltern in Damaskus wohnhaft und den syrischen Militärbehörden dies auch bekannt war. Unabhängig von der Frage, ob der Kläger dort offiziell gemeldet war, haben die syrischen Behörden mit dem Kläger in Hinblick auf die Abholung seines Wehrbuches Kontakt gehabt. Dass der Kläger hierbei nicht seine Wohnadresse in Damaskus genannt haben will, erscheint nicht nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass die gesamte Familie Anfang 2016 seit mehr als zwei Jahren in Damaskus gelebt hat. Zudem ist der Kläger dort zur Schule gegangen, seine Schwester hat nach ihren Angaben in der Anhörung vor dem Bundesamt dort am 10. November 2013 ihr Studium aufgenommen sowie ca. 18 Monate in Damaskus studiert und sein im Ruhestand befindlicher Vater wird dort seine Rente bezogen haben. Dies legt es nahe, dass die Familie des Klägers sich dort auch offiziell angemeldet hat und der Kläger in der Anhörung vor dem Bundesamt zutreffend erklärt hat, seine letzte offizielle Wohnanschrift sei die in Damaskus benannte Anschrift gewesen, wie dies im Protokoll der Anhörung niedergelegt ist. Soweit der Kläger demgegenüber in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erklärt hat, bei der Anhörung vor dem Bundesamt sei nur nach der letzten Wohnanschrift, nicht aber nach der letzten offiziellen Anschrift gefragt worden, erscheint dies nicht glaubhaft. Hiergegen sprechen die zuvor genannten Umstände.

106

3. Aber auch wenn der Senat unterstellt, dass das Assad-Regime den Kläger aufgrund des längeren Auslandsaufenthalts im wehrdienstfähigen Alter bei einer hypothetischen Rückkehr wie einen Wehr- bzw. Militärdienstentzieher behandeln würde, der der Einberufung nicht gefolgt ist, ohne Genehmigung des Militärs das Land verlassen hat und keine Adresse hinterlassen hat, unter der er für die Militärbehörden erreichbar ist, lässt sich nach Ansicht des Senats den vorliegenden Erkenntnisquellen nicht hinreichend verlässlich entnehmen, dass dem Kläger beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgungshandlung aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründen, insbesondere wegen einer unterstellten Regimegegnerschaft, droht. Insoweit kann nicht beachtlich wahrscheinlich festgestellt werden, dass dem Kläger eine Bestrafung bzw. Inhaftierung (nachfolgend a)) droht und ihm insoweit eine regimefeindliche Haltung unterstellt werden würde (nachfolgend b)). Ebenso liegen keine hinreichenden Erkenntnisse dazu vor, dass dem Kläger sonstige Verfolgungshandlungen wie eine härtere Behandlung während des Militärdienstes oder ein unmittelbarer Fronteinsatz aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründen droht (nachfolgend c)). Die dem Kläger drohende Rekrutierung erfolgt ebenfalls nicht in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe.

107

a) Den Erkenntnisquellen lassen sich zur Überzeugung des Senats keine Anhaltspunkte in hinreichender Dichte dafür entnehmen, dass der Kläger bei der gedanklich zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien bestraft bzw. inhaftiert werden würde, selbst wenn das Assad-Regime dem Kläger die Erfüllung der Straftatbestände der Wehrdienst- bzw. Militärdienstentziehung unterstellen würde. Insoweit liegen uneinheitliche Erkenntnisse darüber vor, ob einem Wehrdienst- bzw. Militärdienstentzieher allein eine Einziehung zum Wehrdienst und ein Militäreinsatz oder allein oder zusätzlich eine Inhaftierung bzw. ein Strafverfahren droht; es scheint eher wahrscheinlich zu sein, dass diesen Personen allein eine Einziehung zum Wehr- bzw. Militärdienst droht. Gleichzeitig lassen sich den Erkenntnisquellen nicht in hinreichender Dichte Verfolgungsfälle - d.h. konkrete Berichte über Fälle und Anzahl von Inhaftierung und ggf. Misshandlungen aufgrund von Wehr- bzw. Militärdienstentziehung - entnehmen, die im Verhältnis zu den erheblichen Rekrutierungsanstrengungen des Assad-Regimes z.B. an im Land errichteten Kontrollpunkten als ins Gewicht fallend angesehen werden können.

108

aa) Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen beurteilen die Folgen einer Entziehung vor dem Wehrdienst bzw. Militärdienst uneinheitlich. Ihnen lassen sich zudem keine hinreichenden Fakten dafür entnehmen, dass (ggf. zurückkehrenden) Wehr- bzw. Militärdienstdienstverweigerern beachtlich wahrscheinlich eine Bestrafung und/oder Inhaftierung droht, sofern keine weiteren individuellen Anhaltspunkte auf eine Regimegegnerschaft hindeuten.

109

Berichte zu aus dem Ausland zurückkehrenden Personen, die sich durch Ausreise dem Wehrdienst bzw. dem Militärdienst entzogen haben, liegen nicht vor. Auch aufgrund der Erkenntnisse zu den in Syrien aufgegriffenen Wehr- bzw. Militärdienstentziehern hat der Senat keine hinreichend belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass diesen beachtlich wahrscheinlich Inhaftierung und Misshandlung droht.

110

(1) Der UNHCR führt in seiner Stellungnahme von November 2017 (G 35/17, S. 40, Fn. 227 unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des UNHCR von Februar 2017) sowie vom 30. Mai 2017 (G 9/17, S. 2) aus, dass Berichten zufolge in der Praxis Wehr- bzw. Militärdienstentziehern eher als strafrechtliche Sanktionen (Inhaftierung) nach dem Militärstrafgesetz innerhalb von Tagen bzw. Wochen nach ihrer Festnahme ein Einsatz an vorderster Front droht, oft nur mit einer minimalen Ausbildung. In der deutschen Übersetzung von April 2017 (G 7/17, S. 23 und Fn. 113) der in Bezug genommenen Stellungnahme vom Februar 2017 heißt es, dass berichtet werde, dass Wehrdienstentzieher in der Praxis festgenommen und unterschiedlich lange inhaftiert würden und danach in ihrer militärischen Einheit Dienst leisten müssten. Aus Berichten gehe hervor, dass sie während der Haft dem Risiko von Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt seien. Als Referenz wird eine Anwältin von Human Rights Watch (HRW) mit der Äußerung zitiert, HRW wisse, dass Menschen in Syrien aufgrund ihrer Weigerung, in der Armee zu dienen, inhaftiert seien. Zudem wird ein Bericht von Al Jazeera vom Juni 2016 angeführt, wonach mögliche Folgen für Wehrdienstentzieher umgehende Einziehung nach der Festnahme, Einsatz an vorderster Front, Untersuchung und Folter und/oder Inhaftierung seien. Welche Konsequenz(en) die Wehrdienstentziehung habe, könne vom Profil der betreffenden Person, ihren Verbindungen und dem Gebiet abhängen. Wenn die Behörden die betreffende Person verdächtigten, Verbindungen zu Oppositionsgruppen zu haben, dann würden Ermittlungen und Misshandlungen, einschließlich Folter folgen.

111

Der Bericht von Al Jazeera deutet eher darauf hin, dass eine Inhaftierung mit Misshandlung und Folter droht, wenn aufgrund weiterer Umstände von einer oppositionellen Haltung ausgegangen wird. Ob dies auch den von der Anwältin von HRW zitierten Fällen zugrunde liegt, lässt sich dem Zitat nicht entnehmen; dies kann der Senat nicht ausschließen. Dem Bericht ist nicht zu entnehmen, auf welche Faktenlage er gestützt ist. Eine zahlenmäßige Größenordnung, die für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit von Inhaftierung und Folter insbesondere angesichts der Tatsache, dass Wehrdienstentziehung in Syrien weit verbreitet ist, sowie angesichts der nachstehend unter bb) aufgeführten Erwägungen notwendig wäre, kann dem Bericht nicht entnommen werden.

112

Soweit ein Einsatz an vorderster Front innerhalb von wenigen Tagen und Wochen nach der Festnahme berichtet wird, führt der UNHCR in seiner Stellungnahme von April 2017 an anderer Stelle (vgl. G 7/17, S. 25 und Fn. 122) aus, dass es gängige Praxis sei, Wehrpflichtige und Reservisten nach begrenzter oder ganz ohne militärische Ausbildung an den Frontlinien einzusetzen. Als Referenz wird in der Fußnote 122 der Syrienexperte des Institute for the Study of War (ISW), Herr Kozak, zitiert, wonach Reservisten fast grundsätzlich an die vorderste Front und neu eingezogene Wehrdienstleistende fast ohne Ausbildung in den Kampf geschickt würden. Angesichts dessen kann nicht beachtlich wahrscheinlich festgestellt werden, dass Militärdienstentzieher nach ihrer Festnahme härter behandelt werden als Personen, die der Einberufung zum Wehrdienst bzw. der Einberufung als Reservist gefolgt sind (vgl. zum sog. Politmalus: BVerfG, Beschl. v. 29.4.2009, 2 BvR 78/08, juris Rn. 18 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 24.4.2017, 1 B 22.17, juris Rn. 14).

113

Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Inhaftierung ergibt sich auch nicht aus der Stellungnahme von Herrn Kozak, die in der Stellungnahme des UNHCR von November 2017 sowie vom 30. Mai 2017 wiedergegeben wird (UNHCR, 11/2017, G 35/17, S. 40, Fn. 226 - E-Mail v. C. Kozak v. 6.10.2017; UNHCR, 30.5.2017, G 9/17, S. 3 Fn. 14 - E-Mail v. C. Kozak v. 18.5.2017 -, vgl. auch S. 6, E-Mail v. 24.5.2017). Herr Kozak wird dahingehend zitiert, er habe Berichte gehört, dass das Verhalten eingezogener Wehrdienstentzieher durch Militäroffiziere und andere Offizielle als verräterisch und regierungsfeindlich angesehen würde. In der Stellungnahme des UNHCR vom 30. Mai 2017 (G 9/17, S. 6) wird er dahingehend zitiert, dass die Regierung in der Praxis aufgrund des anhaltenden Bedarfes an Streitkräften ein begrenztes Interesse daran zeige, Wehrdienstentzieher den geltenden rechtlichen Sanktionen zu unterziehen. Anstatt langjähriger Gefängnisstrafen scheine die rasche Einberufung in den Wehrdienst die bevorzugte Reaktion auf Wehrdienstentziehung zu sein und zwar selbst bei Personen, die in Regionen wohnten, die zuvor unter der Kontrolle von Oppositionsgruppen gestanden hätten. Die meisten Wehrdienstentzieher befänden sich daher vermutlich nicht für lange Zeit im Strafverfolgungssystem. Die brutalen Bedingungen der Einziehung zum Militärdienst mit haftähnlicher Internierung auf Militärstützpunkten und minimalem Training vor dem Fronteinsatz blieben jedoch bestehen. Den Äußerungen ist nicht zu entnehmen, auf welcher Faktenlage sie beruhen, ob es sich um eine wertende Einschätzung handelt oder diesen Äußerungen Erkenntnisse über entsprechende Inhaftierungen und ggf. in welcher Größenordnung bzw. unter welchen Umständen zugrunde liegen. Die Angabe einer die Einschätzung stützenden Faktenlage ist zur Überzeugung des Gerichts auch angesichts der nachfolgend unter bb) ausgeführten Erwägungen - insbesondere des hohen Personalbedarfs des Assad-Regimes - notwendig, die dafür sprechen, dass Wehrdienstentzieher nach einer Festnahme ohne vorangegangenes Strafverfahren oder Strafhaft umgehend zum Militärdienst eingezogen werden, d.h. auf Militärbasen verbracht, dort ausgebildet und dann an der Front eingesetzt werden.

114

Die weiteren vom UNHCR in der Stellungnahme vom 30. Mai 2017 (G 9/17, S. 6 f.) genannten Referenzquellen (J. Landis, R. Davis und L. Fakih) gehen nach ihrem Verständnis des Assad-Regimes bzw. auf der Grundlage von nicht näher genannten Interviews davon aus, dass Wehrdienstverweigerung als regierungsfeindlich angesehen werde. Den Äußerungen lässt sich - soweit es sich nicht nur um Wertungen handelt - keine Faktengrundlage entnehmen.

115

Die vom UNHCR genannten zusätzlichen Risikofaktoren knüpfen an eine vermutete Regimegegnerschaft an. Anhaltspunkte ergeben sich insoweit in Bezug auf den Kläger nicht. Aus der Region Qunaitra ist er mit seinen Eltern nach Damaskus und somit in ein von dem Assad-Regime kontrolliertes Gebiet geflohen. Seine Eltern leben dort nach den Angaben des Klägers unbehelligt. Soweit die Stellungnahme des UNHCR dahin zu verstehen sein sollte, dass sich allein die Stellung eines Asylantrages bzw. die Registrierung als Flüchtling risikoerhöhend auswirkt, vermag der Senat dies - wie unter III. ausgeführt sowie angesichts der Zahl von ca. 6,5 Mio. Flüchtlingen - nicht zu teilen. Wie ausgeführt fehlen belastbare Erkenntnisse über den Umgang des Assad-Regimes mit zurückkehrenden syrischen Staatsangehörigen im wehrdienstfähigen Alter.

116

(2) Das DRC (08/2017, G 23/17, S. 13 unter Hinweis auf C. Kozak) geht davon aus, dass die individuelle Verfolgung von einzelnen Personen, die sich dem Wehrdienst bzw. dem Militärdienst entzogen hätten, auch angesichts der Vielzahl derjenigen, die der Einberufung nicht gefolgt seien, nicht im Vordergrund stehe. Weiter wird dort (S. 13 f., Fn. 62) unter Berufung auf C. Kozak und andere Quellen ausgeführt, dass Wehrdienstentzieher, wenn sie festgenommen werden, riskieren zum Militärdienst eingezogen zu werden, während Deserteuren eher schwerere Konsequenzen drohen, wie Inhaftierung (imprisonment) oder die Todesstrafe.

117

(3) Das Auswärtige Amt (2.1.2017, 2017/2, S. 2 f.) berichtet über Befragungen von Rückkehrern aus dem Ausland durch Sicherheitsdienste sowie, dass die Sicherheitsdienste im rechtsfreien Raum agieren würden; es führt jedoch gleichzeitig aus, dass zu einer systematischen Anwendung von schwerwiegenden Eingriffen bei derartigen Befragungen keine Erkenntnisse vorlägen. Zur speziellen Verfolgungsgefahr für zurückkehrende Wehrdienstentzieher äußert sich das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 13. September 2017 an das VG Köln (2017/9, S. 1). Es führt aus, dass über die Exekution von desertierten Soldaten berichtet werde, sowie über willkürliche Verhaftungen von Männern, die sich nicht ausweisen könnten und aus umkämpften Gebieten geflohen seien. „Dies gilt auch für Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich dem Militärdienst entzogen haben“. Selbst wenn sich diese Äußerung nicht nur auf willkürliche Verhaftungen, sondern auch auf die Exekution beziehen sollte, ist diese nicht weiter belegte Äußerung auch angesichts der gegenteiligen Erkenntnisse, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen im Vordergrund stehe, nicht belastbar.

118

In der Auskunft der deutschen Botschaft Beirut (3.2.2016, 2016/1, S. 1) wird von Fällen berichtet, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert und dauerhaft verschwunden seien. Dies stehe aber überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten. Der erkennende Senat geht - wie nachfolgend unter b. ausgeführt - nicht davon aus, dass Wehrdienstentziehern allein aufgrund der Wehrdienstentziehung eine Regimegegnerschaft zugeschrieben wird.

119

(4) Das Deutsche Orient-Institut führt in seiner Auskunft vom 8. November 2016 (G 3/16, S. 1, 2) zwar aus, dass wenn die Ausreise u.a. dem Zweck gedient habe, sich dem Wehrdienst zu entziehen, dies eine harte Bestrafung nach sich ziehe. Dem stehen aber die anders lautenden neueren Stellungnahmen des UNHCR entgegen, wonach derzeit die Einziehung zum Militärdienst im Vordergrund stehe. Zudem führt das DOI aus, dass die ihm zur Verfügung stehende Datenlage aufgrund der aktuellen Lage in Syrien hinsichtlich behördlicher Aktivitäten und Vorgehensweisen des syrischen Staates nicht immer belastbar sei.

120

(5) Das Immigration and Refugee Board of Canada (IRB Canada) berichtet in seiner Stellungnahme vom 19. Januar 2016 (G 5/16, S. 8 f. dt. Übersetzung) von einer Gefährdung nicht gedienter Männer bei Einreise über die Flughäfen. Es bleibt aber unklar, auf welcher Faktenlage die benannten Referenzquellen (CIVIC, Executive Direktor, Emeritus Professor) zu der Einschätzung gekommen sind und ob es bei den inhaftierten Personen weitere Anhaltspunkte für eine mögliche oppositionelle Einstellung oder die Zuschreiben einer regimefeindlichen Einstellung gab. An anderer Stelle wird im Bericht ausgeführt (G 5/16, S. 5 dt. Übersetzung), dass es nur „limitierte“ Informationen bezüglich der Behandlung von syrischen Rückkehrern seit 2011 gebe bzw. es „sehr schwer“ sei, Informationen über die Behandlung von Rückkehrern durch Grenzbeamte zu erhalten, da die Presse darüber nicht berichten könne. Jedoch habe man bruchstückhafte Darlegungen von Syrern in Damaskus gehört, von Leuten, die nach Syrien zurückgekehrt und dann verschwunden seien; in manchen Fällen hätten sie auch Verwandten von ihren Plänen zurückzukehren berichtet, sie seien dann aber niemals angekommen und hätten auch nicht mehr erreicht werden können. Eine Frau habe berichtet, dass im Juni 2012 zwei Verwandte verhaftet und verschwunden seien, als sie nach Syrien zurückgekehrt seien. Derartige vereinzelte Referenzfälle können angesichts der Vielzahl von Wehrdienstentziehern nach Ansicht des Senats nicht als ausreichende Faktenlage für die Annahme einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgung dienen.

121

(6) Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (21.3.2017, G 5/17, S. 8) zitiert im Wesentlichen den Bericht des IRB Canada vom 19. Januar 2016 (G 5/16, S. 8 f. dt. Übersetzung), wonach Männer im wehrdienstfähigen Alter besonderes gefährdet seien, Opfer von Misshandlungen zu werden. Auf die vorstehenden Ausführungen unter (5) zu dieser Stellungnahme wird Bezug genommen.

122

(7) Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 27) führt unter Berufung auf den Danish Immigration Service aus, dass ein Wehrdienstverweigerer, der aufgegriffen würde, zum Dienst in der Armee geschickt werden könnte. Die Konsequenzen hingen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gebe, wären die Konsequenzen ernster. Im Bericht des BFA von August 2017 (G 11/17, S. 20 und Fn. 51) geht dieses unter Berufung auf Interviews mit einer europäischen diplomatischen Quelle in Beirut am 18.5.2017 sowie vom selben Tag mit Lama Fakih davon aus, dass bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung die Meinungen der Quellen auseinandergingen. Während die einen darin eine „Foltergarantie“ und ein „Todesurteil“ sähen, würden andere sagen, dass Verweigerer sofort eingezogen würden.

123

bb) Zudem begründen die nachfolgenden Erwägungen Zweifel daran, dass zurückkehrenden Wehrdienstverweigerern beachtlich wahrscheinlich eine Bestrafung und/oder Inhaftierung droht, wenn keine individuellen Anhaltspunkte auf eine Regimegegnerschaft hindeuten.

124

(1) Die syrische Armee ist personell erheblich geschwächt, so dass ein hoher Personalbedarf an einsatzbereiten Soldaten besteht.

125

Die syrische Armee ist durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen deutlich geschwächt und hat einen Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Es wird berichtet (BFA, 5.1.2017, G 26/17, S. 23; DRC, 08/2017, G 23/17, S. 8,), dass viele Männer ihrer Einberufung nicht Folge leisten. Berichten zufolge sollen die kampffähigen Truppen der syrischen Armee von ehemals 300.000 Soldaten auf ca. 125.000 bis 175.000, nach einer Angabe sogar auf aktuell 25.000 - 30.000 Soldaten reduziert sein, da sich das Assad-Regime finanziell mehr nicht leisten könne (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 2; Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 06 12 2017, S. 7; vgl. zum Zerfall der Armee auch: Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 15 07 2017, S. 3; Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 19 04 2017, S. 2, 9, 13). Bereits im Jahr 2014 soll das Assad-Regime nur noch über 100.000 Soldaten verfügt haben (UNHCR, 30.5.2017, G 9/17, S. 2, Fn. 7 unter Verweis auf C. Kozak), von denen nur 30.000 - 40.000 tatsächlich in der Lage gewesen seien, militärische Operationen durchzuführen (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 2); im November 2016 soll die syrische Armee nur noch über 50.000 Soldaten verfügt haben (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 2). Daneben besteht - wie bereits ausgeführt - eine Vielzahl von regierungstreuen Milizen.

126

Russland versucht seit Beginn seiner Intervention in Syrien im September 2015, die syrischen Sicherheitsapparate und die syrische Armee zu stärken. So sollten auf Initiative Russlands mit neuen Kommandostrukturen die paramilitärischen Gruppen unter die Kontrolle der syrischen Armee gebracht werden; dazu sollen im Oktober 2015 bzw. November 2016 das IV. Angriffskorps (Fourth Storming Corps - Latakia) bzw. das V. Angriffskorps (Fifth Storming Corps - Damaskus) gegründet worden sein. Im IV. Angriffskorps sollten lokale Milizen und reguläre syrische Einheiten vereint werden; dieser Ansatz konnte nicht umgesetzt werden. Im V. Angriffskorps sollen Personen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, Deserteure und Beamte aufgeboten werden, um unter der gemeinsamen Führung der syrischen Armee, der Hisbollah und Russlands zu kämpfen (DRC v. 08/2017, G 23/17, S. 8; SFH v. 23.3.2017, G 19/17, S. 4; Truppendienst, Streitkräfte des Assad-Regimes, v. 15.2.2017).

127

Der Zerfall der syrischen Armee scheint sehr weitgehend zu sein; so soll diese im Wesentlichen nur noch aus der Division der Republikanischen Garde und der 4. Panzerdivision bestehen, die beide fast ausschließlich aus Alawiten bestehen, die unterstützt werden durch dem Assad-Regime treue unter verschiedenen Kommandos stehende syrische Milizen. Zugleich berichten verschiedene Quellen, dass inzwischen die syrische Armee in große Militäroperationen nur zu einem Bruchteil involviert sei. In solchen verlasse sich das Assad-Regime auf eine Mischung aus Elite-Einheiten, loyalen Milizen und ausländischer Unterstützung, insbesondere die iranischen „Islamischen Revolutionsgarden“ (IRGC), afghanische und irakische schiitische Milizen und die libanesischen Hisbollah-Milizen. Diejenigen Einheiten, in denen Wehrpflichtige überwiegend eingesetzt würden, seien daran nicht beteiligt (DRC v. 08/2017, G 23/17, S. 9; Truppendienst, Streitkräfte des Assad-Regimes, v. 15.2.2017; vgl. zur Unterstützung durch iranische und russische Kampfverbände sowie von durch den Iran gestützte schiitische Milizen aus dem Irak und Libanon: Gerlach, Herrschaft über Syrien, 2015, S. 215 ff. [zu schiitischen Milizen aus dem Irak], S. 237 ff. [zu libanesischen Hisbollah-Milizen], S. 257 ff. [zu iranischen Truppen und Milizen], S. 282 ff. [zum Einfluss Russlands]; IFK, Fact Sheet Syrien Nr. 63, Internationales Konflikt- und Krisenmanagement sowie Militärische Entwicklungen; IFK, Fact Sheet Syrien Nr. 61, Internationales Konflikt- und Krisenmanagement; IFK, Fact Sheet Syrien & Irak, Jahresrückblick 2016, v. 31.1.2017, Internationales Konflikt- & Krisenmanagement, Syrien; Streitkräfte des Assad-Regimes, v. 15.2.2017; Truppendienst, Der syrische Bürgerkrieg - Update 06 12 2017, S. 5 ff., Update 15 07 2017, S. 3 f., Update 19 04 2017, S. 2 f., 9, 13, Update 15 02 2017, S. 7 f., Update 15 12 2016, S. 2).

128

(2) Gleichzeitig hat das Assad-Regime verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die in der Armee entstandenen Lücken wieder zu schließen. Zum einen werden Verhaftungen von Deserteuren und von Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, sowie Zwangsrekrutierungen berichtet (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 2). Darüber hinaus wird berichtet, dass das Assad-Regime bei Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, verlange, dass die jungen Männer der Region in die syrische Armee eintreten. So sollen nach der Eroberung von Ost-Aleppo 5000 Männer in den Wehrdienst eingezogen worden sein. Selbst Häftlinge sollen unter Druck gesetzt werden, in die syrische Armee einzutreten (vgl. SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 7). Andererseits versucht das Assad-Regime, mit Amnestien und der Erhöhung des Soldes Anreize für den Eintritt in den Militärdienst zu schaffen (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 3, 12; BFA, 08/2017, G 11/17, S. 23). Dem Bestreben des Assad-Regimes nach einer Erhöhung der Zahl seiner Militärangehörigen durch Rekrutierung würde es auch angesichts der Berichte darüber, dass den Einberufungen im großem Umfang (nach Angaben der SFH sollen zwischen 70.000 - 110.000 Soldaten desertiert sein oder sich dem Wehrdienst entzogen haben) nicht Folge geleistet wird (DRC, 08/2017, G 23/17, S. 8; SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 2), zuwider laufen, wenn die so rekrutierten Soldaten zunächst inhaftiert, misshandelt und im schlimmsten Fall getötet würden.

129

Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass ein hoher Vertreter des Militärs eine harte Bestrafung der Zurückkehrenden angekündigt hat (Spiegel v. 11.9.2017, Assads Top-General droht Flüchtlingen). Es handelt sich um eine einzelne Äußerung, bei der schon fraglich ist, ob die Person für das Assad-Regime sprechen kann.

130

Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass nach Ansicht des Senats bei der erforderlichen Prognose zudem zu berücksichtigen ist, dass nach Angaben des UNHCR (v. 13.12.2017, G 36/17) insgesamt mehr als 5,4 Millionen Syrer als Flüchtlinge in den Ländern Türkei (3,38 Mio.), Libanon (ca. 1 Mio.), Jordanien (ca. 655 T.), Irak (ca. 247 T.), Ägypten (ca. 126 T.) und in Nordafrika (ca. 30 T.) registriert waren. Hinzu kommen ca. 1 Mio syrische Flüchtlinge, die ins westliche Europa geflüchtet sind. Allein unter den vom UNHCR erfassten 5,4 Mio. Flüchtlingen befinden sich ca. 25 % männliche Flüchtlinge im Alter zwischen 18 und 59 Jahren. Bei der nach Ansicht des Gerichts prognostisch zu unterstellenden Rückkehr einer Vielzahl dieser Flüchtlinge nach Syrien ist nach Auffassung des Gerichts nicht zu prognostizieren, wie das Assad-Regime sich diesen gegenüber verhalten wird. Insbesondere eine Bestrafung auch nur eines beachtlichen Teils dieser mehr als 1,5 Mio. männlichen Rückkehrer ist für das Gericht nicht hinreichend wahrscheinlich. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch der Umstand, dass seit 2015 260.000 Syrer, davon 31.000 im 1. Halbjahr 2017, zumindest zeitweise nach Syrien zurückgekehrt sind – darunter dürften auch Männer im wehrdienstfähigen Alter sein - Zweifel daran begründet, dass beachtlich wahrscheinlich eine Inhaftierung einer beachtlichen Zahl von Rückkehrern im wehrdienstfähigen Alter erfolgen wird.

131

b) Den Erkenntnisquellen lassen sich zur Überzeugung des Senats auch keine hinreichend verlässlichen Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass Wehrdienstverweigern beachtlich wahrscheinlich durch das Assad-Regime eine regimefeindliche Haltung unterstellt wird und ihnen daher in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine relevante Verfolgung droht.

132

aa) Den Erkenntnisquellen lassen sich keine hinreichenden Fakten für die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit der Zuschreibung einer Regimegegnerschaft entnehmen.

133

(1) Die Schweizerische Flüchtlingshilfe berichtet, dass die Bestrafung von Wehrdienstverweigerern häufig von der Position und dem Rang des Betreffenden, aber auch von dem Bedarf an der Front abhängt (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 10). Ebenfalls wird berichtet, dass einige der Festgenommenen zwar zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen würden, andere aber lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt würden (SFH, 28.3.2015, G 9/15; DRC 9/2015, G 11/15, S. 18). An anderer Stelle weist die Schweizerische Flüchtlingshilfe (v. 21.3.2017, G 5/17, S. 10) darauf hin, dass prinzipiell davon ausgegangen werden müsse, dass jede Person, die nach Syrien zurückkehre, verhaftet und misshandelt werden könne. Die Willkür zeige sich auch darin, dass sich einzelne mit Bestechung freikaufen könnten. Amnesty International beschreibe den weit verbreiteten Opportunismus der syrischen Sicherheitsbeamten, die entweder aus Profitgier oder aus persönlicher Rache Menschen verhaften und verschwinden ließen. Auch seien viele Menschen in Haft, weil sie aus persönlichen Gründen von Informanten diffamiert worden seien. Diese Willkür spiegelt sich auch in der Struktur der Sicherheitsdienste wieder (s.o. S. 10).

134

(2) Hingegen geht der UNHCR davon aus, dass nach Stellungnahmen unabhängiger Beobachter Wehrdienstentziehung „wahrscheinlich“ als politischer Akt gegen die Regierung aufgefasst werde, was die Behandlung, der Wehrdienstentzieher ausgesetzt seien, ganz oder teilweise motivieren könne (11/2017, G 35/17, S. 39 mit Fn. 224; 30.5.2017, G 9/17, S. 3 mit Fn. 13 und 14, S. 6 f.). Allerdings führt der UNHCR in seiner Stellungnahme vom 30. Mai 2017 (G 9/17, S. 3) weiter aus, dass „oft nicht zu unterscheiden und festzustellen“ sei, ob die gegen die Betroffenen angewandten Sanktionen als Antwort auf die Straftat der Wehrdienstentziehung oder auf die unterstellten oppositionellen Überzeugungen erfolgten. Die vom UNHCR angeführten Referenzquellen lassen nicht erkennen, auf welcher Faktenlage diese zu der Einschätzung der Unterstellung einer regimefeindlichen Haltung gelangt sind; der Senat sieht sich angesichts der dargelegten Stellungnahmen, die von willkürlichen Behandlungen ausgehen, der dargelegten Interessenlage, der Vielzahl von Wehr- und Militärdienstentziehern nicht in der Lage, diese Einschätzung zu teilen und Inhaftierung und Misshandlung wegen einer (unterstellten) regimefeindlichen Haltung als beachtlich wahrscheinlich anzusehen:

135

Der vom UNHCR als Referenzquelle genannte Herr Kozak hat erklärt (UNHCR, 30.5.2017, G 9/17, S. 3, Fn. 14, E-Mail von C. Kozak v. 18.5.2017), er habe gehört, dass das Verhalten von bereits einberufenen Wehrdienstverweigerern von Militäroffizieren und anderen Beamten als verräterisch und regierungsfeindlich angesehen werde könne. In der Stellungnahme des UNHCR vom November 2017 (G 35/17, S. 39, Fn. 224) wird Herr Kozak dahingehend zitiert (E-Mail v. 6.10.2017), dass nach seiner Einschätzung die Regierung Sanktionen gegen Wehrdienstentzieher verhänge als strafrechtliche Ahndung, aber auch weil sie die Wehrdienstentziehung als politische oder regierungsfeindliche Tätigkeit ansehe.

136

Die in der Stellungnahme des UNHCR vom 30. Mai 2017 (G 9/17, S. 6) aufgeführten weiteren Referenzquellen (J. Landes, R. Davis und L. Fakih) geben z.T. ihre subjektive Einschätzung wieder. Für den Senat ist nicht erkennbar, auf Grundlage welcher Fakten (genannt werden von R. Davis „Interviews“) diese Einschätzung erlangt worden ist.

137

(3) Die Unabhängige Untersuchungskommission für Syrien führt im Bericht vom 11. August 2016 (A/HRC/33/55, G 14/16, S. 13 Rn. 75) aus, dass Zivilisten, hauptsächlich Männer im kampffähigen Alter, weiterhin von den Straßen Syriens verschwinden würden. Zehntausende von Syrern würden vermisst, viele unter Umständen, die vermuten ließen, dass sie gewaltsam verschwunden seien. Nicht näher referiert ist, ob es sich um (Zwangs-)Rekrutierungen oder Inhaftierungen handelt und aus welchen Gründen diese erfolgen.

138

bb) Auch allgemeine Erwägungen lassen zweifeln, ob Wehr- bzw. Militärdienstentziehern beachtlich wahrscheinlich eine regimefeindliche Haltung unterstellt werden wird. Hierfür spricht insbesondere der Umstand, dass berichtet wird, im Rahmen von Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, werde verlangt, dass die jungen Männer in die syrische Armee eintreten, und sogar Häftlinge unter Druck gesetzt werden, in die Armee einzutreten (SFH, 23.3.2017, G 19/17, S. 7; HRC COI, 2.2.2017, G 14/17, S. 18 zu Ost-Aleppo). Das Verhalten des Assad-Regimes scheint insoweit primär durch Überlegungen zur Erhaltung seiner Macht gekennzeichnet zu sein. In diesem Kontext fehlen hinreichend verdichtete Erkenntnisse darüber, wie das Assad-Regime mit einer Vielzahl zurückkehrender Männer, die sich der Einberufung zum Wehrdienst oder dem Wehrdienst durch Flucht ins Ausland entzogen haben, umgehen würde.

139

Ergänzend nimmt der Senat auf die im Urteil des Verwaltungsgerichts (S. 17 ff. UA) angeführten Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 16. Dezember 2016 (1 A 10922/16, juris Rn. 150 ff.) Bezug.

140

c) Nach Ansicht des Senats lässt sich den Erkenntnisquellen nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass dem Kläger beachtlich wahrscheinlich andere Verfolgungshandlungen wie ein unmittelbarer Fronteinsatz aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründen, insbesondere wegen einer unterstellten Regimegegnerschaft, droht.

141

Insoweit wird - wie ausgeführt - berichtet, dass die Ausbildungszeit der Wehrpflichtigen oft kurz (45 Tage) sei (BFA, 08/2017, G 11/17, S. 18) und die Betreffenden häufig unverzüglich an die Front geschickt würden (UNHCR, April 2017, G 7/17, S. 25 f.). Es ist für den Senat angesichts der Schilderungen, dass dies alle Wehrpflichtigen und Reservisten treffe (vgl. UNHCR, April 2017, G 7/17, S. 25 und Fn. 122), nicht hinreichend belastbar erkennbar, dass dies nur Wehrdienstverweigerer oder Reservisten trifft, die sich der Einberufung entzogen haben. Für den Senat ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dies in Anknüpfung an eine aufgrund der Wehrdienstentziehung dem Kläger zugeschriebene regimefeindliche Haltung erfolgt.

142

d) Insgesamt erscheint es dem Gericht zwar beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger nach seiner Rückkehr nach Syrien - wie er es befürchtet - rekrutiert würde. Die Heranziehung zur Wehrpflicht bzw. Rekrutierung volljähriger Männer stellt aber keine flüchtlingsrelevante Verfolgung dar, weil diese nicht wegen eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgt, sondern alle Männer trifft, die Wehrdienst abzuleisten haben oder als Reservist wieder eingezogen werden könnten (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.8.1986, 9 C 322/85, DVBl. 1987, 47, juris Rn. 11; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.9.2017, 2 LB 750/17, juris Rn. 63). Es kann daher offen bleiben, ob vorliegend die Rekrutierung eine Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG darstellt. Jedenfalls fehlt es in Bezug auf die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft daran, dass die Rekrutierung zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt wird, die durch die Maßnahmen gerade wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe getroffen werden sollen. Insbesondere ist die Gruppe der Männer, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, keine soziale Gruppe i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Insoweit fehlt es jedenfalls daran, dass die Gruppe dieser Männer in Syrien eine abgegrenzte Identität hat; es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die syrische Gesellschaft die Männer, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, als soziale Gruppe wahrnimmt. Auch liegt insoweit keine Anknüpfung an das (männliche) Geschlecht vor. Da in Syrien nur Männer wehrdienstpflichtig sind, ist es selbstverständlich, dass sich Sanktionen wegen Verletzung dieser Pflicht nur gegen Männer richten.

143

4. Andere Obergerichte (vgl. VGH München, Urt. v. 14.2.2017, 21 B 16.31001, juris; VGH Mannheim, Urt. v. 28.6.2017, A 11 S 664/17, Asylmagazin 2017, 349, juris; VGH Kassel, Urt. v. 6.6.2017, 3 A 3040/16.A, juris - für rückkehrende Wehrdienstentzieher, die aus einem regierungsfeindlichen Gebiet stammen) sind zu der Überzeugung gelangt, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nach Syrien zurückkehrenden Männern eine Inhaftierung und menschenrechtswidrige Misshandlung droht, weil das Assad-Regime ihnen eine regimefeindliche Haltung zuschreiben werde. Da keine Erkenntnisse über nach Syrien zurückkehrende Männer vorlägen, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst durch Flucht ins Ausland entzogen haben, wird dies zum Teil aus der Brutalität des Vorgehens des Assad-Regimes gegenüber Regimegegnern, insbesondere aus dem Vorgehen der Geheimdienste, geschlossen sowie aus dem Charakter des um seine Existenz kämpfenden Staates zur Wiederherstellung seines Herrschaftsmonopols abgeleitet (vgl. VGH München, a.a.O., Rn. 83). Zugleich wird angenommen, dass eine harte und menschenrechtswidrige Bestrafung von Männern, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, belegt sei, und von der erforderlichen Gerichtetheit auf Merkmale i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG im Hinblick auf den gegen die Zivilbevölkerung geführten Vernichtungskrieg, das dominierende Freund/Feind-Schema und wegen der Intensität der Verfolgungsmaßnahmen auszugehen sei (VGH Mannheim, Urt. v. 28.6.2017, A 11 S 664/17, Rn. 59 ff.). Zum Teil werden die vom UNHCR genannten Referenzquellen als hinreichende tatsächliche Faktenlage angesehen.

144

Dem folgt der Senat nicht. Wie ausgeführt ist nach Auffassung des Senats den Erkenntnisquellen eher zu entnehmen, dass Rückkehrer im wehrdienstfähigen Alter allein rekrutiert und dem Militärdienst zugeführt werden; zudem fehlt es an einer hinreichend verlässlichen Faktenlage, auch im Hinblick auf die Frage, aus welchen Gründen eine Inhaftierung erfolgt. Der erkennende Senat gründet seine Ansicht, dass insoweit schon nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgungshandlung ausgegangen werden kann, darauf, dass in den Erkenntnisquellen gewichtige Hinweise vorhanden sind, dass Personen, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, im ausgeführten Gesamtkontext und angesichts des Bedarfs an Soldaten in das Militär eingezogen werden. Die fehlende beachtliche Wahrscheinlichkeit eines an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal anknüpfenden Verfolgungsgrundes beruht auf einer anderen Bewertung des Assad-Regimes und auf insoweit nicht in hinreichender Dichte vorhandenen Referenzfällen. Als handlungsleitendes Muster des Assad-Regimes vermag der Senat ein Freund/Feind-Schema nur bedingt zu erkennen; neben der Willkür einzelner handelnder Akteure dürften die Handlungen des Assad-Regimes vor allem dadurch bestimmt sein, was der Machterhaltung bzw. dem Vorteil des Regimes dient. Der z.T. menschenrechtswidrige und mit großer Härte geführte Krieg gegen die Zivilbevölkerung in Gebieten, die von Oppositionellen gehalten werden, zielt nach Überzeugung des Senats im Wesentlichen auf die Vernichtung des im Schutz der Zivilbevölkerung kämpfenden Gegners. Auch wenn die jeweilige Zivilbevölkerung dafür bestraft werden sollte, dass diese dem kämpfenden Gegner „Schutz bietet“, so würde auch dieser Umstand keinen Schluss darauf zulassen, wie das Assad-Regime mit Personen umgeht, die sich dem Wehr- bzw. Kriegsdienst entzogen haben. In diesem spezifischen Gesamtkontext kann die Intensität möglicher Verfolgungshandlungen nicht die Gerichtetheit der Verfolgung indizieren.

V.

145

Dem Kläger ist nicht deshalb der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, weil ihm in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG eine Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes droht, der Verstöße gegen das Völkerstrafrecht i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde. Insbesondere kann er sich nicht auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG berufen.

146

1. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG lautet:

147

„Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

148

(...)
5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 fallen,...“

149

Der in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG in Bezug genommene § 3 Abs. 2 AsylG lautet:

150

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling (...), wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

151

1. ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2. vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3. den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.

152

a) § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG setzt die Vorgaben aus Art. 9 Abs. 2 lit. e) i.V.m. Art. 12 Abs. 2 lit. a) RL 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) um. Aus den Materialien zur Entstehung der Qualifikationsrichtlinie ist dabei ersichtlich, dass die Richtlinie grundsätzlich das Recht der Staaten auf Durchsetzung einer Wehrpflicht bzw. eines Militärdienstes respektiert. Denn ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, wie ihn die EU-Kommission im Entwurf der Qualifikationsrichtlinie vorgeschlagen hatte, ist in Art. 9 Abs. 2 lit. e) RL 2011/95/EU nicht übernommen worden (vgl. Marx, AsylG, 9. Auflage 2017, § 3a Rn. 36 f.). Hiervon macht Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) RL 2011/95/EU (bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG) eine Ausnahme und privilegiert die Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des Art. 12 Abs. 2 lit. a) RL 2011/95/EU (vgl. § 3 Abs. 2 AsylG) fallen, also im Rahmen des Militärdienstes Kriegsverbrechen i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG begangen werden würden.

153

Auch bei Vorliegen einer Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist es nach § 3 Abs. 3 AsylG erforderlich, dass die Verfolgungshandlung - vorliegend eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes - wegen einer der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründe besteht (vgl. OVG Münster, Urt. v. 4.5.2017, 14 A 2023/16.A, NVwZ 2017, 1218, juris Rn. 100; offen gelassen: OVG Lüneburg, Urt. v. 12.9.2017, 2 LB 750/17, juris Rn. 70 ff.).

154

Da die Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG an die (drohende) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes anknüpft, wird insoweit regelmäßig eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen einer politischen Überzeugung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG vorliegen. Denn die Verweigerung des Militärdienstes, um nicht an Kriegsverbrechen i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG mitzuwirken oder diese zu unterstützen, dürfte regelmäßig Ausdruck einer politischen Überzeugung sein (vgl. Treiber in: GK-AufenthG, Stand April 2011, § 60 AufenthG Rn. 169).

155

Die gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG privilegierte Verfolgungshandlung knüpft an eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes an, wenn der Militärdienst die Begehung von Kriegsverbrechen i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG umfassen würde. Unter den Anwendungsbereich der Regelung fallen Ausländer, die ihrer gesetzlich angeordneten Wehrpflicht folgen, freiwillig Wehrdienst oder als Berufssoldaten Militärdienst leisten (Marx, Handbuch zum Flüchtlingsrecht, 2. Auflage 2012, § 14 Rn. 176), sofern die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind. Nicht jeder Dienst von Wehrpflichtigen umfasst dabei auch Militärdienst (vgl. zu den unterschiedlichen Begriffen: UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 10 vom 12.11.2014, S. 3, unter II. Terminologie). Im Hinblick auf Wortlaut und Zielrichtung der Norm liegt ein „Militärdienst“ nicht vor, wenn und solange nur eine militärische Ausbildung erfolgt, in der der Soldat nicht in Teile des Militärs eingebunden ist, die an einer militärischen Auseinandersetzung beteiligt sind.

156

Der Europäische Gerichtshof (Urt. v. 26.2.2015, C-472/13, Shepherd, EuGRZ 2015, 160, juris Rn. 34; dem folgend: OVG Lüneburg, Urt. v. 27.6.2017, 2 LB 91/17, juris Rn. 102 ff.; vgl. auch: OVG Münster, Urt. v. 4.5.2017, 14 A 2023/16.A, NVwZ 2017, 1218, juris Rn. 95 ff.) hat zum persönlichen Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 lit. e) i.V.m. Art. 12 Abs. 2 lit. a) RL 2004/83/EG, der identisch ist mit Art. 9 Abs. 2 lit. e) i.V.m. Art. 12 Abs. 2 lit. a) RL 2011/95/EU, entschieden, dass in Anbetracht des Ziels der Qualifikationsrichtlinie, die Personen zu bestimmen, die wegen besonderer Umstände tatsächlich internationalen Schutz benötigten und rechtmäßig in der Union darum ersuchten, „die Eigenschaft als Militärangehöriger eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung“ (Unterstreichung nur hier) darstelle, um den Schutz zu genießen, der mit den Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie verbunden sei. Dabei sei die Inanspruchnahme des internationalen Schutzes nicht allein denjenigen vorbehalten, die persönlich als Kriegsverbrechen einzustufende Handlungen begehen müssten, insbesondere den Kampftruppen. Dieser Schutz könne auf andere Personen aber nur dann ausgedehnt werden, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheine, dass der Betroffene durch die Ausübung seiner Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Kriegsverbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde (Tenor 2. Spiegelstrich) bzw. er sich in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müsse (Rn. 38; vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 27.6.2017, 2 LB 91/17, juris Rn. 102 ff.; s. auch: Treiber, GK-AufenthG, April 2011, § 60 Rn. 169). Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Begehung von Kriegsverbrechen erfordert dabei nicht, dass der Internationale Strafgerichtshof bereits Handlungen der Einheit, der der Antragsteller angehört, geahndet hat oder feststeht, dass Kriegsverbrechen begangen wurden (ebenso: Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 14 Rn. 192 ff.; Treiber, GK-AufenthG, § 60 Rn. 265 S. 215); insoweit ist vielmehr hinreichend, dass der Antragsteller darzulegen vermag, dass solche Verbrechen mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Einheit, der er angehört, begangen wurden oder werden (EuGH, Urt. v. 26.2.2015, C-472/13, Shepherd, EuGRZ 2015, 160, juris Rn. 43).

157

Diesem Ansatz folgt der erkennende Senat und wendet diese Grundsätze auf die Auslegung der vorliegend maßgeblichen Regelungen in Art. 9 Abs. 2 lit. e) i.V.m. Art. 12 Abs. 2 lit. a) RL 2011/95/EU bzw. §§ 3a Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG an. Demnach ist nicht Voraussetzung, dass dem Kläger eine persönliche Verantwortung für die Teilnahme an Kriegsverbrechen nachgewiesen wird, wie es der Fall sein müsste, wenn dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft im Hinblick auf die Ausschlusstatbestände des § 3 Abs. 2 AsylG versagt werden würde (Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 14 Rn. 201 ff.; UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 10, vom 12.11.2014, S. 12 Ziffer 23); vielmehr handelt es sich um eine präventive Norm, die diejenigen Militärangehörigen schützen will, die Verbrechen gegen das humanitäre Völkerrecht nicht begehen wollen.

158

b) Voraussetzung für die Anwendung von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist jedoch, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Kläger entweder Militärangehöriger ist bzw. vor seiner Flucht war, und sich dem Militärdienst durch Flucht entzogen hat bzw. entzieht. Dies setzt jedenfalls eine Einberufung zum Militärdienst voraus, da nur dann der Kläger im weitesten Sinne als Militärangehöriger angesehen werden könnte und der persönliche Anwendungsbereich der Regelung eröffnet wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

159

2. Selbst wenn man § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG - entgegen der Ansicht des Senats - darüber hinaus dahingehend auslegen wollte, dass es hinreichend wäre, dass bei Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich eine Rekrutierung drohen und sodann eine Verweigerung des Militärdienstes erfolgen würde, so würde auch dann dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft im Hinblick auf diese Vorschrift nicht zuzusprechen sein.

160

Denn es ist nicht beachtlich wahrscheinlich davon auszugehen, dass der Kläger sich einer Rekrutierung durch Verweigerung des Militärdienstes widersetzen würde. Der Kläger hat ausgeführt, dass er sich wie alle syrischen Männer einer Rekrutierung nicht entziehen könnte, weil dies dazu führen würde, dass die syrischen Organe ihn inhaftieren und in diesem Zusammenhang misshandeln und/oder der Folter unterwerfen oder ihn töten würden. Würde er rekrutiert werden, sähe er sich gezwungen, dem zu folgen. Damit droht ihm auch bei einer gedanklich zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien keine Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes.

161

Soweit der Kläger demgegenüber unter Berufung auf Literatur und Rechtsprechung ausländischer Gerichte vorbringt, dass eine präventive Entziehung vor der Rekrutierung und Teilnahme an Kriegsverbrechen die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründe, folgt der Senat dem nicht. Wie ausgeführt erfolgt die Rekrutierung durch das Assad-Regime nicht beachtlich wahrscheinlich wegen eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erfolgten Merkmale; ihm fehlt die im Sinne dieser Regelung notwendige (politische) Gerichtetheit. Dem dennoch bestehenden Schutzbedürfnis des Klägers - auch wegen der geltend gemachten drohenden Rekrutierung und ggf. Teilnahme an Kriegsverbrechen - hat die Beklagte durch die Zuerkennung subsidiären Schutzes umfassend Rechnung getragen.

162

3. Es kann daher offen bleiben, ob der Kläger hinreichend plausibel dargelegt hat, dass er, wenn er rekrutiert würde, in einer Einheit Dienst leisten müsste, in der er hinreichend unmittelbar an Kriegsverbrechen beteiligt wäre.

C.

163

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt; insbesondere kann eine grundsätzlich klärungsbedürftige Tatsachenfrage die Zulassung der Revision nicht begründen (BVerwG, Beschl. v. 24.4.2017, 1 B 22.17, NVwZ 2017, 1204, juris).

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf ihrer Flüchtlingsanerkennung.

2

Die 1967 geborene Klägerin ist togoische Staatsangehörige. Sie reiste 1998 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Mit Bescheid vom 28. Mai 1999 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - den Asylantrag ab. Im Klageverfahren verpflichtete das Verwaltungsgericht das Bundesamt, hinsichtlich der Klägerin das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG) festzustellen. Das Bundesamt kam dieser Verpflichtung im Juni 2004 nach.

3

Anfang 2008 leitete das Bundesamt wegen der in Togo zwischenzeitlich eingetretenen politischen Veränderungen ein Widerrufsverfahren ein. Nach Anhörung widerrief es mit Bescheid vom 28. Februar 2008 die Flüchtlingsanerkennung der Klägerin. Von einer Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG wurde abgesehen, da der Widerruf aus Gründen der Statusbereinigung erfolge. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Schwerin mit Urteil vom 26. August 2008 abgewiesen.

4

Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern mit Beschluss vom 9. März 2011 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und den Bescheid des Bundesamts aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Widerrufsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG lägen nicht vor. Die maßgeblichen Verhältnisse in Togo hätten sich nicht so verändert, dass bei einer Rückkehr eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sei.

5

Die Beklagte erstrebt mit der Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Zur Begründung macht sie geltend, das Berufungsgericht habe seiner Verfolgungsprognose einen falschen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt.

6

Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung. Das Erfordernis der hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung entspreche im Widerrufsverfahren bei Vorverfolgten dem Beweislastmaßstab aus Art. 14 Abs. 2 i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Selbst wenn das Berufungsgericht von einem fehlerhaften Maßstab ausgegangen sein sollte, beruhe die Entscheidung zumindest nicht auf diesem Fehler, da es keinen Sachverhalt festgestellt habe, der einen Widerruf rechtfertigen würde. Hilfsweise beantragt sie die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung und Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Der Beschluss des Berufungsgerichts beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung mit einer Begründung verneint, die mit Blick auf den seiner Verfolgungsprognose zugrunde gelegten Wahrscheinlichkeitsmaßstab mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG nicht zu vereinbaren ist (1.). Die Berufungsentscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO) (2.). Der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union bedarf es nicht (3.). Mangels der für eine abschließende Entscheidung notwendigen tatsächlichen Feststellungen kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Das Verfahren ist daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) (4.).

8

1. Bei dem Widerruf der Flüchtlingsanerkennung, der im vorliegenden Fall formell nicht zu beanstanden ist (s.a. Urteil vom 29. September 2011 - BVerwG 10 C 24.10 - juris Rn. 11 ff.), ist für die Verfolgungsprognose auf den Maßstab der beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit abzustellen, den das Berufungsgericht verfehlt hat.

9

1.1 Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG sind daher unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren (vgl. Urteile vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - BVerwGE 139, 109 und vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - InfAuslR 2011, 408 ; zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen).

10

Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG ist ein Drittstaatsangehöriger nicht mehr Flüchtling, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Bei der Prüfung dieses Erlöschensgrundes haben die Mitgliedstaaten nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offenzulegen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweist, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist.

11

Die unionsrechtlichen Vorgaben für ein Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in seinem Urteil vom 2. März 2010 (Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505) weiter konkretisiert. Danach muss die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend sein, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Eine erhebliche Veränderung der der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände setzt voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland deutlich und wesentlich geändert haben. Des Weiteren darf die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nicht nur vorübergehender Natur sein. Vielmehr muss festgestellt werden, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 72 ff.; zur Erheblichkeit und Dauerhaftigkeit vgl. auch BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 20 und 24 m.w.N.).

12

Veränderungen im Heimatland sind nur dann hinreichend erheblich und dauerhaft, wenn sie dazu führen, dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Die Prüfung einer derartigen Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland ist mithin untrennbar mit einer individuellen Verfolgungsprognose verbunden. Diese hat nach Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG anhand des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu erfolgen. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 21 ff.), kann wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft seit Umsetzung der in Art. 11 und 14 Abs. 2 dieser Richtlinie enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der früheren, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 73 AsylVfG nicht festgehalten werden. Der Richtlinie 2004/83/EG ist ein solches materiellrechtliches Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose fremd. Sie verfolgt vielmehr unter Zugrundelegung eines einheitlichen Prognosemaßstabs für die Begründung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er bei der tatsächlichen Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 und der Nachweispflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie zum Ausdruck kommt. Demzufolge gilt beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose nunmehr ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Aus der konstruktiven Spiegelbildlichkeit von Anerkennungs- und Erlöschensprüfung, in der die gleiche Frage des Vorliegens einer begründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 9 i.V.m. Art. 10 der Richtlinie zu beurteilen ist, ergibt sich, dass sich auch das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft danach bestimmt, ob noch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 84 ff., 98 f.).

13

Die Frage, ob die Mitgliedstaaten von diesem Prognosemaßstab in Widerrufsverfahren nach Art. 3 der Richtlinie zugunsten des Betroffenen abweichen können, bedarf vorliegend keiner Entscheidung und braucht folglich nicht, wie von der Klägerin beantragt, dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt zu werden. Denn es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der deutsche Gesetzgeber mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 bei der Flüchtlingsanerkennung an der bisherigen Anwendung unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe nach nationalem Recht festhalten wollte. Vielmehr belegt gerade der neu eingefügte § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG, demzufolge für die Feststellung einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ergänzend anzuwenden ist, dass der Gesetzgeber sich bei der Flüchtlingsanerkennung - abweichend von der bisherigen nationalen Rechtslage - den beweisrechtlichen Ansatz der Richtlinie 2004/83/EG zu eigen gemacht hat. Damit hat er auch ein - nach Umsetzung der Richtlinie ohnehin nicht zu vermeidendes - Auseinanderfallen der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Asyl nach Art. 16a GG einerseits und für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft andererseits bewusst in Kauf genommen.

14

1.2 Das Berufungsgericht hat vorliegend eine solche erhebliche und dauerhafte Veränderung der Verhältnisse im Herkunftsland auf der Grundlage einer fehlerhaften Verfolgungsprognose verneint. Denn es hat seiner Verfolgungsprognose nicht den Maßstab der beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit, sondern den der hinreichenden Verfolgungssicherheit zugrunde gelegt (BA S. 4). Dies bekräftigt im Übrigen auch der Hinweis des Berufungsgerichts, dass es im Jahr 2008 in einem Anerkennungsverfahren bei Anwendung eines anderen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs zu einem anderen Ergebnis gelangt sei (BA S. 6).

15

1.3. Die Berufungsentscheidung beruht - entgegen der Auffassung der Klägerin - auch auf dieser Verletzung des § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG. Mit den vom Bundesamt zum Anlass für eine Überprüfung der Flüchtlingsanerkennung genommenen politischen Änderungen in Togo (hier: insbesondere der Tod des früheren Präsidenten Eyadema im Februar 2005 und der von seinem Sohn im April 2006 eingeleitete strukturierte Dialog mit der Opposition) ist nach der Anerkennung der Klägerin eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in ihrem Heimatland eingetreten. Das Berufungsgericht hatte daher zu prüfen, ob es sich hierbei um eine hinreichend erhebliche und dauerhafte Veränderung der Umstände im Sinne des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG handelt, weil sich eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben hat, so dass keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung mehr besteht (Urteil vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 20, 23). Seine Bewertung, dass die bisherigen Machtstrukturen des früheren Regimes Eyadema sich nicht wesentlich verändert hätten, beruht demgegenüber auf einer Verfolgungsprognose, der ein rechtlich unzutreffender Maßstab zugrunde liegt. Sie enthält keine Aussage zur Wesentlichkeit der Veränderungen in Bezug auf den anzuwendenden Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.

16

2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zu den asylerheblichen Verhältnissen in Togo erlauben dem Senat keine eigene Verfolgungsprognose auf der Grundlage des zutreffenden Prognosemaßstabes. Auch im Falle der gerichtlichen Anfechtung eines Widerrufs ist es grundsätzlich Aufgabe des Berufungsgerichts als Tatsacheninstanz, die Verhältnisse im Herkunftsland auf der Grundlage einer Gesamtschau zu würdigen und mit Blick auf die Umstände, die der Flüchtlingsanerkennung zugrunde lagen, eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Gefahrenprognose zu erstellen. Anders als in dem vom Senat mit Urteil vom 7. Juli 2011 (BVerwG 10 C 26.10 - juris Rn. 18; zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) entschiedenen Fall tragen die bisherigen tatrichterlichen Feststellungen vorliegend auch nicht ausnahmsweise den Schluss, dass bei Zugrundelegung der unionsrechtlichen Vorgaben die Veränderungen in Togo nicht so erheblich sind, dass sie den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung der Klägerin rechtfertigen. Das Berufungsgericht hat nicht geprüft, wie sich die in Togo nach dem Tod Eyademas eingetretenen Änderungen der politischen Verhältnisse konkret in Ansehung der in der Person der Klägerin liegenden Umstände und Verhältnisse auswirken, sondern sich mit einer allgemeinen Bewertung der asylrelevanten Lage in Togo begnügt. Seine zusammenfassende Bewertung, die Menschenrechtslage werde weiterhin als ernst bewertet, die Reformen des Justizapparats schienen noch keine greifbaren Ergebnisse gebracht zu haben und die bisherigen Machtstrukturen hätten sich nicht wesentlich geändert, beschränkt sich im Kern auf eine Ergebnismitteilung, ohne die zugrunde liegenden Tatsachen für eine Neubewertung anhand des zutreffenden Prognosemaßstabs hinreichend differenziert aufzubereiten. Sie stützt sich zudem im Wesentlichen auf Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte, die fast alle aus der Zeit vor der Klärung der unionsrechtlichen Anforderungen an das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 2. März 2010 (a.a.O.) stammen und ihrer Gefahrenprognose ebenfalls den falschen Maßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit zugrunde legen. Damit fehlt es an hinreichenden tatrichterlichen Feststellungen für eine - auf den Fall der Klägerin bezogene - individuelle Verfolgungsprognose. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen daher nicht den Schluss, dass der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung (März 2011) bei einer Rückkehr weiterhin wegen ihrer früheren politischen Aktivitäten gegen das Regime Eyadema oder aus anderen, an ihre politische Überzeugung anknüpfenden Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht. Der Berufungsentscheidung kann auch nicht entnommen werden, dass es bei Anwendung des richtigen Maßstabs zu einem "non liquet" und damit der Notwendigkeit einer Beweislastentscheidung gekommen wäre.

17

3. Der - von der Klägerin hilfsweise beantragten - Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union bedarf es schon deshalb nicht, weil der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen nicht abschließend entscheiden kann. Dessen ungeachtet wirft die Auslegung und Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG im vorliegenden Verfahren auch keine Zweifelsfragen auf. Dem Wortlaut der Richtlinie ist zu entnehmen, dass ihr für die Begründung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft materiell ein einheitlicher Prognosemaßstab zugrunde liegt und sie statt unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe - mit Art. 14 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 4 - einen beweisrechtlichen Ansatz verfolgt. Hiervon geht auch der EuGH in seinem Urteil vom 2. März 2010 (a.a.O.) aus. Zugleich hat er in dieser Entscheidung geklärt, unter welchen Voraussetzungen die Flüchtlingsanerkennung nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie erlischt. Dabei differenziert er zwischen den Umständen, aufgrund derer der Betroffene als Flüchtling anerkannt wurde, und anderen Umständen, aufgrund derer er entweder aus dem gleichen oder aus einem anderen (Verfolgungs-)Grund begründete Furcht vor Verfolgung hat. Ob die Umstände, auf denen die Anerkennung beruht, weggefallen sind, beurteilt sich ausschließlich nach Art. 11 der Richtlinie. Gleiches gilt regelmäßig auch für andere Umstände, mit denen sich der Betroffene auf eine Verfolgung aus demselben Verfolgungsgrund beruft. Dabei liegt die Beweislast nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie bei der Behörde. Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie findet beim Erlöschen hingegen regelmäßig nur bei anderen Umständen Anwendung, bei denen sich der Betroffene auf einen anderen Verfolgungsgrund beruft (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 95 ff.).

18

4. Unter Beachtung dieser Vorgaben wird das Berufungsgericht in dem neuen Berufungsverfahren prüfen müssen, ob sich die Verhältnisse in Togo inzwischen so erheblich und nicht nur vorübergehend geändert haben, dass für die Klägerin bei einer Rückkehr keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung mehr besteht. Hierzu bedarf es auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnisquellen einer umfassenden Würdigung der aktuellen tatsächlichen Verhältnisse in Togo mit Blick auf die Umstände, die der Flüchtlingsanerkennung der Klägerin zugrunde lagen, und darauf aufbauend einer individuellen Verfolgungsprognose. In diesem Zusammenhang wird sich das Berufungsgericht auch mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zur Lage in Togo auseinanderzusetzen haben. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass es für einen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung grundsätzlich unerheblich ist, ob der Betroffene sein Heimatland unverfolgt oder - wie die Klägerin nach den Feststellungen im Anerkennungsverfahren - vorverfolgt verlassen hat. Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kommt in diesen Fällen regelmäßig nicht zur Anwendung. Die Prüfung, ob die Umstände, die zur Anerkennung geführt haben, nachträglich weggefallen sind, richtet sich vielmehr nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie. Bei der Erstellung der Verfolgungsprognose wird das Berufungsgericht schließlich auch der Behauptung der Beklagten im Beschwerdeverfahren nachzugehen haben, dass der Vorsitzende der CAR, für deren Jugendorganisation sich die Klägerin nach ihren Angaben im Anerkennungsverfahren in Togo vor ihrer Ausreise u.a. politisch betätigt hat, ab September 2006 Premierminister von Togo gewesen sei.

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 25. September 2013 wird geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres insoweit entgegenstehenden Bescheides vom 24. Februar 2011 in der Fassung des Bescheides vom 23. März 2012 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vom Gericht festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Der Kläger ist nach eigenen Angaben am (...) geboren und syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Bei seiner Einreise in das Bundesgebiet führte er keine Personalpapiere bei sich. Diese habe er aus Sicherheitsgründen in seinem Heimatland gelassen. Seinen Wehrdienst habe er vom (...) geleistet. Er habe vor seiner Ausreise in der Landwirtschaft gearbeitet. Er hat nach eigenen Angaben Syrien am (...) verlassen und ist (…) 2010 in das Bundesgebiet eingereist. Zu seinem Reiseweg machte er bei seiner Befragung beim Bundesamt widersprüchliche Angaben, in Syrien sei er Anhänger der Y.-Partei gewesen, nicht aber Mitglied. Am (...) habe er bei einer Parteiversammlung Wache gestanden. Als Sicherheitskräfte die Versammlung überfallen hätten, habe er fliehen können. Nähere Angaben dazu konnte er nicht machen.

3

Mit Bescheid vom 24.02.2011 wurde der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt und ebenso die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor. Der Kläger wurde zur Ausreise innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides aufgefordert und für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Syrien angedroht.

4

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage und stellte Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Nach erfolgreichem Eilrechtsschutzverfahren des Klägers änderte die Beklagte mit Bescheid vom 23.03.2012 den Bescheid vom 24.02.2011 teilweise und stellte ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG fest und hob die Abschiebungsandrohung auf.

5

In der mündlichen Verhandlung am 25.09.2013 hat der Kläger angegeben, mit 21 Jahren sei er Mitglied der Y.-Partei geworden für fünf Jahre. Er habe mit seinem eigenen Auto Flugblätter für die Partei transportiert und im Auftrag seines Bruders Parteimitglieder zu anderen Dörfern gebracht. Auf Vorhalt gab er an, nur Anhänger der Partei gewesen zu sein. Am (...) habe er mit anderen bei einer Parteiversammlung „Schmiere gestanden“. Er habe vor der Polizei fliehen können und von seinen Eltern erfahren, dass die Polizei nach ihm gefragt habe. Ein Freund seines Vaters habe ihm bei der Ausreise geholfen. Von seinen Eltern habe er telefonisch erfahren, dass er im April/Mai und im Juli/August 2012 einberufen worden sei.

6

Der Kläger hat beantragt,

7

die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 24.02.2011 zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

8

Die Beklagte hat beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 25.09.2013 abgewiesen.

11

Mit Beschluss vom 28.05.2014 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers zugelassen. Der Kläger hat die Berufung mit anwaltlichem Schriftsatz, eingegangen beim Oberverwaltungsgericht am 07.07.2014, einem Montag, zum einen unter Hinweis auf die ihm wegen Wehrdienstentziehung drohende politische Verfolgung und zum anderen wegen der ihm aufgrund der illegalen Ausreise drohenden politischen Verfolgung bei Rückkehr begründet.

12

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ergänzend angegeben, er sei in Syrien einberufen worden.

13

Der Kläger beantragt,

14

das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 25. September 2013 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des insoweit entgegenstehenden Bescheides vom 23.03.2012 verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

15

Die Beklagte beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Sie sieht die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG als nicht erfüllt an. Unverfolgt illegal Ausgereiste würden bei einer Rückkehr nach Syrien dort nicht politisch verfolgt. Dies gelte für den Kläger besonders, der bereits 2009 und damit vor den Demonstrationen gegen das Assad-Regime ausgereist sei. Entsprechendes gelte für die behauptete Einberufung zum syrischen Militär. Zudem habe der Kläger keine ihn legitimierenden Personaldokumente vorlegen können.

18

Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Berufung ist begründet.

20

Der Kläger hat seinen ursprünglichen Antrag auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zutreffend auf die aktuelle Rechtslage umgestellt, ohne dass darin eine unzulässige Klageänderung liegt.

21

Der Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ergibt sich allerdings nicht aus einer Vorverfolgung des Klägers in Syrien. Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist. Der Senat folgt insoweit der Begründung der angefochtenen Entscheidung und sieht in Anwendung des § 130b VwGO von einer weiteren Begründung ab.

22

Der Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ergibt sich §§ 28, 3 Abs. 1 AsylG. Dem Kläger droht aufgrund seiner Entziehung von der Reservedienstpflicht bei einer Rückkehr nach Syrien die Gefahr politischer Verfolgung.

23

Der Senat legt seiner Entscheidung folgende in der Rechtsprechung allgemein anerkannten Grundsätze zur Auslegung des § 3 Abs. 1 AsylG zugrunde, wie sie der VGH Mannheim ausführlich niedergelegt hat (Urt. v. 02.05.2017 -AUS 562/17, juris Rn. 19 - 35):

24

„Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatlichen Akteuren (Nr. 3), sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht (vgl. § 3e AsylG).

25

Ob die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3b AsylG) einerseits und den erlittenen oder bevorstehenden Rechtsgutsverletzungen bzw. dem fehlenden Schutz vor solchen Handlungen andererseits besteht, ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit festzustellen (BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 -10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55 Rn. 24). Die Verknüpfung ist also anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 -10 C 11.08 juris Rn. 13). Es kommt demzufolge nicht auf die ohnehin kaum feststellbaren (künftigen) subjektiven Vorstellungen der jeweils für den Akteur im Sinne des § 3c AsylG handelnden Person(en) an (BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 a.a.O.). Hier gilt nichts anderes als für das nationale; Asylrecht nach Art. 16a GG (vgl. hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 BVerfGE 76, 143 <157, 166 f>; vom 10.07,1989 - 2 BvR 502/86 BVerfGE 80, 315 <334 f>; vom 10.12.1991 - 2 BvR 958/86 BVerfGE 81, 142 und vom 11.02.1992 - 2 BvR 1155/91 -, InfAusIR 1992, 152 <154>).

26

Diese Verknüpfung geht grundsätzlich auch nicht verloren, wenn mit der Verfolgungshandlung weitere, flüchtlingsrechtlich neutrale Zwecke verfolgt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zum nationalen Asylrecht schon entschieden, dass auch in Fällen, in denen der Staat das Rechtsgut des eigenen Bestandes oder seiner politischen Identität verteidigt, eine staatliche Verfolgung vorliegen kann (BVerfG, Beschluss vom 10.07. 1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 BVerfGE 80, 315-353; Beschluss vom 12.07.1993 - 2 BvR 855/93 juris). Für das unionsrechtliche und das internationale Flüchtlingsrecht nach der Genfer Konvention gilt nichts anderes (BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 24/08 BVerwGE 135, 252 Rn. 16).
(…)

27

Es kommt zuletzt nicht darauf an, ob der Verfolgte diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG und Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EZ des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) (ABI. L 337 S. 9)- im Folgenden Anerkennungsrichtlinie). Hierher rechnet auch der Fall, dass der Betreffende seitens des Verfolgers nur verdächtigt wird, ein solches Merkmal zu erfüllen und die Verfolgungsmaßnahme hier ansetzt, um eine entsprechende Feststellung zu treffen (vgl. hierzu schon VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris, m.w.N.). Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist nach § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine (bestimmte) Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

28

Von diesen Maßstäben ausgehend und unter Berücksichtigung des prognostischen Charakters der Frage nach einer begründeten Furcht des Schutzsuchenden bei dessen Rückkehr sowie dessen sachtypischen Beweisnotstandes - der gerade in Bezug auf die Frage nach der Motivationslage des (potentiellen) Verfolgers offen zu Tage liegt - kann die Zielrichtung des Verfolgers, die unbeschadet der dargestellten objektivierten Betrachtungsweise als Intention ein subjektives Merkmal darstellt, aus den objektiven Gegebenheiten, so wie sie sich aktuell darstellen und aller Voraussicht nach entwickeln werden, zu folgern sein.

29

So hat das Bundesverfassungsgericht zur Gerichtetheit in Asylfällen schon ausgeführt, dass auch die Verfolgung von Straftaten, die sich - zunächst - nicht als politische Verfolgung darstellt, in politische Verfolgung Umschlägen kann, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, dass der Betroffene gleichwohl wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt wird. Es hat daraus die Vermutungsregel zu Gunsten einer (politischen) Verfolgung abgeleitet, wenn der Flüchtling eine Behandlung erleidet, die härter ist als die sonst zur Verfolgung ähnlicher - nicht politischer - Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im Verfolgerstaat übliche (Beschluss vom 10.07.1989, a.a.O.).

30

Nach Auffassung des Senats gilt für den unionsrechtlichen Flüchtlingsschutz nichts anderes. Weder Art. 9 noch Art. 10 der Anerkennungsrichtlinie lassen einen Ansatz für eine abweichende Sichtweise erkennen. Die Funktion des völkerrechtlichen wie auch unionsrechtlichen effektiven Flüchtlingsschutzes ist darauf gerichtet, politische und soziale Erscheinungsformen staatlichen wie nicht-staatlichen Handelns in der objektiven Lebenswirklichkeit gesamtheitlich zu bewältigen, was eine Fragmentierung in vielfältige und unüberschaubare individuelle Sichtweisen bzw. Handlungsmotive der verschiedenen Akteure verbietet; der Fokus der Betrachtung muss daher darauf gerichtet sein, wie sich der Eingriff in der politischen wie sozialen Realität darstellt und wie er diese beeinflusst bzw. auf diese einwirkt. Anders ausgedrückt:

31

Entscheidend ist, wie der oder die Verfolgte die jeweilige auf sich bezogene Maßnahmen hinsichtlich ihrer Zielrichtung nach objektivierter Betrachtungsweise einschätzen kann oder konnte.
(…)

32

Und auch eine Beweisregel, die es zur Voraussetzung machte, dass die Intention stets für sich genommen festzustellen sei, mit der Folge, dass deren Ableitung aus den feststellbaren objektiven Gegebenheiten ausscheiden müsste, stünde nach all dem nicht im Einklang mit der Zweckrichtung des Flüchtlingsrechts. Da die Chancen des Schutzsuchenden, die reale Gefahr von Verfolgung direkt zu belegen eher die Ausnahme als die Regel ist, kann eine solche auch alleine auf verlässliche Herkunftslandinformationen zu stützen bzw. daraus abzuleiten sein (so treffend Hathaway/Foster, a.a.O., S. 122, m.w.N.). Für die Feststellung einer Verfolgungsintention kann nichts anderes gelten.

33

Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 -10 C 26.10 -, InfAusIR 2011,408). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut vorn solcher Verfolgung bedroht ist, Art. 4 Abs. 4 der Anerkennungsrichtlinie, in der Vergangenheit liegenden Umständen kommt damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., S. 332 ff, 339 ff.).

34

Erst in dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur. Für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG; BVerwG, Urteil vom18.12.2008 -10 C 27.07 BVerwGE 133, 31). Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger zugeschrieben werden, vgl. § 3b Abs. 2 AsylG.

35

Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann hur derjenige beanspruchen, der Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Ist der Schutzsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine qualifizierte und bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der konkreten Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.

36

Eine so verstandene wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann aber gerade auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise für dessen Eintritt ein Grad der Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, der - auch deutlich - unter 50 v.H. liegt (vgl. auch Berlit, ZAR 2017, 110 < 115 f.>). Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen in ihrer Bedeutung überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Allerdings reicht die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung noch nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen.

37

Ergeben alle Umstände des Einzelfalles jedoch die „tatsächliche Gefahr“ (sog. „real risk“) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Er wird bei der Abwägung aller Umstände im Übrigen auch immer die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen entscheidungserheblichen und motivationsbildenden Unterschied machen, ob er etwa lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber schwere Misshandlungen bzw. Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (schon BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 -9C 118,90-, BVerwGE 89, 162 <169f.> m.w.N. und erneut Beschluss vom 07.02.2008 -10 C 33.07 -, AuAS 2008, 118). Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten oder sich der Gefahr durch Rückkehr in das Heimatland auszusetzen. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z.B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen, auf die bei der Bewertung der drohenden Gefahr abzustellen ist (VGH Bad.- Württ, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, Asylmagazin 2014, 389).

38

Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gewonnen haben muss.

39

In diesem Zusammenhang sehen sich die Rechtsanwender nicht selten mit der Situation konfrontiert, dass keine relevante und größere Zahl von Referenzfällen zu bestimmten Verfolgungsszenarios bekannt geworden ist und auch individualisierbar belegt werden kann. Es handelt sich um eine für den Flüchtlingsschutz grundlegende und nicht untypische Problemstellung. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei Regimen, die weitgehend außerhalb rechtstaatlicher und menschenrechtlicher Grundsätze operieren und bei denen eine menschenverachtende Verfolgungspraxis ein allgegenwärtiges Phänomen darstellt, Folterungen und Misshandlungen nach außen hin nicht zuverlässig und umfassend dokumentiert werden können, sondern sich weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, wenn nicht gar im Verborgenen in einer Grauzone abspielen.

40

Unter solchen Umständen kommt den in den einzelnen Erkenntnisquellen dargelegten Berichten zur allgemeinen Menschenrechts- und Verfolgungssituation in dem betreffenden Herkunftsland hervorgehobene Bedeutung zu. Aus ihnen sind Schlussfolgerungen auch auf die den Einzelnen treffende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu ziehen. Demgemäß können auch allgemeine Erkenntnisse zur Verfolgungssituation eines Landes in Verbindung mit einer nur begrenzten Anzahl bekannt gewordener Verfolgungsfälle im Einzelfall die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass in Wahrheit die Zahl der tatsächlichen Verfolgungsfälle erheblich über der der dokumentierten Sachverhalte liegt bzw. für den Zeitpunkt der Rückkehr des Ausländers in sein Heimatland liegen wird. Dagegen kann eine Flüchtlingsanerkennung nicht ausschließlich von einer nach Person und Schicksal der Opfer genau spezifizierten Auflistung von konkreten Verfolgungsfällen abhängen. Denn dies würde bedeuten, dass eine Verfolgungswahrscheinlichkeit für solche Länder zu verneinen wäre, deren Repressionspraxis zwar allgemein bekannt ist, aber nicht in ihren Abläufen im Einzelnen offen zu Tage liegt, weil sie naturgemäß abgeschirmt im Geheimen stattfindet und - oftmals um der Aufrechterhaltung eines gewissen Scheines - das Licht der Öffentlichkeit scheut, weshalb auch konkreten Opfer nach Person und Zahl weitgehend unbekannt bleiben müssen.“

41

In Fortführung dieser Grundsätze ist der Senat der Auffassung, dass auch dann eine volle richterliche Überzeugung der Prognose beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgung vorliegen kann, wenn wegen der Schwierigkeiten der Erkenntnisgewinnung eine eindeutige Faktenlage nicht ermittelt werden kann, sondern in der Gesamtsicht der vorliegenden Erkenntnisse ausreichende Anhaltpunkte für eine Prognose sowohl in die eine wie die andere Richtung vorliegen, also eine Situation vorliegt, die einem non-liquet vergleichbar ist. Denn die beachtliche Wahrscheinlichkeit ist kein mit der Genauigkeit naturwissenschaftlicher Methoden bestimmbarer Grad an Wahrscheinlichkeit, sondern ist maßgeblich ein Akt wertender Erkenntnis, die sich im hier vorliegenden rechtlichen Zusammenhang auf die Zumutbarkeit der Rückkehr bezieht. Die Zumutbarkeit einer Rückkehr muss in einem solchen Fall anhand eines möglichen, nicht gewissen, aber auch nicht mit größerer Sicherheit auszuschließenden Risikos politischer Verfolgung gemessen werden. Die richterliche Überzeugung wiederum bezieht sich auf die Zumutbarkeit, bedarf aber einer Untermauerung durch eine angemessene Faktenlage. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des humanitären Ansatzes des Flüchtlingsrechts (vgl. Putzer NVwZ 2017, 1176,1178).

42

Im vorliegenden Fall ist für die Gruppe derjenigen syrischen Staatsangehörigen, die sich der Pflicht zur jederzeitigen Verfügbarkeit für die Ableistung des Reservedienstes in der syrischen Armee durch Ausreise in das europäische Ausland entzogen haben, zu entscheiden, ob ihnen deswegen bei einer Rückkehr nach Syrien politische Verfolgung droht. Für diese Fallgruppe gibt es keine einheitliche Rechtsprechung der deutschen Obergerichte. Diese werten die zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel unterschiedlich und verpflichten teilweise die Beklagte zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, verneinen aber teilweise auch einen entsprechenden Anspruch. Der Senat ist nach Auswertung der ihm zur Verfügung stehenden und auf die aktuelle Situation in Syrien bezogenen Erkenntnismittel zu der Feststellung gekommen, dass die sich daraus ergebende Faktenlage keine eindeutigen Rückschlüsse oder Prognosen zulässt (vgl. zum Problem der [unsicheren] Datenlage betreffend die Situation in Syrien Deutsche Orient-Stiftung/Deutsches Orient- Institut Auskünfte an das OVG Schleswig zum Az. 3 LB 17/16 und 12 A 222/16; an den VGH Kassel zum Az. 3 A 3040/16.A; an den VGH Mannheim zum Az. A 11 S 2334/16).

43

Zunächst ist nicht ersichtlich, dass syrische Staatsangehörige, die in Europa Zuflucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien gesucht haben und sich auf diese Weise der Wehr- oder Reservistenpflicht in Syrien entzogen haben, in den letzten Jahren in nennenswertem Umfang zwangsweise oder freiwillig nach Syrien zurückgekehrt sind. Daher fehlt es an so genannten Referenzfällen für diese Personengruppe. Auf diese Personengruppe bezogene unmittelbare Erkenntnisse fehlen.

44

Den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ist zu entnehmen, dass die staatlichen syrischen Sicherheitsbehörden, zu denen auch die nominell unter der Kontrolle der Regierung stehenden syrischen Milizen zählen, in einem frühen Stadium des Bürgerkrieges, in dem die syrische Armee erhebliche personelle Verluste erlitten hatte, mit großer Entschlossenheit das Territorium, das sie damals noch beherrschte, auf wehrfähige Männer kontrollierte und solche Personen, die sich der Wehr- oder Reservistenpflicht entzogen hatten, mit großer Wahrscheinlichkeit zu diesem Dienst heranzog und es nicht ausgeschlossen war, dass diese Personen nach ihrer Festnahme misshandelt, für einen längeren Zeitraum in einem staatlichen Gefängnis festgehalten oder getötet wurden. Manches spricht dafür, dass sich daran trotz der deutlich veränderten militärischen Lage wenig geändert hat. Zwar beherrscht die syrische Regierung, wenn auch gestützt auf massive militärische Unterstützung durch ausländische Truppen und Milizen, mittlerweile wieder große Teile des syrischen Staatsgebietes, doch ist ein Ende des Bürgerkrieges nicht in Sicht. Nach Auskunft des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich findet weiterhin unvermindert eine Rekrutierung von männlichen Syrern statt. Bei männlichen Personen im wehrfähigen Alter wird auch kontrolliert, ob diese ihren Wehrdienst bereits abgeleistet haben. Solche Männer sind bei der Einreise nach Syrien besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu werden. Dabei ist das System sehr unberechenbar (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien - Gesamtaktualisierung am 25.01.2018). Die Umsetzung der Bestrafung bei Wehr- oder Reservedienstentziehung ist willkürlich. Die Bestrafung kann vom Profil, von der Herkunftsregion oder vom Beziehungsnetz der betroffenen Person abhängen. Bei dem Verdacht von Kontakten zur Opposition werden Untersuchungen und Folter intensiviert (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion Stand 23.03.2017). Verhaftungen und Gefängnisstrafen sind nicht ausgeschlossen, wobei es dabei zu Folter und anderen Misshandlungen kommen kann (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei der Rekrutierung, Stand 18.01.2018). Nach Erkenntnissen des UNHCR droht Männern, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, in der Praxis vielfach nach nur kurzer militärischer Ausbildung die Verwendung an der Front, wobei es auch zu Fällen längerer Haft und Folter kommen kann (UNHCR Auskunft an den VGH Kassel v. 30.05.2017 S.2 f.; UNHCR International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic Update V, November 2017).

45

Diesen Erkenntnismitteln kann entnommen werden, dass syrischen Staatsangehörigen, die sich durch die Ausreise in das Ausland dem Wehr- oder Militärdienst entzogen haben, bei Rückkehr nach Syrien die Einziehung zum Wehr- bzw. Reservedienst droht und dass wegen der damit verbundenen Ermittlungen der staatlichen Behörden, die mit einer Festsetzung oder Verhaftung der betroffenen Person einhergeht, die Gefahr besteht, dass diese Person wenigstens misshandelt wird. Darin liegt eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 und 3 AsylG.

46

Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass diesen Personen von Sicherheitskräften vorgeworfen wird, Verbindungen zur Opposition zu haben, weil sie sich im Ausland aufgehalten haben oder dass in der Nichterfüllung des Wehr- oder Reservedienstes eine oppositionelle Gesinnung gesehen wird (vgl. UNHCR Auskunft an den VGH Kassel v. 30.05.2017 S.3 f.; UNHCR International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic Update V, November 2017 S. 39 f.). Aus der genannten Erkenntnisquelle ergibt sich aber auch, dass diese Verdächtigung nicht systematisch erhoben wird. Dies hängt von weiteren Faktoren wie dem Herkunftsort/Wohnort, der Familien- oder Stammeszugehörigkeit; der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgruppe ab (UNHCR Auskunft an den VGH Kassel v. 30.05.2017 S.3 ff.). Vielfach bleibt es bei der zwangsweisen Durchsetzung der Wehr- oder Reservedienstpflicht, ohne dass erkennbar ist, dass dies auch Ausdruck der Verfolgung einer unterstellten oppositionellen Gesinnung ist. Angesichts der völligen Willkürlichkeit des Vorgehens staatlicher Sicherheitskräfte kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Einziehung zum Wehr- und Reservedienst, die für sich genommen keine politische Verfolgung darstellt, nicht regelmäßig mit der Verdächtigung oppositionellen Handelns und den dadurch verwirkten Verhaftungen, Kriminalstrafen sowie Misshandlungen und Folter verbunden ist, auch weil das Regime auch ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Kampfkraft seiner Truppen hat (vgl. Auskunft des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich vom 25.01.2018 - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien - Gesamtaktualisierung am 25.01.2018). Dies gilt auch angesichts der allgemeinkundigen Brutalität des syrischen Regimes im Umgang mit seinen auch vermeintlichen Gegnern.

47

Ist unter diesen Umständen eine sichere Prognose einer politischen Verfolgung solcher nach Syrien zurückkehrender Personen, die ihrer Wehr- oder Reservedienstpflicht nicht nachgekommen sind, nicht möglich, eine ihnen drohende politische Verfolgung aber keineswegs ausgeschlossen, sondern ihr Schicksal der Willkür der staatlichen syrischen Stellen überlassen, die ihrerseits freie Hand haben, wie sie mit diesen Rückkehrern umgehen, besteht ein tatsächliches Risiko der politischen Verfolgung, das diesem Personenkreis eine Rückkehr nach Syrien unzumutbar macht. Dies gilt unabhängig davon, dass sie möglicherweise über subsidiären Schutz verfügen, weil diese Schutzgewährung keine Ausschlusswirkung bezogen auf die Flüchtlingseigenschaft hat.

48

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.

49

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer drohenden politischen Verfolgung auch dann vorliegt, wenn eine eindeutige Prognoseentscheidung nicht möglich ist, zuzulassen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Satz 1 findet insbesondere keine Anwendung, wenn der Ausländer sich auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte.

(1a) Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.

(2) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag und stützt diesen auf Umstände, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat, kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.

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Tenor

Unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 16. Juni 2016 wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Der am … 1993 geborene Kläger, ein syrische Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, reiste eigenen Angaben zufolge am 22. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag.

3

Zur Begründung machte er geltend, Syrien wegen des Krieges und aus Angst vor dem Verhungern verlassen zu haben. A… in der Provinz Homs, wo er gelebt habe, sei mal vom Regime und mal von bewaffneten Milizen übernommen worden. Es sei gefährlich gewesen zwischen den Fronten. Es habe ständig die Gefahr bestanden, von einer Seite gefangen genommen zu werden. Im Jahr 2013 seien Verwandte bei einer Straßenkontrolle mitgenommen worden. Sie seien nicht wiedergekommen; wahrscheinlich seien sie getötet worden. Zudem habe er Angst gehabt, vom Militär mitgenommen und als Soldat eingesetzt zu werden. Offiziell einberufen worden sei er noch nicht. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, eingezogen oder inhaftiert zu werden, weil er vor dem Wehrdienst geflohen sei.

4

Mit Bescheid vom 12. April 2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu. Im Übrigen lehnte es den Asylantrag mit der Begründung ab, dass der Kläger kein Flüchtling im Sinne des § 3 Asylgesetz (AsylG) sei.

5

Das Verwaltungsgericht Trier hat auf die hiergegen erhobene Klage die Beklagte mit Urteil vom 16. Juni 2016 – 1 K 1520/16.TR – unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen. Mit Blick auf die Erkenntnismittel, insbesondere die aktuelle Situation in Syrien, sei davon auszugehen, dass dem Kläger für den Fall der Rückkehr nach dort ungeachtet individuell geltend gemachter Gründe und deren Glaubhaftigkeit politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe. Auf der Grundlage der auch aus der aktuellen Berichterstattung gewonnenen Erkenntnislage sei beachtlich wahrscheinlich, dass im Falle der Rückkehr wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter drohe, weil davon auszugehen sei, dass einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werde.

6

Mit Beschluss vom 15. September 2016 – 1 A 10658/16.OVG – hat der Senat auf Antrag der Beklagten die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Am 30. September 2016 hat die Beklagte die Berufung begründet.

7

Sie macht geltend, dass Flüchtlingen aus Syrien im Falle ihrer Rückkehr dorthin nicht allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung drohe.

8

Die Beklagte beantragt,

9

unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Zur Begründung nimmt er Bezug auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend macht er geltend, dass die von der Beklagten vertretene Auffassung, Rückkehrer nach Syrien unterlägen zwar allgemein der Gefahr der Folterung oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, dem liege jedoch keine unterstellte Regimegegnerschaft zugrunde, lebensfremd sei. Verhaftungen und Folterungen dienten keinem Selbstzweck, sondern der Unterdrückung jeglicher Regimegegnerschaft. Sie richteten sich immer gegen Personen, die der Regimegegnerschaft verdächtigt würden, wofür in Syrien indessen bereits derartige Nichtigkeiten genügten, dass dies aus Sicht eines in einem rechtsstaatlichen System lebenden Betrachters als willkürlich erscheinen möge. Demgemäß genüge auch bereits ein Auslandsaufenthalt für den Verdacht oppositioneller Haltung oder Tätigkeit. Dies gelte umso mehr, da sich das syrische Regime seit Jahren im Kampf um das eigene Überleben befinde. In individueller Hinsicht wirke in seinem Falle gefahrerhöhend, dass er aus der Rebellenhochburg Homs stamme und sich im wehrfähigen Alter befinde. Hinzu komme noch, dass sein 1990 geborener Bruder – dem die Beklagte im Übrigen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt habe – bereits eine Einberufung zum Militärdienst erhalten, aber nicht befolgt habe, was nochmals zu einer Gefahrerhöhung auch für den Kläger führe.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die Verwaltungsakten der Beklagten betreffend den Kläger (Az. 6513645-475) und dessen Bruder (Az. 6513662-475), jeweils 1 Heft, Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

14

Entscheidungsgründe

15

Die Berufung ist zulässig und begründet.

16

Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

17

1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK –, BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.

18

a. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK –, BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist. Gleiches gilt nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG für eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

19

Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können gemäß § 3a Abs. 2 AsylG unter anderem gelten die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung sowie die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen gemäß § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde.

20

b. Die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe werden in § 3b Abs. 1 AsylG näher umschrieben.

21

Gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 1 AsylG umfasst der Begriff der Rasse insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe.

22

Als Religion im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG definiert § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sowie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

23

Der Verfolgungsgrund der Nationalität umfasst gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 3 AsylG über die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen hinaus insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird.

24

Eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 AsylG).

25

Den Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung definiert § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG als das Vertreten einer Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft; unerheblich ist, ob der Ausländer aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

26

§ 3b Abs. 2 AsylG stellt schließlich ergänzend fest, dass es für die Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, nicht darauf ankommt, ob er die zur Verfolgung führenden Merkmale tatsächlich aufweist. Ausreichend ist bereits, dass diese ihm von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

27

c. Was den notwendigen Zusammenhang zwischen den in §§ 3 Abs. 1 und 3 b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen angeht, stellt § 3a Abs. 3 AsylG nochmals klar, dass insoweit eine Verknüpfung bestehen muss.

28

d. § 3c AsylG legt fest, von wem Verfolgung ausgehen kann: Über den Staat (Nr. 1) und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), hinaus können dies nach § 3c Nr. 3 AsylG auch nichtstaatliche Akteure sein, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

29

e. Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheidet nach § 3e Abs. 1 AsylG dann aus, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

30

f. Ob eine Verfolgung der vorstehend näher beschriebenen Art droht, d. h. der Ausländer sich im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylGaus begründeter Furcht vor einer solchen Verfolgung außerhalb des Herkunftslandes befindet, ist anhand einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die auf der Grundlage einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (BVerwG, Urteil vom 6. März 1990 – 9 C 14.89 –, BVerwGE 85, 12, juris, m. w. N.).

31

aa. Dabei ist es Aufgabe des Schutzsuchenden, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten den der Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt zu schildern (§ 25 Abs. 1 AsylG).

32

Das Gericht muss sich sodann, um die behaupteten, möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Tatsachen seiner Entscheidung als gegeben zugrunde legen zu können, nach § 108 Abs.1 Satz 1 VwGO die volle Überzeugung von deren Wahrheit – und nicht nur von deren Wahrscheinlichkeit – verschaffen. Zwar gilt hierbei der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind. Zudem ist die besondere Beweisnot des nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der guten Gründe für seine Verfolgungsfurcht beschwerten Schutzsuchenden zu berücksichtigen, dem häufig die üblichen Beweismittel fehlen. Insbesondere können in der Regel unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts legt den Tatsachengerichten insoweit nahe, den eigenen Erklärungen des Schutzsuchenden größere Bedeutung beizumessen, als dies meist sonst in der Prozesspraxis bei Bekundungen einer Partei der Fall ist, und den Beweiswert seiner Aussage im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu. Zur Anerkennung kann schon allein sein Tatsachenvortrag führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne "glaubhaft" sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Dem Klagebegehren darf jedenfalls nicht mit der Begründung der Erfolg versagt werden, dass neben der Einlassung des Schutzsuchenden keine Beweismittel zur Verfügung stehen. Der Richter ist aus Rechtsgründen schon allgemein nicht daran gehindert, eine Parteibehauptung ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen; das gilt für das Asylverfahren mit seinen typischen Schwierigkeiten, für das individuelle Schicksal des Antragstellers auf andere Beweismittel zurückzugreifen, in besonderem Maße. Einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO wird der Richter hierdurch jedoch nicht enthoben. Das Fehlen von Beweismitteln mag die Meinungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss – wenn nicht anders möglich – in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Schutzsuchenden glaubt (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109/84 –, BVerwGE 71, 180, juris, m. w. N.).

33

bb. Die Prognose in Bezug auf eine bei Rückkehr in den Heimatstaat drohende Verfolgung hat nach Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes – ABl. EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl. EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24 – einheitlich anhand des Maßstabs der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ zu erfolgen (vgl. dazu im einzelnen BVerwG, Urteile vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10 –, BVerwGE 140, 22, und vom 1. März 2012 – 10 C 7/11 –, beide in juris, m. w. N.).

34

(1) Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschluss vom 7. Februar 2008 – 10 C 33/07 –, juris, m. w. N.) eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer "quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert.

35

(2) Von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohender politischer Verfolgung muss das Gericht – wie auch bereits von der Wahrheit des der Prognose zugrunde zu legenden Lebenssachverhalts – die volle richterliche Überzeugung gewonnen haben (BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109/84 –, BVerwGE 71, 180, juris, m. w. N.).

36

(3) Eine Beweiserleichterung gilt für Vorverfolgte. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder unmittelbar von Verfolgung bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist; etwas anderes soll nur dann gelten, wenn stichhaltige Gründe gegen eine erneute derartige Bedrohung sprechen. Für denjenigen, der bereits Verfolgung erlitten hat, streitet also die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Die aus der Vorverfolgung resultierende Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Erforderlich ist hierfür, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, BVerwGE 136, 388, juris, m. w. N.).

37

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze droht dem Kläger im Falle einer – ungeachtet des ihm mit Bescheid vom 12. April 2016 zuerkannten subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) und des hieraus resultierenden Abschiebungsverbots (§ 60 Abs. 2 AufenthG) – hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien nach Überzeugung des Senats dort nicht beachtlich wahrscheinlich Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.

38

a. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinne des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergäbe, hat der Kläger weder gegenüber dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht.

39

b. Eine begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich auch nicht aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger Syrien verlassen hat (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG).

40

aa. Das Verwaltungsgericht hat eine entsprechende Gefährdung ausschließlich unter Hinweis darauf bejaht, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Syrien bereits allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter drohe, womit seitens der syrischen Behörden einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werde.

41

Damit folgt das Verwaltungsgericht der Rechtsprechung der überwiegenden Zahl der bislang mit dieser Frage befassten Gerichte (vgl. OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, VGH BW, Beschlüsse vom 19. Juni 2013 – A 11 S 927/13 – und vom 29. Oktober 2013 – A 11 S 2046/13 –, HessVGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 – 3 A 917/13.Z.A –, sowie eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen, zuletzt etwa VG Köln, Urteil vom 25. Oktober 2016 – 20 K 2890/16.A –, VG Münster, Urteil vom 13. Oktober 2016 – 8 K 2127/16.A –, VG Schleswig, Urteil vom 6. Oktober 2016 – 12 A 651/16 –, m. w. N.; a. A.: in ständiger Rechtsprechung OVG NRW, zuletzt mit Beschlüssen vom 5. September 2010 – 14 A 1802/16.A – und vom 6. Oktober 2016 – 14 A 1852/16.A –, jeweils m. w. N., OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2013 – 6 K 3592/13.A –, VG Düsseldorf, Urteil vom 12. Juli 2016 – 5 K 5853/16.A – und vom 11. Oktober 2016 – 2 K 9062/16.A –, alle in juris, sowie BayVGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 ZB 16.30338 u. a. –, Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht).

42

Dem vermag sich der Senat indessen nicht anzuschließen.

43

Zwar trifft es zu, dass mangels Referenzfällen – wegen der eskalierenden Lage finden Abschiebungen bereits seit Jahren nicht mehr statt (vgl. dazu auch die entsprechende Empfehlung des Bundesministeriums des Innern an die Länderinnenverwaltungen vom 28. April 2011, Az. M I 3 – 125 242 SYR/O) – die Prognose, ob im Falle einer hypothetischen Abschiebung nach Syrien dort aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, notwendigerweise aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Umstände zu erfolgen hat.

44

Demgemäß begründen die eine entsprechende Verfolgungsgefahr bejahenden Gerichte ihre Prognosen jeweils mit einer ganzen Reihe von Einzelfaktoren. Hierzu gehören insbesondere (vgl. exemplarisch etwa OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, juris) die Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungsstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, die umfassende Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, die Eskalation der innenpolitischen Situation seit März 2011 und der Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Beginn des Jahres 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition unterstützen. Auch hiergegen ist systematisch nichts zu erinnern.

45

Der erkennende Senat gelangt allerdings im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände zu einem abweichenden Ergebnis im Hinblick auf die allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt bestehende Verfolgungsgefahr.

46

Bei der Bewertung, ob die im Einzelfall festgestellten Umstände eine die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG rechtfertigende Verfolgungsgefahr begründen, ist rechtlich zwischen zwei Fragestellungen zu unterscheiden, nämlich dem beachtlich wahrscheinlichen Drohen einer Verfolgungshandlung gemäß § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG als solcher und deren ebenfalls beachtlich wahrscheinlicher Verknüpfung (§ 3a Abs. 3 AsylG) mit Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG.

47

(1) Danach kann für die hier allein streitgegenständliche Frage der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG letztlich offen bleiben, ob dem Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien dort überhaupt beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgungshandlung i. S. d. § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG dergestalt droht, einer Befragung unterzogen zu werden, mit der die konkrete Gefahr einer Verhaftung und/oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung einhergeht.

48

Zweifel hieran könnten sich im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats möglicherweise aus dem Umstand ergeben, dass Ende 2015 von den rund 22 Millionen zuvor in Syrien lebenden Menschen bereits rund 4,9 Millionen, mithin knapp ein Viertel der gesamten Bevölkerung, aus dem Land geflohen waren (UNHCR, Global Trends – Forced Displacement in 2015,

49

http://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html).

50

Dass es sich hierbei mehrheitlich nicht um Oppositionelle handelt, sondern um Bürgerkriegsflüchtlinge, muss bereits nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch den syrischen Behörden bekannt sein. Dass dem tatsächlich so ist, wird überdies durch eine Äußerung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad Ende 2015 in einem Interview im tschechischen Fernsehen bestätigt, wonach es sich bei der Mehrheit der syrischen Flüchtlinge um „gute Syrer“ handele, es aber „natürlich … eine Unterwanderung durch Terroristen“ gebe

51

(http://www.n-tv.de/politik/Assad-lobt-Putins-Eingreifen-in-Syrien-article16478486.html).

52

In diese Richtung deutet auch eine Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das BAMF zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Syrien vom 3. Februar 2016. Danach liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorangegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erwarten haben. Zwar seien Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien; diese stünden allerdings überwiegend im Zusammenhang mit oppositionellen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten und Menschenrechtsverteidigern) oder im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Wehrdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeiteten.

53

Andererseits ergeben sich bereits aus der zitierten Äußerung des syrischen Präsidenten aber auch deutliche Hinweise darauf, dass die syrischen Sicherheitsbehörden alle Rückkehrer schon deshalb jedenfalls einer eingehenden Befragung unterziehen werden, damit sie einschätzen können, ob Verdachtsmomente für terroristische Aktivitäten – oder möglicherweise auch nur für eine regimegegnerische Haltung des Betroffenen oder für Kenntnisse über oppositionelle Aktivitäten Dritter – gegeben sind. Die mit derartigen Befragungen ausweislich zahlreicher bis zum Jahr 2011 dokumentierter Referenzfälle (vgl. beispielsweise OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, und OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2012 – 14 A 2708/10.A –, beide in juris, jeweils m. w. N.) jedenfalls in der Vergangenheit verbunden gewesenen weiteren Risiken einer Verhaftung und/oder von Misshandlungen vom Schweregrad des § 3a AsylG können auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen massenhaften Ausreise jedenfalls nicht hinreichend verlässlich ausgeschlossen werden.

54

Letztlich bedarf diese Frage hier aber keiner abschließenden Klärung, weil eine entsprechende Verfolgungsgefahr jedenfalls nicht aus einem der Verfolgungsgründe des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG gegeben wäre.

55

(2) Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse reichen nicht aus, um seine Überzeugung von einer beachtlich wahrscheinlichen Verknüpfung einer möglicherweise allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt drohenden Verfolgungshandlung mit Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a Abs. 3 AsylG zu begründen; weiterreichende taugliche Erkenntnismittel sind weder von den Beteiligten aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich.

56

Eine entsprechende beachtlich wahrscheinliche Gefährdung des Klägers im Sinne des § 3 AsylG würde voraussetzen, dass ihm ein entsprechendes Merkmal von den syrischen Behörden zumindestzugeschrieben wird (§ 3b Abs. 2 AsylG). Dies deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der politisch Verfolgte weder tatsächlich noch nach der Überzeugung des verfolgenden Staates selbst Träger eines verfolgungsverursachenden Merkmals sein müssen, sondern politische Verfolgung auch dann vorliegen kann, wenn der oder die Betroffene lediglich der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits politischer Verfolgung unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 22. November 1996 – 2 BvR 1753/96 –, juris).

57

Dafür, dass die syrischen Sicherheitsbehörden in diesem Sinne letztlich jeden Rückkehrer, der Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im Ausland aufgehalten hat, ohne weitere Anhaltspunkte der Opposition zurechnen, gibt es keine zureichenden tatsächlichen Erkenntnisse. Im Gegenteil erscheint dies lebensfremd, da angesichts von fast 5 Millionen Flüchtlingen auch dem syrischen Staat – wie bereits dargelegt – bekannt ist, dass der Großteil der Ausgereisten das Land nicht als Ausdruck politischer Gegnerschaft zum Regime, sondern aus Angst vor dem Bürgerkrieg verlassen hat (so auch in ständiger Rechtsprechung OVG NRW, vgl. zuletzt Beschlüsse vom 6. Oktober 2010 – 14 A 1852/16.A – und vom 5. September 2016 – 14 A 1802/16.A – m. w. N., OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2013 – 6 K 3592/13.A –, und VG Düsseldorf, Urteil vom 11. Oktober 2016 – 2 K 9062/16-A –, alle in juris).

58

Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse (a) zur Behandlung von Personen, die bis zum Abschiebestopp im Jahre 2011 nach Syrien abgeschoben worden sind, (b) zur umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, (c) zur Eskalation der innenpolitischen Situation seit März 2011 und (d) zum Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Beginn des Jahres 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.

59

(a) (aa) Das Auswärtige Amt hat in seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010 zur Behandlung von Rückkehrern (S. 19 f.) mitgeteilt, dass zurückgeführte Personen bei ihrer Einreise in der Regel zunächst durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt würden. Diese Befragungen könnten sich (zwar) über mehrere Stunden hinziehen, in der Regel werde dann jedoch die Einreise ohne weitere Schwierigkeiten gestattet; in manchen Fällen werde der Betroffene für die folgenden Tage nochmals zum Verhör einbestellt. (Lediglich) in Einzelfällen würden Personen für die Dauer einer Identitätsprüfung durch die Einreisebehörden festgehalten; dies dauere in der Regel nicht länger als zwei Wochen. Im Jahr 2009 seien – bei insgesamt 40 in 2009 und dem ersten Quartal 2010 von Deutschland nach Syrien im Rahmen des Anfang 2009 in Kraft getretenen Rückübernahmeabkommens zurückgeführten Personen – in drei Fällen Inhaftierungen unmittelbar bzw. kurz nach der Rückführung bekanntgeworden. In einem Fall könne bestätigt werden, dass eine Inhaftierung über die übliche Befragung durch syrische Behörden nach der Ankunft hinausgegangen sei. Der Betroffene sei unter dem Vorwurf verhaftet worden, in Deutschland Asyl beantragt und „im Ausland bewusst falsche Nachrichten verbreitet zu haben, die das Ansehen des Staates herabzusetzen geeignet sind“. Später sei der auf Kaution freigelassene und sodann ausgereiste Mann in Abwesenheit wegen „Verbreitung bewusst falscher Tatsachen im Ausland, die das Ansehen des Staates herabzusetzen geeignet sind“ zu einer Haftstrafe von 4 Monaten sowie einer Geldstrafe von 80 SYP (1,17 €) verurteilt worden. Eigenen – nicht verifizierbaren – Angaben zufolge sei der Betroffene während seiner Haft durch syrische Behördenmitarbeiter körperlich misshandelt worden.

60

Für die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Syrien bereits allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich aufgrund einer von den syrischen Behörden vermuteten regimefeindlichen Einstellung die Festnahme und Folter drohe, kann den Feststellungen des Lageberichts letztlich nichts entnommen werden.

61

Fraglich erscheint bereits, ob für die im Rahmen der Verfolgungsprognose hypothetisch zu unterstellende Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat überhaupt von einer Abschiebung auszugehen ist. In diesem Fall müsste der Betroffene ja – um überhaupt abgeschoben werden zu können – nach bestandskräftigem Abschluss des Erstverfahrens zur Ausreise verpflichtet sein. Dann aber stellte sich die Frage, ob eine durch den Umstand, dass der Schutzsuchende nicht dieser rechtlichen Verpflichtung folgend freiwillig ausreist, sondern es auf eine Abschiebung ankommen lässt, bewirkte Gefahrerhöhung nicht entsprechend den Grundsätzen für missbräuchlich geschaffene Nachfluchtgründe (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2008 – 10 C 27/07 –, BVerwGE 133, 31, juris) im Rahmen des § 3 AsylG außer Betracht zu bleiben hat. Letztlich kann dies allerdings dahinstehen, da sich aus dem o. a. Lagebericht auch für den hypothetisch unterstellten Fall einer Abschiebung nach Syrien keine zureichenden Anhaltspunkte für eine beachtlich wahrscheinlich drohende politische Verfolgung Gefährdung ergeben.

62

Auf der Grundlage einer Gesamtzahl von rund 40 zurückgeführten Personen wird von insgesamt drei Inhaftierungen berichtet. Da nach dem Lagebericht derartige Inhaftierungen zum Zweck einer Identitätsprüfung durch die Einreisebehörden erfolgen können, und in einem der drei berichteten Fälle eine Anklage und Verurteilung wegen Verbreitung falscher, das Ansehen des Staates herabsetzenden Aussagen erfolgt ist, ergibt sich hieraus letztlich bereits keine beachtlich wahrscheinliche Gefährdung von Personen, die derartige Äußerungen im Ausland jedenfalls nicht bekanntermaßen, insbesondere im Rahmen ihrer Asylantragstellung, getätigt haben, überhaupt mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3 i. V. m. § 3a AsylG überzogen zu werden. Dies gilt umso mehr, als Rückkehrer aus der Bundesrepublik Deutschland, die – wie der Kläger – ihr Asylbegehren nicht mit einer Verfolgung durch den syrischen Staat, sondern lediglich mit dem in Syrien herrschenden Bürgerkrieg und dessen Folgen begründet haben, dies auch noch zusätzlich durch Vorlage der Anhörungsniederschrift sowie des Bescheides des Bundesamtes und ggfls. der hierauf ergangenen verwaltungsgerichtlichen Urteile belegen können.

63

Erst recht lassen sich dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. September 2010 keine Hinweise auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Verfolgung aus einem der in § 3 AsylG genannten Verfolgungsgründe entnehmen.

64

(bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt seinem Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 – zugrunde gelegten Dokumentationen von amnesty international „Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012

65

(https://www.amnesty.de/downloads/download-menschenrechtskrise-syrien-erfordert-abschiebungsstopp)

66

und des kurdischen Informationsdienstes KURDWATCH

67

(http://www.kurdwatch.org/?cid=1&z=en)

68

betreffend die Festnahme von Rückkehrern in insgesamt 9 Fällen im Zeitraum von Juni 2009 bis zum 13. April 2011. In jedem dieser Fälle bestehen nämlich besondere Einzelfallumstände, die als eigenständige Erklärung für die Verhaftung bei der Rückkehr nach Syrien dienen können. In einem Fall war der Betroffene bereits 2005 in Syrien in Haft gewesen. In einem anderen Fall – wohl dem, über den auch bereits das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 27. September 2010 berichtet hat – wurden dem Asylbewerber offenbar konkrete Angaben bei seiner Anhörung durch das Bundesamt vorgehalten. Die weiteren Festnahmen erklären sich durch das Engagement als stellvertretender Direktor eines Vereins syrischer Kurden, der auf die Situation der Kurden in Syrien aufmerksam macht, eine den syrischen Behörden bekannt gewordene Straffälligkeit wegen Diebstahls in Deutschland, falsche Altersangaben im Pass und diverse exilpolitische Aktivitäten wie die Teilnahme an Hungerstreiks und das Berichten hierüber.

69

(cc) Ganz abgesehen davon wäre aber auch selbst eine – nach der Überzeugung des Senats nicht gegebene – beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung in Bezug auf bis zum Jahre 2011 nach Syrien abgeschobene abgelehnte Asylbewerber nur ein schwaches Indiz für eine entsprechende Gefährdung bei heutiger fiktiver Rückkehr allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt.

70

Bis 2011 gibt es keine Hinweise auf eine größere Anzahl von Flüchtlingen aus Syrien, die im Ausland um politisches Asyl nachgesucht haben; im Gegenteil war Syrien Ende des Jahres 2011 mit 755.400 aufgenommenen Flüchtlingen hinter Pakistan und dem Iran und noch vor der Bundesrepublik Deutschland das drittstärkste Aufnahmeland weltweit (UNHCR, Global Trends 2011 – A Year of Crises,

71

http://www.unhcr.org/statistics/country/4fd6f87f9/unhcr-global-trends-2011.html).

72

Angesichts des Nichtvorliegens von Gründen für eine massenhafte Flucht aus Syrien bis dahin mag es für die syrischen Sicherheitsbehörden damals nach der Lebenserfahrung nahegelegen haben, unter denjenigen, welche gleichwohl im Ausland Asyl beantragt hatten, einen beachtlichen Prozentsatz an dem syrischen System kritisch oder sogar feindlich gegenüber stehenden Personen zu vermuten. Diese Vermutung rechtfertigt sich indessen nicht mehr, nachdem zeitlich zusammentreffend mit der ab Januar 2012 eskalierenden Gewaltanwendung in Syrien (siehe dazu näher Auswärtiges Amt, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 17. September 2012) im Verlauf von 4 Jahren rund 5 Millionen Menschen aus Syrien geflohen sind; vgl. UNHCR, Global Trends 2012 – Displacement, The New 21st Century Challenge, Global Trends 2013 – Wars’s Human Cost, Global Trends 2014 – World at War, und Global Trends 2015 – Forced Displacement in 2015,

73

http://www.unhcr.org/statistics/country/51bacb0f9/unhcr-global-trends-2012.html,

74

http://www.unhcr.org/statistics/country/5399a14f9/unhcr-global-trends-2013.html,

75

http://www.unhcr.org/statistics/country/556725e69/unhcr-global-trends-2014.html

76

http://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html).

77

Dass es sich bei den Geflohenen größtenteils nicht um Oppositionelle handelt, sondern um Bürgerkriegsflüchtlinge, ist – wie bereits eingangs dargelegt – auch den syrischen Behörden bekannt.

78

(dd) Erheblich lebensnäher als die Annahme, dass die syrischen Behörden allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt generell das Vorhandensein einer gegen das derzeitige politische System gerichteten Einstellung vermuten und aufgrund dessen gegen den Betroffenen vorgesehen, erscheint es nach alledem, dass mittels der scharfen Einreisekontrollen mit den zurückkehrenden Flüchtlingen ins Land einsickernde Terroristen und Regimegegner aus der Masse der Flüchtlinge herausgefiltert werden sollen. Möglicherweise mag es auch darum gehen, im Einzelfall vorhandene Wahrnehmungen oder Kenntnisse die Tätigkeit der Exilopposition betreffend „abzuschöpfen“, wobei jedoch auch insoweit angesichts von Millionen im Ausland lebender Flüchtlinge nicht davon ausgegangen werden kann, dass die syrischen Sicherheitsbehörden bei jedem oder auch nur bei einer großen Zahl von Rückkehrern derartiges Wissen vermuten.

79

Insgesamt kann sonach nicht festgestellt werden, dass die Gefahr, bei einer fiktiven Rückkehr nach Syrien festgenommen und unter Anwendung von Folter verhört zu werden, an dem Betroffenen vom syrischen Staat zumindest im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG zugeschriebene Merkmale nach den §§ 3 Abs. 1, 3b Abs.1 AsylG anknüpfen würde. Dafür, dass der syrische Staat bei heutiger Rückkehr in unpolitischen erfolglosen Asylbewerbern mehr sehen würde, als bloß potentielle Gegner und bloß potentielle Informationsquellen zur Exilszene, auf die er sodann möglicherweise wahllos-routinemäßig zugreift, um unter Umständen Hinweise auf Terroristen oder Oppositionelle zu gewinnen, lässt sich jedenfalls aus den Erkenntnissen zur Behandlung von Personen, die bis 2011 nach Syrien abgeschoben worden sind, nichts herleiten.

80

(ee) Eine andere Bewertung insoweit legen schließlich auch nicht Berichte jüngeren Datums über die Behandlung von Rückkehrern aus nichteuropäischen Ländern nahe.

81

So führt das US State Department in seinem Menschenrechtsbericht vom 13. April 2016

82

(http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm)

83

unter Section 2d zum Thema „Emigration and Repatriation“ zwar aus, dass Personen, welche erfolglos in anderen Ländern um Asyl nachgesucht hätten, strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt seien

84

(„On their return to the country, both persons who unsuccessfully sought asylum in other countries and those who had previous connections with the Syrian Muslim Brotherhood faced prosecution.“),

85

erläutert dies jedoch im Folgesatz dahingehend, dass das Gesetz die Verfolgung von Personen vorsehe, welche im Ausland Schutz gesucht hätten, um sich einer Strafe in Syrien zu entziehen

86

(„The law provides for the prosecution of any person who attempts to seek refuge in another country to evade penalty in Syria.“).

87

Für das Vorliegen eines derartigen Falles bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte.

88

Des Weiteren heißt es im Bericht des State Departments, dass die syrischen Behörden routinemäßig Dissidenten und ehemalige Bürger ohne bekannte politische Zugehörigkeit verhaftet hätten, welche nach Jahren oder gar Jahrzehnten selbstauferlegten Exils nach Syrien zurückgekehrt seien

89

(„The government routinely arrested dissidents and former citizens with no known political affiliation who attempted to return to the country after years or even decades of self-imposed exile.“).

90

Insoweit ist dem Bericht indessen bereits nichts dazu entnehmen, ob es sich nach der Dauer der Festnahme und den Umständen der Vernehmung um eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des §§ 3 und 3a AsylG gehandelt hat. Unabhängig davon lässt sich aber auch jedenfalls in Bezug auf die Personen ohne bekannten politischen Hintergrund kein Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG feststellen, da die Festnahme dem Bericht zufolge im bereits umschriebenen Sinne wahllos-routinemäßig („routinely“) erfolgt.

91

Das Immigration and Refugee Board of Canada verweist in seinem Jahresbericht Syrien 2015 vom 19. Januar 2016 (Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion [2014-December 2015],

92

http://www.ecoi.net/local_link/320204/445626_en.html),

93

unter Ziffer 3 „Treatment of Failed Refugee Claimants“ auf einen Fernsehbericht von ABC vom 1. Oktober 2015, dem zufolge ein aus Australien zurückkehrender Asylbewerber nach eigenen Angaben 20 Tage lang festgehalten und durch Schläge misshandelt worden sei. Man habe ihm vorgehalten, aus der Provinz Daara, in der der Bürgerkrieg begonnen habe, zu stammen, und – unter Hinweis auf einen von ihm mitgeführten Geldbetrag – ein Finanzier der Revolution zu sein. Über weitergehende und bestätigende Informationen zu diesem Fall verfüge man nicht. Die dieser Berichterstattung zufolge gegen den Rückkehrer erhobenen Vorwürfe gehen indessen über den bloßen Umstand der illegalen Ausreise und erfolglosen Asylantragstellung im Ausland hinaus.

94

Im Weiteren enthält der Jahresbericht sodann zwar Einschätzungen verschiedener namentlich nicht genannter Personen, u. a. eines emeritierten Professors für Anthropologie und Vertreibung der Universität Oxford und eines „Executive Director of the Syria Justice and Accountability Center“, denen zufolge zurückkehrende erfolglose Asylbewerber mit Festnahme und Haft sowie mit Folter zu rechnen hätten, um den Grund für ihre Ausreise zu erfahren oder Informationen über andere Asylbewerber oder die Opposition erlangen. Konkrete Tatsachen, aus denen diese Einschätzungen abgeleitet werden könnten, werden indessen nicht genannt. Damit fehlte es insoweit selbst dann, wenn man diese Einschätzungen ohne nähere Überprüfung als zutreffend unterstellen wollte, jedenfalls an einem zureichenden Beleg für die Annahme, dass die drohenden Übergriffe regelmäßig durch einen den Betroffenen seitens der syrischen Behörden zumindest zugeschriebenen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 AsylG motiviert wären und nicht bloß ein wahllos-routinemäßiges „Fischen“ nach möglicherweise verwertbaren Informationen über regimegegnerische Bestrebungen darstellten, wofür wie bereits ausgeführt die Lebenserfahrung spricht.

95

(b) Tragfähige Anhaltspunkte für eine im Fall der Abschiebung nach Syrien dort allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandsaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich drohende politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG ergeben sich auch nicht aus den vorliegenden Erkenntnissen zurumfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die syrischen Geheimdienste.

96

(aa) Zur Intensität und Zielrichtung der Beobachtung führt das Bundesministerium des Innern im Verfassungsschutzbericht 2015

97

(https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte/vsbericht-2015)

98

auf Seite 263 f. aus:

99

„Die syrischen Nachrichtendienste verfügen ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen. Ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen sowohl islamistische und islamistisch-terroristische Gruppierungen als auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen.

100

Bei anhaltenden unkontrollierten Einreisen syrischer Staatsangehöriger in die EU ist auch mit weiteren Ausforschungsaktivitäten syrischer Nachrichtendienste zu rechnen.“

101

(bb) Ausweislich des Verfassungsschutzberichts 2015 (Seite 82) des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Innern und für Sport

102

(https://mdi.rlp.de/fileadmin/isim/Unsere_Themen/Sicherheit/Verfassungsschutz/Dokumente/Verfassungsschutzb_2015_komp_web_neu.pdf)

103

„forcieren“ die Geheimdienste aus den Staaten des Nahen Ostens und aus Nordafrika „ihre Aktivitäten gegen Regimegegner und Oppositionelle in der Bundesrepublik Deutschland“.

104

(cc) Das sächsische Staatsministerium des Innern stellt in seinem Verfassungsschutzbericht 2015

105

(http://www.verfassungsschutz.sachsen.de/download/VSB_2015_INTERNET_05_25.pdf)

106

auf Seite 236 fest:

107

„Arabische und nordafrikanische Nachrichtendienste führen in Deutschland in erster Linie Maßnahmen gegen hier lebende Oppositionelle aus ihren Heimatländern durch. Die politischen Veränderungen der letzten Jahre im arabischen und nordafrikanischen Raum haben daran nichts geändert. Damit dürften die in Sachsen lebenden Einwanderer und Flüchtlinge aus den einschlägigen Krisenregionen nach wie vor als Ziel der jeweiligen Nachrichtendienste gelten, insbesondere, wenn sie sich oppositionell betätigt haben.

108

Insbesondere die syrischen Nachrichtendienste dürften starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg haben. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden.“

109

110

(dd) Im Verfassungsschutzbericht 2015 des hamburgischen Landesamtes für Verfassungsschutz

111

(http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/6306408/2016-06-13-bis-pm-verfassungsschutzbericht-2015/)

112

heißt es auf Seite 215:

113

„Verschiedene Nachrichtendienste des Mittleren und Nahen Ostens sowie Afrikas sind in Deutschland und zum Teil auch in Hamburg aktiv. Ein besonderes Interesse haben diese Dienste an oppositionellen Gruppierungen, die als Bedrohung für das eigene Regime angesehen werden. Ein weiterer Schwerpunkt war der Bereich der Proliferation ...

114

...

115

Die Nachrichtendienste dieser und weiterer Länder versuchen zudem die jeweiligen Oppositionsgruppen zu überwachen. Dazu werden beispielsweise Hinweisgeber gewonnen oder Informanten in die Gruppen eingeschleust.“

116

(ee) Der Bericht 2015 „Verfassungsschutz in Hessen“ des dortigen Ministeriums des Innern und für Sport

117

(https://lfv.hessen.de/sites/lfv.hessen.de/files/content-downloads/LfV_Bericht-2015final_screen.pdf)

118

stellt auf Seite 162 zu Flüchtlingen aus Syrien fest:

119

„Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Nachrichtendienste dieser Länder nach wie vor existent sind. Daher gilt für die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge: Wer sich im Heimatland gegen das Regime engagierte, gerät eventuell auch in Deutschland in das Visier fremder Nachrichtendienste. Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat können ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert sind, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.“

120

(ff) Die nachrichtendienstlichen Aktivitäten richten sich mithin nach übereinstimmender Einschätzung der genannten Dienste in erster Linie gegen Regimegegner und Oppositionelle bzw. Gruppierungen von solchen.

121

Von einer systematischen Beobachtung aller in Deutschland lebenden Syrer ist auch nicht nur andeutungsweise die Rede; angesichts der hohen Flüchtlingszahlen in den letzten Jahren, insbesondere im Jahr 2015, erscheint eine solche auch bereits rein faktisch gar nicht möglich. Soweit eben aus diesem Umstand gefolgert wird, dass Personen, die illegal aus Syrien ausgereist sind, sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten und dort um internationalen Schutz nachgesucht haben, seitens der syrischen Behörden allein schon aufgrund deren lückenhafter Erkenntnislage mit hoher Wahrscheinlichkeit verdachtsunabhängig Befragungen und Inhaftierungen unterzogen würden, um die Motive der Ausreise und etwaigen Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen in Erfahrung zu bringen (VG Trier, Urteil vom 7. Oktober 2016 – 1 K 5093/16.TR –, juris), vermag dies den Senat zumindest nicht von einer beachtlich wahrscheinlich drohenden Gefahr politischer Verfolgung zu überzeugen. Ob eine derartige Befragung oder Inhaftierung angesichts der zwischenzeitlichen massenhaften Flucht der syrischen Bevölkerung vor dem Bürgerkrieg überhaupt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, kann dabei dahinstehen. Wie bereits ausgeführt wäre eine entsprechende Verfolgungsgefahr jedenfalls nicht aus einem der Verfolgungsgründe des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG gegeben, sondern mangels zureichender anderer Erkenntnisse als bloßer wahllos-routinemäßiger Zugriff aufpotentielle Gegner und bloß potentielle Informationsquellen zur Exilszene zu werten, mit dem möglicherweise einen konkreten Verdacht begründende Hinweise, aufgrund derer sodann eine „Zuschreibung“ von Merkmalen im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG erfolgen könnte, erst gewonnen werden sollen.

122

(c) Überzeugende Anhaltspunkte für eine erfolglosen Asylbewerbern bei ihrer Rückkehr nach Syrien allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich drohenden politische Verfolgung ergeben sich auch nicht aus der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 bis hin zum offenen Bürgerkrieg (vgl. zur Entwicklung der innenpolitischen Situation umfänglich OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 12 –, juris, Rn. 45 bis 76 ).

123

Aus dem Umstand, dass der syrische Staat als eine der in den Bürgerkrieg involvierten Parteien mit brutaler Härte gegen seine tatsächlichen und scheinbaren Gegner im Landesinnern vorgeht und dabei offensichtlich – etwa beim Einsatz von tausenden von Fassbomben über Oppositionsgebieten seit dem Jahr 2012 – Opfer unter der Zivilbevölkerung zumindest billigend in Kauf nimmt (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das BAMF zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Syrien vom 3. Februar 2016), lassen sich keine zwingenden Schlüsse auf ein beachtlich wahrscheinlich drohendes politisch motiviertes Vorgehen im Sinne des § 3 AsylG gegen aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrende Bürgerkriegsflüchtlinge ziehen.

124

Gegen eine quasi routinemäßige Einstufung dieser Personengruppe als aus der Sicht des Regimes zu bekämpfende mutmaßliche Regimegegner oder Oppositionelle spricht bereits nach der Lebenserfahrung der – wie dargelegt auch den syrischen Machthabern geläufige – Gesichtspunkt, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg außer Landes geflohen sind, regelmäßig keine Bedrohung des in Syrien zeitweilig um sein politisches und physisches Überleben kämpfenden Regimes darstellen, sondern aus Angst um ihr Leben und ihre Gesundheit dem Konflikt gerade aus dem Weg gegangen sind. Bereits von daher ist auch die teilweise (VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 – RO 11 K 16.30707 –, und VG Stuttgart, Urteil vom 15. März 2013 – A 7 K 2987/12 –, beide in juris) vertretene Auffassung, dass der syrische Staat Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit einer von außen organisierten und finanzierten Verschwörung gegen das Land zurechnen werde, letztlich nicht mehr als eine bloße Mutmaßung.

125

(d) Des Weiteren ergeben sich auch aus den Erkenntnissen zum Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Anfang 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen, keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Annahme einer bei Rückkehr nach Syrien allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und einem längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich drohenden politischen Verfolgung.

126

Das Auswärtige Amt beschreibt bereits in seinem Ad hoc-Bericht vom 17. Februar 2012 eine massive Unterdrückung der syrischen Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen. Seit März habe es eine präzedenzlose Verhaftungswelle gegeben, mit der das Regime gegen die Protestbewegung vorgehe. Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränkten sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Es seien vielmehr zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“, tätlichen Angriffen, Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und Mordanschlägen belegt.

127

Diese Umstände haben sich offensichtlich bis in das Jahr 2016 hinein nicht geändert.

128

Die Menschenrechtsorganisation amnesty international geht auch in ihrem Bericht „It breaks the human – torture, disease and death in Syria's prisons“ vom 18. August 2016

129

(https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/),

130

Ziffer 4.2: „Profiles of people targeted“, davon aus, dass für jedermann, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, die Gefahr bestehe, willkürlich inhaftiert oder „verschwinden gelassen“ zu werden und in der Haft Folter, andere Misshandlung und möglicherweise auch den Tod zu erleiden. Die Gründe hierfür variierten und könnten auch friedlichen Aktivismus wie die Tätigkeit als Menschenrechtsverteidiger, Journalist oder sonstiger Medienschaffender, die Versorgung der notleidenden Zivilbevölkerung mit humanitärer oder medizinischer Hilfe und die Organisation und Teilnahme an Pro-Reform-Demonstrationen umfassen. Zur Verhaftung könne auch bereits führen, dass ein Verwandter von den Sicherheitskräften gesucht oder man durch einen Denunzianten gemeldet werde – einschließlich von Meldungen, welche durch finanziellen Profit oder persönlichen Groll motiviert seien.

131

Indessen lässt auch der Umstand, dass die syrische Regierung im Inland tatsächliche und vermeintliche Regimegegner und Oppositionelle massiv und in menschenrechtswidriger Weise unterdrückt, keinen hinreichend tragfähigen Schluss auf eine beachtlich wahrscheinliche politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG von aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrenden Bürgerkriegsflüchtlingen allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und einem längeren Auslandsaufenthalt zu.

132

Insoweit spricht nämlich – wie bereits hinsichtlich der Eskalation der innenpolitischen Situation bis hin zum Bürgerkrieg festgestellt – ebenfalls die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg in das Ausland geflohen sind, auch in den Augen der syrischen Machthaber in aller Regel keine Bedrohung des Regimes darstellen, sondern dem Konflikt vielmehr gerade aus dem Weg gegangen sind.

133

bb. Dem Kläger droht im Falle seiner unterstellten Rückkehr nach Syrien auch nicht aus sonstigen Gründen beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

134

(1) Dies gilt zum einen in Bezug auf eine mögliche Wehrdienstentziehung, welche der 1993 geborene Kläger – ebenso wie sein Bruder – begangen haben könnte, indem er Syrien ohne die für alle männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren erforderliche Ausreisegenehmigung (vgl. hierzu Auskunft des Deutschen Orient-Institutes an das OVG Schleswig-Holstein vom 8. November 2016 – 3 LB 17/16 –) verlassen hat.

135

(a) In Syrien besteht für männliche Staatsangehörige eine Militärdienstpflicht. Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren; die Wehrpflicht dauert bis zum Alter von 42 Jahren (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, vom 30. Juli 2014, Seite 1,

136

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/syrien-rekrutierung-durch-die-syrische-armee.pdf).

137

Die Möglichkeit eines Ersatzdienstes besteht nicht. Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet. Nach Artikel 68 wird mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft, wer sich der Einberufung entzieht. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion sieht Artikel 101 fünf Jahre Haft vor bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, vom 30. Juli 2014, a. a. O., Seite 3)

138

(b) Danach bestünde für den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien zwar die Gefahr, wegen Wehrdienstentziehung bestraft und zwangsweise von der syrischen Armee eingezogen zu werden. Dabei könnte es sich – was hier letztlich keiner abschließenden Klärung bedarf – angesichts dessen, dass der Militärdienst in der syrischen Armee möglicherweise Verbrechen oder Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde, auch um eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG handeln.

139

Es bestehen jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die dem Kläger drohenden Maßnahmen aus einem der in § 3 AsylG genannten Gründe – konkret: wegen einer als der Wehrdienstentziehung zugrunde liegend vermuteten politischen Opposition zum Regime – ergehen würden.

140

Was die drohende Heranziehung zum Wehrdienst angeht, fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten für eine entsprechende Selektion anhand der in § 3 AsylG genannten Kriterien; vielmehr rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig vom ethnischen und religiösen Hintergrund (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, Seite 2,

141

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150328-syr-mobilisierung.pdf).

142

Eine mögliche Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung kann zwar vom Grundsatz her auch politische Verfolgung sein, da es für den Flüchtlingsschutz nicht allein darauf ankommen kann, mit welchen Mitteln der Staat vorgeht, sondern vielmehr entscheidend ist, welches Ziel hinter seinen Maßnahmen steht (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1983 – 9 C 36/83 –, BVerwGE 67, 184, juris). Von einer derartigen politischen Motiviertheit wäre dann auszugehen, wenn dem Kläger wegen seiner Wehrdienstentziehung in Syrien beachtlich wahrscheinlich eine an seine politische Überzeugung anknüpfende härtere Bestrafung als sonst üblich – ein sogenannter Politmalus (BVerfG, Beschluss vom 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 –, juris, m. w. N.) – drohen würde. Hierfür liegen indessen keine zureichenden Anhaltspunkte vor.

143

Das syrische Regime hat bereits seit Beginn des Bürgerkrieges die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten intensiviert. Seit Herbst 2014 kommt es angesichts einer erheblichen Dezimierung der syrischen Armee durch Desertion und Verluste in großem Umfang zur Mobilisierung von Reservisten sowie zur Verhaftung von Deserteuren und Männern, die sich bislang dem Wehrdienst entzogen haben (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, a. a. O., Seite 1 ff.; Washington Post, Desperate for soldiers, Assad’s government imposes harsh recruitment measures, 28. Dezember 2014,

144

www.washingtonpost.com/world/middle_east/desperate-forsoldiers-assads-government-imposes-harsh-recruitment-measures/2014/12/28/62f99194-6d1d-4bd6-a862-b3ab46c6b33b_story.html.

145

vgl. auch etwa – zur Verweigerung der Entlassung in der Armee dienender Wehrpflichtiger – ntv: „Verlangen unsere Entlassung“ – In Assads Armee wächst der Unmut, vom 24. November 2015,

146

http://www.n-tv.de/politik/In-Assads-Armee-waechst-der-Unmut-article16418356.html).

147

Deserteure und Personen, die sich dem Militärdienst entzogen haben, werden inhaftiert und verurteilt. In der Haft kommt es zu Folter, und Menschenrechtsorganisationen berichten über Exekutionen von Deserteuren. Einige der Verhafteten werden vom Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt, bevor sie eingezogen werden, andere werden verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt (Schweizer Flüchtlingshilfe, Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, a. a. O., Seite 1 ff.).

148

Im Juli 2015 hat der syrische Staatspräsident Assad als weitere Maßnahme zur personellen Verstärkung der syrischen Armee eine Generalamnestie für Deserteure und Wehrdienstverweigerer erlassen. Ins Ausland geflohene Soldaten hatten sich dazu binnen zwei Monaten bei den Behörden zu melden, Deserteure, die sich in Syrien aufhalten, innerhalb eines Monats. Eine Frist für Wehrdienstverweigerer wurde nicht genannt (Zeit online vom 26. Juli 2015: Assad gehen die Soldaten aus,

149

http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-07/syrien-baschar-al-assad-buergerkrieg-armee-unterstuetzung).

150

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände bestehen letztlich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Personen, die sich während des Bürgerkrieges dem Wehrdienst entweder in Syrien selbst oder durch Flucht ins Ausland entzogen haben, bei ihrer Ergreifung allein aufgrund dieser Wehrdienstentziehung beachtlich wahrscheinlich eine regimegegnerische Haltung unterstellt würde und sie aus diesem Grunde eine über die gesetzlich vorgesehene Bestrafung für Wehrdienstentzug hinausgehende Verfolgung zu befürchten hätten.

151

Die üblicherweise drohende Verhaftung als solche bewegt sich im Rahmen der nach dem Military Penal Code vorgesehenen Strafandrohung.

152

Dass es in der Haft der Berichterstattung der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 28. März 2015 zufolge auch zu Folter kommt, stellt zwar für die hiervon Betroffenen eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des § 3 AsylG dar. Es fehlt jedoch an zureichenden Anhaltspunkten dafür, dass diese wegen eines der in § 3 AsylG genannten Merkmale – konkret: der politischen Überzeugung des Betroffenen –erfolgt. Zwar kann es sich bereits bei der Folter als solcher um ein Indiz für den politischen Charakter der Maßnahme handeln. Allerdings bedarf es insoweit regelmäßig der Heranziehung weiterer objektiver Kriterien, die einen Rückschluss auf die subjektive Verfolgungsmotivation gestatten. Derartige objektive Kriterien sind vor allem die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Heimatstaat des Betroffenen, insbesondere die Eigenart des Staats, sein möglicherweise totalitärer Charakter, die Radikalität seiner Ziele und die zu seiner Verwirklichung eingesetzten Mittel, das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung des einzelnen und die Behandlung von Minderheiten. Maßgeblich ist stets, ob der Staat seine Bürger in den genannten persönlichen Merkmalen zu disziplinieren, sie ihretwegen niederzuhalten oder im schlimmsten Fall zu vernichten sucht oder ob er lediglich seine Herrschaftsstruktur aufrechterhalten will und dabei die Überzeugungen seiner Staatsbürger unbehelligt lässt. Die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt, vermögen für sich allein eine politische Verfolgung nicht zu begründen (vgl. zum Ganzen Urteil vom 17. Mai 1983 – 9 C 36/83 –, BVerwGE 67, 195 m. w. N.).

153

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend nichts hinreichendes dafür ersichtlich, dass die berichtete Folter im Falle der Wehrdienstentziehung – welche für sich genommen bereits zu einer Schutzberechtigung gemäß § 4 AsylG führt – gerade aus einem der besonderen Gründe des § 3 AsylG geschähe.

154

Syrien verfügt zwar über eine formal rechtsstaatliche Verfassung, ist aber aufgrund des seit 1963 bestehenden Ausnahmezustandes in der Praxis bereits seit Jahrzehnten ein von Sicherheitsapparaten und Militär geprägtes autoritäres Regime. Die Sicherheitsdienste waren schon vor Beginn der Unruhen im Jahre 2011 und des nachfolgenden Bürgerkrieges weder parlamentarischen noch gerichtlichen Kontrollmechanismen unterworfen und verantwortlich für willkürliche Verhaftungen, Folter und Isolationshaft. Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste wenden systematisch Gewalt an. Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter und anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte bestehen nicht; Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschweren, laufen vielmehr Gefahr, dafür strafrechtlich belangt zu werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27. September 2010). Angesichts der sonach in Syrien generell herrschenden Brutalität und Willkür von Sicherheits- und Justizvollzugsorganen stellt die Anwendung von Folter als solche jedenfalls kein gewichtiges Indiz für die politische Motiviertheit einer Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung dar.

155

Die Fälle von Exekutionen während der Haft, über die die Schweizer Flüchtlingshilfe (a. a. O.) berichtet, beziehen sich auf Deserteure. In Bezug auf diesen Personenkreis handelt es sich durchaus um einen deutlichen Anhaltspunkt für eine über die bloße Strafverfolgung hinausgehende Gerichtetheit. Für diejenigen, die sich lediglich einer Einberufung entzogen haben – wofür ja auch bereits das Gesetz eine wesentliche mildere Strafe als für Desertion vorsieht – ergibt sich insoweit hingegen ebenfalls kein gewichtiges Indiz für einen Politmalus.

156

Gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle bloßer Wehrdienstentziehung spricht überdies das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee. Bei insgesamt fast 5 Millionen Flüchtlingen, die Syrien verlassen haben, dürften sich angesichts des hohen Anteils von Männern im Allgemeinen und jungen Männern im Besonderen (FAZ net, Das sind Deutschlands Flüchtlinge, vom 21. Oktober 2015

157

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/deutschlands-fluechtlinge-in-grafiken-13867210.html)

158

bereits nach der Lebenserfahrung Hunderttausende junger Männer befinden, die noch nicht einberufen worden sind. Jedenfalls hinsichtlich dieses Personenkreises dürfte es dem syrischen Staat vor allem darum gehen, die Betroffenen schnellstmöglich seiner notleidenden Armee zuzuführen. In diese Richtung deutet bereits der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 28. März 2015 (a. a. O.), wonach zwar einige der Verhafteten zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen, andere indessen lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt werden. Hinzu kommt die im Juli 2015 erlassene Generalamnestie, welche über Wehrdienstverweigerer hinaus sogar auch Deserteure erfasst hat.

159

Im Übrigen ist den syrischen Machthabern, wie schon dargelegt, bekannt, dass die Flucht aus Syrien – und damit auch die Flucht vor der Einberufung durch die Armee – in aller Regel nicht durch politische Gegnerschaft zum syrischen Staat motiviert ist, sondern durch Angst vor dem Krieg.

160

(2) Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Klägers aus einem der Gründe des § 3 AsylG ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass er eigenen Angaben zufolge vor seiner Ausreise in derProvinz Homs gelebt hat.

161

Zwar erfasst der UNHCR (Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, November 2015, Seite 25 f.,

162

https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf)

163

im Rahmen der von ihm als das Erfordernis internationalen Flüchtlingsschutzes indizierend erstellten Risikoprofile auch Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben. Hierzu führt er erläuternd aus (Seite 12 f.):

164

„Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist.“

165

Vorliegend kann indessen letztlich dahinstehen, ob die Stadt A... oder der Bauernhof der Familie des Klägers, auf den sich diese den Angaben des Klägers (vgl. Anhörungsprotokoll vom 5. April 2016, Seite 35 ff, 38 der Verwaltungsakte) zufolge zurückgezogen hat, um den Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, in einer vermeintlich regierungsfeindlichen Zone im obigen Sinne gelegen sind.

166

Selbst in diesem Falle wäre zwar unter Zugrundelegung der UNHCR-Erwägungen die Herkunft des Klägers aus einem bestimmten Gebiet in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte möglicherweise ein gewisser Anhaltspunkt für eine oppositionelle Einstellung.

167

Letztlich spricht indessen aber auch insoweit die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg in das Ausland geflohen sind, auch in den Augen der syrischen Machthaber in aller Regel keine Bedrohung des Regimes darstellen, sondern dem Konflikt vielmehr gerade aus dem Weg gegangen sind.

168

cc. Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus einer umfassenden Gesamtwürdigung aller vorliegend möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Umstände.

169

Auch dann, wenn man die illegale Ausreise, die Asylantragstellung, den längerfristigen Auslandsaufenthalt, die Wehrdienstentziehung des Klägers und seines Bruders sowie die regionale Herkunft des Klägers aus der Perspektive des syrischen Staates als möglichem Verfolger gleichzeitig wertend in den Blick nimmt, so erscheinen dessen Interessen letztlich allein insoweit berührt, als der Kläger zum einen selbst als Oppositioneller eine Gefahr für das Regime darstellen könnte und zum anderen durch seine Wehrdienstentziehung dazu beigetragen hat, die Schlagkraft der syrischen Armee gegen ihre übrigen Gegner zu beeinträchtigen.

170

Da indessen wie bereits dargestellt die Lebenserfahrung auch aus Sicht der syrischen Behörden dafür spricht, dass der Kläger kein dem Regime möglicherweise gefährlicher Oppositioneller ist, sondern dem Konflikt durch seine Ausreise gerade hat aus dem Wege gehen wollen, fehlt es insoweit bei umfassender Abwägung an ausreichenden Anhaltspunkten jedenfalls für eine Überzeugungsbildung durch den Senat dahingehend, dass dem Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich Verfolgungsmaßnahmen wegen seiner politischen Überzeugung drohen. Diese Einschätzung vermögen auch nicht die dem Kläger möglicherweise wegen Wehrdienstentziehung drohenden Sanktionen zu ändern. Das Sanktionsinteresse des syrischen Regimes dürfte zumindest gegenüber denjenigen, die nicht aus der Armee desertiert sind, sondern sich lediglich dem Wehrdienst entzogen haben, hinter dem Interesse an der dringend benötigten Verstärkung der Armee durch Rekrutierung neuer Soldaten zurückbleiben. Insoweit könnte dem Kläger im Falle seiner fiktiven Rückkehr nach Syrien zwar möglicherweise eine strafrechtliche Sanktion und wohl auch beachtlich wahrscheinlich eine Einberufung drohen; in Bezug auf eine politisch motivierte weitergehende Verfolgung fehlt es jedoch ebenfalls an Anhaltspunkten, welche die Prognose einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit tragen könnten.

171

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr.10 ZPO.

172

Gründe, aus denen gemäß § 132 Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen wäre, liegen nicht vor. Bei der Frage, ob abgelehnten Asylbewerbern im Falle einer Rückkehr nach Syrien dort bereits allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich Verfolgung wegen einer vermuteten Einstellung gegen das dort herrschende Regime droht, handelt es sich – anders als in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 (2 BvR 31/14) zugrunde liegenden Fall – um eine Tatsachenfrage, wohingegen die Revision die Überprüfung eines Urteils ausschließlich in rechtlicher Hinsicht zum Gegenstand hat (§ 137 Abs. 1 und 2 VwGO).

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 22.04.2016 verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Beklagte.


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Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 30. August 2016 – 12. Kammer, Einzelrichter – geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger sind syrische Staatsangehörige, arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Sie begehren ihre Anerkennung als Flüchtling im Sinne von § 3 AsylG bzw. der Genfer Flüchtlingskonvention.

2

Die Kläger reisten nach eigenen Angaben am 31. Oktober 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 22. Juni 2016 einen Asylantrag.

3

Bei ihrer Anhörung gaben sie zur Begründung ihres Asylantrages an, Syrien am 20. April 2015 verlassen zu haben. Sie stammten aus Der al Zor (auch Deir ez Zoor).

4

Der Kläger trug vor, dass er Abitur gemacht und als Schneider gearbeitet habe. Er habe zwei Jahre Wehrdienst geleistet. Berufssoldat sei er nicht – auch nicht Angehöriger von Sicherheitsbehörden oder der Polizei. Er sei ausgereist, weil es in Syrien keine Sicherheit gebe. Es fielen überall Raketen und man wisse nicht, ob man den nächsten Tag noch erlebe. Es gebe kein Wasser, keinen Strom, keine Arbeit, kein Einkommen. Der Flughafen in Der al Zor liege neben seinem Wohnort und sei von der ISIS, dem Regime und den Freiheitskämpfern umkämpft worden. Es fielen dort überall Bomben und Raketen. Er fürchte bei einer Rückkehr, dass er vielleicht von der Regierung oder den Freiheitskämpfern verpflichtet werde, zu kämpfen. Wenn die Regierung wisse, dass er einen Asylantrag gestellt habe, werde er getötet.

5

Die Klägerin gab an, dass sie Kindergartenlehrerin an der Al Furat Universität in Der al Zor studiert habe. Die Raketen seien außerhalb ihres Ortes gefallen. Sie sei ausgereist, weil sie Angst gehabt habe, Opfer des Krieges zu werden. Sie habe in Syrien ihr ungeborenes Kind verloren. Sie suche Sicherheit.

6

Mit Bescheid vom 29. Juni 2016 erkannte die Beklagte die Kläger als subsidiär Schutzberechtigte an und lehnte die Asylanträge im Übrigen ab.

7

Mit ihrer am 12. Juli 2016 erhobenen Klage haben die Kläger geltend gemacht, dass sie wegen ihrer illegalen Ausreise aus Syrien und dem Aufenthalt in Deutschland bedroht seien. Dies werde vom syrischen Regime als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst.

8

Die Kläger haben beantragt,

9

den Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2016 in Ziffer 2 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihnen den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.

10

Die Beklagte hat beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Mit Gerichtsbescheid vom 30. August 2016 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen und den Bescheid vom 29. Juni 2016 aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kläger sich unabhängig davon, ob sie vorverfolgt aus Syrien ausgereist seien, auf beachtliche Nachfluchtgründe berufen könnten. Der syrische Staat sehe gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfungspunkt und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System an. Auch die steigende Zahl an Flüchtlingen aus Syrien habe nicht zur Folge, dass der einzelne, sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling aufgrund dieses Massenphänomens nicht mehr als potentieller politischer Gegner des Regimes angesehen werde. Unter den derzeitigen Umständen habe jeder sich im westlichen Ausland aufhaltende Syrer im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an seine vermutete oppositionelle Gesinnung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen. Die obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte bei der Rückkehr knüpfe an die vom Staat unterstellte politische Überzeugung an. Den Klägern stehe keine sichere, innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Es bestehe nur die Möglichkeit einer Einreise über den von syrischen Regierungskräften kontrollierten Flughafen von Damaskus.

13

Zur mit Beschluss vom 7. Dezember 2017 zugelassenen Berufung trägt die Beklagte Folgendes vor: Die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Quellenlage ließe sich hinsichtlich der Frage, ob bei Konstellationen der vorliegenden Art die nötige Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal bzw. ob ein „Politmalus“ feststellbar sei, unterschiedlich interpretieren. Rückkehrer unterlägen zwar allgemein der Gefahr der Folter oder unmenschlicher Behandlung. Es gebe jedoch keine gesicherten Anhaltspunkte dafür, dass abgeschobenen Rückkehrern grundsätzlich ungeachtet besonderer persönlicher Umstände oppositionelle Tätigkeit unterstellt werde und die Befragungen und damit teilweise einhergehende Misshandlungen in Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal erfolgten. Vielmehr beschränkten sich die zur Verfügung stehenden Auskünfte auf die Schilderung von Einzelfällen, aus denen sich für die Motivation des syrischen Staates – ungeachtet des Unrechtsgehalts dieses staatlichen Handelns – nichts ableiten lasse. Eine vorherige Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien deshalb für sich allein kein Grund für Verhaftung oder Repressalien.

14

Die Beklagte beantragt,

15

den Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 12. Kammer, Einzelrichter – vom 30. August 2016 zu ändern und die Klage abzuweisen.

16

Die Kläger beantragen,

17

die Berufung zurückzuweisen.

18

Die Kläger tragen zur Begründung vor, dass im Rahmen der vom Gericht vorgenommenen Prognoseentscheidung zu berücksichtigen sei, dass keine Regelmäßigkeit festzustellen sei, inwieweit einem potenziellen Rückkehrer nach Syrien allein wegen des Aufenthalts im westlichen Ausland als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung vorgeworfen werde. Es sei ihnen – den Klägern – allerdings bekannt, dass zumindest die Möglichkeit der Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter bestehe. Die Tatsache, dass ein potenzieller Rückkehrer nicht bestraft werde, könne nicht als Prognosemaßstab zu ihren Lasten gereichen. Im Übrigen nehmen sie auf ihren bisherigen Vortrag Bezug.

19

Der Kläger ist in der der mündlichen Verhandlung vom Senat ergänzend informatorisch angehört worden.

Entscheidungsgründe

20

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, so dass der Gerichtsbescheid zu ändern war. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG

21

Nach § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründen) außerhalb des Landes (Herkunftslands) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

22

Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG kann als eine solche Verfolgung insbesondere die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt gelten. Als Verfolgung kann gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylG auch eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten. Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind u. a. gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.

23

Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Erforderlich ist ein gezielter Eingriff, wobei die Zielgerichtetheit sich nicht nur auf die durch die Handlung bewirkte Rechtsgutsverletzung selbst bezieht, sondern auch auf die Verfolgungsgründe, an die die Handlung anknüpfen muss. Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 – 10 C 52.07 – juris, Rn. 22, 24). Die Schwere des befürchteten Eingriffs kann dabei je nach Einzelfall, insbesondere im Zusammenhang mit willkürlich handelnden Staatsmächten, nur bedingt Erkenntnisse zur Gerichtetheit der Verfolgung geben. Dabei entspricht die zunächst zum nationalen Recht entwickelte Rechtsdogmatik zur Frage der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ auch dem neueren europäischen Recht, welches hierfür den Begriff des „real risk“ verwendet (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 – juris, Rn. 22 m.w.N.).

24

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 – juris, Rn. 19). Der danach relevante Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Zu bewerten ist letztlich, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint; insoweit geht es also um die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urteil vom 6. März 1990 – 9 C 14.89 – juris, Rn. 13). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. Ergeben die Gesamtumstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung, wird ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 – 9 C 118.90 – juris, Rn. 17). Auch in solchen Fällen müssen aber die festgestellten Verfolgungsfälle nach Intensität und Häufigkeit zur Größe der Zahl der Verfolgten als ins Gewicht fallend angesehen werden können, wenn das Anknüpfungsmerkmal für eine mögliche Verfolgung auf eine Vielzahl von Personen zutrifft (hier: Asylantragstellung und Aufenthalt im westlichen Ausland bzw. Entziehung vor Einberufung bzw. Wehrdienstverweigerung); es muss dann also – vergleichbar einer Gruppenverfolgung – eine entsprechende Verfolgungsdichte vorliegen. Hiervon kann nur dann abgesehen werden, wenn ein staatliches Verfolgungsprogramm besteht, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht und das deshalb hinreichend wahrscheinlich eine Verfolgung erwarten lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2010 – 10 B 18.09 – juris, Rn. 2 m.w.N.; vgl. zu den Prognosegrundsätzen bei gruppengerichteten Verfolgungen: Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, § 27).

25

Beim Flüchtlingsschutz gilt für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337/9) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 – 10 C 7.11 – juris, Rn. 12).

26

Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 – juris, Rn. 23). Dabei gilt als vorverfolgt, wer seinen Heimatstaat entweder vor eingetretener oder vor unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat (vgl. BVerwG, Urteil 14. Dezember 1993 – 9 C 45.92 – juris, Rn. 8).

27

1. Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Furcht der Kläger vor einer Verfolgung wegen eines flüchtlingsrechtlich relevanten Grundes unbegründet.

28

Zu bewerten ist allein eine Verfolgung durch den syrischen Staat. Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort des Ausländers bei seiner Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15.12 – juris, Rn. 13 ff. m.w.N.). Dabei ist auch zu prüfen, ob der Ausländer seinen Herkunftsort gefahrlos erreichen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Februar 1993 – 9 C 31.92 – juris, Rn. 9). Der in der Nähe Deir ez Zoor (Stadt) gelegene Heimatort der Kläger ist nur über einen Reiseweg bzw. über Gebiete erreichbar, die vom syrischen Regime kontrolliert werden. Dies gilt in erster Linie für eine – hypothetische – Rückführung der Kläger, die derzeit allein über eine Flugverbindung denkbar ist. Insoweit kommt nach aktuellem Erkenntnisstand nur Damaskus in Betracht (vgl. Auswärtiges Amt [AA], Auskunft vom 12. Oktober 2016 an VG Trier zu den beiden allein geöffneten Flughäfen Damaskus und dem im Kurdengebiet gelegenen Qamishly. Daneben soll auch noch der unter Kontrolle des syrischen Regimes stehende Flughafen Latakia für internationale Flüge offen stehen, vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH] vom 21. März 2017, Syrien: Rückkehr, S. 6.). Darüber hinaus hat die syrische Armee seit Ende 2017 wieder die Kontrolle über Deir ez Zoor selbst sowie das Umland übernommen (vgl. beispielhaft „Assads Armee vertreibt IS aus Deir al-Soor“ vom 3. November 2011, tagesschau.de, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/ausland/syrien-is-109.html; „Siege of Deir ez-Zor (2014-17)“, Wikipedia, abrufbar unter: https://en.wikipedia.org/wiki/Siege_of_Deir_ez-Zor_ (2014%E2%80%9317); „Deir ez-Zor clashes (2011-14)“, Wikipedia, abrufbar unter: https://en.wikipedia.org/wiki/Deir_ez-Zor_clashes_(2011%E2%80%9314).

29

2. Nach der im Rahmen der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers ist der Senat davon überzeugt, dass die Kläger ihr Heimatland Syrien unverfolgt verlassen haben. Sie haben bei ihrer persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angegeben, dass ihnen nichts passiert sei und sie das Land wegen der schlechten Lage verlassen hätten.

30

Die nunmehrig erstmalig in der mündlichen Verhandlung vom Kläger vorgetragene Bedrohung durch regimetreue Milizen ist unglaubhaft. Der Kläger trug vor, dass er im Juni 2012 zum Militärdienst einberufen worden sei. Diese Benachrichtigung habe er in seinem Wohnhaus in Damaskus erhalten. Es sei 2-3 Tage später zu einer Hausdurchsuchung von regimetreuen Milizen gekommen, bei welcher sein Bruder verhaftet worden sei. Später sei das Haus von den Milizen, die nochmals vorbeigekommen seien, zerstört worden. Er sei nicht zu Hause gewesen. Man habe aber erst nach ihm gefragt. Er sei zudem an Demonstrationen gegen das Regime beteiligt gewesen. Der Aufforderung zum Militärdienst zu erscheinen, sei er nicht gefolgt, sondern am Tag nach der ersten Hausdurchsuchung mit seiner Familie nach Mohassam in der Nähe von Deir ez Zoor geflohen. Dieses Gebiet sei von der SDF kontrolliert gewesen.

31

Diesen Vortrag hält der Senat für gesteigert und unglaubhaft. Der Kläger konnte bereits nicht plausibel darlegen, weshalb er dieses Fluchtschicksal erstmalig in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vortrug und nicht bei seiner persönlichen Anhörung bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, bei welcher er ausdrücklich danach gefragt worden ist, was ihm persönlich vor seiner Ausreise aus Syrien passiert sei. Sein Vorbringen, Landsleute hätten ihm vor seiner persönlichen Anhörung davon abgeraten, zu viele Details zu erwähnen, da dies zu vielen Nachfragen führen und sein Asylantrag gefährdet sein könnte, überzeugt schon deshalb nicht, weil der Kläger über seine Mitwirkungspflichten nach § 15 AsylG und § 25 AsylG mit der Asylantragstellung sowie vor seiner persönlichen Anhörung bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hingewiesen worden ist und er angab, dass ihm diese Pflichten bekannt seien. Zudem erklärt dies nicht, weshalb er das Verfolgungsschicksal nicht im erstinstanzlichen Verfahren erwähnt hat.

32

Darüber hinaus ist der Vortrag des Klägers widersprüchlich, und zwar schon in zeitlicher Hinsicht. Er hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, er sei Anfang des Jahres 2014 ausgereist. In ihrer persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt haben indes beide Kläger als Ausreisedatum den 20. April 2015 angegeben. Ferner hat er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass sein Bruder am 26. Juli 2012 – am Tage des Erscheinens der Milizen in ihrem Hause – verhaftet worden sei. Diese Zeiten stehen allerdings im Widerspruch zu seiner Angabe, dass die regimetreuen Milizen 2-3 Tage nachdem er den Einberufungsbefehl im Juni 2012 erhalten habe, sein Haus aufgesucht hätten. Weiter gab er bei seiner Anhörung an, dass er einen Bruder in Gelsenkirchen habe und ein Bruder mit seiner Mutter in Griechenland sei. Nach seinem Vorbringen in mündlichen Verhandlung hingegen sei sein einziger Bruder noch in Syrien seinetwegen in Haft und man wisse nichts über ihn. Diese Widersprüche vermochte der Kläger auch nicht aufzuklären. Trotz weiterer Nachfragen des Senats war es nicht möglich, aufklärende Antworten insbesondere zu den zeitlichen Abläufen und zu den Geschehnissen um die Zerstörungen der Häuser zu erhalten. Sein Erläuterung dahingehend, dass er seinen in Haft befindlichen Bruder in seiner persönlichen Anhörung nicht erwähnt habe, weil er Angst um ihn habe, erklärt schon nicht die unterschiedlichen Angaben zu den Aufenthaltsorten und der Anzahl der Brüder.

33

Seine nochmalige Einberufung zum Militärdienst im Juni 2012 ist schließlich auch deshalb unglaubhaft, weil eine solche sich nicht aus seinem vorgelegten Militärbuch ergibt. Daraus ist ersichtlich, dass der Kläger am 1. Juli 2008 seinen Wehrdienst beendet hat. Weshalb eine solche Eintragung fehlt, konnte der Kläger nicht erklären. Dass er seinen Einberufungsbefehl, den er im Juni 2012 erhalten haben will, bei seiner Flucht aus Damaskus nicht mitnahm, sein Militärbuch hingegen schon, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar.

34

Den Klägern drohte vor der Ausreise auch keine unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung wegen ihrer Religionszugehörigkeit oder regionalen Herkunft, siehe sogleich unter 3. b). Eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung des Klägers ergibt sich zudem nicht aus dem Umstand, dass er für den Wehrdienst in der syrischen Armee herangezogen werden könnte. Wegen der insoweit relevanten rechtlichen Maßstäbe wird auf die nachfolgenden Ausführungen zu 3. c) Bezug genommen.

35

3. Eine Flüchtlingsanerkennung der Kläger kommt nicht wegen Ereignissen und einer damit einhergehenden Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG in Betracht, die eingetreten sind, nachdem sie ihr Herkunftsland verlassen haben (vgl. § 28 Abs. 1a AsylG, sog. Nachfluchttatbestände). Die Kläger können sich zur Begründung der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf die illegale Ausreise und/ oder den längeren Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung berufen (a). Bei ihnen liegen auch weder im Hinblick auf ihre Glaubenszugehörigkeit noch wegen ihrer Herkunft aus einem Gebiet, das unter der Kontrolle von Oppositionellen steht bzw. gestanden hat, risikoerhöhende Umstände vor (b). Für den Kläger zu 1) ergibt sich eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr auch nicht aus dem Umstand einer etwaigen Wehrdienstentziehung (c). Selbst wenn man alle Umstände im Rahmen einer Gesamtwürdigung gemeinsam betrachtet, ergibt sich nichts Abweichendes (d).

36

a) Die Begründung des Verwaltungsgerichts, dass allein der Aufenthalt der Kläger im westlichen Ausland und die Asylantragstellung in der Bundesrepublik vom syrischen Staat als Ausdruck einer regimefeindlichen Gesinnung angesehen werde und die Kläger im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aus diesem Grund mit Verfolgungshandlungen rechnen müssten, wird vom Senat angesichts der aktuellen Erkenntnislage und weiterer Erwägungen nicht geteilt und rechtfertigt daher die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht.

37

Unter Beachtung der vorgenannten Maßstäbe ist bei der Prüfung danach zu differenzieren, ob einem Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung droht und – falls dies bejaht wird – zwischen der Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund (hier: politische Überzeugung wegen einer vermeintlich oppositionellen Einstellung gegenüber dem syrischen Regime) eine Verknüpfung besteht. Für beides fehlt es an hinreichend gesicherten Erkenntnissen.

38

Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht hat bereits mit Urteil vom 23. November 2016 (3 LB 17/16, juris) entschieden, dass nach der gegenwärtigen Erkenntnislage keine hinreichende Grundlage für die Annahme besteht, dass der totalitäre Staat Syrien jeden Rückkehrer, auch solche, die ihr Land unverfolgt verlassen haben, pauschal unter eine Art Generalverdacht stellt, der Opposition anzugehören. Im Einzelnen hat der 3. Senat hierzu Folgendes ausgeführt:

39

„In diesem Sinne sind auch die vom Verwaltungsgericht angestellten Erwägungen, die sich im Wesentlichen auf Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte/ Verwaltungsgerichtshöfe sowie auf die vom Verwaltungsgericht Regensburg herangezogenen „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (November 2015, Asyldokumentation Nr. 598b) beziehen, nicht geeignet, konkrete Anhaltspunkte für eine - pauschal alle Rückkehrer betreffende - Rückkehrgefährdung anzunehmen. Nach den Erwägungen des UNHCR kann aus Syrien ausgereisten syrischen Staatsangehörigen Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die diesen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt wird, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliert, aus denen die Betroffenen stammen. Diese Einschätzung ist jedoch nicht ausreichend für die Annahme, allen aus Syrien ausgereisten Flüchtlingen würde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Wiedereinreise asylrelevante Verfolgung drohen.

40

(…)

41

Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage ist zur Überzeugung des Senats nicht davon auszugehen, dass die Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staates bei einer Rückkehr in ihr Heimatland zu rechnen hätte. (…) Der Senat geht davon aus, dass angesichts der erheblichen Zahl der insbesondere im vergangenen Jahr aus Syrien ausgereisten Menschen (knapp 430.000 Flüchtlinge, vgl. ZEIT ONLINE vom 8. Juni 2016, Asyldokumentation Nr. 599c, und Mediendienst-Integration, Stand: 1. August 2016, Asyldokumentation Nr. 599e) auch dem syrischen Staat bekannt sein dürfte, dass - wie die Klägerin - die weit überwiegende Anzahl der Flüchtenden aus Angst vor dem Bürgerkrieg und den daraus resultierenden Folgen ihr Heimatland verlassen haben. Allein die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der Auslandsaufenthalt stellen daher keine Anzeichen für politische Gegnerschaft zum syrischen Regime dar (so auch Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - 14 A 1852/16.A -, juris Rn. 18). Diese Einschätzung deckt sich mit der gegenwärtig vorliegenden Auskunftslage, wonach auf Ebene der Bundesregierung keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass Rückkehrer allein aufgrund ihres vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind. Ebenfalls liegen keine Erkenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien vor (Auswärtiges Amt, Auskunft an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht vom 7. November 2016, Asyldokumentation Nr. 602). In Übereinstimmung hiermit steht eine Auskunft des Deutschen Orient-Instituts (vom 8. November 2016 an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht, Asyldokumentation Nr. 603), wonach die syrische Regierung, nachdem in beinahe allen Landesteilen im Frühjahr 2011 Proteste und Unruhen ausgebrochen waren, die Kontrolle über größere Teile des Staatsgebiets verloren hat. Danach werden im Osten nach wie vor weiter besiedelte Gebietsteile durch den sogenannten Islamischen Staat kontrolliert. Die Grenzregionen zu Jordanien und der Türkei werden von verschiedenen oppositionellen Rebellengruppen beherrscht; der mehrheitlich kurdische Teil Syriens, besonders im Norden und Nordosten, hat sich selbst zu föderalen Provinzen erklärt. Die Gebiete zwischen den größten Städten im Westen des Landes (vor allem Damaskus und Umland, Hama, Homs, Aleppo und mit Abstrichen auch Latakia) werden durch verschiedene Gruppierungen oder die Regierung kontrolliert. Die Grenzziehung zwischen diesen Zonen unterliegt einer stetigen Veränderung der Frontverläufe und Kontrolle. Befragungen oder Verfolgung durch die syrische Regierung sind also derzeit zunächst nicht in allen Landesteilen realistisch.“

42

Die Einschätzung des 3. Senats ist auch in Anbetracht der seit der Entscheidung eingetretenen Entwicklungen in Syrien sowie den hierzu veröffentlichen Auskünften und Stellungnahmen zutreffend und wird vom erkennenden Senat geteilt.

43

Dass Rückkehrer (gegenwärtig nur aus dem arabischen Raum, zu dem noch Flugverbindungen bestehen) am Flughafen von Damaskus und ggf. Latakia intensiven Kontrollen ausgesetzt sind und dass Personen, bei denen der Verdacht besteht, dass diese gegen das Assad-Regime eingestellt sind oder oppositionell aktiv gewesen sind, den Flughafen nicht wie beabsichtigt wieder verlassen können und ihnen Folter oder andere gravierende Misshandlungen drohen, wird allgemein angenommen und dürfte hinreichend gesichert sein (siehe OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A – juris, Rn. 51; OVG Lüneburg, zuletzt mit Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 57, jeweils m.w.N.; BFA vom 25. Januar 2018, S. 81 ff. m.w.N.)

44

Im Hinblick auf die bestehende Erkenntnislage wird jedoch unterschiedlich beurteilt, ob grundsätzlich allen Personen wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung oder längerem Aufenthalt im westlichen Ausland bei einer Rückkehr nach Syrien eine (Verfolgungs-)Handlung i.S.d. § 3a AsylG – hier: Befragung mit der konkreten Gefahr einer Verhaftung und/ oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (die Gefahr einer Verfolgungshandlung verneinend: VGH München, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16/30338 – juris, Rn. 70 ff.; OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017 – 14 A 2316/16 – juris, Rn. 35-44; OVG Hamburg, a.a.O., Rn. 52; aufgrund von Zweifeln eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungshandlung verneinend: OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 44; Beschluss vom 12. September 2017 – 2 LB 750/17 – juris, Rn. 40; zweifelnd, aber offen gelassen: OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 48 ff.; OVG Saarlouis, Urteil vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – juris, Rn. 22 f., vom 11. März 2017 – 2 A 215/27 – juris, Rn. 23 f.; die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung bejahend: OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris, Rn. 36; so wohl auch OVG, Bautzen, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17 – juris, Rn. 22).

45

Der Senat hat zumindest erhebliche Zweifel daran, ob die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG auf die zur Verfügung stehende Erkenntnislage gestützt werden kann (vgl. zu den unterschiedlichen Auffassungen über die Bestimmung des Prognosemaßstabs OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2018, a.a.O. und OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018, a.a.O.).

46

Über die Behandlung von Rückkehrern nach Syrien liegen beispielsweise dem UNHCR (Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien, von Februar 2017, deutsche Übersetzung von April 2017, S. 5) „kaum konkrete Informationen“ vor. In der benannten Stellungnahme des UNHCR heißt es nachfolgend zu dieser Feststellung:

47

„Quellen zufolge werden Personen an der Grenzübergangsstelle (Landgrenze, Flughafen) bei ihrer Einreise untersucht, um festzustellen, ob sie im Zusammenhang mit sicherheitsbezogenen Vorfällen (wie Straftaten, tatsächliche oder vermeintliche regierungsfeindliche Aktivitäten oder Ansichten, Kontakte zu politischen Oppositionellen im Ausland, Einberufung etc.) gesucht werden.

48

Personen, deren Profil irgendeinen Verdacht erregt, insbesondere aus den unter den Risikoprofilen unten beschriebenen Gründen, sind Berichten zufolge dem Risiko einer längeren incommunicado Haft und Folter ausgesetzt. Es wird berichtet, dass für Rückkehrer außerdem das Risiko besteht, inhaftiert zu werden, weil Familienmitglieder von den Behörden gesucht werden, weil sie ihren Militärdienst nicht geleistet haben, weil sie aus einem Gebiet stammen, das sich unter der Kontrolle der Opposition befindet oder weil sie aufgrund ihrer konservativen Kleidung als religiös wahrgenommen werden. Andere werden, wie berichtet wird, ohne bestimmten Grund entsprechend der weit verbreiteten Willkür und des Machtmissbrauchs durch Sicherheitsbeamte inhaftiert und misshandelt.“

49

Dem Auswärtigen Amt liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass unverfolgt Ausgereiste nach Rückkehr systematisch befragt werden und dass Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind (AA vom 7. November 2016 an OVG Schleswig zu Az. 3 LB 17/16). Es gebe Berichte über Befragungen des syrischen Regimes nach einer Rückkehr aus dem Ausland. Zum Inhalt derartiger Befragungen könnten keine Aussagen gemacht werden. Zu einer systematischen Anwendung von schwerwiegenden Eingriffen in die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit oder physische Freiheit bei derartigen Befragungen lägen keine Erkenntnisse vor. Es sei jedoch bekannt, dass die syrischen Sicherheitsdienste de facto im rechtsfreien Raum agierten und im Allgemeinen Folter in größerem Maßstab anwendeten (AA vom 2. Januar 2017 an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7221/16 A, S. 2 f.). Vielmehr seien dem Auswärtigen Amt Fälle bekannt, in denen syrische Staatsangehörige nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus dem Bundesgebiet für mehrere Monate nach Syrien zurückgekehrt seien (AA vom 2. Januar 2017, a.a.O., S. 5).

50

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe führt ebenfalls aus, dass Informationen über Rückkehrerinnen und Rückkehrer seit dem Ausbruch des Krieges 2011 sehr limitiert seien (SFH vom 21. März 2017, S. 6 m.w.N.). Es gebe auch kaum Informationen und aufgearbeitete Einzelfälle zur Behandlung von abgewiesenen Asylsuchenden bei ihrer Rückkehr (SFH, a.a.O., S. 9). Gleichwohl führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe nachfolgend aus (S. 10), dass prinzipiell davon ausgegangen werden müsse, dass jede Person, die nach Syrien zurückkehrt, verhaftet und misshandelt werden könne. Nachfolgend werden unter wesentlicher Bezugnahme auf die Ausführungen einer Auskunft des Immigration and Refugee Board of Canada (IRB) vom 19. Januar 2016 Personengruppen benannt, die bei einer Einreise als besonders gefährdet gelten würden. Bezüglich der Bewertung der vom IRB angeführten Quellen und deren Aussagen durch den Senat wird auf die nachfolgenden Ausführungen (weiter unten, ab Seite 21) verwiesen. Des Weiteren würden nach Angaben eines Direktors einer Nichtregierungsorganisation in einem Interview mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 7. Dezember 2016 Asylsuchende bei einer Einreise nach Syrien verhaftet und misshandelt (SFH, a.a.O, S. 11). Konkrete belegte Fälle werden jedoch nicht geschildert. Ferner enthält die Aussage keine Angaben zur quantitativen Dimension von Misshandlungen bei rückkehrenden Asylsuchenden.

51

Zweifel an der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung wegen der Ausreise aus Syrien und einer eventuellen Asylantragstellung im Ausland ergeben sich zudem aus der ständig gestiegenen Zahl der in den letzten Jahren aus Syrien Geflohenen. Nach Angaben des UNHCR (Situation Syria Regional Refugee Response, abgerufen am 28. März 2018 und Mitteilung vom 9. März 2018) wurden seit 2011 insgesamt mehr als 5,6 Millionen Syrer als Flüchtlinge in den Ländern Türkei (3,567 Mio.), Libanon (ca. 1 Mio.), Jordanien (ca. 659 T.), Irak (ca. 248 T.), Ägypten (ca. 128 T.) und in Nordafrika (ca. 33 T.) registriert. Hinzu kommen circa 970.000 syrische Flüchtlinge, die bis Mitte 2017 ins westliche Europa geflüchtet sind (vgl. UNHCR, November 2017, S. 24), hiervon allein bis November 2017 700.000 nach Deutschland (vgl. https://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/syrische-fluechtlinge.html, abgerufen am 28. März 2018). Bei dieser Zahl von Flüchtlingen im Ausland handelt es sich im Vergleich zur Bevölkerungszahl von rund 21 Millionen im Jahr 2010 (Quelle: Weltbank, https://data.worldbank.org/indicator/SP.POP.TOTL?locations=SY&name_desc=false, abgerufen am 28. März 2018) um mehr als ein Viertel der Bevölkerung Syriens.

52

Der Senat hält in diesem Zusammenhang das in der obergerichtlichen Rechtsprechung formulierte Argument, dass angesichts dieser Zahlen bei realitätsnaher Betrachtung nicht von einem bei jedem Rückkehrer in gleicher Weise bestehenden Risiko von Inhaftierung, Misshandlung oder Folter ausgegangen werden dürfte, für zutreffend und schließt sich dem an. Dem syrischen Regime dürfte sich bei der hohen Zahl von Flüchtlingen aufdrängen, dass es sich hierbei weit überwiegend um Bürgerkriegsflüchtlinge handelt (so beispielsweise auch OVG Münster, a.a.O. Rn. 66; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 52).

53

Weitere Zweifel an der beachtlich wahrscheinlichen Verfolgung jedes Rückkehrers bzw. einer signifikanten Größenordnung von Rückkehrern ergeben sich zudem aus der nicht geringen Zahl freiwilliger Rückkehrer aus dem Ausland. So sollen im August 2015 mehrere tausend Personen über die syrisch-jordanische Grenze und im Juli 2015 rd. 2300 Personen aus dem Irak zurückgekehrt sein (vgl. SFH vom 21. März 2017, S. 4; Deutsches Orient Institut [DOI], Auskunft an VGH Mannheim vom 22. Februar 2017; DOI, Auskunft an VGH Kassel vom 1.2.2017, S. 1). Andere Berichte (vgl. IRB vom 19. Januar 2016, S. 2) gehen davon aus, dass „Hunderttausende von Flüchtlingen jedes Jahr nach Syrien reisen, meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, um Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen“. Nach Angaben des UNHCR (Mitteilung vom 30. Juni 2017) seien seit 2015 insgesamt 260.000 syrische Flüchtlinge aus den angrenzenden Nachbarländern nach Syrien zurückgekehrt, davon die meisten aus der Türkei in den Norden Syriens; im 1. Halbjahr 2017 seien 31.000 Syrer aus den angrenzenden Nachbarländern nach Syrien zurückgekehrt. Laut der International Organization for Migration (IOM) seien zwischen Januar und Juli 2017 602.759 vertriebene Syrer in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. 93 Prozent davon seien Binnenvertriebene und sieben Prozent seien aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien und dem Irak nach Syrien zurückgekehrt (zitiert nach BFA, Länderinformationsblatt vom 25. Januar 2018, S. 81 f.). Unter Zugrundelegung der Zahlen der IOM kehrten demnach im ersten Halbjahr 2017 ca. 42.000 Personen aus den angrenzenden Staaten nach Syrien zurück.

54

Die jedenfalls vielfach beobachtete Land-Einreise über die Staatsgrenzen (u.a. aus Jordanien, Irak, Türkei) lässt zwar keine zwingenden Rückschlüsse auf die Umstände einer (offiziellen) Einreise über den für Rückkehrer derzeit vor allem in Betracht zu ziehenden Flughafen Damaskus zu. Sie zeigt aber, dass diese Personen trotz der vorherigen Flucht das Risiko einer Rückkehr auf sich genommen haben und stellt ein Indiz im Rahmen der Gesamtbetrachtung dar.

55

Einige Erkenntnisquellen weisen zwar auf eine große Anzahl verschwundener und in der Regel unter Misshandlungen getöteter Syrer hin (z.B. AA, Ad hoc-Bericht vom 17. Februar 2012, S. 7 ff., erwähnt eine präzedenzlose Verhaftungswelle anlässlich der Protestbewegung von März 2011, Menschenrechtsverteidiger hätten die Zahl der Verschwundenen und Verhafteten damals auf circa 40.000 geschätzt, die syrische Plattform Violations Documentation Centre habe damals namentlich ca. 19.400 Haftfälle belegt; vgl. zu den Angaben von Amnesty International [AI] für die Jahre 2011 bis 2015: OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 49). Diesen Quellen lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass darunter in beachtlicher Zahl auch rückkehrende Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem (westlichen) Ausland waren.

56

Selbst wenn man aber eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG bejahte, fehlt es zumindest an der beachtlichen Wahrscheinlichkeit bezüglich der nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung der Verfolgungshandlung mit einem Verfolgungsgrund.

57

Die zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen lassen einen hinreichend gesicherten Schluss auf das Bestehen der notwendigen Verknüpfung nicht zu. Für den Senat ist nicht feststellbar, dass das syrische Regime mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jedem unverfolgt für längere Zeit ausgereisten syrischen Staatsbürger, der im Ausland ein Asylverfahren betrieben hatte und wieder zurückkehrt, pauschal unterstellt, ein Regimegegner zu sein bzw. in Verbindung mit oppositionellen Kreisen im Exil zu stehen, sofern nicht besondere, individuelle gefahrerhöhende Merkmale vorliegen (wie hier im Ergebnis auch: OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 54 ff.; OVG Saarlouis, Urteile vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – juris und vom 17. Oktober 2017 – 2 A 365/17 – juris, Rn. 22 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. September 2017 – 2 LB 750/17 – juris; VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2017 – A 11 S 513/17 – juris, Rn. 42 ff.; OVG Schleswig, a.a.O.; VGH München, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16.30338 – juris; OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A – juris, Rn. 63 ff.; OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris – Rn. 38 ff.; OVG Bautzen, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17 – juris, Rn. 23 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. November 2017 – OVG 3 B 12.17 – juris, Rn. 20 ff.).

58

Wie bereits ausgeführt, liegen nur wenige (konkrete) Dokumente vor, welche die hier aufgeworfene Fragestellung der aktuellen Behandlung von Rückkehrern erörtern. Ihnen lassen sich ausnahmslos keine konkreten und nachvollziehbaren Gesichtspunkte entnehmen, die einen verlässlichen Schluss auf die erforderliche Gerichtetheit zulassen. Im Einzelnen:

59

Für die Zeit vor dem Ausbruch der Unruhen in Syrien und bis in die Anfangszeit des Bürgerkriegs hinein ließ sich der weitgehend gesicherten Erkenntnislage zwar entnehmen, dass Rückkehrer aus dem Ausland nach der ständigen Praxis der syrischen Sicherheitskräfte bei der offiziellen Wiedereinreise nach einem längeren Auslandsaufenthalt regelmäßig einem intensiven Verhör unterzogen wurden, welches je nach den Umständen auch Stunden dauern konnte. Vor allem bei einer Verbringung in ein Haft- oder Verhörzentrum der (vier) syrischen Geheimdienste drohte zudem konkret die Anwendung von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung. Anlässlich dessen sollten regelmäßig auch Informationen über eventuelle eigene regimekritische Handlungen im Ausland, aber auch über die Exilszene im Allgemeinen herausgepresst werden. Diese Gefahr wurde beispielsweise vom Auswärtigen Amt als sehr hoch eingeschätzt (vgl. AA, Lagebericht vom 27. September 2010, S. 16). In der Rechtsprechung wurde daher zum Teil angenommen, den staatlichen Maßnahmen komme auch die erforderliche Gerichtetheit zu (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Juni 2013 – A 11 S 927/13 – juris; a.A. OVG Münster, Beschluss vom 7. Mai 2013 – 14 A 1008/13.A – juris).

60

Hiervon kann aber gegenwärtig nicht (mehr) ausgegangen werden. Im Laufe des Bürgerkriegs haben sich in verschiedener Hinsicht Veränderungen in Syrien ergeben. Verschiedenen Quellen zufolge ist zwar eine erhebliche Zunahme von Misshandlungen und Folter einschließlich Verschwindenlassen der Betroffenen festzustellen (vgl. zuletzt AI, Report 2018). Es handelt sich allerdings um Praktiken, die von Seiten des syrischen Regimes im Grundsatz schon seit vielen Jahren systematisch eingesetzt werden, um jede Opposition und jeden Widerstand zu unterdrücken bzw. zu zerschlagen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Syrien vom 25. Januar 2018 S. 34 f., 50 f., jeweils m.w.N.). Zudem ist die Zahl der im Ausland lebenden syrischen Flüchtlinge seit dem Beginn des Bürgerkriegs auf ca. 6,6 Millionen gestiegen (Nachweise siehe oben).

61

Aufgrund der Komplexität des Konfliktes und der Beteiligung zahlreicher Konfliktparteien ist die Situation in Syrien unübersichtlich(er) und ständigen Veränderungen unterworfen. Konkrete Informationen über die aktuelle Lage sind daher schwierig zu erlangen (Danish Refugee Council/ Danish Immigration Service [DRC], August 2017, S. 5; vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 38: „unklare Auskunftslage“; OVG Bautzen spricht von einer „dünnen“ Auskunftslage, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17 – juris, Rn. 25). Seit Beginn des Bürgerkrieges gibt es allenfalls „anekdotenhafte“ Berichte über Rückkehrer (IRB vom 19. Januar 2016, S. 4; vgl. auch SFH vom 21. März 2017, S. 9 und DRC, August 2017, S. 27: Kaum Informationen zur Behandlung von abgewiesenen Asylsuchenden bei Rückkehr).

62

Dementsprechend unterschiedlich äußern sich die verfügbaren Einschätzungen. Laut dem Direktor des Syria Justice and Accountability Center würden Asylsuchende bei einer Rückkehr „definitiv“ festgenommen und inhaftiert. Sie würden als Oppositionelle behandelt und gefoltert (IRB vom 19. Januar 2016, S. 5; die gleiche Einschätzung zitierend SFH, 21. März 2017, S. 9; vgl. auch U.S. Department of State, Syria 2016 Human Rights Report vom 3. März 2017, S. 39). Eine vom IRB zitierte emeritierte Professorin „vermutet“ Festnahme, Inhaftierung und Folter (IRB vom 19. Januar 2016, S. 5; die gleiche Einschätzung zitierend SFH, 21. März 2017, S. 9). Dieselbe Quelle führt allerdings auch aus, dass „alle“ Personen einem Misshandlungsrisiko durch Grenzbehörden ausgesetzt seien (UNHCR vom April 2017, S. 6, Fn. 32). Diese Aussagen können nicht als gesicherte Grundlage für eine entsprechende Gefahrenprognose herangezogen werden. Sie sind insgesamt zu pauschal und unsubstantiiert (vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 53; VGH München, Urteil vom 21. März 2017 – 21 B 16.31011 – juris, Rn. 62).

63

Die weiteren vorhandenen Berichte über Einzelfälle betreffen spezielle Personengruppen, die jedenfalls nicht mit den Klägern vergleichbar sind. Betroffen waren namentlich ein Journalist, ein Leiter einer Nichtregierungsorganisation, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sowie ein früherer syrischer Grenzsoldat, der sich in die Türkei abgesetzt hatte (vgl. IRB, vom 19. Januar 2016, S. 3). Des Weiteren soll ein syrischer Mann, der in Australien ohne Erfolg Asyl beantragt hatte, bei seiner Rückkehr im August 2015 von syrischen Regierungsbeamten am Flughafen Damaskus „ausgesondert“ worden sein, „weil er von Al-Harra in der Provinz Daraa stammte“. Den Berichten zufolge beschuldigten ihn syrische Beamte, ein „Finanzier der Revolution“ zu sein, als sie Bargeld bei ihm fanden, das ihm von der australischen Regierung für seine Rückkehr gegeben worden war; er sei 20 Tage lang festgehalten und wiederholt geschlagen worden. Das IRB verweist des Weiteren auf eine Stellungnahme von Human Rights Watch vom November 2013. Nach dieser sollen laut UNHCR etwa 35 Palästinenser aus Syrien, die während des syrischen Konflikts nach Ägypten geflohen waren, nach Syrien zurückgeschickt worden sein; einige seien bei Ankunft am Flughafen festgenommen worden (IRB vom 19. Januar 2016, S. 5; auch SFH vom 21. März 2017, S. 9).

64

Die geschilderten Konstellationen sind mit der hier zu beurteilenden nicht vergleichbar und belegen vielmehr, dass die syrischen Sicherheitsbehörden willkürlich vorgehen. Es fehlt in diesen Fällen an der Gerichtetheit der Maßnahme und der erforderlichen Verknüpfung. Eher ist die Annahme gerechtfertigt, dass Personen betroffen sind, bei denen zusätzlich zur Rückkehrsituation weitere Verdachtsmomente vorliegen. Jedenfalls lassen diese Informationen nicht die hinreichend gesicherte Annahme zu, dass zurückkehrende Asylbewerber grundsätzlich gerade in dieser Eigenschaft und ohne zusätzliche prägende gefahrerhöhende Merkmale vom syrischen Regime als vermeintliche Oppositionelle mit flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen behandelt werden (vgl. ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2017 – A 11 S 710/17 – juris, Rn. 46).

65

Diese Einschätzung wird durch diverse gleichlautende Auskünfte bestätigt, nach denen eine Systematik bei der Behandlung von Rückkehrern derzeit nicht erkennbar sei und sich diese häufig willkürlich gestalte (vgl. u.a. DRC vom August 2017, S. 17). Sicherheitsbeamte hätten einen Freibrief und könnten im Falle eines Verdachts jeden verhaften. Das System sei sehr unberechenbar. Ein Rückkehrer könne auch ohne triftigen Grund misshandelt werden, wenn ein Sicherheitsbeamter eine Abneigung gegen diesen empfinde (IRB vom 19. Januar 2016, S. 2). Ebenso meint ein auf Syrien spezialisierter Gastwissenschaftler am Londoner Kings College, ein abgelehnter Asylbewerber könne wegen der Beantragung von Asyl festgenommen werden, dies sei aber nicht automatisch der Fall. Nichts sei vorhersagbar (IRB vom 19. Januar 2016, S. 5, Einschätzung vom 15. Dezember 2015). Das Risiko nach einem längeren Aufenthalt im Ausland sei mangels belastbarer Zahlen kaum zu beurteilen. Es gebe zum Teil aber auch Berichte über Befragungen oder gar einen allgemeinen Verdacht gegenüber Rückkehrern. Ob davon alle wiedereinreisenden Personen betroffen seien, könne nicht mit Sicherheit gesagt werden (DOI, Auskunft an VGH Kassel vom 1. Februar 2017, S. 1 f.).

66

Eine andere Einschätzung ergibt sich nach Auffassung des Senats auch nicht aus den vom UNHCR mehrfach erwähnten Risikoprofilen. Im Bericht vom Februar 2017 (deutsche Übersetzung von April 2017) wird unter Verweis auf das IRB vom 19. Januar 2016 Folgendes ausgeführt (S. 5, Fn. 26):

67

„Aus Quellen geht hervor, dass für die folgenden Gruppen ein höheres Misshandlungsrisiko durch Grenzbehörden besteht: Kurden (…), Palästinenser, (…), Sunniten (…), bekannte Islamisten (…) und Personen, die aufgrund ihrer Kleidung religiös erscheinen (…). Quellen zufolge besteht für regierungskritische Aktivisten ein größeres Misshandlungsrisiko durch Flughafen- und Grenzbehörden (…) als für Familienmitglieder der Aktivisten (…). Außerdem sind Quellen zufolge Rückkehrer aus Gebieten, in denen die Opposition aktiver ist (…) oder kämpft, einem größeren Risiko harter Behandlung ausgesetzt.“

68

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass in der 4. aktualisierten Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015, die Gruppe der im (westlichen) Ausland um Asyl nachsuchenden Personen nicht als eigenständige Risikogruppe benannt worden war (siehe S. 25 ff.). Auch in der 5. Aktualisierung (englische Fassung: International Protection Considerations with Regard to the People Fleeing thy Syrian Arab Rebublic Update V) vom November 2017 werden diese Personen – jedenfalls nicht ausdrücklich – als eigenständige Risikogruppe eingestuft (siehe S. 34 f.). Hingegen gibt der UNHCR in seinem Bericht vom Februar 2017 (dt. Fassung, April 2017, S. 30) an, dass aus Berichten hervorgehe, die Regierung betrachte bestimmte Aktivitäten von im Ausland lebenden Syrern als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung. Unter diese Aktivitäten würden auch Anträge auf Asyl fallen. Ausweislich der in Fußnote 146 (S. 30) aufgeführten Quellen würden abgelehnten Asylbewerbern Inhaftierung und Folter drohen. Zu diesen Quellen gehören vor allem die bereits dargestellten Äußerungen einer emeritierten Professorin aus Oxford, des Executive Director des Syria Justice und Accountability Center sowie eines Gastwissenschaftlers vom Kings College London. Auf die obigen Einschätzungen des Senats zu diesen Quellen wird insoweit Bezug genommen.

69

Nach Auffassung des Senats kann den Stellungnahmen des UNHCR und den in Bezug genommen Quellenangaben nicht mit hinreichender Sicherheit entnommen werden kann, dass es grundsätzlich bei jedem Rückkehrer aus dem westlichen Ausland zu zielgerichteten Verfolgungshandlungen kommt. Vielmehr ist diesen in der Gesamtschau zu entnehmen, dass die Gefahr einer Inhaftierung oder von Folterhandlungen vom Vorhandensein weiterer – konkreter – risikoerhöhender Merkmale abhängt.

70

Dem Auswärtigen Amt liegen – wie bereits dargestellt – keine Erkenntnisse vor, dass Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthaltes und einer Asylantragstellung Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien. Anders könne dies aussehen, wenn das Regime davon ausgeht, dass sich die Person oppositionell betätigt hat (AA an VG Wiesbaden vom 2. Januar 2017 und an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zu Az. 5 K 7221/16.A, S. 2; vgl. auch AA an OVG Schleswig vom 7. November 2016). Zwar seien Berichte über Befragungen vorhanden, es gebe jedoch keine Kenntnisse von Übergriffen in diesem Zusammenhang. Die syrischen Sicherheitsdienste agierten allerdings de facto im rechtsfreien Raum (AA an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zu Az. 5 K 7221/16.A, S. 2 f.). Einer Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut zufolge gebe es keine Erkenntnisse über Sanktionen ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthaltes. Fälle, in denen Rückkehrer befragt, inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien, stünden im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder einem nicht abgeleisteten Militärdienst (Deutsche Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016, S. 1).

71

Die vom Verwaltungsgericht Dresden als Sachverständige zur Auskunft herangezogene Petra Becker gibt an, dass Befragungen und eventuelle Misshandlungen nicht an eine (zugeschriebene) politische Gesinnung anknüpften. Vielmehr werde jeder Rückkehrer befragt und Misshandlung gehöre einfach zur Routine eines Verhörs durch das Regime, unabhängig von der Person des Betroffenen (Auskunft vom 6. Februar 2017 zu Az.: 5 A 1237/17.A). Einem weiteren Bericht nach werde in der Praxis angesichts der großen Zahl illegal ausgereister Syrer niemand allein deswegen bestraft, auch wenn die Ausreise ohne die erforderlichen Dokumente im Prinzip illegal sei (DRC August 2017, S. 27 f.).

72

Gegen die Annahme, das syrische Regime betrachte jedenfalls Syrer, die im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt haben, als regierungsfeindlich, spricht zudem, dass zwischen April 2011 und Juli 2017 über 970.000 syrische Staatsangehörige Asyl in Europa beantragt haben (UNHCR, November 2017, S. 24). Dass es sich hierbei mehrheitlich nicht um Oppositionelle handelt, sondern vorwiegend um Bürgerkriegsflüchtlinge, dürfte auch den syrischen Behörden bekannt sein. Der Senat schließt sich dieser in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Sichtweise an (vgl. ebenso OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 44, 52, 59; OVG Saarlouis, Urteil vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – juris, Rn. 22; OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017 – 14 A 2316/16.A – juris, Rn. 60; OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16.OVG – juris, Rn. 167; OVG Bautzen, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17.A – juris, Rn. 24). Im Rahmen der Gesamtwürdigung sind auch die Zahl der insgesamt aus Syrien geflohenen Personen und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen zu berücksichtigen (siehe oben).

73

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht im Lichte der kurz vor der mündlichen Verhandlung veröffentlichen Berichte über eine vom syrischen Regime geplante Bodenreform. Die Süddeutsche Zeitung vom 23. April 2018 – „Assad macht Eigentum zur Waffe“ – berichtet insoweit:

74

„Dekret Nummer 10, das Präsident Baschar al-Assad am 4. April unterzeichnet hat, ermöglicht es der Regierung, neue Bebauungspläne zu erlassen. Lokale Expertenkomitees sollen dann die Eigentumsverhältnisse in den Gebieten klären, wo es keine formellen Kataster gibt - oder diese im Krieg zerstört wurden, wie etwa in Homs. Binnen 30 Tagen nachdem ein solcher Entwicklungsplan per Dekret erlassen wird, müssen die Besitzer von Grundstücken, Gebäuden und Wohnungen ihre Eigentumsrechte nachweisen. Anderenfalls kann ihr Besitz versteigert oder der öffentlichen Hand zugeschlagen werden. Entschädigungen sind nur beschränkt vorgesehen.“

75

Die geplante Bodenreform könnte im Falle ihrer Umsetzung vor allem für nach Europa geflüchtete Syrer die Schwierigkeit begründen, dass sie überhaupt nicht oder nicht rechtzeitig die Eigentumsverhältnisse an ihnen gehörenden Immobilien nachweisen können. Allerdings ergibt sich für den Senat aus der zitierten Berichterstattung nicht, ob und unter welchen Umständen sich betroffene Eigentümer bei dem vorgesehenen Verfahren von Dritten vertreten lassen können oder eine Geltendmachung auf andere Art und Weise auch aus dem Ausland möglich ist. Unabhängig von der Frage, ob man auf diesem Dekret beruhende Enteignungen als Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG ansehen kann, geht aus dem Bericht nicht hervor, dass bei den angekündigten Maßnahmen zwischen sog. Binnenvertriebenen innerhalb Syriens oder in das Ausland Geflohenen unterschieden wird. Die angekündigten Maßnahmen dürften daher – jedenfalls rein formal – jeden syrischen Staatsbürger mit Grundbesitz treffen. Des Weiteren ergibt sich aus der Berichterstattung nicht, ob das Dekret Entschädigungszahlungen für die Betroffenen oder Rechtsschutzmöglichkeiten vorsieht. Aus diesen Gründen und auch mangels anderweitiger Erkenntnisse ist für den Senat nicht ersichtlich, dass etwaige auf dem benannten Dekret beruhende Enteignungen aufgrund einer (ggf. unterstellten) oppositionellen Einstellung des betroffenen Eigentümers bzw. Besitzers erfolgen.

76

Nach der gebotenen Gesamtwürdigung der insoweit relevanten Umstände geht der Senat davon aus, dass das syrische Herrschaftsregime (Assad-Regime) nicht jedem rückkehrenden Asylbewerber aus dem westlichen Ausland eine (vermeintliche) Regimegegnerschaft unterstellt, sofern nicht besondere, individuell gefahrerhöhende Umstände vorliegen, die auf eine oppositionelle Einstellung hinweisen.

77

b) Im Falle der Kläger liegen keine solchen risikoerhöhenden Faktoren für die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung bzw. einer Verfolgung wegen einer vermeintlich oppositionellen Einstellung vor. Anknüpfend an die soeben dargestellten Erkenntnisse und den vor allem in den Berichten des UNHCR aufgeführten Risikoprofilen sind bei allen Klägern die Aspekte ihrer Religionszugehörigkeit (aa) sowie ihrer regionalen Herkunft (bb) näher zu erörtern.

78

aa) Die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben allein stellt keinen risikoerhöhenden Faktor dar, aufgrund dessen den Klägern bei einer Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich die Gefahr einer Verfolgung drohen würde, weil ihnen deshalb eine regimefeindliche Haltung zugeschrieben werden würde.

79

Nach Berichten des UNHCR bestehe zwar die von der Regierung bekämpfte Opposition größtenteils aus sunnitischen Arabern (vgl. UNHCR vom November 2017, S. 54). Die Zugehörigkeit zur Religionsgruppe der Sunniten erhöhe daher die Gefahr, Opfer staatlicher Verfolgung zu werden (so bereits UNHCR vom April 2017, S. 5; SFH vom 21. März 2017, S. 11; siehe auch UNHCR vom November 2015, S. 26, wonach die Mitgliedschaft in religiösen Gruppen – darunter auch die Sunniten – ein gefahrerhöhendes Moment sein könne). Anderen Berichten zufolge seien alle Rückkehrer von Misshandlungen am Flughafen und Grenzübergängen bedroht. Ethnizität und Religion seien keine Aspekte, die sich auf die Gefährdung durch Misshandlung auswirkten (vgl. IRB vom 19. Januar 2016, S. 7).

80

Trotz des vor allem vom UNHCR definierten Risikoprofils kann eine generelle Gefährdung sunnitischer Syrer bereits deshalb nicht angenommen werden, weil 74 % der syrischen Bevölkerung der Glaubensgruppe der Sunniten angehören (Stand 2006, siehe http://m.bpb.de/nachschlagen/lexika/fischer-weltalmanach/65805/syrien). Ferner sind Sunniten sowohl im Regime als auch in den Streitkräften – zum Teil in hohen Stellungen – vertreten (vgl. Gerlach, „Was in Syrien geschieht“, Bundeszentrale für politische Bildung, vom 19. Februar 2016; vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017, a.a.O., Rn. 83 f.; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017, a.a.O., Rn. 68). Allenfalls kann die sunnitische Religionszugehörigkeit ein weiterer Faktor bei der Bestimmung des Risikoprofils in dem Sinne sein, dass eine aus anderen Gründen den Regierungskräften verdächtig erscheinende Person als umso verdächtiger wahrgenommen werden wird, wenn sie sunnitischer Glaubenszugehörigkeit ist (in diese Richtung ebenfalls UNHCR vom Februar 2017, S. 2).

81

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der UNHCR in seiner Stellungnahme von November 2017 (S. 54 ff.) die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben nicht mehr als per se risikoerhöhenden Faktor ansieht und auch nicht als ein Merkmal, aufgrund dessen der Person regierungsfeindliche Absichten unterstellt werden (ebenso: VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2017 – A 11 S 710/17 – juris, Rn. 48). Vielmehr geht auch der UNHCR davon aus, dass die Verfolgungsgefahr für Mitglieder religiöser und ethnischer Gruppen von Region zu Region variiert und von den spezifischen Konfliktbedingungen der jeweiligen Region abhänge. Eine Verfolgungsgefahr ergebe sich insbesondere für Angehörige religiöser und ethnischer Gruppen, die aus Gebieten stammten, die von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, so dass diesen abhängig von den individuellen Umständen des Einzelfalles der Flüchtlingsschutz zu gewähren sei.

82

Hierunter fallen die Kläger nicht. Es liegen insbesondere keine Erkenntnisse vor, dass Sunniten in Damaskus oder im Umland von Deir ez Zoor wegen ihrer Religionszugehörigkeit durch das Assad-Regime verfolgt werden (so auch OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A – juris, Rn. 86 für die Region Damaskus; OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 –, juris, Rn. 68 ebenso für die Region Deir ez Zoor).

83

bb) Eine den Klägern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung wegen einer ihnen seitens des syrischen Regimes zugeschriebenen politischen Überzeugung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sie nach eigenen Angaben aus einem Gebiet stammen, das unter Kontrolle von oppositionellen Truppen gestanden hat.

84

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung insoweit angegeben, dass sein Herkunftsort namens Mohasan (Umland von Deir ez Zoor), zeitweise unter der Kontrolle von oppositionellen Kräften gestanden habe. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben des Klägers insoweit nicht zutreffen. Vielmehr bestätigen vorhandene Berichte, dass sowohl das Umland als auch Deir ez Zoor zwischen den Truppen des Assad-Regimes und anderen Konfliktparteien umkämpft waren (vgl. beispielhaft „Assads Armee vertreibt IS aus Deir al-Soor“ vom 3. November 2011, tagesschau.de, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/ausland/syrien-is-109.html; „Siege of Deir ez-Zor (2014-17)“, Wikipedia, abrufbar unter: https://en.wikipedia.org/wiki/Siege_of_Deir_ez-Zor_(2014%E2%80%9317); „Deir ez-Zor clashes (2011-14)“, Wikipedia, abrufbar unter: https://en.wikipedia.org/wiki/Deir_ez-Zor_clashes_(2011%E2%80%9314)).

85

Der UNHCR meint, aus Unruhegebieten stammende Personen würden von der Regierung mit oppositionellen Gruppen in Verbindung gebracht und als regierungsfeindlich betrachtet (UNHCR vom November 2017, S. 33, 37; und vom Februar 2017, S. 16). Willkürliche Festnahmen basierten häufig allein auf der Herkunft aus einem Ort, in dem oppositionelle Kräfte aktiv sind (UNHCR vom November 2017, S. 37; Februar 2017, S. 21). So sei es in Gebieten, in denen die Regierung die Kontrolle wiedererlangt habe, zu Festnahmen von Männern und Jungen über 12 Jahren allein wegen der ihnen von der Regierung zugeschriebenen Unterstützung für regierungsfeindliche bewaffnete Kräfte gekommen (UNHCR, Februar 2017, S. 20). Einigen Auskünften zufolge erhöhe daher die Herkunft aus von der Opposition besetzten oder umkämpften Regionen die Gefahr, Opfer staatlicher Verfolgung zu werden (UNHCR vom Februar 2017, S. 5; vgl. SFH vom 21. März 2017, S. 11).

86

Es gibt allerdings keine dahingehenden Informationen, dass aus dem Ausland nach Syrien Zurückkehrende allein aufgrund ihrer Herkunft aus einer vermeintlich regierungsfeindlichen Region Verfolgung ausgesetzt gewesen wären. Zumeist ist nur von gefahrerhöhenden Umständen die Rede. Der Senat schließt sich zudem der in obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassung an, dass viel dafür spricht, dass diejenigen, die vor den Auseinandersetzungen zwischen dem Assad-Regime und Konfliktparteien in ihrer Region ins Ausland geflohen sind, sich also dem Konflikt gerade entzogen haben, auch aus Sicht des syrischen Regimes nicht als Bedrohung aufgefasst werden (so OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris, Rn. 66 ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 71; vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 160 ff.).

87

cc) Ungeachtet der voranstehenden Ausführungen genügt allein die pauschale Bezugnahme auf eines oder mehrere vom UNHCR definierten Risikoprofile nach Auffassung des Senats nicht, um die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten (politischen) Verfolgung durch das Assad-Regime begründen zu können. Es bedarf stets einer konkreten Einzelfallbetrachtung. Die Zugehörigkeit zu den vom UNHCR in den International Protection Considerations with Regards to People Fleeing the Syrian Arab Republic, Update V, vom November 2017 benannten Risikogruppen indiziert zwar nach wie vor die Wahrscheinlichkeit, dass die betroffene Person Internationalen Schutz benötigt; dies wird jedoch durchweg durch die Worte relativiert: "depending on the individual circumstances of the case". Es ist also schon nach dem eigenen Anspruch der "Considerations" nicht angängig, die Annahme einer politischen Verfolgung allein auf die pauschale Zuordnung zu einer oder mehreren der Risikoprofile zu stützen, insbesondere ohne Rücksicht auf die Frage, in welches Umfeld der Betroffene hypothetisch zurückkehren müsste. Erforderlich ist vielmehr auch danach stets eine hinreichend substantiierte Einzelfallbetrachtung (ebenso OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. März 2018 – 2 LB 1749/17 – juris, Rn. 118; OVG Saarlouis, Beschluss vom 11. April 2018 – 2 A 147/18 –, juris Rn. 9).

88

Die Kläger haben keine (weiteren) konkreten Umstände glaubhaft vorgetragen, weshalb ihnen vom Assad-Regime eine oppositionelle Einstellung unterstellt werden könnte und ihnen deshalb Verfolgungsmaßnahmen drohen könnten. Soweit der Kläger vortrug, dass er an Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen habe und ihm eine Verhaftung oder die Todesstrafe drohe, ist dies nicht glaubhaft (vgl. hierzu Ausführungen unter 2.).

89

c) Für den Kläger gilt dies auch in Ansehung seines Vortrags, er werde bei einer Rückkehr zum Wehrdienst einberufen bzw. wegen seiner Wehrdienstentziehung verhaftet. Der Senat hält seinen Vortrag hierzu bereits für unglaubhaft (vgl. hierzu Ausführungen oben zu 2.). Sollte er sich indes dem Wehr- bzw. Militärdienst (möglicherweise) durch seinen Auslandsaufenthalt entzogen haben, begründet dies keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung durch den syrischen Staat.

90

aa) Der Senat geht nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel hinsichtlich der tatsächlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Wehrdienst in der syrischen Armee von Folgendem aus:

91

In Syrien besteht eine allgemeine Wehrpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund wie auch für Palästinenser gilt, die in Syrien leben. Oppositionelle werden ebenfalls einberufen. Die Registrierung für die Wehrpflicht erfolgt im Alter von 18 Jahren. Nach Auskunft des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Österreich (vom 25. Januar 2018, S. 38) sind junge Männer im Alter von 17 Jahren aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von mindestens 18 Jahren werden die Männer per Einberufungsbescheid zum Ableisten des Wehrdienstes aufgefordert. Zudem werden junge Männer an Kontrollstellen oder bei Razzien auf öffentlichen Plätzen (zwangs)rekrutiert (AA vom 2. Januar 2017 an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7480/16.A, S. 3; BFA vom August 2017, S. 18; DRC, August 2017, S. 13). Jeder Mann im Alter zwischen 18 und 42 Jahren ist gesetzlich verpflichtet, einen zweijährigen Militärdienst abzuleisten. Die Wehrpflicht besteht auch für Verheiratete und Familienväter (AA an VG Düsseldorf, a.a.O.). Aufgrund der prekären Personalsituation soll es sogar zu Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen gekommen sein (BFA vom August 2017, S. 18; SFH vom 23. März 2017, S. 5 ff.).

92

Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen – von Bestechungen abgesehen – bei Personen jüdischen Glaubens oder bei Untauglichkeit. Zudem bestehen Regelungen über Ansprüche auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes etwa für Einzelkinder oder Studenten. Diese Regelungen gelten zwar formal weiterhin, in der Praxis finden sie allerdings aufgrund des stark zunehmenden Personalbedarfs nur eingeschränkt und zunehmend willkürlich Anwendung. Für im Ausland lebende Männer gibt es die gesetzliche Möglichkeit, sich gegen Zahlung einer Geldkompensation vom Militärdienst zu befreien (vgl. BFA vom August 2017, S. 20; DRC vom August 2017, S. 8 f.; SFH vom 23. März 2017, S. 8). Nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a.a.O., m.w.N.) gelte dies nur für Männer, die entweder legal für ihre Arbeit oder ihr Studium ausgereist seien, oder für Söhne von Diplomaten und die mehr als fünf Jahre außerhalb des Landes gelebt haben. Die zu zahlende Gebühr wurde von 5.000 US-Dollar im Jahr 2014 auf 8.000 US-Dollar erhöht (vgl. BFA vom 25. Januar 2018, S. 42, und AA an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7480/16.A vom 2. Januar 2017, S. 6).

93

Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (UNHCR vom April 2017, S. 30; AA vom 2. Januar 2017 an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7480/16.A, S. 5; SFH vom 23. März 2017, S. 4). Entlassungen aus dem Militärdienst sind nach den vorliegenden Erkenntnisquellen seit dem Jahre 2011, dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung, eher zur Ausnahme geworden. Viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden (SFH vom 23. März 2017, S. 5 f.; Finnish Immigration Service [FIS] vom 23. August 2016, S. 12).

94

Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdienstes als Reservisten jederzeit abrufbar sein und mit ihrer Einberufung rechnen (AA vom 2. Januar 2017 an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7480/16.A, S. 4). Reservisten werden wie Rekruten einberufen. Entweder erhalten sie eine Benachrichtigung des Rekrutierungsbüros oder sie werden über öffentliche Aufrufe im Fernsehen, Radio oder über die Presse einberufen (SFH vom 18. Januar 2018, S. 6). In der Vergangenheit wurden alle Männer bis zum Alter von 42 Jahren als Reservisten geführt. Aufgrund der prekären Personalsituation gibt es nach den vorliegenden Auskünften gegenwärtig kein festgesetztes Höchstalter für die Aktivierung von Reservisten mehr, vielmehr würden im Einzelfall Männer im Alter von bis zu 50 oder sogar 60 Jahren erneut zum Dienst verpflichtet (BFA vom August 2017, S. 20; so auch FIS vom 23. August 2016, S.11). Nach Angaben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Österreich (vom 25. Januar 2018, S. 20) bestand der Reservedienst vor dem Ausbruch des Konflikts im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der im Militär erforderlichen Fähigkeiten und Reservisten seien nur selten einberufen worden. Dies habe sich seit 2011 jedoch geändert. Es würden einzelne Berichte vorliegen, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen habe (z.B. Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung; so auch UNHCR vom April 2017, S. 24 f., Fn. 118). Bei der Einberufung von Reservisten sei das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person sowie ihr Rang und ihre Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der die Person gedient habe (BFA vom 25. Januar 2018, S. 40 mit Verweis auf DRC vom 26. Februar 2015 und vom August 2017, S. 10). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe gibt an, dass „verschiedenen Quellen“ zufolge Männer bis zum 54. Lebensjahr eingezogen werden (Auskunft an VG Wiesbaden vom 17. Januar 2017). Dem Auswärtigen Amt liegen Berichte vor, wonach die Wehrpflicht in der Praxis bis zum 50. Lebensjahr ausgeweitet werde (Auskunft an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017, S. 3). Nach einer weiteren Auskunft könnten Männer bis zum 52. Lebensjahr einberufen werden (Deutsche Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016, S. 2). Vereinzelt werden demgegenüber Berichte über die Einziehung jenseits der Altersgrenze von 42 Jahren als „Gerüchte“ bezeichnet (DRC vom August 2017, S. 40).

95

Über die aktuelle (allgemeine) Praxis der Rekrutierung wird berichtet (vgl. insgesamt zum Nachfolgenden: BFA vom 25. Januar 2018, S. 38 ff., und vom 5. Januar 2017, S. 23; DRC, August 2017, S. 8, 13), dass es im Zeitraum von März 2016 bis März 2017 keine Generalmobilmachung gegeben habe. Jedoch seien offenbar in verschiedenen Wellen die Bemühungen intensiviert worden, Wehrpflichtige und Reservisten einzuziehen; nach einigen Quellenangaben erfolgte dies deshalb, weil nur wenige Männer auf die Einberufung reagiert und sich zum Dienst eingefunden haben (DRC vom August 2017, S. 8). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe berichtet: Das syrische Regime habe seit Herbst 2014 die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten und die Suche nach Wehrdienstentziehern und Deserteuren intensiviert und dieses Vorgehen seit Januar 2016 nochmals gesteigert. Es erfolgten örtliche Generalmobilmachungen und intensive Razzien im öffentlichen und privaten Bereich. An den Checkpoints der syrischen Armee gebe es Listen mit Namen von einzuziehenden Reservisten und erstmals wehrdienstpflichtigen jungen Männern, die bei Aufgreifen verhaftet würden (SFH vom 23. März 2017, S. 6 f., und vom 28. März 2015, S. 2 ff.). Die regulären Rekrutierungsmethoden würden immer noch angewendet, weil das Regime zeigen wolle, dass sich nichts verändert habe. So würden Rekrutierungsschreiben verschickt, wenn Männer das wehrfähige Alter erreichen. Es gebe aber auch Männer im wehrpflichtigen Alter, die, ohne einberufen worden zu sein, in Syrien lebten (BFA vom 5. Januar 2017, S. 23). Insgesamt sei schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee tatsächlich durchgesetzt werde. In der syrischen Armee herrsche zunehmende Willkür und die Situation könne sich von einer Person zur anderen unterscheiden (BFA vom 5. Januar 2017, S. 22 mit Verweis auf FIS vom 23. August 2016, S. 5 ff.). So wird beispielsweise über die im Land errichteten Kontrollstellen berichtet (UNHCR, vom April 2017, S. 24 ff.; UNHCR, Auskunft an VGH Kassel vom 30. Mai 2017, S. 2), dass an diesen in großem Maße Männer im wehrdienstfähigen Alter, die einen Einberufungsbescheid erhalten hätten, aber auch solche, bei denen dies noch nicht der Fall gewesen sei, eingezogen würden. Während an anderer Stelle berichtet wird, an den Kontrollstellen würden Bestechungsgelder verlangt (vgl. SFH vom 28. März 2015, S. 4), um sich vom Militärdienst freizukaufen. Es gebe weitere Beispiele, dass Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft hätten, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden könne, sondern schlicht Willkür darstelle. So sei es vor dem Bürgerkrieg gängige Praxis gewesen, sich vom Wehrdienst freizukaufen, was aber nicht davor schütze, im Zuge des aktuellen Konflikts – manchmal sogar Jahre danach – dennoch eingezogen zu werden (BFA vom 25. Januar 2018, S. 41).

96

Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen seit März 2012 nur mit einer offiziellen Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie von der Wehrpflicht bzw. vom Militärdienst freigestellt sind, ausreisen. Seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, ein generelles Ausreiseverbot (SFH vom 23. März 2017, S. 13 f., SFH vom 28. März 2015, S. 4 f.). Jungen Männern vor Erreichen des 18. Lebensjahres werde die Ausreise erschwert, indem ihnen Reisepässe nur für eine kurze Gültigkeitsdauer ausgestellt würden (BFA vom 5. Januar 2017, S. 24). Männer, die ihren Wehrdienst bereits abgeleistet hätten, könnten eine Ausreisegenehmigung einfacher bekommen (BFA, August 2017, S. 24). Die Ausreise ohne die erforderliche Genehmigung bzw. über einen nicht genehmigten Ausreisepunkt sei strafbar. Einschätzungen des UNHCR zufolge sei es jedoch unklar, ob das Gesetz tatsächlich angewandt werde und Rückkehrer entsprechender Strafverfolgung ausgesetzt seien, da die Gesetzesumsetzung in Syrien willkürlich und nicht vorhersehbar sei (UNHCR vom April 2017, S. 2 f.).

97

Wehrdienstverweigerung wird in Syrien nach dem Military Penal Code geahndet (vgl. AA an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zu Az. 5 K 7480/16.A, S. 4 f.; Deutsche Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016, S. 2; SFH, vom 30. Juli 2014, S. 3 f. und vom 23. März 2017, S. 8 f.). Dessen Artikel 98 bestimmt, dass derjenige, der sich der Einberufung entzieht, mit Haft zwischen einem und sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird. Wer das Land verlässt, ohne eine Adresse zu hinterlassen, unter der er immer erreichbar ist, und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion im eigentlichen Sinn werden in Artikel 101 fünf Jahre Haft angedroht bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre. Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft. Berichten zufolge kann auch ein Wehrdienstentzug durch illegale Ausreise von nicht gemusterten bzw. nicht einberufenen Wehrpflichtigen mit Geldbuße oder Gefängnis bestraft werden (AA an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zum Az. 5 K 7480/16.A, S. 5).

98

Die Umsetzung der Bestrafung scheint nach den vorliegenden Erkenntnisquellen willkürlich zu sein (siehe SFH, 23. März 2017, S. 10 f. mit Verweis auf FIS vom 23. August 2016, S. 12 f. und weitere Quellen). In diesem Zusammenhang gibt es etwa Stellungnahmen, dass zurückkehrenden Wehrdienstpflichtigen Haft, Folter, Misshandlungen, Einsatz an der Front sowie dauerhaftes Verschwinden bzw. Tod drohe (vgl. beispielhaft DOI an OVG Schleswig vom 8. November 2016; Deutsche Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016, S. 1 f., wonach im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst Fälle von Haft oder dauerndem Verschwinden bekannt geworden seien bzw. verlässlichen Berichten zufolge inhaftierte Personen aus dem Gefängnis heraus zum Militärdienst eingezogen wurden; IRB vom 19. Januar 2016, wonach Wehrdienstpflichtige eine sehr vulnerable Gruppe darstellen; SFH vom 28. März 2015, wonach es bei ergriffenen Wehrdienstverweigerern in der Haft zu Folter komme).

99

Zum anderen ergibt sich aus den zur Verfügung stehenden Berichten auch, dass die Bestrafung häufig von der Position und dem Rang des Betroffenen, seinem Profil, der Herkunftsregion aber auch dem Bedarf an der Front abhänge. Bestehe der Verdacht, dass Kontakte zur Opposition bestehen, würden die Untersuchungen und die Folter intensiviert (SFH vom 23. März 2017, S. 10 mit Verweis auf weitere Quellen, u.a. FIS vom 23. August 2016, S. 12 f.; BFA vom 5. Januar 2017, S. 27). Es wird auch dargestellt, dass einige der Verhafteten zwar zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen, andere aber lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt würden (SFH vom 28. März 2015, S. 4; BFA, 5. Januar 2017, S. 27). Nach dem UNHCR würden Wehrdienstentzieher in der Praxis eher, als dass sie nach dem Militärstrafgesetzbuch bestraft würden, innerhalb von Tagen oder Wochen nach ihrer Verhaftung an die Front geschickt, oft nach nur minimaler Ausbildung (UNHCR, November 2017, S. 40). Der Danish Refugee Council (August 2017, S. 13 f., Fn. 62) berichtet unter Berufung auf verschiedene Quellen, dass Wehrdienstentzieher, wenn sie aufgegriffen werden, riskierten, in den Militärdienst gesandt zu werden, während Deserteuren härtere Strafen drohten, wie z.B. Haft oder Todesstrafe. Nach anderen Berichten gebe es aber auch Deserteure, die nachdem sie wieder aufgegriffen worden seien, in den Militärdienst bzw. an die Front geschickt worden seien (DRC vom August 2017, S. 14, Fn. 67 – 69, SFH vom 23. März 2017, S. 10 m.w.N.).

100

bb) Hiervon ausgehend ist es hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger mit einem Alter von 33 Jahren und abgeleisteten Wehrdienst, im Falle einer Rückkehr nach Syrien als Reservist zum Militärdienst einberufen würde. Auch dürfte er sich wegen seines längeren Aufenthalts im westlichen Ausland der Wehr- bzw. Militärdienstentziehung strafbar gemacht haben. Zwar hält der Senat seinen Vortrag zur Einberufung im Juni 2012 für unglaubhaft. Da der Kläger allerdings ohne eine Ausreisegenehmigung und ohne Mitteilung einer Anschrift Syrien (illegal) verlassen hat, ist davon auszugehen, dass er sich nach den dargestellten syrischen Vorschriften strafbar gemacht bzw. gesetzeswidrig verhalten hat.

101

cc) Unter Zugrundelegung der Annahme, das syrische Regime werde den Kläger aufgrund seines längeren Auslandsaufenthalts im wehrdienstfähigen Alter bei einer hypothetischen Rückkehr wie einen Wehr- bzw. Militärdienstentzieher behandeln, der der Einberufung nicht gefolgt ist bzw. ohne eine Genehmigung des Militärs das Land verlassen und keine Adresse hinterlassen hat, unter der er für die Militärbehörden erreichbar ist, hat sich der Kläger zwar strafbar gemacht. Der Senat hält es gleichwohl schon nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass ihm eine Verfolgungshandlung (1), insbesondere eine Bestrafung aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründen (2), etwa wegen einer unterstellten Regimegegnerschaft, droht.

102

Voranzustellen ist dabei, dass die Heranziehung zur Wehrpflicht bzw. Rekrutierung volljähriger Männer als solche keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung darstellt, weil diese nicht wegen eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgt, sondern alle Männer trifft, die den Wehrdienst abzuleisten haben oder als Reservist wieder eingezogen werden könnten. Auch die zwangsweise Heranziehung zum Wehrdienst und die damit im Zusammenhang stehenden Sanktionen wegen Kriegsdienstverweigerung oder Desertion, selbst wenn sie von weltanschaulich totalitären Staaten ausgehen, stellen nicht schon für sich allein eine politische Verfolgung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. August 1986 – 9 C 322.85 – juris, Rn. 11; OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. September 2017 – 2 LB 750/17 – juris, Rn. 63). Anderes gilt nur dann, wenn beides nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dient, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen soll (stRspr., vgl. BVerwG, Urteile vom 19. August 1986 – 9 C 322.85 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 54 = DVBl 1987, 47, vom 6. Dezember 1988 – 9 C 22.88 – BVerwGE 81, 41 <44> und vom 25. Juni 1991 – 9 C 131.90 – Buchholz 402.25 § 2 AsylVfG Nr. 21 = InfAuslR 1991, 310 <313>; zuletzt Beschluss vom 24. April 2017 – 1 B 22.17 – juris, Rn. 14; allgemein zur Erforderlichkeit der Anknüpfung an die politische Überzeugung als Grundlage eines zielgerichteten Eingriffs in ein flüchtlingsrechtlich geschütztes Rechtsgut s.a. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 – BVerfGE 80, 315 <335>; BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 – 10 C 52.07 – BVerwGE 133, 55 <60 f.>).

103

Es kann daher offen bleiben, ob die Rekrutierung des Klägers eine Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG darstellte. Jedenfalls fehlt es in Bezug auf die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft daran, dass die Rekrutierung zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt wird, die durch die Maßnahmen gerade wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe getroffen werden sollen. Insbesondere stellt die Gruppe der Männer, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, keine soziale Gruppe im Sinn des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar. Insoweit fehlt es jedenfalls daran, dass die Gruppe dieser Männer in Syrien eine abgegrenzte Identität hat (vgl. zu den Maßstäben bei einer Gruppenverfolgung auch OVG Schleswig, Urteil vom 14. Dezember 2006 – 1 LB 67/05 – juris, Rn. 30 m.w.N.). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die syrische Gesellschaft die Männer, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, als soziale Gruppe wahrnimmt. Auch liegt insoweit keine Anknüpfung an das (männliche) Geschlecht vor. Sanktionen wegen Verletzung dieser Pflicht richten sich ausschließlich nur deshalb gegen Männer, weil eine Wehrdienstpflicht in Syrien nur für Männer besteht (vgl. zuletzt DOI, Auskunft an VGH Kassel vom 22. Februar 2018, S. 4; AA an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zu Az. 5 K 7480/16.A, S. 4).

104

(1) Für die Frage des Vorliegens einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG ist zu bewerten, ob sich aus den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen in hinreichender Dichte Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Kläger bei der gedanklich zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien bestraft bzw. inhaftiert werden würde (mit der damit verbundenen Gefahr der Folter oder Misshandlung), wenn ihm das syrische Regime die Erfüllung der Straftatbestände der Wehrdienst- bzw. Militärdienstentziehung unterstellt. Ob einem Wehr- bzw. Militärdienstentzieher allein die Einziehung zum Wehrdienst und ein Militäreinsatz oder zusätzlich eine Inhaftierung bzw. ein Strafverfahren drohen, wird in den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht einheitlich beurteilt. Der Senat ist nach der Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände jedoch der Auffassung, dass keine hinreichenden Erkenntnisse dafür vorliegen, dass (ggf. zurückkehrenden) Wehr- bzw. Militärdienstdienstverweigerern beachtlich wahrscheinlich eine Bestrafung und/ oder Inhaftierung droht, sofern keine weiteren individuellen Anhaltspunkte auf eine Regimegegnerschaft hindeuten. Vor allem im Hinblick auf den weiterhin hohen Personalbedarf in der syrischen Armee und die Rekrutierungsbemühungen des Assad-Regimes fallen selbst die geschilderten – wenn auch nur zum Teil belegten – Verfolgungsfälle nicht im erforderlichen Maße ins Gewicht (so ebenfalls OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A – juris, Rn. 107 ff.; die Frage einer Verfolgungshandlung ebenfalls verneinend OVG Lüneburg, zuletzt mit Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 94 ff.; die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung im Ergebnis wohl bejahend: OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 41; OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 147, 152).

105

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führt aus, dass bei Einreisen nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft werde, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst absolviert hätten, komme es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert würden (BFA vom 25. Januar 2018, S. 40 mit Verweis auf IRB vom 19. Januar 2016, S. 6 f.).

106

Der UNHCR führt in seinen Stellungnahmen aus November 2017 (S. 40, Fn. 227 unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des UNHCR aus Februar 2017) und vom 30. Mai 2017 (S. 2) aus, dass Berichten zufolge Wehr- bzw. Militärdienstentziehern eher als strafrechtliche Sanktionen (Inhaftierung) nach dem Militärstrafgesetz innerhalb von Tagen bzw. Wochen nach ihrer Festnahme ein Einsatz an vorderster Front drohe, oft nur mit einer minimalen Ausbildung. In der deutschen Übersetzung von April 2017 (S. 23 und Fn. 113) der in Bezug genommenen Stellungnahme vom Februar 2017 heißt es, dass Wehrdienstentzieher Berichten zufolge in der Praxis festgenommen und unterschiedlich lange inhaftiert würden, sie müssten danach in ihrer militärischen Einheit Dienst leisten. Aus Berichten gehe weiter hervor, dass sie während der Haft dem Risiko von Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt seien. Als Referenz wird eine Anwältin von Human Rights Watch mit der Äußerung zitiert, Human Rights Watch wisse, dass Menschen in Syrien aufgrund ihrer Weigerung, in der Armee zu dienen, inhaftiert seien. Zudem wird ein Bericht aus Al Jazeera vom Juni 2016 angeführt, wonach mögliche Folgen für Wehrdienstentzieher umgehende Einziehung nach der Festnahme, Einsatz an vorderster Front, Untersuchung und Folter und/ oder Inhaftierung seien. Welche Konsequenz(en) die Wehrdienstentziehung habe, könne vom Profil der betreffenden Person, ihren Verbindungen und dem Gebiet abhängen (siehe auch UNHCR vom 30. Mai 2017, S. 4 Fn. 15: „…Die Quellen sprechen von mehreren möglichen Konsequenzen, wenn ein Wehrdienstentzieher von den Behörden gefasst wird; unmittelbar nach der Festnahme verordnete Einberufung in den Wehrdienst, Einsatz an vorderster Front, Ermittlungen und Folter, und/ oder Inhaftierung. Welche dieser Konsequenzen oder welche Kombination an aufgeführten Konsequenzen eine Person zu befürchten hat, hängt vom persönlichen Profil der Person, ihren Verbindungen und ihrem Wohnort ab. Wenn die Behörden besagte Person verdächtigen, in Verbindung mit Oppositionsgruppen zu stehen und mit diesen womöglich zu kooperieren, wird sie Ermittlungen und Misshandlungen einschließlich Folter unterzogen werden. …“.).

107

Der Bericht von Al Jazeera und die weiteren Ausführungen im Bericht des UNHCR deuten eher darauf hin, dass eine Inhaftierung mit Misshandlung und Folter dann droht, wenn aufgrund weiterer Umstände von einer oppositionellen Haltung der betroffenen Person ausgegangen wird. Dem Bericht der Anwältin hingegen ist nicht zu entnehmen, auf welche Tatsachengrundlage er gestützt wird. Auch eine bezifferte Dimension von Inhaftierungs- bzw. von Folterfällen kann dem Bericht nicht entnommen werden.

108

Soweit von einem Einsatz an vorderster Front innerhalb von wenigen Tagen und Wochen nach der Festnahme berichtet wird, führt der UNHCR in seiner Stellungnahme aus April 2017 an anderer Stelle (S. 25 und Fn. 122) aus, es sei gängige Praxis, Wehrpflichtige und Reservisten nach begrenzter Ausbildung oder ganz ohne militärische Ausbildung an den Frontlinien einzusetzen. Als Referenz wird in der Fußnote 122 der Syrienexperte des Institute for the Study of War (ISW), Herr Kozak, zitiert, wonach Reservisten fast grundsätzlich an die vorderste Front und neu eingezogene Wehrdienstleistende fast ohne Ausbildung in den Kampf geschickt würden. Aufgrund dessen kann nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass Militärdienstentzieher nach ihrer Festnahme härter behandelt werden als Personen, die der Einberufung zum Wehrdienst bzw. der Einberufung als Reservist gefolgt sind (vgl. zum sog. Politmalus: BVerfG, Beschluss vom 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 – juris, Rn. 18 m.w.N.).

109

Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Inhaftierung lässt sich auch nicht aus der Stellungnahme von Herrn Kozak gewinnen, die in den Berichten des UNHCR vom November 2017 sowie vom 30. Mai 2017 wiedergegeben wird (UNHCR vom November 2017, S. 40, Fn. 226 - E-Mail von C. Kozak vom 6. Oktober 2017 -; UNHCR, Auskunft an VGH Kassel vom 30. Mai 2017, S. 3 Fn. 14 - E-Mail von C. Kozak vom 18. Mai 2017 -, vgl. auch S. 6, E-Mail vom 24. Mai 2017). Herr Kozak wird dahingehend zitiert, er habe Berichte gehört, wonach das Verhalten eingezogener Wehrdienstentzieher durch Militäroffiziere und andere Offizielle als verräterisch und regierungsfeindlich angesehen würde. In der Stellungnahme des UNHCR vom 30. Mai 2017 (S. 6) wird er dahingehend zitiert, dass die Regierung in der Praxis aufgrund des anhaltenden Bedarfes an Streitkräften ein begrenztes Interesse daran zeige, Wehrdienstentzieher den geltenden rechtlichen Sanktionen zu unterziehen. Anstatt langjähriger Gefängnisstrafen scheine die rasche Einberufung in den Wehrdienst die bevorzugte Reaktion auf Wehrdienstentziehung zu sein und zwar selbst bei Personen, die in Regionen wohnten, die zuvor unter der Kontrolle von Oppositionsgruppen gestanden hätten. Die meisten Wehrdienstentzieher befänden sich daher vermutlich nicht für lange Zeit im Strafverfolgungssystem. Die brutalen Bedingungen der Einziehung zum Militärdienst mit haftähnlicher Internierung auf Militärstützpunkten und minimalem Training vor dem Fronteinsatz blieben jedoch bestehen.

110

Auch wenn sich die verschiedenen Äußerungen inhaltlich nicht widersprechen, lassen sie hinsichtlich der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgungshandlung verschiedene Deutungsmöglichkeiten zu. Den Äußerungen von Herrn Kozak kann zudem nicht entnommen werden, auf welchen tatsächlichen Grundlagen sie beruhen, ob es sich um eine eigene Bewertung handelt oder diesen Äußerungen Erkenntnisse über entsprechende Vorgänge und ggf. in welcher Dimension bzw. unter welchen Umständen zugrunde liegen. Die weiteren vom UNHCR in der Stellungnahme vom 30. Mai 2017 (S. 6 f.) genannten Referenzquellen (J. Landis, R. Davis und L. Fakih) gehen nach ihrem Verständnis des Assad-Regimes bzw. auf der Grundlage von nicht näher genannten Interviews davon aus, dass Wehrdienstverweigerung als regierungsfeindlich angesehen werde. Den Äußerungen lässt sich ebenfalls – soweit es sich nicht nur um Wertungen handelt – keine Tatsachengrundlage entnehmen.

111

Der Danish Refugee Council (vom August 2017, S. 13 unter Hinweis auf C. Kozak) geht davon aus, dass die individuelle Verfolgung von einzelnen Personen, die sich dem Wehrdienst bzw. dem Militärdienst entzogen hätten, auch angesichts der Vielzahl derjenigen, die der Einberufung nicht gefolgt seien, nicht im Vordergrund stehe. Weiter wird dort (S. 13 f., Fn. 62) unter Berufung auf C. Kozak und andere Quellen ausgeführt, dass Wehrdienstentzieher, wenn sie festgenommen werden, riskierten zum Militärdienst eingezogen zu werden, während Deserteuren eher schwerere Konsequenzen drohten, wie Inhaftierung (imprisonment) oder die Todesstrafe.

112

Das Auswärtige Amt (Auskunft an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7221/16 A vom 2. Januar 2017, S. 2 f.) berichtet – wie bereits ausgeführt – allgemein über Befragungen von Rückkehrern aus dem Ausland und führt gleichzeitig aus, dass zu einer systematischen Anwendung von schwerwiegenden Eingriffen bei derartigen Befragungen keine Erkenntnisse vorlägen. Zur speziellen Verfolgungsgefahr für zurückkehrende Wehrdienstentzieher äußert sich das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 13. September 2017 an das Verwaltungsgericht Köln (S. 1). Es führt aus, dass über die Exekution von desertierten Soldaten berichtet werde, sowie über willkürliche Verhaftungen von Männern, die sich nicht ausweisen könnten und aus umkämpften Gebieten geflohen seien. „Dies gilt auch für Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich dem Militärdienst entzogen haben“. Unabhängig von der genauen semantischen Bedeutung der zitierten Formulierung, ist die Belastbarkeit dieser weiter nicht belegten Äußerung vor allem angesichts der gegenteiligen Erkenntnisse, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen im Vordergrund stehe, zumindest fraglich. In der Auskunft der deutschen Botschaft Beirut an das BAMF (3. Februar 2016, S. 1) wird von Fällen – auch im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Wehrdienst – berichtet, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert und dauerhaft verschwunden seien. Dies stehe aber überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten.

113

Das Deutsche Orient-Institut führt in seiner Auskunft vom 8. November 2016 an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (S. 1, 2) zwar aus, dass, wenn die Ausreise u.a. dem Zweck gedient habe, sich dem Wehrdienst zu entziehen, dies eine harte Bestrafung nach sich ziehe. Allerdings wird weiter ausgeführt, dass die zur Verfügung stehende Datenlage aufgrund der aktuellen Lage in Syrien hinsichtlich behördlicher Aktivitäten und Vorgehensweisen des syrischen Staates nicht immer belastbar sei.

114

Das IRB berichtet in seiner Stellungnahme vom 19. Januar 2016 (S. 5 f. dt. Übersetzung) von einer Gefährdung nicht gedienter Männer bei einer Einreise über die Flughäfen. Verschiedene Quellen hätten festgestellt, dass Männer im wehrfähigen Alter besonders gefährdet seien, von Sicherheitsbehörden am Flughafen und anderen Grenzübergangsstellen misshandelt zu werden. Es ist jedoch unklar, auf welcher Datenlage die benannten Quellen zu der Einschätzung gekommen sind und ob es bei den inhaftierten Personen weitere Anhaltspunkte für eine mögliche oppositionelle Einstellung oder das Zuschreiben einer regimefeindlichen Einstellung gab. So wird an anderer Stelle im Bericht auch ausgeführt (S. 4 f. dt. Übersetzung), dass es nur „limitierte“ Informationen bezüglich der Behandlung von syrischen Rückkehrern seit 2011 gebe bzw. es „sehr schwer“ sei, Informationen über die Behandlung von Rückkehrern durch Grenzbeamte zu erhalten, da die Presse darüber nicht berichten könne. Die im Weiteren geschilderten Einzelfälle können nach Ansicht des Senats schon angesichts der Vielzahl von Wehrdienstentziehern nicht als ausreichende Faktenlage für die Annahme einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgung dienen.

115

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Auskunft vom 21. März 2017, S. 8) zitiert im Wesentlichen den Bericht des IRB vom 19. Januar 2016 (S. 8 f. dt. Übersetzung), wonach Männer im wehrdienstfähigen Alter besonders gefährdet seien, Opfer von Misshandlungen zu werden. Auf die vorstehenden Ausführungen zu dieser Stellungnahme wird Bezug genommen. Wehrdienstentziehern drohe je nach Profil und Umständen sofortiger Einzug zum Militär, Einzug an die Front oder Haft und Folter (SFH vom 23. März 2017, S. 10 m.w.N.). Mit Verweis auf den Finish Immigration Service führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) weiter aus, dass die Umsetzung der Bestrafung willkürlich sei. Die Bestrafung hänge von der Position und dem Rang des Deserteurs wie auch dem Bedarf an der Front ab. In einer Stellungnahme vom 18. Januar 2018 (S, 7 f.) führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe unter Verweis auf den UNHCR weiter aus, dass Wehrdienstentziehung als oppositionelle Handlung bewertet und Wehrdienstentzieher in der Praxis zu unterschiedlich langen Haftstrafen verurteilt würden. In der Haft komme es zu Folter und anderen Misshandlungen.

116

Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA vom 5.1.2017, S. 27) führt unter Berufung auf den Danish Immigration Service aus, dass ein Wehrdienstverweigerer, der aufgegriffen würde, zum Dienst in der Armee geschickt werden könnte. Die Konsequenzen hingen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gebe, wären die Folgen ernster. Im Bericht des Bundesamtes aus August 2017 (S. 20 und Fn. 51) geht dieses unter Berufung auf Interviews mit einer europäischen diplomatischen Quelle in Beirut am 18. Mai 2017 sowie vom selben Tag mit Lama Fakih davon aus, dass bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung die Meinungen der Quellen auseinandergingen. Während die einen darin eine „Foltergarantie“ und ein „Todesurteil“ sähen, würden andere sagen, dass Verweigerer sofort eingezogen würden.

117

In der schriftlichen Auskunft an das Verwaltungsgericht Dresden (Az. 5 A 1337/17.A) vom 6. Februar 2017 gibt die als Sachverständige beauftrage Petra Becker an, dass derjenige, der sich dem Wehrdienst durch Flucht ins Ausland entzieht, bei seiner Rückkehr mit Gefängnis und Folter rechnen müsse, auch wenn sie es für das Wahrscheinlichste halte, dass ein rückkehrender Wehrpflichtiger bei seiner Einreise direkt dem Wehrdienst zugeführt wird.

118

Abgesehen von der danach unklaren und mit nur wenig Fakten belegten Erkenntnislage sind nach Auffassung des Senats zudem die nachfolgenden Erwägungen bei der Beurteilung, ob zurückkehrenden Wehrdienstverweigerern beachtlich wahrscheinlich eine Bestrafung und/ oder Inhaftierung droht, wenn keine individuellen Anhaltspunkte auf eine Regimegegnerschaft hindeuten, zu berücksichtigen:

119

Die syrische Armee ist durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen erheblich geschwächt und hat einen Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Es wird berichtet (BFA vom 25. Januar 2018, S. 23 und vom 5. Januar 2017, S. 23; DRC vom August 2017, S. 8; SFH vom 23. März 2017, S. 2), dass viele Männer ihrer Einberufung nicht Folge leisten. Auskünften zufolge sollen die kampffähigen Truppen der syrischen Armee von ehemals 300.000 Soldaten auf ca. 125.000 bis 175.000, nach anderen Angaben auf 80.000 bis 100.000 reduziert worden sein. Bereits im Jahr 2014 soll das Assad-Regime nur noch über 100.000 Soldaten verfügt haben (UNHCR vom 30. Mai 2017, S. 2, Fn. 7 unter Verweis auf C. Kozak), von denen nur 30.000 bis 40.000 Soldaten den Eliteeinheiten angehören, die tatsächlich in der Lage gewesen seien, militärische Operationen durchzuführen (SFH vom 23. März 2017, S. 2). Anderen Angaben zufolge soll die syrische Armee im November 2016 nur noch über 50.000 Soldaten verfügt haben (SFH vom 23. März 2017, S. 2, Fn. 6).

120

Hinzu kommt, dass diverse Quellen berichten, die syrische Armee sei inzwischen nur teilweise in große Militäroperationen involviert. Bei diesen verlasse sich das Assad-Regime auf eine Mischung aus Elite-Einheiten, loyalen Milizen und ausländischer Unterstützung, insbesondere die iranischen „Islamischen Revolutionsgarden“, afghanische und irakische schiitische Milizen und die libanesischen Hisbollah-Milizen. Diejenigen Einheiten, in denen Wehrpflichtige überwiegend eingesetzt würden, seien daran nicht beteiligt (DRC vom August 2017, S. 9; zum militärischen Einfluss von Russland, dem Iran anderen internationalen Akteuren vgl. BFA vom 25. Januar 2018, S. 9, 13, 19; Bundeszentrale für politische Bildung vom 20. Oktober 2017, Syrien – Die aktuelle Situation; SFH vom 23. März 2017, S. 3 f.; Spiegel-Online vom 4. April 2018 – Dreigipfel zu Syrien – Teile und herrsche).

121

Gleichzeitig hat das syrische Regime verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die personellen Verluste zu kompensieren. Es wird beispielsweise über Verhaftungen von Deserteuren und von Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, sowie Zwangsrekrutierungen berichtet (SFH vom 23. März 2017, S. 2). Darüber hinaus wird geschildert, das Assad-Regime verlange bei Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, dass die jungen Männer der Region in die syrische Armee eintreten. Nach der Eroberung von Ost-Aleppo sollen etwa 5000 Männer in den Wehrdienst eingezogen worden sein. Selbst Häftlinge sollen unter Druck gesetzt werden, in die syrische Armee einzutreten (vgl. SFH vom 23. März 2017, S. 7). Auch intern Vertriebene werden an ihren neuen Aufenthaltsorten registriert und in den Militärdienst aufgeboten (SFH vom 28. März 2015 [Mobilisierung], S. 2). Andererseits versucht das Assad-Regime, mit Amnestien und der Erhöhung des Soldes Anreize für den Eintritt in den Militärdienst zu schaffen (SFH vom 23. März 2017, S. 3, 12; BFA vom August 2017, S. 23).

122

Dem Bestreben des Assad-Regimes nach einer Erhöhung der Zahl seiner Militärangehörigen durch Rekrutierung dürfte es auch angesichts der Berichte darüber, dass den Einberufungen im großem Umfang (nach Angaben der SFH sollen zwischen 70.000 bis 110.000 Soldaten desertiert sein oder sich dem Wehrdienst entzogen haben) nicht Folge geleistet wird (DRC vom August 2017, S. 8; SFH vom 23. März 2017, S. 2), widersprechen, wenn die so rekrutierten Soldaten zunächst inhaftiert und dann gegebenenfalls misshandelt und im schlimmsten Fall getötet würden. So wird auch berichtet, dass dem Regime nicht daran liege, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es würden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt (BFA vom 25.Januar 2018 mit Verweis auf FIS vom 23. August 2016).

123

Diese Einschätzung wird nicht dadurch entkräftet, dass ein hoher Vertreter des syrischen Militärs eine harte Bestrafung der Zurückkehrenden angekündigt hat (Spiegel vom 11. September 2017, Assads Top-General droht Flüchtlingen). Es fehlen zureichende Anhaltspunkte dafür, dass diese Einzeläußerung repräsentativ für das syrische Regime gestanden hat. So hat Präsident Assad Ende 2015 in einem TV-Interview Gegenteiliges erklärt (vgl. hierzu OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/1 – juris, Rn. 50 f.; OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017 – 14 A 2316/16 – juris, Rn. 66 f.). Nach einer Auskunft der Deutschen Orient-Stiftung (an VG Freiburg zum Az. 4 A 3 K 3579/16 vom 29. November 2017) seien die Äußerungen des Generals nicht über das offizielle Sprachrohr der syrischen Regierung erfolgt. Neben verschiedenen Medienberichten würden von offizieller Seite keine Stellungnahmen, Bestätigungen oder Dementi vorliegen. Nach einem englischen Zeitungsbericht habe sich der zwischenzeitlich Verstorbene Issam Zaherddine später für seine Äußerung entschuldigt und klargestellt, dass er Kämpfer des IS und Rebellen gemeint habe, die syrische Truppen getötet hätten (vgl. The Telegraph vom 18. Oktober 2017, zitiert nach https://www.telegraph.co.uk/news/ 2017/10/18/top-syrian-general-killed-isil-landmine-near-deir-ezzor/).

124

Bei der vom Senat anzustellenden Prognose ist zudem die große Anzahl von syrischen Flüchtlingen im (benachbarten) Ausland zu berücksichtigen (siehe oben zu den konkreten Zahlen). Allein unter den vom UNHCR erfassten 5,6 Mio. Flüchtlingen befinden sich circa 25 % männliche Flüchtlinge im Alter zwischen 18 und 59 Jahren. Bei der bei der Prognose zu unterstellenden Rückkehr einer Vielzahl dieser Flüchtlinge nach Syrien kann nicht sicher vorhergesagt werden, wie sich das syrische Regime diesen gegenüber verhalten wird. Insbesondere eine Bestrafung auch nur eines beachtlichen Teils dieser mehr als 1,5 Millionen männlichen Rückkehrer ist nicht hinreichend wahrscheinlich. Ergänzend ist – wie bei der allgemeinen Rückkehrfrage – darauf hinzuweisen, dass auch der Umstand, dass seit 2015 rund 260.000 Syrer, davon 31.000 im 1. Halbjahr 2017, zumindest zeitweise nach Syrien zurückgekehrt sind – darunter dürften auch Männer im wehrdienstfähigen Alter sein – Zweifel daran begründet, dass eine Inhaftierung einer signifikanten Zahl von Rückkehrern im wehrdienstfähigen Alter beachtlich wahrscheinlich ist.

125

Angesichts der dargestellten Erwägungen zum Personalbedarf in der syrischen Armee und der hohen Zahl von ausgereisten männlichen syrischen Bürgern sowie den Auskünften, die dafür sprechen, dass Wehrdienstentzieher nach einer Festnahme ohne vorangegangenes Strafverfahren oder Strafhaft umgehend zum Militärdienst eingezogen werden, sind für den Senat die (vereinzelten) Berichte über konkrete Verfolgungsfälle im Zusammenhang mit der Wehr- bzw. Militärdienstentziehung quantitativ und qualitativ nicht ausreichend, um eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung annehmen zu können. Diversen Berichten fehlt vor allem die Angabe einer die jeweiligen Einschätzungen stützenden Tatsachengrundlage. Eine solche wäre angesichts der dargestellten entgegenstehenden Gesichtspunkte jedoch erforderlich.

126

(2) Ungeachtet der Bewertung, dass danach bereits eine Verfolgungshandlung nicht beachtlich wahrscheinlich angenommen werden kann, lassen sich den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nach Ansicht des Senats keine hinreichend verlässlichen und ausreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass Wehrdienst- bzw. Militärdienstentziehern beachtlich wahrscheinlich durch das syrische Regime eine regimefeindliche Haltung unterstellt wird und ihnen daher in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine relevante Verfolgung droht. Es fehlt mithin auch an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund.

127

Neben den bereits Eingangs (oben cc) vor (1), S. 37 f.) dargestellten Erwägungen sind folgende Erkenntnisse und Gesichtspunkte im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung zu berücksichtigen:

128

Die syrische Armee rekrutiert Berichten zufolge grundsätzlich unabhängig von ethnischen oder religiösen Hintergründen (SFH vom 28. März 2015, S. 2 f.). Bei der Einberufung, die auf Grundlage des Kriegsrechts innerhalb weniger Tage erfolgen kann, wird zudem keine Unterscheidung zwischen Anhängern bzw. Unterstützern des Regimes und potentiellen Oppositionellen gemacht (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30. Juli 2014, S. 7). Dies zeigt sich auch daran, dass bei Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, verlangt wird, dass die jungen Männer der Region in die syrische Armee eintreten (SFH vom 23. März 2017, S. 7, und vom 28. März 2015, S. 2 f.).

129

Wie bereits dargestellt, ergibt sich aus einer Vielzahl der vom Senat ausgewerteten Erkenntnisquellen, dass die Bestrafung von Wehrdienstverweigerern willkürlich erfolgt und häufig von der Position und dem Rang des Betreffenden, der Herkunftsregion aber auch von dem Bedarf an der Front abhängig ist. Bestehe der Verdacht, dass Kontakte zur Opposition bestehen, würden die Untersuchungen und Folter intensiviert (SFH vom 23. März 2017, S. 10 mit Verweis auf FIS vom 23. August 2016, S. 12 f. und weitere Quellen; BFA vom 5. Januar 2017, S. 27). Ebenfalls wird berichtet, dass einige der Festgenommenen zwar zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen würden, andere aber lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt würden (SFH vom 28. März 2015, S. 4). An anderer Stelle weist die Schweizerische Flüchtlingshilfe (vom 21. März 2017, S. 10) darauf hin, dass prinzipiell davon ausgegangen werden müsse, dass jede Person, die nach Syrien zurückkehre, verhaftet und misshandelt werden könne. Die Willkür zeige sich auch darin, dass sich Einzelne mit Bestechung freikaufen könnten. Amnesty International beschreibe den weit verbreiteten Opportunismus der syrischen Sicherheitsbeamten, die entweder aus Profitgier oder aus persönlicher Rache Menschen verhaften und verschwinden ließen. Auch seien viele Menschen in Haft, weil sie aus persönlichen Gründen von Informanten diffamiert worden seien. Diese Willkür spiegele sich auch in der Struktur der Sicherheitsdienste wieder (SFH vom 21. März 2017, S. 10).

130

Der UNHCR gibt an, dass nach Stellungnahmen unabhängiger Beobachter Wehrdienstentziehung „wahrscheinlich“ als politischer Akt gegen die Regierung aufgefasst werde, was die Behandlung, der Wehrdienstentzieher ausgesetzt seien, ganz oder teilweise motivieren könne. Es könne zur einer Bestrafung kommen, die über die strafrechtlich vorgesehenen Sanktionen hinausgehe, einschließlich härtere Behandlung bei der Inhaftierung, während der Haft und Befragungen sowie während des militärischen Einsatzes (Bericht vom November 2017, S. 39 unten/ S. 40 oben mit Fn. 224; Auskunft an VGH Kassel vom 30. Mai 2017, S. 3 mit Fn. 13 und 14, S. 6 f.). Wie bereits oben dargestellt, führt der UNHCR allerdings in seiner Stellungnahme vom 30. Mai 2017 (S. 3) weiter aus, dass „oft nicht zu unterscheiden und festzustellen“ sei, ob die gegen die Betroffenen angewandten Sanktionen als Antwort auf die Straftat der Wehrdienstentziehung oder auf die unterstellten oppositionellen Überzeugungen erfolgten. Auch im Bericht vom November 2017 wird ausgeführt, dass Berichten zufolge Wehrdienstentzieher aber eher, als dass sie nach dem Militärstrafgesetzbuch bestraft, innerhalb von Tagen oder Wochen nach ihrer Verhaftung an die Front geschickt würden, oft nur nach minimaler Ausbildung. Anderen Berichten zufolge gebe es auch Deserteure, die nachdem sie aufgegriffen wurden, in den Militärdienst bzw. an die Front geschickt worden seien (DRC, August 2017 S. 14 Fn. 67 – 69; SFH vom 23. März 2017, S. 10 m.w.N.). Die vom UNHCR angeführten Referenzquellen lassen – auch dies ist bereits oben festgestellt worden – zudem nicht erkennen, auf welcher Tatsachengrundlage die Einschätzung der Unterstellung einer regimefeindlichen Haltung beruht.

131

Der vom UNHCR als Referenzquelle genannte Herr Kozak hat angegeben (UNHCR vom 30. Mai 2017, S. 3, Fn. 14, E-Mail von C. Kozak vom 18. Mai 2017), er habe gehört, dass das Verhalten von bereits einberufenen Wehrdienstverweigerern von Militäroffizieren und anderen Beamten als verräterisch und regierungsfeindlich angesehen werde könne. In der Stellungnahme des UNHCR vom November 2017 (S. 39, Fn. 224) wird Herr Kozak dahingehend zitiert (E-Mail vom 6. Oktober 2017), dass nach seiner Einschätzung die Regierung Sanktionen gegen Wehrdienstentzieher als strafrechtliche Ahndung verhänge, aber auch weil sie die Wehrdienstentziehung als politische oder regierungsfeindliche Tätigkeit ansehe.

132

Die in der Stellungnahme des UNHCR vom 30. Mai 2017 (S. 6) aufgeführten weiteren Referenzquellen (J. Landes, R. Davis und L. Fakih) geben z.T. ihre subjektive Einschätzung wieder. Es ist nicht erkennbar, auf Grundlage welcher Fakten (genannt werden von R. Davis „Interviews“) diese Einschätzung erlangt worden ist. Bei der Bewertung der Stellungnahme des UNHCR vom 30. Mai 2017 (S. 4) ist weiterhin zu beachten, dass dort die Relevanz des Vorliegens weiterer Risikofaktoren herausgestellt wird, mithin das persönliche Profil der jeweiligen Person die Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen betroffen zu sein, maßgeblich mitbestimmt (weitere Ausführungen hierzu siehe oben und Fn. 18 auf S. 4 der Stellungnahme des UNHCR, wo es heißt: „Berichten zufolge verhaftete die Regierung Männer im wehrdienstfähigen Alter, bei denen eine Verbindung mit Oppositionsgruppen vermutet wurde, insbesondere Sunniten.“).

133

Weiter wird berichtet, dass die Ausbildungszeit der Wehrpflichtigen oft kurz (45 Tage) sei (BFA vom August 2017, S. 18) und die Betreffenden häufig unverzüglich an die Front geschickt würden (UNHCR vom April 2017, S. 25 f.). Angesichts der Schilderungen, dass dies scheinbar alle Wehrpflichtigen und Reservisten treffe (vgl. UNHCR vom April 2017, S. 25 und Fn. 122), ist die Annahme nicht belastbar, wonach dies nur Wehrdienstverweigerer oder Reservisten treffe, die sich der Einberufung entzogen haben. Es ist daher auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dies in Anknüpfung an eine aufgrund der Wehrdienstentziehung dem Kläger zugeschriebene regimefeindliche Haltung erfolgt.

134

Die Unabhängige Untersuchungskommission für Syrien führt im Bericht vom 11. August 2016 (A/HRC/33/55, S. 13 Rn. 75) aus, dass Zivilisten, hauptsächlich Männer im kampffähigen Alter, weiterhin von den Straßen Syriens verschwinden würden. Zehntausende von Syrern würden vermisst, viele unter Umständen, die vermuten ließen, dass sie gewaltsam verschwunden seien. Nicht weiter erläutert wird, ob es sich um (Zwangs-)Rekrutierungen oder Inhaftierungen handelt und aus welchen Gründen diese erfolgten.

135

Insbesondere das dargestellte (Rekrutierungs-)Verhalten des syrischen Regimes scheint insoweit primär durch Überlegungen zur Erhaltung seiner Macht gekennzeichnet zu sein. Demgegenüber fehlen nach Auffassung des Senats jedenfalls hinreichend verdichtete Erkenntnisse darüber, wie das syrische Regime mit der bei der Prognose zu unterstellenden Vielzahl zurückkehrender Männer, die sich der Einberufung zum Wehrdienst oder dem Wehrdienst durch Flucht ins Ausland entzogen haben, umgehen würde und ob ihnen allein wegen der Wehrdienstentziehung eine oppositionelle Haltung unterstellt würde. Darüber hinaus ist berücksichtigen, dass sich wehrpflichtige Männer durch eine Flucht aus einem „Oppositions-Gebiet“ auch einem etwaigen Einsatz in Einheiten, die gegen das syrische Herrschaftsregime kämpfen, entzogen haben.

136

Die gebotene Gesamtwürdigung der dargelegten Auskünfte, die in erheblichem Umfang von willkürlichen Verhaltensweisen des Regimes und seiner Vertreter berichten, der bereits zu der Frage einer Verfolgungshandlung ausgewerteten Erkenntnislage sowie der dargelegten Interessenlage des syrischen Regimes im Hinblick auf die Rückführung der Vielzahl von Wehr- und Militärdienstentziehern in die syrische Armee führt nach Auffassung des Senats zu der Schlussfolgerung, dass eine Inhaftierung und anschließende Misshandlung und damit eine Verfolgungshandlung wegen einer (unterstellten) regimefeindlichen Haltung nicht als beachtlich wahrscheinlich anzusehen ist, sofern nicht weitere risikoerhöhende Faktoren in der jeweiligen Person vorliegen (so im Ergebnis auch OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 139 ff.; OVG Saarlouis, Urteil vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – juris, Rn. 31; OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 53 ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 85 ff.; OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A – juris, Rn. 131 ff.; bejahend, wenn auch nicht entscheidungserheblich OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris, Rn. 71).

137

Andere Obergerichte (VGH München, Urteil vom 14. Februar 2017 – 21 B 16.31001 – juris; VGH Mannheim, Urteil vom 28. Juni 2017 – A 11 S 664/17 – juris; VGH Kassel, Urteil vom 6. Juni 2017 – 3 A 3040/16.A – juris, für rückkehrende Wehrdienstentzieher, die aus einem regierungsfeindlichen Gebiet stammen; OVG Bautzen, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17.A – juris, Rn. 38 ff.) sind zu der Überzeugung gelangt, dass nach Syrien zurückkehrenden Männern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Inhaftierung und menschenrechtswidrige Misshandlung droht, weil ihnen vom syrischen Regime eine regimefeindliche Haltung zugeschrieben werde. Zum Teil wird dies, da keine hinreichenden Erkenntnisse über nach Syrien zurückkehrende Männer vorliegen, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst durch Flucht ins Ausland entzogen haben, aus der Brutalität des Vorgehens des Assad-Regimes gegenüber Regimegegnern, insbesondere aus dem Vorgehen der Geheimdienste, geschlossen sowie aus dem Charakter des um seine Existenz kämpfenden Staates zur Wiederherstellung seines Herrschaftsmonopols abgeleitet (vgl. VGH München, a.a.O., Rn. 83 ff.; dort heißt es wörtlich: „Vor diesem Hintergrund [Anmerkung: Das Vorliegen nur vereinzelter Fallbeispiele und dass von Referenzfällen nicht ausgegangen werden könne, siehe Rn. 82] ergibt sich die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Merkmale vornehmlich aus dem Charakter des um seine Existenz kämpfenden Staates und den von seinen Machthabern mit größter Härte und unter Einsatz menschenrechtswidriger Mittel verfolgten Zielen.“). Andererseits wird angenommen, dass eine harte und menschenrechtswidrige Bestrafung von Männern, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, belegt sei, und von der erforderlichen Gerichtetheit auf Merkmale i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG im Hinblick auf den gegen die Zivilbevölkerung geführten Vernichtungskrieg, das dominierende Freund-/ Feind-Schema und wegen der Intensität der Verfolgungsmaßnahmen auszugehen sei (VGH Mannheim, Urteil vom 28. Juni 2017 – A 11 S 664/17 – Rn. 59 ff.; an diese Bewertung schließt sich das OVG Bautzen, a.a.O, juris, Rn. 40 ff. an; dieses geht weiterhin davon aus [a.a.O. Rn. 35], dass Rückkehrern im wehrdienstfähigen Alter nicht nur die gesetzlich dafür vorgesehene Bestrafung und/ oder die Einziehung droht, sondern insbesondere im Zusammenhang mit den drohenden Verhören und Bestrafungen auch Folter und der Einsatz an der Front mit oft nur minimaler Ausbildung, d. h. als „Kanonenfutter“.).

138

Der Einschätzung der benannten Obergerichte ist nicht zu folgen. Es ist – wie bereits dargestellt – schon zweifelhaft, ob mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgungshandlung ausgegangen werden kann oder ob nicht vielmehr den Erkenntnisquellen in erforderlichem Maße entnommen werden kann, dass Personen, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, im ausgeführten Gesamtkontext und angesichts des Bedarfs an Soldaten (nur) in das Militär eingezogen werden bzw. eine Inhaftierung nur beim Vorliegen von risikoerhöhenden Faktoren erfolgt. Zudem werden das nach dem dargestellten Erkenntnisstand beachtliche Interesse des syrischen Regimes an einer Truppenverstärkung und die schon immer praktizierte Einbindung auch oppositioneller Gruppen in die syrische Armee sowie der Umstand, dass sich die Betreffenden durch Flucht aus einer regierungsfeindlichen Zone dem Konflikt und damit der Einnahme durch den Regierungsgegner gerade entzogen haben, nicht zureichend in die Bewertung aufgenommen (ebenso OVG Lüneburg, zuletzt mit Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 123, dessen Würdigung sich der Senat anschließt).

139

Jedenfalls das Fehlen einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal anknüpfende Verfolgungshandlung beruht auf einer anderen Bewertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen und den dem syrischen Regime zu unterstellenden Handlungsmotiven. Es ist nämlich fraglich, ob als handlungsleitendes Muster des Assad-Regimes ein solches Freund-/ Feind-Schema vorliegt, welches darauf schließen lässt, dass im Grunde jeder Wehrdienstentzieher als Gegner des Herrschaftsregimes angesehen wird. Neben der sich aus den Erkenntnisquellen ergebenden Willkür einzelner staatlicher Akteure dürften die Handlungen des syrischen Regimes vor allem dadurch bestimmt sein, was der Machterhaltung bzw. dem Vorteil des Regimes dient.

140

Des Weiteren ist bei der Gesamtwürdigung Folgendes zu berücksichtigen: Angesichts des kulturübergreifend verbreiteten Phänomens der Furcht vor einem Kriegseinsatz als Motivation zur Wehrdienstentziehung in Kriegszeiten dürfte es für jedermann auf der Hand liegen, dass Flucht und Asylbegehren syrischer Wehrpflichtiger in der Regel nichts mit politischer Opposition zum syrischen Regime, sondern allein mit – verständlicher – Furcht vor einem Kriegseinsatz zu tun hat. Es hieße, dem syrischen Regime ohne greifbaren Anhalt Realitätsblindheit zu unterstellen, wenn angenommen würde, es könne dies nicht erkennen und schreibe deshalb jedem Wehrdienstentzieher eine gegnerische politische Gesinnung zu. Für eine solche Annahme des Regimes gibt es keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte. Sie ist zudem nicht derartig verifiziert, dass darauf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung gestützt werden kann (so ausdrücklich OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris Rn. 70; ebenso OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 153; OVG Saarlouis, Urteil vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – juris, Rn. 31; OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 99).

141

Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof benennt zu dem entscheidenden Punkt, dass der syrische Staat Wehrdienstentziehern eine oppositionelle Gesinnung unterstelle (VGH München, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16.30372 – juris, Rn. 72, 78 f.) keine tatsächlichen Anhaltspunkte, sondern beschränkt sich auf eine Spekulation. Die von ihm festgestellten Tatsachen, dass der syrische Staat wegen des bürgerkriegsbedingt hohen Bedarfs an Soldaten versucht, wehrdienstpflichtige Männer im Lande zu halten, Reservisten einzuberufen und nach ungedienten Wehrpflichtigen zu fahnden (vgl. VGH München, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16.30372 – juris, Rn. 60 ff.), erklären das brutale Vorgehen gegen Wehrdienstentzieher ohne jeden Zusammenhang mit der politischen Gesinnung der Wehrpflichtigen. Soweit eingewandt wird, das syrische Regime sei unberechenbar, rationale Überlegungen könnten ihm nicht unterstellt werden, so mag das zutreffen (zur willkürlichen Gewaltanwendung syrischer Sicherheitskräfte vgl. SFH vom 21. März 2017, S. 8 f). Daraus folgt aber lediglich, dass mit willkürlicher Anwendung von Folter und willkürlichen Misshandlungen gerechnet werden muss, also gerade nicht mit (systematischen) Verfolgungshandlungen in Verknüpfung mit spezifischen Verfolgungsgründen. Solche willkürliche, von den spezifischen Verfolgungsgründen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG losgelöste Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung begründen jedoch keinen Flüchtlingsschutz, sondern einen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, den der Kläger bereits von der Beklagten zuerkannt bekommen hat (ebenso zum Ganzen: OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 76 ff.).

142

Auch der im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg enthaltene Hinweis auf „Willkür“, extralegale Tötungen, Folterungen und Verschwindenlassen „von Personen jeder Herkunft ungeachtet des konkreten Hintergrundes“ weist nach den vorangehenden Ausführungen nicht auf eine politische Gerichtetheit, sondern vielmehr auf das Fehlen eines Verfolgungsgrundes hin. Es fehlt für die Flüchtlings-anerkennung mithin an der erforderlichen Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommen muss (vgl. insoweit BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 – 10 C 52.07 – juris, Rn. 22, 24). Nach Auffassung des Senats ist auch die besondere Intensität der drohenden Verfolgungshandlungen angesichts des seit jeher stark repressiven Charakters des syrischen Staates nicht geeignet, die Gerichtetheit der drohenden Maßnahmen auf einen Verfolgungsgrund zu indizieren (ebenso ausdrücklich OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 123). Angesichts der in Syrien generell herrschenden Brutalität und Willkür von Sicherheits- und Justizorganen stellt die Anwendung von Folter als solche jedenfalls kein gewichtiges Indiz für die politische Motiviertheit einer Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung dar (ebenso OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 154).

143

dd) Ein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung im Zusammenhang mit einer möglichen Rekrutierung als Reservist folgt auch nicht aus § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 5, § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylG.

144

Nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG kann die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, eine Verfolgungshandlung sein. § 3 Abs. 2 AsylG erfasst Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

145

Es ist bereits fraglich, ob eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass dem Kläger überhaupt Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG droht. Nach dem oben Gesagten hat der Kläger durch seine Ausreise und den längeren Auslandsaufenthalt sich zwar einer Wehrdienstentziehung strafbar gemacht, es ist jedoch schon nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er deshalb auch tatsächlich mit einer Verfolgungshandlung zu rechnen hat. Unabhängig davon hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich oder sinngemäß mitgeteilt, dass er im Falle einer sich der Rückkehr nach Syrien anschließenden Rekrutierung den Militärdienst deshalb verweigern werde, weil dieser Handlungen im Sinne von § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde. Der Kläger hat auch nicht in Syrien den Wehrdienst verweigert, sondern sich diesem „nur“ durch Flucht entzogen. Ob diese Fallgestaltung – Entziehung durch Flucht – überhaupt dem Begriff der Wehrdienstverweigerung i. S. d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG unterfällt, ist zumindest zweifelhaft (verneinend OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 95). Der Senat kann die Beantwortung dieser Frage aufgrund der nachfolgenden Erwägungen jedoch offenlassen.

146

Zwar ist bekannt, dass die verschiedenen, teilweise durch Interessen von außen gesteuerten Konfliktparteien des Bürgerkriegs in Syrien schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts begangen haben (vgl. UNHCR vom November 2017, S. 9, AI, Report Syrien 2018, S. 2 ff.; Human Rights Watch vom 13. Februar 2017, Syria: Coordinates Chemical Attacks on Aleppo; OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 92; OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 104 m.w.N.). Auch kann sich grundsätzlich jeder Militärangehörige auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG berufen, auch derjenige, der lediglich logistische oder unterstützende Funktionen hat; die Vorschrift ist damit nicht darauf beschränkt, dass der betreffende Militärangehörige persönlich Verbrechen der genannten Art begehen müsste (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 – Shepherd, juris, Rn. 33, 37 zu dem der Regelung zugrunde liegenden Artikel 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2004/83/EG).

147

Jedoch kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Union der Schutz auf nicht den Kampftruppen angehörende Personen nur dann ausgedehnt werden, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass sie sich bei der Ausübung ihrer Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müssten (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 – juris, Rn. 38). Folglich obliegt es demjenigen, der die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt bekommen möchte, mit hinreichender Plausibilität darzulegen, dass die Einheit, der er angehört, die Einsätze, mit denen sie betraut wurde, unter Umständen durchführt oder in der Vergangenheit durchgeführt hat, unter denen Handlungen der in dieser Bestimmung genannten Art mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen werden oder wurden (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 – juris, Rn. 43). Es muss also der geleistete Militärdienst selbst in einem bestimmten Konflikt die Begehung von Kriegsverbrechen umfassen, einschließlich der Fälle, in denen der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Begehrende nur mittelbar an der Begehung solcher Verbrechen beteiligt wäre, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass er durch die Ausübung seiner Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 – juris, Rn. 46).

148

Hiervon ist im Falle des Klägers nicht auszugehen. Nach den Äußerungen des Klägers im Verwaltungsverfahren und in der mündlichen Verhandlung, ist völlig offen, in welcher Funktion und welcher Einheit er bei einer hypothetischen Rückkehr und einer ebenfalls hypothetischen Heranziehung zum Militärdienst zugeordnet würde. Ginge man beispielsweise davon aus, dass der Kläger in ähnlicher Funktion (Organisation von Flugplänen und Übungen) eingesetzt werden wird wie bei seinem Militärdienst in den Jahren 2006-2008, sprechen seine Angaben dagegen, dass er sich bei der Ausübung seiner Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an entsprechenden Handlungen beteiligen müsste. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger nämlich geschildert, dass er vor allem im Verwaltungsbereich eingesetzt worden sei. Beim Bundesamt hat er zudem die Frage, ob er selbst Augenzeuge, Opfer oder Täter von begangenem Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit; Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder andere Misshandlungen) von kämpfenden Einheiten auf die Zivilbevölkerung, Hinrichtungen bzw. Massengräbern oder Einsätzen von Chemiewaffen gewesen ist, verneint (siehe Bl. 89 des Verwaltungsvorgangs). Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass mehrere Quellen angeben, die syrische Armee setze für Kampfeinsätze vorrangig auf Elitetruppen, loyale Milizen und Unterstützung aus dem Ausland. Wehrpflichtige Syrer seien hieran wenig beteiligt, sondern viele würden insbesondere für administrative und logistische Tätigkeiten verwendet (DRC vom August 2017, S. 9, 67, 85). Bei vernünftiger Betrachtung ist es demnach nicht wahrscheinlich, dass der Kläger durch die Ausübung seiner (wahrscheinlichen) Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde.

149

Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht mehr auf die Frage an, ob es im Hinblick auf § 3a Abs. 2 Nr. 5, § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylG ebenso wie bei den übrigen Verfolgungshandlungen einer Verknüpfung gemäß § 3a Abs. 3 AsylG bedarf (bejahend u.a. OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 87, und Beschluss vom 7. November 2017 – 14 A 2295/17.A – juris, Rn. 16; vgl. zum Meinungsstand OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 97 ff.), die voraussetzen würde, dass dem Kläger wegen einer unterstellten Wehrdienstverweigerung beachtlich wahrscheinlich eine an die ihm zugeschriebene politische Überzeugung anknüpfende Bestrafung droht, die sich als härter als üblich darstellt (sog. Politmalus).

150

d) Selbst wenn man bei den Klägern alle vorgenannten Umstände – die illegale Ausreise und/ oder den längeren Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung, die Glaubenszugehörigkeit, die regionale Herkunft sowie bei dem Kläger die Frage der Wehrdienstentziehung – zusammen in die zu treffende Prognoseentscheidung einbezieht, ergibt sich daraus keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine flüchtlingsrechtlich relevante (politische) Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG. Bei den Klägern liegen keine besonderen, individuell gefahrerhöhenden Umstände vor, weshalb ihnen vom syrischen Regime eine oppositionelle Haltung unterstellt werden könnte und ihnen deshalb Verfolgungsmaßnahmen drohten.

151

4. Soweit sich der Kläger in seiner Anhörung noch auf eine Furcht vor einer Rekrutierung durch die Freiheitskämpfer berufen hat, besteht diesbezüglich keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass der Kläger diese Furcht vor einer Einziehung für die Rebellentruppen selbst nicht länger erwähnt. Auf die Frage seines Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, was er bei seiner Rückkehr nach Syrien fürchte, gab er an, dass er Angst habe, weil er vom Regime gesucht werde. Er fürchte wegen seiner Wehrdienstentziehung bestraft oder eingezogen zu werden. Darüber hinaus wird Deir ez Zoor mittlerweile von der syrischen Armee kontrolliert (vgl. Ausführungen zu 3. b) bb)). Eine Einberufung in die Armee der Rebellen droht deshalb beachtlich wahrscheinlich nicht. Aus diesem Grunde kann dahinstehen, ob die Einziehung in die Armee der Rebellen überhaupt eine Verfolgungshandlung darstellte und ob ein Verfolgungsgrund vorläge.

152

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.

153

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

154

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 25. September 2013 wird geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres insoweit entgegenstehenden Bescheides vom 24. Februar 2011 in der Fassung des Bescheides vom 23. März 2012 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vom Gericht festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Der Kläger ist nach eigenen Angaben am (...) geboren und syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Bei seiner Einreise in das Bundesgebiet führte er keine Personalpapiere bei sich. Diese habe er aus Sicherheitsgründen in seinem Heimatland gelassen. Seinen Wehrdienst habe er vom (...) geleistet. Er habe vor seiner Ausreise in der Landwirtschaft gearbeitet. Er hat nach eigenen Angaben Syrien am (...) verlassen und ist (…) 2010 in das Bundesgebiet eingereist. Zu seinem Reiseweg machte er bei seiner Befragung beim Bundesamt widersprüchliche Angaben, in Syrien sei er Anhänger der Y.-Partei gewesen, nicht aber Mitglied. Am (...) habe er bei einer Parteiversammlung Wache gestanden. Als Sicherheitskräfte die Versammlung überfallen hätten, habe er fliehen können. Nähere Angaben dazu konnte er nicht machen.

3

Mit Bescheid vom 24.02.2011 wurde der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt und ebenso die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor. Der Kläger wurde zur Ausreise innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides aufgefordert und für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Syrien angedroht.

4

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage und stellte Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Nach erfolgreichem Eilrechtsschutzverfahren des Klägers änderte die Beklagte mit Bescheid vom 23.03.2012 den Bescheid vom 24.02.2011 teilweise und stellte ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG fest und hob die Abschiebungsandrohung auf.

5

In der mündlichen Verhandlung am 25.09.2013 hat der Kläger angegeben, mit 21 Jahren sei er Mitglied der Y.-Partei geworden für fünf Jahre. Er habe mit seinem eigenen Auto Flugblätter für die Partei transportiert und im Auftrag seines Bruders Parteimitglieder zu anderen Dörfern gebracht. Auf Vorhalt gab er an, nur Anhänger der Partei gewesen zu sein. Am (...) habe er mit anderen bei einer Parteiversammlung „Schmiere gestanden“. Er habe vor der Polizei fliehen können und von seinen Eltern erfahren, dass die Polizei nach ihm gefragt habe. Ein Freund seines Vaters habe ihm bei der Ausreise geholfen. Von seinen Eltern habe er telefonisch erfahren, dass er im April/Mai und im Juli/August 2012 einberufen worden sei.

6

Der Kläger hat beantragt,

7

die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 24.02.2011 zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

8

Die Beklagte hat beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 25.09.2013 abgewiesen.

11

Mit Beschluss vom 28.05.2014 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers zugelassen. Der Kläger hat die Berufung mit anwaltlichem Schriftsatz, eingegangen beim Oberverwaltungsgericht am 07.07.2014, einem Montag, zum einen unter Hinweis auf die ihm wegen Wehrdienstentziehung drohende politische Verfolgung und zum anderen wegen der ihm aufgrund der illegalen Ausreise drohenden politischen Verfolgung bei Rückkehr begründet.

12

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ergänzend angegeben, er sei in Syrien einberufen worden.

13

Der Kläger beantragt,

14

das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 25. September 2013 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des insoweit entgegenstehenden Bescheides vom 23.03.2012 verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

15

Die Beklagte beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Sie sieht die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG als nicht erfüllt an. Unverfolgt illegal Ausgereiste würden bei einer Rückkehr nach Syrien dort nicht politisch verfolgt. Dies gelte für den Kläger besonders, der bereits 2009 und damit vor den Demonstrationen gegen das Assad-Regime ausgereist sei. Entsprechendes gelte für die behauptete Einberufung zum syrischen Militär. Zudem habe der Kläger keine ihn legitimierenden Personaldokumente vorlegen können.

18

Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Berufung ist begründet.

20

Der Kläger hat seinen ursprünglichen Antrag auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zutreffend auf die aktuelle Rechtslage umgestellt, ohne dass darin eine unzulässige Klageänderung liegt.

21

Der Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ergibt sich allerdings nicht aus einer Vorverfolgung des Klägers in Syrien. Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist. Der Senat folgt insoweit der Begründung der angefochtenen Entscheidung und sieht in Anwendung des § 130b VwGO von einer weiteren Begründung ab.

22

Der Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ergibt sich §§ 28, 3 Abs. 1 AsylG. Dem Kläger droht aufgrund seiner Entziehung von der Reservedienstpflicht bei einer Rückkehr nach Syrien die Gefahr politischer Verfolgung.

23

Der Senat legt seiner Entscheidung folgende in der Rechtsprechung allgemein anerkannten Grundsätze zur Auslegung des § 3 Abs. 1 AsylG zugrunde, wie sie der VGH Mannheim ausführlich niedergelegt hat (Urt. v. 02.05.2017 -AUS 562/17, juris Rn. 19 - 35):

24

„Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatlichen Akteuren (Nr. 3), sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht (vgl. § 3e AsylG).

25

Ob die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3b AsylG) einerseits und den erlittenen oder bevorstehenden Rechtsgutsverletzungen bzw. dem fehlenden Schutz vor solchen Handlungen andererseits besteht, ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit festzustellen (BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 -10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55 Rn. 24). Die Verknüpfung ist also anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 -10 C 11.08 juris Rn. 13). Es kommt demzufolge nicht auf die ohnehin kaum feststellbaren (künftigen) subjektiven Vorstellungen der jeweils für den Akteur im Sinne des § 3c AsylG handelnden Person(en) an (BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 a.a.O.). Hier gilt nichts anderes als für das nationale; Asylrecht nach Art. 16a GG (vgl. hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 BVerfGE 76, 143 <157, 166 f>; vom 10.07,1989 - 2 BvR 502/86 BVerfGE 80, 315 <334 f>; vom 10.12.1991 - 2 BvR 958/86 BVerfGE 81, 142 und vom 11.02.1992 - 2 BvR 1155/91 -, InfAusIR 1992, 152 <154>).

26

Diese Verknüpfung geht grundsätzlich auch nicht verloren, wenn mit der Verfolgungshandlung weitere, flüchtlingsrechtlich neutrale Zwecke verfolgt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zum nationalen Asylrecht schon entschieden, dass auch in Fällen, in denen der Staat das Rechtsgut des eigenen Bestandes oder seiner politischen Identität verteidigt, eine staatliche Verfolgung vorliegen kann (BVerfG, Beschluss vom 10.07. 1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 BVerfGE 80, 315-353; Beschluss vom 12.07.1993 - 2 BvR 855/93 juris). Für das unionsrechtliche und das internationale Flüchtlingsrecht nach der Genfer Konvention gilt nichts anderes (BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 24/08 BVerwGE 135, 252 Rn. 16).
(…)

27

Es kommt zuletzt nicht darauf an, ob der Verfolgte diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG und Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EZ des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) (ABI. L 337 S. 9)- im Folgenden Anerkennungsrichtlinie). Hierher rechnet auch der Fall, dass der Betreffende seitens des Verfolgers nur verdächtigt wird, ein solches Merkmal zu erfüllen und die Verfolgungsmaßnahme hier ansetzt, um eine entsprechende Feststellung zu treffen (vgl. hierzu schon VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris, m.w.N.). Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist nach § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine (bestimmte) Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

28

Von diesen Maßstäben ausgehend und unter Berücksichtigung des prognostischen Charakters der Frage nach einer begründeten Furcht des Schutzsuchenden bei dessen Rückkehr sowie dessen sachtypischen Beweisnotstandes - der gerade in Bezug auf die Frage nach der Motivationslage des (potentiellen) Verfolgers offen zu Tage liegt - kann die Zielrichtung des Verfolgers, die unbeschadet der dargestellten objektivierten Betrachtungsweise als Intention ein subjektives Merkmal darstellt, aus den objektiven Gegebenheiten, so wie sie sich aktuell darstellen und aller Voraussicht nach entwickeln werden, zu folgern sein.

29

So hat das Bundesverfassungsgericht zur Gerichtetheit in Asylfällen schon ausgeführt, dass auch die Verfolgung von Straftaten, die sich - zunächst - nicht als politische Verfolgung darstellt, in politische Verfolgung Umschlägen kann, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, dass der Betroffene gleichwohl wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt wird. Es hat daraus die Vermutungsregel zu Gunsten einer (politischen) Verfolgung abgeleitet, wenn der Flüchtling eine Behandlung erleidet, die härter ist als die sonst zur Verfolgung ähnlicher - nicht politischer - Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im Verfolgerstaat übliche (Beschluss vom 10.07.1989, a.a.O.).

30

Nach Auffassung des Senats gilt für den unionsrechtlichen Flüchtlingsschutz nichts anderes. Weder Art. 9 noch Art. 10 der Anerkennungsrichtlinie lassen einen Ansatz für eine abweichende Sichtweise erkennen. Die Funktion des völkerrechtlichen wie auch unionsrechtlichen effektiven Flüchtlingsschutzes ist darauf gerichtet, politische und soziale Erscheinungsformen staatlichen wie nicht-staatlichen Handelns in der objektiven Lebenswirklichkeit gesamtheitlich zu bewältigen, was eine Fragmentierung in vielfältige und unüberschaubare individuelle Sichtweisen bzw. Handlungsmotive der verschiedenen Akteure verbietet; der Fokus der Betrachtung muss daher darauf gerichtet sein, wie sich der Eingriff in der politischen wie sozialen Realität darstellt und wie er diese beeinflusst bzw. auf diese einwirkt. Anders ausgedrückt:

31

Entscheidend ist, wie der oder die Verfolgte die jeweilige auf sich bezogene Maßnahmen hinsichtlich ihrer Zielrichtung nach objektivierter Betrachtungsweise einschätzen kann oder konnte.
(…)

32

Und auch eine Beweisregel, die es zur Voraussetzung machte, dass die Intention stets für sich genommen festzustellen sei, mit der Folge, dass deren Ableitung aus den feststellbaren objektiven Gegebenheiten ausscheiden müsste, stünde nach all dem nicht im Einklang mit der Zweckrichtung des Flüchtlingsrechts. Da die Chancen des Schutzsuchenden, die reale Gefahr von Verfolgung direkt zu belegen eher die Ausnahme als die Regel ist, kann eine solche auch alleine auf verlässliche Herkunftslandinformationen zu stützen bzw. daraus abzuleiten sein (so treffend Hathaway/Foster, a.a.O., S. 122, m.w.N.). Für die Feststellung einer Verfolgungsintention kann nichts anderes gelten.

33

Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 -10 C 26.10 -, InfAusIR 2011,408). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut vorn solcher Verfolgung bedroht ist, Art. 4 Abs. 4 der Anerkennungsrichtlinie, in der Vergangenheit liegenden Umständen kommt damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., S. 332 ff, 339 ff.).

34

Erst in dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur. Für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG; BVerwG, Urteil vom18.12.2008 -10 C 27.07 BVerwGE 133, 31). Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger zugeschrieben werden, vgl. § 3b Abs. 2 AsylG.

35

Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann hur derjenige beanspruchen, der Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Ist der Schutzsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine qualifizierte und bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der konkreten Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.

36

Eine so verstandene wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann aber gerade auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise für dessen Eintritt ein Grad der Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, der - auch deutlich - unter 50 v.H. liegt (vgl. auch Berlit, ZAR 2017, 110 < 115 f.>). Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen in ihrer Bedeutung überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Allerdings reicht die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung noch nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen.

37

Ergeben alle Umstände des Einzelfalles jedoch die „tatsächliche Gefahr“ (sog. „real risk“) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Er wird bei der Abwägung aller Umstände im Übrigen auch immer die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen entscheidungserheblichen und motivationsbildenden Unterschied machen, ob er etwa lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber schwere Misshandlungen bzw. Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (schon BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 -9C 118,90-, BVerwGE 89, 162 <169f.> m.w.N. und erneut Beschluss vom 07.02.2008 -10 C 33.07 -, AuAS 2008, 118). Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten oder sich der Gefahr durch Rückkehr in das Heimatland auszusetzen. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z.B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen, auf die bei der Bewertung der drohenden Gefahr abzustellen ist (VGH Bad.- Württ, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, Asylmagazin 2014, 389).

38

Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gewonnen haben muss.

39

In diesem Zusammenhang sehen sich die Rechtsanwender nicht selten mit der Situation konfrontiert, dass keine relevante und größere Zahl von Referenzfällen zu bestimmten Verfolgungsszenarios bekannt geworden ist und auch individualisierbar belegt werden kann. Es handelt sich um eine für den Flüchtlingsschutz grundlegende und nicht untypische Problemstellung. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei Regimen, die weitgehend außerhalb rechtstaatlicher und menschenrechtlicher Grundsätze operieren und bei denen eine menschenverachtende Verfolgungspraxis ein allgegenwärtiges Phänomen darstellt, Folterungen und Misshandlungen nach außen hin nicht zuverlässig und umfassend dokumentiert werden können, sondern sich weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, wenn nicht gar im Verborgenen in einer Grauzone abspielen.

40

Unter solchen Umständen kommt den in den einzelnen Erkenntnisquellen dargelegten Berichten zur allgemeinen Menschenrechts- und Verfolgungssituation in dem betreffenden Herkunftsland hervorgehobene Bedeutung zu. Aus ihnen sind Schlussfolgerungen auch auf die den Einzelnen treffende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu ziehen. Demgemäß können auch allgemeine Erkenntnisse zur Verfolgungssituation eines Landes in Verbindung mit einer nur begrenzten Anzahl bekannt gewordener Verfolgungsfälle im Einzelfall die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass in Wahrheit die Zahl der tatsächlichen Verfolgungsfälle erheblich über der der dokumentierten Sachverhalte liegt bzw. für den Zeitpunkt der Rückkehr des Ausländers in sein Heimatland liegen wird. Dagegen kann eine Flüchtlingsanerkennung nicht ausschließlich von einer nach Person und Schicksal der Opfer genau spezifizierten Auflistung von konkreten Verfolgungsfällen abhängen. Denn dies würde bedeuten, dass eine Verfolgungswahrscheinlichkeit für solche Länder zu verneinen wäre, deren Repressionspraxis zwar allgemein bekannt ist, aber nicht in ihren Abläufen im Einzelnen offen zu Tage liegt, weil sie naturgemäß abgeschirmt im Geheimen stattfindet und - oftmals um der Aufrechterhaltung eines gewissen Scheines - das Licht der Öffentlichkeit scheut, weshalb auch konkreten Opfer nach Person und Zahl weitgehend unbekannt bleiben müssen.“

41

In Fortführung dieser Grundsätze ist der Senat der Auffassung, dass auch dann eine volle richterliche Überzeugung der Prognose beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgung vorliegen kann, wenn wegen der Schwierigkeiten der Erkenntnisgewinnung eine eindeutige Faktenlage nicht ermittelt werden kann, sondern in der Gesamtsicht der vorliegenden Erkenntnisse ausreichende Anhaltpunkte für eine Prognose sowohl in die eine wie die andere Richtung vorliegen, also eine Situation vorliegt, die einem non-liquet vergleichbar ist. Denn die beachtliche Wahrscheinlichkeit ist kein mit der Genauigkeit naturwissenschaftlicher Methoden bestimmbarer Grad an Wahrscheinlichkeit, sondern ist maßgeblich ein Akt wertender Erkenntnis, die sich im hier vorliegenden rechtlichen Zusammenhang auf die Zumutbarkeit der Rückkehr bezieht. Die Zumutbarkeit einer Rückkehr muss in einem solchen Fall anhand eines möglichen, nicht gewissen, aber auch nicht mit größerer Sicherheit auszuschließenden Risikos politischer Verfolgung gemessen werden. Die richterliche Überzeugung wiederum bezieht sich auf die Zumutbarkeit, bedarf aber einer Untermauerung durch eine angemessene Faktenlage. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des humanitären Ansatzes des Flüchtlingsrechts (vgl. Putzer NVwZ 2017, 1176,1178).

42

Im vorliegenden Fall ist für die Gruppe derjenigen syrischen Staatsangehörigen, die sich der Pflicht zur jederzeitigen Verfügbarkeit für die Ableistung des Reservedienstes in der syrischen Armee durch Ausreise in das europäische Ausland entzogen haben, zu entscheiden, ob ihnen deswegen bei einer Rückkehr nach Syrien politische Verfolgung droht. Für diese Fallgruppe gibt es keine einheitliche Rechtsprechung der deutschen Obergerichte. Diese werten die zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel unterschiedlich und verpflichten teilweise die Beklagte zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, verneinen aber teilweise auch einen entsprechenden Anspruch. Der Senat ist nach Auswertung der ihm zur Verfügung stehenden und auf die aktuelle Situation in Syrien bezogenen Erkenntnismittel zu der Feststellung gekommen, dass die sich daraus ergebende Faktenlage keine eindeutigen Rückschlüsse oder Prognosen zulässt (vgl. zum Problem der [unsicheren] Datenlage betreffend die Situation in Syrien Deutsche Orient-Stiftung/Deutsches Orient- Institut Auskünfte an das OVG Schleswig zum Az. 3 LB 17/16 und 12 A 222/16; an den VGH Kassel zum Az. 3 A 3040/16.A; an den VGH Mannheim zum Az. A 11 S 2334/16).

43

Zunächst ist nicht ersichtlich, dass syrische Staatsangehörige, die in Europa Zuflucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien gesucht haben und sich auf diese Weise der Wehr- oder Reservistenpflicht in Syrien entzogen haben, in den letzten Jahren in nennenswertem Umfang zwangsweise oder freiwillig nach Syrien zurückgekehrt sind. Daher fehlt es an so genannten Referenzfällen für diese Personengruppe. Auf diese Personengruppe bezogene unmittelbare Erkenntnisse fehlen.

44

Den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ist zu entnehmen, dass die staatlichen syrischen Sicherheitsbehörden, zu denen auch die nominell unter der Kontrolle der Regierung stehenden syrischen Milizen zählen, in einem frühen Stadium des Bürgerkrieges, in dem die syrische Armee erhebliche personelle Verluste erlitten hatte, mit großer Entschlossenheit das Territorium, das sie damals noch beherrschte, auf wehrfähige Männer kontrollierte und solche Personen, die sich der Wehr- oder Reservistenpflicht entzogen hatten, mit großer Wahrscheinlichkeit zu diesem Dienst heranzog und es nicht ausgeschlossen war, dass diese Personen nach ihrer Festnahme misshandelt, für einen längeren Zeitraum in einem staatlichen Gefängnis festgehalten oder getötet wurden. Manches spricht dafür, dass sich daran trotz der deutlich veränderten militärischen Lage wenig geändert hat. Zwar beherrscht die syrische Regierung, wenn auch gestützt auf massive militärische Unterstützung durch ausländische Truppen und Milizen, mittlerweile wieder große Teile des syrischen Staatsgebietes, doch ist ein Ende des Bürgerkrieges nicht in Sicht. Nach Auskunft des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich findet weiterhin unvermindert eine Rekrutierung von männlichen Syrern statt. Bei männlichen Personen im wehrfähigen Alter wird auch kontrolliert, ob diese ihren Wehrdienst bereits abgeleistet haben. Solche Männer sind bei der Einreise nach Syrien besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu werden. Dabei ist das System sehr unberechenbar (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien - Gesamtaktualisierung am 25.01.2018). Die Umsetzung der Bestrafung bei Wehr- oder Reservedienstentziehung ist willkürlich. Die Bestrafung kann vom Profil, von der Herkunftsregion oder vom Beziehungsnetz der betroffenen Person abhängen. Bei dem Verdacht von Kontakten zur Opposition werden Untersuchungen und Folter intensiviert (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion Stand 23.03.2017). Verhaftungen und Gefängnisstrafen sind nicht ausgeschlossen, wobei es dabei zu Folter und anderen Misshandlungen kommen kann (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei der Rekrutierung, Stand 18.01.2018). Nach Erkenntnissen des UNHCR droht Männern, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, in der Praxis vielfach nach nur kurzer militärischer Ausbildung die Verwendung an der Front, wobei es auch zu Fällen längerer Haft und Folter kommen kann (UNHCR Auskunft an den VGH Kassel v. 30.05.2017 S.2 f.; UNHCR International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic Update V, November 2017).

45

Diesen Erkenntnismitteln kann entnommen werden, dass syrischen Staatsangehörigen, die sich durch die Ausreise in das Ausland dem Wehr- oder Militärdienst entzogen haben, bei Rückkehr nach Syrien die Einziehung zum Wehr- bzw. Reservedienst droht und dass wegen der damit verbundenen Ermittlungen der staatlichen Behörden, die mit einer Festsetzung oder Verhaftung der betroffenen Person einhergeht, die Gefahr besteht, dass diese Person wenigstens misshandelt wird. Darin liegt eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 und 3 AsylG.

46

Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass diesen Personen von Sicherheitskräften vorgeworfen wird, Verbindungen zur Opposition zu haben, weil sie sich im Ausland aufgehalten haben oder dass in der Nichterfüllung des Wehr- oder Reservedienstes eine oppositionelle Gesinnung gesehen wird (vgl. UNHCR Auskunft an den VGH Kassel v. 30.05.2017 S.3 f.; UNHCR International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic Update V, November 2017 S. 39 f.). Aus der genannten Erkenntnisquelle ergibt sich aber auch, dass diese Verdächtigung nicht systematisch erhoben wird. Dies hängt von weiteren Faktoren wie dem Herkunftsort/Wohnort, der Familien- oder Stammeszugehörigkeit; der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgruppe ab (UNHCR Auskunft an den VGH Kassel v. 30.05.2017 S.3 ff.). Vielfach bleibt es bei der zwangsweisen Durchsetzung der Wehr- oder Reservedienstpflicht, ohne dass erkennbar ist, dass dies auch Ausdruck der Verfolgung einer unterstellten oppositionellen Gesinnung ist. Angesichts der völligen Willkürlichkeit des Vorgehens staatlicher Sicherheitskräfte kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Einziehung zum Wehr- und Reservedienst, die für sich genommen keine politische Verfolgung darstellt, nicht regelmäßig mit der Verdächtigung oppositionellen Handelns und den dadurch verwirkten Verhaftungen, Kriminalstrafen sowie Misshandlungen und Folter verbunden ist, auch weil das Regime auch ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Kampfkraft seiner Truppen hat (vgl. Auskunft des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich vom 25.01.2018 - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien - Gesamtaktualisierung am 25.01.2018). Dies gilt auch angesichts der allgemeinkundigen Brutalität des syrischen Regimes im Umgang mit seinen auch vermeintlichen Gegnern.

47

Ist unter diesen Umständen eine sichere Prognose einer politischen Verfolgung solcher nach Syrien zurückkehrender Personen, die ihrer Wehr- oder Reservedienstpflicht nicht nachgekommen sind, nicht möglich, eine ihnen drohende politische Verfolgung aber keineswegs ausgeschlossen, sondern ihr Schicksal der Willkür der staatlichen syrischen Stellen überlassen, die ihrerseits freie Hand haben, wie sie mit diesen Rückkehrern umgehen, besteht ein tatsächliches Risiko der politischen Verfolgung, das diesem Personenkreis eine Rückkehr nach Syrien unzumutbar macht. Dies gilt unabhängig davon, dass sie möglicherweise über subsidiären Schutz verfügen, weil diese Schutzgewährung keine Ausschlusswirkung bezogen auf die Flüchtlingseigenschaft hat.

48

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.

49

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer drohenden politischen Verfolgung auch dann vorliegt, wenn eine eindeutige Prognoseentscheidung nicht möglich ist, zuzulassen.

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten über den ihm zugestandenen subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.

Der Kläger ist ein am … 1986 in … geborener Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien kurdischer Volkszugehörigkeit muslimischen Glaubens (Sunnit). Er reiste seinen Angaben zufolge mit seiner Ehefrau (Klägerin im Verfahren 21 B 16.31002) im Dezember 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 12. April 2016 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 10. Mai 2016 äußerte er sich im Wesentlichen wie folgt (vorgelegte Unterlagen: Personalausweis, Familienbuch, Militärheft, Reisepass):

Bis zu seiner Ausreise aus Syrien im September 2015 habe er sich in der Stadt …, Stadtteil …, gemeinsam mit seiner Ehefrau aufgehalten. Unter der genannten Adresse lebe noch seine Mutter. Nach dem Abitur habe er von November 2005 bis 1. Dezember 2007 Wehrdienst leisten müssen. Das sei seine Grundausbildung gewesen, er sei eine Stufe über dem Rekruten entlassen worden. Gearbeitet habe er als Verkäufer in einem kleinen Bekleidungsgeschäft. Er sei nicht Mitglied einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppierung gewesen oder einer politischen Partei. Augenzeuge oder Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder von Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder andere Misshandlungen) durch kämpfende Einheiten auf die Zivilbevölkerung sei er nicht gewesen. Er habe auf seinem Weg nach Deutschland und in Deutschland weder Kenntnis von Personen erlangt, die er als Unterstützer oder Mitglieder von extremistischen oder terroristischen Organisationen eingeschätzt habe, noch von Personen, von denen er habe annehmen müssen, dass sie für einen Nachrichtendienst arbeiten. Auf Frage, was dem Kläger persönlich vor seiner Ausreise aus Syrien passiert sei, gab er Folgendes an: Vor seiner Ausreise seien zwei Männer des Regimes bei ihm zu Hause gewesen und hätten nach ihm gefragt, weil er Reservist sei. Er habe aber weder beim Militär noch bei der PKK mitmachen wollen, die jetzt in der Stadt sei. Es sei allgemein nicht sicher dort, es werde bombardiert und gebe Anschläge. Wegen des Kriegs sei er ausgereist. Unterlagen darüber, dass er als Reservist habe einberufen werden sollen, habe er nicht. Er sei nicht zu Hause gewesen als die Männer gekommen seien. Seine Mutter habe nichts unterschrieben und gesagt, dass er nicht da sei. Das sei ungefähr eineinhalb Monate vor der Ausreise gewesen. Die genannten Männer hätten ihnen nur Bescheid geben wollen. Sie hätten das Haus nicht durchsuchen können, weil die Stadt von der PKK kontrolliert worden sei. Die Checkpoints außerhalb hätten sie gemieden, weil die Männer ihnen nur außerhalb etwas hätten anhaben können. Die zwei Männer seien von der Rekrutierungsstelle aus Qamishli gekommen. Obwohl die PKK die Stadt kontrolliere, dürften diese Männer mehr als Show in der Stadt agieren. Solange sie sich nicht einmischen, würden sie in Ruhe gelassen. Sowohl von den Kurden, als auch vom Regime habe er etwas zu befürchten. Er habe sich immer nur in seinem Viertel bewegen und sich von den Checkpoints fernhalten müssen. Immer wieder habe es Gefechte gegeben. Man könne immer wieder erwischt werden und dann zum Militärdienst eingezogen werden. Eine Nachricht hätten die Männer nicht hinterlassen. Bei einer Rückkehr nach Syrien müsse er entweder zum Militär oder er würde von den Kurden rekrutiert werden.

Das Bundesamt erkannte den Kläger mit Bescheid vom 26. Mai 2016 als subsidiär Schutzberechtigten an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Beklagte mit Urteil vom 25. Juli 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob der Kläger vorverfolgt aus Syrien ausgereist sei, da ihn jedenfalls bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine staatliche Verfolgung drohe. Der syrische Staat betrachte generell und unterschiedslos das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politischen missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System, die das Gebot der Loyalität verletze. Dies gelte ungeachtet einer oppositionellen Haltung eines Einzelnen.

2. Die Beklagte begründet die vom Senat mit Beschluss vom 19. Dezember 2016 zugelassene Berufung wie folgt:

„Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könne auf der Grundlage der aktuellen Quellenlage nicht tragfähig darauf geschlussfolgert werden, dass nach Syrien Rückkehrenden regelmäßig mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung in Anknüpfung an eine (ggf. illegale) Ausreise, den Auslandsverbleib und die Asylantragstellung drohen. Dies haben der erkennende Senat (U.v. 12.12.2016 - 21 B 16.30338, 21 B 16.30364, 21 B 16.30371) und das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (U.v. 16.12.2016 - 1 A 10918/16.OVG u.a.) zwischenzeitlich bestätigt. Für einen Anspruch auf den Flüchtlingsstatus bedürfe es neben der kriegsbedingten Gefahren des Hinzutretens individuell gelagerter Risikomerkmale, die beim Kläger nicht erkennbar seien. Die „massenhafte Ausreise seit Beginn des Bürgerkriegs“ spreche auch bei Männern, die sich mit ihrer Flucht dem Wehrdienst entzogen hätten, gegen die Annahme, dass syrische Rückkehrer generell politisch verfolgt würden.

“Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Die Landesanwaltschaft Bayern hat sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses am Verfahren beteiligt.

3. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Der Kläger hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4, Abs. 1, AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verpflichtet, dem Kläger - ungeachtet des ihm mit Bescheid vom 26. Mai 2016 zugesprochenen subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) - die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer - soweit hier von Interesse - Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

1. Es kann dahinstehen, ob der Kläger vorverfolgt aus Syrien ausgereist ist, jedenfalls ergibt sich eine begründete Furcht vor Verfolgung aus den Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger Syrien verlassen hat (sog. Nachfluchtgründe § 28 Abs. 1a AsylG).

Ein solcher Nachfluchtgrund besteht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht deshalb, weil der Kläger aus Syrien ausgereist ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat. Diese Umstände allein rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen den Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien als Oppositionellen betrachten und ihn deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen (vgl. Urteile des Senats vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30338 und 16.30364, 16.30371 - juris).

Eine begründete Furcht vor Verfolgung besteht zur Überzeugung des Senats deshalb, weil sich der Kläger als Reservist durch seinen Auslandsaufenthalt dem Militärdienst entzogen hat.

Eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG liegt vor, wenn dem Kläger bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - juris Rn. 17).

Nach diesem Maßstab und der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist es zur Überzeugung des Senats beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei einer Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle menschenrechtswidrige Maßnahmen drohen, insbesondere Folter als schwerwiegende Verletzung eines notstandsfesten grundlegenden Menschenrechts (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG, Art. 15 Abs. 2, Art. 3 EMRK). Aufgrund des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass die syrischen Sicherheitsbehörden den Kläger, der sich als Reservist durch seinen Auslandsaufenthalt dem Militärdienst entzogen hat, bei Rückkehr in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Persönlichkeitsmerkmale, nämlich eine ihm wegen Verweigerung des Militärdienstes unterstellte regimefeindliche Gesinnung als Oppositionellen behandeln (vgl. allgemein dazu BVerfG, B.v. 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315/335; BVerwG, U.v. 19.1.2009 - 10 C 52.07 - juris Rn. 24).

Diese Beurteilung beruht auf einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts (1.3) unter Einbeziehung der Umstände, die das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad charakterisieren (1.1) und der übrigen für die Prognoseentscheidung erheblichen Tatsachen (1.2).

1.1 Eine Auswertung der in beiden Rechtszügen beigezogenen Erkenntnismittel zeigt, dass das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten ist. Der syrische Staat setzt deshalb alles daran, seine Macht zu erhalten und geht in seinem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor.

Zu den Zielen der syrischen Regierung führt Gerlach in „Was in Syrien geschieht - Essay“ vom 19. Februar 2016 (http: …www.bpb.de/apuz/221168/was-in-syrien-geschieht?p=all) aus:

„Das erklärte Ziel des syrischen Regimes, das sich für den rechtmäßigen Vertreter des Staates hält, ist die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik, also gewissermaßen in den Grenzen von 2011. … Wichtiger noch: das Fortbestehen der Machtarchitektur ohne einschneidende Veränderung, die in einer Entmachtung des Präsidenten Assad oder in der Auflösung jenes Machtkomplexes der drei um den Präsidenten gruppierten Clans Assad, Makhlouf und Shalish bestehen könnte. Diesen Kriegszielen ordnete das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele unter - und zu ihrer Verteidigung nahm es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung, sondern auch massive eigene Verluste in Kauf.“

Einem „Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)“ des Auswärtigen Amts vom 17. Februar 2012 ist zu entnehmen:

„Das syrische Regime setzt im Kampf gegen die syrische Opposition die Armee und Sicherheitskräfte gezielt gegen zivile Siedlungsgebiete ein. …

Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Es gibt vier große Sicherheitsdienste, die unabhängig voneinander alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie sich gegenseitig kontrollieren: Allgemeine Sicherheit, Politische Sicherheit, Militärische Sicherheit und die Sicherheit der Luftwaffe. … Die Befugnisse der Sicherheitsdienste unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhörzentralen, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelt. …

Syrische Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen und die Neuordnung Syriens nach demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Prinzipien anstreben, werden durch das Regime massiv unterdrückt. …

Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränken sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“ (enforced disappearance), tätlichen Angegriffen (z. B. der Karikaturist A. F. und der Oppositionspolitiker R. S.), Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte (z. B. das Kind H. al-K., der Aktivist C. M.) und Mordanschlägen (z.B. der kurdische Oppositionelle M. D.) belegt. Einige Oppositionelle sind daher in den Untergrund gegangen …; viele andere haben Syrien verlassen. …

Menschenrechtsverteidiger schätzen die Zahl der Verhafteten und Verschwundenen auf insgesamt über 40.000. … Willkürliche Verhaftungen sind in Syrien gegenwärtig sehr häufig und gehen von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen (sog. Shabbiha) aus. …

Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). …

Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. …

Es muss davon ausgegangen werden, dass exilpolitische Tätigkeiten den syrischen Sicherheitsdiensten bekannt werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass syrische Familien in Deutschland von den Sicherheitsdiensten als Druckmittel gegenüber noch in Syrien lebenden Verwandten (oder umgekehrt) missbraucht werden. …

Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt an. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. …Gegenwärtig kann sich das Individuum de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deutet darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art ´carte blanche´ erhalten haben. …

Es kommt seit Beginn der Unruhen regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen durch die Sicherheitsdienste, Rechtsmittel dagegen existieren nicht. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste kommt es zu Drohungen und körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. …

Fälle von Verschwindenlassen haben seit März 2011 erheblich zugenommen“ (Namen sind im Original vollständig wiedergegeben).

Der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2015 (https: …www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150414-syr-amnestien.0.pdf) kann entnommen werden:

„Human Rights Watch kritisierte im Januar 2015, dass trotz der Amnestie noch eine Vielzahl Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Medienschaffende sowie Personen, die humanitäre Hilfe geleistet haben, inhaftiert oder in Untersuchungshaft sind. …

In vielen Fällen werden vor allem Aktivisten, Anwälte und Menschenrechtsaktivisten von den Geheimdiensten wochen- und monatelang ohne Verfahren festgehalten. …

Die Anzahl der seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 verhafteten Personen ist umstritten. Das Violations Documentation Center, eine lokale Monitoring Gruppe, ging im Juli 2014 davon aus, dass 40.853 Personen in Haft sind. Der ehemalige UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, ging von zwischen 50.000 und 100.000 Inhaftierten des syrischen Regimes aus. Der UN High Commissioner for Human Rights, Zeid Ra'ad Al Hussein, weist auf Schätzungen zwischen zehntausenden und hunderttausenden Inhaftierten hin. Das Syrian Observatory for Human Rights schätzt, dass 200.000 Personen in syrischen Gefängnissen sitzen. …

Dass die Haftbedingungen schlecht sind und in den Gefängnissen gefoltert wird, ist seit langem dokumentiert, auch bereits vor dem Konflikt. Folter ist insbesondere in der ersten Zeit der Haft üblich, um an Informationen zu kommen, die Häftlinge einzuschüchtern und um Schuldeingeständnisse zu erzwingen. Folter und die schlechten Haftbedingungen führen zu Todesfällen. …

Viele friedliche Aktivisten, die aufgrund des Anti-Terrorismus-Gesetzes verurteilt worden sind und von der Amnestie hätten profitieren sollen, blieben weiterhin in Haft.“

Die vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 (https: …www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf) äußert sich in Fußnummer 74 u.a. wie folgt:

„Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die man für einen Regierungsgegner hält, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen einschließlich der Kinder der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder zur Vergeltung der Aktivitäten bzw. des Loyalitätsbruchs der gesuchten Person oder zwecks Einholung von Informationen über ihren Aufenthaltsort oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen anzuerkennen.”

Die Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada (Immigration and Refugee Board of Canada) verweist in einem Bericht (Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 4 - zitiert nach der in das Verfahren eingeführten Übersetzung in die deutsche Sprache) auf folgende Erkenntnisse von Amnesty International (Between Prison and the Grave, Enforced Disappearances in Syria, November 2015), Human Rights Watch (Syria, World Report 2015: Events of 2014, 29.1.2015) und OHCHR (Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic, 14.4.2014) hin:

„Laut AI hat die in Syrien stationierte Kontrollgruppe Syrian Network for Human Rights über 58.000 Fälle von Zivilisten dokumentiert, die zwischen März 2011 und August 2015 durch die syrische Regierung ´zwangsweise´ verschwunden sind, und am 30. August 2015 immer noch als vermisst gelten (AI, Nov. 2015, 7). Des Weiteren vermerkt dieselbe Quelle, dass alle vier Truppengattungen der syrischen Sicherheitskräfte, bestehend aus dem militärischen Geheimdienst, dem Geheimdienst der Luftwaffe, dem politischen Sicherheitsdienst und dem allgemeinen Geheimdienst (auch Staatsicherheit genannt), Personen zwangsweise verschwinden lassen würden und dass es überall im Land Gefangenenlager gebe (ebd.). AI erklärt, dass diese Gefangenen ´außerhalb des gesetzlichen Schutzes gestellt werden, und dass ihnen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder ein faires Gerichtsverfahren verwehrt wird´; dass Gefangene in überfüllten Behausungen gehalten und regelmäßig einem Katalog der Folter ausgesetzt werden´(ebd., 8). Human Rights Watch und der UNHCR berichten über die weit verbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, der Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden (UN, 14. Apr. 2014, 1; Human Rights Watch, 29. Jan. 2015, 2 - 3).“

Nach den im Amnesty Report 2016 vom 2. März 2016 (http: …www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) festgehaltenen Erkenntnissen von Amnesty International hat sich an dieser Lage nichts zum Guten geändert. Dem Report ist u.a. zu entnehmen:

„Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben „verschwunden“. Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. …

Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. …

10.000 Personen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterrorgericht oder vor militärischen Feldgerichten.“

1.2 Darüber hinaus sind folgende Prognosetatsachen zu berücksichtigen:

1.2.1 Es ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über seinen Auslandsaufenthalt und den Grund seiner Abschiebung befragt wird. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob der Kläger von den Behörden gesucht wird. Die obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte und die Sicherheitskontrollen, die von Grenzbeamten am Flughafen Damaskus und anderen Eingangshäfen durchgeführt wird, beinhaltet zu überprüfen, ob der Rückkehrer seinen Wehrdienst abgeleistet hat (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 2 f. und 8, Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier v. 12.10.2016 zur Ausreisekontrolle). Auch nach einer Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee“, v. 30.7.2014, S. 7) können Personen, die während ihres Auslandsaufenthalts zum Wehrdienst einberufen wurden, bei ihrer Einreise durch die syrischen Behörden identifiziert werden, da ihr Name auf einer entsprechenden Suchliste zu finden ist.

1.2.2 Zu den Umständen und Folgen einer solchen Überprüfung für einen abgelehnten Asylbewerber, der sich als Wehrpflichtiger oder Reservist durch den Auslandsaufenthalt der Einberufung zum Militärdienst entzogen hat, ergibt die Auskunftslage Folgendes:

Die Ermittlungsabteilung (Research Direcorate) der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde hat dazu verschiedene sachkundige Personen befragt. Ein leitender auf Syrien spezialisierter Gast-Forschungsbeauftragter am King´s College London (Visiting Senior Research Fellow, telefonische Befragung am 15.12.2015) bekundete gegenüber der kanadischen Behörde, dass Sicherheitsbeamte am Flughafen und anderen Grenzübergängen eine „carte blanche“ hätten, um zu tun, was immer sie tun wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen. Wenn ein Sicherheitsbeamter jemanden verdächtige, nähmen sie ihn möglicherweise sofort mit. In diesem Fall könne die Person verschwinden oder gefoltert werden. Das System sei sehr unberechenbar, Rechtsbehelfe gegen die Misshandlungen der Grenzbeamten gebe es nicht. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden (so ein emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford - emeritus Professor of anthropology and forced migration at Oxford University, telefonische Befragung am 11.12.2015; sowie der Vorstand der Nichtregierungsorganisation „Syrisches Zentrum für Justiz und Rechenschaftspflicht“ - Executive Director „Syria Justice and Accountability Center“, telefonische Befragung am 14.12.2015). Der emeritierte Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford (telefonische Befragung am 11.12.2015) beschrieb Männer im wehrpflichtigen Alter als die „meist gefährdete“ Gruppe in Bezug auf die Behandlung seitens der syrischen Behörden an den Eingangshäfen, „besonders wenn sie niemals im Militär gedient haben“. Eine Programmbeauftragte (program officer) am Center for Civilians in Conflict (CIVIC), die sich spezialisiert hat auf humanitäre und Flüchtlingsthemen in Syrien und im Irak, äußerte in einem Telefoninterview am 11. Dezember 2015, dass junge Männer zwischen 16 und 40 Jahren von den Grenzbeamten „besonders verfolgt“ werden und „allseits der Zwangswehrpflicht unterstellt seien“, auch wenn sie ihren Militärdienst schon abgeleistet hätten (vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 8f.).

1.2.3 Auch aus dem System der allgemeinen Wehrpflicht in Syrien und den während des Kriegs eingeführten Reisebeschränkungen für militärdienstpflichtige Männer lassen sich Erkenntnisse für die vorzunehmende Gesamtschau gewinnen:

Das System der allgemeinen Wehrpflicht beruht auf folgenden Grundsätzen: In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren. Männer, die 18 Jahre alt werden, müssen sich zur Generalrekrutierungsstelle begeben (Befragung, Foto, Bluttest). Danach wird ihnen ein Militärdienstbuch ausgehändigt. Bei Beginn des Militärdienstes müssen bei der Generalrekrutierungsstelle die zivilen Ausweise und das Militärdienstbuch abgegeben werden und der Betreffende erhält umgehend den Militärdienstausweis bevor er zu seiner Einheit entsandt wird. Wenn der Dienst absolviert ist, bekommt man „Entlassungspapiere“, die man bei der Generalrekrutierungsstelle abgibt und erhält den zivilen Ausweis und das Militärbuch - versehen mit dem Stempel, dass der Militärdienst geleistet und die Person entlassen wurde (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 13.8.2014, SYR104921.E, S. 5).

Von der Wehrpflicht ausgenommen sind der einzige Sohn einer Familie und Männer mit medizinischen Einschränkungen. Im November 2011 ist die Möglichkeit für Studenten und Personen in Ausbildung aufgehoben worden, ihren Wehrdienst zu verschieben (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee v. 30.7.2014, S. 2)

Zur Frage wie im Zusammenhang mit der allgemeinen Wehrpflicht eine Einberufung in Syrien „verfahrenstechnisch“ abläuft, führt das Auswärtige Amt in seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2. Januar 2017 (Az.: 508-9- 516.80/48808) aus:

„Die Männer werden per Einberufungsbescheid zum Ableisten des Wehrdienstes aufgefordert. Wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, werden von Mitarbeitern der Geheimdienste für den Militärdienst zwangsrekrutiert. Es gibt Berichte, dass junge Männer an Checkpoints verschleppt und zwangsrekrutiert werden. Männern im wehrpflichtigen Alter wird die Ausreise aus dem Land verboten und der Reisepass vorenthalten“.

Nach den Ermittlungen der Agence-France-Presse (AFP) hätten syrische Behörden das Recht, im Kriegsfall oder im Falle einer Erklärung eines Ausnahmezustands, alle männlichen Personen zwischen 18 und 42 Jahren, die ihren Wehrdienst abgeleistet hatten, wieder einzuberufen (AFP v. 27.3.2012 „Syria Imposes Travel Ban on Men Under 42: Reports“). Zum Thema Reisebeschränkungen der militärdienstpflichtigen Männer heißt es, dass die Regierung allen Männern zwischen 18 und 42 Jahren offiziell verboten habe, außerhalb des Landes zu reisen (The Christian Science Monitor v. 27.3.2012, „As Syria’s War Rages, Assad Bans Military-Age Men From Leaving“). Einschränkend gibt die AFP an, dass diese Männer reisen dürften, aber vorher eine Genehmigung von den Behörden bräuchten und das bisherige Reiseverbot sich nur auf Männer bezogen habe, die ihre zweijährige Wehrpflicht noch nicht abgeleistet hätten (AFP v. 27.3.2012; vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 13.8.2014, SYR104921.E, S. 6 f.).

Das Deutsche Orient-Institut hat folgende Erkenntnisse (Deutsches Orient-Institut an das Schleswig-Holsteinische OVG undatiert, abrufbar über MILo datiert vom 8.11.2016):

„Die syrische Regierung beschloss im März 2012, dass die Ausreise für alle männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren untersagt bzw. nur nach einer zuvor erteilten Genehmigung gestattet ist, auch wenn diese bereits ihren Wehrdienst abgeleistet haben. Besonders männliche syrische Staatsangehörige sehen sich nach einer Wiedereinreise in das durch die syrische Regierung kontrollierte Gebiet wenn älter als 18 Jahre der Einberufung in den Wehrdienst gegenüber… Die aktuelle Lage hat das Ableisten des Wehrdienstes allerdings sehr gefährlich werden lassen, da die Streitkräfte in weiten Teilen des Landes im Kampfeinsatz sind und die Ausbildungszeit enorm verkürzt wurde. Wurde der Wehrdienst also nicht vor der Ausreise abgelegt, so kann dies von Seiten der syrischen Regierung verlangt werden. Diente die Ausreise unter anderem dem Zweck, sich dem Wehrdienst zu entziehen (z.B. durch Flucht oder Bestechung eines direkten Vorgesetzten), so hat dies eine harte Bestrafung, bis hin zur Todesstrafe, aber oft auch Folter, zur Folge. Auch wenn der Wehrdienst bereits verrichtet wurde, kommt es seit Anfang 2011 dazu, dass männliche Staatsangehörige bis zu einem Alter von 42 Jahren erneut eingezogen werden.“

Den Auskünften der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ist Folgendes zu entnehmen:

„Nachdem die allgemeine Wehrpflicht absolviert ist, haben Männer die Möglichkeit, für die Dauer von fünf Jahren in den aktiven Militärdienst einzutreten. Ansonsten dienen sie während den nächsten 18 Jahren als Reservisten. … Es gibt keine Möglichkeit für einen Ersatzdienst. Wehrdienstverweigerung wird gemäß dem Military Penal Code von 1950, der 1973 angepasst wurde, bestraft. In Artikel 68 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Gemäß Artikel 101 wird Desertion mit fünf Jahren Haft oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt.“ (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee v. 30.7.2014 S. 3)

„Im Herbst 2014 erließ das Regime verschiedene Maßnahmen, um die Ausreise wehrdienstpflichtiger Männer zu verhindern. Bereits seit dem Ausbruch des Krieges verlangen die syrischen Behörden bei der Ausreise von Männern, die zwischen 18 und 42 Jahre alt sind, eine offizielle Beglaubigung des Militärs, dass sie vom Dienst freigestellt sind. Am 20. Oktober 2014 verbot die General Mobilisation Administration des Department of Defence allen Männern die Ausreise, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind. Mit den neuen Restriktionen haben Männer in den 20ern keine Möglichkeiten mehr, das Land legal zu verlassen. In einer weiteren Regulierung ist festgehalten, dass alle, welche eine Ausreisebewilligung haben, ein Depot von 50.000 syrischen Pfund hinterlegen müssen, das erst bei der Rückkehr nach Syrien wieder ausgehändigt wird.“ (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien, Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.3.2015, S. 4).

1.2.4 Zum Vorgehen des syrischen Regimes bei der Rekrutierung von Wehrdienstverweigerern sind folgende Umstände in den Blick zu nehmen:

Das Auswärtige Amt beruft sich auf zahlreiche Berichte, wonach auch Reservisten zum Militärdienst eingezogen werden (vgl. Auswärtiges Amt an das VG Düsseldorf v. 2.1.2017, Az.: 508-9-516.80/48808).

Zur Mobilisierung von Reservisten führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe aus:

„… wurde 2011 geschätzt, dass die syrische Armee über zwischen 280.000 und 450.000 Reservisten verfügt. In Kriegszeiten werden Reservisten einberufen. Die Einberufung als Reservist wird wie die Einberufung in den Militärdienst individuell ausgehändigt. … Seit Ende 2012 werden immer mehr Reservisten in den Militärdienst einberufen. Tausende sollen 2012 einen Einberufungsbefehl erhalten haben. 2012 wurde geschätzt, dass die syrische Armee seit dem Ausbruch des Krieges aufgrund von Desertionen und Verlusten um die Hälfte reduziert worden ist. Präsident Assad ist dringend auf den Einsatz von Reservisten angewiesen. Im März 2012 verbot die syrische Regierung deshalb allen Männern zwischen 18 und 42 Jahren, das Land ohne Bewilligung zu verlassen.“ (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee v. 30.7.2014, S. 6 f).

„Seit Herbst 2014 ergriff das syrische Regime verschiedene Maßnahmen, um die durch Desertion und Verluste dezimierte syrische Armee zu stärken. Seither kommt es zu großflächiger Mobilisierung von Reservisten, Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bis anhin dem Militärdienst entzogen haben. Zudem ergriff das syrische Regime neue Maßnahmen, um gegen Desertion und Wehrdienstentzug anzukämpfen. … Dort wo die syrische Regierung die Kontrolle hat, sind die administrativen Strukturen noch intakt und wehrdienstpflichtige Männer erhalten Einberufungsbefehle. Auch intern Vertriebene werden an ihren neuen Aufenthaltsorten registriert und in den Militärdienst aufgeboten. Prinzipiell rekrutiert das syrische Regime alle Männer unabhängig vom ethnischen oder religiösen Hintergrund. … Im Oktober 2014 intensivierte das syrische Regime an verschiedenen Orten des Landes die Mobilisierung von Reservisten. Die syrische Armee und die regierungstreuen Milizen etablierten neue Checkpoints und intensivierten Razzien im öffentlichen und privaten Bereich, um diejenigen Reservisten zu finden, die sich bis anhin dem Dienst entzogen haben. Im Oktober 2014 begann das Regime in Hama mit einer Generalmobilmachung aller Reservisten, die nach 1984 geboren sind. Über 1.500 Männer wurden innerhalb von vier Tagen an Checkpoints verhaftet. Eine ähnliche Operation fand in Homs statt, dort wurden 1.200 Männer verhaftet. Eine weitere Generalmobilmachung begann am 27. Oktober in Deir ez-Zour. Gemäß dem Institute for the Study of War (ISW) zirkulieren an den Checkpoints der syrischen Armee Listen mit über 70.000 Namen von Personen, die als Reservisten eingezogen werden sollen.“ (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.3.2015, S. 2 ff.)

Zur intensivierten Suche nach Deserteuren und Männern, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe weiter aus:

„Zusätzlich zur Mobilisierung der Reservisten intensivierte das Regime die Suche nach Refraktären, jungen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen haben. Es wurden mobile Checkpoints errichtet und die Sicherheitsdienste führten anhand von Listen, die auch an Checkpoints und an der Grenze genutzt werden, Razzien durch. Diese Maßnahmen wurden in allen vom Regime kontrollierten Gebieten durchgeführt, von Aleppo im Norden bis nach Daraa im Süden des Landes und von Latakia und Tartus an der Küste bis nach al Hasaka im Osten des Landes. Bereits in den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 dokumentiert das Syrian Network for Human Rights über 5.400 Verhaftungen von wehrdienstpflichtigen jungen Männern. … werden Deserteure und Personen, die sich dem Militärdienst entzogen haben, inhaftiert und verurteilt. In Haft kommt es zu Folter und Menschenrechtsorganisationen berichten über Exekutionen von Deserteuren. Auch Familienangehörige werden verhaftet oder von syrischen Behörden unter Druck gesetzt. Männer, die von Sicherheitsdiensten aufgegriffen werden, werden meistens vom militärischen Sicherheitsdienst oder dem Luftwaffensicherheitsdienst verhaftet. Einige werden vor das Militärgericht al-Qaboun in Damaskus gestellt. Das Office of United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) hat bei beiden Sicherheitsdiensten Fälle von Folter dokumentiert. Einige der Verhafteten werden vom Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt, bevor sie eingezogen werden, andere werden verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt. Viele Männer, die im Rahmen dieser Maßnahmen einberufen werden, erhalten eine nur sehr begrenzte militärische Ausbildung und werden zum Teil innerhalb nur weniger Tage an die Front geschickt.“ (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.3.2015, S. 3 f.).

Die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) hat am 3. Februar 2016 eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährdung dahingehend beantwortet, dass in den vergangenen Wochen mehrere tausend Personen in Syrien zum Wehrdienst eingezogen worden seien. Laut Augenzeugenberichten soll sich die Anzahl junger Männer in den Straßen von Damaskus deutlich verringert haben. Einige hätten darüber berichtet, dass über die Überprüfung an Checkpoints hinaus auch Wohnhäuser aufgesucht worden seien, um Wehrdienstverweigerer zu rekrutieren. Auch habe es verlässliche Berichte darüber gegeben, dass Personen aus dem Gefängnis hinaus zum Wehrdienst eingezogen worden seien.

Nach einem Artikel in „Syria Deeply“ (unabhängiges digitales Medienprojekt in New York) vom 16. Dezember 2015 habe es in Damaskus eine erhöhte Anzahl von Verhaftungen an staatlichen Kontrollstellen gegeben; die Behörden würden vermehrt prüfen, ob jemand sich dem Wehrdienst entziehe (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 8f.).

1.2.5 Nach der Überzeugung des Senats kann der von der Beklagten eingewandten gelockerten Ausstellungspraxis bei syrischen Reisepässen seit April 2015 wegen der wirtschaftlichen Dimension für den syrischen Staatshaushalt durch erhebliche Einnahmen keine Zielrichtung des Inhalts entnommen werden, dass dadurch die Ausreise von Männern im militärdienstpflichtigen Alter (Wehrpflichtige, Reservisten) staatlicherseits geduldet werden soll.

Nach Auskunft der Botschaft Beirut (Referat 313) vom 3. Februar 2016 (Antwort auf eine Anfrage des Bundesamts) werden seit April 2015 von syrischen Stellen innerhalb Syriens, aber auch von den syrischen Auslandsvertretungen wieder vermehrt syrische Reisepässe ausgestellt. Die Kosten belaufen sich innerhalb Syriens (Damaskus) auf ca. 40 USD, außerhalb Syriens auf ca. 400 USD. Da sich die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes im ersten Quartal 2015 weiter verschlechtert habe, sei zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen syrischen Staatshaushalt zugute kämen. Letztlich lägen der Botschaft Beirut aber keine konkreten Erkenntnisse zur Verwendung syrischer staatlicher Einnahmen vor. Im Übrigen kann ein Staat auch andere geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Ausreise der Personengruppe der militärdienstpflichtigen Männer zu erschweren, wie z.B. das Erfordernis einer behördlichen Ausreisegenehmigung (s.o. 1.2.3). Eine gelockerte Ausstellungspraxis bei syrischen Reisepässen lässt daher im Hinblick auf die hier relevante Personengruppe der militärdienstpflichtigen Männer keine Schlüsse auf eine geänderte Haltung syrischer Sicherheitskräfte gegenüber Rückkehrern bei deren Einreise über den Flughafen Damaskus bzw. andere Grenzkontrollen zu.

1.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht zur Überzeugung des Senats fest, dass Rückkehrern im militärdienstpflichtigen Alter (Wehrpflichtige, Reservisten), die sich durch Flucht ins Ausland einer in der Bürgerkriegssituation drohenden Einberufung zum Militärdienst entzogen haben, bei der Einreise im Zusammenhang mit den Sicherheitskontrollen von den syrischen Sicherheitskräften, in Anknüpfung an eine (unterstellte) oppositionelle Gesinnung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine menschenrechtswidrige Behandlung, insbesondere Folter, droht.

1.3.1 Aus den Erkenntnisquellen geht übereinstimmend hervor, dass jeder über eine offizielle Grenzstelle - insbesondere den Flughafen Damaskus - zurückkehrende Syrer den strengen obligatorischen Einreisekontrollen der syrischen Sicherheitskräfte unterzogen wird. Auch in Qamishli kontrolliert die Regierung den Zivilflughafen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 26. Februar 2016 zu Syrien). Weiter ist davon auszugehen, dass die Sicherheitskräfte darüber informiert sind (Datenbanken bzw. Kontrolllisten), ob die betreffende Person Wehrpflichtiger oder Reservist ist. Ebenso wird für die Sicherheitskräfte ersichtlich sein, ob der Rückkehrer im militärdienstpflichtigen Alter ggf. gegen die Mitteilungspflicht seines Wohnortes gegenüber den Militärbehörden verstoßen hat bzw. ob eine Ausreiseerlaubnis der Militärbehörde vorlag. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden (Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 9).

Auch das Auswärtige Amt unterscheidet im Hinblick auf eine Rückkehrgefährdung: Dort liegen zwar keine Erkenntnisse vor, dass unverfolgt ausgereiste Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts und Asylantragstellung Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien (Auswärtiges Amt an das Schleswig-Holsteinische OVG v. 7.11.2016; Auswärtiges Amt an das VG Düsseldorf v. 2.1.2017, Az.: 508-9-516.80/48840). Dem Auswärtigen Amt sind aber Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien. Dies stehe überwiegend im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammen arbeite (Deutsche Botschaft Beirut an das Bundesamt v. 3.2.2016).

Seit dem generellen Abschiebestopp im April 2011 liegen nur vereinzelt Fallbeispiele von Rücküberstellungen aus westlichen Ländern vor, so dass insoweit von „Referenzfällen“ nicht ausgegangen werden kann. Laut Auskunft eines juristischen Mitarbeiters vom UNHCR Kanada gebe es nur eingeschränkte Informationen bezüglich der Behandlung von syrischen Rückkehrern seit 2011. Die Presse berichte nicht über die Behandlung von Rückkehrern durch Grenzbeamte (Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E, v. 19.1.2016, S. 5).

Vor diesem Hintergrund ergibt sich die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Merkmale vornehmlich aus dem Charakter des um seine Existenz kämpfenden Staates und den von seinen Machthabern mit größter Härte und unter Einsatz menschenrechtswidriger Mittel verfolgten Zielen. Das erklärte Ziel des syrischen Regimes ist unter Fortbestehen der Machtarchitektur die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik. Diesen Kriegszielen hat das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele untergeordnet - und zu ihrer Verteidigung hat es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen, sondern auch massive eigene Verluste (s.o. Nr. 1.1, Gerlach, „Was in Syrien geschieht - Essay“ v. 19. 2.2016).

Die erheblichen Verluste auf Seiten des syrischen Militärs führten dazu, dass im Verlaufe des Krieges die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten erheblich intensiviert wurden. Dabei sind bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen hatten, auch Fälle von Folter dokumentiert worden. Die Ausreise von militärpflichtigen Personen wurde durch verschiedene Maßnahmen (z.B. Ausreiseerlaubnis) erschwert.

Insoweit wird deutlich, dass das Interesse des syrischen Regimes an einer jederzeit möglichen Einberufung seiner militärdienstpflichtigen Staatsbürger zur Weiterverfolgung seiner Kriegsziele und damit letztlich für die Wiederherstellung und den Erhalt seiner Macht von entscheidender Bedeutung ist. Im Zusammenwirken mit dem Charakter des bedingungslos zur Erreichung seiner Ziele agierenden syrischen Regimes unter weitverbreitetem Einsatz von menschenrechtswidrigen Mitteln, wie insbesondere Folter, ist davon auszugehen, dass das syrische Regime Personen, die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, regelmäßig eine illoyale, politisch oppositionelle Haltung unterstellt. Denn diese Personen haben sich trotz des das Regime in seiner Existenz bedrohenden Krieges nicht für einen Militäreinsatz bereitgehalten und so aus der Sicht der Machthaber ein Verhalten gezeigt, das dessen drängenden militärischen Bedürfnissen zuwiderläuft.

An diese (unterstellte) oppositionelle Gesinnung des Rückkehrers knüpft bei seiner Einreise beachtlich wahrscheinlich eine Folterbehandlung an, die der Einschüchterung und Bestrafung für die regimefeindliche Gesinnung dient. Der Rückkehrer soll durch die unmittelbar bei Einreise erfolgende „Sonderbehandlung“ der Folter - neben der flüchtlingsrechtlich im Grundsatz nicht relevanten Zwangsrekrutierung und ggf. erfolgenden Bestrafung wegen eines Wehrdelikts - für seine in der Bürgerkriegssituation politisch unzuverlässige Haltung und die darin zum Ausdruck kommende regimefeindliche Gesinnung eingeschüchtert und bestraft werden. Diese Verhaltensmuster der syrischen Sicherheitskräfte finden ihre Entsprechung und Bestätigung im allgemeinen Vorgehen der syrischen Regierung gegen Personen, die im Verdacht stehen Oppositionsbewegungen zu unterstützen. Die Auswertung der beigezogenen Erkenntnismittel zeigt, dass das syrische Regime zur Erhaltung seiner Macht ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner mit größter Rücksichtslosigkeit vorgeht. So führt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International im jüngsten Bericht zu Haftbedingungen in Syrien betreffend das Jahr 2016 an, dass die Nachforschungen der Organisation seit dem Beginn der Krise darauf hindeuten würden, dass jeder, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, Gefahr laufe willkürlich inhaftiert zu werden, zu verschwinden oder gefoltert oder misshandelt zu werden und möglicherweise in der Haft zu sterben. Die Gründe für eine Verhaftung wegen des Verdachts der Regimefeindlichkeit würden variieren (Amnesty Report 2016 v. 2. März 2016, S. 16).

Auch aus den Umständen, dass das syrische Regime bei „missliebigen Personen“ menschenrechtswidrige Maßnahmen, insbesondere Folter und „Verschwindenlassen“ anwendet, und zulässt, dass sich das Opfer gegenüber staatlichen Willkürakten nicht zur Wehr setzen kann, können Schlüsse darauf gezogen werden, wie ein Unrechtsstaat mit Personen, die er als illoyal und regimefeindlich einstuft, bei deren Rückkehr verfährt. Human Rights Watch und der UNHCR haben über die weitverbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden berichtet (Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 4; OHCHR, Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic v. 14.4.2014; Human Rights Watch, Syria, World Report 2015, 29.1.2015). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe verweist auf die von Human Rights Watch 2012 ausführlich dokumentierte Vorgehensweise der Geheimdienste, die Willkür der Inhaftierung und die miserablen Haftbedingungen in den Haftzentren der verschiedenen Geheimdienstabteilungen. Gemäß dem Bericht des United States Departement of State 2015 habe die Anzahl willkürlicher Verhaftungen vor allem von Jungen ab 10 Jahren sowie Männern im Jahr 2014 zugenommen. Viele Verhaftungen hätten an Checkpoints stattgefunden, die vom Militär, einem der Geheimdienste oder den Paramilitärischen National Defense Forces unterhalten werden. Die UN Kommission über Syrien (UN Commission of Inquiry on Syria) habe über Massenverhaftungen von Männern im wehrdienstfähigen Alter berichtet. Dies sei vor allem in Regionen geschehen, die vom syrischen Regime zurückerobert worden seien. Human Rights Watch habe 2012 über zwanzig verschiedene Foltermethoden dokumentiert, die in den Haftzentren der Geheimdienste entwickelt und angewendet würden. Straffreiheit der Sicherheitskräfte sei die Norm. Aus dem Jahr 2014 seien dem United States Departement of State keine strafrechtlichen Verfahren oder Verurteilungen von Angehörigen der Sicherheitsdienste wegen Missbrauchs oder Korruption bekannt (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse v. 26.10.2015 zu Syrien: Geheimdienst, S. 4f. m.w.N.)

Der UNHCR kommt für den Fall der „Prüfung individueller Asylanträge“ zu der Einschätzung, es sei wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. Art. 1 A (2) der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllen. (S.25 f, Nr. 36,). Der UNHCR ist der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der beschriebenen Risikoprofile „wahrscheinlich“ internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention benötigten. Unter ein solches Risikoprofil fallen nach Auffassung des UNHCR unter anderem „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte…“ (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S.25 f.). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom 15. Oktober 2015 die Ansicht von Human Rights Watch zugrunde gelegt, dass junge Männer im wehrfähigen Alter von Haft und Misshandlung besonders bedroht seien (vgl. EGMR U.v. 15.10.2015 - 40081/14, 40127/14 - L.M. u.a. ./ Russische Föderation, NVwZ 2016, 1779, Rn. 123-125).

Nach alldem ist nach der Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die syrischen Sicherheitskräfte die Rückkehrer nicht pauschal der Opposition zuordnen, sondern danach differenzieren, ob der Rückkehrer als Unpolitischer oder Oppositioneller einzustufen ist. Die Verfolgungsprognose führt nach der Überzeugung des Senats auch unter Berücksichtigung der hohen Flüchtlingszahlen (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 6, bis Herbst 2015 seien mehr als vier Millionen Syrer ins Ausland geflohen) zu dem Ergebnis, dass die Personengruppe der militärdienstpflichtigen Personen (Wehrpflichtige, Reservisten), die sich im Bürgerkrieg nicht den Regierungstruppen zur Verfügung gestellt haben, sondern durch Flucht ins Ausland ihren staatsbürgerlichen Aufgaben nicht nachgekommen sind, aus Sicht des syrischen Regimes als oppositionell eingestuft werden und dementsprechend bei einer Rückkehr beachtlich wahrscheinlich der weit verbreiteten Folterbehandlung unterzogen werden.

1.3.2 Droht einem Reservisten, der sich bereits vor seiner Einberufung durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen hat, im Falle seiner Rückkehr über eine staatliche Kontrollstelle von den syrischen Sicherheitskräften in Anknüpfung an eine ihm wegen der Ausreise trotz Militärdienstpflichtigkeit (unterstellte) oppositionelle Gesinnung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter (vgl. o. 1.3.1; Urteil des Senats vom 12.12.2016 - 21 B 16.30372 - juris), gilt dies umso mehr für Reservisten, für die bereits ein Einberufungsbefehl vorliegt. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Umstand der Einberufung im Computersystem erfasst wird und bei den Einreisekontrollen abrufbar ist. Männer, die einem Einberufungsbefehl nicht gefolgt sind, sondern sich durch Flucht ins Ausland dem Militäreinsatz entzogen haben, dürften aus Sicht der syrischen Machthaber ein noch gewichtigeres illoyales, oppositionelles und den drängenden militärischen Bedürfnissen zuwiderlaufendes Verhalten gezeigt haben als diejenigen, die sich bereits vor einer drohenden Einberufung dem Militärdienst durch Flucht entzogen haben. Letztlich muss hier aber nicht weiter differenziert werden, weil eine Rückkehrgefährdung schon dann anzunehmen ist, wenn sich ein Reservist bereits vor einer Einberufung dem Militärdienst durch eine Flucht in das Ausland entzogen hat. Im Übrigen bestünden sonst verschiedene kaum abgrenzbare Fallvarianten, wie z.B. wegen Flucht des Wehrdienstpflichtigen unzustellbarer Einberufungsbefehl mit Vermerk im Computersystem.

Im Hinblick darauf, dass die Beklagte in ihrer Verwaltungspraxis von einer Rückkehrgefährdung erst dann ausgeht, wenn sich die Militärpflicht durch einen Einberufungsbefehl konkretisiert hat, wird, ohne dass es hier noch entscheidungserheblich ist, Folgendes ausgeführt:

Nach der Überzeugung des Senats handelt es sich beim Kläger um einen Reservisten, dem vor seiner Ausreise aus Syrien ein Einberufungsbefehl durch das syrische Militär habe zugestellt werden sollen. Der Kläger hat den in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren beschriebenen Rekrutierungsversuch des syrischen Militärs, der sich vor seiner Ausreise ereignet haben soll, in Anknüpfung an seine Aussage vor dem Bundesamt geschildert. Danach seien zwei Männer der Rekrutierungsstelle aus seiner Heimatstadt Qamishli zu ihm nach Hause gekommen. Da er nicht zu Hause gewesen sei, hätten die Männer zu seiner Mutter gesagt, dass er sich beim Militäramt melden solle. Nachdem seine Mutter angefangen habe zu weinen, hätten die Männer den Einberufungsbefehl mit dem Vermerk versehen, dass der Kläger verreist sei, und daraufhin seien sie mitsamt des Einberufungsbefehls gegangen. Seine Mutter habe nichts unterschrieben. Auf seiner Fahrt von Qamishli nach Damaskus habe er an verschiedenen Kontrollpunkten und auch bei den Grenzkontrollen zwischen Syrien und dem Libanon Bestechungsgeld bezahlt, nachdem sein Name bei der Eingabe im Computer aufgetaucht sei. Insbesondere aufgrund des vom Kläger in der Berufungsverhandlung vermittelten Gesamteindrucks glaubt der Senat dem Kläger, dass das syrische Militär vor der Ausreise des Klägers versucht hat, dem Kläger einen Einberufungsbefehl zu übergeben. Zum einen hat der Kläger diesen Umstand bereits vor dem Bundesamt angegeben, zum anderen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht auf gestellte Fragen hin unverzüglich, flüssig und umfassend geantwortet, so dass zunächst aufgetretene Unklarheiten überzeugend aufgelöst werden konnten. Auch das offene und ausführliche Aussageverhalten des Klägers zu den angesprochenen Punkten hat nicht zu Steigerungen im Sachvortrag geführt. Seine Schilderungen erscheinen vor dem Hintergrund der sich aus den eingeführten Erkenntnismitteln ergebenden Situation in Syrien nachvollziehbar. Nach Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe unterhält das syrische Regime in der Stadt Qamishli einen Sicherheitskomplex, von dem aus die syrische Armee im Jahr 2015 Rekrutierungsoffensiven durchführte (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche vom 26. Februar 2016 zu Syrien).

2. Ausführungen zu weiteren möglichen Verfolgungshandlungen (§ 3a Abs. 1 und 2 AsylG) seitens des syrischen Regimes im Hinblick auf rückkehrende Militärdienstpflichtige, wie insbesondere zu § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG einschließlich der glaubhaften Darlegung eines ernsthaften Gewissenskonflikts (vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 3a Rn 36, 41), sowie zur flüchtlingsrechtlichen Relevanz einer dem Kläger drohenden Bestrafung wegen Kriegsdienstverweigerung mit politischem Charakter („Politmalus“) sind nicht veranlasst.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 1, § 711 ZPO.

5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.