Verwaltungsgericht Münster Urteil, 12. Dez. 2014 - 1 K 724/14
Verwaltungsgericht Münster
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger wurde am 00.00.0000geboren. Er besuchte in den Jahre 2007 bis 2011 ein Gymnasium in Ahlen, in den Jahren 2011 bis 2013 ein Gymnasium in Oelde. Dort war er – nachdem er zwei Jahre lang die Klasse 8 besuchte – zuletzt Schüler der Klasse 9. Er erhielt im Juli 2013 ein Abgangszeugnis, wonach er mit besonderem Erfolg am Schülerbetriebspraktikum teilnahm, seine Leistungen in allen Unterrichtsfächern aufgrund langfristiger Erkrankung aber nicht beurteilbar waren.
3Am 11. Dezember 2013 meldete der Kläger sich bei der Bezirksregierung Münster zu der Externenprüfung zum Erwerb des mittleren Schulabschlusses an. Dabei gab er an, seine Schulpflicht habe im Juli 2013 geendet und legte dar, wie er sich auf die Prüfungsfächer vorbereite.
4Das Ministerium für Schule und Weiterbildung des beklagten Landes stellte mit Erlass vom 10. Februar 2014 gegenüber den Bezirksregierungen klar, nach § 6 der Prüfungsordnung für die Externenprüfung (PO-Externe-S I) könne zur Prüfung nur zugelassen werden, wer sowohl die Vollzeitschulpflicht nach § 37 SchulG NRW als auch die Schulpflicht in der Sekundarstufe II nach § 38 SchulG NRW erfüllt habe.
5Mit – an die Mutter des Klägers gerichtetem – Bescheid vom 3. Februar 2014 lehnte die Bezirksregierung Münster eine im Januar 2014 beantragte Befreiung des Klägers von der Schulpflicht ab. Der Kläger beabsichtige nicht die Rückkehr in das bisherige Schulsystem und es liege kein wichtiger Grund für eine Befreiung vor.
6Mit Bescheid vom 4. Februar 2014 teilte die Bezirksregierung Münster dem Kläger mit, seine Zulassung zu der Externenprüfung komme im laufenden Jahr nicht in Betracht. Er sei noch bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015 (berufs‑) schulpflichtig, nach § 43 Abs. 1 SchulG NRW zur regelmäßigen Teilnahme am Unterricht verpflichtet und gehöre nicht zu der Zielgruppe des § 51 Abs. 2 SchulG NRW. Die Möglichkeit der Externenprüfung könne im schulpflichtigen Alter nur eröffnet werden, wenn eine reguläre Beschulung ausgeschlossen sei, z.B. krankheitsbedingt bei amtsärztlich nachgewiesener Schulunfähigkeit. Ein solches Gutachten liege nicht vor.
7Dagegen erhob die Mutter des Klägers am 12. Februar 2014 Widerspruch. Der Kläger habe die zehnjährige Regelschulzeit erfüllt. Mehr fordere § 6 PO-Externe-S I nicht.
8Mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 2014 wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch als unbegründet zurück. Adressaten des eine Externenprüfung ermöglichenden § 51 Abs. 2 SchulG NRW seien nicht (mehr) schulpflichtige Personen und ihrer Schulpflicht an Ergänzungsschulen nachkommende Jugendliche, die dort einen höherwertigen Abschluss nicht erwerben könnten. Die Schulpflicht des Klägers, der nicht in einem Berufsausbildungsverhältnis stehe, dauere bis zum Ablauf des Schuljahres, in dem er das achtzehnte Lebensjahr vollende, also bis Juli 2015. Eine Zulassung von Schulverweigerern zu der Externenprüfung entspreche nicht dem Sinn und Zweck des § 51 Abs. 2 SchulG NRW. Dass bzw. weshalb dem Kläger der Besuch des Berufskollegs nicht zumutbar wäre, habe er nicht dargelegt bzw. nachgewiesen.
9Am 00.00.0000hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er habe einen Anspruch auf Zulassung zu der Externenprüfung, da er die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 SchulG NRW und des § 6 PO-Externe-S I erfülle. Seine zehnjährige Regelschulzeit sei beendet, ein Erlöschen der Berufsschulpflicht in der Sekundarstufe II sei keine Voraussetzung der Zulassung. Es reiche aus, dass keine öffentliche Schule oder Ersatzschule besucht werde. Die Frage, ob die Schulpflicht Volljähriger mit dem Grundgesetz übereinstimme, sei nicht höchstrichterlich geklärt. Er wolle nach externer Erlangung des mittleren Schulabschlusses in die Sekundarstufe II des Gymnasiums eintreten, um das Abitur zu erreichen.
10Die erkennende Kammer lehnte mit Beschluss vom 27. Mai 2014 – 1 L 357/14 – einen Eilantrag des Klägers auf vorläufige Zulassung zu der Externenprüfung zum Erwerb des mittleren Schulabschlusses ab. Das OVG NRW wies die Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom 29. Juli 2014 – 19 B 682/14 –zurück.
11Der Kläger beantragt,
12das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheids der Bezirksregierung Münster vom 4. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. März 2014 zu verpflichten, den Kläger zu der Externenprüfung zum Erwerb des mittleren Schulabschlusses zuzulassen.
13Das beklagte Land beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Es verweist zur Begründung im Wesentlichen auf den angefochtenen Bescheid. Der Kläger habe nicht dargelegt, weshalb ihm der Besuch eines Berufskollegs unmöglich bzw. unzumutbar sei. Wegen Verletzung der Schulpflicht sei gegenüber der Mutter ein Bußgeldbescheid ergangen. Im Schuljahr 2014/2015 sei der Kläger zwar an dem Berufskolleg Beckum der Klasse für Schüler ohne Ausbildungsverhältnis (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Anlage A zur APO-BK) zugewiesen worden. Gemäß § 22 Abs. 2 Anlage A zur APO-BK könne er mit dem erfolgreichen Abschluss dieses Bildungsganges den Hauptschulabschluss, aber noch nicht die Fachoberschulreife erwerben. Der Kläger besuche diesen Bildungsgang aber nicht, sondern entziehe sich diesem nach einem abgelehnten Beurlaubungsantrag und einer nichtvollzogenen Abmeldung. Daher sei das Ermessen nach § 51 Abs. 2 SchulG NRW auch in Ansehung der Erlasslage weiterhin nicht zu Gunsten des Klägers auszuüben.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch des Verfahrens 1 L 357/14, und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
17E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
18Die zulässige Klage ist unbegründet.
19Der ablehnende Bescheid der Bezirksregierung Münster vom 4. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. März 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser hat keinen Anspruch auf Zulassung zu der Externenprüfung zum Erwerb des mittleren Schulabschlusses (Fachoberschulreife) oder auf eine Neubescheidung seines Antrages (§ 113 Abs. 5 VwGO).
20Maßstab dieser Zulassungsentscheidung ist § 6 Abs. 1 der Verordnung über die Externenprüfung zum Erwerb der Abschlüsse der Sekundarstufe I (PO-Externe-S I) vom 22. Oktober 2007 (GV. NRW. S. 426). Über die Zulassung entscheidet die Bezirksregierung (§ 1 Abs. 2 PO-Externe-S I).
21§ 6 Abs. 1 PO-Externe-S I gestaltet die Zulassung zu dieser Externenprüfung als Ermessensentscheidung aus. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und aus § 6 Abs. 3 Satz 1 dieser Verordnung, wonach ein Bewerber auch bei Unterschreiten der Regelschulzeit um höchstens 6 Monate zugelassen werden darf.
22Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Juli 2014 – 19 B 682/14 –, www.nwe.de.
23Das Zulassungsermessen der Bezirksregierung ist eröffnet, da der Kläger die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 und 2 PO-Externe-S I erfüllt. Er besitzt nicht den erstrebten mittleren Schulabschluss (Fachoberschulreife, § 15 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW) und seine zehnjährige Regelschulzeit nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SchulG NRW ist nach zehnjährigem Besuch der Grundschule und des Gymnasiums auch ohne Erreichung eines Schulabschlusses beendet.
24Die Bezirksregierung hat ihr Zulassungsermessen aber rechtmäßig ausgeübt.
25In dem – jedenfalls für die Zulassung zur Externenprüfung des Jahres 2014 maßgeblichen – Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 14. März 2014 hat sie ihre ablehnende Entscheidung tragend darauf gestützt, dass der Kläger noch schulpflichtig sei, aber keine Schule, auch keine Ergänzungsschule, besuche. Diese Ermessenserwägungen stehen mit dem Sinn und Zweck des § 6 PO-Externe-S I i. V. m. § 51 Abs. 2 SchulG NRW in Einklang.
26Die Kammer macht sich insoweit die ausführlichen Erwägungen des OVG NRW in dem den Beteiligten bekannten, im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ergangenen Beschluss vom 29. Juli 2014 – 19 B 682/14 –, zu eigen und verweist zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf diese.
27Diese Erwägungen gelten gleichermaßen hinsichtlich der Ablehnung einer Zulassung des Klägers zu der für das Jahr 2015 geplanten Externenprüfung, die in dem Ausgangsbescheid in der Form des Widerspruchsbescheids in Verbindung mit der im Schriftsatz vom 8. Dezember 2014 aktualisierten Ermessensausübung erfolgt ist und zur Gewährleistung effektiven Rechtschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) statthafter Streitgegenstand des Klageverfahrens ist. Der Kläger hat seinen Antrag bzw. seine Anmeldung vom 11. Dezember 2013 nicht auf die Prüfung des Jahres 2014 beschränkt und nach dem Sinn und Zweck des Antrags ist davon auszugehen, dass hilfsweise eine Anmeldung zu der Externenprüfung des Jahres 2015 begehrt ist. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
28Die Bezirksregierung Münster hat ermessensfehlerfrei in dem Schriftsatz vom 8. Dezember 2014 dargelegt, dass sie ihr Ermessen weiterhin nicht zu Gunsten des Klägers ausübt, auch nachdem dieser an dem Berufskolleg Beckum der Klasse für Schüler ohne Ausbildungsverhältnis (§ 1 Abs. 1 Nr. 3, § 20 Satz 1 der Anlage A zu der Ausbildungs- und Prüfungsordnung Berufskolleg, APO-BK) zugewiesen worden ist.
29Dass der Kläger durch einen erfolgreichen Abschluss dieser einjährigen Klasse gemäß §§ 19, 21, 22 der Anlage A zur APO-BK den Hauptschulabschluss, aber noch nicht die begehrte Fachoberschulreife erwerben kann, führt nicht zu einem Anspruch auf Zulassung zu der Externenprüfung nach § 6 PO-Externe-S I i. V. m. § 51 Abs. 2 SchulG NRW. Eine diesbezügliche Reduzierung des Zulassungsermessens der Bezirksregierung zugunsten des Klägers ist nicht gegeben.
30Nach dem Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 29. September 2014 können zwar Schüler, die einen Ausbildungsgang an einem Berufskolleg besuchen, in dem man den gewünschten Abschluss nicht erwerben kann, nach § 6 PO-Externe-S I zu der Externenprüfung zugelassen werden. Der Kläger besucht einen solchen Ausbildungsgang nach den unwidersprochenen Angaben der Bezirksregierung aber tatsächlich nicht, sondern kommt auch insoweit seiner Schulpflicht nicht nach.
31Da das Ministerium mit dem Erlass vom 29. September 2014 seinen Erlass vom 10. Februar 2014 nur ergänzt hat, ist nicht erkennbar, dass das Ermessen nun auch bei Verletzung der Schulpflicht tatsächlich – und dann über das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG hinsichtlich des Klägerbegehrens relevant – dergestalt ausgeübt würde, dass eine Zulassung zu der Externenprüfung auch bei Verletzung der Schulpflicht erfolgt, wenn nur der gewünschte Abschluss in dem „besuchten“ Ausbildungsgang nicht erworben werden kann.
32Es kann dahinstehen, ob durch den erst nach Wirksamwerden des Ausgangsbescheids erfolgten ministeriellen Erlass vom 10. Februar 2014 die Praxis der Ausübung des Zulassungsermessens nach § 6 PO-Externe-S I nur konkretisiert oder geändert worden ist. Dies ist jedenfalls vor dem Erlass des streitgegenständlichen Widerspruchsbescheids vom 14. März 2014 zulässigerweise erfolgt.
33Die Erwägungen der Bezirksregierung, dass der Kläger seiner Schulpflicht tatsächlich (weiterhin) nicht nachkommt, der Erwerb eines Schulabschlusses im Rahmen des Bildungsgangs, für den Schulpflicht besteht, aber der Regelfall ist und Gründe für einen Ausnahmefall nicht dargetan sind, entsprechen dem Sinn und Zweck des Gesetzes (§ 40 VwVfG NRW).
34Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 29. Juli 2014 – 19 B 682/14 –, www.nwe.de, Rn. 14 bis 17.
35Die Kammer hat schließlich keine Zweifel an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der für den nun volljährigen Kläger nach § 38 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW geltenden Schulpflicht. Diese erweist sich als verhältnismäßige Beschränkung seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und knüpft tatbestandlich an das Fehlen eines Berufsausbildungsverhältnisses an. Daher ist eine unverhältnismäßige Beschränkung der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) schon im Ansatz nicht zu erkennen. Durch die Befreiungsregelung des § 38 Abs. 3 Satz 2 SchulG NRW und die Beendigung der Schulpflicht mit dem erfolgreichem Abschluss eines vollzeitlichen Bildungsganges der Sekundarstufe II (§ 38 Abs. 3 Satz 3 SchulG NRW) sowie die Ruhensregelungen des § 40 SchulG NRW hat der Gesetzgeber hinreichend für eine Verhältnismäßigkeit der Bestimmungen zur Schulpflicht Volljähriger gesorgt.
36Vgl. auch VG Hamburg, Urteil vom 21. Februar 2014 – 2 K 1525/13 –; VG Meiningen, Beschluss vom 28. November 2006 – 1 E 518/06 Me –, jeweils juris.
37Dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals erklärt hat, nach einer externen Erlangung des mittleren Schulabschlusses plane er, in die Sekundarstufe II des Gymnasiums einzutreten, um das Abitur zu erreichen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dieses (erklärte) Ziel ist schon prozessual irrelevant, da der Beklagte hiervon vor Erlass des Widerspruchsbescheids (und seiner Aktualisierung der Ermessensausübung mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2014) keine Kenntnis erlangt hat mangels eines entsprechenden Vortrags in dem Antrag vom Dezember 2013 bzw. in der Widerspruchsbegründung. Darüber hinaus begründet diese Absicht in der Sache keinen Anspruch auf Zugang zu der Externenprüfung unter Missachtung der gesetzlichen und verfassungskonformen Schulpflicht seit dem Verlassen des Gymnasium nach Beendigung der Klasse 9 im Juli 2013 bzw. seit dem Beginn des Schuljahres 2013/2014.
38Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässig, aber unbegründet. Der Antragsteller hat die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Er hat keinen Anspruch auf Zulassung zur Externenprüfung zum Erwerb des mittleren Schulabschlusses (Fachoberschulreife). Maßstab der Zulassungsentscheidung ist § 6 Abs. 1 der Verordnung über die Externenprüfung zum Erwerb der Abschlüsse der Sekundarstufe I (PO-Externe-S I) vom 22. Oktober 2007 (GV. NRW. S. 426). Nach dieser Vorschrift kann zur Prüfung nur zugelassen werden, wer den erstrebten Abschluss nicht besitzt. Über die Zulassung entscheidet die Bezirksregierung (§ 1 Abs. 2 PO-Externe-S I).
3§ 6 Abs. 1 PO-Externe-S I gestaltet die Zulassung zur genannten Externenprüfung als Ermessensentscheidung der Bezirksregierung aus. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift („kann … zugelassen werden“). Die Vorschrift geht auch über eine bloße Befugnisnorm hinaus, weist der Bezirksregierung also nicht lediglich die Befugnis zur Zulassungsentscheidung zu, ohne ihr zugleich Ermessen einzuräumen (sog. Befugnis-„Kann“). Das lässt sich aus § 6 Abs. 3 Satz 1 PO-Externe-S I rückschließen, wonach ein Bewerber auch bei Unterschreiten der Regelschulzeit um höchstens 6 Monate zugelassen werden „darf“. Gerade in diesem Fall steht die Zulassung also im Ermessen der Bezirksregierung. Auch die Angaben zu ihrer Prüfungsvorbereitung, die Bewerber nach § 5 Abs. 2 Satz 2 PO-Externe-S I mit der Meldung zur Prüfung zu machen haben, können nur für die Ermessensentscheidung der Bezirksregierung bedeutsam sein. Sie füllen keine der in § 6 Abs. 1 und 2 PO-Externe-S I bezeichneten Tatbestandsvoraussetzungen aus.
4Das Zulassungsermessen der Bezirksregierung ist eröffnet, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen in § 6 Abs. 1 PO-Externe-S I (Nichtbesitz des erstrebten Abschlusses) und in § 6 Abs. 2 PO-Externe-S I (Ende der Regelschulzeit) erfüllt sind. Unzutreffend ist die gegenteilige Auffassung der Mutter des Antragstellers, ein Ermessensspielraum der Behörde bei der Zulassung zur Externenprüfung bestehe nicht (Schreiben vom 8. Februar 2014).
5Der Senat kann unterstellen, dass der Antragsteller die genannten tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt. Jedenfalls hat die Bezirksregierung das ihr eröffnete Zulassungsermessen rechtmäßig ausgeübt. Der Senat überprüft ihre Ermessensausübung nur mit den Einschränkungen des § 114 Satz 1 VwGO. Im maßgeblichen Widerspruchsbescheid vom 14. März 2014 hat sie ihre ablehnende Entscheidung tragend auf die Erwägung gestützt, der Antragsteller gehöre nicht zu den Adressaten des § 51 Abs. 2 SchulG NRW, weil er noch schulpflichtig sei, aber keine Schule, insbesondere auch keine Ergänzungsschule, besuche.
6Diese Erwägung versteht der Senat der Sache nach als eine auf § 6 Abs. 1 PO-Externe-S I bezogene Ermessenserwägung, auch wenn die Bezirksregierung ihre Entscheidung maßgeblich auf § 51 Abs. 2 SchulG NRW gestützt und in der Begründung ihres Widerspruchsbescheides ohne Differenzierung zwischen Tatbestandsvoraussetzungen und Ermessenserwägungen lediglich untechnisch formuliert hat, die „Voraussetzungen für eine positive Bescheidung [lägen] nicht vor“. Der Sache nach ist die Bezirksregierung damit dem Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes NRW vom 10. Februar 2014 gefolgt, der möglicherweise als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift gemeint ist. In diesem Erlass hat das Ministerium „eine Anmeldung von schulpflichtigen Schülerinnen und Schülern zur Externenprüfung“ als „nicht zulässig“ bezeichnet. Mit dieser juristisch in mehrfacher Hinsicht missglückten Formulierung hat es mutmaßlich sinngemäß zum Ausdruck bringen wollen, dass die Bezirksregierungen Zulassungsanträge von Schulverweigerern zur Externenprüfung ablehnen sollen, und zwar insbesondere auch dann, wenn diese, wie etwa der Antragsteller, nicht oder nicht mehr in einem Schulverhältnis zu einer Schule stehen und deshalb keine Schüler im Sinne des SchulG NRW sind. Ob das Ministerium mit der genannten Formulierung auch Schüler einer anerkannten Ergänzungsschule im Sinne des § 34 Abs. 4 SchulG NRW erfassen wollte, bedarf aus Anlass des vorliegenden Falles keiner Klärung.
7Die genannte Ermessenserwägung der Bezirksregierung ist rechtmäßig.
8Jedenfalls im vorliegenden Verfahren hat die Bezirksregierung ihrer Ablehnungsentscheidung zutreffend die Feststellung zugrunde gelegt, dass der Antragsteller der Schulpflicht in der Sekundarstufe II noch bis zum 31. Juli 2015 unterliegt (anders im Ablehnungsbescheid vom 3. Februar 2014 betreffend den Befreiungsantrag nach § 43 Abs. 3 SchulG NRW: 31. Juli 2014). Nach § 38 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW dauert die Schulpflicht in der Sekundarstufe II für Jugendliche ohne Berufsausbildungsverhältnis bis zum Ablauf des Schuljahres, in dem sie das 18. Lebensjahr vollenden. Der Antragsteller ist ohne Berufsausbildungsverhältnis. Er vollendet sein 18. Lebensjahr am 17. August 2014, weil er am 17. August 1996 geboren ist. Sein 18. Geburtstag liegt im Schuljahr 2014/2015, das am 1. August 2014 beginnt und am 31. Juli 2015 endet (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW). Seine Schulpflicht endet auch nicht nach § 38 Abs. 3 Satz 3 SchulG NRW vor Vollendung des 18. Lebensjahres. Bisher hat er keinen erfolgreichen Abschluss eines vollzeitschulischen Bildungsganges der Sekundarstufe II erreicht.
9Schließlich kann die Bezirksregierung ihn auch nicht nach § 38 Abs. 3 Satz 2 SchulG NRW für die Zeit nach seinem 18. Geburtstag vom weiteren Schulbesuch befreien. Ob sein Befreiungsantrag vom 9. Januar 2014, der sich nicht beim Verwaltungsvorgang befindet, auf eine Befreiung auch nach dieser Vorschrift gerichtet ist, kann dahinstehen. Eine solche Befreiung hängt im Gegensatz zu einer Befreiung nach § 43 Abs. 3 SchulG NRW nicht vom Vorliegen eines wichtigen Grundes ab, setzt aber gleichwohl voraus, dass sich die in § 38 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW bestimmte Fortdauer der Schulpflicht über das 18. Lebensjahr hinaus im Einzelfall als unbillige Härte für den Schüler auswirkt. Insbesondere kann sich eine solche Auswirkung für ihn ergeben, wenn er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat, der Arbeitgeber ihn aber für den Schulbesuch nicht freistellen will.
10Minten, in: Jülich/van den Hövel, Schulrechtshandbuch NRW, Stand: Aktualisierungslieferung Nr. 37, Juni 2014, § 38, Rdn. 5; Kumpfert, in: Jehkul u. a., Schulgesetz NRW, Stand: 12. Lieferung Februar 2014, § 38, Erl. 3.1.
11Im Fall des Antragstellers ist nicht erkennbar, dass sich die Fortdauer seiner Schulpflicht in der Sekundarstufe II bis zum 31. Juli 2015 als unbillige Härte für ihn auswirkt. Insbesondere ergibt sich eine solche Härte nach Aktenlage nicht aus etwaigen gesundheitlichen Gründen, welche die Mutter des Antragstellers bislang lediglich pauschal für seine Unterrichtsversäumnisse und die Nichtversetzung am Ende der Klasse 9 angeführt hat. Im Gegenteil deuten die Äußerungen seiner Mutter im Bußgeldverfahren wegen Schulpflichtverletzung darauf hin, dass sie die Verweigerung des Schulbesuchs durch ihren Sohn schon seit längerer Zeit unter Verstoß gegen §§ 41 Abs. 1 Satz 2, 126 Abs. 1 Nr. 4 SchulG NRW unterstützt. Sie hat zur Begründung ihres Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid vom 20. März 2014 vortragen lassen, der Antragsteller habe „entschieden, nicht weiter zur Schule zu gehen“, und sie habe es „als Mutter für unangemessen gehalten, ihren Sohn gegen seinen Willen zur Schule zu zwingen“. Dieser Standpunkt ist gesetzeswidrig.
12Die zur Rechtfertigung dieser Schulverweigerung von der Mutter nunmehr nachträglich geltend gemachten verfassungsrechtlichen Einwände (Eingriff in Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG, GA 40) sind abwegig. In der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung steht außer Frage, dass die allgemeine Schulpflicht in NRW und der generelle Ausschluss von privatem Heimunterricht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben im Einklang stehen. Insbesondere dient die in Art. 8 Abs. 2 LV NRW verankerte Schulbesuchspflicht ihrerseits dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag.
13EGMR, Entscheidung vom 13. September 2011 ‑ 319/08 ‑, juris, Rdn. 76 (Sexualkundeunterricht); BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2009 - 1 BvR 1358/09 ‑, NJW 2009, 3151, juris, Rdn. 14; Beschluss vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1693/04 ‑, FamRZ 2006, 1094, juris, Rdn. 9 (Homeschooling); Beschluss vom 29. April 2003 - 1 BvR 436/03 ‑, NVwZ 2003, 1113, juris, Rdn. 7 (Heimunterricht); BVerwG, Urteil vom 11. September 2013 - 6 C 12.12 ‑, NJW 2014, 804, juris, Rdn. 21 (Krabat); OLG Hamm, Beschluss vom 12. Juni 2013 ‑ II-8 UF 75/12, 8 UF 75/12 ‑, NJW-RR 2014, 6, juris, Rdn. 30.
14Die genannte Ermessenserwägung der Bezirksregierung entspricht schließlich auch dem Zweck der verordnungsrechtlichen Ermächtigung in § 6 Abs. 1 PO-Externe-S I und der gesetzlichen Ermächtigung in den §§ 51 Abs. 2, 52 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10, Abs. 2 SchulG NRW. Nach § 51 Abs. 2 SchulG NRW können Personen, die keine öffentliche Schule oder Ersatzschule besuchen, in einer besonderen Prüfung die Abschlüsse nachträglich erwerben (Externenprüfung). Diese Vorschrift ergänzt lediglich § 51 Abs. 1 SchulG NRW, der als Regelfall des Erwerbs eines Schulabschlusses die Abschlussprüfung in einem schulischen Bildungsgang vorsieht. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen schulischer Abschlussprüfung und Externenprüfung war in § 26b Abs. 1 Satz 1 SchVG, der Vorläuferbestimmung des heutigen § 51 Abs. 1 SchulG NRW, ausdrücklich normiert („in der Regel“). Den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Übernahme in das SchulG hieran etwas ändern wollte.
15Gesetzentwurf der Landesregierung,
16LT-Drs. 13/5394 vom 5. Mai 2004, S. 101.
17Im Gegenteil bringt der Gesetzgeber mit den Begriffen „Personen“, „besondere Prüfung“ und „nachträglich“ auch im Wortlaut des § 51 Abs. 2 SchulG NRW nach wie vor zum Ausdruck, dass eine Externenprüfung nur ausnahmsweise stattfindet. Eine solche Ausnahme greift insbesondere für Schulpflichtige ein, die ihre Schulpflicht in der Sekundarstufe II abweichend von § 34 Abs. 2 Satz 2 SchulG NRW an einer nach § 34 Abs. 4 SchulG NRW anerkannten Ergänzungsschule erfüllen. Die Externen-prüfung dient hiernach nicht dem Zweck, einen zweiten gleichrangigen Weg des Abschlusserwerbs für solche Schulpflichtigen zu eröffnen, die ihre Schulpflicht an einer Schule erfüllen können, diese Pflicht aber unter Verstoß gegen die §§ 38 Abs. 1, 126 Abs. 1 Nr. 5 SchulG NRW verletzen.
18Die vorbenannte Ermessenserwägung unterliegt schließlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere liegt in der Ablehnungsentscheidung kein Eingriff in sein Grundrecht auf freie Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 GG. Seine Mutter kann und muss ihn an einem Berufskolleg anmelden und ihm dadurch die Möglichkeit verschaffen, den angestrebten Abschluss zu erwerben.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
20Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
21Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässig, aber unbegründet. Der Antragsteller hat die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Er hat keinen Anspruch auf Zulassung zur Externenprüfung zum Erwerb des mittleren Schulabschlusses (Fachoberschulreife). Maßstab der Zulassungsentscheidung ist § 6 Abs. 1 der Verordnung über die Externenprüfung zum Erwerb der Abschlüsse der Sekundarstufe I (PO-Externe-S I) vom 22. Oktober 2007 (GV. NRW. S. 426). Nach dieser Vorschrift kann zur Prüfung nur zugelassen werden, wer den erstrebten Abschluss nicht besitzt. Über die Zulassung entscheidet die Bezirksregierung (§ 1 Abs. 2 PO-Externe-S I).
3§ 6 Abs. 1 PO-Externe-S I gestaltet die Zulassung zur genannten Externenprüfung als Ermessensentscheidung der Bezirksregierung aus. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift („kann … zugelassen werden“). Die Vorschrift geht auch über eine bloße Befugnisnorm hinaus, weist der Bezirksregierung also nicht lediglich die Befugnis zur Zulassungsentscheidung zu, ohne ihr zugleich Ermessen einzuräumen (sog. Befugnis-„Kann“). Das lässt sich aus § 6 Abs. 3 Satz 1 PO-Externe-S I rückschließen, wonach ein Bewerber auch bei Unterschreiten der Regelschulzeit um höchstens 6 Monate zugelassen werden „darf“. Gerade in diesem Fall steht die Zulassung also im Ermessen der Bezirksregierung. Auch die Angaben zu ihrer Prüfungsvorbereitung, die Bewerber nach § 5 Abs. 2 Satz 2 PO-Externe-S I mit der Meldung zur Prüfung zu machen haben, können nur für die Ermessensentscheidung der Bezirksregierung bedeutsam sein. Sie füllen keine der in § 6 Abs. 1 und 2 PO-Externe-S I bezeichneten Tatbestandsvoraussetzungen aus.
4Das Zulassungsermessen der Bezirksregierung ist eröffnet, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen in § 6 Abs. 1 PO-Externe-S I (Nichtbesitz des erstrebten Abschlusses) und in § 6 Abs. 2 PO-Externe-S I (Ende der Regelschulzeit) erfüllt sind. Unzutreffend ist die gegenteilige Auffassung der Mutter des Antragstellers, ein Ermessensspielraum der Behörde bei der Zulassung zur Externenprüfung bestehe nicht (Schreiben vom 8. Februar 2014).
5Der Senat kann unterstellen, dass der Antragsteller die genannten tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt. Jedenfalls hat die Bezirksregierung das ihr eröffnete Zulassungsermessen rechtmäßig ausgeübt. Der Senat überprüft ihre Ermessensausübung nur mit den Einschränkungen des § 114 Satz 1 VwGO. Im maßgeblichen Widerspruchsbescheid vom 14. März 2014 hat sie ihre ablehnende Entscheidung tragend auf die Erwägung gestützt, der Antragsteller gehöre nicht zu den Adressaten des § 51 Abs. 2 SchulG NRW, weil er noch schulpflichtig sei, aber keine Schule, insbesondere auch keine Ergänzungsschule, besuche.
6Diese Erwägung versteht der Senat der Sache nach als eine auf § 6 Abs. 1 PO-Externe-S I bezogene Ermessenserwägung, auch wenn die Bezirksregierung ihre Entscheidung maßgeblich auf § 51 Abs. 2 SchulG NRW gestützt und in der Begründung ihres Widerspruchsbescheides ohne Differenzierung zwischen Tatbestandsvoraussetzungen und Ermessenserwägungen lediglich untechnisch formuliert hat, die „Voraussetzungen für eine positive Bescheidung [lägen] nicht vor“. Der Sache nach ist die Bezirksregierung damit dem Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes NRW vom 10. Februar 2014 gefolgt, der möglicherweise als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift gemeint ist. In diesem Erlass hat das Ministerium „eine Anmeldung von schulpflichtigen Schülerinnen und Schülern zur Externenprüfung“ als „nicht zulässig“ bezeichnet. Mit dieser juristisch in mehrfacher Hinsicht missglückten Formulierung hat es mutmaßlich sinngemäß zum Ausdruck bringen wollen, dass die Bezirksregierungen Zulassungsanträge von Schulverweigerern zur Externenprüfung ablehnen sollen, und zwar insbesondere auch dann, wenn diese, wie etwa der Antragsteller, nicht oder nicht mehr in einem Schulverhältnis zu einer Schule stehen und deshalb keine Schüler im Sinne des SchulG NRW sind. Ob das Ministerium mit der genannten Formulierung auch Schüler einer anerkannten Ergänzungsschule im Sinne des § 34 Abs. 4 SchulG NRW erfassen wollte, bedarf aus Anlass des vorliegenden Falles keiner Klärung.
7Die genannte Ermessenserwägung der Bezirksregierung ist rechtmäßig.
8Jedenfalls im vorliegenden Verfahren hat die Bezirksregierung ihrer Ablehnungsentscheidung zutreffend die Feststellung zugrunde gelegt, dass der Antragsteller der Schulpflicht in der Sekundarstufe II noch bis zum 31. Juli 2015 unterliegt (anders im Ablehnungsbescheid vom 3. Februar 2014 betreffend den Befreiungsantrag nach § 43 Abs. 3 SchulG NRW: 31. Juli 2014). Nach § 38 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW dauert die Schulpflicht in der Sekundarstufe II für Jugendliche ohne Berufsausbildungsverhältnis bis zum Ablauf des Schuljahres, in dem sie das 18. Lebensjahr vollenden. Der Antragsteller ist ohne Berufsausbildungsverhältnis. Er vollendet sein 18. Lebensjahr am 17. August 2014, weil er am 17. August 1996 geboren ist. Sein 18. Geburtstag liegt im Schuljahr 2014/2015, das am 1. August 2014 beginnt und am 31. Juli 2015 endet (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW). Seine Schulpflicht endet auch nicht nach § 38 Abs. 3 Satz 3 SchulG NRW vor Vollendung des 18. Lebensjahres. Bisher hat er keinen erfolgreichen Abschluss eines vollzeitschulischen Bildungsganges der Sekundarstufe II erreicht.
9Schließlich kann die Bezirksregierung ihn auch nicht nach § 38 Abs. 3 Satz 2 SchulG NRW für die Zeit nach seinem 18. Geburtstag vom weiteren Schulbesuch befreien. Ob sein Befreiungsantrag vom 9. Januar 2014, der sich nicht beim Verwaltungsvorgang befindet, auf eine Befreiung auch nach dieser Vorschrift gerichtet ist, kann dahinstehen. Eine solche Befreiung hängt im Gegensatz zu einer Befreiung nach § 43 Abs. 3 SchulG NRW nicht vom Vorliegen eines wichtigen Grundes ab, setzt aber gleichwohl voraus, dass sich die in § 38 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW bestimmte Fortdauer der Schulpflicht über das 18. Lebensjahr hinaus im Einzelfall als unbillige Härte für den Schüler auswirkt. Insbesondere kann sich eine solche Auswirkung für ihn ergeben, wenn er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat, der Arbeitgeber ihn aber für den Schulbesuch nicht freistellen will.
10Minten, in: Jülich/van den Hövel, Schulrechtshandbuch NRW, Stand: Aktualisierungslieferung Nr. 37, Juni 2014, § 38, Rdn. 5; Kumpfert, in: Jehkul u. a., Schulgesetz NRW, Stand: 12. Lieferung Februar 2014, § 38, Erl. 3.1.
11Im Fall des Antragstellers ist nicht erkennbar, dass sich die Fortdauer seiner Schulpflicht in der Sekundarstufe II bis zum 31. Juli 2015 als unbillige Härte für ihn auswirkt. Insbesondere ergibt sich eine solche Härte nach Aktenlage nicht aus etwaigen gesundheitlichen Gründen, welche die Mutter des Antragstellers bislang lediglich pauschal für seine Unterrichtsversäumnisse und die Nichtversetzung am Ende der Klasse 9 angeführt hat. Im Gegenteil deuten die Äußerungen seiner Mutter im Bußgeldverfahren wegen Schulpflichtverletzung darauf hin, dass sie die Verweigerung des Schulbesuchs durch ihren Sohn schon seit längerer Zeit unter Verstoß gegen §§ 41 Abs. 1 Satz 2, 126 Abs. 1 Nr. 4 SchulG NRW unterstützt. Sie hat zur Begründung ihres Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid vom 20. März 2014 vortragen lassen, der Antragsteller habe „entschieden, nicht weiter zur Schule zu gehen“, und sie habe es „als Mutter für unangemessen gehalten, ihren Sohn gegen seinen Willen zur Schule zu zwingen“. Dieser Standpunkt ist gesetzeswidrig.
12Die zur Rechtfertigung dieser Schulverweigerung von der Mutter nunmehr nachträglich geltend gemachten verfassungsrechtlichen Einwände (Eingriff in Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG, GA 40) sind abwegig. In der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung steht außer Frage, dass die allgemeine Schulpflicht in NRW und der generelle Ausschluss von privatem Heimunterricht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben im Einklang stehen. Insbesondere dient die in Art. 8 Abs. 2 LV NRW verankerte Schulbesuchspflicht ihrerseits dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag.
13EGMR, Entscheidung vom 13. September 2011 ‑ 319/08 ‑, juris, Rdn. 76 (Sexualkundeunterricht); BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2009 - 1 BvR 1358/09 ‑, NJW 2009, 3151, juris, Rdn. 14; Beschluss vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1693/04 ‑, FamRZ 2006, 1094, juris, Rdn. 9 (Homeschooling); Beschluss vom 29. April 2003 - 1 BvR 436/03 ‑, NVwZ 2003, 1113, juris, Rdn. 7 (Heimunterricht); BVerwG, Urteil vom 11. September 2013 - 6 C 12.12 ‑, NJW 2014, 804, juris, Rdn. 21 (Krabat); OLG Hamm, Beschluss vom 12. Juni 2013 ‑ II-8 UF 75/12, 8 UF 75/12 ‑, NJW-RR 2014, 6, juris, Rdn. 30.
14Die genannte Ermessenserwägung der Bezirksregierung entspricht schließlich auch dem Zweck der verordnungsrechtlichen Ermächtigung in § 6 Abs. 1 PO-Externe-S I und der gesetzlichen Ermächtigung in den §§ 51 Abs. 2, 52 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10, Abs. 2 SchulG NRW. Nach § 51 Abs. 2 SchulG NRW können Personen, die keine öffentliche Schule oder Ersatzschule besuchen, in einer besonderen Prüfung die Abschlüsse nachträglich erwerben (Externenprüfung). Diese Vorschrift ergänzt lediglich § 51 Abs. 1 SchulG NRW, der als Regelfall des Erwerbs eines Schulabschlusses die Abschlussprüfung in einem schulischen Bildungsgang vorsieht. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen schulischer Abschlussprüfung und Externenprüfung war in § 26b Abs. 1 Satz 1 SchVG, der Vorläuferbestimmung des heutigen § 51 Abs. 1 SchulG NRW, ausdrücklich normiert („in der Regel“). Den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Übernahme in das SchulG hieran etwas ändern wollte.
15Gesetzentwurf der Landesregierung,
16LT-Drs. 13/5394 vom 5. Mai 2004, S. 101.
17Im Gegenteil bringt der Gesetzgeber mit den Begriffen „Personen“, „besondere Prüfung“ und „nachträglich“ auch im Wortlaut des § 51 Abs. 2 SchulG NRW nach wie vor zum Ausdruck, dass eine Externenprüfung nur ausnahmsweise stattfindet. Eine solche Ausnahme greift insbesondere für Schulpflichtige ein, die ihre Schulpflicht in der Sekundarstufe II abweichend von § 34 Abs. 2 Satz 2 SchulG NRW an einer nach § 34 Abs. 4 SchulG NRW anerkannten Ergänzungsschule erfüllen. Die Externen-prüfung dient hiernach nicht dem Zweck, einen zweiten gleichrangigen Weg des Abschlusserwerbs für solche Schulpflichtigen zu eröffnen, die ihre Schulpflicht an einer Schule erfüllen können, diese Pflicht aber unter Verstoß gegen die §§ 38 Abs. 1, 126 Abs. 1 Nr. 5 SchulG NRW verletzen.
18Die vorbenannte Ermessenserwägung unterliegt schließlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere liegt in der Ablehnungsentscheidung kein Eingriff in sein Grundrecht auf freie Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 GG. Seine Mutter kann und muss ihn an einem Berufskolleg anmelden und ihm dadurch die Möglichkeit verschaffen, den angestrebten Abschluss zu erwerben.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
20Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
21Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässig, aber unbegründet. Der Antragsteller hat die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Er hat keinen Anspruch auf Zulassung zur Externenprüfung zum Erwerb des mittleren Schulabschlusses (Fachoberschulreife). Maßstab der Zulassungsentscheidung ist § 6 Abs. 1 der Verordnung über die Externenprüfung zum Erwerb der Abschlüsse der Sekundarstufe I (PO-Externe-S I) vom 22. Oktober 2007 (GV. NRW. S. 426). Nach dieser Vorschrift kann zur Prüfung nur zugelassen werden, wer den erstrebten Abschluss nicht besitzt. Über die Zulassung entscheidet die Bezirksregierung (§ 1 Abs. 2 PO-Externe-S I).
3§ 6 Abs. 1 PO-Externe-S I gestaltet die Zulassung zur genannten Externenprüfung als Ermessensentscheidung der Bezirksregierung aus. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift („kann … zugelassen werden“). Die Vorschrift geht auch über eine bloße Befugnisnorm hinaus, weist der Bezirksregierung also nicht lediglich die Befugnis zur Zulassungsentscheidung zu, ohne ihr zugleich Ermessen einzuräumen (sog. Befugnis-„Kann“). Das lässt sich aus § 6 Abs. 3 Satz 1 PO-Externe-S I rückschließen, wonach ein Bewerber auch bei Unterschreiten der Regelschulzeit um höchstens 6 Monate zugelassen werden „darf“. Gerade in diesem Fall steht die Zulassung also im Ermessen der Bezirksregierung. Auch die Angaben zu ihrer Prüfungsvorbereitung, die Bewerber nach § 5 Abs. 2 Satz 2 PO-Externe-S I mit der Meldung zur Prüfung zu machen haben, können nur für die Ermessensentscheidung der Bezirksregierung bedeutsam sein. Sie füllen keine der in § 6 Abs. 1 und 2 PO-Externe-S I bezeichneten Tatbestandsvoraussetzungen aus.
4Das Zulassungsermessen der Bezirksregierung ist eröffnet, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen in § 6 Abs. 1 PO-Externe-S I (Nichtbesitz des erstrebten Abschlusses) und in § 6 Abs. 2 PO-Externe-S I (Ende der Regelschulzeit) erfüllt sind. Unzutreffend ist die gegenteilige Auffassung der Mutter des Antragstellers, ein Ermessensspielraum der Behörde bei der Zulassung zur Externenprüfung bestehe nicht (Schreiben vom 8. Februar 2014).
5Der Senat kann unterstellen, dass der Antragsteller die genannten tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt. Jedenfalls hat die Bezirksregierung das ihr eröffnete Zulassungsermessen rechtmäßig ausgeübt. Der Senat überprüft ihre Ermessensausübung nur mit den Einschränkungen des § 114 Satz 1 VwGO. Im maßgeblichen Widerspruchsbescheid vom 14. März 2014 hat sie ihre ablehnende Entscheidung tragend auf die Erwägung gestützt, der Antragsteller gehöre nicht zu den Adressaten des § 51 Abs. 2 SchulG NRW, weil er noch schulpflichtig sei, aber keine Schule, insbesondere auch keine Ergänzungsschule, besuche.
6Diese Erwägung versteht der Senat der Sache nach als eine auf § 6 Abs. 1 PO-Externe-S I bezogene Ermessenserwägung, auch wenn die Bezirksregierung ihre Entscheidung maßgeblich auf § 51 Abs. 2 SchulG NRW gestützt und in der Begründung ihres Widerspruchsbescheides ohne Differenzierung zwischen Tatbestandsvoraussetzungen und Ermessenserwägungen lediglich untechnisch formuliert hat, die „Voraussetzungen für eine positive Bescheidung [lägen] nicht vor“. Der Sache nach ist die Bezirksregierung damit dem Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes NRW vom 10. Februar 2014 gefolgt, der möglicherweise als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift gemeint ist. In diesem Erlass hat das Ministerium „eine Anmeldung von schulpflichtigen Schülerinnen und Schülern zur Externenprüfung“ als „nicht zulässig“ bezeichnet. Mit dieser juristisch in mehrfacher Hinsicht missglückten Formulierung hat es mutmaßlich sinngemäß zum Ausdruck bringen wollen, dass die Bezirksregierungen Zulassungsanträge von Schulverweigerern zur Externenprüfung ablehnen sollen, und zwar insbesondere auch dann, wenn diese, wie etwa der Antragsteller, nicht oder nicht mehr in einem Schulverhältnis zu einer Schule stehen und deshalb keine Schüler im Sinne des SchulG NRW sind. Ob das Ministerium mit der genannten Formulierung auch Schüler einer anerkannten Ergänzungsschule im Sinne des § 34 Abs. 4 SchulG NRW erfassen wollte, bedarf aus Anlass des vorliegenden Falles keiner Klärung.
7Die genannte Ermessenserwägung der Bezirksregierung ist rechtmäßig.
8Jedenfalls im vorliegenden Verfahren hat die Bezirksregierung ihrer Ablehnungsentscheidung zutreffend die Feststellung zugrunde gelegt, dass der Antragsteller der Schulpflicht in der Sekundarstufe II noch bis zum 31. Juli 2015 unterliegt (anders im Ablehnungsbescheid vom 3. Februar 2014 betreffend den Befreiungsantrag nach § 43 Abs. 3 SchulG NRW: 31. Juli 2014). Nach § 38 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW dauert die Schulpflicht in der Sekundarstufe II für Jugendliche ohne Berufsausbildungsverhältnis bis zum Ablauf des Schuljahres, in dem sie das 18. Lebensjahr vollenden. Der Antragsteller ist ohne Berufsausbildungsverhältnis. Er vollendet sein 18. Lebensjahr am 17. August 2014, weil er am 17. August 1996 geboren ist. Sein 18. Geburtstag liegt im Schuljahr 2014/2015, das am 1. August 2014 beginnt und am 31. Juli 2015 endet (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW). Seine Schulpflicht endet auch nicht nach § 38 Abs. 3 Satz 3 SchulG NRW vor Vollendung des 18. Lebensjahres. Bisher hat er keinen erfolgreichen Abschluss eines vollzeitschulischen Bildungsganges der Sekundarstufe II erreicht.
9Schließlich kann die Bezirksregierung ihn auch nicht nach § 38 Abs. 3 Satz 2 SchulG NRW für die Zeit nach seinem 18. Geburtstag vom weiteren Schulbesuch befreien. Ob sein Befreiungsantrag vom 9. Januar 2014, der sich nicht beim Verwaltungsvorgang befindet, auf eine Befreiung auch nach dieser Vorschrift gerichtet ist, kann dahinstehen. Eine solche Befreiung hängt im Gegensatz zu einer Befreiung nach § 43 Abs. 3 SchulG NRW nicht vom Vorliegen eines wichtigen Grundes ab, setzt aber gleichwohl voraus, dass sich die in § 38 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW bestimmte Fortdauer der Schulpflicht über das 18. Lebensjahr hinaus im Einzelfall als unbillige Härte für den Schüler auswirkt. Insbesondere kann sich eine solche Auswirkung für ihn ergeben, wenn er einen Arbeitsplatz in Aussicht hat, der Arbeitgeber ihn aber für den Schulbesuch nicht freistellen will.
10Minten, in: Jülich/van den Hövel, Schulrechtshandbuch NRW, Stand: Aktualisierungslieferung Nr. 37, Juni 2014, § 38, Rdn. 5; Kumpfert, in: Jehkul u. a., Schulgesetz NRW, Stand: 12. Lieferung Februar 2014, § 38, Erl. 3.1.
11Im Fall des Antragstellers ist nicht erkennbar, dass sich die Fortdauer seiner Schulpflicht in der Sekundarstufe II bis zum 31. Juli 2015 als unbillige Härte für ihn auswirkt. Insbesondere ergibt sich eine solche Härte nach Aktenlage nicht aus etwaigen gesundheitlichen Gründen, welche die Mutter des Antragstellers bislang lediglich pauschal für seine Unterrichtsversäumnisse und die Nichtversetzung am Ende der Klasse 9 angeführt hat. Im Gegenteil deuten die Äußerungen seiner Mutter im Bußgeldverfahren wegen Schulpflichtverletzung darauf hin, dass sie die Verweigerung des Schulbesuchs durch ihren Sohn schon seit längerer Zeit unter Verstoß gegen §§ 41 Abs. 1 Satz 2, 126 Abs. 1 Nr. 4 SchulG NRW unterstützt. Sie hat zur Begründung ihres Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid vom 20. März 2014 vortragen lassen, der Antragsteller habe „entschieden, nicht weiter zur Schule zu gehen“, und sie habe es „als Mutter für unangemessen gehalten, ihren Sohn gegen seinen Willen zur Schule zu zwingen“. Dieser Standpunkt ist gesetzeswidrig.
12Die zur Rechtfertigung dieser Schulverweigerung von der Mutter nunmehr nachträglich geltend gemachten verfassungsrechtlichen Einwände (Eingriff in Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG, GA 40) sind abwegig. In der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung steht außer Frage, dass die allgemeine Schulpflicht in NRW und der generelle Ausschluss von privatem Heimunterricht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben im Einklang stehen. Insbesondere dient die in Art. 8 Abs. 2 LV NRW verankerte Schulbesuchspflicht ihrerseits dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag.
13EGMR, Entscheidung vom 13. September 2011 ‑ 319/08 ‑, juris, Rdn. 76 (Sexualkundeunterricht); BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2009 - 1 BvR 1358/09 ‑, NJW 2009, 3151, juris, Rdn. 14; Beschluss vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1693/04 ‑, FamRZ 2006, 1094, juris, Rdn. 9 (Homeschooling); Beschluss vom 29. April 2003 - 1 BvR 436/03 ‑, NVwZ 2003, 1113, juris, Rdn. 7 (Heimunterricht); BVerwG, Urteil vom 11. September 2013 - 6 C 12.12 ‑, NJW 2014, 804, juris, Rdn. 21 (Krabat); OLG Hamm, Beschluss vom 12. Juni 2013 ‑ II-8 UF 75/12, 8 UF 75/12 ‑, NJW-RR 2014, 6, juris, Rdn. 30.
14Die genannte Ermessenserwägung der Bezirksregierung entspricht schließlich auch dem Zweck der verordnungsrechtlichen Ermächtigung in § 6 Abs. 1 PO-Externe-S I und der gesetzlichen Ermächtigung in den §§ 51 Abs. 2, 52 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10, Abs. 2 SchulG NRW. Nach § 51 Abs. 2 SchulG NRW können Personen, die keine öffentliche Schule oder Ersatzschule besuchen, in einer besonderen Prüfung die Abschlüsse nachträglich erwerben (Externenprüfung). Diese Vorschrift ergänzt lediglich § 51 Abs. 1 SchulG NRW, der als Regelfall des Erwerbs eines Schulabschlusses die Abschlussprüfung in einem schulischen Bildungsgang vorsieht. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen schulischer Abschlussprüfung und Externenprüfung war in § 26b Abs. 1 Satz 1 SchVG, der Vorläuferbestimmung des heutigen § 51 Abs. 1 SchulG NRW, ausdrücklich normiert („in der Regel“). Den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Übernahme in das SchulG hieran etwas ändern wollte.
15Gesetzentwurf der Landesregierung,
16LT-Drs. 13/5394 vom 5. Mai 2004, S. 101.
17Im Gegenteil bringt der Gesetzgeber mit den Begriffen „Personen“, „besondere Prüfung“ und „nachträglich“ auch im Wortlaut des § 51 Abs. 2 SchulG NRW nach wie vor zum Ausdruck, dass eine Externenprüfung nur ausnahmsweise stattfindet. Eine solche Ausnahme greift insbesondere für Schulpflichtige ein, die ihre Schulpflicht in der Sekundarstufe II abweichend von § 34 Abs. 2 Satz 2 SchulG NRW an einer nach § 34 Abs. 4 SchulG NRW anerkannten Ergänzungsschule erfüllen. Die Externen-prüfung dient hiernach nicht dem Zweck, einen zweiten gleichrangigen Weg des Abschlusserwerbs für solche Schulpflichtigen zu eröffnen, die ihre Schulpflicht an einer Schule erfüllen können, diese Pflicht aber unter Verstoß gegen die §§ 38 Abs. 1, 126 Abs. 1 Nr. 5 SchulG NRW verletzen.
18Die vorbenannte Ermessenserwägung unterliegt schließlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere liegt in der Ablehnungsentscheidung kein Eingriff in sein Grundrecht auf freie Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 GG. Seine Mutter kann und muss ihn an einem Berufskolleg anmelden und ihm dadurch die Möglichkeit verschaffen, den angestrebten Abschluss zu erwerben.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
20Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
21Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
- 1
Für die Kläger in den vier gleichlaufenden und zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Verfahren 2 K 1525/13, 2 K 1527/13, 2 K 1530/13 und 2 K 1540/13 (vier Kläger) steht in Streit, ob sie als volljährige Auszubildende in einem Berufsausbildungsverhältnis in Hamburg schulpflichtig sind und ob sie von der Schulpflicht zu befreien sind.
- 2
Die … 1992 geborene Klägerin hat im Schuljahr … die Allgemeine Hochschulreife erworben. Aufgrund eines Berufsausbildungsvertrags mit einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, der A., Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Sitz in B., nahm die Klägerin am 1. August 2012 an einer in Hamburg gelegenen Ausbildungsstätte die Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten auf.
- 3
Die Beklagte forderte die A. mit Email des Wirtschaftsgymnasiums C. vom 27. August 2012 auf, die Auszubildenden des Jahrgangs 2012 anzumelden. Die A. wandte sich unter dem 9. Januar 2013 an das Hamburger Institut für berufliche Bildung und bat um eine rechtliche Würdigung hinsichtlich der Schulpflicht der vier Kläger. Die A. führte aus, unternehmensweit sei geprüft worden, ob und inwieweit in den einzelnen Bundesländern Berufsschulpflicht bestehe. Zur Vermeidung von Nachteilen besuchen die vier Kläger ab dem 14. Januar 2013 vorsorglich die Berufsschule. In einem Schreiben vom 29. Januar 2013 teilte das Hamburger Institut für berufliche Bildung der A. seine rechtliche Würdigung mit, dass die vier Kläger ihre Berufsausbildung in Hamburg absolvierten und somit schulpflichtig nach § 37 Abs. 2 HmbSG seien.
- 4
Mit Schreiben vom 7. Februar 2013 beantragte die zur Vertretung der vier Kläger zunächst nicht bevollmächtigte A. beim Hamburger Institut für Berufliche Bildung der Beklagten, festzustellen, dass bezüglich der vier Kläger keine Schulpflicht bestehe. Die A. brachte vor, dass nach § 37 Abs. 3 HmbSG die Schulpflicht spätestens mit Vollendung des 18. Lebensjahrs ende und nach Erreichen der Volljährigkeit jede Person selbst bestimmen können müsse, ob sie eine Schule besuchen wolle oder nicht.
- 5
Mit weiterem Schreiben vom 7. Februar 2013 beantragte die A. vorsorglich, die vier Kläger von der Schulpflicht zu befreien, da es sich um Auszubildende im öffentlichen Dienst nach § 39 Abs. 2 Satz 2 HmbSG handele und jedenfalls nach § 39 Abs. 2 Satz 1 HmbSG hinreichender Unterricht durch die A.-Akademie in D. anderweitig gewährleistet sei. Die Beklagte lehnte die Befreiung von der Schulpflicht durch Bescheid des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung vom 24. Februar 2013 ab. Dagegen wandte sich die A. mit einem Widerspruch vom 12. März 2013 und beantragte festzustellen, dass keine Schulpflicht bestehe. Alle Kläger erteilten am 18./19. März 2013 der A. rückwirkend Vollmacht zu ihrer Vertretung.
- 6
Die Beklagte wies die Widersprüche jeweils mit einem Widerspruchsbescheid der Behörde für Schule und Berufsbildung am 21. März 2013 zurück und legte dar: Die vier Kläger seien nach § 37 Abs. 2 HmbSG schulpflichtig. Zum einen sei in der Gesetzesbegründung der Änderung von § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbSG klargestellt worden, dass die Verpflichtung zum Besuch der Berufsschule während der dualen Ausbildung aufrechterhalten bleibe. Zum anderen würde bei einer Verneinung der Schulpflicht von dem im Berufsbildungsgesetz niedergelegten Prinzip der verschiedenen Lernorte Berufsschule und Betrieb abgewichen. Außerdem bestünde die Gefahr, dass Jugendliche im Wettbewerb um Ausbildungsplätze benachteiligt würden.
- 7
Zur Begründung der am 22. April 2013 erhobenen Klage auf Befreiung von der Schulpflicht, die am 4. November 2013 um ein Hilfsbegehren auf Feststellung des Nichtbestehens der Schulpflicht erweitert wurde, trägt die Klägerin vor: Das Ausbildungsmodell der A. sehe vor, dass die nach dem Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf der Sozialversicherungsfachangestellten ausbildungsrelevanten berufsschulischen Inhalte durch die A.-Akademie in D. vermittelt würden. Das Bundesversicherungsamt habe das Ausbildungsverhältnis zwischen der Klägerin und der A. ohne Besuch einer Berufsschule in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen. Eine Berufsschulpflicht liege nach den Vorschriften des Hamburgischen Schulgesetzes nicht vor. Die Ausbildung finde im öffentlichen Dienst statt. Weiter habe die Klägerin bei Beginn der Ausbildung das 18. Lebensjahr vollendet gehabt, so dass für sie keine Berufsschulpflicht bestehe. Das einheitliche Institut der Schulpflicht werde durch § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbSG näher ausgestaltet. Für dieses Verständnis spreche auch die Stellung der Regelung innerhalb des Gesetzesparagrafen. Der Gesetzeszweck stehe nicht entgegen. Eine entsprechende Regelung finde sich auch im Freistaat Sachsen.
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Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24. Februar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. März 2013 zu verpflichten, sie von der Schulpflicht zu befreien,
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2. hilfsweise festzustellen, dass sie nicht der Schulpflicht unterliegt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte widerspricht der Klagerweiterung um den Hilfsantrag und tritt im Übrigen der Klage in der Sache entgegen.
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Beigezogen und zum Gegenstand der gemeinsamen mündlichen Verhandlung sind gemacht worden die Sachakten der Beklagten in den Verfahren der vier Kläger. Darauf sowie auf die Gerichtsakte im hiesigen Verfahren wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht gemäß § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO durch den Berichterstatter anstelle der Kammer.
I.
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Die Klage bleibt im Hauptantrag (1.) sowie im Hilfsantrag (2.) ohne Erfolg.
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1. Im Hauptantrag ist die zulässige Klage nach § 113 Abs. 5 VwGO nicht begründet. Die Beklagte hat es mit Bescheid vom 24. Februar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. März 2013 zu Recht abgelehnt, die Klägerin von der Schulpflicht zu befreien. Zwar ist die Klägerin schulpflichtig (a)). Doch liegen die Voraussetzungen, unter denen von der Schulpflicht befreit werden kann, nicht vor (b)).
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a) Die Klägerin ist schulpflichtig. Die Schulpflicht folgt zwar nicht aus § 37 Abs. 1 des Hamburgischen Schulgesetzes (v. 16.4.1997, HmbGVBl. S. 197, zuletzt geändert durch Gesetz v. 28.1.2014, HmbGVBl. S. 37 – HmbSG). Danach ist, wer in Hamburg einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, in Hamburg zum Schulbesuch verpflichtet. Insoweit bestimmt § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbSG, dass die Schulpflicht elf Schulbesuchsjahre dauert und spätestens mit Vollendung des 18. Lebensjahres endet. Doch folgt die Schulpflicht der volljährigen Klägerin aus § 37 Abs. 2 HmbSG. Danach sind Auszubildende für die Dauer ihres Berufsausbildungsverhältnisses in Hamburg schulpflichtig, wenn sie, wie die Klägerin, ihre Ausbildungsstätte innerhalb Hamburgs haben. Diese Schulpflicht gilt auch für volljährige Auszubildende. Die allgemeine Bestimmung über das Ende der Schulpflicht in § 37 Abs. 3 Satz1 HmbSG findet insoweit keine Anwendung, da die in § 37 Abs. 2 HmbSG enthaltene besondere Regelung über die Dauer der nach dieser Vorschrift begründeten Schulpflicht vorrangig ist.
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Bereits der Wortlaut des Gesetzes deutet auf einen Vorrang der Bestimmung in § 37 Abs. 2 HmbSG hin. Denn dort ist nicht lediglich nach dem Muster des § 37 Abs. 1 Satz 1 HmbSG bestimmt, dass, wer in Hamburg als Auszubildender in einem Berufsausbildungsverhältnis eine Ausbildungsstätte besucht, in Hamburg zum Schulbesuch verpflichtet ist. Vielmehr ist – anders als in § 37 Abs. 1 Satz 1 HmbSG – eine Regelung über die Dauer der Schulpflicht getroffen. Der Wortlaut des § 37 Abs. 2 HmbSG ist nicht darauf beschränkt, neben dem Wohnsitz oder Aufenthalt gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 HmbSG einen weiteren Anknüpfungspunkt für eine Schulpflicht zu setzen, deren Dauer andernorts bestimmt wird.
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In systematischer Hinsicht scheint allerdings zunächst die Stellung innerhalb des Gesetzesparagrafen nahe zu legen, dass § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbSG der Regelung in § 37 Abs. 2 HmbSG vorrangig ist. Denn im Allgemeinen ist die speziellere Bestimmung im selben Gesetzesparagrafen nach der generellen Bestimmung zu finden. Inhaltlich ist jedoch die auf den Besuch einer Ausbildungsstätte im Rahmen eines Berufsausbildungsverhältnisses beschränkte Regelung über die Dauer der Schulpflicht in § 37 Abs. 2 HmbSG spezieller als die ihrem Wortlaut nach keine sachliche Beschränkung enthaltende Regelung über das Ende der Schulpflicht in § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbSG.
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Die Unterscheidung zwischen der Schulpflicht nach § 37 Abs. 1 HmbSG, die nur Kinder und Jugendliche trifft, und der Schulpflicht nach § 37 Abs. 2 HmbSG, die Auszubildende in einem Berufsausbildungsverhältnis unabhängig von ihrem Alter trifft, ist im Gesetz angelegt. In § 39 Abs. 2 Satz 1 HmbSG ist – hinsichtlich des Alters voraussetzungslos – bestimmt, dass eine Schülerin oder ein Schüler von der Schulpflicht befreit werden, wenn ein wichtiger Grund dies rechtfertigt und hinreichender Unterricht oder eine gleichwertige Förderung anderweitig gewährleistet ist. Demgegenüber können nach § 39 Abs. 2 Satz 2 HmbSG allein Jugendliche, die eine Ausbildung im öffentlichen Dienst oder eine dem Berufsschulunterricht entsprechende Ausbildung auf bundes- oder landesgesetzlicher Grundlage erhalten, von der Schulpflicht nach § 37 Abs. 1 HmbSG befreit werden. Der Begriff der Jugendlichen unterscheidet sich von dem in § 37 Abs. 1 Satz 2 HmbSG verwendeten der jungen Menschen. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist an die Definitionen in § 1 Abs. 2 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) und § 7 Abs. 1 Nr. 2 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) anzuknüpfen. Danach ist Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist.
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Weiter geht in systematischer Hinsicht aus § 39 Abs. 1 Nr. 1 HmbSG hervor, dass schulpflichtig bleibt, wer ein Berufsausbildungsverhältnis begründet, selbst wenn er die Berufsfachschule erfolgreich abgeschlossen hat. In dieser Bestimmung ist die Befreiung von der Schulpflicht eröffnet für denjenigen, der die Berufsfachschule erfolgreich abgeschlossen hat, sofern kein Berufsausbildungsverhältnis begründet wird. Die Frage einer Befreiung von der Schulpflicht stellt sich nur dann, wenn der Betroffene weiterhin der Schulpflicht unterliegt. Der Bestimmung verbleibt ein sinnvoller Anwendungsbereich nur dann, wenn § 37 Abs. 2 HmbSG der Regelung des § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbSG vorgeht. Denn wer die Berufsfachschule erfolgreich abgeschlossen hat, wird in aller Regel bereits elf Schulbesuchsjahre an allgemeinbildenden Schulen und der Berufsfachschule absolviert haben, so dass eine aus § 37 Abs. 1 Satz 1 HmbSG folgende Schulpflicht nach § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbSG beendet ist.
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Die Gesetzgebungsgeschichte deutet ebenfalls auf einen Vorrang des § 37 Abs. 2 HmbSG hin. Hätte der Gesetzgeber dieser Regelung entgegen ihrem Wortlaut einen eingeschränkten und § 37 Abs. 1 Satz 1 HmbSG angeglichenen Sinngehalt beimessen wollen, so hätte nahegelegen, den Besuch einer Ausbildungsstätte in Hamburg schlicht als weiteren Anknüpfungspunkt einer Schulpflicht nach § 37 Abs. 1 Satz 1 HmbSG im Gesetzeswortlaut niederzulegen, so wie es in § 37 Abs. 1 HmbSG 1997 der Fall gewesen war. Gerade davon ist der Gesetzgeber aber durch die Gesetzesnovelle 2006 abgegangen. Während § 37 Abs. 1 des Hamburgischen Schulgesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 16. April 1997 (HmbGVBl. S. 97 – HmbSG 1997) noch lautete
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„(1) Schulpflichtig ist, wer in Hamburg seine Wohnung oder bei mehreren Wohnungen seine Hauptwohnung […] oder seine Ausbildungsstätte hat“,
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sind in § 37 Abs. 1 und § 37 Abs. 2 HmbSG in der Fassung des Gesetzes vom 18. Mai 2006 (HmbGVBl. S. 243 – HmbSG 2006) die mit heutigem § 37 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 HmbSG wortlautgleichen Regelungen geschaffen worden. In einer innerhalb des Gesetzesparagrafen nachfolgenden Regelung wurde in § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbSG 2006 zunächst aufgenommen
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„(3) Die Schulpflicht endet grundsätzlich elf Jahre nach ihrem Beginn oder mit Ablauf des Schuljahres, in dem die Schülerin oder der Schüler das 18. Lebensjahr vollendet. […]“
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und später in § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbSG durch das Gesetz vom 27. Oktober 2009 (HmbGVBl. S. 373) die gültige Fassung.
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Die Neuregelung im Jahr 2006 zielte lediglich auf eine begriffliche Zusammenfassung der Schulpflicht, die weiterhin auf verschiedene Grundlagen – einerseits den Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt in Hamburg, andererseits die Ausbildungsstätte in Hamburg – gestützt wird. In den Gesetzgebungsmaterialen zu dem Gesetz vom 18. Mai 2006 (Bü.-Drs. 18/3780 S. 44 f.) ist ausgeführt, § 37 Abs. 1 HmbSG 2006 regele die Schulpflicht für die in Hamburg lebenden Kinder und Jugendlichen, § 37 Abs. 2 HmbSG 2006 regele die Berufsschulpflicht im Sinne des Berufsausbildungsgesetzes und vergleichbarer Gesetze für Auszubildende in Hamburg und „fasse“ die Vorschriften des § 37 Abs. 1 und 2 HmbSG 1997 und des § 39 Abs. 2 HmbSG 1997 „hinsichtlich der Berufsschulpflicht zusammen“. In § 37 Abs. 2 HmbSG 1997 hatte es gelautet
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„(2) Wer in Hamburg zwar seine Wohnung oder Hauptwohnung, seine Ausbildungsstätte jedoch außerhalb Hamburgs hat, ist in Hamburg nicht schulpflichtig.“
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und in § 39 HmbSG 1997
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„(2) Auszubildende, die in einem Ausbildungsverhältnis im Sinne des Berufsbildungsgesetzes… stehen, sind für die Dauer des Ausbildungsverhältnisses berufsschulpflichtig.“
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Vor der Neuregelung im Jahr 2006 waren in § 39 HmbSG 1997 bzw. § 40 HmbSG 1997 Beginn und Dauer der Vollzeitschulpflicht bzw. Beginn und Dauer der Berufsschulpflicht gesondert geregelt gewesen. Aus den Materialien zum Gesetz vom 18. Mai 2006 geht nicht hervor, dass die (vormals so bezeichnete) Berufsschulpflicht (nunmehr nach § 37 Abs. 2 HmbSG) ebenso wie die (vormals so bezeichnete) Vollzeitschulpflicht (nunmehr nach § 37 Abs. 1 HmbSG) ausschließlich Minderjährige treffen solle.
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Nach dem Stand der Neuregelung im Jahr 2006 kam durch das Wort „grundsätzlich“ in § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbSG 2006 der Vorrang des § 37 Abs. 2 HmbSG 2006 zum Ausdruck. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Streichung des Wortes „grundsätzlich“ in § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbSG mit der Neuregelung im Jahr 2009 Zweifel am Vorrang des § 37 Abs. 2 HmbSG wecken wollte. Die Gesetzesmaterialien (Bü.-Drs. 19/3195 S. 10, 18) schweigen zu dieser Streichung und enthalten lediglich Ausführungen dazu, die Veränderungen in § 37 Abs. 1 und 3 HmbSG sollten die Bildungsteilhabe junger Menschen stärken.
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In den Gesetzesmaterialien (Bü.-Drs. 19/3195 S. 10, 18) kommt darüber hinaus positiv zum Ausdruck, dass an dem Vorrang des § 37 Abs. 2 HmbSG festzuhalten ist. Zu § 39 Abs. 1 Nr. 1 HmbSG ist wörtlich ausgeführt:
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„Die Verpflichtung zum Besuch der Berufsschule während der dualen Ausbildung bleibt aufrechterhalten.“
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In zeitlicher Hinsicht besteht die Schulpflicht nach § 37 Abs. 2 HmbSG damit nicht nur nach dem Gesetzeswortlaut, sondern auch nach der Begründung des Gesetzes ausdrücklich „während“ der Berufsausbildung.
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Der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck erfordert eine Schulpflicht auch volljähriger Auszubildender in einem Berufsausbildungsverhältnis. Wären volljährige Auszubildende nicht schulpflichtig, wären Ausbildungsstätten versucht, nur Volljährige in ein Berufsausbildungsverhältnis zu übernehmen. Minderjährige wären damit im Wettbewerb im Nachteil. So hat die A. mit Schreiben vom 9. Januar 2013 ausgeführt, unternehmensweit sei geprüft worden, ob und inwieweit in den einzelnen Bundesländern Berufsschulpflicht bestehe. Darin wird ein Bestreben ersichtlich, sich nach Möglichkeit die Arbeitskraft der Auszubildenden unbeeinträchtigt durch eine Berufsschulpflicht zu Nutzen zu machen. Wie im Widerspruchsbescheid dargelegt, kann ausgehend von den Gesetzesmaterialien nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber dies gewollt hat.
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Die Freie und Hansestadt Hamburg war nicht gehalten, die gleiche Regelung über die Schulpflicht zu treffen wie der Freistaat Sachsen. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 des Schulgesetzes für den Freistaat Sachsen in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Juli 2004 (SächsGVBl. S. 298, zuletzt geändert durch Gesetz v. 19.5.2010, SächsGVBl. S. 142) bleiben Auszubildende, die vor Beendigung der Berufsschulpflicht ein Berufsausbildungsverhältnis beginnen, bis zum Ende des Berufsausbildungsverhältnisses berufsschulpflichtig. Es kann dahinstehen, ob oder unter welchen Voraussetzungen Auszubildende, die bei Beginn des Berufsausbildungsverhältnisses bereits volljährig waren, nach sächsischem Recht schulpflichtig sind. Denn eine nach der Volljährigkeit bei Beginn des Berufsausbildungsverhältnisses differenzierende Regelung hat zumindest der hamburgische Gesetzgeber nicht getroffen.
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b) Die Klägerin kann von der Schulpflicht nicht nach § 39 HmbSG befreit werden. Die Befreiungstatbestände in Absatz 1 Nummer 1 (aa)) und Nummer 2 (bb)) sowie in Absatz 2 Satz 2 (cc)) und Satz 1 (dd)) sind nicht erfüllt.
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aa) Eine Befreiung von der Schulpflicht nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 HmbSG ist nicht möglich. Denn nach dieser Bestimmung wird ausdrücklich vorausgesetzt, dass kein Berufsausbildungsverhältnis begründet wird, was vorliegend jedoch der Fall ist.
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bb) Eine Befreiung von der Schulplicht kann nicht auf § 39 Abs. 1 Nr. 2 HmbSG gestützt werden. Diese Bestimmung setzt voraus, dass nach Feststellung der zuständigen Behörde der Betroffene anderweitig hinreichend ausgebildet ist. Zwar hat die Klägerin bereits mehr als einen mittleren Schulabschluss erlangt. Nach § 5 der Zeugnisordnung der Berufsschule (v. 16.7. 2002, HmbGVBl. S. 151 – ZO-BES) entspricht ein Abschluss der Berufsschule mindestens dem ersten allgemeinbildenden Schulabschluss und gegebenenfalls dem mittleren Schulabschluss. Doch besteht nach der gesetzgeberischen Wertung des § 37 Abs. 2 HmbSG allein deshalb noch keine hinreichende anderweitige Ausbildung. Die Klägerin durchläuft eine über allgemeinbildende Inhalte hinausgehende Berufsausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten. Während dieser Ausbildung besteht grundsätzlich Schulpflicht, von der nicht regelhaft abgesehen werden kann.
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cc) Eine Befreiung von der Schulpflicht kann nicht auf § 39 Abs. 2 Satz 2 HmbSG gegründet werden. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde Jugendliche, die eine Ausbildung im öffentlichen Dienst oder eine dem Berufsschulunterricht entsprechende Ausbildung auf bundes- oder landesgesetzlicher Grundlage erhalten, von der Schulpflicht nach § 37 Abs. 1 HmbSG befreien. Bereits der Rechtsfolge nach ist keine Befreiung von der durch § 37 Abs. 2 HmbSG auch für volljährige Auszubildende in einem Berufsausbildungsverhältnis begründeten Schulpflicht möglich. In Übereinstimmung damit setzt der Tatbestand des § 39 Abs. 2 Satz 2 HmbSG voraus, dass es sich um Jugendliche handelt, mithin nicht um Volljährige wie die Klägerin.
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dd) Eine Befreiung von der Schulpflicht ist ebenso wenig durch § 39 Abs. 2 Satz 1 HmbSG eröffnet. Nach dieser Vorschrift kann eine Schülerin oder ein Schüler von der Schulpflicht befreit werden, wenn ein wichtiger Grund dies rechtfertigt und hinreichender Unterricht oder eine gleichwertige Förderung anderweitig gewährleistet ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der vom Unternehmen angebotene Unterricht an der A.-Akademie ist nicht hinreichend.
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Aus der Äußerung des Bundesversicherungsamts vom 7. August 2013 lässt sich für einen schulrechtlich hinreichenden Unterricht nichts herleiten. Das Bundesverwaltungsamt hat geäußert, an der A.-Akademie werde vermittelt „der Lehrstoff des Rahmenlehrplans, 'soweit er für die Berufsausbildung wesentlich' und dementsprechend Inhalt der Zwischen- und Abschlussprüfungen“ nach „§ 8 Abs. 2 bzw. § 9 Abs. 1 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Sozialversicherungsfachangestellten/zur Sozialversicherungsfachangestellten“ sei. Bei der genannten Verordnung handelt es sich um eine Ausbildungsordnung auf Grundlage von § 5 BBiG. Das Berufsbildungsgesetz erwähnt in § 2 Abs. 1 Nr. 2 BBiG zwar den Lernort der berufsbildenden Schulen für die schulische Berufsbildung, enthält jedoch unmittelbar keine Regelungen der schulischen Berufsbildung, weil dies in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt (Wohlgemuth in Wohlgemuth, Berufsbildungsgesetz, Kommentar, § 2 Rn. 3). Ausdrücklich nach § 3 Abs. 1 BBiG gilt dieses Gesetz für die Berufsbildung, soweit sie nicht in berufsbildenden Schulen durchgeführt wird, die den Schulgesetzen der Länder unterstehen. Zu diesen berufsbildenden Schulen gehört die in § 20 HmbSG geregelte Berufsschule. Dementsprechend bemisst sich auch die Berufsschulpflicht nicht unmittelbar nach dem Berufsbildungsgesetz und der auf dieser Grundlage ergangenen Ausbildungsordnung. Maßstab für die schulische Berufsbildung sind vielmehr der Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Sozialversicherungsfachangestellte/Sozialversicherungsfachangestellter gemäß Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 26. September 1996 (BAnz 1997, Beilage Nr. 170a, S. 49 ff.) und das ihm folgende Curriculum der zuständigen Berufsschule.
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Sofern fachübergreifende Inhalte der schulischen Berufsbildung an der Berufsschule die Frage aufwerfen, ob die Klägerseite nicht insoweit hinreichend gebildet ist, ist darauf zu verweisen, dass ein vorhandener allgemeinbildender Schulabschluss im Allgemeinen nicht den Besuch der Berufsschule entbehrlich macht, sondern gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 BBiG zu einer Abkürzung der Ausbildungszeit des Berufsausbildungsverhältnis führen kann. Realschulabschluss oder Abitur kommen insbesondere als Gründe für eine Abkürzung der Ausbildungszeit im Berufsausbildungsverhältnis in Betracht (Wohlgemuth in Wohlgemuth, Berufsbildungsgesetz, Kommentar, § 8 Rn. 4).
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Sofern fachliche Inhalte der schulischen Berufsbildung in Rede stehen, ist zu beachten, dass die A.-Akademie in der Summe 273 Stunden Unterricht bietet, die Berufsschule 880 berufsbezogene Unterrichtsstunden zuzüglich 120 Stunden Fachenglisch, die an der A.-Akademie nicht erteilt werden. An angebotenen Unterrichtsstunden stehen in der Ausbildungszeit einander gegenüber:
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A.-Akademie
Berufsschule
Deckungsgrad
Sozialversicherungslehre
30
200
15 %
Wirtschaftslehre
Volkswirtschaftslehre
Marketing
Betriebswirtschaftslehre
103
20
29280
54 %
Rechtslehre
65
240
27 %
Rechnungswesen
12
160
7 %
Wiederholungsunterricht
14
-
-
Summe
273
880
31 %
- 48
Für die A. bietet die Unterrichtung der Auszubildenden an der A.-Akademie den Vorteil, dass gegenüber einer Unterrichtung an der Berufsschule nur ein Drittel der Zeit benötigt wird und ein entsprechend höherer Anteil der A. als Arbeitszeit zur Verfügung steht. Dieser Vorteil der A. entspricht dem Nachteil der Auszubildenden, denen das Modell keine gleichwertige Ausbildung gewährleistet.
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2. Die Klageerweiterung um einen Hilfsantrag auf Feststellung des Nichtbestehens der Schulpflicht ist nach § 91 Abs. 1 Alt. 2 VwGO sachdienlich, da der diesbezügliche Prozessstoff bereits im Rahmen der Prüfung des Hauptantrags aufbereitet ist. Die Klage ist im Hilfsantrag nach § 43 Abs. 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 VwGO zulässig. Es besteht ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, da die Beklagte die Schulpflicht behauptet hat. Ob die Klägerin der Schulpflicht unterliegt, ist im Rahmen der im Hauptantrag verfolgten Verpflichtungsklage als besonderer Leistungsklage lediglich Vorfrage und ist zulässigerweise zum Streitgegenstand einer nachrangigen allgemeinen Feststellungsklage gemacht worden. Die Klage ist im Hilfsantrag hingegen nicht begründet. Das Gericht kann die begehrte Feststellung nicht treffen. Denn die Klägerin unterliegt, wie bereits ausgeführt, der Schulpflicht (s.o. 1. a)).
II.
- 50
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.