Verwaltungsgericht Köln Urteil, 15. Juni 2016 - 26 K 5958/15
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Die am 0. Oktober 0000 in E1. geborene Klägerin, die bisher nur über einen Schwerbehindertenausweis mit einem GdB von 80 ohne Merkzeichen Bl verfügt und noch nicht vollständig erblindet ist, so dass sie alle Dokumente selbst unterzeichnet, wendet sich gegen die Aufhebung der Blindengeldbewilligung zum 1. Oktober 2015 und Einstellung der Blindengeldzahlung zum 30. September 2015. Sie begehrt Fortzahlung der Leistung ab dem 1. Oktober 2015.
3Die Hilfe beantragte sie, seinerzeit in ihrer Eigentumswohnung in B. , W. -C. -Str. 00, wohnend, unter dem 18. August 2014. Als nächsten Angehörigen nannte sie ihren Sohn V. T. aus F. und gab u.a. an, ein Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen Bl (blind) sei nicht beantragt. Sie erhalte keine Leistungen bei häuslicher oder teilstationärer Pflege. Gemäß der vorgelegten augenärztlichen Bescheinigung des Dr. B1. L. aus B. vom 5. August 2014, dem soweit ersichtlich keine Untersuchungs- und Befunddokumentation beigefügt war, litt sie unter Maculadegeneration, die zentrale Sehschärfe betrage links und rechts ohne und mit Korrektur jeweils 1/50. Eine Besserung sei nicht möglich.
4Mit Bescheid vom 2. September 2014 bewilligte der Beklagte ab dem 1. August 2014 Blindengeld in Höhe von monatlich 473,00 €. Es hieß, dass Blindengeld werde gezahlt, solange die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Die Zahlung sei mit Ablauf des Monats einzustellen, in dem die Voraussetzungen entfielen. Der Beklagte wies auf das als Anlage beigefügte Merkblatt besonders hin.
5Die Klägerin schloss mit dem L1. T1. – T2. Stiftung des privaten Rechts – mit Wirkung zum 1. September 2015 einen Wohn- und Betreuungsvertrag. In der Präambel heißt es, Ziel des Vertrages sei es, den Bewohner in die Senioreneinrichtung aufzunehmen, ihm ein neues Zuhause zu schaffen, in dem er selbstbestimmt und selbstverantwortlich leben könne. Die Einrichtung sei keine Pflegeeinrichtung im Sinne des Gesetzes sondern biete Dienstleistungen insbesondere im Bereich der sozialen Betreuung sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung. Gemäß § 2 Abs. 1 gewährt die Einrichtung der Klägerin Unterkunft, Reinigung des Wohnraums, Verpflegung, Beratung und persönliche soziale Betreuung sowie Nutzung der Gemeinschaftsräume nach Maßgabe der diesbezüglichen Paragrafen. Das 50,88 qm große Appartement mit 3 Räumen ist unmöbliert, mit Telefon-, Kabel- und Satellitenanschluss sowie Notrufanlage ausgestattet. Dessen Reinigung erfolgt durch die Einrichtung. Das Angebot von Frühstück, Mittag- und Abendessen, einer kleinen Zwischenmahlzeit und Getränken (Tee, Waser), serviert im Speiseraum, ist grundsätzlich im Entgelt enthalten. Weitere Mahlzeiten und Getränke oder Servieren im eigenen Wohnraum erfordern Zusatzzahlungen. Die persönliche Betreuung beinhaltet keine regelmäßigen Pflegeleistungen. Diese sind gesondert mit einem Ambulanten Dienst zu vereinbaren. Erbracht werden aber kleine individuelle Hilfestellungen in Form der Ersten Hilfe bei Auslösen eines Notrufes, Kontrollbesuch im Appartement bei unabgemeldetem Fernbleiben zum Mittagessen, kurzfristige Übernahme der Grundpflege bei akuter Erkrankung, die nicht zu dauerhafter Pflege führt, bis zu maximal 14 Tagen im Jahr, Beobachtung des allgemeinen gesundheitlichen Zustands, aktivierende Besuche nach Krankenhausaufenthalt und Sturz mindestens an 7 Tagen, Vermittlung gewünschter und notwendiger Hilfen. Freizeitangebote, kulturelle Angebote sowie gesundheitsfördernde Gruppenaktivitäten im Haus werden organisiert. Es wird für ein an den Interessen und Bedürfnissen der Bewohner orientiertes kulturelles und soziales Programm gesorgt. Insoweit ist ein zusätzlicher Kostenbeitrag möglich. Bei persönlichen Angelegenheiten wird Unterstützung geboten (§ 7 des Vertrages). Das von der Klägerin zu entrichtende Gesamtentgelt beträgt monatlich 1.909,70 € zuzüglich Entgelten aus einer Anlage B. Die Verpflegungskosten der Grundverpflegung sind in dem Preis inbegriffen, die Klägerin nimmt aber nicht an der Verpflegungsleistung Frühstück teil. Die wöchentlich 50-minütige Appartementreinigung ist vom Preis erfasst. Die Klägerin hat die Reinigung ihres Appartements in ihrer Abwesenheit ausgeschlossen. Gegen Zuzahlung hinzugebucht hat die Klägerin das Waschen, nicht aber das Einräumen, der Flachwäsche (Bettwäsche, Handtücher,...). Sie nimmt als Zusatzleistung mit Zuzahlung ebenfalls das 14-tägliche Bettbeziehen in Anspruch, nicht aber Waschen und Einräumen der persönlichen Bekleidung, zusätzliche hauswirtschaftliche Leistungen, Hotelservice in Form täglicher Sichtreinigung, täglicher Reinigung von Toilette und Waschbecken sowie Bettenmachen und Müllentsorgung, ferner buchte sie Zimmerservice pro Mahlzeit, wöchentliche Getränkelieferung, Begleitung oder Serviceklingeln nicht gegen Zuzahlung hinzu. In § 11 Abs. 2 heißt es, die Konzeption der stationären Senioreneinrichtung sei ein niederschwelliges Angebot und unterscheide sich von einer stationären Pflegeeinrichtung dadurch, dass sie neben Unterkunft ausschließlich hauswirtschaftliche und sozialbetreuerische Leistungen anbiete. Der Vertrag beinhalte daher grundsätzlich keine Pflegeleistungen und keine Leistungen, die über die in § 7 beschriebene Beratung und persönliche soziale Betreuung hinausgingen. Die Einrichtung sei nicht verpflichtet, im Falle der Änderung des Pflege- und Betreuungsbedarfs des Bewohners eine entsprechende Anpassung der Leistung anzubieten. Persönliche Pflege- und Betreuungsleistungen müssten mit einem Ambulanten Dienst zusätzlich vereinbart werden und würden nicht von der Einrichtung erbracht. Gemäß § 14 erklären die Bewohner sich damit einverstanden, dass das Personal oder sonstige Beauftragte zur Erfüllung der ihnen obliegenden vertraglichen Leistungen und unter Beachtung der Intimsphäre des Bewohners die Unterkunft zu den üblichen Zeiten nach Vereinbarung betreten dürfen. Um sich vom Zustand der überlassenen Räume zu überzeugen, darf die Leitung der Einrichtung oder ein von ihr Beauftragter nach rechtzeitiger Verständigung des Bewohners diese betreten. Bei Gefahr für Leben und Gesundheit ist die Einrichtungsleitung oder ein von ihr Beauftragter auch ohne vorherige Ankündigung und außerhalb der üblichen Zeiten berechtigt, die Räume zu betreten. Die Einrichtung hat gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4 ein Kündigungsrecht ohne Einhaltung einer Frist u.a. dann, wenn sie aufgrund ihrer Konzeption eine fachgerechte Betreuungsleistung nicht erbringen kann, weil die Ausrichtung der Einrichtung die notwendigen Pflege-und Betreuungsleistungen nicht vorsieht. Gemäß § 20 Abs. 1 hat der Bewohner nach Ende des Vertragsverhältnisses den Wohnraum geräumt, besenrein und im ordnungsgemäßen Zustand mit sämtlichen Schlüsseln an die Einrichtung zu übergeben. Bei schuldhafter, vertragswidriger Abnutzung des Raumes durch den Bewohner hat er die Kosten der dadurch bedingten Instandsetzung zu tragen. In § 21 werden dem Bewohner der Abschluss einer Haftpflichtversicherung mit unbegrenzter Schadenshöhe für den Fall von ihm vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachter Sach- und Personenschäden und der Abschluss einer Versicherung gegen Schäden aller Art (Einbruchdiebstahl, Feuer, Leitungswasser) empfohlen, ferner die Anmietung eines Bankschließfachs für Bargeld, Schmuck, Wertsachen aller Art sowie wichtige persönliche Papiere und Unterlagen, für die die Einrichtung nicht hafte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag, Bl. 43 ff. Gerichtsakte, Bezug genommen.
6In dem von der Klägerin am 18. August 2015 unterzeichneten Bogen „Bewohnerdaten“ ist als Unterbringungsart nicht „Senioreneinrichtung“, sondern „Wohnen mit Service“ angekreuzt. Ein Verwahrgeldkonto wurde nicht gewünscht. Die Zahlung erfolgt nicht durch Rentenumleitung, sondern mittels erteilter Einzugsermächtigung. Die Tochter ist als Hauptansprechpartnerin, der Sohn als weiterer Angehöriger/Ansprechpartner benannt. Der Klägerin soll die Jahresabrechnung für ihre eigenen Unterlagen zugeleitet werden.
7Unter dem 28. August 2015 teilte die als Rechtsanwältin in L2. tätige, in C1. C2. lebende, Tochter der Klägerin dem Beklagten mit, dass Letztere bei eigener Kostentragung ab dem 9. September 2015 in das Pflegeheim in L2. ziehe. Eine Pflegestufe bestehe nicht. Es seien keine öffentlichen Leistungen oder Zuschüsse beantragt worden. Die Klägerin lebe künftig im L3. -F1. -Haus, App.000, in L2. . Im Hinblick auf § 1 Abs. 2 GHBG NRW gehe man von einer nahtlosen Weitergewährung der Hilfe aus. Falls in Schleswig-Holstein ein Neuantrag gestellt werden müsse, bitte man um kurzfristige Mitteilung.
8Der Beklagte erfragte bei dem L3. -F1. -Haus die Art der Unterbringung der Klägerin, also ob sie im Heim aufgenommen worden sei oder im Betreuten Wohnen. Gemäß Aktenvermerk teilte die Heimverwaltung am 21. September 2015 mit, die Klägerin lebe privat im Betreuten Wohnen.
9Mit an die Klägerin adressiertem Bescheid vom 21. September 2015 hob der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 2. September 2014 zum 30. September 2015 auf und führte aus, er sei ab dem 1. Oktober 2015 für die Blindengeldbewilligung nicht mehr zuständig, weshalb er die vorliegenden Unterlagen an die nun zuständige Stadt L2. weitergeleitet habe. Die Klägerin werde gebeten, dort unverzüglich einen Antrag auf Weitergewährung des Blindengeldes zu stellen.
10Am 28. September 2015 beantragte die Klägerin beim Amt für Wohnen und Grundsicherung – Blindengeld – der Landeshauptstadt L2. die Gewährung von Blindengeld (Bl. 23ff. GA). Mit Schriftsatz gleichen Datums sandte sie am 29. September 2015 an das Landesamt für Soziale Dienste in O1. einen Antrag auf Feststellung des Merkzeichens „Bl“ (Blindheit) im Schwerbehindertenausweis, weil dies in Schleswig-Holstein Leistungsvoraussetzung für die Zahlung von Landesblindengeld ist. Das Verfahren ist bisher nicht abgeschlossen. Die Akte kann seitens der zuständigen Mitarbeiterin Frau Q. vom Landesamt in O. nicht vorgelegt werden, da sie sich derzeit bei(m/ der) Gutachter(in) befindet. Sie kann, wie sie am 13. Juni 2016 dem Mitarbeiter der Serviceeinheit der Kammer telefonisch mitgeteilt hat, mangels Akte auch keine Angaben zum Verfahrensablauf machen.
11Nach Klageankündigung durch die Tochter der Klägerin ebenfalls vom 28. September 2016 hob der Beklagte mit weiterem an diese adressiertem Bescheid vom 29. September 2015 die Blindengeldbewilligung an die Klägerin ab dem 1. Oktober 2015 auf und wies darauf hin, dass die Zahlung des Blindengeldes mit Ablauf des 30. September 2015 eingestellt worden sei. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin habe nun ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr in Nordrhein-Westfalen, sondern in L2. (Schleswig-Holstein). Da die Klägerin auch nicht in der vollstationären Pflegestation des Heimes untergebracht sei, sondern im privat betreuten Wohnen, sei sie keine Hilfeempfängerin nach § 2 Abs. 2 GHBG und damit finde § 1 Abs. 2 GHBG keine Anwendung. Die Aufhebung des Bewilligungsbescheides stütze er auf § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs – SGB X – in Verbindung mit § 7 GHBG, wonach die Vorschriften des Sozialgesetzbuches entsprechend gälten. Nach § 48 SGB X dürfe ein Verwaltungsakt, der ein Recht begründe oder bestätige (begünstigender Verwaltungsakt) soweit er rechtswidrig sei, ganz oder teilweise für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte sich nicht auf Vertrauen berufen könne.
12Unter dem 20. November 2015 erließ der Beklagte einen an die Anwaltskanzlei der Tochter adressierten Bescheid, in dem er einerseits ab 1. November 2015 wieder Blindengeld von monatlich 473,00 € bewilligte, andererseits aber auf die Einstellung der Blindengeldbewilligung wegen des Umzugs nach L2. durch den Bescheid vom 29. September 2015 abstellte und unter Hinweis auf die nicht mehr gegebenen Leistungsvoraussetzungen und das hohe öffentliche Interesse an einem rechtmäßigen Einsatz öffentlicher Mittel dessen sofortige Vollziehung anordnete.
13Unter dem 23. November 2015 wies der Kollege der Tochter der Klägerin, der Prozessbevollmächtigte dieses gerichtlichen Verfahrens, darauf hin, dass die unter dem 8. Oktober 2015 erhobene Klage gegen die Bescheide vom 21. und 29. September 2016 aufschiebende Wirkung habe. Er kündigte für den Fall, dass das Blindengeld nicht rückwirkend für die Monate Oktober und November 2015 ausgezahlt werde, ein weiteres Verfahren vor dem Verwaltungsgericht an.
14Mit Bescheid vom gleichen Tag hob der Beklagte die Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 20. November 2015 zum 1. Dezember 2015 gemäß § 45 SGB X wieder auf, Bl. 86 ff. Gerichtsakte, und er ordnete mit weiterem Bescheid erneut die sofortige Vollziehung des Bescheides vom 29. September 2015 gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO an. Er führte aus, es bestehe ein hohes und berechtigtes Interesse daran, dass die von ihm aufgewendeten öffentlichen Mittel, hier die Leistung von Blindengeld, nur an den nach dem Landesrecht (GHBG) berechtigten Personenkreis ausgezahlt werde, zu dem die Klägerin aus den Gründen des Bescheides vom 29. September 2015 nicht mehr gehöre.
15Die Klägerin erhält monatliche Rentenzahlungen von 1.999,95 €. Ihr Vermögen neben der noch nicht verwerteten Eigentumswohnung in B. beträgt 30.000,00 €.
16Bereits am 10. Oktober 2015 hat die Klägerin Klage erhoben. Am 28. Januar 2016 hat sie einen Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gestellt (26 L 180/16). Den Eilantrag hat sie am 8. März 2016 zurückgenommen.
17Die Klägerin trägt vor, eine Rücknahme der Bewilligung des Jahres 2014 komme mangels Rechtswidrigkeit nicht in Betracht. Ein Widerruf gemäß § 47 Abs. 1 SGB X scheitere an einem Widerrufgrund. Gemäß § 1 Abs. 2 2. Alt. GHBG NRW solle gerade Verwaltungsaufwand für blinde Menschen, die sich in Einrichtungen außerhalb Nordrhein-Westfalens begäben, vermieden werden und Landeskinder weiter vom Landesblindengeld profitieren.
18Ein Grund zur Aufhebung bestehe nicht. Nach § 1 Abs. 2 GHBG NRW erhielten auch Blinde, die sich in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen aufhalten, Blindengeld. Zur Zeit der Aufnahme in die Einrichtung habe sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Land Nordrhein-Westfalen gehabt. Die Einrichtung liege im Geltungsbereich des Grundgesetzes. Der Begriff der Einrichtung nach dem GHBG NRW sei weit im Sine des allgemeinen Sprachgebrauchs aufzufassen, wonach eine Einrichtung ein Zusammenhang von sächlichen und persönlichen Mitteln mit einer gewissen Beständigkeit sei, wobei die Unterhaltung einem Träger unterliege. Eine Heimbetreuungsbedürftigkeit sei nicht Voraussetzung des Anspruchs gegen den Beklagten.
19Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 GHBG NRW sei eine reine Anrechnungsvorschrift, die nichts mit der Zuständigkeit der Beklagten und/oder der Berechtigung der Klägerin zum Blindengeldbezug zu tun habe.
20Ob jemand Pflegeleistungen im Sinne der Pflegeversicherung beziehe, sei nicht relevant. § 3 GHBG NRW enthalte für den Fall eine Anrechnungsvorschrift, deren Wortlaut jedoch gerade nicht für das unbedingte Vorliegen einer Pflegestufe bei Heimaufenthalt spreche. Der Begriff der Heimbetreuungsbedürftigkeit finde sich nirgendwo im GHBG wieder. Auf die Differenzierung zwischen stationär, teilstationär und ambulant komme es ebenfalls nicht an. Ohne gesteigerte Betreuungsbedürftigkeit hätte die Klägerin den Umzug nicht vorgenommen. Aufgrund ihrer Sehbehinderung sei sie nicht in der Lage, die erforderlichen Medikamente auseinanderzuhalten, das Hörgerät einzusetzen, sich die Mahlzeiten zuzubereiten. Aufgrund ihrer Gebrechlichkeit sei sie auch nicht in der Lage, ohne Hilfe zu duschen. Sie habe mit dem Umzug einen Teil der Verantwortung für ihre tägliche Lebensführung an andere abgegeben, da sie dies selbst aufgrund des fortschreitenden Alters nicht mehr könne. Durch Erhalten der Selbständigkeit, solange wie möglich, werde das Betreuungskonzept der Stiftung erfüllt. Sie verweist auf die seitens des Beklagten zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts des Jahres 1994, wonach der Annahme der Gesamtverantwortung der Sozialeinrichtung nicht entgegenstehe, dass aktive, direkte Behandlungsmaßnahmen nur während eines untergeordneten Teils des Tages erbracht würden.
21Im gesamten L3. -F1. -Haus seien anders als in anderen als „Wohnen mit Service“ bezeichneten Wohnformen ständig Präsenzkräfte anwesend, die die Bewohner auch zu den Mahlzeiten begleiteten und die erforderlichen Hilfestellungen gäben. Der Pflegedienst sei direkt im Haus anwesend. Die Lage sei für die Bewohner exakt die gleiche wie in einem „normalen“ Pflegeheim. Die Reinigung des Wohnraums und die Teilnahme an den Mahlzeiten seien verpflichtend. Die Appartements verfügten nicht über Küchen. Dass die Heimleitung wohl aus abrechnungstechnischen Gründen eine Aufgliederung in Heimverwaltung und mobilen Pflegedienst vorgenommen habe, könne nicht dazu führen, dass keine gleichartige Einrichtung im Sinne des GHBG vorliege.
22Das L3. -F1. -Haus sei ein Gebäude aus 94 Appartements unterschiedlicher Ausstattung und einem Garten. Es gebe Gemeinschaftsräume, in denen u.a. die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen würden. Es finde eine soziale Betreuung statt. Die Stiftung L1. T1. vermiete die Appartements, unterhalte das Gebäude, führe Reparaturen mit eigenem Hausmeister durch, koche und serviere die Mahlzeiten mit eigenem Personal und führe hausinterne Veranstaltungen (Sport, Spiel, Therapie) an nahezu jedem Tag der Woche mit eigenem Personal durch und kümmere sich um den übrigen Betrieb.
23Der Begriff der Einrichtung müsse moderner ausgelegt werden als in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, also zur Zeit des Inkrafttretens des Landesblindengeldgesetzes.
24Sie trägt zudem vor, den Leistungsantrag in L2. vorsorglich gestellt zu haben. Sie legt das Anschreiben der Landeshauptstadt L2. vom 23. Dezember 2015 vor, die ausführt, nach dortiger Einschätzung sei das L3. -F1. -Haus eher als Seniorenheim denn als Betreute Wohnanlage anzusehen. Man werde die Entscheidung in diesem gerichtlichen Verfahren abwarten. Gegebenenfalls sei man zur Nachzahlung bereit. Das Blindengeld für Erwachsene außerhalb von Einrichtungen ohne Pflegestufe betrage in L2. allerdings nur 300,00 € monatlich.
25Mit Schriftsatz vom 21. April 2016 macht die Klägerin weitere Ausführungen dazu, dass Heimbetreuungsbedürftigkeit nicht erforderlich sei und die Regelungen des BSHG und des SGB XII nicht zur Definition des Einrichtungsbegriffs herangezogen werden könne.
26Sie trägt ferner vor, dass nach wie vor für sie keine Pflegestufe bewilligt sei.
27Auf Anfrage des Gerichts trägt sie am 28. Mai 2016 ferner vor, dass die neben der durch das L3. -F1. -Haus vertragsgemäß durchgeführten Wäsche der Bett- und Flachwäsche die Wäsche/Bekleidungsreinigung durch die Tochter der Klägerin durchgeführt werde, seit Beginn des Aufenthalts sei Bekleidung daneben dreimal über Mitarbeiter des Hauses zur Wäscherei gegeben worden. Um Behörden-/Bankangelegenheiten, Kontaktpflege außerhalb des Hauses, Arztbesuche und Einkäufe kümmere sich ebenfalls die Tochter der Klägerin zwei- bis dreimal pro Woche mit einem Zeitaufwand von je 1 bis 2 Stunden. Die Ausstattung des Appartements werde durch den Hausmeister des L3. -F1. -Hauses in Stand gehalten. Dies sei im Preis enthalten. Er habe bisher Bilder und einen Wandbehang angebracht, die Toilettensitzerhöhung montiert, den Waschbeckenunterschrank repariert und das Quietschen der Schranktüren beseitigt. Das gelegentlich anfallende Spülen von Gläsern und/oder Tassen erledige die Klägerin noch selbst. Sonstige hauswirtschaftliche Verrichtungen außer dem Bettbeziehen, der Appartementreinigung und Fensterputzen sowie Müllentsorgung, was durch Mitarbeiter des L3. -F1. -Hauses erledigt werde, fielen nicht an.
28Sie hat in dem Eilverfahren eine eidesstattliche Versicherung des Mitglieds der Leitung des L3. -F1. -Hauses vom 3. Februar 2016 zu Art und Umfang der an sie erbrachten Leistung vorgelegt. Dieses führt aus, bei dem L3. -F1. -Haus in L2. handele es sich um ein „Altenheim“ im Sinne des § 7 Abs. 2 Ziffer 3 Selbstbestimmungsstärkungsgesetz Schleswig-Holstein (SbstG). In diesem Absatz 2 werden in den Ziffern 1., 2., 4. und 5. daneben Einrichtungen der Tages- oder Nachtpflege, Einrichtungen der Kurzzeitpflege, stationäre Hospize und Einrichtungen, die den Bestimmungen der §§ 45 bis 49 Achtes Buch Sozialgesetzbuch unterliegen und in denen vereinzelt volljährige Menschen mit Pflegebedarf und Behinderung wohnen, genannt. Für diese findet die Regelprüfung stationärer Einrichtungen gemäß § 20 des Gesetzes nicht statt, ebenso wenig findet - außer bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte - eine Prüfung statt, ob Leistungen nach dem allgemein anerkannten Stand der fachlichen Erkenntnisse erbracht werden (§ 7 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 8 Abs. 2, § 12 und § 20 Abs. 1 des Gesetzes). Die Regelungen der Landesverordnung über stationäre Einrichtungen nach dem Selbstbestimmungsstärkungsgesetz (SbStG-DVO) gelten nur, soweit dies ausdrücklich bestimmt ist (§ 1 Abs. 1 SbStG-DVO).
29Es heißt in der Versicherung weiter, die Appartements, die alle mit Dusche und WC ausgestattet seien, verfügten ganz überwiegend nicht über eine Küche oder Küchenzeile. Auf jeder der sechs Etagen gebe es für die Bewohner zwei Teeküchen mit Kühlschrank. In dem Haus mit 94 Appartements seien regelmäßig 30 Arbeitnehmer in der hauswirtschaftlichen Versorgung, der Zubereitung der Mahlzeiten, Reinigung der Appartements und Gemeinschaftsflächen, der Gartenpflege und mit Hausmeisterdiensten sowie in der sozialen Betreuung der Bewohner tätig. Die Teilnahme am Mittagessen sei verpflichtend. Die Sitzordnung im Speisesaal werde von ihnen vorgegeben. Sollte ein Bewohner 20 Minuten nach Beginn der Mahlzeit unentschuldigt fehlen, gehe ein Mitarbeiter nachsehen und hole den Bewohner auch ab. Auf den Fluren werde ganztätig Mineralwasser und Apfelschorle bereit gestellt. Die Teilnahme an wöchentlichen Angeboten wie Kaffee trinken, Gesundheitskursen und Spielenachmittagen sei nicht verpflichtend. Das Haus werde jahreszeitlich dekoriert und es gebe jahreszeitliche Feste. Verpflichtend sei die wöchentliche Appartementreinigung durch einen ihrer Mitarbeiter. Der Tag der Reinigung werde vorgegeben. Bei vorübergehenden Erkrankungen wie z.B. Grippe oder anderen Infektionserkrankungen erhielten die Bewohner im Jahr an bis zu 14 Tagen Grundpflege. Täglich werde der allgemeine Gesundheitszustand der Bewohner beobachtet und es würden im Bedarfsfall Gegenmaßnahmen wie Arztbesuche etc. eingeleitet. Der Notruf sei durch eine Präsenzkraft 24 Stunden besetzt. Der Hausmeister erbringe nach Absprache für die Bewohner kleinere Reparaturen und handwerkliche Leistungen. Die Präsenzkräfte seien ständig im gesamten Haus unterwegs, um den Bewohnern mit Rat und Tat zur Verfügung zu stehen.
30Das Appartement der Klägerin verfüge über eine eigene Teeküche, die sie mitgebracht habe. Sie richte sich ihr Frühstück selbst her. Nach einer Eingewöhnungsphase, in der sie das F. aufs Zimmer geliefert bekommen habe, sei die Klägerin zu Mittag- und Abendessen in den Speisesaal gegangen. Nach einem nächtlichen Sturz mit Bruch werde ihr dieses F. wieder ins Appartement geliefert. Wegen einer Zahnbehandlung erhalte sie passiertes F. . Den hausinternen Notruf habe die Klägerin bereits dreimal in Anspruch genommen. Die Präsenzkräfte hätten ihr zudem Hilfestellung bei der Gewöhnung an das Hörgerät und dessen Einsetzen gegeben. Diese leisteten in Notfällen Erste Hilfe und verständigten Arzt oder Krankenwagen. Die Klägerin habe einige kulturelle Angebote genutzt und Kontakt zu mehreren Bewohnern geknüpft. Zweiwöchentlichen Bettwäschewechsel habe sie hinzu gebucht. Die Klägerin habe Verträge für Leistungen des im Haus stationierten mobilen Pflegedienstes, der L1. T1. -Pflegedienst GGmbH, abgeschlossen und zwar einmal wöchentlich für Hilfe beim Duschen, die sie selbst bezahle, und aufgrund ärztlicher Verordnung und Abrechnung mit ihrer Krankenkasse für die Arzneimittelgestellung, da sie die Tabletten aufgrund ihrer Augenerkrankung nicht mehr selbst unterscheiden könne. Auf Bl. 30 ff. der Gerichtsakte des Eilverfahrens wird Bezug genommen.
31Auf die unter dem 3. Mai 2016 erfolgte Nachfrage des Gerichts zum die ergänzenden Betreuungsleistungen in den 94 Appartements auf sechs Etagen betreffenden Personalschlüssel (Bl. 141 der Gerichtsakte) hat die Klägerin am 28. Mai 2016 eine weitere Stellungnahme der Frau X. von der Stiftung L1. T1. vorgelegt. Darin heißt es, dass an 365 Tagen eine 24 Stunden anwesende Präsenzkraft für die kleinen individuellen Hilfestellungen zur Verfügung stehe, die zudem bei einem Notruf Erste Hilfe leiste, Transfere zu Veranstaltungen durchführe, kleine Gruppenangebote gestalte und ähnliches. Herr Stevens als Leiter im L3. -F1. -Haus habe täglich 0,72 Stunden je Etage für individuelle Betreuung und Beratung zur Verfügung.
32Vorgelegt wird auf Anfrage der Plan regelmäßiger und monatlicher Veranstaltungen vom 1. September 2015 bis Mai 2016. Geboten werden vor allem einmal wöchentlich vor- bzw. nachmittags Gedächtnistraining, Gymnastik, Basteln, Spielenachmittag, Tanz- und Lesekreis, Filmvorführung und 2 Kaffeenachmittage. Einmal wöchentlich findet abends ein Singkreis statt. Zusätzlich werden hin und wieder musikalische Abende, nachmittags Bingo oder Diavorträge und vormittags Modeverkäufe geboten. Samstags wurden - außer am 2. Weihnachtsfeiertag - nie Veranstaltungen angeboten, sonntags in der Regel nur ein Nachmittagskaffeetrinken. Abgesehen von einer einmal monatlichen Andacht am Freitagnachmittag sind auch Veranstaltungen am Freitag die große Ausnahme. Besondere Veranstaltungen gab es zu Weihnachten und Neujahr, zu Ostern aber nicht. Auf Bl. 152 bis 155 der Gerichtsakte wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
33Die Klägerin beantragt,
34den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 21. September, 29. September und 23. November 2015, Bl.86 ff. der Gerichtsakte, zu verpflichten, ihr ab dem 1. Oktober 2015 weiter Blindengeld in Höhe von 473,00 € monatlich zu gewähren.
35Der Beklagte beantragt,
36die Klage abzuweisen.
37Der Bescheid vom 20. November 2015, mit dem fälschlich ein Bewilligungsbescheid ab dem 1. November 2015 erlassen worden sei, sei direkt durch den Bescheid vom 23. November 2015 aufgehoben worden und mit ihm die sofortige Vollziehung des Bescheids vom 29. September 2015 angeordnet worden.
38Die Leitung des L3. -F1. -Hauses habe am 21. September 2015 fernmündlich mitgeteilt, dass für die Klägerin ambulante Betreuungsleistungen erbracht würden.
39Es sei keine Heimbetreuungsbedürftigkeit der Klägerin erkennbar. Sie befinde sich in einer Wohnform des Service-Wohnens als Angebot eines Wohnens im Alter. Ihr werde ein Appartement als Wohnraum zur Verfügung gestellt sowie die tägliche Verpflegung geleistet. Aus verschiedenen Serviceleistungen wähle die Klägerin hauswirtschaftliche Leistungen durch den Anbieter hinzu. Die Klägerin nutze die Wohnform vergleichbar der eines Hotels. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass seitens des L3. -F1. -Hauses eine Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung der Klägerin übernommen werde.
40Der Unterbringung der Klägerin fehle die Einrichtungsqualität. Gemäß § 13 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch – (SGB XII), der die Definition der Einrichtung aus dem früheren § 97 Abs. 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) entnommen habe, fielen darunter Institutionen, in denen der Betroffene lebe und die der Pflege, der Behandlung oder einem sonstigen nach SGB XII zu deckenden Bedarf oder der Erziehung dienten. Der Leistung Begehrende müsse der Betreuung durch diese Einrichtung bedürfen. Bei der Klägerin bestehe keine Einrichtungsbetreuungsbedürftigkeit. Ziehe der Blinde in ein Altenheim, ohne diese Bedürftigkeit, sei auch die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers am Ort des tatsächlichen Aufenthalts nach § 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII gegeben.
41Nicht zu den Einrichtungen zählten beispielsweise Altenwohnheime, Blindenwohnheime, Übernachtungsstätten für Wohnungslose, Wohngemeinschaften selbst in der Form des Betreuten Wohnens. Das gelte insbesondere dann, wenn die notwendige Hilfe selbst organisiert und bezahlt werde.
42Die Kriterien der Einrichtung erfüllten die Organisationsformen, die der Pflege, Behandlung oder sonstigen vom SGB XII vorgesehenen Maßnahmen dienten. Erforderlich sei u.a. die geeignete sozialhilferechtliche Betreuung, zusammengefasst in einer besonderen Organisationsform von personellen und tatsächlichen Mitteln, wie z.B. bei Altenpflegeheimen, Kurheimen, Krankernhäusern, Wohnheimen für geistig Behinderte. Leistungen ohne Anteile zur Deckung der genannten Bedarfe („Pflege“ etc.) seien für die Annahme einer Einrichtung im Sinne von Absatz 2 nicht ausreichend.
43Eine dezentrale Unterkunft betreuter Personen bei mobiler Betreuung in Einzelwohnungen gehöre rechtlich zum Verantwortungsbereich der vollstationären Einrichtung insbesondere dann, wenn der Träger von der Aufnahme bis zur Entlassung im Rahmen des fachlich begründeten Hilfekonzepts auch die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Hilfeempfängers übernehme.
44Im Fall der Klägerin, die nicht über eine Pflegestufe verfüge und keine Pflegeleistungen in Anspruch nehme, liege eine reine Wohnraumüberlassung bei Möglichkeit der Teilnahme an einer Verpflegung und dem Angebot einer Grundreinigung der Wohnräume vor. Dies sei mit dem Aufenthalt in einer Einrichtung nicht vergleichbar.
45Die Beklagte verweist auf die vertraglichen Bestimmungen in §§ 7 und 8 des geschlossenen Wohn- und Betreuungsvertrages. Pflegedienstleistungen müssten von einem ambulanten Pflegedienst in Anspruch genommen werden. Es sei nicht unüblich, dass selbständig wohnende Senioren nicht selbst kochten, sondern Essensangebote wahrnähmen, und auch die Leistung einer Reinigungskraft in Anspruch nähmen. Die geltend gemachten Schwierigkeiten habe die Klägerin, als sie noch in ihrer Eigentumswohnung lebte, ebenfalls meistern müssen. Regelmäßige ihr gegenüber erbrachte Betreuungsleistungen ergäben sich aus dem Vertrag nicht. Die zubuchbare Begleitung zu Mahlzeiten nehme die Klägerin nicht in Anspruch.
46Wenn die notwendige Hilfe selbst organisiert und bezahlte werden müsse, trete die durch eine Heimunterbringung entstehende Entlastung nicht ein.
47Eine Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung der Klägerin bestehe nicht. Bei einer Präsenzkraft über 24 Stunden in rund 19 Wohneinheiten in 6 Stockwerken entfalle ein Anteil von 15 Minuten täglich für individuelle Hilfeleistung, Notruf/Erste Hilfe, Transfer zu Veranstaltungen sowie Gestaltung kleiner Gruppenangebote pro Wohneinheit. Dem Leiter des L3. -F1. Hauses stünden pro Wohneinheit 3 Minuten täglich bzw. 90 Minuten im Monat zur Verfügung. Die angebotenen Veranstaltungen dienten der Geselligkeit entsprechend einem Senioren-Treff.
48Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahrens 26 L 180/16 Bezug genommen, ferner auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten.
49E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
50Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, jedoch nicht begründet.
51Die angegriffenen, Leistungen nach dem GHBG NRW an die Klägerin ab dem 1. Oktober 2015 versagenden, Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig, die Klägerin wird durch sie nicht in ihren Rechten verletzt. Sie hat keinen Anspruch auf weitere Gewährung dieser Leistungen ab dem genannten Datum, §§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
52Die Aufhebung des Leistungen nach dem GHBG NRW bewilligenden Bescheides vom 2. September 2014 durch den angegriffenen Bescheid vom 21. September 2015 und die diesen ergänzenden Bescheide vom 29. September und 20. November sowie den die sofortige Vollziehung anordnenden Bescheid vom 23. November 2015, Bl. 82 f. Gerichtsakte, beruht auf §§ 7 GHBG NRW i.V.m. 48 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – (SGB X) analog. Mit den genannten Bescheiden hat der Beklagte die mit Bescheid vom 2. September 2014 rechtmäßig erfolgte Bewilligung des Blindengeldes zum 1. Oktober 2015 aufgehoben, die Leistung zum 30. September 2015 eingestellt und die sofortige Vollziehung des Bescheides vom 29. September 2015 angeordnet. Zur Begründung hat er auf den Umzug der Klägerin in ein ambulant betreutes Wohnen in L2. , durch den die Leistungsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 GHBG NRW entfallen seien, und das hohe berechtigte Interesse daran, dass öffentliche Mittel nur dem dazu berechtigten Personenkreis ausgezahlt würden, verwiesen.
53Gemäß § 7 GHBG NRW, der zum 4. Teil „Verfahrensvorschriften, Zuständigkeit“ gehört,
54vgl. zur Begrenzung des Verweises auf Verfahrensregelungen OVG NRW, Urteil vom 24. April 2008 - 16 A 3089/07 -, juris, Rdnr. 31 und LT NRW-Drs. 11/3080, S. 2, 21, 23, 30f.,
55gelten im Übrigen die Vorschriften des Sozialgesetzbuchs (SGB) entsprechend. Gemäß der demzufolge entsprechend anzuwendenden Verfahrensvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der jeweilige Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
56Eine solche Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft hat der Beklagte mit seinem Bescheid vom 21. September 2016, ergänzt insbesondere durch den Bescheid vom 29. September 2015, vorgenommen. Durch den Umzug der Klägerin von ihrer Eigentumswohnung in B. in das Appartement im L3. -F1. -Haus in L2. war in Verbindung mit der maßgeblichen Regelung in § 1 Abs. 2 GHBG NRW eine wesentliche Veränderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten. Denn aufgrund dieser Änderung war und ist die Klägerin gegenüber dem Beklagten nicht mehr anspruchsberechtigt.
57Offen bleiben kann, ob die Klägerin im streitigen Zeitraum ab 1. Oktober 2015 überhaupt noch die Voraussetzung der Blindheit im Sinne des Gesetzes erfüllt. Im Fall dieser inzwischen fehlenden Voraussetzung läge ebenfalls eine wesentliche Veränderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X vor, der zur Aufhebung der Bewilligung führen müsste. Über den Antrag der Klägerin, ihr das Merkzeichen „Bl“ zuzuerkennen, wurde aus für das Gericht mangels Aktenvorlage und konkreter Angaben der Frau Q. , der zuständigen Mitarbeiterin dieses Landesamtes, derzeit nicht weiter aufklärbaren Gründen bis heute nicht entschieden. Vielmehr befindet sich die Angelegenheit im Stadium der Begutachtung. Sollte der Antrag vom 29. September 2015 abgelehnt werden, schiede die Gewährung der begehrten Hilfe schon wegen der Bindung des Beklagten an diese Statusentscheidung aus.
58Vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18. November 2004 - L 5 BL 2 /04 -, juris, Rdnr. 26 ff. m.w.H. u.a. auf BSG, Urteil vom 8. März 1995 - 9 RV 9/94 -; VGH C1. .-Württ., Beschluss vom 18. Juni 1990 - 6 S 316/90 -, juris, Leitsatz und Rdnr. 12 m.w.N.
59Dessen ungeachtet hat die Klägerin nämlich keinen Anspruch auf die weitere Leistungsgewährung ab dem 1. Oktober 2015. Nach § 1 Abs. 2 GHBG NRW erhalten Blinde, die wie die Klägerin nicht mehr im Land Nordrhein-Westfalen ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, nur dann weiter das Blindengeld, wenn sie sich aus diesem Bundesland in eine Anstalt, ein Heim oder eine gleichartige Einrichtung im übrigen Geltungsbereich des Grundgesetzes begeben haben und dort aufhalten.
60Der derzeitige Aufenthalt der Klägerin in dem Appartement des L3. -F1. -Hauses aufgrund des mit Wirkung zum 1. September 2015 geschlossenen Wohn- und Betreuungsvertrages stellt sich in Zusammenschau mit den ihr dort tatsächlich angebotenen Leistungen aber nicht als Aufenthalt in einer gleichartigen Einrichtung im Sinne der Vorschrift dar.
61Stellt man auf den sozialhilferechtlichen Einrichtungsbegriff des aus § 67 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und nach dessen Normierung im Juni 1993 § 97 Abs. 4 BSHG entwickelten heutigen § 13 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch – (SGB XII) ab, ist dies offensichtlich.
62Danach sind Einrichtungen alle Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach diesem Buch zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dienen. Wesentlich ist ein in einer besonderen Organisationsform zusammengefasster Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist. Dabei ist prägend für die verantwortliche Trägerschaft im Sinne des Einrichtungsbegriffs, dass der Einrichtungsträger die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Leistungsberechtigten übernimmt.
63Vgl. BSG, Urteil vom 23. Juli 2015 – B 8 SO 7/14 R -, juris, Rdnr. 18 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1994 – 5 C 42/91 -, juris, Leitsatz 1, Rdnr. 12 ff., insbes. auch Rdnr. 15 vor Einführung des § 97 Abs. 4 BSHG.
64Bei der Definition der Anstalt, des Heimes oder der gleichartigen Einrichtung nach § 67Abs. 1 und 2 BSHG hatte das Bundesverwaltungsgericht seinerzeit verlangt, dass in der jeweiligen Einrichtung eine nicht unwesentliche Befriedigung des blindheitsbedingten Mehrbedarfs tatsächlich erfolgt, ohne dass für Einzelleistungen zusätzlich bezahlt werden muss oder der Hilfebedürftige von besonderen persönlichen Beziehungen oder dem mehr oder weniger zufälligen Wohlwollen dritter Personen abhängig ist.
65Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1967, a.a.O., Rdnr. 15 ff., insbes. Rdnr. 23f.
66Diese letztgenannte Anforderung müsste nach Auffassung des Gerichts nach wie vor die o.g. Definition des Einrichtungsbegriffs in jedem Fall von Leistungen an blinde Menschen (mit)bestimmen.
67Für die an § 13 Abs. 2 SGB XII orientierte Auslegung, die der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V., Berlin, auf Seite 71 in seinem Heft 06 der Schriftenreihe zum Blindenrecht vertritt,
68s. ebenso auch OVG Lüneburg, Urteil v. 12. Dezember 1990 - 4 L 93/89 -, juris, Rdnr. 6,
69sprechen auch in Nordrhein-Westfalen die Gesetzesmotive und zwar schon zu den dem GHBG NRW heutiger Fassung fast gleichlautenden Regelungen in § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Landesblindengeldgesetz des Jahres 1970, also dem Vorläufergesetz.
70Der Gesetzgeber beabsichtigte nämlich bereits 1970, bezüglich des Blindengeldes für Heiminsassen eine Regelung zu treffen, wie sie im Bundessozialhilfegesetz bestand.
71Bis zur Fassung von § 67 BSHG in der Gesetzesfassung vom 31. August 1965 war übrigens Blindenhilfe in Vollheimen ausgeschlossen, weil man davon ausgegangen war, dass blinden Menschen in derartigen Einrichtungen überhaupt keine Mehraufwendungen entstehen würden, die durch Blindenhilfe auszugleichen wären.
72Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1967 – V C 212.66 -, juris, Rdnr. 19 und 14.
73Der Entwurf des Landesblindengeldgesetzes sollte mit dem Bundessozialhilfegesetz in Übereinstimmung gebracht und soweit wie möglich an das Bundessozialhilfegesetz angelehnt werden, um Auslegungsschwierigkeiten durch mögliche differierende Ausdrücke in den beiden Gesetzestexten zu vermeiden. Die Regelung zur Gewährung von Blindengeld für Insassen von Heimen und Anstalten sei der Regelung des BSHG gefolgt.
74Vgl. LT NRW, Protokoll über die 98. Sitzung des Ausschusses für Soziales und Gesundheit am 6. Mai 1970, Nr. 1727/70 neu 06/1727, s. 6f., 9 – 11, 14.
75Vgl. zur Orientierung am Änderungsverfahren zu § 67 BSHG im Jahr 1997 im Rahmen des Gesetzes zur Stärkung der Leistungsfähigkeit der Kreise auch LT-Drs. 12/2340, S. 35, 37.
76Da diese Regelungen nie geändert wurden, vielmehr nach Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1997 wegen der Teilkongruenz der Hilfeleistungen in § 3 Abs. 2 und 3 GHBG NRW in Anknüpfung an die Änderung in § 67 Abs. 1 Satz 2 BSHG a.F. (BT-Drs. 13/24, 40, 42f.) ebenfalls eine Anrechnung von Leistungen der Pflegeversicherung mit bis zu 70 % eingeführt wurde,
77vgl. LT-Drs. 12/2340, S. 3, 5, 34f., 3; dazu, dass die Regelungen seinerzeit § 67 BSHG nachgebildet wurden: OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2002 - 16 A 3636/00 -, juris, Rdnr. 11,
78spricht mehr für eine gleiche Interpretation des Einrichtungsbegriffs der Blindenhilfe nach dem SGB XII und der nach dem GHBG NRW,
79zur Vergleichbarkeit/Zweckgleichheit der Leistungen nach dem GHBG NRW mit der Blindenhilfe nach dem BSHG bzw. heute dem SGB XII s. auch OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2011 - 12 A 1011/10 -, juris, Rdnr. 32 ff., insbes. 34 und 50.
80Dass für die Klägerin in dem Appartement des L3. -F1. -Hauses aufgrund des Vertrages und der darauf basierenden tatsächlichen Angebote, so wie sie im Tatbestand wiedergegeben sind, seitens des Trägers schon nicht, wie im Rahmen des SGB XII gefordert, eine Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung der Klägerin übernommen wird, ist offensichtlich. So heißt es bereits in der Präambel, Ziel des Vertrages sei es, dem Bewohner ein neues Zuhause zu schaffen, in dem er selbstbestimmt und selbstverantwortlich leben könne. Die Einrichtung sei keine Pflegeeinrichtung im Sinne des Gesetzes, sondern biete Dienstleistungen insbesondere im Bereich der sozialen Betreuung sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung. Erbracht werden nach dem Vertrag nur kleine individuelle Hilfestellungen, die nach dem Personalschlüssel, zu dem noch unten ausgeführt werden wird, nur an einem sehr geringen Teil des Tages wenn überhaupt und eher zufällig und unregelmäßig (nach Auslastungssituation) erbracht werden können. Anwesenheitskontrolle erfolgt nur mittags. Ein Verschwinden der Klägerin kurz nach dem Mittagessen würde gegebenenfalls also erst anlässlich des Mittagessens am Folgetag auffallen. Das Appartement darf nur im Rahmen konkreter Vertragsregelungen durch Kräfte des L3. -F1. -Hauses betreten werden. Es wird völlig unmöbliert überlassen. Die Haftung für Verluste und Schäden obliegt weitgehend der Klägerin. Abgesehen von einer einmal wöchentlichen Grundreinigung und Angebot von Mittag- und Abendessen ist das L3. -F1. -Haus für den Pflegezustand des Appartements und der eingebrachten Sachen sowie alle sonstigen hauswirtschaftlichen Verrichtungen nach dem Grundvertrag ohne kostenpflichtige Zubuchungen nicht zuständig. Grundpflege würde nur an maximal 14 von 365 Tagen des Jahres im Fall akuter Erkrankung erbracht. Eine Leistungsanpassungspflicht im Fall gestiegener Betreuungs- oder gar Pflegebedürftigkeit ist nicht vorgesehen. Es besteht ein fristloses Kündigungsrecht des L3. -F1. -Hauses, wenn eine fachgerechte Betreuungsleistung nicht erbracht werden kann, weil das Konzept die notwendigen Pflege- und Betreuungsleistungen nicht vorsehe. Das L3. -F1. -Haus bezeichnet die eigene Leistung selbst nicht als „Senioreneinrichtung“, sondern als „Wohnen mit Service“.
81Vgl. zum Ausschluss von Altenwohnheimen, in denen ambulant gepflegt wird z.B. Höfer/Krahmer in LPK-SGB XII, 10. Aufl. 2915, § 94 Rdnr. 16; früher schon Schoch in LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, § 97 Rdnr. 64.
82Folgt man der klägerseits zitierten Entscheidung des OVG NRW vom 30. Juli 1992 - 8 A 1001/90 -, juris, insbesondere Leitsatz 1 und Rdnr. 22ff., die allerdings vor Einführung des § 97 Abs. 4 BSHG und vor den Regelungen zur Anrechnung von Leistungen der Pflegeversicherung im Jahr 1997 erging, ferner der derzeit herrschenden Rechtsprechung, ist allerdings eine vom BSHG unabhängige Interpretation des Begriffes der Anstalt, des Heimes und der sonstigen Einrichtung vorzunehmen und für das Landesblindengeldgesetz bzw. heute das GHBG NRW jedenfalls entscheidend, dass ein von einem Träger unterhaltener Zusammenhang von sächlichen und persönlichen Mitteln mit einer gewissen Beständigkeit vorhanden ist, die geeignet sind, den Aufenthalt wie den in einer Anstalt oder einem Heim zu gestalten und dabei die dort lebende blinde oder gleichgestellte Person infolge der gewährten Betreuungsleistungen nicht unerheblich von blindheitsbedingten Mehraufwendungen entlastet wird. Nicht erforderlich ist, dass die Betreuung alle Lebensbereiche des blinden Menschen umfasst.
83Vgl. BSG, Urteil vom 5. Dezember 2001 – B 7/1 SF 1/00 R -, juris, Rdnr. 12 zu § 2 Abs. 2 Landesblindengeldgesetz Niedersachsen mit einer § 2 Abs. 2 GHBG NRW entsprechenden Kürzungsvorschrift; BayLSG, Urteil vom 27. November 2013 - L 15 BL 4/12 -, juris, Leitsatz 1, Rdnr. 42, 50f. und vorgehend SG München, Urteil vom 10. Mai 2012 - S 4 BL 9/11 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. April 2000 - 7 S 1967/98 -, juris, Rdnr. 21;
84Es spricht wegen der zu wahrenden Rechtseinheit nichts dafür, die Begriffe der Anstalt, des Heimes oder der gleichartigen Einrichtung in § 1 Abs. 2 GHBG NRW nun auch noch - wie die Klägerin das anstrebt - anders zu interpretieren, als die in § 2 Abs. 2 GHBG NRW verwendeten gleichen Begriffe, zumal der Gesetzgeber, wie bereits oben dargelegt, schon keine Interpretationsabweichungen zwischen den Blindengeldregelungen des BSHG, heute also des SGB XII, und des GHBG NRW wollte und sich die Regelungen im gleichen Gesetzesteil 1 des GHBG NRW unmittelbar hintereinander befinden.
85Welcher Mehraufwand einem Blinden – bedingt durch sein Leiden – im Einzelnen entstehen kann, lässt sich zwar nicht ohne weiteres abschließend umschreiben. Derartige Mehraufwendungen, von denen die Einrichtung entlastet, können aber zum einen im Fall von pflegebedürftigen blinden Menschen in der Gewährung von Pflegeleistungen liegen, weshalb gerade die schon oben genannte Kürzungsvorschriften der § 3 Abs. 2 und 3 GHBG NRW eingeführt wurden,
86vgl. BVerwG, Urteil vom 6. September 1979 - 5 C 8/78 -, juris, Rdnr. 16, 19;
87vgl. zur Kürzung im Fall von Pflegegeldbezug OVG NRW, Beschluss vom 31.
88Januar 2001, a.a.O., insbesondere juris, Rdnr. 21.
89Solche pflegerischen Leistungen werden seitens des L3. -F1. -Hauses schon deshalb nicht erbracht, weil die Klägerin nicht pflegebedürftig ist. Sie sind im Übrigen aber auch durch den Vertrag ausgeschlossen. Es heißt dort - wie schon ausgeführt -, es handele sich nicht um eine Pflegeeinrichtung, s. u.a. auch § 11 Abs. 2. Persönliche Pflege- und Betreuungsleistungen müssen mit einem Ambulanten Dienst zusätzlich vereinbart werden. § 17 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4 des Vertrages sieht sogar ein Kündigungsrecht ohne Einhaltung einer Frist vor, wenn nach der Konzeption eine ausreichende Betreuungsleistung nicht erbracht werden könne, weil die Ausrichtung der Einrichtung die notwendigen Pflege- und Betreuungsleistungen nicht vorsehe.
90Blindenspezifischer Mehraufwand kann auch im Rahmen der Teilnahme am Arbeitsleben entstehen,
91vgl. z.B. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. April 2000 - 7 S 1967/98 -, juris, Leitsatz 2 und Rdnr. 22,
92ferner im Rahmen der Ausbildung und der Familienarbeit.
93Das folgt schon aus der Änderung des § 2 Abs. 1 GHBG NRW, mit dem 1997 die Leistungen an blinde Menschen ab dem 60. Lebensjahr mit der Begründung gekürzt wurden, dass der größte Teil dieser Gruppe alterserblindet sei und diese Personengruppe bereits die Gelegenheit gehabt habe, sich eine eigene angemessene Altersversorgung zu erwirtschaften. Bei Jüngeren seien die besonderen familiären, ausbildungs- und beruflichen Belastungen zu berücksichtigen.
94vgl. LT-Drs. 12/2340, S. 3, 36.
95Auch derartigen Aufwand hat die Klägerin nicht und er wird von dem Angebot des L3. -F1. -Hauses auch nicht abgedeckt. Sie erhielt allerdings wegen ihres Alters auch das reduzierte Blindengeld.
96Bei dem berücksichtigungsfähigen Mehraufwand handelt es sich ferner im Allgemeinen um Aufwendungen, die durch Teilnahme am kulturellen Leben, durch Kontaktpflege und durch Gestaltung der persönlichen Lebensverhältnisse entstehen. Die bloße Gewährung von Unterkunft und Verpflegung reicht dagegen nicht.
97Ob eine Einrichtung im Sinne von § 1 Abs. 2 GHBG NRW schon ausgeschlossen ist, wenn die angebotenen Betreuungsleistungen in keiner Weise oder in gänzlich unerheblicher Weise blindenspezifisch sind, also der starken Sehbeeinträchtigung der Bewohner nicht Rechnung tragen,
98vgl. SG München, Urteil vom 10. Mai 2012 - S 4 BL 9/11 -, juris, Rdnr. 26 unter Hinweis auf LSG, Urteil vom 16. Juli 2002 - L 15 BL 6/01 -,
99woran es im streitigen Fall bei den Betreuungsleistungen zugunsten der Klägerin ausweislich der im Tatbestand dargestellten erbrachten Leistungen fehlte, kann offen bleiben.
100Denn die ihr im L3. F1. -Haus tatsächlich gebotenen Betreuungsleistungen, die weder dem Bereich der Pflege, noch der Ausbildung, Berufstätigkeit noch der Familienarbeit sondern nur dem im vorletzten Abschnitt genannten Lebensbereich zuzurechnen sind, stellen insgesamt keine mehr als nur unerhebliche Entlastung von blindheitsbedingtem Mehraufwand dar.
101Der Klägerin wird lediglich ein knapp 51 qm großes nicht möbliertes Appartement zur Verfügung gestellt, das sie nach Kündigung geräumt und besenrein zurückgeben muss. Kosten von Instandsetzungen, die durch schuldhafte, vertragswidrige Abnutzung entstehen, hat sie zu tragen. Sie soll eine Versicherung für Schäden aller Art wie Einbruchdiebstahl, Feuer, Leitungswasser abschließen, sowie sinnvollerweise ein Bankschließfach für Bargeld, Schmuck und Wertsachen aller Art und wichtige persönliche Papiere und Unterlagen anmieten, da das L3. -F1. -Haus für alles nicht hafte. Dieses Appartement dürfen Kräfte des L3. -F1. -Hauses nicht ständig, sondern nur im Rahmen der Regelung des § 14 betreten. Es wird nur eine wöchentlich 50-minütige Reinigung dieses Appartements geboten. Die Reinigung des Appartements darf nur in Gegenwart der Klägerin durchgeführt werden. Insbesondere bei Alter, Krankheit und Blindheit zu erwartende weitere Verunreinigungen zwischen diesen Reinigungsintervallen müssen die Klägerin, die den Hotelservice nicht gegen Zuzahlung gebucht hat, oder eine von ihr damit betraute weitere Person beseitigen. Das Reinigen der Bett- und Flachwäsche (also Handtücher etc.) erfolgt gegen Zuzahlung, nicht aber deren einräumen und Reinigung und Einräumen der gesamten sonstigen Bekleidung (Unter- und Nachtwäsche, Strümpfe, Oberbekleidung, Schuhe) und Pflege der (Raum-) Ausstattung (z.B. Gardinen/Dekorationen, Vasen, Taschen, Gebrauchsgegenstände u.a. der Körperpflege). Letzteres regelt die Tochter der Klägerin oder auf Sonderauftrag (der eine Bezahlung erfordert) ausnahmeweise – im Fall der Klägerin hinsichtlich Bekleidungsreinigung in der Zeit von September 2015 bis Mai 2016 dreimal – jemand aus dem L3. -F1. -Haus. Den zweiwöchentlichen Bettwäschewechsel hat die Klägerin mit Zuzahlung hinzu gebucht. Das Bett muss sie selbst machen. Frühstück richtet sich die Klägerin, die anders als andere Appartementbewohner über eine selbst mitgebrachte Teeküche verfügt, ebenfalls selbst. Sie spült also auch die dazu benötigten Teile. Einkäufe für die Klägerin erledigt ihre Tochter. Das Aufräumen des Appartements erledigt die Klägerin wiederum selbst, denn sie nimmt keine zusätzlichen hauswirtschaftlichen Leistungen, Zimmerservice, Begleitservice oder Serviceklingeln in Anspruch. An der Mittags- und Abendverpflegung des L3. -F1. -Hauses nimmt die Klägerin teil. (Diese wurde ihr bisher von einer kurzen Zwischenzeit abgesehen aber in ihr Appartement gebracht und zwar zunächst wegen der Eingewöhnungsphase, danach wegen eines erlittenen Beinbruchs. Sie nimmt also in der Regel nicht an dem gemeinschaftlichen F. teil.) Bank- und Behördenangelegenheiten regelt die Tochter der Klägerin. Sie ist ihr zudem bei Arztbesuchen und der Kontaktpflege nach außen behilflich. Den Zeitaufwand dafür einschließlich der Einkäufe hat sie mit 2 – 3 mal wöchentlich 1 bis 2 Stunden beziffert. Das blindheitsbedingt erforderliche Setzen der Medikamente muss die Klägerin zusätzlich bezahlen, zusätzlich bezahlen muss die Klägerin auch die Hilfe beim Duschen. Sie hat zu dem Zweck Verträge mit dem mobilen Pflegedienst der T1. -PflegedienstGGmbH abgeschlossen.
102Der Hausmeister ist in dem Appartement in den vergangenen etwa 9 Monaten lediglich maximal 4 mal tätig gewesen, um einmal Bilder und Wandbehang anzubringen, dann einen Toilettensitz zu montieren, den Waschbeckenunterschrank zu reparieren und das Quietschen an Schranktüren zu beseitigen.
103Seitens des L3. -F1. -Hauses erbrachte Maßnahmen der Gebäude- und Grundstücksunterhaltung sowie Gartenpflege durch den Hausmeister und das Servieren von Mahlzeiten sowie jedenfalls die Reinigung der Zentralbereiche ebenso wie das Angebot eines kleinen wechselnden Unterhaltungsprogramms in Form gelegentlicher Konzerte, Bingoabende, Diavorträge (letztere dürften für die Klägerin schon keine geeignete Freizeitbeschäftigung darstellen) sowie Mode(verkaufs)präsentationen kennzeichnen auch jeden Hotelbetrieb und sind für die Frage des befriedigten Mehraufwandes irrelevant.
104Im Übrigen geboten wird eine Abwesenheitskontrolle, wenn jemand nach 20 Minuten nicht zum Mittagessen erschienen ist. Eine Abwesenheitskontrolle zur Zeit von Frühstück und Abendessen findet also nicht statt. W. Montag bis Donnerstag gibt es einige Beschäftigungsangebote (einmal Gedächtnistraining, einmal Gymnastik, einmal Basteln, einmal Spielen, einmal Tanz- und Lesekreis, einmal Filmvorführung, einmal Singkreis am Vor- oder Nachmittag, nur einmal am Abend) während von freitags bis sonntags - von einem Andachtsangebot am Freitagnachmittag und Kaffeetrinken am Sonntagnachmittag und ganz ausnahmsweisen Veranstaltungen an einem Samstag oder Sonntag abgesehen- in der Regel Angebote völlig fehlen. Der Lesekreis und die Filmvorführung dürften für die Klägerin ohnehin nicht geeignet sein, hinsichtlich des Bastelns und Tanzens erscheint dies zumindest zweifelhaft, was aber offen bleiben kann. Außerdem wird im Fall der Erkrankung nur an bis zu 14 von 365 Tagen des Jahres eine Grundpflege geboten. Die für 94 Appartements auf 6 Etagen zuständige Präsenzkraft soll den täglichen Gesundheitszustand aller Bewohner beobachten und im Bedarfsfall Gegenmaßnahmen wie Arztbesuche etc. einleiten, auf Notrufe reagieren (im Fall der Klägerin in etwa neun Monaten bisher dreimal), kleinere Hilfestellungen geben (bei der Klägerin Hilfe zur Gewöhnung an das Hörgerät), Transfere zu Veranstaltungen durchführen und kleine Gruppenangebote gestalten. Diese hat allerdings rechnerisch nur 4 Stunden je Etage und Tag Zeit, wobei sich 94 Appartements auf 6 Etagen verteilen (was etwa 15 Minuten pro Appartement täglich ergibt). Die auf die Klägerin entfallende Zeitspanne ist also schon rechnerisch marginal. Da die Angebote nicht von Zufälligkeiten abhängen dürfen, sondern regelmäßig vorgehalten werden müssen, ist es unerheblich, ob derzeit- wie der Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorträgt - 2 oder 3 Appartements nicht belegt sind oder einige der anderen Bewohner die Kräfte wegen zugebuchter Pflegeleistungen in geringerem Maße in Anspruch nehmen. Dabei handelt es sich um ständigen Änderungen unterliegende und auch nur geringfügig ins Gewicht fallende Umstände, die die Wertung, ob ein zuverlässiges regelmäßiges und maßgebliches Unterstützungsangebot vorliegt, nicht bestimmen können. Der Leiter des L3. -F1. -Hauses verfügt rechnerisch sogar nur über eine Zeit von 0,72 Stunden je Tag und Etage für individuelle Beratung und Betreuung (also etwa 3 Minuten pro Appartement). Auch dies hinzugerechnet, kommt man nicht über eine unwesentliche Deckung des blindheitsbedingten Mehraufwands der Klägerin hinaus. Vielmehr müssen die Klägerin und ihre Tochter oder sonstige zusätzlich zu bezahlende Kräfte, hin und wieder sicher auch der sie besuchende Sohn, den deutlich größten Teil ihres Lebensbedarfes abdecken. Im Hinblick auf die Personalschlüssel ist es zudem von Zufälligkeiten abhängig, ob und wann die Kräfte des L3. -F1. -Hauses Zeit haben, einen über Notfälle hinausgehenden zusätzlichen Bedarf der Klägerin zu befriedigen, was nach dem oben dargestellten Maßstab des Bundesverwaltungsgerichts schon aus dem Jahr 1967 nicht ausreicht.
105Zu Recht ist in dem seitens der Klägerin unterzeichneten Verwaltungsbogen „Bewohnerdaten“ des L3. -F1. -Hauses für die Klägerin also nicht „Senioreneinrichtung“, sondern „Wohnen mit Service“ angekreuzt, ging man demzufolge auch dort bei Ausfüllen des Bogens nicht von einer „Einrichtung“ aus.
106Das L3. -F1. -Haus ist lediglich ein „Altenheim“ im Sinne des § 7 Abs. 2 Ziffer 3 SbstG Schleswig-Holstein, das nicht der Regelprüfung stationärer Einrichtungen unterliegt. Überprüfungen, ob die Leistungen nach dem allgemein anerkannten Stand der fachlichen Erkenntnisse erbracht werden, finden ebenfalls nicht regelmäßig, sondern nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte statt. Auch insoweit gibt es also keinen Anlass, das Wohnen der Klägerin in einem Appartement des L3. -F1. -Hauses als Aufenthalt in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung gemäß § 1 Abs. 2 GHBG NRW einzuordnen.
107Selbst nach der vom SGB XII losgelösten Definition der Anstalt, des Heimes und der gleichartigen Einrichtung des § 1 Abs. 2 GHBG NRW ist also im konkreten Fall (noch) nicht von einem Aufenthalt der Klägerin in einer gleichartigen Einrichtung im Sinne des § 1 Abs. 2 GHBG NRW auszugehen. Eine Entscheidung des Meinungsstreits ist also entbehrlich.
108Die infolge der Verknüpfung mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung des Aufhebungs- und Einstellungsbescheides vom 29. September 2015 im zweiten Teil eindeutig versehentliche und nach Vorstehendem rechtswidrige Leistungsbewilligung ab 1. November 2015 mit dem ersten Teil des Bescheides vom 20. November 2015, Bl. 84 f. Gerichtsakte, konnte durch den weiteren Bescheid vom 23. November 2015, Bl. 86 ff. Gerichtsakte, auf § 45 SGB X, insbesondere Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X, gestützt zum 1. Dezember 2015 wieder aufgehoben werden. Auch dieser einen erkennbaren offensichtlichen Fehler für die Zukunft korrigierende Bescheid ist rechtmäßig. Insbesondere kannte die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Bescheides bzw. konnte sie diese erkennen. Insoweit erforderlich ist lediglich eine Parallelwertung in der Laiensphäre. Der Begünstigte muss infolge seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit nur wissen, dass der Bescheid fehlerhaft ist. Aus dem Bescheid muss sich anhand der Umstände und aufgrund naheliegender Überlegungen ergeben, dass der Bescheid fehlerhaft ist.
109Vgl. Waschull in Diering/Temme/Waschull, SGB X, 3. Aufl. 2011, § 45 Rdnr. 42ff.
110So liegt der Fall bei dem an die Anwaltskanzlei adressierten Bescheid vom 23. November 2015. Zwar dürfte der offensichtlich in sich widersprüchliche, in dem Teil 1 zudem nicht mit dem bisherigen Verlauf des Verwaltungsverfahrens in Einklang zu bringende, Bescheid nicht bereits unter einer ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 38 SGB X durch Verwendung falscher Textbausteine oder Eingabe falscher Programmierungen gelitten haben. Wegen des genannten eindeutigen Insich-Widerspruchs der Teile 1 und 2 des Bescheides lag aber ein besonders schwerwiegender und offensichtlicher, sogar zur Nichtigkeit führender Fehler im Sinne von § 40 Abs. 1 SGB X vor, so dass die Aufhebung der Bewilligung mit dem Bescheid vom 23. November 2015 letztlich nur deklaratorische Bedeutung hatte.
111Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
112Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711, 709 Zivilprozessordnung (ZPO).
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Köln Urteil, 15. Juni 2016 - 26 K 5958/15
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Köln Urteil, 15. Juni 2016 - 26 K 5958/15
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenVerwaltungsgericht Köln Urteil, 15. Juni 2016 - 26 K 5958/15 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).
(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
- 1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, - 2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, - 3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder - 4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.
(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.
(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.
(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit
- 1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, - 2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder - 3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn
- 1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder - 2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, soweit
- 1.
der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist, - 2.
mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.
(2) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, der eine Geld- oder Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zweckes zuerkennt oder hierfür Voraussetzung ist, kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn
- 1.
die Leistung nicht, nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird, - 2.
mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.
(3) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.
(1) Für die Sozialhilfe örtlich zuständig ist der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten. Diese Zuständigkeit bleibt bis zur Beendigung der Leistung auch dann bestehen, wenn die Leistung außerhalb seines Bereichs erbracht wird.
(1a) Abweichend von Absatz 1 ist im Falle der Auszahlung der Leistungen nach § 34 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und bei Anwendung von § 34a Absatz 7 der nach § 34c zuständige Träger der Sozialhilfe zuständig, in dessen örtlichem Zuständigkeitsbereich die Schule liegt. Die Zuständigkeit nach Satz 1 umfasst auch Leistungen an Schülerinnen und Schüler, für die im Übrigen ein anderer Träger der Sozialhilfe nach Absatz 1 örtlich zuständig ist oder wäre.
(2) Für die stationäre Leistung ist der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hatten. Waren bei Einsetzen der Sozialhilfe die Leistungsberechtigten aus einer Einrichtung im Sinne des Satzes 1 in eine andere Einrichtung oder von dort in weitere Einrichtungen übergetreten oder tritt nach dem Einsetzen der Leistung ein solcher Fall ein, ist der gewöhnliche Aufenthalt, der für die erste Einrichtung maßgebend war, entscheidend. Steht innerhalb von vier Wochen nicht fest, ob und wo der gewöhnliche Aufenthalt nach Satz 1 oder 2 begründet worden ist oder ist ein gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln oder liegt ein Eilfall vor, hat der nach Absatz 1 zuständige Träger der Sozialhilfe über die Leistung unverzüglich zu entscheiden und sie vorläufig zu erbringen. Wird ein Kind in einer Einrichtung im Sinne des Satzes 1 geboren, tritt an die Stelle seines gewöhnlichen Aufenthalts der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter.
(3) In den Fällen des § 74 ist der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der bis zum Tod der leistungsberechtigten Person Sozialhilfe leistete, in den anderen Fällen der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich der Sterbeort liegt.
(4) Für Hilfen an Personen, die sich in Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung aufhalten oder aufgehalten haben, gelten die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 106 und 109 entsprechend.
(5) Für die Leistungen nach diesem Buch an Personen, die Leistungen nach dem Siebten und Achten Kapitel in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, ist der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre. Vor Inkrafttreten dieses Buches begründete Zuständigkeiten bleiben hiervon unberührt.
(6) Soweit Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des Neunten Buches zu erbringen sind, richtet sich die örtliche Zuständigkeit für gleichzeitig zu erbringende Leistungen nach diesem Buch nach § 98 des Neunten Buches, soweit das Landesrecht keine abweichende Regelung trifft.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
- 1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, - 2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, - 3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder - 4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.
(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.
(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.
Tenor
-
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 12. März 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
-
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 82 838,08 Euro festgesetzt.
Tatbestand
- 1
-
Im Streit ist die Erstattung von Kosten in Höhe von 82 838,08 Euro für Leistungen der Eingliederungshilfe (Betreutes-Wohnen), die der Kläger in der Zeit vom 20.10.2006 bis 12.4.2010 für die Leistungsberechtigte T. R. (T.R.) erbracht hat.
- 2
-
Die 1983 geborene T.R. zog zum 20.10.2006 von ihrem bisherigen Wohnort S. nach K. um, weil sie in eine Wohngruppe einer sozialtherapeutischen Einrichtung für Frauen aufgenommen wurde; dort wohnte sie im streitbefangenen Zeitraum. Sowohl in S. als auch in K. erhielt sie Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Den Antrag der T.R. auf Übernahme der Kosten der Betreuung in der Wohngruppe (vom 2.10.2006) leitete der Beklagte an den Kläger weiter (Schreiben vom 6.10.2006), weil er sich für nicht zuständig erachtete. Der Kläger bewilligte T.R. Leistungen der Eingliederungshilfe (bestandskräftige Bescheide vom 16.10.2006, 10.5.2007, 2.4.2008, 28.5. sowie 18.11.2009) und machte erfolglos einen Erstattungsanspruch bei dem Beklagten geltend (Schreiben vom 16.10.2006; ablehnendes Schreiben des Beklagten vom 1.11.2006).
- 3
-
Die auf Kostenerstattung in Höhe von 82 838,08 Euro gerichtete Klage hatte in beiden Instanzen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts
Kiel vom 4.6.2013; Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts . Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, gleichgültig ob T.R. in K. in einer ambulanten Wohnform oder einer teilstationären Einrichtung gewohnt habe, sei der Beklagte der eigentlich zuständige Träger. Dessen örtliche Zuständigkeit ergebe sich bei Annahme einer teilstationären Einrichtung in analoger Anwendung des § 98 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), weil T.R. vor Aufnahme in die Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthalt in S. gehabt habe; bei Annahme einer ambulanten Betreuung ergebe sich seine Zuständigkeit aus § 98 Abs 5 iVm Abs 1 SGB XII wegen des tatsächlichen Aufenthalts der T.R. in S. vor Eintritt in die ambulante Wohnform, sodass für davor zu erbringende Sozialleistungen der Beklagte zuständig gewesen wäre.vom 12.3.2014)
- 4
-
Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 98 Abs 2 und 5 SGB XII. Für Einrichtungen der teilstationären Betreuung bedürfe es keiner analogen Anwendung der genannten Vorschriften; vielmehr komme unmittelbar § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII zur Anwendung. Dies führe zu einer eigentlichen örtlichen Zuständigkeit des Klägers, weil sich T.R. in K. tatsächlich aufgehalten habe.
- 6
-
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
- 7
-
Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Entscheidungsgründe
- 8
-
Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des LSG-Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
) .
- 9
-
Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensfehler liegen nicht vor. Insbesondere bedurfte es keiner Beiladung der T.R. nach § 75 Abs 2 1. Alt SGG (sog echte notwendige Beiladung), weil es sich bei dem vom Kläger als Rehabilitationsträger (§ 6 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -
iVm §§ 1, 2 Gesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch mittels einer allgemeinen Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) geltend gemachten Erstattungsanspruch des § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX nicht um einen von der Rechtsposition des Leistungsempfängers abgeleiteten, sondern um einen eigenständigen Anspruch handelt, der nur die Verteilung leistungsrechtlicher Verpflichtungen zwischen Kläger und Beklagtem betrifft(vgl zuletzt zusammenfassend die Senatsentscheidung vom 25.4.2013 - B 8 SO 6/12 R - RdNr 10 mwN).Schleswig-Holstein vom 17.12.2010 - Gesetz- und Verordnungsblatt 789, 813)
- 10
-
Nach § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX erstattet ein Rehabilitationsträger einem anderen dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften, wenn nach der Bewilligung der Leistungen durch einen Rehabilitationsträger nach Maßgabe von Abs 1 Satz 2 bis 4 festgestellt wird, dass der andere Rehabilitationsträger zuständig ist. Zuständig in diesem Sinne ist ein Träger, der ohne die Regelung des § 14 SGB IX zuständig wäre und von dem der Leistungsberechtigte die gewährte Leistung hätte beanspruchen können(vgl: BSGE 98, 277 ff RdNr 10 mwN = SozR 4-2500 § 40 Nr 4; BSG SozR 4-3250 § 14 Nr 12 RdNr 9 mwN).
- 11
-
Eine abschließende Entscheidung darüber, ob dem Kläger der geltend gemachte Erstattungsanspruch tatsächlich zusteht, war dem Senat nicht möglich; es fehlt an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht nur zum Inhalt der Maßnahme, sondern auch zur Rechtmäßigkeit der gegenüber T.R. erbrachten Leistungen und der Höhe der geltend gemachten Erstattungsforderung (vgl zu diesen Voraussetzungen nur BSGE 109, 56 ff RdNr 10 = SozR 4-3500 § 98 Nr 1).
- 12
-
Lägen diese Voraussetzungen vor, wäre der Beklagte ohne die rechtzeitige Weiterleitung des Antrags der eigentlich zuständige Träger für die Hilfe zum selbstbestimmten Wohnen in betreuten Wohnmöglichkeiten als Leistung der Eingliederungshilfe (§§ 53, 54 Abs 1 SGB XII iVm § 55 Abs 2 Nr 6 SGB IX); allerdings ist insoweit eine analoge Anwendung des § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen(dazu später).
- 13
-
Nach § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII ist für stationäre Leistungen der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt hatten. Für Leistungen des Ambulant-betreuten-Wohnens ist der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre (§ 98 Abs 5 Satz 1 SGB XII).
- 14
-
Nach Maßgabe des vom LSG nicht festgestellten und deshalb vom Senat eigenständig prüfbaren Landesrechts wäre der Beklagte durch Heranziehung für stationäre Leistungen (nur) wahrnehmungszuständig (§ 97 Abs 1, 2 SGB XII iVm § 6 Abs 2 Niedersächsisches Gesetz zur Ausführung des SGB XII
vom 16.12.2004 - GVBl 644 -, iVm § 2 Abs 1 Nr 1 Verordnung zur Durchführung des AGSGB XII) ; denn T.R. hatte vor Aufnahme in die Wohngruppe in S. ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil -). Läge ein Fall des Ambulant-betreuten-Wohnens vor, wäre, weil T.R. in S. keine Leistungen nach dem SGB XII, sondern Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II erhalten hat, nach § 98 Abs 5 Satz 1 2. Alt SGB XII darauf abzustellen, welcher Träger der Sozialhilfe vor Eintritt in diese Wohnform für Sozialhilfeleistungen zuletzt zuständig gewesen wäre (vgl: BSG SozR 4-5910 § 97 Nr 1 RdNr 16; Waldhorst-Kahnau in juris PraxisKommentarSGB XII, 2. Aufl 2014, § 13 SGB XII RdNr 19) . Dies wäre nach § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII ebenfalls der Beklagte, wenn T.R. anstelle der an sie erbrachten Leistungen nach dem SGB II Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten hätte, weil sich T.R. in S. tatsächlich aufhielt und dort auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Als örtlicher Träger wäre der Beklagte indes nicht nur wahrnehmungszuständig, sondern auch sachlich leistungszuständig (§ 97 Abs 1, 2 SGB XII iVm § 6 Abs 1 AGSGB XII).
- 15
-
Gäbe es eine teilstationäre Leistung des Betreuten-Wohnens und läge ein solcher Fall vor, fände § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII weder unmittelbar noch analog Anwendung. § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII regelt nämlich nur die örtliche Zuständigkeit für vollstationäre Leistungen in einer Einrichtung(so auch: Söhngen in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 98 SGB XII RdNr 31; Hohm in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl 2015, § 98 SGB XII RdNr 30; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 98 RdNr 45, Stand März 2015). Der Begriff "stationäre Leistung" umfasst nicht, gleichsam als Oberbegriff, vollstationäre und teilstationäre Leistungen. Dies macht die ausdrückliche Differenzierung in § 13 Abs 1 Satz 1 SGB XII und § 75 Abs 1 Satz 1 SGB XII deutlich, wonach terminologisch zwischen teilstationären und stationären Leistungen unterschieden wird(vgl auch § 100 Abs 1 Nr 1 und 5 Bundessozialhilfegesetz
) .
- 16
-
Die Zuständigkeit des Beklagten für teilstationäre Maßnahmen kann mangels Regelungslücke auch nicht auf eine analoge Anwendung des § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII gestützt werden. Eine Analogie, die Übertragung einer gesetzlichen Regelung auf einen Sachverhalt, der von der betreffenden Vorschrift nicht erfasst wird, ist nur geboten, wenn dieser Sachverhalt mit dem geregelten vergleichbar ist, nach dem Grundgedanken der Norm und dem mit ihr verfolgten Zweck dieselbe rechtliche Bewertung erfordert (BSG SozR 3-2500 § 38 Nr 2 S 12) und eine (unbewusste) planwidrige Regelungslücke vorliegt (BVerfGE 82, 6, 11 ff mwN; BSGE 77, 102, 104 = SozR 3-2500 § 38 Nr 1 S 3; BSGE 89, 199, 202 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 S 95 f mwN). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
- 17
-
Angesichts der bereits im BSHG angelegten (vgl § 97 Abs 2) Unterscheidung (vgl dazu: BVerwGE 88, 86 ff = Buchholz 436.0 § 69 BSHG Nr 19; BVerwG Buchholz 436.0 § 69 BSHG Nr 12) und der Änderungen, die § 98 Abs 2 und 5 SGB XII seit seinem Inkrafttreten zum 1.1.2005 erfahren hat, ohne dass eine (neue) Regelung zu teilstationären Leistungen des Betreuten-Wohnens in das Gesetz aufgenommen worden ist, ist nicht von einer unbewussten Lücke auszugehen.
- 18
-
Ohnedies ist zweifelhaft, ob es eine teilstationäre Form des Betreuten-Wohnens überhaupt geben kann. Wesentlich für den Einrichtungsbegriff ist nämlich ein in einer besonderen Organisationsform zusammengefasster Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist (BVerwGE 95, 149, 152; BVerwG, Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 42/91 -, FEVS 45, 52 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 13/91 -, FEVS 45, 183 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 17/91 -, ZfSH/SGB 1995, 535 ff; BSGE 106, 264 ff RdNr 13 = SozR 4-3500 § 19 Nr 2)und der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach dem SGB XII zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dient (vgl § 13 Abs 2 SGB XII; näher dazu BSG SozR 4-5910 § 97 Nr 1 RdNr 15). Prägend für die "verantwortliche Trägerschaft" im Sinne des Einrichtungsbegriffs ist, dass der Einrichtungsträger die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Leistungsberechtigten übernimmt (BVerwGE 95, 149, 150). Die Hilfeleistung in einer Einrichtung kann sich also schon per se nicht auf eine einzelne Verrichtung beschränken, sondern umfasst - schon durch die Eingliederung des Hilfebedürftigen in die Räumlichkeiten des Trägers - die gesamte Betreuung des Leistungsberechtigten, solange sich dieser in der Einrichtung aufhält (BVerwGE 48, 228 ff = Buchholz 436.0 § 40 BSHG Nr 6).
- 19
-
Die Intensität der Betreuung ist für die Abgrenzung stationärer und teilstationärer Maßnahmen dabei ohne Belang und nur als Abgrenzungskriterium im Verhältnis zu ambulanten Leistungen des Betreuten-Wohnens heranzuziehen. Erhält ein Leistungsberechtigter auf dem Weg zu mehr Selbstständigkeit eine umfassende Betreuung beim Wohnen in einer Einrichtung auch dann, wenn nach dem Therapiekonzept bzw dem Hilfeplan aktive, direkte Hilfen entsprechend dem erreichten Grad an Selbstständigkeit des Leistungsberechtigten in den Hintergrund rücken und andere, stärker auf Abruf angelegten Hilfen in den Vordergrund treten (vgl BVerwGE 95, 149, 150), wird eine solche Hilfe wegen der Eingliederung des Hilfebedürftigen in die Einrichtung gleichwohl in stationärer Form erbracht. In welcher Form eine Leistung tatsächlich erbracht wird, ist dabei allein abhängig von der Art der Hilfe und den konkreten Umständen der Leistungserbringung in jedem Einzelfall (so auch: Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 13 RdNr 17, Stand November 2014; Hohm in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl 2015, § 98 SGB XII RdNr 33). Die Abgrenzung teilstationärer zu stationären Leistungen in Einrichtungen kann deshalb nur anhand zeitlicher Kriterien erfolgen. Wohnt ein Leistungsberechtigter hingegen ohne organisatorische Anbindung und ohne die beschriebene umfassende Betreuung, werden also nur zeitlich begrenzte Hilfen erbracht, liegt eine Leistungserbringung in ambulanter Form vor. Ein teilstationäres Betreutes-Wohnen wäre deshalb überhaupt nur denkbar, wenn sich die Hilfe in einer Einrichtung auf zeitlich klar abgrenzbare Abschnitte beschränken würde, was angesichts des Umstands, dass eine Person an einem Ort auch dann wohnt, wenn sie sich ggf kurzfristig oder zeitabschnittsweise an einem anderen Ort befindet, nur schwer vorstellbar erscheint.
- 20
-
Ob und wie sich eine Einrichtung bezeichnet, sei es, wie hier, als "teilstationäre Wohngemeinschaft/Wohngruppe für Menschen mit seelischer Behinderung", ist für die rechtliche Qualifikation der Leistung ebenso wenig von Belang wie die Bezeichnung der Leistungen in den zwischen Leistungserbringer und den Sozialhilfeträgern abgeschlossenen Vereinbarungen.
- 21
-
Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 3 Satz 1, § 40 Gerichtskostengesetz.
- 22
-
Das LSG wird ggf über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
(1) Die Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel können entsprechend den Erfordernissen des Einzelfalles für die Deckung des Bedarfs außerhalb von Einrichtungen (ambulante Leistungen), für teilstationäre oder stationäre Einrichtungen (teilstationäre oder stationäre Leistungen) erbracht werden. Vorrang haben ambulante Leistungen vor teilstationären und stationären Leistungen sowie teilstationäre vor stationären Leistungen. Der Vorrang der ambulanten Leistung gilt nicht, wenn eine Leistung für eine geeignete stationäre Einrichtung zumutbar und eine ambulante Leistung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Bei der Entscheidung ist zunächst die Zumutbarkeit zu prüfen. Dabei sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen. Bei Unzumutbarkeit ist ein Kostenvergleich nicht vorzunehmen.
(2) Einrichtungen im Sinne des Absatzes 1 sind alle Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach diesem Buch zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dienen.
(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit
- 1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, - 2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder - 3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn
- 1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder - 2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.
Die Behörde kann Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten in einem Verwaltungsakt jederzeit berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen. Die Behörde ist berechtigt, die Vorlage des Dokumentes zu verlangen, das berichtigt werden soll.
(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.
(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,
- 1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt, - 2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt, - 3.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann, - 4.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, - 5.
der gegen die guten Sitten verstößt.
(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil
- 1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, - 2.
eine nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat, - 3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war, - 4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.
(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.
(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.