Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 12. Juni 2014 - 15 K 3358/10

bei uns veröffentlicht am12.06.2014

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Einziehung seines deutschen Reisepasses und seines Personalausweises.

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Der Kläger wurde am ... Oktober 1974 als Kind türkischer Arbeitnehmer in Flensburg geboren und verfügte ab Geburt allein über die türkische Staatsangehörigkeit. Er hat die mittlere Reife, hiernach kurz die Fremdsprachenschule besucht und dann den Beruf eines Restaurantfachmanns erlernt. Seine Eltern und seine vier Geschwister leben in Hamburg und sind bis heute türkische Staatsangehörige geblieben. Der Kläger ist mittlerweile in zweiter Ehe mit einer Indonesierin verheiratet und hat 2 kleine Kinder.

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Bereits in den neunziger Jahren hatte der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt und insoweit auch einen Antrag auf Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit gestellt. Am 28. Februar 2000 – kurz nach der zum Jahresbeginn erfolgten Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts – erhielt er auf seinen Antrag hin durch Einbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit. Bei Entgegennahme der unter dem 14. Februar 2000 ausgestellten Einbürgerungsurkunde verpflichtete sich der Kläger schriftlich, baldmöglichst den Verlust seiner türkischen Staatsangehörigkeit herbeizuführen. Er habe zur Kenntnis genommen, dass er nur unter dieser Voraussetzung eingebürgert werde und dass die Rücknahme seiner Einbürgerung verfügt werden könne, falls er diese Verpflichtung nicht erfülle.

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Am 11. Mai 2000 reichte der Kläger eine unter dem 29. Februar 2000 ausgestellte türkische Urkunde zur Akte, die ihm die endgültige Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit bestätigte.

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Zuletzt am 14. Februar 2005 wurden dem Kläger ein deutscher Personalausweis und ein deutscher Reisepass ausgestellt.

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Am 28. Dezember 2007 heiratete der Kläger in Bingöl in der Türkei seine erste Ehefrau, Frau ..., die sich anschließend aus der Türkei heraus um ein Visum zum Familiennachzug zu ihrem Ehemann bemühte. In diesem Zusammenhang reichte sie bei der deutschen Botschaft in Ankara einen am 10. Juni 2008 erstellten Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister ein, aus dem sich ergab, dass der Kläger nach dem Beschluss des türkischen Ministerrates vom 16. April 2001 unter dem Geschäftszeichen 2001/2328 neben seiner deutschen auch wieder die türkische Staatsangehörigkeit erworben hatte.

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Hierauf forderte das Einwohnerzentralamt der Beklagten den Kläger auf, einen Staatsangehörigkeitsnachweis und eine Beibehaltungsgenehmigung nach § 25 Abs. 2 StAG vorzulegen. Am 2. Oktober 2008 legte der Kläger eine Kopie eines am 26. September 2008 erstellten und in das Deutsche übersetzten Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister vor, aus dem sich ergab, dass ihm durch Beschluss des Ministerrats vom 29. April 1997 mit der Nummer 97/9351 gemäß § 20 des Gesetzes Nummer 403 - Türkisches Staatsangehörigkeitsgesetz - die Erlaubnis zum Ausscheiden aus der türkischen Staatsbürgerschaft erteilt worden sei. Er sei deutscher Staatsbürger. Er habe den Bescheid über das Ausscheiden aus der türkischen Staatsbürgerschaft am 29. Februar 2000 erhalten.

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Anlässlich einer Vorladung bei dem Beklagten am 17. Oktober 2008 räumte der Kläger ein, dass es sich bei dem Registerauszug lediglich um eine Farbkopie gehandelt habe. Das Original habe er in der Wohnung. An einem Zuzug seiner Ehefrau sei er nicht mehr interessiert. Ferner gab er an, dass er bei der Abholung der endgültigen Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit am 29. Februar 2000 eine Erklärung beim türkischen Konsulat in Hamburg unterschrieben habe, er aber nicht wisse, welchen Inhalt diese gehabt habe. Das dürfe man ihm nicht zum Vorwurf machen.

9

Hierauf wurde ihm mitgeteilt, dass man davon ausgehe, dass er antragsgemäß durch Beschluss Nummer 2001/2328 vom 16. April 2001 die türkische Staatsangehörigkeit wieder erworben und daher die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 25 Abs. 2 StAG verloren habe. Er müsse daher seine deutschen Personalpapiere abgeben und sich anschließend einen türkischen Pass und einen Aufenthaltstitel besorgen.

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Als der Kläger sich hierauf nicht meldete, wurde er mit Schreiben vom 4. November 2008 nochmals aufgefordert, den originalen türkischen Personenstandsregisterauszug bis Ende des Monats im Original vorzulegen. Andernfalls werde davon ausgegangen, dass er die türkische Staatsangehörigkeit wieder erworben habe.

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Hierauf legitimierte sich sein heutiger Prozessbevollmächtigter für den Kläger, ohne aber in der Sache weiter vorzutragen.

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Unter dem 9. Dezember 2009 teilte das Einwohnerzentralamt dem Bezirksamt Hamburg-Wandsbek mit, dass der Kläger mit dem Rückerwerb der türkischen Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsangehörigkeit verloren habe und ausschließlich türkischer Staatsangehöriger sei. Es werde gebeten, die deutschen Ausweispapiere (Personalausweis und Reisepass) zu entziehen, den Staatsangehörigkeitseintrag im Melderegister entsprechend zu berichtigen und den Kläger ausländerbehördlich zu erfassen.

13

Nachdem die Beklagte den Kläger deswegen mehrfach erfolglos vorgeladen und dieser auch durch seinen Anwalt zur Sache nicht weiter vorgetragen hatte, verfügte die Beklagte, jetzt vertreten durch das Einwohneramt des Bezirksamts Hamburg-Wandsbek, mit Bescheid vom 19. Juli 2010 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Einziehung des Reisepasses des Klägers nach § 12 Abs. 1 PassG und des Personalausweises nach § 9 HmbPersAuswG: Ein ungültiger Reisepass oder Personalausweis könne eingezogen werden. Ungültig seien diese, wenn Eintragungen nach dem Gesetz fehlten oder unzutreffend seien. Dies sei hier in Bezug auf die Staatsangehörigkeit des Klägers der Fall, denn diese sei nicht deutsch, sondern türkisch. Da der Reisepass und der Personalausweis hierdurch ungültig geworden seien, werde die Funktion dieser Papiere beeinträchtigt. Deshalb sei das Ermessen der Behörde dahingehend reduziert, diese einzuziehen. Auch sei die Staatsangehörigkeit nach § 5b Abs. 1 HmbMeldeG dahingehend berichtigt worden, dass diese jetzt mit türkisch geführt werde. Die sofortige Vollziehung sei erforderlich, um den durch die Angabe einer falschen Staatsangehörigkeit gesetzten Rechtsschein zu beseitigen, zumal weitere Verwaltungsakte, auch Sozialleistungen, an die deutsche Staatsangehörigkeit anknüpften.

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Am 28. Juli 2010 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein, der trotz mehrfacher Ankündigung nicht begründet wurde. Über den deutschen Personalausweis und den deutschen Reisepass verfügt er immer noch.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2010, zugestellt am 19. Oktober 2010, wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen: Rechtsgrundlage für die Einziehung des Reisepasses sei § 12 Abs. 1 PassG. Hiernach könne ein ungültiger Pass eingezogen werden. Ungültig sei ein Pass nach § 11 Nr. 2 PassG, wenn Eintragungen nach diesem Gesetz unzutreffend seien. Hierzu gehöre auch die unzutreffende Staatsangehörigkeit. Der Kläger habe die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, als er auf seinen Antrag hin die türkische wieder erlangt habe. Ein schutzwürdiges Vertrauen daran, den Reisepass gleichwohl behalten zu dürfen, habe der Kläger nicht. Er habe wissen müssen, was aus der Wiederbeantragung der türkischen Staatsangehörigkeit folge. Hier gelte es, auf der deutschen Staatsangehörigkeit basierende weitere rechtswidrige Verwaltungsakte zu vermeiden. Ohnehin folge aus § 3 Abs. 2 StAG, dass ein etwaiges Vertrauen in den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vor Ablauf der dort genannten 12 Jahre regelmäßig nicht geschützt sei. Rechtsgrundlage für die Einziehung des Personalausweises sei § 9 HmbPersAuswG. Hiernach dürfe ein ungültiger Personalausweis eingezogen werden. Ungültig sei er u.a. dann, wenn darin die falsche Staatsangehörigkeit angegeben sei.

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Am 19. November 2010 hat der Kläger Klage erhoben und zugleich beantragt, die aufschiebende Wirkung dieser Klage wiederherzustellen.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2010 und den Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2010 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung nimmt sie auf den Widerspruchsbescheid Bezug und weist darauf hin, dass eine bezirkliche Zuständigkeit für die Frage, ob der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit besitze, nicht gegeben sei. Insoweit sei das Einwohnerzentralamt zuständig.

22

Mit Beschluss vom 10. Februar 2011 (15 E 3359/10) hat die Kammer den Eilantrag des Klägers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage abgelehnt: Die angefochtenen Bescheide würden voraussichtlich im Hauptsacheverfahren Bestand haben. Sowohl der Reisepass als auch der Personalausweis des Klägers seien ungültig, da dieser nicht über die deutsche, sondern ausschließlich über die türkische Staatsangehörigkeit verfüge. Die deutsche Staatsangehörigkeit habe er nach § 25 Abs. 1 S. 1 StAG von Gesetzes wegen verloren, als er die türkische Staatsangehörigkeit wieder erworben habe.

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Hiergegen hat der Kläger Beschwerde eingelegt: Als ihm mitgeteilt worden sei, dass er nach dem Beschluss des türkischen Ministerrats vom 16. April 2001 auch wieder die türkische Staatsangehörigkeit erworben habe, habe er dem Einwohnerzentralamt mitgeteilt, dass er seines Wissens nach nur deutscher Staatsangehöriger sei. Über das türkische Generalkonsulat habe er versucht, den Sachverhalt zu klären, und daraufhin eine Kopie eines Auszugs aus dem türkischen Personenstandsregister bekommen, aus der sich ergeben habe, dass er aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen worden sei und nicht wieder die türkische Staatsangehörigkeit angenommen habe. Diese Urkunde habe er dem Einwohnerzentralamt vorgelegt. Die weitere Klärung mithilfe türkischer Behörden habe dann ergeben, dass er am 29. Februar 2000 aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen worden und am 9. August 2001 wieder eingebürgert worden sei. Diese Einbürgerung sei ohne seine Kenntnis und ohne seinen Antrag erfolgt. Dieses habe er gegenüber den türkischen Behörden richtig gestellt, worauf er am 10. Februar 2009 erneut aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen worden sei. Das sei ihm am 19. Februar 2009 durch das türkische Personenstandsregister bescheinigt worden. Als er erklärt habe, dass er anlässlich der Abholung der Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit am 29. Februar 2000 eine Erklärung unterschrieben habe, von der er nicht gewusst habe, welchen Inhalt diese gehabt habe, sei dies eine reine Vermutung gewesen. Anders habe er sich die Wiedereinbürgerung nicht erklären können. Damit habe er die deutsche Staatsangehörigkeit nicht nach § 25 Abs. 1 StAG verloren, denn dieses setze voraus, dass der fragliche Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit auf Antrag erfolge. Dies sei bei ihm nicht der Fall gewesen. Vielmehr sei ungeklärt, worauf die bei den türkischen Behörden im Personenstandsregister eingetragene und nunmehr wieder gelöschte türkische Staatsangehörigkeit beruhen könne.

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Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat geltend gemacht, es sei auch nicht glaubhaft, dass der Kläger angeblich am 10. Februar 2009 wieder aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen worden sei. Dieses habe er bisher nie vorgetragen. Außerdem habe er dadurch nicht automatisch wieder die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt. Er wäre allenfalls staatenlos geworden.

25

Mit Beschluss vom 1. August 2011 (4 Bs 32/11) hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen: Die Angaben des Klägers zu den Umständen, unter denen er die türkische Staatsangehörigkeit wieder erworben habe, seien unsubstantiiert und in ihrem zentralen Punkt widersprüchlich. Einerseits mache er geltend, er habe keinen Antrag auf Wiedereinbürgerung gestellt, andererseits behaupte er, er habe nicht gewusst, welchen Inhalt die Erklärung gehabt habe, die er beim Abholen der Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit am 29. Februar 2000 unterschrieben habe. Woher der Kläger die Kenntnis haben wolle, keinen Antrag auf Wiedereinbürgerung gestellt zu haben, habe er nicht erklärt. Insbesondere habe er nicht - etwa durch Vorlage einer entsprechenden Bestätigung des Generalkonsulats - dargelegt, dass die von ihm unterschriebene Erklärung einen anderen Inhalt gehabt habe als einen Wiedereinbürgerungsantrag. Es könne deshalb auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger damals über die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Erklärung geirrt haben könnte. Sofern er mittlerweile auch die türkische Staatsangehörigkeit wieder aufgegeben habe, sei er nicht wieder deutsch, sondern staatenlos geworden.

26

Auf eine Betreibensaufforderung des Gerichts hat der Kläger mit Schriftsatz vom 2. Januar 2012 erklärt, trotz des Ergebnisses des Eilverfahrens den Rechtsstreit in der Hauptsache fortsetzen zu wollen: Die Einbürgerung sei ohne seine Kenntnis und ohne seinen Antrag erfolgt. Zumindest könne er sich nicht daran erinnern, einen entsprechenden Antrag bei den türkischen Behörden gestellt zu haben. Er könne zwar nicht ausschließen, dies getan zu haben, da er anlässlich seiner Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit Formulare habe ausfüllen und unterschreiben müssen. Diese habe er jedoch weitgehend nicht verstehen können, da er die türkische Schriftsprache nie gelernt habe. Er habe auch keine Mitteilung über seine Rückeinbürgerung in die türkische Staatsangehörigkeit erhalten. Ausweislich der Bescheinigung des türkischen Personenstandsregisters vom 19. Februar 2009 sei die Rückeinbürgerung korrigiert worden und er sei erneut aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen worden. Die damalige Rückeinbürgerung habe nicht auf einer freien Willensentschließung beruht. Vielmehr sei ungeklärt, wie es zu der türkischen Staatsangehörigkeit gekommen sei. Jedoch sei § 25 Abs. 1 S. 1 StAG mit Rücksicht auf den grundrechtlichen Schutz der Staatsangehörigkeit einschränkend auszulegen, so dass bei Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit auf Antrag der Verlust der deutschen verfassungsrechtlich nur unbedenklich sei, wenn der deutsche Staatsangehörige den Eintritt der gesetzlichen Rechtsfolge in zumutbarer Weise habe beeinflussen können. Hieran habe es bei ihm gefehlt. Selbst wenn er anlässlich seiner Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit auf dem türkischen Konsulat seine erneute Einbürgerung beantragt hätte - wovon er nicht wisse - wäre dies ein beachtlicher Mangel bei der Abgabe des Antrags auf Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit. Der Sachverhalt sei daher weiter aufzuklären. Dafür, dass er damals von nichts gewusst habe, spreche bereits, dass er im Visumsverfahren ein Nüfuspapier der türkischen Behörden habe vorlegen lassen, aus dem sich seine Wiedereinbürgerung ergebe, obwohl jeder wisse, dass diese Daten dort enthalten seien. Hätte er gewusst, dass er die türkische Staatsangehörigkeit wieder erlangt habe, hätte er sich anders verhalten. Es seien daher die tatsächlichen Umstände und Gepflogenheiten des türkischen Generalkonsulats in den Jahren 2000/2001 aufzuklären. Es sei anzunehmen, dass als Zeugen vernommene instruierte Mitarbeiter des Generalkonsulats bekunden würden, dass es den damaligen Gepflogenheiten des türkischen Generalkonsulat entsprochen habe, die Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit mit einem Antrag auf Wiedereinbürgerung zu verbinden, wobei beide Erklärungen nicht getrennt formuliert seien, sondern als einheitliche Erklärung zu unterschreiben gewesen seien mit der Folge, dass die Erklärenden mit der Unterzeichnung der Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit zwangsläufig - und ohne entsprechenden Hinweis auch regelmäßig ohne ihr Wissen - einen erneuten Antrag auf Einbürgerung gestellt hätten. Jedenfalls habe er zu keinem Zeitpunkt bei türkischen Behörden vorgesprochen, um die Wiedererlangung der türkischen Staatsangehörigkeit zu beantragen.

27

Mit Schreiben vom 12. April 2013 hat das Gericht das Generalkonsulat der Republik Türkei in Hamburg schriftlich um Auskunft zu den Umständen des Wiedererwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit durch den Kläger ersucht. Die gerichtlichen Fragen blieben unbeantwortet.

28

Mit Beschluss vom gleichen Tage ist der Rechtsstreit auf die Vorsitzende als Einzelrichterin übertragen worden.

29

Am 12. Juni 2014 ist in der Sache mündlich verhandelt worden. insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen Die Sachakten der Beklagten sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Entscheidungsgründe

I.

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Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

31

Die Beklagte darf den deutschen Pass und den Personalausweis des Klägers einziehen, weil sowohl sein deutscher Reisepass als auch der Personalausweis aufgrund einer unzutreffenden Angabe der Staatsangehörigkeit des Klägers ungültig sind (siehe unten 1. und 2.). Auch ist die Ermessensentscheidung der Beklagten, unter diesen Voraussetzungen jeweils die Einziehung zu verfügen, nicht zu beanstanden (siehe unten 3.).

32

1. Nach § 12 Abs. 1 S. 1 PassG darf die Beklagte als örtlich zuständige Passbehörde (§ 19 Abs. 1 PassG) den Reisepass des Klägers einziehen, da dieser ungültig ist.

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Die Ungültigkeit folgt daraus, dass der deutsche Reisepass des Klägers nach dem PassG erforderliche Angaben - mit Ausnahme des Wohnortes und der Größe - enthält, die unzutreffend sind (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 PassG). Nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 PassG ist die Staatsangehörigkeit des Passinhabers in den Pass aufzunehmen. Diese ist im streitbefangenen Reisepass des Klägers mit deutsch angegeben. Dies ist unzutreffend, da der Kläger seit dem 16. April 2001 wieder ausschließlich über die türkische Staatsangehörigkeit verfügte und die deutsche Staatsangehörigkeit noch nicht wiedererlangt hat.

34

Zwar hat der ursprünglich türkische Kläger am 28. Februar 2000 die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Am Folgetage hat er - wozu er sich zuvor verpflichtet hatte - deswegen die türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben. Bereits am 16. April 2001 hat er diese jedoch durch Beschluss des türkischen Ministerrates wiedererlangt. Dies wird durch mehrere Dokumente belegt und ist zwischen den Beteiligten mittlerweile unstreitig. Eines Einbürgerungsbescheides bedarf es insoweit nicht, da nach dem türkischen Staatsangehörigkeitsgesetz die Wirkung der Einbürgerungsentscheidung mit dem Datum der Entscheidung des Ministerrats eintritt (ausführlich dazu: VG München, Urteil vom 5.10.2009, M 25 K 08.2073, juris Rn. 19). Auch macht die spätere nochmalige Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit im Jahr 2009 den vorherigen Wiedererwerb nicht rückwirkend ungeschehen. Selbst dann, wenn die ausländische Staatsangehörigkeit rückwirkend aufgegeben wird, lebt die deutsche Staatsangehörigkeit nicht automatisch wieder auf, sondern ihr Verlust bleibt vom späteren Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit unberührt (vgl. Marx, GK-StAR § 25 Rn. 43, 46).

35

Es ist auch davon auszugehen, dass die Wiedereinbürgerung im Jahr 2001 aufgrund eines Antrags des Klägers im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StAG erfolgt ist.

36

a. Ein Antrag im Sinne des § 25 Abs. 1 StAG ist jede freie Willensbetätigung, die unmittelbar auf den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit gerichtet ist (BVerfG, Beschluss vom 8.12.2006, 2 BvR 1339/06, NVwZ 2007, 441 ff., juris Rn. 13; so auch BVerfG, Beschluss vom 22..6.1990, NJW 1990, 2193 f., juris Rn. 32; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 13.10.2000, 1 B 53/00, Buchholz 130 § 25 StAG Nr. 11, juris Rn. 12; entsprechend Abschnitt 25.1.3 Abs. 1 S. 1 der Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht vom 13. Dezember 2000 (StAR-VwV) ebenso wie Abschnitt 25.1.1. Abs. 2 S. 5 der vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsgesetz vom 17. April 2009). Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht. Denn der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit tritt aufgrund von Handlungen des Betroffenen ein, die auf einem selbstverantwortlichen und freien Willensentschluss gegründet sind (BVerfG, Beschluss vom 8.12.2006, 2 BvR 1339/06, NVwZ 2007, 441 ff., juris Rn. 13; so auch BVerfG, Beschluss vom 22..6.1990, NJW 1990, 2193 f., juris Rn. 32). Er stellt damit keine grundgesetzlich verbotene Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit dar (vgl. BVerfG, Urteil vom 24.5.2006, 2 BvR 669/04, BVerfGE 116, 24 ff., juris Rn. 50).

37

An der somit verfassungsrechtlich zu fordernden Freiwilligkeit der Antragstellung fehlt es grundsätzlich dann, wenn ein Betroffener die förmlich abgegebene Erklärung gar nicht abgeben wollte (§ 119 S. 1 BGB,offen in Bezug auf Willensmängel, da solche dort erkennbar nicht vorlagen, BVerwG, Urteil vom 21.5.1985, 1 C 12/84, Buchholz 130 § 25 RuStAG Nr.5, juris Rn. 35; BVerwG, Beschluss vom 13.10.2000, 1 B 53/00, Buchholz 130 § 25 StAG Nr. 11, juris Rn. 11). Ein solches ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Antragsformular für eine Wiedereinbürgerung ohne Hinweis und ohne Erkennbarkeit für den Betroffenen zusammen mit einem Antrag auf Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit überreicht und in Verkennung seines Inhalts unterschrieben wurde (Marx, GK-StAR § 25 Rn. 62).

38

Allerdings obliegen dem Betroffenen in staatsbürgerlichen Angelegenheiten gewisse Sorgfaltspflichten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8.12.2006, 2 BvR 1339/06, NVwZ 2007, 441 ff., juris Rn. 38). Grundsätzlich ist deshalb zu verlangen, dass ein vorgelegtes Formular vor der Unterschrift durchgelesen und auf seinen Inhalt überprüft wird. Auch genügt es nicht, wenn ein Betroffener geltend macht, einen Antrag auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit auf Anregung der türkischen Behörden gestellt zu haben (BVerfG a.a.O.). Denn es kann von Einbürgerungsbewerbern in gesteigertem Maße erwartet werden, dass sie sich über die staatsangehörigkeitsrechtlichen Folgen einer sofort nach der Ausbürgerung beantragten Wiedereinbürgerung in die türkische Staatsangehörigkeit informieren (VG München, Urteil vom 5.10.2009, M 25 K 08.2073, juris Rn. 20).

39

b. Für die Behauptung mangelnder Freiwilligkeit der Abgabe eines schriftlich gestellten Wiedereinbürgerungsantrags ist der Bürger beweispflichtig, nicht die Behörde.

40

Insoweit stehen dem Gericht als Erkenntnismittel lediglich die Aussagen des Klägers selbst sowie einige allgemein bekannte Umstände der damaligen Einbürgerungspraxis der Türkei zur Verfügung.

41

Auf Beweismittel aus der Sphäre des türkischen Generalkonsulats hat das Gericht keinen Zugriff. Nach Art. 44 Abs. 3 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen sind Mitglieder eines konsularischen Postens nicht verpflichtet, Zeugenaussagen über Angelegenheiten zu machen, die mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zusammenhängen oder die darauf bezüglichen amtlichen Korrespondenzen und Schriftstücke vorzulegen. Sie sind auch berechtigt, die Aussage als Sachverständige über das Recht des Staates zu verweigern. Ausländische Behörden sind deshalb nur dann zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet, wenn – was im Hinblick auf die Türkei nicht der Fall ist - völkerrechtliche Vereinbarungen bestehen (BVerwG, Beschluss vom 22.5.2008, 5 B 27/08, juris Rn. 7; BayVGH, Beschluss vom 22.9.2008, 5 ZB 07.1031, juris Rn. 11; Beschluss vom 28.1.2009, 5 ZB 07. 2080, juris Rn. 10). Entsprechend ist kein Fall bekannt, in dem ein türkisches Konsulat in Deutschland die Umstände der Wiedereinbürgerung eines türkischen Staatsangehörigen durch Zeugenaussagen oder Vorlage von Originalen oder Kopien der maßgeblichen Antragsformulare konkretisiert hätte (vgl. BayVGH, Beschluss vom 16.9.2008, 5 ZB 07.243, juris Rn 10, Beschluss vom 22.9.2008, 5 ZB 07.1031, juris Rn. 10, Beschluss vom 28.1.2009, 5 ZB 07. 2080, juris Rn. 10; VG Würzburg, Urteil vom 15.10.2008, W 6 K 07.1028, juris Rn. 20).

42

Da somit die Aufklärung der maßgeblichen Vorgänge, die zudem lange zurückliegen, weitgehend auf der Grundlage bloßen Klägervortrags erfolgen muss, gewinnt die Darlegungs- und Beweislast an Bedeutung. Zwar gilt allgemein der Grundsatz, dass für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit der Bürger beweispflichtig ist, für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit in der Regel aber die Behörde die objektive Beweislast trägt (m.w.N. BVerwG, Urteil vom 29.9.2010, 5 C 20/09, NVwZ-RR 2011, 212 ff., juris Rn. 24; Beschluss vom 16.1.1992, 9 B 192/91, Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 46, juris Rn. 14). Deshalb wird auch vertreten, dass die materielle Beweislast für die Erweislichkeit der Freiwilligkeit der Antragstellung i.S. von § 25 Abs. 1 S. 1 StAG bei der Behörde liegen soll (Marx, GK-StAR § 25 Rn. 57 m.w.N.). Insoweit ist die Beweislast aber umzukehren und vorrangig der Bürger hat die für die Unfreiwilligkeit eines schriftlich gestellten Wiedereinbürgerungsantrags sprechenden Umstände darzulegen und zu beweisen (so bereits VG Hamburg, Urteil vom 3. April 2014, 15 K 1628/09). Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

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Die Möglichkeiten, eine innere Tatsache, wie es die Freiwilligkeit in ihrem Kern ist, zu beweisen, sind für die Gegenseite ohnehin beschränkt. Zudem ist davon auszugehen, dass die allermeisten in Deutschland eingebürgerten Türken ihren Antrag auf Wiedereinbürgerung in die Türkei bewusst und freiwillig - wenn seit dem Jahr 2000 häufig in Verkennung der Folgen für den Behalt der gerade erworbenen deutschen Staatsangehörigkeit - gestellt haben, weil sie über beide Staatsangehörigkeiten verfügen wollten. Dies belegt die fortwährende politische Auseinandersetzung um die doppelte Staatsangehörigkeit. Eine wirklich unfreiwillige Antragstellung ist deshalb ein seltener Ausnahmefall, so dass hier die Regeln des Anscheinsbeweises heranzuziehen sind. Dieser greift bei formelhaften, typischen Geschehensabläufen, in denen ein gewisser Sachverhalt feststeht, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Ablauf hinweist. Der Beweispflichtige braucht in diesen Fällen nur diesen Tatbestand darzutun. Es ist dann Sache desjenigen, der einen vom gewöhnlichen Verlauf abweichenden Gang des Geschehens behauptet, die ernstliche Möglichkeit eines solchen darzulegen, wobei eine bloße vage, nicht ernstliche Möglichkeit eines derart abweichenden Verlaufs den Anscheinsbeweis nicht zu entkräften vermag (vgl. BayVGH, Urteil vom 22.3.1999, 11 B 96.2183, DVBl. 199, 1218 f., juris Rn. 42). Hat ein türkischer Staatsangehöriger jedoch greifbare Anhaltspunkte für einen irrtümlichen oder rechtswidrig aufgedrängten Staatsangehörigkeitserwerb geliefert, ist dies geeignet, den mit der Vorlage des türkischen Personenstandsregisterauszugs bewirkten Beweis des ersten Anscheins durch die ernsthafte Möglichkeit eines vom Regelfall abweichenden Geschehensablaufs im konkreten Fall zu entkräften. Die Führung eines vollen Beweises des Gegenteils ist nicht erforderlich. (so auch BayVGH, Beschluss vom 28.1.2009, 5 ZB 07.2080, juris Rn. 11)

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Zwar verkennt das Gericht nicht, dass diese Beweislastumkehr in Einzelfällen bewirken kann, dass auch ein Bürger, der unwissentlich die Wiedereinführung in seiner Ursprungsstaatsangehörigkeit beantragt hat, hierdurch seine deutsche Staatsangehörigkeit wieder verliert, da ihm der Nachweis der Unfreiwilligkeit nicht gelingt. Dies begegnet aber keinen rechtlichen Bedenken, wenn die Anforderungen an eine ausreichende Darlegung der Unfreiwilligkeit nicht unüberwindbar hoch angesetzt werden.

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c. In Anwendung dieser Grundsätze ist nicht zu bezweifeln, dass der Kläger im türkischen Generalkonsulat einen förmlichen Wiedereinbürgerungsantrag unterzeichnet hat. Ob er damals - wenn, dann vermutlich ohne um die Folgen zu wissen - einen solchen Antrag stellen wollte, oder ob ihm - aus welchen Gründen auch immer - bei der Leistung seiner Unterschrift unter das entsprechende Antragsformular entgangen ist, welchen Inhalt der unterzeichnete Antrag hatte, lässt sich nicht aufklären. Es ist dem Kläger jedenfalls nicht gelungen, überzeugende Umstände dafür geltend zu machen, dass die Antragstellung unwissentlich und ungewollt erfolgt ist. Die verbleibenden Zweifel an der behaupteten Unfreiwilligkeit gehen damit zu seinen Lasten.

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aa. In objektiver Hinsicht stellt sich der damalige Geschehensablauf wie folgt dar:

47

Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger im hier relevanten Zeitraum nur einmal - am 29. Februar 2000 - beim Generalkonsulat der Republik Türkei in Hamburg vorgesprochen hat. Grund für den Besuch war, dass er die Urkunde über seine bereits seit langem beantragte Ausbürgerung aus der türkischen Republik abholen wollte, da er diese noch den deutschen Behörden vorlegen musste.

48

In diesem Zusammenhang wurden dem Kläger mehrere - er berichtet mittlerweile von dreien - Formulare vorgelegt, die nach seinen Angaben bereits mit seinen Personalien ausgefüllt waren und die er lediglich zu unterzeichnen hatte.

49

Der Umstand, dass der Kläger nach der beantragten Ausbürgerung die türkische Staatsangehörigkeit wieder erlangt hat, ist nur dadurch zu erklären, dass er neben den für die Ausbürgerung relevanten Formularen auch ein ihm am 29. Februar 2000 zugleich überreichtes Formular mit einem Wiedereinbürgerungsantrag unterzeichnet hat.

50

Dass die Wiedereinbürgerung von Amts wegen ohne Antrag des Klägers erfolgt ist, ist praktisch auszuschließen. Zuverlässige Quellen bestätigen ein solches Handeln der türkischen Konsulate nicht (anders nur Senol in Jurblog.de, 26.5.2005).

51

Praktisch auszuscheiden hat auch, dass allein eine einzige Unterschrift sowohl die Ausbürgerung als auch die Einbürgerung deckte, so dass die Stellung des Wiedereinbürgerungsantrags praktisch unvermeidlich war. Denn dann müssten praktisch alle Türken, die in jener Zeit ausgebürgert worden sind, hiernach auch wieder eingebürgert worden sein, was wiederum zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit geführt hätte. Dies ist aber nicht der Fall gewesen. In fünf Jahren (2000 – 2004) sollen 40.000 – 50.000 Türken einen Wiedereinbürgerungsantrag gestellt haben (Deutscher Bundestag, Drs. 15, 4496 S. 1 f., und Drs. 15/5006, S. 3). Bei damals knapp 800.000 Einbürgerungen und einem Anteil der Türken von etwa ¼ sind in jenem Zeitraum jedoch rund 200.000 türkische Staatsangehörige deutsche Staatsangehörige worden (vgl. zu den Zahlen Worbs, Die Einbürgerung von Ausländern in Deutschland, Working Paper 17 des Forschungsgruppe des Bundesamtes, 2. Aufl. 2008, Internet), also die vierfache Menge an Personen. Deshalb ist auch hier anzunehmen, dass der Kläger einen separaten förmlichen Antrag auf Wiedereinbürgerung unterzeichnet hat. Dies entspricht auch seinem Vortrag, drei Unterschriften unter drei Formulare geleistet zu haben.

52

Dass ihm unaufgefordert ein gesonderter Wiedereinbürgerungsantrag vorgelegt wurde, erscheint allerdings nicht als zweifelhaft. Seit jeher ist ein erhebliches Interesse vieler türkischer Staatsangehöriger zu erkennen, neben der deutschen ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit zu behalten. Allein dies rechtfertigte es damals aus türkischer Sicht, das Wiedereinbürgerungsformular auch ohne besonderen Antrag anzubieten. Hinzu kam das große Interesse des türkischen Staates, seine Staatsangehörigen nicht gänzlich zu verlieren. So ist bekannt geworden, dass ausgebürgerten türkischen Staatsangehörigen sogar von offizieller Seite geholfen wurde, den Wiedererwerb ihrer Staatsangehörigkeit den deutschen Behörden gegenüber zu verschleiern. Zu diesem Zweck sollen türkische Meldebestätigungen herausgegeben worden sein, die die doppelte Staatsangehörigkeit nicht auswiesen, um den Betroffenen in Deutschland keine Probleme zu bereiten (Deutscher Bundestag, Drs. 15/4496 S. 1 f., spricht davon, dass laut Focus die türkischen Gouverneursämter im September 2001 angewiesen worden seien, die in Deutschland verlangten Registerauszüge zu manipulieren und den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit zu verschleiern). Auch der Personenstandsregisterauszug vom 26. September 2008 mag so zu erklären sein, wenn es sich nicht sogar um eine vom Kläger selbst beschaffte oder gefertigte Fälschung handelt.

53

Bereits Anfang der Neunzigerjahre hatte sich in den Auslandsvertretungen die Praxis herausgebildet, den Ausbürgerungsantragstellern sofort die Wiedereinbürgerung anzubieten. In „Der Spiegel“ 24/1993, Seite 26 heißt es zur damaligen Praxis der türkischen Konsulate: „Im türkischen Generalkonsulat in Hamburg gibt es zwei Büroräume, in denen Türken nacheinander vorsprechen, wenn sie Deutsche werden wollen. Im ersten Zimmer beantragen sie ihre Ausbürgerung aus der Türkei. Im zweiten beantragen sie kurz danach ihre Wiedereinbürgerung. …. In dem anderen Zimmer, zweiter Schritt, wird wenig später dieser Grundsatz praktisch außer Kraft gesetzt. Der Bewerber, inzwischen Deutscher geworden, beantwortet 12 Fragen zur Person und zahlt eine Bearbeitungsgebühr von etwa 40 DM. Dann erhält der deutsche Ex-Türke seinen Pass mit dem Halbmond zurück.“ Später dürfte sich dann die Praxis durchgesetzt haben, das Wiedereinbürgerungsformular zugleich mit dem Austrittsformular zu überreichen. So heißt es im Internet in Bezug auf einen Fall aus dem September 1999 wörtlich (frag-einen-Anwalt.de, Frage vom 20.8.2010): „Leider wurde mir beim Türkischen Konsulat in Hamburg während ich die Bescheinigung vom ausstritt aus der Türkischen Staatsangehörigkeit in Empfang nahm , ohne mein wissen während ich die Papiere unterschrieb die ich zum Erhalt des Entlassungurkunde Schreibens bekam ein ANTRAG auf Wiedereinbürgerung in die TÜRKISCHE untergejubelt, ohne mich zu informieren bzw zu sagen das ich die Deutsche automatisch verliere habe ich unwissend diesen Antrag unterschrieben.“ Ähnliches schilderte auch die in der vergleichbaren Sache 15 K 1628/09 zur mündlichen Verhandlung geladene Dolmetscherin in Bezug auf ihre Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit, die etwa zur gleichen Zeit erfolgte. Auch in der Literatur (Marx, GK-StAR § 25 Rn. 62) ist diese Praxis, die sich auch in den von Klägerseite eingereichten Unterlagen (Yücel, Mal eben ausgebürgert, S. 2) wiederfindet, bekannt. Danach soll es bis in das Jahr 2004 Praxis der türkischen Konsulate gewesen sein, dem Betroffenen bei der Antragstellung auf Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit mit dem Entlassungsantragsformular zugleich ein Antragsformular auf Wiedererwerb ohne ausdrückliche Belehrung über die doppelte Antragstellung zur Unterschrift vorzulegen. Aus der Rechtsprechung ist aus einer Reihe von Fällen betreffend das türkische Generalkonsulat in Nürnberg bekannt, dass manche Betroffene bei Abholung ihrer Entlassungspapiere sogar überredet wurden, einen Antrag auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit zu stellen (VG Würzburg, Urteil vom 15.10.2008, W 6 K 07.1028, juris Rn. 20; BayVGH, Urteil vom 14.11.2007, 5 B 05.2958, juris Rn. 2, Urteil vom 14.11.2007, 5 B 05.3039, juris Rn. 3, und Urteil vom 14.11.2007, 5 B 06.2769, juris Rn. 2 f.; VG Darmstadt, Urteil vom 3.11.2006, 5 E 1807/05 (3), 5 E 1805 E 1807/05, juris Rn. 1 f.; VG Ansbach, Urteil vom 14.12.2005, AN 15 K 05.02076, juris Rn. 2 ff.).

54

bb. Zwar macht der Kläger geltend, den Inhalt der unterschriebenen Erklärung nicht ausreichend verstanden und keinesfalls die Wiedereinbürgerung gewollt zu haben. Dass dies so war, kann zwar nicht sicher ausgeschlossen werden. Den Kläger ist es jedoch nicht gelungen, überzeugende Umstände dafür geltend zu machen, dass er den Wiedereinbürgerungsantrag tatsächlich irrtümlich unterschrieben hat.

55

Die Umstände des Falles sprechen eher dagegen als dafür. Dass der Kläger gar nicht gemerkt hat, dass er mehrere verschiedene Formulare unterschreiben sollte, muss bereits deshalb ausscheiden, weil er sich noch heute daran erinnert, dass ihm drei Antragsformulare vorgelegt worden sind. Auch spricht viel dafür, dass er den Inhalt der Formulare hinreichend verstehen konnte. Der Kläger ist in einem türkischen Elternhaus aufgewachsen und spricht immer noch mit seinen Eltern türkisch. Das bedeutet, dass er in Türkisch jedenfalls schon in der Familie einen guten Gebrauchswortschatz erworben haben muss. Hierzu gehören zwar nicht auch juristische und insbesondere staatsrechtliche Fachbegriffe. Der Kläger hat jedoch einen Realschulabschluss erworben, hiernach einige Zeit die Fremdsprachenschule besucht, spricht mehrere Sprachen, hat eine betriebliche Ausbildung im Hotel abgeschlossen und verschiedene große Reisen unternommen. Um die Bedeutung amtlicher Formularanträge musste er deshalb wissen. Auch in der mündlichen Verhandlung machte er einen eloquenten und informierten Eindruck. Dies spricht dafür, dass er auch schon damals im Türkischen einen entsprechenden Wortschatz besaß und den Inhalt des Wiedereinbürgerungsantrags jedenfalls in Grundzügen zu verstehen vermochte, zumal die türkische Sprache seit 1928 in lateinischen Buchstaben geschrieben wird und aufgrund ihrer phonetischen Schreibweise leicht zu lesen ist. Soweit hinsichtlich einzelner Begriffe Zweifel und Unklarheiten blieben, war von ihm - einem damals 26jährigen, nicht ungebildeten und selbstbewussten Mann - zu erwarten, dass er bei den Mitarbeitern des Konsulats um Erläuterung bittet, welchen genauen Inhalt und Zweck das zu unterschreibende Schriftstück hat. Auch wenn gerichtsbekannt ist, dass das türkische Generalkonsulat lange Wartezeiten hat, mit seiner Kundschaft nicht immer pfleglich umgeht und auch die Bereitschaft zu besonderen Hilfestellungen oftmals fehlt, wäre eine solche Frage doch möglich gewesen und voraussichtlich auch zutreffend beantwortet worden. Da der Kläger von den deutschen Behörden ausdrücklich darauf hingewiesen war, dass die Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit Voraussetzung für den Erwerb und die Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit ist, musste ihm die besondere Relevanz der auf dem Konsulat abgegebenen Erklärungen bewusst sein und zu angemessener Sorgfalt veranlassen. Sollte der Kläger allerdings damals keine weitere Mühe darauf verwendet haben, sich mit dem Inhalt der ihm vorgelegten Schriftstücke zu befassen, und diese „blind“ unterschrieben haben, steht dies einer wirksamen Antragstellung nicht entgegen. So gibt es auch kein Anfechtungsrecht wegen Irrtums, wenn eine Urkunde, obwohl dies möglich ist, nicht durchgelesen und trotzdem unterschrieben wird (vgl. m.w.N. z.B. Franzen, jurisPK-BGB Band 1, 6. Aufl. 2012, § 119 BGB Rn. 25). Auch auf Unfreiwilligkeit kann sich der Betroffene deshalb für diesen Fall nicht berufen.

56

Auch aus den weiteren Umständen des Falles ergeben sich keine brauchbaren Hinweise darauf, dass dem Kläger ein Wiedereinbürgerungsantrag unbemerkt untergeschoben sein könnte. Insbesondere spricht nichts dafür, dass der Kläger damals keinesfalls als Doppelstaatler auch die türkische Staatsangehörigkeit wieder erwerben wollte. Warum er gerne Deutscher werden wollte, hat er in der mündlichen Verhandlung einleuchtend erklärt. Sein damaliger Wunsch, an Wahlen teilnehmen zu können und die Vorteile einer deutschen Staatsangehörigkeit für Auslandsreisen zu nutzen, steht einer gleichzeitigen türkischen Staatsangehörigkeit nicht entgegen. Insbesondere hatte sich der Kläger nicht in einer Weise vom türkischen Staat abgewandt, die zuverlässig gegen den Wunsch nach einer doppelten Staatsangehörigkeit spricht. Ein solches wäre zum Beispiel bei in der Türkei politisch Verfolgten oder Systemkritikern der Fall. Zu diesen gehört der Kläger ersichtlich nicht. Auch seine Familienangehörigen haben bis heute die türkische Staatsangehörigkeit, so dass für ihn nichts dagegen sprach, diese neben der deutschen Staatsangehörigkeit zu besitzen. Der Umstand, dass durch die Wiedereinbürgerung kraft Gesetzes der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit eintritt, war damals - nur 2 Monate nach Inkrafttreten des neuen Rechts - in türkischen Kreisen noch weitgehend unbekannt, wie die erhebliche Zahl der Türken belegt, die damals ihre deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund einer Wiedereinbürgerung eingebüßt haben.

57

2. Entsprechend stellt sich die rechtliche Situation hinsichtlich der Einziehung des Personalausweises dar.

58

Aufgrund der unzutreffenden Angabe der Staatsangehörigkeit des Klägers war sein Personalausweis nach § 7 Nr. 3 des bei Erlass des Widerspruchs noch anzuwendenden HmbPersAuswG ungültig. Nach § 9 HmbPersAuswG durfte die zuständige Ausweisbehörde, mithin die Beklagte, diesen einziehen.

59

3. Auch ist es nicht ermessensfehlerhaft, dass die Beklagte sowohl die Einziehung des Reisepasses als auch des Personalausweises verfügt hat.

60

Das der Passbehörde in § 12 Abs. 1 PassG eingeräumte Ermessen ist bereits in dem Sinne intendiert, dass im Fall der unzutreffenden Eintragung der deutschen Staatsangehörigkeit der Pass wegen des erheblichen öffentlichen Interesses an seiner Richtigkeit im Regelfall eingezogen werden soll. Eine solche Ermessenslenkung ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, weil § 12 Abs. 3 PassG als Ausnahme vom Grundsatz des Absatzes 1 bestimmt, dass von der Einziehung abgesehen werden kann, wenn der Mangel, der sie rechtfertigt, geheilt oder fortgefallen ist(vgl. m.w.N. BayVGH, Beschluss vom 5.12.2008, 5 CS 08.2869, juris Rn. 9). Solche Gründe, ausnahmsweise von der Einziehung abzusehen, lagen hier nicht vor. Insbesondere hat der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit inzwischen nicht wiedererlangt, schon aus zeitlichen Gründen nicht durch die Fiktion des § 3 Abs. 2 StAG und auch nicht durch Wiedereinbürgerung nach nunmehr tatsächlich endgültiger Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit.

61

Das von der Beklagten auch geprüfte Argument des Vertrauensschutzes kann in Fällen wie diesem praktisch keine Bedeutung entfalten, weil der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit hier ohnehin nur dann eintreten kann, wenn der deutsche Staatsangehörige den Eintritt dieser Rechtsfolge in zumutbarer Weise beeinflussen konnte und deshalb - bei Anwendung angemessener Sorgfalt - auch um diese wissen musste (vgl. m.w.N. BVerwG, Urteil vom 29.9.2010, 5 C 20/09, juris Rn. 14). Ein schützenswertes Vertrauen kann deshalb gar nicht begründet worden sein. Ein solches kann auch nicht aus dem Rechtsgedanken des § 3 Abs. 2 StAG folgen, da nach dieser Vorschrift Vertrauensschutz ausdrücklich erst nach einer Zeitspanne von 12 Jahren gewährt werden soll.

62

Auch steht der hier verfügten Einziehung des deutschen Passes nicht entgegen, dass als milderes Mittel die bloße Sicherstellung in Betracht zu ziehen war. Hier war es nicht unverhältnismäßig, sofort die einschneidendere Maßnahme der Einziehung zu ergreifen, da es schon zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung keinen vernünftigen Zweifeln unterlag, dass der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hat. Deshalb rechtfertigten nicht bloß Tatsachen die Annahme, dass Gründe für eine Einziehung vorliegen (so die Voraussetzung der Sicherstellung nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 PassG), sondern diese Gründe erschienen als dermaßen gesichert, dass sofort eine Einziehung ausgesprochen werden durfte.

63

Entsprechend stellt sich die Ermessensentscheidung in Bezug auf die ebenfalls im Ermessen der Beklagten stehende Einziehung des Personalausweises des Klägers dar.

II.

64

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO.

65

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 Sätze 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

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(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 119 Anfechtbarkeit wegen Irrtums


(1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständ

Bundesvertriebenengesetz - BVFG | § 1 Vertriebener


(1) Vertriebener ist, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger seinen Wohnsitz in den ehemals unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten oder in den Gebieten außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches nach de

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(1) Ein Deutscher verliert seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag oder auf den Antrag des gesetzlichen Vertreters erfolgt, der Vertretene jedoch nur, wenn die Voraussetzu

Staatsangehörigkeitsgesetz - RuStAG | § 3


(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit wird erworben 1. durch Geburt (§ 4),2. durch Erklärung (§ 5),3. durch Annahme als Kind (§ 6),4. durch Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 Absatz 1 oder 2 des Bundesvertriebenengesetzes (§ 7),5. durch Einbürger

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Tenor 1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 21.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.07.2013 verpflichtet, der Klägerin einen Staatsangehörigkeitsausweis zum Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit auszustellen.

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(1) Ein Deutscher verliert seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag oder auf den Antrag des gesetzlichen Vertreters erfolgt, der Vertretene jedoch nur, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach § 19 die Entlassung beantragt werden könnte. Der Verlust nach Satz 1 tritt nicht ein, wenn ein Deutscher die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, der Schweiz oder eines Staates erwirbt, mit dem die Bundesrepublik Deutschland einen völkerrechtlichen Vertrag nach § 12 Abs. 3 abgeschlossen hat.

(2) Die Staatsangehörigkeit verliert nicht, wer vor dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit auf seinen Antrag die schriftliche Genehmigung der zuständigen Behörde zur Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit erhalten hat. Hat ein Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, ist die deutsche Auslandsvertretung zu hören. Bei der Entscheidung über einen Antrag nach Satz 1 sind die öffentlichen und privaten Belange abzuwägen. Bei einem Antragsteller, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob er fortbestehende Bindungen an Deutschland glaubhaft machen kann.

(3) (weggefallen)

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit wird erworben

1.
durch Geburt (§ 4),
2.
durch Erklärung (§ 5),
3.
durch Annahme als Kind (§ 6),
4.
durch Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 Absatz 1 oder 2 des Bundesvertriebenengesetzes7),
5.
durch Einbürgerung (§§ 8 bis 16, 40b und 40c).

(2) Die Staatsangehörigkeit erwirbt auch, wer seit zwölf Jahren von deutschen Stellen als deutscher Staatsangehöriger behandelt worden ist und dies nicht zu vertreten hat. Als deutscher Staatsangehöriger wird insbesondere behandelt, wem ein Staatsangehörigkeitsausweis, Reisepass oder Personalausweis ausgestellt wurde. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit wirkt auf den Zeitpunkt zurück, zu dem bei Behandlung als Staatsangehöriger der Erwerb der Staatsangehörigkeit angenommen wurde. Er erstreckt sich auf Abkömmlinge, die seither ihre Staatsangehörigkeit von dem nach Satz 1 Begünstigten ableiten.

(1) Ein Deutscher verliert seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag oder auf den Antrag des gesetzlichen Vertreters erfolgt, der Vertretene jedoch nur, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach § 19 die Entlassung beantragt werden könnte. Der Verlust nach Satz 1 tritt nicht ein, wenn ein Deutscher die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, der Schweiz oder eines Staates erwirbt, mit dem die Bundesrepublik Deutschland einen völkerrechtlichen Vertrag nach § 12 Abs. 3 abgeschlossen hat.

(2) Die Staatsangehörigkeit verliert nicht, wer vor dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit auf seinen Antrag die schriftliche Genehmigung der zuständigen Behörde zur Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit erhalten hat. Hat ein Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, ist die deutsche Auslandsvertretung zu hören. Bei der Entscheidung über einen Antrag nach Satz 1 sind die öffentlichen und privaten Belange abzuwägen. Bei einem Antragsteller, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob er fortbestehende Bindungen an Deutschland glaubhaft machen kann.

(3) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Deutscher verliert seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag oder auf den Antrag des gesetzlichen Vertreters erfolgt, der Vertretene jedoch nur, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach § 19 die Entlassung beantragt werden könnte. Der Verlust nach Satz 1 tritt nicht ein, wenn ein Deutscher die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, der Schweiz oder eines Staates erwirbt, mit dem die Bundesrepublik Deutschland einen völkerrechtlichen Vertrag nach § 12 Abs. 3 abgeschlossen hat.

(2) Die Staatsangehörigkeit verliert nicht, wer vor dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit auf seinen Antrag die schriftliche Genehmigung der zuständigen Behörde zur Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit erhalten hat. Hat ein Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, ist die deutsche Auslandsvertretung zu hören. Bei der Entscheidung über einen Antrag nach Satz 1 sind die öffentlichen und privaten Belange abzuwägen. Bei einem Antragsteller, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob er fortbestehende Bindungen an Deutschland glaubhaft machen kann.

(3) (weggefallen)

(1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.

(2) Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.

(1) Ein Deutscher verliert seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag oder auf den Antrag des gesetzlichen Vertreters erfolgt, der Vertretene jedoch nur, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach § 19 die Entlassung beantragt werden könnte. Der Verlust nach Satz 1 tritt nicht ein, wenn ein Deutscher die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, der Schweiz oder eines Staates erwirbt, mit dem die Bundesrepublik Deutschland einen völkerrechtlichen Vertrag nach § 12 Abs. 3 abgeschlossen hat.

(2) Die Staatsangehörigkeit verliert nicht, wer vor dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit auf seinen Antrag die schriftliche Genehmigung der zuständigen Behörde zur Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit erhalten hat. Hat ein Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, ist die deutsche Auslandsvertretung zu hören. Bei der Entscheidung über einen Antrag nach Satz 1 sind die öffentlichen und privaten Belange abzuwägen. Bei einem Antragsteller, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob er fortbestehende Bindungen an Deutschland glaubhaft machen kann.

(3) (weggefallen)

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Revisionsverfahren, in dem die Klägerin weiterhin eine Spätaussiedlerbescheinigung begehrt, um Rechtsfragen des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit beim Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit.

2

Die am 21. Oktober 1957 in der Tschechoslowakei geborene Klägerin erhielt am 20. August 1969 eine vertriebenenrechtliche Übernahmegenehmigung, reiste aber erst im Jahre 2000 ins Bundesgebiet ein und beantragte am 30. Mai 2003 die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG. Zur Begründung berief sie sich unter anderem darauf, dass ihr am 22. Juni 1925 in W. geborener Vater Josef R. die deutsche Staatsangehörigkeit im Oktober 1938 durch Sammeleinbürgerung erworben habe und sie als dessen eheliche Tochter ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Ihr Vater habe während des Zweiten Weltkriegs in der deutschen Wehrmacht als Soldat gedient. Zum Nachweis legte die Klägerin Kopien des Arbeitsbuchs ihres Vaters vom 14. Juni 1940, in dem unter Staatsangehörigkeit "Deutsches Reich" vermerkt ist, und seines Soldbuches der Kriegsmarine, das zugleich als Personalausweis diente, vor. Auf Aufforderung legte die Klägerin auch einen Erlass des Bezirksnationalausschusses Liberec (Reichenberg) vom 13. April 1950 nebst Übersetzung vor. Darin wird ihrem Vater gemäß § 3 des Dekrets Nr. 33/1945 Sb. und § 1 der Anordnung Nr. 252/1949 Sb. die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft zurückgegeben.

3

Mit Bescheid vom 28. März 2007 lehnte die Beklagte die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung ab, weil die Klägerin weder eine deutsche Volkszugehörige sei noch die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Durch den antragsgemäßen Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft im Jahre 1950 habe ihr Vater die deutsche Staatsangehörigkeit verloren. Folglich habe er der 1957 geborenen Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr vermitteln können. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2007 zurück.

4

Die von der Klägerin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat dagegen die Beklagte verpflichtet, der Klägerin eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 BVFG zu erteilen. Die Klägerin falle unter die Übergangsregelung des § 100 Abs. 4 BVFG und könne nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F. anerkannt werden. Sie habe als deutsche Staatsangehörige Tschechien verlassen. Ihr Vater sei als Sudetendeutscher im Jahr 1938 rechtswirksam eingebürgert worden und habe die deutsche Staatsangehörigkeit beim Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft im Jahr 1950 nicht verloren. Zwar beruhe der Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft auf einem Antrag, weil nach § 2 der Regierungsverordnung vom 29. November 1949 über die Rückgabe der Tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft an Personen Deutscher Nationalität (Nr. 252/1949 Sb.) ein "Gesuch" zwingend erforderlich gewesen sei. Für eine willentliche Entscheidung des Vaters über die Annahme der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit spreche auch der Vermerk auf dem Erlass vom 13. April 1950, wonach er den vorgeschriebenen staatsbürgerlichen Eid abgelegt habe. Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit trete bei Annahme einer ausländischen Staatsbürgerschaft aber nur ein, wenn der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit dem Betreffenden bekannt war oder bekannt sein musste, was nur bei grober Fahrlässigkeit anzunehmen sei. Hierfür genüge die bloße Kenntnis der die Staatsangehörigkeit begründenden Tatsachen nicht. Erforderlich sei auch eine gewisse Rechtskenntnis, die das Niveau einer "Parallelwertung in der Laiensphäre" nicht unterschreiten dürfe. Da keinerlei Nachforschungsobliegenheit bestehe, wirke sich jede Unkenntnis der deutschen Rechtslage zugunsten des Betroffenen aus. Der Vater der Klägerin habe jedoch im Jahr 1950 nicht mit Sicherheit wissen können, ob er die deutsche Staatsangehörigkeit noch besitze. Denn bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit am 26. Februar 1955 sei die Wirksamkeit der unter der nationalsozialistischen Herrschaft angeordneten Sammeleinbürgerungen umstritten gewesen. Es habe hinsichtlich der Anerkennung dieser Sammeleinbürgerungen eine unterschiedliche Behörden- und Gerichtspraxis gegeben. Deshalb sei auch der Gesetzgeber von einer unklaren Rechtslage ausgegangen (BTDrucks 2/44 S. 6, BTDrucks 2/849 S. 1). Daher habe sich dem Vater der Klägerin die Fortgeltung seiner deutschen Staatsangehörigkeit im Jahr 1950 nicht aufdrängen müssen.

5

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 25 RuStAG (a.F.). Das Oberverwaltungsgericht habe sowohl an die Kenntnis als auch an das Kennenmüssen der deutschen Staatsangehörigkeit überzogene Anforderungen gestellt. Hinsichtlich der Kenntnis könne nicht gefordert werden, dass der Betroffene im Besitz einer Staatsangehörigkeitsurkunde der Bundesrepublik Deutschland sei oder über Rechtskenntnisse verfüge. Vielmehr müsse es genügen, wenn der Betreffende um die Tatsachen wisse, aus denen sich für ihn die Bewusstseinslage ergebe, deutscher Staatsangehöriger zu sein.

6

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht im Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es beruht auf einer unrichtigen Auslegung und Anwendung des § 25 Abs. 1 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes in der Fassung vom 22. Juli 1913 (RGBl I S. 583; im Folgenden: RuStAG a.F.), der im vorliegenden Zusammenhang mit § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG übereinstimmt.

8

Das Oberverwaltungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die begehrte Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 BVFG beanspruchen könnte, wenn sie bei ihrer Übersiedlung im Jahr 2000 als deutsche Staatsangehörige Aufnahme im Bundesgebiet gefunden hätte (§ 100 Abs. 4 BVFG i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F.). Die Klägerin ist jedoch nicht mit ihrer Geburt im Jahr 1957 deutsche Staatsangehörige geworden, weil ihr Vater durch den antragsgemäßen Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft bereits im Jahr 1950 seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatte. Er konnte ihr damit die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 RuStAG a.F. nicht mehr vermitteln.

9

1. Nach § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. verlor ein Deutscher, der im Inland weder einen Wohnsitz noch einen ständigen Aufenthalt hatte, seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit.

10

a) Dieser allgemeine Verlusttatbestand fand auch bei Sudetendeutschen Anwendung, die - wie der Vater der Klägerin - im Wege der Sammeleinbürgerung nach dem "Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Tschechoslowakischen Republik über Staatsangehörigkeits- und Optionsfragen" vom 20. November 1938 (RGBl II S. 896) die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatten. Im Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit (StARegG) vom 22. Februar 1955 (BGBl I S. 65) wurde nicht nur die Rechtswirksamkeit dieses Staatsangehörigkeitserwerbs bestätigt. In § 2 StARegG wurde auch die Möglichkeit des zwischenzeitlichen Verlustes der Staatsangehörigkeit klargestellt. Der Gesetzgeber hielt insbesondere den Verlust nach § 25 RuStAG a.F. beim antragsgemäßen Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit für möglich (BTDrucks 2/44 S. 8). In diesem Punkt sollte keinerlei unterschiedliche Behandlung der kollektiv eingebürgerten Personen gegenüber anderen deutschen Staatsangehörigen erfolgen (vgl. BTDrucks 2/982 S. 2; Makarov, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, 2. Aufl. 1971, S. 334 m.w.N.)

11

b) Der Vater der Klägerin hat die Tatbestandsmerkmale des § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. erfüllt. Er hatte seinen Wohnsitz und ständigen Aufenthalt nicht in Deutschland. Ferner hat das Oberverwaltungsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO in tatsächlicher Hinsicht bindend festgestellt, dass der Erwerb der tschechischen Staatsangehörigkeit auf einem Antrag des Vaters der Klägerin beruhte und auch freiwillig erfolgt ist.

12

2. Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit scheidet auch nicht deshalb aus, weil der Vater der Klägerin beim Antragserwerb der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit nicht die erforderliche Kenntnis vom Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit hatte. Die vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Tatsachen lassen einen solchen Schluss nicht zu.

13

Das Oberverwaltungsgericht ist zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ein Deutscher seine Staatsangehörigkeit nur verliert, wenn ihm im Zeitpunkt des Antragserwerbs der ausländischen Staatsbürgerschaft der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit bekannt war oder hätte bekannt sein müssen (Urteil vom 10. April 2008 - BVerwG 5 C 28.07 - BVerwGE 131, 121 Rn. 25). Diese Einschränkung gilt bei § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. ebenso wie bei der derzeit geltenden Regelung des § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG. Das Berufungsgericht hat allerdings die bei der Prüfung dieser Kriterien anzulegenden Maßstäbe nicht richtig erfasst.

14

a) Die den Anwendungsbereich des § 25 Abs. 1 Satz 1 RuStAG/StAG einschränkende Auslegung, nach der bei Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit auf Antrag die deutsche Staatsangehörigkeit nur verloren geht, wenn der Erwerber seine deutsche Staatsangehörigkeit kannte oder sie hätte kennen müssen, ergibt sich nicht nur aus der Vorschrift selbst, sondern ist zugleich mit Rücksicht auf den grundrechtlichen Schutz der Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG geboten (Urteil vom 10. April 2008 a.a.O.). Der mit § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. verbundene Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ist verfassungsrechtlich nur unbedenklich, wenn der deutsche Staatsangehörige den Eintritt der gesetzlichen Rechtsfolge in zumutbarer Weise beeinflussen kann (s.a. BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - BVerfGE 116, 24 <44>). Hierfür muss er auf der Grundlage eines freien Willensentschlusses selbstverantwortlich auch darüber bestimmen können, dass mit der Entscheidung für den antragsabhängigen Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit die daran geknüpfte gesetzliche Rechtsfolge des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit eintritt. Nur dann bringt der Antrag auf Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit objektiv die - die gesetzliche Verlustfolge legitimierende - selbstverantwortliche Entscheidung für die Hinwendung zu einer fremden Staatsangehörigkeit zum Ausdruck. Mit Rücksicht darauf ist die Kenntnis von der deutschen Staatsangehörigkeit grundsätzlich Voraussetzung dafür, dass ein den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit beantragender deutscher Staatsangehöriger auf den Verlust seiner Staatsangehörigkeit Einfluss nehmen kann. Das Wissen um die deutsche Staatsangehörigkeit setzt ihn in die Lage, von der ihm in § 25 Abs. 2 Satz 1 RuStAG a.F. (= § 25 Abs. 2 Satz 1 StAG) eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung zu beantragen und bis zu deren Erhalt auf den Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit zu verzichten oder im Falle der Ablehnung der Beibehaltungsgenehmigung seinen Schritt noch einmal zu überdenken (zuletzt Urteile vom 29. April 2010 - BVerwG 5 C 5.09 - NVwZ-RR 2010, 658 und - BVerwG 5 C 4.09 - juris Rn. 9).

15

b) Für die Anforderungen, die im Einzelnen an die Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit im Rahmen des § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. zu stellen sind, kommt es maßgeblich auf das (wie auch immer erlangte) Bewusstsein der deutschen Staatsangehörigkeit an. Für die Entscheidung des Betroffenen ist wesentlich, dass er um seine deutsche Staatsangehörigkeit weiß, nicht wie er zu dieser Erkenntnis gelangt ist. Es kommt folglich nicht darauf an, dass der Antragsteller über ein vertieftes Wissen im Staatsangehörigkeitsrecht verfügt und zutreffend die rechtlichen Gründe für den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund einer juristischen Subsumtion oder Parallelwertung in der Laiensphäre darlegen kann. Es genügt das aufgrund von Erfahrungs- oder Indiztatsachen gewonnene Bewusstsein der staatsbürgerlichen Zugehörigkeit zum deutschen Staat. Denn die meisten Menschen gelangen zu der Überzeugung, die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen, nicht aufgrund rechtlicher Kenntnisse und Überlegungen. Der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit wird vielmehr regelmäßig aus Tatsachen gefolgert, wie vor allem aus dem Erhalt von amtlichen deutschen Urkunden und Ausweispapieren, die eine Person als deutschen Staatsangehörigen bezeichnen, oder z.B. aus Auskünften von Behörden, aber auch aus entsprechenden Belehrungen im Elternhaus und in der Schule, aus der Zugehörigkeit zu einer Familie mit deutscher Staatsangehörigkeit oder aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von kollektiv eingebürgerten Personen.

16

Das Bewusstsein, deutscher Staatsangehöriger zu sein, erfordert als Voraussetzung dafür, auf den Verlust der Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit Einfluss nehmen zu können, eine hinreichende Überzeugungsgewissheit. Das Bewusstsein der bloßen Möglichkeit oder einer geringen Wahrscheinlichkeit, im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit zu sein, reicht nicht aus. Absolute Gewissheit hingegen muss nicht vorliegen. Gewisse Zweifel sind unschädlich. So bestanden zwar an der Rechtsgültigkeit der vom Staatsangehörigkeitsregelungsgesetz erfassten Sammeleinbürgerungen in der Nachkriegszeit objektiv rechtliche Zweifel. § 2 StARegG ist aber - wie gezeigt - gleichwohl von der Möglichkeit des Verlusts nach § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. durch Antragserwerb ausgegangen. Dementsprechend wollte der Gesetzgeber für die zurechenbare Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit das Bewusstsein des Betroffenen ausreichen lassen, dass die durch eine Sammeleinbürgerung vermittelte deutsche Staatsangehörigkeit fortbesteht. Rechtliche oder tatsächliche Zweifel am (Fort-)Bestand der deutschen Staatsangehörigkeit berühren die erforderliche zurechenbare Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit nur und erst dann, wenn sie dem Betroffenen auch bekannt und bei einer objektiven Betrachtung geeignet sind, sich auf sein Bewusstsein, dass die deutsche Staatsangehörigkeit (fort-)besteht, auszuwirken.

17

c) Diesen Maßstäben entspricht das Berufungsurteil nicht, soweit es im Hinblick auf denkbare Zweifel an der Rechtswirksamkeit der Sammeleinbürgerung des Vaters der Klägerin allein darauf abgestellt hat, dass die Rechtslage im Jahr 1950 in der Bundesrepublik Deutschland noch ungeklärt und in der Rechtsprechung und Rechtspraxis der Besatzungszonen zwischen 1945 und 1955 umstritten war. Das Oberverwaltungsgericht hat damit allein objektive rechtliche Zweifel ausreichen lassen, ohne deren Eignung in den Blick zu nehmen, das subjektive Staatsangehörigkeitsbewusstsein des Vaters der Klägerin zu berühren.

18

d) Auch die Annahme des Berufungsgerichts, dem Vater der Klägerin hätte sich die Fortgeltung seiner deutschen Staatsangehörigkeit im Jahr 1950 nicht aufdrängen müssen, beruht auf diesem rechtlich unzutreffenden Ansatz. Die Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, der Vater der Klägerin habe bei Erwerb der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit keine Kenntnis seiner deutschen Staatsangehörigkeit gehabt, erweist sich auch nicht aus einem anderen Grund als zutreffend. Vielmehr lassen die vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen nur den Schluss zu, dass der Vater der Klägerin bei der Beantragung der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit in dem Bewusstsein gehandelt hat, noch die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen.

19

aa) Der Vater der Klägerin war nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ein deutscher Volkszugehöriger, der ausweislich der vorgelegten Schulzeugnisse die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrschte. Ob er im Jahr 1938 als Dreizehnjähriger die Annexion des Sudetenlands bewusst miterlebt hat und ob ihm bereits in der deutschen Schule das Bewusstsein vermittelt worden ist, nunmehr zum Deutschen Reich zu gehören und die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen, ist nicht festgestellt. Der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit musste sich dem Vater der Klägerin jedenfalls als Fünfzehnjährigem nach Abschluss des Schulbesuches aufdrängen, weil in seinem Arbeitsbuch unter Staatsangehörigkeit "Deutsches Reich" vermerkt war. Die Einberufung zur Deutschen Wehrmacht war ein weiteres Indiz. Schließlich wurde ihm in seinem Soldbuch, das als Personalausweis diente, der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit bescheinigt. Ist aber ein deutscher Volkszugehöriger - wie der Vater der Klägerin - im Besitz von Dokumenten, die ihn als deutschen Staatsangehörigen ausweisen, dann lässt dies regelmäßig den Schluss zu, dass er das Bewusstsein hat, deutscher Staatsangehöriger zu sein. Auch das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Vater des Klägers während des Zweiten Weltkrieges um seine deutsche Staatsangehörigkeit wusste.

20

bb) Bei dieser Sachlage, die mit den vom Senat bislang entschiedenen Sachverhalten nicht vergleichbar ist, kann die nach den Umständen anzunehmende Kenntnis des Vaters der Klägerin, deutscher Staatsangehöriger zu sein, nur dann in einer für die Anwendung des § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. beachtlichen Weise berührt werden, wenn sich aus anderen Tatsachen nicht nur objektiv, sondern auch aus Sicht des Betroffenen hinreichend gewichtige Zweifel am Fortbestand der bisherigen (deutschen) Staatsangehörigkeit ergeben. Solche Zweifel sind hier aber weder geltend gemacht noch erkennbar. Insbesondere musste sich bei deutschen Staatsangehörigen, die - wie der Vater der Klägerin - nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Tschechoslowakei verblieben sind, die Frage nach dem Fortbestand der deutschen Staatsangehörigkeit nicht ernsthaft stellen. Die Tschechoslowakei ging nämlich, wie das Oberverwaltungsgericht festgestellt hat, selbst von der Wirksamkeit der deutschen Sammeleinbürgerungen aus und betrachtete die verbliebenen Deutschen nicht als tschechoslowakische Staatsbürger. Aus dem Verhalten der tschechoslowakischen Behörden kann sich daher gegenüber dem Vater der Klägerin kein Indiz für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ergeben haben.

21

Auch aus den Zweifeln, die sich vor allem in der amerikanischen Besatzungszone am Fortbestand der deutschen Staatsangehörigkeit ergeben hatten, die aber z.B. in der britischen Besatzungszone nicht geteilt wurden (s. etwa Schätzel, AöR 74, 273 <299 f.>; s.a. Makarov, JZ 1952, 403 <405>; Augst, NJW 1950, 98), lässt sich entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht herleiten, dass der Vater der Klägerin hiervon Kenntnis hatte und dass dies sein Bewusstsein, Deutscher zu sein, erschüttert haben könnte.

22

Die Klägerin hat auch selbst keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen ließen, dass ihr Vater im Jahr 1950 das Bewusstsein verloren hätte, die deutsche Staatsangehörigkeit wahrscheinlich noch zu besitzen. Weder sie noch das Berufungsgericht haben behauptet oder gar belegt, dass der Vater der Klägerin im Jahr 1950 von der rechtlichen Diskussion in Deutschland über die generelle Rechtmäßigkeit der Sammeleinbürgerungen Kenntnis gehabt und sich die umstrittene Auffassung von der Völkerrechtswidrigkeit der Sammeleinbürgerungen zu eigen gemacht hätte.

23

cc) Selbst wenn aufgrund von - von dem Oberverwaltungsgericht nicht angenommenen und auch sonst nicht ersichtlichen - besonderen Umständen Rechtskenntnisse dahin unterstellt werden könnten, dass eine nach Besatzungszonen divergierende rechtliche Bewertung der auf einer Sammeleinbürgerung im Sudetenland gründenden deutschen Staatsangehörigkeit in der Nachkriegszeit bekannt gewesen ist, reichte dies für sich allein nicht aus. Denn dann wäre für den Regelfall davon auszugehen, dass eine Person, die aufgrund der Sammeleinbürgerung in der amerikanischen Zone mit Schwierigkeiten bei der Anerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit rechnete, auch darum wusste, dass z.B. in der britischen Besatzungszone ihre Anerkennung als deutscher Staatsangehöriger ohne weiteres zu erwarten war.

24

e) Im Übrigen ginge es hier ausnahmsweise nicht zu Lasten der Beklagten, wenn insoweit nicht ausräumbare Unklarheiten bestünden. Zwar gilt im Staatsangehörigkeitsrecht, dass der Bürger grundsätzlich für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit beweispflichtig ist, während die Behörde in der Regel die objektive Beweislast für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit trägt (Beschluss vom 16. Januar 1992 - BVerwG 9 B 192.91 - NVwZ-RR 1992, 439 <441>; BayVGH, Urteil vom 22. März 1999 - 11 B 96.2183 - DVBl 1999, 1218). Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ist allerdings in Bezug auf Tatsachen, die sich in der für behördliche Ermittlungen nur schwer zugänglichen Sphäre des Einzelnen bewegen, jedenfalls dann nicht sachgerecht, wenn dem Erwerber positiv bekannt gewesen ist, die deutsche Staatsangehörigkeit besessen zu haben, und nur zu beurteilen ist, ob er in der Folgezeit aufgrund objektiv feststellbarer Umstände an deren Fortbestand beachtliche Zweifel gehabt hat. Zumindest in dieser besonderen Fallkonstellation kann der Behörde die Darlegungs- und Beweislast für den Nachweis der Kenntnis vom Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit allenfalls dann auferlegt werden, wenn bereits beachtliche Zweifel des Erwerbers an deren Fortbestand dargelegt und bewiesen sind. Letzteres wäre aber hier - wie dargelegt - nicht der Fall.

25

f) Auf die nur im Fall der fehlenden Kenntnis zu prüfende Frage, ob der Vater der Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit hätte kennen müssen (vgl. dazu Urteil vom 29. April 2010 a.a.O.), kommt es nicht mehr an.

(1) Vertriebener ist, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger seinen Wohnsitz in den ehemals unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten oder in den Gebieten außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches nach dem Gebietsstande vom 31. Dezember 1937 hatte und diesen im Zusammenhang mit den Ereignissen des zweiten Weltkrieges infolge Vertreibung, insbesondere durch Ausweisung oder Flucht, verloren hat. Bei mehrfachem Wohnsitz muss derjenige Wohnsitz verloren gegangen sein, der für die persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen bestimmend war. Als bestimmender Wohnsitz im Sinne des Satzes 2 ist insbesondere der Wohnsitz anzusehen, an welchem die Familienangehörigen gewohnt haben.

(2) Vertriebener ist auch, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger

1.
nach dem 30. Januar 1933 die in Absatz 1 genannten Gebiete verlassen und seinen Wohnsitz außerhalb des Deutschen Reiches genommen hat, weil aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen gegen ihn verübt worden sind oder ihm drohten,
2.
auf Grund der während des zweiten Weltkrieges geschlossenen zwischenstaatlichen Verträge aus außerdeutschen Gebieten oder während des gleichen Zeitraumes auf Grund von Maßnahmen deutscher Dienststellen aus den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten umgesiedelt worden ist (Umsiedler),
3.
nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen vor dem 1. Juli 1990 oder danach im Wege des Aufnahmeverfahrens vor dem 1. Januar 1993 die ehemals unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebiete, Danzig, Estland, Lettland, Litauen, die ehemalige Sowjetunion, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, Albanien oder China verlassen hat oder verlässt, es sei denn, dass er, ohne aus diesen Gebieten vertrieben und bis zum 31. März 1952 dorthin zurückgekehrt zu sein, nach dem 8. Mai 1945 einen Wohnsitz in diesen Gebieten begründet hat (Aussiedler),
4.
ohne einen Wohnsitz gehabt zu haben, sein Gewerbe oder seinen Beruf ständig in den in Absatz 1 genannten Gebieten ausgeübt hat und diese Tätigkeit infolge Vertreibung aufgeben musste,
5.
seinen Wohnsitz in den in Absatz 1 genannten Gebieten gemäß § 10 des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch Eheschließung verloren, aber seinen ständigen Aufenthalt dort beibehalten hatte und diesen infolge Vertreibung aufgeben musste,
6.
in den in Absatz 1 genannten Gebieten als Kind einer unter Nummer 5 fallenden Ehefrau gemäß § 11 des Bürgerlichen Gesetzbuchs keinen Wohnsitz, aber einen ständigen Aufenthalt hatte und diesen infolge Vertreibung aufgeben musste.

(3) Als Vertriebener gilt auch, wer, ohne selbst deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger zu sein, als Ehegatte eines Vertriebenen seinen Wohnsitz oder in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 5 als Ehegatte eines deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen den ständigen Aufenthalt in den in Absatz 1 genannten Gebieten verloren hat.

(4) Wer infolge von Kriegseinwirkungen Aufenthalt in den in Absatz 1 genannten Gebieten genommen hat, ist jedoch nur dann Vertriebener, wenn es aus den Umständen hervorgeht, dass er sich auch nach dem Kriege in diesen Gebieten ständig niederlassen wollte oder wenn er diese Gebiete nach dem 31. Dezember 1989 verlassen hat.

(1) Ein Deutscher verliert seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag oder auf den Antrag des gesetzlichen Vertreters erfolgt, der Vertretene jedoch nur, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach § 19 die Entlassung beantragt werden könnte. Der Verlust nach Satz 1 tritt nicht ein, wenn ein Deutscher die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, der Schweiz oder eines Staates erwirbt, mit dem die Bundesrepublik Deutschland einen völkerrechtlichen Vertrag nach § 12 Abs. 3 abgeschlossen hat.

(2) Die Staatsangehörigkeit verliert nicht, wer vor dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit auf seinen Antrag die schriftliche Genehmigung der zuständigen Behörde zur Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit erhalten hat. Hat ein Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, ist die deutsche Auslandsvertretung zu hören. Bei der Entscheidung über einen Antrag nach Satz 1 sind die öffentlichen und privaten Belange abzuwägen. Bei einem Antragsteller, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob er fortbestehende Bindungen an Deutschland glaubhaft machen kann.

(3) (weggefallen)

Tenor

Es wird festgestellt, dass der Bescheid vom 21. Mai 2007 und der Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2009 sind rechtswidrig gewesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Einziehung ihres Reisepasses und ihres Personalausweises vor dem Hintergrund des Verlustes ihrer deutschen Staatsangehörigkeit.

2

Sie wurde am ... Januar 1952 in Boyabat in der Türkei geboren. Im Alter von 6 Monaten verlor sie ihre Eltern und wuchs fortan zusammen mit ihrer älteren Schwester bei Verwandten auf. Die Mädchen mussten schon früh in der Landwirtschaft arbeiten und erhielten keine angemessene Schulbildung. 1969 heiratete die Klägerin ihren ebenfalls in der Türkei geborenen Ehemann C..., mit dem zusammen sie seit 1971 in Deutschland lebt und drei erwachsene Söhne hat. Beide waren in Deutschland als Arbeitnehmer tätig. Herr C... ist bereits seit Ende der Neunzigerjahre schwer an Schizophrenie erkrankt und deshalb vermutlich geschäftsunfähig. Allerdings wurde erst im April 2013 für ihn ein Betreuer, einer seiner Söhne, bestellt.

3

Am 19. Oktober 2001 wurde die Klägerin zugleich mit ihrem Ehemann auf ihren Antrag hin in Deutschland eingebürgert. Am 22. Oktober 2001 erhielt sie sowohl einen deutschen Personalausweis als auch einen deutschen Reisepass.

4

Im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens, das den jüngsten Sohn der Eheleute, C..., betraf, wurde der Behörde für Inneres ein türkischer Einwohnermelderegisterauszug (Nüfus Kayit Örnegi) der Stadt Bursa/Landkreis Osmangazi vom 21. November 2006 vorgelegt. Hierin war angegeben, dass die Klägerin am 20. April 2001 die Erlaubnis erhalten hatte, die türkische Staatsangehörigkeit abzulegen, und dass ihr am 22. November 2001 eine Bescheinigung über den Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit ausgehändigt worden sei. Am 9. März 2002 sei sie unter Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit wieder in die türkische Staatsangehörigkeit aufgenommen worden.

5

Mit Schreiben vom 21. Mai 2007 teilte die Beklagte die Klägerin mit, ihr sei von der Behörde für Inneres mitgeteilt worden, dass sie wieder die türkische Staatsangehörigkeit erworben habe. Damit habe sie nach § 25 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) die deutsche Staatsangehörigkeit verloren. Die Angabe zu ihrer Staatsangehörigkeit sei im Melderegister nach § 5 b Abs. 1 Hamburgisches Meldegesetz (HmbMG) berichtigt worden. Aufgrund des Verlustes der Staatsangehörigkeit seien die auf sie ausgestellten Personaldokumente der Bundesrepublik Deutschland nach § 7 Nr. 3 Hamburgisches Personalausweisgesetz (in der bis 8. Februar 2011 geltenden Fassung - HmbPersAuswG) bzw. § 11 Nr. 2 Passgesetz (in der bis 31. Oktober 2010 geltenden Fassung - PassG) ungültig geworden. Sie fordere die Klägerin nach § 8 Nr. 1 HmbPersAuswG bzw. § 15 Nr. 1 PassG auf, die beiden auf sie ausgestellten deutschen Personaldokumente unverzüglich abzugeben.

6

Mit Schreiben vom 25. Mai 2007 bestritt die anwaltlich vertretene Klägerin, einen Antrag auf die Wiedererteilung der türkischen Staatsangehörigkeit gestellt zu haben. Sie habe keine Kenntnis von dem Vorgang und schon gar kein Ausweispapier der Türkei erhalten. Ihr sei auch nicht mitgeteilt worden, dass ihr die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt worden sei.

7

Unter dem 18. Juni 2007 erwiderte die Beklagte, dass ihr ein türkischer Familienregisterauszug vorliege, der den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit der Klägerin am 9. März 2002 bestätige. Nach § 25 Abs. 1 StAG sei damit die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch untergegangen.

8

Unter dem 26. Juli 2007 teilte die Klägerin mit, sich mit der Bitte um Aufklärung wegen des vermeintlichen Wiedererwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit an das türkische Generalkonsulat gewandt zu haben. Dieses beantwortete ihre Anfrage aber nicht.

9

Mit Schreiben vom 8. Mai 2008 erinnerte die Beklagte die Klägerin an die Abgabe ihrer deutschen Personalpapiere und drohte Vollstreckung an.

10

Am 27. Februar 2009 sprach die Klägerin bei der Beklagten vor und legte eine beglaubigte Übersetzung eines Auszugs aus dem türkischen Personenstandsregister mit Datum vom 11. August 2008 vor, wonach hinsichtlich beider Ehegatten unter dem 3. Oktober 2007 das türkische Innenministerium die Genehmigung zum Austritt aus der türkischen Staatsangehörigkeit erteilt habe und am 1. Februar 2008 – mit Aushändigung der Austrittsurkunde – der Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit eingetreten sei. Anlässlich dieser Vorsprache wurde der Klägerin ihr deutscher Personalausweis abgenommen und in Verwahrung genommen.

11

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2009, zugestellt am 29. Mai 2009, wies die Beklagte den Widerspruch unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zurück: Der Widerspruch vom 21. Mai 2007 sei zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin sei verpflichtet, ihre deutschen Personalpapiere zum Zwecke der Einziehung abzugeben. Hinsichtlich des Reisepasses folge dies aus §§ 11 Nr. 2, 12 Abs. 1 PassG. Gemäß § 11 Nr. 2 PassG sei ein Pass ungültig, wenn Eintragungen unzutreffend seien. Dies sei hier zu bejahen, weil ein deutscher Pass grundsätzlich nur einem Deutschen erteilt werden dürfe (§ 1 Abs. 4 S. 1 PassG), so dass Personaleintragungen in einem solchen Pass im Sinne von § 11 Nr. 2 PassG unzutreffend würden, wenn der Passinhaber kein deutscher Staatsangehöriger mehr sei. Das sei vorliegend der Fall, weil die Klägerin ihre durch Einbürgerung erworbene deutsche Staatsangehörigkeit wieder verloren habe. Gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 StAG verliere ein Deutscher grundsätzlich seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf Antrag erfolge; die Ausnahmeregelungen des § 25 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 StAG kämen hier nicht in Betracht. Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 S. 1 StAG seien erfüllt, da die Klägerin ausweislich des türkischen Melderegisterauszugs aus dem Jahr 2006 bereits 2002 wieder in die türkische Staatsangehörigkeit aufgenommen und ausweislich des Auszugs von 2009 im Jahr 2008 daraus wieder entlassen worden sei. Über den Anlass der Wiederaufnahme in die türkische Staatsangehörigkeit gebe das Dokument zwar keine Auskunft. Es bestehe aber kein Grund zur Annahme, dass die Wiedereinbürgerung ohne Zutun oder gegen den Willen der Klägerin erfolgt sei. Möglicherweise sei der Antrag auf spätere Wiedererteilung der türkischen Staatsangehörigkeit bereits anlässlich des Antrags auf Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit gestellt worden. auch könne die erneute Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit zum 1. Februar 2008 den zwischenzeitlich eingetretenen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nicht mehr revidieren. Gemäß § 12 Abs. 1 PassG könne ein ungültiger Pass eingezogen werden. In Ausübung pflichtgemäßen Ermessens sei eine Einziehung auch vorzunehmen, denn es widerspreche öffentlichem Interesse, wenn Personen nicht deutscher Staatsangehörigkeit sich durch Vorlage eines deutschen Passes Dritten gegenüber amtlich als vermeintliche Deutsche auswiesen. Ein überwiegendes berechtigtes Interesse der Klägerin am Fortbesitz des unrichtig gewordenen Passes sei demgegenüber nicht zu erkennen. Bezüglich des Personalausweises ergebe sich die Verpflichtung zur Herausgabe aus dem Umstand, dass gemäß § 1 PersAuswG ausschließlich für Personen deutscher Staatsangehörigkeit die Inhaberschaft eines Personalausweises vorgesehen sei. Ein Nichtdeutscher dürfe daher keinen auf ihn lautenden Personalausweis besitzen.

12

Am 29. Juni 2009 hat die Klägerin Anfechtungsklage erhoben: Die Forderung der Beklagten, ihre deutschen Personalpapiere abzugeben, sei rechtswidrig, denn es gebe keine Rechtsgrundlage dafür, ihr die deutsche Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Sie versichere an Eides statt, dass sie im Rahmen der Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft 2002 die türkische Botschaft nur aufgesucht habe, um dort die türkische Staatsbürgerschaft abzulegen. Im Rahmen dieses Termins seien ihre türkischen Ausweisdokumente ungültig gemacht worden. Sie habe zu keinem späteren Zeitpunkt die türkische Botschaft aufgesucht und zu keinem Zeitpunkt einen Antrag auf Wiedererlangung der türkischen Staatsangehörigkeit gestellt. Dieses könne ein instruierter Vertreter der Republik Türkei bezeugen. Sie habe auf dem Konsulat einfach die Zettel, die sie in Hamburg von der Einbürgerungsstelle erhalten habe, vorgelegt und gesagt, dass sie in Deutschland eingebürgert werden wolle. Der Konsulatsbeamte habe dann Formulare ausgefüllt und ihr die Stelle gezeigt, wo sie unterschreiben solle. Sie könne nicht lesen und schreiben und habe deshalb die Formulare nicht lesen können. Sie habe in ihrem Leben lediglich ein Jahr eine Dorfschule besucht und schon als Kind in der Landwirtschaft arbeiten müssen. Sie habe auch später nur einfache Arbeiten ausgeübt und sei schon mit 17 Jahren die Ehe eingegangen. Die Formulare seien ihr auch nicht vorgelesen worden. Aus Scham habe sie nicht auf ihr Analphabetentum hingewiesen. Auch habe es keine ausführliche Besprechung im Konsulat aus Anlass der Ausbürgerung gegeben. Sollte man sie auf eine Wiedereinbürgerung in die Türkei hingewiesen haben, habe sie das nicht verstanden. Ihr seien auch keine Kopien von Unterlagen mitgegeben worden. Einige Zeit später habe sie Post vom Konsulat bekommen, sei hiermit zum Einbürgerungsamt gegangen und habe alles dort abgegeben. Papiere, die die Einbürgerung in Deutschland hätten hindern können, könnten nicht dabei gewesen sein. Sie sei damals in Begleitung ihres Ehemannes, der aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen vermutlich noch weniger verstanden habe als sie, auf dem Konsulat gewesen. Seit 2001 sei sie nicht wieder im Konsulat gewesen. Sie habe auch keine Einbürgerungsurkunde und keinen neuen Ausweis oder Pass erhalten. Erst als sie im Jahr 2007 aufgefordert worden sei, ihre deutschen Papiere abzugeben, habe sie sich wieder an das Konsulat gewandt, diesmal mithilfe ihres Anwalts. Auch jetzt habe das Konsulat keine Unterlagen oder Passdokumente hinsichtlich der Wiedereinbürgerung im Jahr 2001 herausgegeben. Wiederum habe man ihr Formulare vorgelegt, die sie habe unterschreiben sollen. Vermutlich sei ihr deshalb später ein Nüfus erteilt worden. Spätere anwaltliche Versuche, Information vom Konsulat zu bekommen, hätten bisher nichts erbracht. Anlässlich zweier Vorsprachen mit ihrer Anwältin und ihrem Sohn als Dolmetscher im September 2013 und im März 2014 sei ihr gesagt worden, dass sie keine Akteneinsicht bekommen könne, denn sie sei ja nicht mehr türkische Staatsangehörige und die Akten seien geschlossen. Ihr sei lediglich ein Melderegisterauszug ausgehändigt worden, der die schon bekannten Daten wiedergebe.

13

Die Klägerin beantragt nunmehr,

14

festzustellen, dass der Bescheid vom 21. Mai 2007 und der Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2009 rechtswidrig gewesen sind.

15

Die Beklagte beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Zur Begründung machte sie ergänzend geltend, dass der Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit durch Dokumente amtlich bestätigt worden sei. aus welchen Gründen die Wiedereinbürgerung erfolgt sei, entziehe sich ihrer Kenntnis, sei aber auch unerheblich. Der Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit führe automatisch zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit. Einer Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit bedürfe es dabei nicht. Im Übrigen sei die Beklagte nicht davon überzeugt, dass die Klägerin tatsächlich Analphabetin sei. Sie habe im Einbürgerungsverfahren einen handschriftlich verfassten Lebenslauf eingereicht. Aus wessen Hand er stamme, könne ihm allerdings nicht entnommen werden. Selbst wenn sie Analphabetin sei, sei ihr nicht zu glauben, dass sie über einen Wiedereinbürgerungsantrag nicht informiert gewesen sei oder ihn nicht jedenfalls billigend in Kauf genommen habe. Sie sei offenbar selbstständig in der Lage gewesen, für sich und ihren Ehemann ein Einbürgerungsverfahren in Gang zu setzen und erfolgreich zu betreiben. Dies sei kaum vorstellbar, wenn sie tatsächlich des Lesens und Schreibens vollständig unkundig sei. Auch sei davon auszugehen, dass sie sich bei Angehörigen oder Bekannten erkundigt habe und deshalb bei der Vorsprache im Konsulat nicht völlig ahnungslos gewesen sei. Es sei damals dort Praxis gewesen, den türkischen Staatsangehörigen bei Beantragung der Ausbürgerung die sofortige Stellung eines Wiedereinbürgerungsantrages zu raten. Es sei nicht ersichtlich, warum nicht auch die Klägerin einen derartigen Hinweis erhalten habe. Auch sei ihr nicht zu glauben, dass sie die ihr vorgelegten Dokumente unterschrieben habe, ohne sich zuvor über deren Inhalt Gewissheit zu verschaffen. Mittlerweile dürften die zurückgeforderten Papiere ohnehin abgelaufen sein, so dass dem Rechtsstreit kaum noch Bedeutung zukomme.

18

Am 27. September 2013 stellte die Klägerin einen erneuten Antrag auf Einbürgerung, über den noch nicht entschieden wurde.

19

Mit Beschluss vom 7. März 2014 ist der Rechtsstreit auf die Vorsitzende als Einzelrichterin übertragen worden.

20

Am 3. April 2014 ist in der Sache mündlich verhandelt worden. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen. Die Sachakten der Beklagten sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Entscheidungsgründe

I.

21

Die Klage der Klägerin ist mittlerweile als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO statthaft, da sich die ursprüngliche Anfechtungsklage erledigt hat. Sie ist auch zulässig, da die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes hat.

22

Die ursprünglich gegen die Einziehung der deutschen Personalpapiere aufgrund Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit gerichtete Anfechtungsklage hat sich aufgrund des Ablaufes jener Ausweispapiere der Klägerin am 22. Oktober 2011 erledigt. Sowohl der Personalausweis als auch der deutsche Pass der Klägerin waren auf 10 Jahre befristet. Nach Ablauf dieser Frist ist sowohl der Personalausweis als auch der Pass ungültig. Nach § 29 Abs. 1 des ab 2010 geltenden Personalausweisgesetzes des Bundes - PAuswG - wie auch nach § 12 PassG können die ungültigen Ausweispapiere eingezogen werden. Allein die Ungültigkeit rechtfertigt somit jetzt die angegriffene Einziehung und hat sich damit vor das hier im Zentrum des Rechtsstreits stehende Problem der Staatsangehörigkeit der Klägerin geschoben, auf dass es deshalb nicht mehr ankäme. Es ist auch nicht zu erkennen, welches rechtliche Interesse die Klägerin jetzt noch am Behalt der abgelaufenen Ausweispapiere haben sollte, so dass der Anfechtungsklage kein Rechtsschutzinteresse mehr zur Seite steht (vgl. entsprechend OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.11.1985, 18 A 823/84, NJW 86, 2590 f.).

23

Effektiver Rechtsschutz verlangt allerdings, dass der Betroffene ihn belastende Eingriffsmaßnahmen in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann. Solange er durch den Verwaltungsakt beschwert ist, stehen ihm die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zur Verfügung. Erledigt sich der Verwaltungsakt durch Wegfall der Beschwer, wird nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO Rechtsschutz gewährt, wenn der Betroffene daran ein berechtigtes rechtliches, ideelles oder wirtschaftliches Interesse hat. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Feststellung geeignet ist, die Position eines Klägers in den genannten Bereichen zu verbessern (BVerwG, Urteile vom 20.6.2013, 8 C 39/12, juris Rn. 19, und vom 16.5.2013, 8 C 14/12, BVerwGE 146, 303 ff., juris Rn. 32).

24

Ein solches Feststellungsinteresse ist hier gegeben. Es folgt daraus, dass nach Erledigung des mit dieser Klage angefochtenen Verwaltungsaktes eine andere Behörde über die bereits hier entscheidungserhebliche Frage des Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit der Klägerin auf deren Antrag hin eine gesetzlich gebotene Entscheidung zu treffen hätte (vgl. dazu m.w.N. BVerwG, Beschluss vom 27.9.1993, 1 B 73/93, Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 261, juris Rn. 6). Das Feststellungsinteresse lässt sich in einem solchen Fall regelmäßig daraus herleiten, dass ein obsiegendes Urteil auch gegenüber der nunmehr zuständigen Behörde von Nutzen wäre. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Behörde durch das Urteil gebunden wird, wenn jedenfalls zu erwarten ist, dass sie der Entscheidung des Gerichts folgt (BVerwG a.a.O.). Hier stünde der Klägerin zwar die Möglichkeit offen, von der Freien und Hansestadt Hamburg, vertreten durch die Behörde für Inneres, die Feststellung zu fordern, dass sie weiterhin die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Dieses Begehren ist gegebenenfalls durch eine Verpflichtungsklage geltend zu machen (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.2.2014, 19 E 51/14, juris Rn. 5 ff.). Dieselbe Rechtsfrage steht jedoch bereits im Zentrum dieses Verfahrens, das schon fast fünf Jahre bei Gericht anhängig ist. Auch steht der Behörde insoweit kein Ermessensspielraum zu, da der Verlust der Staatsangehörigkeit nach § 25 Abs. 1 S. 1 StAG von Gesetzes wegen eintritt. Da Beklagte in jedem Fall die Freie und Hansestadt Hamburg ist und schon deshalb erwartet werden kann, dass die Behörde für Inneres die Feststellungen eines stattgebenden Urteils gegenüber dem Bezirksamt Bergedorf beachten wird, bedarf es keines weiteren, möglicherweise wiederum langwierigen Rechtsstreits, sondern die Rechtsfrage kann im anhängigen Verfahren abschließend geklärt werden.

II.

25

Die Fortsetzungsfeststellungsklage hat auch in der Sache Erfolg. Der Bescheid vom 21. Mai 2007 und der Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2009 sind rechtswidrig gewesen (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO). Denn die Klägerin war nicht verpflichtet, ihren deutschen Pass und ihren Personalausweis zum Zwecke der Einziehung an die Beklagte herauszugeben, da sie ihre durch Einbürgerung erworbene deutsche Staatsangehörigkeit nicht wieder verloren hat.

26

Als Verlusttatbestand kommt lediglich § 25 Abs. 1 S. 1 StAG in Betracht. Hiernach verliert ein Deutscher seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag erfolgt ist.

27

Unzweifelhaft und unstreitig ist die Klägerin durch Einbürgerung am 19. Oktober 2001 deutsche Staatsangehörige geworden.

28

Außerdem steht aufgrund der vorliegenden türkischen Einwohnermelderegisterauszüge (Nüfus Kayit Örnegi) fest, dass sie am 9. März 2002 unter Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit wieder in die türkische Staatsangehörigkeit aufgenommen worden ist. Dass die Klägerin glaubhaft vorträgt, ihr sei keinerlei Nachweis der Wiedereinbürgerung (zum Beispiel ein Einbürgerungsbescheid oder eine Staatsangehörigkeitsurkunde) zugestellt worden, steht dem nicht entgegen, da nach dem türkischen Staatsangehörigkeitsgesetz die Wirkung der Einbürgerungsentscheidung mit dem Datum der Entscheidung des Ministerrats eintritt und nicht von einer Zustellung eines Einbürgerungsbescheids abhängt (ausführlich dazu: VG München, Urteil vom 5.10.2009, M 25 K 08.2073, juris Rn. 19). Auch macht der spätere nochmalige Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit im Jahr 2008 den vorherigen Wiedererwerb nicht rückwirkend ungeschehen. Selbst dann, wenn die ausländische Staatsangehörigkeit rückwirkend aufgegeben wird, lebt die deutsche Staatsangehörigkeit nicht automatisch wieder auf, sondern ihr Verlust bleibt vom späteren Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit unberührt (vgl. Marx, GK-StAR § 25 Rn. 43, 46).

29

Die Klägerin vermochte das Gericht jedoch davon zu überzeugen, dass die Wiedererlangung der türkischen Staatsangehörigkeit nicht auf einen Antrag im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StAG zurückzuführen war:

30

1. Insoweit stehen dem Gericht als Erkenntnismittel allerdings lediglich die Aussagen der Klägerin selbst sowie einige allgemein bekannte Umstände der damaligen Einbürgerungspraxis der Türkei zur Verfügung. Auf Beweismittel aus der Sphäre des türkischen Generalkonsulats hat das Gericht keinen Zugriff. Nach Art. 44 Abs. 3 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen sind Mitglieder eines konsularischen Postens nicht verpflichtet, Zeugenaussagen über Angelegenheiten zu machen, die mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zusammenhängen oder die darauf bezüglichen amtlichen Korrespondenzen und Schriftstücke vorzulegen. Sie sind auch berechtigt, die Aussage als Sachverständige über das Recht des Staates zu verweigern. Ausländische Behörden sind deshalb nur dann zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet, wenn – was im Hinblick auf die Türkei nicht der Fall ist - völkerrechtliche Vereinbarungen bestehen (BVerwG, Beschluss vom 22.5.2008, 5 B 27/08, juris Rn. 7; BayVGH, Beschluss vom 22.9.2008, 5 ZB 07.1031, juris Rn. 11; Beschluss vom 28.1.2009, 5 ZB 07. 2080, juris Rn. 10). Entsprechend ist kein Fall bekannt, in dem ein türkisches Konsulat in Deutschland die Umstände der Wiedereinbürgerung eines türkischen Staatsangehörigen durch Zeugenaussagen oder Vorlage von Originalen oder Kopien der maßgeblichen Antragsformulare konkretisiert hätte (vgl. BayVGH, Beschluss vom 16.9.2008, 5 ZB 07.243, juris Rn 10, Beschluss vom 22.9.2008, 5 ZB 07.1031, juris Rn. 10, Beschluss vom 28.1.2009, 5 ZB 07. 2080, juris Rn. 10; VG Würzburg, Urteil vom 15.10.2008, W 6 K 07.1028, juris Rn. 20).

31

Da somit die Aufklärung der maßgeblichen Vorgänge, die zudem lange zurückliegen, weitgehend auf der Grundlage bloßen Klägervortrags erfolgen muss, gewinnt die Darlegungs- und Beweislast an Bedeutung. Zwar gilt allgemein der Grundsatz, dass für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit der Bürger beweispflichtig ist, für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit in der Regel aber die Behörde die objektive Beweislast trägt (m.w.N. BVerwG, Urteil vom 29.9.2010, 5 C 20/09, NVwZ-RR 2011, 212 ff., juris Rn. 24; Beschluss vom 16.1.1992, 9 B 192/91, Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 46, juris Rn. 14). Deshalb wird auch vertreten, dass die materielle Beweislast für die Erweislichkeit der Freiwilligkeit der Antragstellung i.S. von § 25 Abs. 1 S. 1 StAG bei der Behörde liegen soll (Marx, GK-StAR § 25 Rn. 57 m.w.N.). Insoweit ist die Beweislast aber umzukehren und vorrangig der Bürger hat die für die Unfreiwilligkeit der Wiedereinbürgerung sprechenden Umstände darzulegen und zu beweisen:

32

Die Möglichkeiten, eine innere Tatsache, wie es die Freiwilligkeit meist ist, zu beweisen, sind für die Gegenseite ohnehin beschränkt. Zudem ist davon auszugehen, dass die allermeisten in Deutschland eingebürgerten Türken ihren Antrag auf Wiedereinbürgerung in die Türkei bewusst und freiwillig - wenn vielleicht häufig auch in Verkennung der Folgen für den Erhalt der gerade erworbenen deutschen Staatsangehörigkeit - gestellt haben, weil sie über beide Staatsangehörigkeiten verfügen wollten. Eine unfreiwillige Antragstellung ist deshalb ein seltener Ausnahmefall, so dass hier die Regeln des Anscheinsbeweises heranzuziehen sind. Dieser greift bei formelhaften, typischen Geschehensabläufen, in denen ein gewisser Sachverhalt feststeht, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Ablauf hinweist. Der Beweispflichtige braucht in diesen Fällen nur diesen Tatbestand darzutun. Es ist dann Sache desjenigen, der einen vom gewöhnlichen Verlauf abweichenden Gang des Geschehens behauptet, die ernstliche Möglichkeit eines solchen darzulegen, wobei eine bloße vage, nicht ernstliche Möglichkeit eines derart abweichenden Verlaufs den Anscheinsbeweis nicht zu entkräften vermag (vgl. BayVGH, Urteil vom 22.3.1999, 11 B 96.2183, DVBl. 199, 1218 f., juris Rn. 42). Hat ein türkischer Staatsangehöriger jedoch greifbare Anhaltspunkte für einen irrtümlichen oder rechtswidrig aufgedrängten Staatsangehörigkeitserwerb geliefert, ist dies geeignet, den mit der Vorlage des türkischen Personenstandsregisterauszugs bewirkten Beweis des ersten Anscheins durch die ernsthafte Möglichkeit eines vom Regelfall abweichenden Geschehensablaufs im konkreten Fall zu entkräften. Damit muss das Verwaltungsgericht mangels weiterer Aufklärung des Sachverhalts nach der materiellen Beweislast entscheiden. Hat der betroffene Kläger alles ihm zumutbare zur Aufklärung der Umstände beigetragen, liegt diese bei der Behörde (so auch BayVGH, Beschluss vom 28.1.2009, 5 ZB 07.2080, juris Rn. 11 f.)

33

2. In Anwendung dieser Grundsätze kommt das Gericht in tatsächlicher Hinsicht zu dem Ergebnis, dass die Klägerin im türkischen Generalkonsulat einen förmlichen Wiedereinbürgerungsantrag unterzeichnet hat, ohne dies zu wissen und zu wollen. Zweifelsfrei nachweisen lässt sich dieses naturgemäß nicht, da objektive Beweismittel nicht zugänglich sind. Die besonderen Umstände dieses Falles genügen jedoch, um einen besonders gelagerten Einzelfall annehmen zu können, in dem die Vermutung einer freiwilligen Antragstellung nicht greift. Etwaige verbleibende Zweifel gehen damit zulasten der Beklagten.

34

Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin nur einmal - am 20. April 2001 - zusammen mit ihrem kranken Mann beim Generalkonsulat der Republik Türkei in Hamburg vorgesprochen hat. Grund für den Besuch war, dass sie im Hinblick auf die damals begehrte Einbürgerung eine Bescheinigung über den Austritt aus der türkischen Staatsangehörigkeit vorzulegen hatte. Das Ausscheiden aus der türkischen Staatsangehörigkeit musste sie förmlich beantragen. Da der Ehemann der Klägerin bereits schwer geistig erkrankt war und sie selbst nicht lesen und schreiben kann, trug sie ihr Begehren mündlich vor. Mehrere Formulare wurden von den Mitarbeitern des Generalkonsulats für die Eheleute ausgefüllt und mussten nur noch unterschrieben werden. Aufgrund der vorbezeichneten Einschränkungen konnten beide Eheleute die Formulare nicht lesen und verstehen, sondern haben sich darauf verlassen, dort die zum Austritt aus der türkischen Staatsangehörigkeit notwendigen Unterschriften geleistet zu haben.

35

Der Umstand, dass die Klägerin nach der beantragten Ausbürgerung die türkische Staatsangehörigkeit wieder erlangt hat, ist dadurch zu erklären, dass sie neben dem Ausbürgerungsformular auch ein Wiedereinbürgerungsformular unterzeichnet hat. Zwar ist nicht gänzlich auszuschließen, dass die Klägerin sogar ohne Antrag wieder eingebürgert wurde (siehe so z.B. Senol in Jurblog.de, 26.5.2005). Dies ist aber sehr unwahrscheinlich. Zuverlässige Quellen bestätigen ein solches Handeln der türkischen Konsulate nicht. Praktisch auszuscheiden hat auch, dass allein eine einzige Unterschrift sowohl die Ausbürgerung als auch die Einbürgerung deckte, so dass die Stellung des Wiedereinbürgerungsantrags praktisch unvermeidlich war. Denn dann müssten praktisch alle Türken, die in jener Zeit ausgebürgert worden sind, hiernach auch wieder eingebürgert worden sein, was wiederum zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit geführt hätte. Dies ist aber nicht der Fall gewesen. In fünf Jahren (2000 – 2004) sollen 40.000 – 50.000 Türken einen Wiedereinbürgerungsantrag gestellt haben (Deutscher Bundestag, Drs. 15, 4496 S. 1 f., und Drs. 15/5006, S. 3). Bei damals knapp 800.000 Einbürgerungen und einem Anteil der Türken von etwa ¼ sind in jenem Zeitraum jedoch rund 200.000 türkische Staatsangehörige deutsche Staatsangehörige worden (vgl. zu den Zahlen Worbs, Die Einbürgerung von Ausländern in Deutschland, Working Paper 17 des Forschungsgruppe des Bundesamtes, 2. Aufl. 2008, Internet), also die vierfache Menge an Personen. Deshalb ist auch hier anzunehmen, dass die Klägerin einen separaten förmlichen Antrag auf Wiedereinbürgerung unterzeichnet hat.

36

Der Klägerin ist jedoch zu glauben, dass sie nicht gemerkt hat, einen solchen Antrag unterschrieben zu haben, und ein solches auch nicht gewollt hat.

37

Dass ihr ein solcher Antrag unaufgefordert vorgelegt wurde, erscheint nicht als zweifelhaft. Seit jeher ist ein großes Interesse vieler türkischer Staatsangehöriger zu erkennen, neben der deutschen ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit zu behalten. Allein dies rechtfertigte es damals aus türkischer Sicht, das Wiedereinbürgerungsformular auch ohne besonderen Antrag anzubieten. Hinzu kam das große Interesse des türkischen Staates, seine Staatsangehörigen nicht gänzlich zu verlieren. So ist bekannt geworden, dass ausgebürgerten türkischen Staatsangehörigen sogar von offizieller Seite geholfen wurde, den Wiedererwerb ihrer Staatsangehörigkeit den deutschen Behörden gegenüber zu verschleiern. Zu diesem Zweck sollen türkische Meldebestätigungen herausgegeben worden sein, die die doppelte Staatsangehörigkeit nicht auswiesen, um den Betroffenen in Deutschland keine Probleme zu bereiten (Deutscher Bundestag, Drs. 15/4496 S. 1 f., spricht davon, dass laut Focus die türkischen Gouverneursämter im September 2001 angewiesen worden seien, die in Deutschland verlangten Registerauszüge zu manipulieren und den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit zu verschleiern). Bereits Anfang der Neunzigerjahre hatte sich in den Auslandsvertretungen die Praxis herausgebildet, den Ausbürgerungsantragstellern sofort die Wiedereinbürgerung anzubieten. In „Der Spiegel“ 24/1993, Seite 26 heißt es zur damaligen Praxis der türkischen Konsulate: „Im türkischen Generalkonsulat in Hamburg gibt es zwei Büroräume, in denen Türken nacheinander vorsprechen, wenn sie Deutsche werden wollen. Im ersten Zimmer beantragen sie ihre Ausbürgerung aus der Türkei. Im zweiten beantragen sie kurz danach ihre Wiedereinbürgerung. …. In dem anderen Zimmer, zweiter Schritt, wird wenig später dieser Grundsatz praktisch außer Kraft gesetzt. Der Bewerber, inzwischen Deutscher geworden, beantwortet 12 Fragen zur Person und zahlt eine Bearbeitungsgebühr von etwa 40 DM. Dann erhält der deutsche Ex-Türke seinen Pass mit dem Halbmond zurück.“ Später dürfte sich dann die Praxis durchgesetzt haben, das Wiedereinbürgerungsformular zugleich mit dem Austrittsformular zu überreichen. So heißt es im Internet in Bezug auf einen Fall aus dem September 1999 (frag-einen-Anwalt.de, Frage vom 20.8.2010): „Leider wurde mir beim türkischen Konsulat in Hamburg, während ich die Bescheinigung vom Austritt aus der türkischen Staatsangehörigkeit in Empfang nahm, ohne mein Wissen während ich die Papiere unterschrieb, die ich zum Erhalt der Entlassungsurkunde Schreibens bekam ein Antrag auf Wiedereinbürgerung in die türkische untergejubelt, ohne mich zu informieren bzw. zu sagen dass ich die deutsche automatisch verliere habe ich unwissend diesen Antrag unterschrieben.“ Ähnliches schilderte auch die hier zur mündlichen Verhandlung geladene Dolmetscherin in Bezug auf ihre Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit, die etwa zur gleichen Zeit erfolgte. Auch in der Literatur (Marx, GK-StAR § 25 Rn. 62) ist diese Praxis bekannt. Danach soll es bis in das Jahr 2004 Praxis der türkischen Konsulate gewesen sein, dem Betroffenen bei der Antragstellung auf Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit mit dem Entlassungsantragsformular zugleich ein Antragsformular auf Wiedererwerb ohne ausdrückliche Belehrung über die doppelte Antragstellung zur Unterschrift vorzulegen. Aus der Rechtsprechung ist aus einer Reihe von Fällen betreffend das türkische Generalkonsulat in Nürnberg bekannt, dass die Betroffenen bei Abholung ihrer Entlassungspapiere überredet wurden, einen Antrag auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit zu stellen (VG Würzburg, Urteil vom 15.10.2008, W 6 K 07.1028, juris Rn. 20; BayVGH, Urteil vom 14.11.2007, 5 B 05.2958, juris Rn. 2, Urteil vom 14.11.2007, 5 B 05.3039, juris Rn. 3, und Urteil vom 14.11.2007, 5 B 06.2769, juris Rn. 2 f.; VG Darmstadt, Urteil vom 3.11.2006, 5 E 1807/05 (3), 5 E 1805 E 1807/05, juris Rn. 1 f.; VG Ansbach, Urteil vom 14.12.2005, AN 15 K 05.02076, juris Rn. 2 ff.).

38

Es spricht deshalb alles dafür, dass auch die Klägerin im Jahr 2001 zugleich mit ihrem Austrittsformular ein Wiedereinbürgerungsformular erhalten und auch unterschrieben hat, auch wenn sie sich hieran selbst nicht erinnern und dieses nicht bestätigen kann.

39

Glaubhaft ist, dass die Klägerin nicht bemerkt hat, dass ihr ein Wiedereinbürgerungsantrag untergeschoben wurde. Weder sie noch ihr Ehemann konnten damals die vorgelegten Formulare lesen und verstehen. Das Gericht glaubt der Klägerin auch, dass ihr nicht in verständlicher Weise mündlich erläutert wurde, dass ihr mit einem weiteren Formular die Möglichkeiten eröffnet werden sollte, die türkische Staatsangehörigkeit nach Erwerb der deutschen wiederzuerlangen. Sie selbst macht hierzu geltend, mit ihr sei gar nicht weiter gesprochen worden sei, sondern sie sei gebeten worden, sich zu beeilen, da viele Menschen warteten. Dass türkische Auslandsvertretungen meist überarbeitet und wenig kooperativ sind, ist aus vielen Verfahren gerichtsbekannt. Für die Mitarbeiter des Generalkonsulats gab es vermutlich auch keinen Grund, sich mit der Klägerin und ihrem Ehemann näher zu beschäftigen. Dass die Klägerin damals auf den Umstand, dass sie nicht lesen kann und ihr Mann krankheitsbedingt die Formulare auch nicht versteht, ausdrücklich hingewiesen hat, ist eher unwahrscheinlich. Zwar hat sie auf Befragen berichtet, dass sie andere Menschen schon darauf hinweist, nicht lesen und schreiben zu können. Gerade Analphabeten sind im Umgang mit Behörden aber noch verunsicherter als andere Bürger, geraten häufig in Stress und wollen den Behördenbesuch meist möglichst schnell und unauffällig hinter sich bringen. Deshalb spricht viel dafür, dass die Mitarbeiter des Generalkonsulats keinen Anlass sahen, der Klägerin und ihrem Mann den Vorgang näher zu erläutern, da - wenn man lesen kann - aus den Antragsformularen selbst ersichtlich ist, welchem Zweck sie dienen. Irgendwelche Überzeugungsarbeit war auch nicht zu leisten, da die Eheleute den Wiedereinbürgerungsantrag sofort kritiklos unterschrieben haben werden. Die Klägerin wiederum vertraute darauf, dass das Generalkonsulat ihr genau jene Formulare zur Unterschrift vorgelegt hatte, die sie für ihr Begehren, deutsche Staatsangehörige zu werden, benötigte, und sah deshalb keinen Grund, sich nach dem genauen Inhalt der für sie völlig unverständlichen Formulare zu erkundigen. Es erscheint als glaubhaft, dass sie hinsichtlich des Einbürgerungsverfahrens keine konkreten Rechtskenntnisse besaß und sich auch nicht mit interessierten oder fachkundigen Landsleuten darüber ausgetauscht hatte, da sie sich fast nur ihrem Haushalt, ihrer Familie und insbesondere ihrem kranken Mann widmete.

40

Brauchbare Hinweise darauf, dass die Klägerin damals entgegen ihrer heutigen Beteuerung doch wieder die türkische Staatsangehörigkeit erlangen wollte und deshalb den Wiedereinbürgerungsantrag bewusst und gewollt unterzeichnet hat, gibt es nicht. Zwar hatte sich die Klägerin nicht in einer Weise vom türkischen Staat abgewandt, wie dies zum Beispiel bei politisch Verfolgten oder Systemkritikern der Fall ist. Gleichwohl ist ihr zu glauben, dass sie kein Interesse daran hatte, die türkische Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben, da sie wie auch ihr Mann und ihre drei Söhne ihren Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet gefunden hatte und für den Rest ihres Lebens in Deutschland bleiben wollte, in der Türkei keine eigenen Verwandten mehr hatte und es ihr genügte, die Türkei als deutsche Touristin zu besuchen. Dafür, dass sie die türkische Staatsangehörigkeit weder wieder erlangen wollte noch darum wusste, dass dieses gleichwohl geschehen war, spricht auch, dass sie sich nach der Wiedereinbürgerung keine türkischen Personalpapiere ausstellen ließ, sondern mit deutschen Ausweispapieren in die Türkei reiste (so z.B. aber der Antragsteller im Beschluss des VG Saarlouis vom 29.4.203, 3 L 559/13, juris Rn. 6).

41

3. Ein solcher lediglich untergeschobener Antrag ist nicht geeignet, den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zu bewirken.

42

Ein Antrag im Sinne des § 25 Abs. 1 StAG ist jede freie Willensbetätigung, die unmittelbar auf den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit gerichtet ist (BVerfG, Beschluss vom 8.12.2006, 2 BvR 1339/06, NVwZ 2007, 441 ff., juris Rn. 13; so auch BVerfG, Beschluss vom 22..6.1990, NJW 1990, 2193 f., juris Rn. 32; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 13.10.2000, 1 B 53/00, Buchholz 130 § 25 StAG Nr. 11, juris Rn. 12; entsprechend Abschnitt 25.1.3 Abs. 1 S. 1 der Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht vom 13. Dezember 2000 (StAR-VwV) ebenso wie Abschnitt 25.1.1. Abs. 2 S. 5 der vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsgesetz vom 17. April 2009). Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht. Denn der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit tritt aufgrund von Handlungen des Betroffenen ein, die auf einem selbstverantwortlichen und freien Willensentschluss gegründet sind (BVerfG, Beschluss vom 8.12.2006, 2 BvR 1339/06, NVwZ 2007, 441 ff., juris Rn. 13; so auch BVerfG, Beschluss vom 22..6.1990, NJW 1990, 2193 f., juris Rn. 32). Er stellt damit keine grundgesetzliche verbotene Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit dar (vgl. BVerfG, Urteil vom 24.5.2006, 2 BvR 669/04, BVerfGE 116, 24 ff., juris Rn. 50).

43

An der somit verfassungsrechtlich zu fordernden Freiwilligkeit der Antragstellung fehlt es jedenfalls dann, wenn ein Betroffener die förmlich abgegebene Erklärung gar nicht hat abgeben wollen (§ 119 S. 1 BGB,offen in Bezug auf Willensmängel, da solche dort erkennbar nicht vorlagen, BVerwG, Urteil vom 21.5.1985, 1 C 12/84, Buchholz 130 § 25 RuStAG Nr.5, juris Rn. 35; BVerwG, Beschluss vom 13.10.2000, 1 B 53/00, Buchholz 130 § 25 StAG Nr. 11, juris Rn. 11). Ein solches ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Antragsformular für eine Wiedereinbürgerung ohne Hinweis und ohne Erkennbarkeit für den Betroffenen zusammen mit einem Antrag auf Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit überreicht und in Verkennung seines Inhalts unterschrieben wurde (Marx, GK-StAR § 25 Rn. 62).

44

Allerdings obliegen dem Betroffenen in staatsbürgerlichen Angelegenheiten gewisse Sorgfaltspflichten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8.12.2006, 2 BvR 1339/06, NVwZ 2007, 441 ff., juris Rn. 38). Grundsätzlich ist deshalb zu verlangen, dass ein vorgelegtes Formular vor der Unterschrift durchgelesen und auf seinen Inhalt überprüft wird. Auch genügt es nicht, wenn ein Betroffener geltend macht, einen Antrag auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit auf Anregung der türkischen Behörden gestellt zu haben (BVerfG a.a.O.). Denn es kann von Einbürgerungsbewerbern in gesteigertem Maße erwartet werden, dass sie sich über die staatsangehörigkeitsrechtlichen Folgen einer sofort nach der Ausbürgerung beantragten Wiedereinbürgerung in die türkische Staatsangehörigkeit informieren (VG München, Urteil vom 5.10.2009, M 25 K 08.2073, juris Rn. 20). Hier indes ist nicht erkennbar, dass die Klägerin ihre Sorgfaltspflicht verletzt hätte. Als Analphabetin wusste sie gar nicht darum, dass sie auch einen Wiedereinbürgerungsantrag unterschreibt. Sie musste auch nicht befürchten, dass ihr von einer staatlichen Stelle ein solcher unverlangt untergeschoben wird, wenn sie lediglich darum nachsucht, jene Formalien erfüllen zu dürfen, die für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erforderlich sind. Glaubhaft ist ihr Vortrag, dass sie nicht durch Gespräche mit Landsleuten darüber unterrichtet war, dass den Ausbürgerungsanträgen riskante Wiedereinbürgerungsanträge beigefügt werden können. Da sie somit gar nicht bemerkt hatte, dass ihr zugleich ein bereits für sie ausgefüllter Wiedereinbürgerungsantrag vorgelegt worden war, oblag der Kläger auch nicht die Pflicht, sich mit der Frage zu befassen, ob die Stellung eines solchen im Hinblick auf die deutsche Staatsangehörigkeit rechtlich zulässig ist (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7.3.2011, OVG 5 S 31.10, juris Rn. 6).

III.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO.

46

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i. V. m. § 709 S. 1 und 2 ZPO.

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit wird erworben

1.
durch Geburt (§ 4),
2.
durch Erklärung (§ 5),
3.
durch Annahme als Kind (§ 6),
4.
durch Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 Absatz 1 oder 2 des Bundesvertriebenengesetzes7),
5.
durch Einbürgerung (§§ 8 bis 16, 40b und 40c).

(2) Die Staatsangehörigkeit erwirbt auch, wer seit zwölf Jahren von deutschen Stellen als deutscher Staatsangehöriger behandelt worden ist und dies nicht zu vertreten hat. Als deutscher Staatsangehöriger wird insbesondere behandelt, wem ein Staatsangehörigkeitsausweis, Reisepass oder Personalausweis ausgestellt wurde. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit wirkt auf den Zeitpunkt zurück, zu dem bei Behandlung als Staatsangehöriger der Erwerb der Staatsangehörigkeit angenommen wurde. Er erstreckt sich auf Abkömmlinge, die seither ihre Staatsangehörigkeit von dem nach Satz 1 Begünstigten ableiten.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Revisionsverfahren, in dem die Klägerin weiterhin eine Spätaussiedlerbescheinigung begehrt, um Rechtsfragen des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit beim Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit.

2

Die am 21. Oktober 1957 in der Tschechoslowakei geborene Klägerin erhielt am 20. August 1969 eine vertriebenenrechtliche Übernahmegenehmigung, reiste aber erst im Jahre 2000 ins Bundesgebiet ein und beantragte am 30. Mai 2003 die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG. Zur Begründung berief sie sich unter anderem darauf, dass ihr am 22. Juni 1925 in W. geborener Vater Josef R. die deutsche Staatsangehörigkeit im Oktober 1938 durch Sammeleinbürgerung erworben habe und sie als dessen eheliche Tochter ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Ihr Vater habe während des Zweiten Weltkriegs in der deutschen Wehrmacht als Soldat gedient. Zum Nachweis legte die Klägerin Kopien des Arbeitsbuchs ihres Vaters vom 14. Juni 1940, in dem unter Staatsangehörigkeit "Deutsches Reich" vermerkt ist, und seines Soldbuches der Kriegsmarine, das zugleich als Personalausweis diente, vor. Auf Aufforderung legte die Klägerin auch einen Erlass des Bezirksnationalausschusses Liberec (Reichenberg) vom 13. April 1950 nebst Übersetzung vor. Darin wird ihrem Vater gemäß § 3 des Dekrets Nr. 33/1945 Sb. und § 1 der Anordnung Nr. 252/1949 Sb. die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft zurückgegeben.

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Mit Bescheid vom 28. März 2007 lehnte die Beklagte die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung ab, weil die Klägerin weder eine deutsche Volkszugehörige sei noch die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Durch den antragsgemäßen Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft im Jahre 1950 habe ihr Vater die deutsche Staatsangehörigkeit verloren. Folglich habe er der 1957 geborenen Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr vermitteln können. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2007 zurück.

4

Die von der Klägerin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat dagegen die Beklagte verpflichtet, der Klägerin eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 BVFG zu erteilen. Die Klägerin falle unter die Übergangsregelung des § 100 Abs. 4 BVFG und könne nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F. anerkannt werden. Sie habe als deutsche Staatsangehörige Tschechien verlassen. Ihr Vater sei als Sudetendeutscher im Jahr 1938 rechtswirksam eingebürgert worden und habe die deutsche Staatsangehörigkeit beim Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft im Jahr 1950 nicht verloren. Zwar beruhe der Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft auf einem Antrag, weil nach § 2 der Regierungsverordnung vom 29. November 1949 über die Rückgabe der Tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft an Personen Deutscher Nationalität (Nr. 252/1949 Sb.) ein "Gesuch" zwingend erforderlich gewesen sei. Für eine willentliche Entscheidung des Vaters über die Annahme der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit spreche auch der Vermerk auf dem Erlass vom 13. April 1950, wonach er den vorgeschriebenen staatsbürgerlichen Eid abgelegt habe. Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit trete bei Annahme einer ausländischen Staatsbürgerschaft aber nur ein, wenn der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit dem Betreffenden bekannt war oder bekannt sein musste, was nur bei grober Fahrlässigkeit anzunehmen sei. Hierfür genüge die bloße Kenntnis der die Staatsangehörigkeit begründenden Tatsachen nicht. Erforderlich sei auch eine gewisse Rechtskenntnis, die das Niveau einer "Parallelwertung in der Laiensphäre" nicht unterschreiten dürfe. Da keinerlei Nachforschungsobliegenheit bestehe, wirke sich jede Unkenntnis der deutschen Rechtslage zugunsten des Betroffenen aus. Der Vater der Klägerin habe jedoch im Jahr 1950 nicht mit Sicherheit wissen können, ob er die deutsche Staatsangehörigkeit noch besitze. Denn bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit am 26. Februar 1955 sei die Wirksamkeit der unter der nationalsozialistischen Herrschaft angeordneten Sammeleinbürgerungen umstritten gewesen. Es habe hinsichtlich der Anerkennung dieser Sammeleinbürgerungen eine unterschiedliche Behörden- und Gerichtspraxis gegeben. Deshalb sei auch der Gesetzgeber von einer unklaren Rechtslage ausgegangen (BTDrucks 2/44 S. 6, BTDrucks 2/849 S. 1). Daher habe sich dem Vater der Klägerin die Fortgeltung seiner deutschen Staatsangehörigkeit im Jahr 1950 nicht aufdrängen müssen.

5

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 25 RuStAG (a.F.). Das Oberverwaltungsgericht habe sowohl an die Kenntnis als auch an das Kennenmüssen der deutschen Staatsangehörigkeit überzogene Anforderungen gestellt. Hinsichtlich der Kenntnis könne nicht gefordert werden, dass der Betroffene im Besitz einer Staatsangehörigkeitsurkunde der Bundesrepublik Deutschland sei oder über Rechtskenntnisse verfüge. Vielmehr müsse es genügen, wenn der Betreffende um die Tatsachen wisse, aus denen sich für ihn die Bewusstseinslage ergebe, deutscher Staatsangehöriger zu sein.

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Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht im Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es beruht auf einer unrichtigen Auslegung und Anwendung des § 25 Abs. 1 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes in der Fassung vom 22. Juli 1913 (RGBl I S. 583; im Folgenden: RuStAG a.F.), der im vorliegenden Zusammenhang mit § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG übereinstimmt.

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Das Oberverwaltungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die begehrte Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 BVFG beanspruchen könnte, wenn sie bei ihrer Übersiedlung im Jahr 2000 als deutsche Staatsangehörige Aufnahme im Bundesgebiet gefunden hätte (§ 100 Abs. 4 BVFG i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG a.F.). Die Klägerin ist jedoch nicht mit ihrer Geburt im Jahr 1957 deutsche Staatsangehörige geworden, weil ihr Vater durch den antragsgemäßen Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft bereits im Jahr 1950 seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatte. Er konnte ihr damit die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 RuStAG a.F. nicht mehr vermitteln.

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1. Nach § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. verlor ein Deutscher, der im Inland weder einen Wohnsitz noch einen ständigen Aufenthalt hatte, seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit.

10

a) Dieser allgemeine Verlusttatbestand fand auch bei Sudetendeutschen Anwendung, die - wie der Vater der Klägerin - im Wege der Sammeleinbürgerung nach dem "Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Tschechoslowakischen Republik über Staatsangehörigkeits- und Optionsfragen" vom 20. November 1938 (RGBl II S. 896) die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatten. Im Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit (StARegG) vom 22. Februar 1955 (BGBl I S. 65) wurde nicht nur die Rechtswirksamkeit dieses Staatsangehörigkeitserwerbs bestätigt. In § 2 StARegG wurde auch die Möglichkeit des zwischenzeitlichen Verlustes der Staatsangehörigkeit klargestellt. Der Gesetzgeber hielt insbesondere den Verlust nach § 25 RuStAG a.F. beim antragsgemäßen Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit für möglich (BTDrucks 2/44 S. 8). In diesem Punkt sollte keinerlei unterschiedliche Behandlung der kollektiv eingebürgerten Personen gegenüber anderen deutschen Staatsangehörigen erfolgen (vgl. BTDrucks 2/982 S. 2; Makarov, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, 2. Aufl. 1971, S. 334 m.w.N.)

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b) Der Vater der Klägerin hat die Tatbestandsmerkmale des § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. erfüllt. Er hatte seinen Wohnsitz und ständigen Aufenthalt nicht in Deutschland. Ferner hat das Oberverwaltungsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO in tatsächlicher Hinsicht bindend festgestellt, dass der Erwerb der tschechischen Staatsangehörigkeit auf einem Antrag des Vaters der Klägerin beruhte und auch freiwillig erfolgt ist.

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2. Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit scheidet auch nicht deshalb aus, weil der Vater der Klägerin beim Antragserwerb der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit nicht die erforderliche Kenntnis vom Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit hatte. Die vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Tatsachen lassen einen solchen Schluss nicht zu.

13

Das Oberverwaltungsgericht ist zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ein Deutscher seine Staatsangehörigkeit nur verliert, wenn ihm im Zeitpunkt des Antragserwerbs der ausländischen Staatsbürgerschaft der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit bekannt war oder hätte bekannt sein müssen (Urteil vom 10. April 2008 - BVerwG 5 C 28.07 - BVerwGE 131, 121 Rn. 25). Diese Einschränkung gilt bei § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. ebenso wie bei der derzeit geltenden Regelung des § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG. Das Berufungsgericht hat allerdings die bei der Prüfung dieser Kriterien anzulegenden Maßstäbe nicht richtig erfasst.

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a) Die den Anwendungsbereich des § 25 Abs. 1 Satz 1 RuStAG/StAG einschränkende Auslegung, nach der bei Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit auf Antrag die deutsche Staatsangehörigkeit nur verloren geht, wenn der Erwerber seine deutsche Staatsangehörigkeit kannte oder sie hätte kennen müssen, ergibt sich nicht nur aus der Vorschrift selbst, sondern ist zugleich mit Rücksicht auf den grundrechtlichen Schutz der Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG geboten (Urteil vom 10. April 2008 a.a.O.). Der mit § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. verbundene Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ist verfassungsrechtlich nur unbedenklich, wenn der deutsche Staatsangehörige den Eintritt der gesetzlichen Rechtsfolge in zumutbarer Weise beeinflussen kann (s.a. BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - BVerfGE 116, 24 <44>). Hierfür muss er auf der Grundlage eines freien Willensentschlusses selbstverantwortlich auch darüber bestimmen können, dass mit der Entscheidung für den antragsabhängigen Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit die daran geknüpfte gesetzliche Rechtsfolge des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit eintritt. Nur dann bringt der Antrag auf Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit objektiv die - die gesetzliche Verlustfolge legitimierende - selbstverantwortliche Entscheidung für die Hinwendung zu einer fremden Staatsangehörigkeit zum Ausdruck. Mit Rücksicht darauf ist die Kenntnis von der deutschen Staatsangehörigkeit grundsätzlich Voraussetzung dafür, dass ein den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit beantragender deutscher Staatsangehöriger auf den Verlust seiner Staatsangehörigkeit Einfluss nehmen kann. Das Wissen um die deutsche Staatsangehörigkeit setzt ihn in die Lage, von der ihm in § 25 Abs. 2 Satz 1 RuStAG a.F. (= § 25 Abs. 2 Satz 1 StAG) eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung zu beantragen und bis zu deren Erhalt auf den Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit zu verzichten oder im Falle der Ablehnung der Beibehaltungsgenehmigung seinen Schritt noch einmal zu überdenken (zuletzt Urteile vom 29. April 2010 - BVerwG 5 C 5.09 - NVwZ-RR 2010, 658 und - BVerwG 5 C 4.09 - juris Rn. 9).

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b) Für die Anforderungen, die im Einzelnen an die Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit im Rahmen des § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. zu stellen sind, kommt es maßgeblich auf das (wie auch immer erlangte) Bewusstsein der deutschen Staatsangehörigkeit an. Für die Entscheidung des Betroffenen ist wesentlich, dass er um seine deutsche Staatsangehörigkeit weiß, nicht wie er zu dieser Erkenntnis gelangt ist. Es kommt folglich nicht darauf an, dass der Antragsteller über ein vertieftes Wissen im Staatsangehörigkeitsrecht verfügt und zutreffend die rechtlichen Gründe für den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund einer juristischen Subsumtion oder Parallelwertung in der Laiensphäre darlegen kann. Es genügt das aufgrund von Erfahrungs- oder Indiztatsachen gewonnene Bewusstsein der staatsbürgerlichen Zugehörigkeit zum deutschen Staat. Denn die meisten Menschen gelangen zu der Überzeugung, die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen, nicht aufgrund rechtlicher Kenntnisse und Überlegungen. Der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit wird vielmehr regelmäßig aus Tatsachen gefolgert, wie vor allem aus dem Erhalt von amtlichen deutschen Urkunden und Ausweispapieren, die eine Person als deutschen Staatsangehörigen bezeichnen, oder z.B. aus Auskünften von Behörden, aber auch aus entsprechenden Belehrungen im Elternhaus und in der Schule, aus der Zugehörigkeit zu einer Familie mit deutscher Staatsangehörigkeit oder aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von kollektiv eingebürgerten Personen.

16

Das Bewusstsein, deutscher Staatsangehöriger zu sein, erfordert als Voraussetzung dafür, auf den Verlust der Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit Einfluss nehmen zu können, eine hinreichende Überzeugungsgewissheit. Das Bewusstsein der bloßen Möglichkeit oder einer geringen Wahrscheinlichkeit, im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit zu sein, reicht nicht aus. Absolute Gewissheit hingegen muss nicht vorliegen. Gewisse Zweifel sind unschädlich. So bestanden zwar an der Rechtsgültigkeit der vom Staatsangehörigkeitsregelungsgesetz erfassten Sammeleinbürgerungen in der Nachkriegszeit objektiv rechtliche Zweifel. § 2 StARegG ist aber - wie gezeigt - gleichwohl von der Möglichkeit des Verlusts nach § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. durch Antragserwerb ausgegangen. Dementsprechend wollte der Gesetzgeber für die zurechenbare Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit das Bewusstsein des Betroffenen ausreichen lassen, dass die durch eine Sammeleinbürgerung vermittelte deutsche Staatsangehörigkeit fortbesteht. Rechtliche oder tatsächliche Zweifel am (Fort-)Bestand der deutschen Staatsangehörigkeit berühren die erforderliche zurechenbare Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit nur und erst dann, wenn sie dem Betroffenen auch bekannt und bei einer objektiven Betrachtung geeignet sind, sich auf sein Bewusstsein, dass die deutsche Staatsangehörigkeit (fort-)besteht, auszuwirken.

17

c) Diesen Maßstäben entspricht das Berufungsurteil nicht, soweit es im Hinblick auf denkbare Zweifel an der Rechtswirksamkeit der Sammeleinbürgerung des Vaters der Klägerin allein darauf abgestellt hat, dass die Rechtslage im Jahr 1950 in der Bundesrepublik Deutschland noch ungeklärt und in der Rechtsprechung und Rechtspraxis der Besatzungszonen zwischen 1945 und 1955 umstritten war. Das Oberverwaltungsgericht hat damit allein objektive rechtliche Zweifel ausreichen lassen, ohne deren Eignung in den Blick zu nehmen, das subjektive Staatsangehörigkeitsbewusstsein des Vaters der Klägerin zu berühren.

18

d) Auch die Annahme des Berufungsgerichts, dem Vater der Klägerin hätte sich die Fortgeltung seiner deutschen Staatsangehörigkeit im Jahr 1950 nicht aufdrängen müssen, beruht auf diesem rechtlich unzutreffenden Ansatz. Die Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, der Vater der Klägerin habe bei Erwerb der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit keine Kenntnis seiner deutschen Staatsangehörigkeit gehabt, erweist sich auch nicht aus einem anderen Grund als zutreffend. Vielmehr lassen die vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen nur den Schluss zu, dass der Vater der Klägerin bei der Beantragung der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit in dem Bewusstsein gehandelt hat, noch die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen.

19

aa) Der Vater der Klägerin war nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ein deutscher Volkszugehöriger, der ausweislich der vorgelegten Schulzeugnisse die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrschte. Ob er im Jahr 1938 als Dreizehnjähriger die Annexion des Sudetenlands bewusst miterlebt hat und ob ihm bereits in der deutschen Schule das Bewusstsein vermittelt worden ist, nunmehr zum Deutschen Reich zu gehören und die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen, ist nicht festgestellt. Der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit musste sich dem Vater der Klägerin jedenfalls als Fünfzehnjährigem nach Abschluss des Schulbesuches aufdrängen, weil in seinem Arbeitsbuch unter Staatsangehörigkeit "Deutsches Reich" vermerkt war. Die Einberufung zur Deutschen Wehrmacht war ein weiteres Indiz. Schließlich wurde ihm in seinem Soldbuch, das als Personalausweis diente, der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit bescheinigt. Ist aber ein deutscher Volkszugehöriger - wie der Vater der Klägerin - im Besitz von Dokumenten, die ihn als deutschen Staatsangehörigen ausweisen, dann lässt dies regelmäßig den Schluss zu, dass er das Bewusstsein hat, deutscher Staatsangehöriger zu sein. Auch das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Vater des Klägers während des Zweiten Weltkrieges um seine deutsche Staatsangehörigkeit wusste.

20

bb) Bei dieser Sachlage, die mit den vom Senat bislang entschiedenen Sachverhalten nicht vergleichbar ist, kann die nach den Umständen anzunehmende Kenntnis des Vaters der Klägerin, deutscher Staatsangehöriger zu sein, nur dann in einer für die Anwendung des § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. beachtlichen Weise berührt werden, wenn sich aus anderen Tatsachen nicht nur objektiv, sondern auch aus Sicht des Betroffenen hinreichend gewichtige Zweifel am Fortbestand der bisherigen (deutschen) Staatsangehörigkeit ergeben. Solche Zweifel sind hier aber weder geltend gemacht noch erkennbar. Insbesondere musste sich bei deutschen Staatsangehörigen, die - wie der Vater der Klägerin - nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Tschechoslowakei verblieben sind, die Frage nach dem Fortbestand der deutschen Staatsangehörigkeit nicht ernsthaft stellen. Die Tschechoslowakei ging nämlich, wie das Oberverwaltungsgericht festgestellt hat, selbst von der Wirksamkeit der deutschen Sammeleinbürgerungen aus und betrachtete die verbliebenen Deutschen nicht als tschechoslowakische Staatsbürger. Aus dem Verhalten der tschechoslowakischen Behörden kann sich daher gegenüber dem Vater der Klägerin kein Indiz für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ergeben haben.

21

Auch aus den Zweifeln, die sich vor allem in der amerikanischen Besatzungszone am Fortbestand der deutschen Staatsangehörigkeit ergeben hatten, die aber z.B. in der britischen Besatzungszone nicht geteilt wurden (s. etwa Schätzel, AöR 74, 273 <299 f.>; s.a. Makarov, JZ 1952, 403 <405>; Augst, NJW 1950, 98), lässt sich entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht herleiten, dass der Vater der Klägerin hiervon Kenntnis hatte und dass dies sein Bewusstsein, Deutscher zu sein, erschüttert haben könnte.

22

Die Klägerin hat auch selbst keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen ließen, dass ihr Vater im Jahr 1950 das Bewusstsein verloren hätte, die deutsche Staatsangehörigkeit wahrscheinlich noch zu besitzen. Weder sie noch das Berufungsgericht haben behauptet oder gar belegt, dass der Vater der Klägerin im Jahr 1950 von der rechtlichen Diskussion in Deutschland über die generelle Rechtmäßigkeit der Sammeleinbürgerungen Kenntnis gehabt und sich die umstrittene Auffassung von der Völkerrechtswidrigkeit der Sammeleinbürgerungen zu eigen gemacht hätte.

23

cc) Selbst wenn aufgrund von - von dem Oberverwaltungsgericht nicht angenommenen und auch sonst nicht ersichtlichen - besonderen Umständen Rechtskenntnisse dahin unterstellt werden könnten, dass eine nach Besatzungszonen divergierende rechtliche Bewertung der auf einer Sammeleinbürgerung im Sudetenland gründenden deutschen Staatsangehörigkeit in der Nachkriegszeit bekannt gewesen ist, reichte dies für sich allein nicht aus. Denn dann wäre für den Regelfall davon auszugehen, dass eine Person, die aufgrund der Sammeleinbürgerung in der amerikanischen Zone mit Schwierigkeiten bei der Anerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit rechnete, auch darum wusste, dass z.B. in der britischen Besatzungszone ihre Anerkennung als deutscher Staatsangehöriger ohne weiteres zu erwarten war.

24

e) Im Übrigen ginge es hier ausnahmsweise nicht zu Lasten der Beklagten, wenn insoweit nicht ausräumbare Unklarheiten bestünden. Zwar gilt im Staatsangehörigkeitsrecht, dass der Bürger grundsätzlich für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit beweispflichtig ist, während die Behörde in der Regel die objektive Beweislast für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit trägt (Beschluss vom 16. Januar 1992 - BVerwG 9 B 192.91 - NVwZ-RR 1992, 439 <441>; BayVGH, Urteil vom 22. März 1999 - 11 B 96.2183 - DVBl 1999, 1218). Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ist allerdings in Bezug auf Tatsachen, die sich in der für behördliche Ermittlungen nur schwer zugänglichen Sphäre des Einzelnen bewegen, jedenfalls dann nicht sachgerecht, wenn dem Erwerber positiv bekannt gewesen ist, die deutsche Staatsangehörigkeit besessen zu haben, und nur zu beurteilen ist, ob er in der Folgezeit aufgrund objektiv feststellbarer Umstände an deren Fortbestand beachtliche Zweifel gehabt hat. Zumindest in dieser besonderen Fallkonstellation kann der Behörde die Darlegungs- und Beweislast für den Nachweis der Kenntnis vom Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit allenfalls dann auferlegt werden, wenn bereits beachtliche Zweifel des Erwerbers an deren Fortbestand dargelegt und bewiesen sind. Letzteres wäre aber hier - wie dargelegt - nicht der Fall.

25

f) Auf die nur im Fall der fehlenden Kenntnis zu prüfende Frage, ob der Vater der Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit hätte kennen müssen (vgl. dazu Urteil vom 29. April 2010 a.a.O.), kommt es nicht mehr an.

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit wird erworben

1.
durch Geburt (§ 4),
2.
durch Erklärung (§ 5),
3.
durch Annahme als Kind (§ 6),
4.
durch Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 Absatz 1 oder 2 des Bundesvertriebenengesetzes7),
5.
durch Einbürgerung (§§ 8 bis 16, 40b und 40c).

(2) Die Staatsangehörigkeit erwirbt auch, wer seit zwölf Jahren von deutschen Stellen als deutscher Staatsangehöriger behandelt worden ist und dies nicht zu vertreten hat. Als deutscher Staatsangehöriger wird insbesondere behandelt, wem ein Staatsangehörigkeitsausweis, Reisepass oder Personalausweis ausgestellt wurde. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit wirkt auf den Zeitpunkt zurück, zu dem bei Behandlung als Staatsangehöriger der Erwerb der Staatsangehörigkeit angenommen wurde. Er erstreckt sich auf Abkömmlinge, die seither ihre Staatsangehörigkeit von dem nach Satz 1 Begünstigten ableiten.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.