Verwaltungsgericht Greifswald Beschluss, 14. März 2016 - 4 B 649/16 As HGW
Gericht
Tenor
1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
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Zur Entscheidung über den Antrag ist gemäß § 76 Abs. 4 AsylG der Berichterstatter als Einzelrichter berufen.
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Der Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Januar 2016 anzuordnen,
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ist zulässig.
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Für die Klage und den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bescheid vom 19.Januar 2016 gilt die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO. Die im Bescheid enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung mit dem Hinweis auf die Klagemöglichkeit bei dem Verwaltungsgericht Schwerin ist fehlerhaft, denn seit dem 01. Januar 2016 ist nach der Landesverordnung zur Umsetzung des § 83 Abs. 3 AsylG vom 17. Dezember 2015 das Verwaltungsgericht Greifswald für die Bearbeitung von Klageverfahren von Asylbewerbern aus dem Herkunftsland Mauretanien zuständig.
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Der Antrag ist
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unbegründet.
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Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann aber gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers auf Aussetzung des Vollzuges das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. Dabei sind im Wesentlichen die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Erweist sich bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung der Bescheid als offensichtlich rechtswidrig, besteht ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht. Erweist sich der Bescheid demgegenüber bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, überwiegt das öffentliche Interesse an der Vollziehung das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, ohne dass es einer weiteren Interessenabwägung bedarf. Erweisen sich die Erfolgsaussichten der Klage als offen, folgt grundsätzlich aus der im gesetzlichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers ebenfalls ein überwiegendes öffentliches Interesse am Sofortvollzug des Verwaltungsaktes. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs.1 Satz 1 AsylG.
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An vorstehendem Maßstab gemessen war der Antrag abzulehnen, weil sich der angegriffene Bescheid nach der im Eilverfahren nur möglichen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtmäßig und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzend (§ 113 Abs. 1 VwGO) erweist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge(Bundesamt) hat zu Recht gemäß § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn angeordnet.
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Ungarn ist nach § 27 a AsylG i. V. m. der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
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Der Antragsteller reiste am 06. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 06. November 2015 einen Asylantrag. Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes (EURODAC-Treffer) hatte der Antragsteller am 24. August 2015 in Ungarn Asyl oder die Anerkennung als Flüchtling beantragt. Das nach der Dublin III-Verordnung an Ungarn gerichtete Übernahmeersuchen vom 12. November 2015 ist von den ungarischen Behörden bis heute nicht beantwortet worden, so dass die Stattgabe des Übernahmeersuchens fingiert (Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO) und Ungarn innerhalb der durch die Dublin III-VO gesetzten Fristen verpflichtet ist, den Antragsteller wieder aufzunehmen. Folglich kann die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn grundsätzlich durchgeführt werden.
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Es bestehen keine verfassungsrechtlichen oder europarechtlichen Bedenken dagegen, den Antragsteller auf Ungarn als den für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Staat zu verweisen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 -, juris, Rn. 80 ff., 94) gilt grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Genfer Flüchtlingskonvention steht. Das in der Dublin-Verordnung und in weiteren Rechtsakten geregelte Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) stützt sich – ähnlich wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (BVerfG, Urteil vom 14. Mai1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) – auf die Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und der Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist, ferner dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, 417; vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406). Davon kann nur dann abgesehen werden, wenn dieser zuständige Mitgliedsstaat sogenannte „systemische Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufweist, so dass die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gefahr für Asylbewerber besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Asylbewerber, wie bereits erwähnt, der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, Urteil vom 10. Dezember 2013, RS: 10-394/12, zit. n. juris). Diese Rechtsprechung mündete nunmehr in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO, der bestimmt, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird.
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An diesen nunmehr in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO normierten Ausnahmefall sind daher strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 07. März 2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790 ff.). Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK muss im Sinne einer Selbstbetroffenheit speziell auch gerade für den jeweiligen Rechtsschutzsuchenden in seiner konkreten Situation bestehen. Systemische Mängel bestehen (erst) bei einer reellen Unfähigkeit des gesamten Verwaltungsapparats zur Beachtung des Art. 4 EU-GR-Charta, was gleichbedeutend ist mit strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens haben. Die im jeweiligen nationalen Asylsystem festzustellenden Mängel müssen demnach so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig sind, sondern in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen. Dies kann einerseits darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind, andererseits aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Asylsystem - mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis - in weiten Teilen aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft defizitär ist und funktionslos wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, S. 1677 ff.; und Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, S. 1039 f; VGH BW, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, S. 77, 78 ff; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, zit n. juris.; OVG RP, Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, zit n. juris).
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Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat als Maßstab für die Beantwortung der Frage, ob Struktur und allgemeine Lage der Aufnahme im europäischen Zielstaat der Überstellung jegliches Überstellen von Asylbewerbern dorthin verhindern, in seiner jüngeren Rechtsprechung ausdrücklich benannt, ob eine Gleichgültigkeit der Behörden des betreffenden Staates vorliegt (vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014, Tarakhel ./. Switzerland, Nr. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff., juris Rn. 114 f., und Entscheidung vom 13. Januar 2015, A.M.E. ./. Netherlands, Nr. 51428/10, hudoc Rn. 34 u. 35), wie sie der EGMR im Fall M.S.S. ./. Belgien und Griechenland von Seiten Griechenlands gegenüber der stetig steigenden Zahl von Schutzsuchenden angenommen hat (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S. ./. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, Rn. 253 ff., 263 = NVwZ 2011 S. 413 ff.; VGH BW, Urteil vom 10. November 2014- A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, S. 77, 78 (zu Bulgarien)). Unerheblich ist, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kommen kann und ob ein Drittstaatsangehöriger einer solchen tatsächlich schon einmal ausgesetzt gewesen ist. Derartige Erfahrungen sind in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Überstellung vorliegen; nur in diesem begrenzten Umfang sind individuelle Erfahrungen zu berücksichtigen. Persönliche Erlebnisse Betroffener, die einige Jahre zurückliegen, können allerdings durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein. Individuelle Erfahrungen einer gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung führen hingegen nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens systemischer Mängel (Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, S. 1677 ff.).
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Bei Beachtung dieser Maßgaben bestehen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine systemischen Mängel des ungarischen Asylverfahrens und der dortigen Aufnahmebedingungen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO (so auch VG Ansbach, Beschluss vom 17.02.2016, AN 3 S 16.50035, zit. n. juris). Dies gilt nach Einschätzung des Gerichts namentlich soweit der einzelne internationalen Schutz begehrende Drittstaatsangehörige - wie der Antragsteller im Streitfall - gerade keinem besonderen schutzwürdigen Personenkreis angehört. Mit den beiden Urteilen des EGMR sowohl vom 6. Juni 2013 in der Sache Mohammed ./. Österreich - Nr. 2283/12 -, und vom 03. Juli 2014 in der Sache Mohammadi ./. Österreich - Nr. 71932/12 -, geht das Gericht in Bezug auf den Ablauf und die Durchführung von Asylverfahren in Ungarn sowie der Behandlung von Dublin-Rückkehrern davon aus, dass das ungarische Asylsystem und die Aufnahmebedingungen keine systematischen Defizite aufweisen. Obwohl der EGMR in seiner (ersten) Entscheidung vom 06. Juni 2013 - Nr. 2283/12 - noch deutlicher von alarmierenden Berichten über die Verhältnisse in Ungarn in den Jahren 2011 und 2012 ausging, hat er zuletzt in seiner Entscheidung vom 03. Juli 2014 - Nr. 71932/12 - ausdrücklich hervorgehoben, dass angesichts der seinerzeit festzustellenden Änderung des Asylrechts wie auch der tatsächlichen Behandlung von Drittstaatsangehörigen in Ungarn zu Beginn des Jahres 2014 Art. 3 EMRK eine Rückführung eines Asylsuchenden dorthin nach den Dublin-Regularien gerade nicht entgegensteht. Dabei hat sich der EGMR ausdrücklich unter genauerer Darstellung des jeweiligen Inhalts auf im Einzelnen näher bezeichnete und ausgewertete Stellungnahmen verschiedener Regierungs- wie Nichtregierungsorganisationen gestützt, die zeitlich bis ins Jahr 2014 hineinreichten. Insgesamt seien Verbesserungen des Asylsystems einschließlich der Abschiebehaftbedingungen und auch der Rechtsschutzmöglichkeiten festzustellen (vgl. EGMR, Urteil vom 03. Juli 2014, Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12).
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Danach ist nicht von systematischen Inhaftierungen von Asylsuchenden in Ungarn auszugehen (Auswärtiges Amt, Auskunft an Bay. Verwaltungsgericht Regensburg vom 27.01.2016). Die ungarischen Inhaftierungsvorschriften entsprechen bei summarischer Betrachtung den Vorgaben des Europäischen Rechts, insbesondere den in Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33/EU – Aufnahmerichtlinie – genannten Haftgründen. Asylhaft darf nicht nur deshalb angeordnet werden, weil ein Asylantrag gestellt wurde (Auswärtiges Amt, Auskunft an Bay. Verwaltungsgericht Regensburg vom 27.01.2016). Ein Antragsteller darf nur in Haft genommen werden, um u.a. Beweise zu sichern, auf die sich sein Antrag auf internationalen Schutz stützt, und die ohne Haft unter Umständen nicht zu erhalten wären, insbesondere, wenn Fluchtgefahr besteht, was naheliegend ist, wenn ein Asylbewerber bereits einmal illegal Ungarn verlassen hat, um in einem anderen Mitgliedstaat einen weiteren Asylantrag zu stellen. Die Verhängung der Asylhaft ist nach vorheriger Einzelfallprüfung nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch die Anwendung weniger einschneidender Alternativen zur Inhaftierung erreicht werden kann, etwa durch die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit, die Pflicht, sich an einem zugewiesenen Ort aufzuhalten oder Meldeauflagen. Gegen die Anordnung der Asylhaft als solches gibt es kein eigenständiges Rechtsmittel; die Haft wird allerdings insoweit richterlich überprüft, dass dies erstmals nach 72 Stunden und in der Folgezeit in 60-Tages-Intervallen erfolgt (vgl. zu den Einzelheiten der Asylhaft: Auswärtiges Amt, Bericht an das VG Düsseldorf vom 19. November 2014- 508-9-516.80/48135, juris Mitteilungen, S. 2 f). Diese Regelungen zur Asylhaft und ihre tatsächliche Anwendung hat der EGMR bereits bei seiner Entscheidung vom 03. Juli 2014 - Nr. 71932/12 - berücksichtigt, da er u.a. auf den „aida-Country Report Hungary“ des Ungarischen Helsinki-Komitee vom 30. April 2014, der von Mitgliedern des `Hungarian Helsinki Committee (HHC)´ geschrieben und von `European Council on Refugees and Exiles (ECRE)´ herausgegeben wurde, abgestellt hat. Dem ist zu entnehmen, dass in der Zeit zwischen Juli und Dezember 2013 etwa 26 % aller Asylbewerber und etwa 42 % der männlichen Asylbewerber inhaftiert worden sind; ferner bestehen in den Haftanstalten nicht unerhebliche Mängel auf den Gebieten der Wohnverhältnisse, der Wasserqualität und der Versorgung mit Putz- und Reinigungsmitteln. Dem nach dieser Rechtsprechung entstandenen Bericht "aida - Country-Report Hungary" Stand 17. Februar 2015 sind für das gesamte Jahr 2014 keine nennenswert höheren Haftzahlen als die soeben dargestellten wie auch keine Verschlechterung der bereits früher festgestellten mäßigen Haftbedingungen zu entnehmen. Ähnliche Zahlen und Umstände haben den EGMR gerade nicht veranlasst, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK bei der Behandlung von Asyl begehrenden Drittstaatsangehörigen in Ungarn festzustellen.
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Des Weiteren ist nicht ersichtlich, dass die ungarische Asylhaftpraxis die Grenzen des europäischen Rechts systematisch überschreitet, selbst wenn entsprechend der Auskunft des UNHCR vom 09. Mai 2014 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf Dublin-Rückkehrer regelmäßig inhaftiert werden, weil und soweit die ungarischen Behörden einen Haftgrund im Einklang mit dem europäischen Unionsrecht annehmen. Aus den vorliegenden Erkenntnissen ergibt sich, dass im Einzelfall auch von einer Asylhaft abgesehen werden kann und auch abgesehen wird, mithin die tatsächlichen Umstände des Einzelfalles bei einer Haftanordnung berücksichtigt werden. Haftprüfungen durch die Gerichte sind möglich (BAMF, Lagebericht zum Mitgliedsstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim Ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016; Auswärtiges Amt, Auskunft an Bay. Verwaltungsgericht Regensburg vom 27.01.2016). Auch die Dauer der Asylhaft ist nach dem ungarischen System an das Fortbestehen eines Haftgrundes gekoppelt. Hinsichtlich der Haftbedingungen wird auf die Auskunft von bordermonitoring.eu in Kooperation mit Pro Asyl und dem Ungarischen Helsinki Komitee an das VG Düsseldorf vom 30. Oktober 2014 zum Verfahren 13 K 501/14, ebenso VG Düsseldorf, Beschl. vom 30. Juli 2015, - 13 L 1802/15.A -, verwiesen. Danach wird die Asylhaft getrennt von der Immigrations- oder der Strafhaft durchgeführt. Familien und verheiratete Paare werden in gesonderten Bereichen untergebracht, wobei die besonderen Bedürfnisse von Familien Berücksichtigung finden sollen. Minderjährige, die zusammen mit ihren Familien inhaftiert werden, sollen ihrem Alter entsprechend Zugang zu schulischen und außerschulischen Aktivitäten erhalten. Überbelegungen finden nicht statt. Auch werden die Inhaftierten tagsüber nicht in Zellen eingesperrt. Eine medizinische Grundversorgung ist gewährleistet und Sanitäter bzw. Krankenschwestern sind permanent anwesend. Von nachhaltigen oder durchgehenden hygienischen oder Versorgungsmängeln wird nicht berichtet, wenngleich es in einzelnen Hafteinrichtungen in der Vergangenheit zu Mängeln in der Reinigung einzelner Waschräume gekommen ist. Ebenso stehen Computerräume mit Internetzugang und Fitnessräume zur Verfügung (vgl. auch VG Hamburg, Beschluss vom 18. Februar 2015 – 2 AE 354/15 –, zit n. juris). Hinsichtlich der Versorgung mit Lebensmitteln ist nach dem genannten Bericht der Nährwert des angebotenen Essens in einer Verordnung des Innenministeriums geregelt, religiöse und medizinische Besonderheiten werden in der Regel berücksichtigt. Auch wenn die schlechte Qualität des Essens und eine zu frühe Ausgabe des Abendessens thematisiert worden ist, ergeben sich hieraus keine systemischen Mängel im Sinne der genannten Rechtsprechung. Ebenso gehen in ihren Entscheidungen u.a. das VG Hamburg (Beschluss vom 18. Februar 2015 – 2 AE 354/15 –, juris), das VG Regensburg (Urteil vom 20. Februar 2015 – RN 3 K 14.50264 -, juris), das VG Leipzig (Urteil vom 3. März 2015 – A 6 K 2089/14 -), das VG München (Beschluss vom 30. März 2015 – M 12 S 15.50022 -), das VG Düsseldorf (Beschluss vom 30. Juli 2015 - 13 L 1802/15.A, Beschluss vom 1. April 2015 – 13 L 1031/15.A – und Beschluss vom 13. April 2015 – 8 L 94/15.A -), das VG Saarlouis (Beschluss vom 1. April 2015 – 3 L 184/15 –) und das VG Gelsenkirchen (Beschluss vom. 10. April 2015 – 18a L 453/15.A) unter Ablehnung systemischer Mängel auf die Inhaftierung Asylsuchender in Ungarn ein.
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Zudem sieht die Richtlinie 2013/33 (EU) des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96 vom 29. Juni 2013; so gen. Aufnahmerichtlinie), ausdrücklich die Möglichkeit zur Inhaftierung von Asylantragstellern vor (Erwägungsgründe 15 bis 20 sowie Art. 8 bis Art. 11 RL 2013/33/EU). In ihrer ungarischen Handhabung erfolgt die Inhaftierung nicht wegen der Stellung eines Asylantrags, sondern wegen solcher Umstände, die das individuelle Verhalten des Drittstaatsangehörigen vor und bei der Antragstellung kennzeichnen. Zudem hat ein Dublin-Rückkehrer bereits durch seine Weiterreise z.B. in die Bundesrepublik belegt, dass er sich nach seiner erkennungsdienstlichen Behandlung/Erfassung in Ungarn dem ungarischen Asylverfahren entzogen hat und offensichtlich nicht dort verbleiben wollte.
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Auch die Aufnahmepraxis von Asylantragstellern und Dublin-Rückkehrern in Ungarn führt nach Auffassung des Gerichts nicht zur Annahme von systemischen Mängeln. Das Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 03. August 2015 – Au 5 K 15.50347, dem sich das erkennende Gericht anschließt, führt dazu aus: „Die Stellungnahme des Hungarian Helsinki Committee (HHC) aus Mai 2014 (Information Note on Asylum-Seekers in Detention and in Dublin Procedures in Hungary), auf die u.a. sich auch der EGMR in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2014 - Nr. 71932/12 - gestützt hat, lässt keine andere Beurteilung zu. Nach den zum 01. Januar 2014 erfolgten Änderungen im ungarischen Asylgesetz als genereller Reglung haben nunmehr Rückkehrer nach den Dublin-Regularien - bis auf einen Ausnahmefall - einen garantierten Zugang zum Asylverfahren und einer vollständigen Untersuchung ihres Asylbegehrens. Der Bericht von "aida, Asylum Information Database, Country Report Hungary" mit Stand 17. Februar 2015 stellt insgesamt heraus, dass im Jahr 2014 mehr als 42.000 Asylsuchende um internationalen Schutz nachgesucht haben, was einen Anstieg im Vergleich zum Jahr 2013 von 226% ergab. Die Behandlung unbegleiteter Kinder entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Stellt eine aus welchen Gründen auch immer verhaftete Person einen Asylantrag, wird das Verfahren beschleunigt bearbeitet. Rechtsschutz mit kostenloser Unterstützung wird nicht immer und nur mit Schwierigkeiten gewährt (S. 14-19). Dublin-Rückkehrer haben - anders als im Jahr 2013 - Zugang zum Asylverfahren, ihr Asylbegehren wird vollständig geprüft (S. 21). Es gibt keinen Mechanismus im Asylverfahren, um schutzbedürftige Asylsuchende zu erkennen, allerdings bestehen besondere Vorkehrungen im Verfahren für diese Personengruppe. Medizinisches oder psychologisches Personal kann einbezogen werden, um eine notwendige Behandlung zu erhalten. Bei Personen die dem Gesetz nach nicht voll handlungsfähig sind, wie Kindern oder psychisch Kranken, wird im Regelfall ein besonderes staatliches Büro unterrichtet oder ein Vertreter zugewiesen (S. 32 f.). Im Bedarfsfall werden medizinische Stellungnahmen nach einer entsprechenden Anfrage des Asylsuchenden eingeholt (S. 33 f.). (Unbegleitete) Minderjährige werden grundsätzlich erfasst, Minderjährigkeit kann festgestellt werden (S. 34-36). Asylsuchende werden als Erstantragsteller den nationalen Bestimmungen zufolge registriert und behandelt. Wirkt ein Asylsuchender nicht ausreichend mit, kann dies u.U. zu finanziellen Konsequenzen bei der Tragung der Unterbringungs- und Behandlungskosten führen. Es liegen bislang keine Erkenntnisse vor, dass Asylsuchende nicht tatsächlich untergebracht werden. In Aufnahmeeinrichtungen werden Asylsuchende mit Essen versorgt, erhalten Hygieneartikel und Taschengeld; Kinder, Alleinerziehende und über 60-Jährige erhalten einen Betrag über 25 % der niedrigsten Rente (95 EUR), andere Erwachsene weniger. Im Jahr 2014 betrug die Verweildauer von Personen in den Asylunterkünften länger als 5 Monate. Die staatlichen Unterbringungszentren werden von Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Frauen werden regelmäßig mit Familien auf einem Flur untergebracht. Unbegleitete Kinder werden in einer gesonderten Einrichtung aufgenommen. Familien werden während des Asylverfahrens nicht getrennt. Die Bedingungen in den Unterbringungszentren sind nicht einheitlich. Überall gibt es drei Mahlzeiten am Tag. Es kann überwiegend auch selbständig gekocht werden. Die Menschen teilen sich Räume. Psychologische Betreuung und Psychotherapie für traumatisierte Asylsuchende wird von Nichtregierungsorganisation angeboten (S. 40-44). Es erfolgt keine Erfassung von besonderen Aufnahmebedürfnissen für vulnerable Personen (S. 45 f.). Nicht inhaftiere Asylsuchende können sich frei im Land bewegen, dürfen ihre Unterbringungseinrichtung aber nur weniger als 24 Stunden verlassen. Um die monatlichen Geldzahlungen zu erhalten müssen Asylsuchende wenigstes 25 Tage im Monat in der Einrichtung sein (S. 46 f.). Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist gewährleistet; Allgemeinmediziner sind in den Unterbringungszentren regelmäßig unter der Woche verfügbar, Fachärzte nur in Notfällen (S. 49 f.). Im Jahr 2014 waren mehr als 4.800 Asylsuchende inhaftiert; die Haftplätze sind fast vollständig belegt. Es gibt keine besonderen Kategorien von Asylsuchenden die inhaftiert werden. Familien werden gemeinsam in einer gesonderten Einrichtung in Haft genommen (S. 51). Diese Umstände begründen allerdings keine systematischen Defizite des Asylsystems“.
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Hintergrund der Verbesserung in Ungarn im Laufe des Jahres 2013/2014 ist, so das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 28. Juli 2015 - 7a L 1481/15.A -, die zur Bewältigung der durch die massive Flüchtlingswelle namentlich von Schutzsuchenden aus Syrien und dem Irak entstandenen Flüchtlingskrise von der EU gewährte finanzielle, logistische und personelle Unterstützung. Die Hilfen und bereits erreichten Verbesserungen lassen zudem mittel- und langfristig eine weitere Besserung der Zustände erwarten. Gerade dass der UNHCR zu Ungarn kein - wie etwa im Vergleich zu den Verhältnissen in den Mitgliedstaaten Griechenland und Bulgarien - ausdrückliches Positionspapier gegen eine Überstellung von Asylsuchenden nach den Regeln der Dublin III VO verfasst hat, hat den EGMR veranlasst anzunehmen, der betroffene Drittstaatsangehörige sei keines individuellen realen Risikos ausgesetzt gewesen, als Asylantragsteller in Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK unterworfen zu werden (vgl. EGMR, Urteil vom 03. Juli 2014, Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12, Rn. 69 f. und 74 f.).
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Den Berichten des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort kommt nach Auffassung des Gerichts besondere Bedeutung zu. Dies begründet sich mit dem dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Amt für die Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens (EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013, C 528/11, NvWZ-RR 2013, 660). Aus der Berichtslage des UNHCR zu Ungarn lässt sich nicht ableiten, dass die Funktionsfähigkeit des ungarischen Asylsystems durch systemische Mängel beeinträchtigt oder geprägt ist. Trotz der besonderen Bedeutung Ungarns als Transitland bis zur Schließung seiner Grenzen zu Serbien (September 2015) und Kroatien (Oktober 2015) für die Balkanroute nutzende Flüchtlinge gibt es, wie vorstehend schon ausgeführt, keine Empfehlung des UNHCR, Asylbewerber im Rahmen des Dublin-Verfahrens nicht nach Ungarn zu überstellen. Ebenso fehlt es an einer Empfehlung des UNHCR zur Beachtung der Aufnahme und Verfahrensregelungen der Dublin-Verordnungen in nationales Recht, wie sie für andere Staaten abgegeben worden sind, z. B. für Tschechien (FAZ vom 27.10.2015). Aus dem Bericht von UNHCR Deutschland - vom 25. November 2014 an das VG Düsseldorf ergibt sich kein Anlass, für eine andere Bewertung. Darin stellt UNHCR Deutschland heraus, dass der UNHCR (international) die Veränderungen im ungarischen Asylsystem ab dem Jahr 2014 begrüßt und Dublin-Rückkehrer von staatlicher wie auch nichtstaatlicher Seite unterstützt werden, zumal es in Ungarn ein neu aufgelegtes Unterstützungsprogramm gibt. UNHCR (international) befürchtet für Personen, die den subsidiären oder internationalen Schutz erhalten haben, dass diese nicht an den ansonsten eingetretenen Verbesserungen für Schutz suchende Drittstaatsangehörige teilhaben. Die zusammengetragenen kritischen Berichte erfassen zudem oft einen Zeitraum vor dem Jahr 2014, namentlich die Jahre 2012 und 2013, die auch der EGMR beurteilt hat, ohne eine beachtliche Gefahr einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung von Asylantragstellern festgestellt zu haben. Die weitgehend deutschsprachigen Stellungnahmen von bordermonitoring.eu an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. Oktober 2014 bzw. an das Verwaltungsgericht München vom 30. Oktober 2014 ergeben für den Antragsteller ebenfalls keine andere Bewertung. Darin werden nämlich die bereits zuvor dargestellten Umstände um die Anwendung der Asylhaft weitestgehend bestätigt, ohne greifbar eine Verschlechterung aufzuzeigen.
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Ebenfalls nicht geeignet ein anderes rechtliches Ergebnis zu begründen ist der Umstand, dass in Ungarn am 1. August 2015 ein Asylverfahrensgesetz in Kraft getreten ist, welches die Rechte von Asylsuchenden (nochmals) einschränkt. Die materielle Verschärfung des Asylrechts insbesondere dergestalt, dass Asylanträge abgelehnt werden dürfen, wenn Asylsuchende über sichere Transitstaaten (Serbien) eingereist sind, führt nicht per se zum Vorliegen systemischer Mängel. Auch das deutsche Asylrecht kennt derartige einschränkende Bestimmungen (§ 26a AsylG). Das Gericht hat keine Anhaltspunkte dafür, dass davon ausgegangen werden müsse, dass dadurch ein Verstoß gegen das Refoulment-Verbot zu befürchten sein muss (so aber VG Düsseldorf, Beschluss vom 3. September 2015, - 22 L 2944/15.A -). Es handelt sich bei der Entscheidung, sichere Drittstaaten zu definieren, um eine nationale Entscheidung, hier Ungarns. In der Bundesrepublik Deutschland ist Serbien inzwischen nach dem Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarkzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer vom 31. Oktober 2014 (BGBl. I Nr. 49 S. 1649) als sicherer Herkunftsstaat eingestuft. Die Annahme, es sei äußerst zweifelhaft, ob dortige Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen den europäischen Mindestanforderungen entsprechen, ist nicht mit konkreten Anhaltspunkten unterlegt. Soweit sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 3. September 2015 auf eine Mitteilung des Europäischen Kommissars für Menschenrechte bezieht, ist dies ein Schreiben vom 27. November 2013 und damit wohl überholt. Im Übrigen bestehen Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Entscheidung ungarischer Behörden, den Asylbewerber in einen nach ungarischem Recht sicheren Drittstaat abzuschieben (BAMF, Lagebericht zum Mitgliedsstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim Ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016).
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Auch liegen derzeit keine auf Tatsachen beruhenden Erkenntnisse darüber vor, dass Dublin-Rückkehrer systematisch von Ungarn nach Serbien abgeschoben würden. Tatsächlich lehnt Serbien derzeit die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn ab, da aus serbischer Sicht nicht nachgewiesen werden könne, dass die Antragsteller tatsächlich über Serbien nach Ungarn eingereist seien (BAMF, Lagebericht zum Mitgliedstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016). Sofern teilweise darauf abgestellt wird, es könne angesichts der neuen Gesetzeslage nicht ausgeschlossen werden, dass auch Dublin-Rückkehrer nach Serbien abgeschoben werden und darauf die Annahme systemischer Mängel in Ungarn für diese Personengruppe gestützt werden (z. B. VG Düsseldorf, Beschluss vom 20.August 2015 – 15 L 2556/15.A-, juris), folgt das Gericht dieser Auffassung nicht, da sich hierfür aus den Erkenntnisquellen keine Anhaltspunkte ergeben.
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Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte für systemische Mängel wegen drohender Obdachlosigkeit von Schutz suchenden Drittstaatsangehörigen in Ungarn greifbar (vgl. dazu insgesamt mit genauerer Darlegung: VG Düsseldorf, Beschluss vom 2. September 2014 - 6 L 1235/14.A -, Juris Rn. 84 ff. und Urteil vom 20. März 2013 - 13 K 501/14 -, juris Rn. 79 ff), die an die zumindest seinerzeit sehr weitgehend verbreitete Obdachlosigkeit unter dem griechischen Asylsystem hin zu einer behördlichen Gleichgültigkeit (vgl. dazu: EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 M.S.S. ./. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, Rn. 253 ff., 263= NVwZ 2011 S. 413 ff.; BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 2012 - 10 B 16/12 -, InfAuslR 2013, S. 45 f.), heranreicht. Es ist im gesamten Jahr 2014 gerade kein Fall bekannt, in dem einem Asylantragsteller - etwa wegen Überbesetzung der Unterbringungseinrichtungen - in Ungarn kein Obdach gewährt worden ist (vgl. aida, Asylum Information Database, Country Report Hungary, Stand 17. Februar 2015, S. 43; und bereits National Country Report Hungary, Stand 30. April 2014, S. 40). Vielmehr wurden im Sommer 2015 beim Erreichen der Kapazitätsgrenzen Maßnahmen ergriffen, um eine Unterbringung der Flüchtlinge zu gewährleisten, z. B. wurden Zelte errichtet, Gemeinschaftsräume zu Wohnräumen umgewidmet oder Container aufgestellt (Auswärtiges Amt, Auskunft an Bay. Verwaltungsgericht Regensburg vom 27.01.2016).
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Der Nichtannahme systemischer Mängel stehen nach Auffassung des Gerichts auch nicht die aktuellen Ereignisse der letzten Monate in Ungarn einschließlich der Schließung seiner Grenzen für Flüchtlinge entgegen, die aus Sicht des Gerichts keine verallgemeinerungsfähige Schlussfolgerung im oben genannten Sinne zulassen.
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Dabei ist zum einen insbesondere die Erklärung des ungarischen Ministerpräsidenten vom 23. Juni 2015 in den Blick zu nehmen, wonach keine Flüchtlinge nach der Dublin-VO mehr aufgenommen werden, da die Aufnahmekapazität erschöpft sei. Das „Boot sei voll“ und die ihnen „zur Verfügung stehenden Ressourcen“ seien erschöpft (vgl. FAZ vom 24. Juni 2015). Allerdings kann daraus kein nachhaltiger Hinweis eines an die Dublin III-VO gebundenen Staates auf das Vorliegen systemischer Schwachstellen im erörterten Sinne abgeleitet werden. Der ungarische Außenminister hat am nächsten Tag dazu erklärt, dass keine Rede davon sein könne, dass Ungarn EU-Regelungen suspendiere, sondern dass man lediglich um eine Nachsichtfrist bitte, damit Ungarn die mit dem Eintreffen der Vielzahl von Asylbewerbern einhergehenden Herausforderungen bewältigen könne (vgl. FAZ vom 25. Juni 2015). Es ist für das Gericht durchaus nachvollziehbar, dass es bei den exorbitant hohen Asylbewerberzugangszahlen in Ungarn, seit Anfang des Jahres 2015 etwa 72.000 Migranten (vgl. spiegelonline, „überlastetes Asylsystem, Ungarn verschärft Gesetz zur Aufnahme von Flüchtlingen, Bericht vom 06.07.2015, zitiert nach VG Kassel, Beschluss vom 07. August 2015, - 3 L 1303/15. KS.A -), innerhalb des kurzen Zeitraums zu den gegenläufigen Erklärungen zu einer Erhöhung der erschöpften Aufnahmekapazität gekommen ist. Ein solches Reaktionsmuster konnte in letzter Zeit auch in der Bundesrepublik Deutschland festgestellt werden. Trotz der gegenläufigen Erklärungen der ungarischen Regierung hat das Gericht keine durchgreifenden Zweifel daran, dass Ungarn an dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens festhält und damit jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen kann, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlagen in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll sowie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten finden (so auch VG Schwerin, Beschluss vom 10. August 2015, - 5 B 2575/15 As SN; Beschluss vom 27. Juli 2015, - 3 B 2556/15 As SN; VG Dresden, Beschluss vom 09. September 2015, - 2 L 719/15.A; anders aber Verwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 12. August 2015 – 3 L 816/15 –; VG Kassel, Beschluss vom 07. August 2015, - 3 L 1303/15.KS.A -, VG Köln, Urteil vom 15.Juli 2015,- 3 K 2005/15.A -, alle zitiert nach juris).
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Sofern zum anderen in Medien Aufnahmen und Bilder zur Lage der Asylbewerber in Ungarn gezeigt werden, wonach dort chaotische Verhältnisse herrschen, handelt es sich um Momentaufnahmen, die nach Auffassung des Gerichts der u.a. auch Ungarn „überflutenden Asylbewerberwelle“ geschuldet sind. Es ist bei der Bewertung zu berücksichtigen, dass sich zahlreiche Asylbewerber einer geordneten Aufnahme in Ungarn gezielt entziehen. Die Darstellungen geben nicht hinreichend die von den ungarischen Behörden angebotene und angewandte tatsächliche, auf eine durch EU-Recht gestützte, rechtlich gesicherte Aufnahmelage wieder.
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Nach alledem kann nicht von einem systemischen Mangel in Ungarn ausgegangen werden. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die Frage von einzelnen Gerichten anders beantwortet wird. Aus den vorgenannten Erwägungen sieht sich das erkennende Gericht daran gehindert, deren Bewertung zu folgen.
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Eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Durchführung des Asylverfahrens ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass nur ein geringer Teil derjenigen Asylbewerber, deren Asylantrag nach den Regelungen der Dublin III-Verordnung als unzulässig abgelehnt und deren Abschiebung nach Ungarn angeordnet worden ist, bisher auch nach Ungarn abgeschoben werden konnte. So hat Ungarn ausweislich der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE – BT Drucksache 18/6860 vom 30. November 2015 im 3. Quartal des Jahres 2015 bei 4303 von Deutschland gestellten Übernahmeersuchen in 2570 Fällen die Zustimmung erteilt, tatsächlich sind in diesem Zeitraum jedoch nur 40 Überstellungen erfolgt, was einer Überstellungsquote bezogen auf die erteilten Zustimmungen von nur 1,56 % ergibt (zit. n. VG Köln, Urteil vom 22. Dezember 2015, 2 K 3464/15.A, zit. n. juris). Im Oktober 2015 hat Deutschland 28 und im November 2015 13 Personen nach Ungarn überstellt (BAMF, Lagebericht zum Mitgliedsstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim Ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016). Die vom Verwaltungsgericht Köln angeführte hohe Anzahl der Übernahmezustimmungen, immerhin in mehr als 50 % der Übernahmeersuchen, belegt, dass sich Ungarn seiner europarechtlichen Verpflichtungen bewusst ist. Die geringe Zahl der tatsächlich erfolgten Überstellungen ändert daran nach Auffassung des Gerichts nichts. Sie begründet auch kein Vollzugsdefizit bei der Überstellung, welches einer rechtmäßigen Abschiebungsanordnung entgegenstehen würde, weil bekannt sei, dass eine jedenfalls einigermaßen zeitnahe Überstellung des Antragstellers nach Ungarn erkennbar nicht möglich und die Abschiebung nach Ungarn letztlich von Zufälligkeiten abhängig sei (so VG Köln, Urteil vom 22. Dezember 2015, 2 K 3464/15.A, zit. n. juris). Das vom Verwaltungsgericht Köln herangezogene Zahlenmaterial betrifft einen Zeitraum, in dem Ungarn von Flüchtlingen, die nach Österreich, Deutschland oder in Länder Skandinaviens wollten, noch als Haupttransitland genutzt wurde. Dementsprechend belastet war das ungarische Asylsystem. Eine zusätzliche Rücknahme von rücküberstellten Flüchtlingen stellte insofern für Ungarn ein zusätzliches Problem, insbesondere ein Kapazitätsproblem, dar. Der große Flüchtlingsstrom nach Ungarn, auch von Flüchtlingen, die in Ungarn um Schutz nachgesucht und das Land nicht nur zur Durchreise genutzt haben, ist mit der Schließung der ungarischen Grenzen zu Serbien und Kroatien gestoppt. Der Rückgang der Belastung des Asylsystems ist damit vorprogrammiert, so dass Ungarn wieder in die Lage versetzt wird, diejenigen Flüchtlinge und Schutzsuchenden, zu deren Rücknahme Ungarn europarechtlich verpflichtet ist, tatsächlich auch wieder aufnehmen zu können. Das Gericht geht daher davon aus, dass sich die tatsächliche Rücknahmequote künftig beträchtlich erhöhen wird. Diese Annahme gründet sich auch darauf, dass Ungarn eine weitere Änderung seines Asylgesetzes vorbereitet, die unter anderem dem Inhalt des Art. 18 Abs. 2 Dublin III-VO Rechnung trägt und die aktuelle Verwaltungspraxis der Asylbehörde dahingehend konkretisiert, dass der Asylantrag eines Dublin-Rückkehrers vollumfänglich geprüft wird, auch wenn das Erstverfahren endgültig eingestellt wurde (BAMF, Lagebericht zum Mitgliedsstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim Ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016; Auswärtiges Amt, Auskunft an Bay. Verwaltungsgericht Regensburg vom 27.01.2016).
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Außergewöhnliche humanitäre Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Artikel 17 Abs. 1 Dublin III-VO liegen nicht vor; die Abschiebung kann auch im Sinne des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchgeführt werden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
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Rechtsmittelbelehrung:
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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(1) Die Kammer soll in der Regel in Streitigkeiten nach diesem Gesetz den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn nicht die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor der Kammer mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, dass inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.
(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage ergibt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.
(4) In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entscheidet ein Mitglied der Kammer als Einzelrichter. Der Einzelrichter überträgt den Rechtsstreit auf die Kammer, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn er von der Rechtsprechung der Kammer abweichen will.
(5) Ein Richter auf Probe darf in den ersten sechs Monaten nach seiner Ernennung nicht Einzelrichter sein.
(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.
(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.
(1) Streitigkeiten nach diesem Gesetz sollen in besonderen Spruchkörpern zusammengefasst werden.
(2) Die Landesregierungen können bei den Verwaltungsgerichten für Streitigkeiten nach diesem Gesetz durch Rechtsverordnung besondere Spruchkörper bilden und deren Sitz bestimmen. Die Landesregierungen können die Ermächtigung auf andere Stellen übertragen. Die nach Satz 1 gebildeten Spruchkörper sollen ihren Sitz in räumlicher Nähe zu den Aufnahmeeinrichtungen haben.
(3) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung einem Verwaltungsgericht für die Bezirke mehrerer Verwaltungsgerichte Streitigkeiten nach diesem Gesetz hinsichtlich bestimmter Herkunftsstaaten zuzuweisen, sofern dies für die Verfahrensförderung dieser Streitigkeiten sachdienlich ist. Die Landesregierungen können die Ermächtigung auf andere Stellen übertragen.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz hat nur in den Fällen des § 38 Absatz 1 sowie des § 73b Absatz 7 Satz 1 aufschiebende Wirkung. Die Klage gegen Maßnahmen des Verwaltungszwangs (§ 73b Absatz 5) hat keine aufschiebende Wirkung.
(2) Die Klage gegen Entscheidungen des Bundesamtes, mit denen die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft widerrufen oder zurückgenommen worden ist, hat in folgenden Fällen keine aufschiebende Wirkung:
- 1.
bei Widerruf oder Rücknahme wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2, - 2.
bei Widerruf oder Rücknahme, weil das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.
(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.
(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Artikels 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (sicherer Drittstaat) eingereist ist, kann sich nicht auf Artikel 16a Abs. 1 des Grundgesetzes berufen. Er wird nicht als Asylberechtigter anerkannt. Satz 1 gilt nicht, wenn
- 1.
der Ausländer im Zeitpunkt seiner Einreise in den sicheren Drittstaat im Besitz eines Aufenthaltstitels für die Bundesrepublik Deutschland war, - 2.
die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages mit dem sicheren Drittstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist oder - 3.
der Ausländer auf Grund einer Anordnung nach § 18 Abs. 4 Nr. 2 nicht zurückgewiesen oder zurückgeschoben worden ist.
(2) Sichere Drittstaaten sind außer den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die in Anlage I bezeichneten Staaten.
(3) Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates, dass ein in Anlage I bezeichneter Staat nicht mehr als sicherer Drittstaat gilt, wenn Veränderungen in den rechtlichen oder politischen Verhältnissen dieses Staates die Annahme begründen, dass die in Artikel 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes bezeichneten Voraussetzungen entfallen sind. Die Verordnung tritt spätestens sechs Monate nach ihrem Inkrafttreten außer Kraft.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.
Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.